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Durchsuchungsbeschluss für Mülltonne

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Stefan Schmitz

unread,
Jun 23, 2021, 8:58:40 AM6/23/21
to
Braucht die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss, um die Mülltonne eines
Verdächtigen zu durchsuchen? Wenn ja, dürfte ein Beschluss für die
Wohnung die Tonne wohl abdecken.

Was, wenn es sich um einen gemeinsamen Container für ein
Mehrfamilienhaus handelt? Bräuchte man für den einen eigenen Beschluss?

Und wie sieht es mit Mülltonnen in der Nachbarschaft aus? In einem
Fernsehkrimi hieß es, der vorliegende Durchsuchungsbeschluss decke nur
das Grundstück ab, wo der Verdächtige wohnt. Das gesuchte Beweismittel
wurde dann im Container des Nachbarhauses gefunden, aber zwecks
Verwertbarkeit als auf dem richtigen Grundstück gefunden deklariert.

In anderen Krimis wird routinemäßig in Mülltonnen gestöbert. Legal?

Wolfgang Schreiber

unread,
Jun 23, 2021, 12:15:33 PM6/23/21
to
> In einem Fernsehkrimi hieß es, ...

Nicht dass ich viel Ahnung hätte, aber es heißt allenthalben, dass
Fernsehkrimis mit der kriminalistischen Wirklichkeit - nunja - nicht
wirklich viel zu tun haben.

> das Grundstück ab, wo der Verdächtige wohnt. Das gesuchte Beweismittel
> wurde dann im Container des Nachbarhauses gefunden,

Aber interessieren würde mich in der Tat auch, inwieweit Müllcontainer
unter die Unverletzlichkeit der Wohnung fallen...

VG
Wolfgang

Thomas Hochstein

unread,
Jun 23, 2021, 4:15:02 PM6/23/21
to
Wolfgang Schreiber schrieb:

> Aber interessieren würde mich in der Tat auch, inwieweit Müllcontainer
> unter die Unverletzlichkeit der Wohnung fallen...

Müllcontainer sind keine Wohnung (Ausnahme: Oskar aus der Tonne).

Aber woher die Annahme, nur die Durchsuchung einer Wohnung bedürfe
einer richterlichen Anordnung?

Thomas Hochstein

unread,
Jun 23, 2021, 4:15:02 PM6/23/21
to
Stefan Schmitz schrieb:

> Braucht die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss, um die Mülltonne eines
> Verdächtigen zu durchsuchen?

§ 102 StPO: "[...] kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer
Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen [...]"

§ 105 StPO: "Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter [...]
angeordnet werden."

> Wenn ja, dürfte ein Beschluss für die Wohnung die Tonne wohl
> abdecken.

Je nach der Formulierung, aber üblicherweise ja.

> Was, wenn es sich um einen gemeinsamen Container für ein
> Mehrfamilienhaus handelt? Bräuchte man für den einen eigenen Beschluss?

Je nach der Formulierung. Üblicherweise werden Nebenräume mit in den
Beschluss aufgenommen; gedacht ist da primär an Garagen, sekundär an
Kellerräume, aber es erfasst natürlich auch den Aufbewahrungsort der
Müllcontainer (und dieselben).

-thh
--
Liste juristischer Online-Ressourcen: <https://th-h.de/law/lawlinks/>
Gesetzestexte, Rechtsprechung und Fundstellen: <http://dejure.org/>
Gesetze und Verordnungen (deutsches Bundesrecht): <http://buzer.de/>
Freie Rechtsprechungs-Dokumentation (Urteile): <http://openjur.de/>

Stefan Schmitz

unread,
Jun 23, 2021, 5:52:53 PM6/23/21
to
Am 23.06.2021 um 22:00 schrieb Thomas Hochstein:
> Stefan Schmitz schrieb:
>
>> Braucht die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss, um die Mülltonne eines
>> Verdächtigen zu durchsuchen?
>
> § 102 StPO: "[...] kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer
> Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen [...]"
>
> § 105 StPO: "Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter [...]
> angeordnet werden."

Ist die Mülltonne ein Raum? Eine Sache, die der Person gehört? In der
Regel gehört sie wohl dem Entsorger.

>> Wenn ja, dürfte ein Beschluss für die Wohnung die Tonne wohl
>> abdecken.
>
> Je nach der Formulierung, aber üblicherweise ja.
>
>> Was, wenn es sich um einen gemeinsamen Container für ein
>> Mehrfamilienhaus handelt? Bräuchte man für den einen eigenen Beschluss?
>
> Je nach der Formulierung. Üblicherweise werden Nebenräume mit in den
> Beschluss aufgenommen; gedacht ist da primär an Garagen, sekundär an
> Kellerräume, aber es erfasst natürlich auch den Aufbewahrungsort der
> Müllcontainer (und dieselben).

So ein Beschluss umfasst also Räume, die dem Verdächtigen gehören, und
fremde Räume (die er aber nutzen darf)?
Wie sieht es denn mit den Nachbarhäusern aus? Die dortigen Mülltonnen
sind ja recht einfach für ihn zu nutzen.
Genügt statt eines Beschlusses auch das Einverständnis des
Grundstückseigentümers (der die Tonne meist nicht selbst benutzt)?

Thomas Hochstein

unread,
Jun 23, 2021, 6:45:02 PM6/23/21
to
Stefan Schmitz schrieb:

> In der Regel gehört sie wohl dem Entsorger.

Das wäre ungewöhnlich.

> > Je nach der Formulierung. Üblicherweise werden Nebenräume mit in den
> > Beschluss aufgenommen; gedacht ist da primär an Garagen, sekundär an
> > Kellerräume, aber es erfasst natürlich auch den Aufbewahrungsort der
> > Müllcontainer (und dieselben).
>
> So ein Beschluss umfasst also Räume, die dem Verdächtigen gehören, und
> fremde Räume (die er aber nutzen darf)?

Ja: "seine" Räume und Gemeinschaftsräume. Relevant bspw. in einer
Wohngemeinschaft, oder wenn verschiedene Generationen unter einem Dach
wohnen.

> Genügt statt eines Beschlusses auch das Einverständnis des
> Grundstückseigentümers (der die Tonne meist nicht selbst benutzt)?

Wenn es seine Tonne ist ... warum nicht?

-thh

Mike Grantz

unread,
Jun 23, 2021, 7:16:18 PM6/23/21
to
On 24.06.2021 00:32, Thomas Hochstein wrote:

>> In der Regel gehört sie wohl dem Entsorger.
>
> Das wäre ungewöhnlich.

Nö. In einigen Landkreisen wird gekauft, in anderen von dem Entsorger
gemietet.

Andreas Bockelmann

unread,
Jun 24, 2021, 12:26:02 AM6/24/21
to
Mike Grantz schrieb:
Ja, das ist wie mit der Wohnung. Sowohl die Mülltonne als auch die Wohnung
kann man durch Eigentumserwerb (z.B. Kauf) oder durch (un-)entgeltliche
Überlassung (Leihe/Miete) in Besitz nehmen.

Ja, ich bin Besitzer meiner Mülltonnen, vor meinem Haus stehen. Aber
Eigentümer bin ich nur beim Haus.

--
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Bockelmann

Stefan Schmitz

unread,
Jun 24, 2021, 3:12:38 AM6/24/21
to
Am 24.06.2021 um 00:32 schrieb Thomas Hochstein:
> Stefan Schmitz schrieb:
>> Genügt statt eines Beschlusses auch das Einverständnis des
>> Grundstückseigentümers (der die Tonne meist nicht selbst benutzt)?
>
> Wenn es seine Tonne ist ... warum nicht?

Weil damit ein intensiver Einblick in die Konsum- und
Wegwerfgewohnheiten der Bewohner verbunden ist.

Wenn man das Gesuchte nicht beim Verdächtigen findet, wäre es also
möglich, ohne Beschluss alle Mülltonnen der Nachbarschaft zu
durchsuchen, bei denen der Eigentümer einverstanden ist?

Stefan Froehlich

unread,
Jun 24, 2021, 3:54:41 AM6/24/21
to
Hm. In Wien stehen Mülltonnen typischerweise in eigenen, versperrten
Räumen, zu denen die Bewohner, aber auch die Müllabfuhr einen
(unterschiedlichen) Schlüssel haben. Die Bewohner werfen Dinge
hinein, die Müllabfuhr holt Dinge heraus.

Wer der beiden ist der Besitzer der Mülltonne und weshalb?

Servus,
Stefan

--
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Wolfgang Schreiber

unread,
Jun 24, 2021, 4:47:43 AM6/24/21
to
> Aber woher die Annahme, nur die Durchsuchung einer Wohnung bedürfe
> einer richterlichen Anordnung?

Okay, auch "ihm gehörende Sachen". Wenn mir "etwas gehört", bin ich dann
Besitzer oder Eigentümer, oder muss es beides sein?

Es wird hier ja gerade diskutiert, ob Mülltonnen unbedingt dem Nutzer
gehören müssen. Unsere Mülltonnen vor dem Haus stehen jedenfalls im
Eigentum des Entsorgers, die Familie nutzt sie nur. Wem gehören sie?

VG
Wolfgang

Thomas Hochstein

unread,
Jun 24, 2021, 3:45:02 PM6/24/21
to
Stefan Schmitz schrieb:

> Am 24.06.2021 um 00:32 schrieb Thomas Hochstein:
> > Stefan Schmitz schrieb:
> >> Genügt statt eines Beschlusses auch das Einverständnis des
> >> Grundstückseigentümers (der die Tonne meist nicht selbst benutzt)?
> > Wenn es seine Tonne ist ... warum nicht?
>
> Weil damit ein intensiver Einblick in die Konsum- und
> Wegwerfgewohnheiten der Bewohner verbunden ist.

Tscha.

Im Zweifel würde ich darauf abstellen, ob der Dritte (hier: der
Grundstückseigentümer) selbst befugt die Räume betreten oder (hier)
die Behältnisse öffen darf. Was er darf, kann er auch Dritten
gestatten.

Thomas Hochstein

unread,
Jun 24, 2021, 3:45:02 PM6/24/21
to
Wolfgang Schreiber schrieb:

> > Aber woher die Annahme, nur die Durchsuchung einer Wohnung bedürfe
> > einer richterlichen Anordnung?
>
> Okay, auch "ihm gehörende Sachen". Wenn mir "etwas gehört", bin ich dann
> Besitzer oder Eigentümer, oder muss es beides sein?

Der Besitz dürfte entscheidend sein; so ist es ja bspw. auch bei
Hotelzimmern.

HC Ahlmann

unread,
Jun 25, 2021, 3:49:50 AM6/25/21
to
Thomas Hochstein <t...@thh.name> wrote:

> Stefan Schmitz schrieb:
>
> > In der Regel gehört sie wohl dem Entsorger.
>
> Das wäre ungewöhnlich.

Nein, Mülltonnen werden verliehen oder übereignet:
| In Deutschland gibt es viele unterschiedliche Systeme. So kaufen in
| manchen Gegenden bzw. Landkreisen die Verbraucher Ihre Mülltonnen
| selbst, während an anderen Orten die Entsorgungsunternehmen die Tonnen
| als Mietgegenstand zur Verfügung stellen.
<https://www.resorti-muelltonnenboxen.de/muelltonne-entsorgen-austauschen/>

Im Rhein-Sieg-Kreis wird verliehen:
| • Alle Tonnen sind Leihgefäße und gehen nicht in Ihr Eigentum über
<https://www.rsag.de/service/zusatzangebote/behaelter-neugestellung>

Aber davon abgesehen, entsorgt man belastende Gegenstände in des
ungeliebten Nachbars Tonne und lässt sich weder bei dem einen noch dem
anderen erwischen ;->

Wann geht Müll in das Eigentum des Entsorgers über – bei Einwurf in die
(geliehene) Tonne oder bei Bereitstellung der Tonne zur Entleerung?
Spätestens dann greift doch der Durchsuchungsbeschluss nicht mehr, oder?
--
Munterbleiben
HC

Wolfgang Fieg

unread,
Jun 26, 2021, 4:22:40 AM6/26/21
to
Am 23.06.2021 um 18:15 schrieb Wolfgang Schreiber:
>> In einem Fernsehkrimi hieß es, ...
>
> Nicht dass ich viel Ahnung hätte, aber es heißt allenthalben, dass
> Fernsehkrimis mit der kriminalistischen Wirklichkeit - nunja - nicht
> wirklich viel zu tun haben.
>

Vor allem haben sie wenig mit der Strafprozessordnung und dem Dienstecht
der Polizeibeamten zu tun: Da darf man Beschuldigte "24 Stunden"
festhalten, da haben Staatsanwälte ihr Büro im Polizeipräsidium und
spielen sich auf, wie die Dienstvorgesetzte des Polizeibeamten. Letztere
werden "abgemahnt" und "kündigen", wenn sie keine Lust mehr haben.

Eine systematische Straf- und beamtenrechtliche Fortbildung der Tatort-,
Polizeiruf- usw. Drehbuchautoren wäre so ganz falsch nicht, einfach,
weil ich in meinem privaten Umfeld, vor allem bei jüngeren Leuten,
zunehmend feststelle, dass die glauben, das wäre alles so.

Wolfgang

Marc Haber

unread,
Jun 26, 2021, 4:32:06 AM6/26/21
to
Wer davon ausgeht, dass Fernsehkrimis die Rechtslage und Arbeitsweise
von Ermittlern korrekt wiedergeben, der glaube auch dass alle
Sendungen mit Computer- und Internetbezug alles korrekt und
unvereinfacht zeigen.

--
-------------------------------------- !! No courtesy copies, please !! -----
Marc Haber | " Questions are the | Mailadresse im Header
Mannheim, Germany | Beginning of Wisdom " |
Nordisch by Nature | Lt. Worf, TNG "Rightful Heir" | Fon: *49 621 72739834

Stefan Schmitz

unread,
Jun 26, 2021, 4:42:02 AM6/26/21
to
Das ist ja auch das einzige, was der Normalbürger so über die
Arbeitsweise der Polizei erfährt. Und angesichts der Krimischwemme
erfährt er es immer wieder gleich.
Eine sinnvolle Alternative zur Fortbildung der Krimiautoren wären
regelmäßige Aufklärungssendungen, in denen die rechtlichen Fehler der
Filme aufgezeigt werden, am bestem direkt im Anschluss.

Rupert Haselbeck

unread,
Jun 26, 2021, 5:17:01 AM6/26/21
to
Marc Haber schrieb:
> Wer davon ausgeht, dass Fernsehkrimis die Rechtslage und Arbeitsweise
> von Ermittlern korrekt wiedergeben, der glaube auch dass alle
> Sendungen mit Computer- und Internetbezug alles korrekt und
> unvereinfacht zeigen.

Das stimmt schon. Aber es ist wohl vor allem auch dem Umstand
geschuldet, dass nur derjenige in der Lage ist, Fehler und/oder
Ungenauigkeiten etc. wirklich zu erkennen, der die jeweilige Materie
hinreichend kennt. Anders mag das bei eher offenkundigen, groben Fehlern
sein, aber die wird auch der Drehbuchschreiber oder Journalist in der
Regel zu vermeiden wissen.
Es ist bestürzend, all den Unsinn und das teils strafbare Verhalten
nicht nur auf Seiten der "Bösen" in Fernsehkrimis zu sehen. Aber das
sehen und erkennen nunmal nur diejenigen, welche die Rechtslage
hinreichend gut kennen. Das ist nicht anders bei Computersendungen und
auch bei Sendungen mit beliebig anderen Themen. Nur der hinreichend
sachkundige Betrachter vermag Fehler rasch und zuverlässig zu erkennen.
Wer nicht genügend Vorkenntnisse hat, der wird oftmals glauben (wollen?
müssen?), was er jeden Tag sieht und hört.
So ist es in manchen Kreisen offenbar feste Überzeugung, dass es in den
Gerichtssälen der Republik täglich hoch hergeht, dass sich Staatsanwälte
und Angeklagte, ja auch Zeugen und selbst Zuhörer höchst vehement an der
"Diskussion" um Schuld oder Unschuld zu beteiligen pflegen und lustig
durcheinander reden/brüllen - sieht man das doch täglich im Fernsehen so
ablaufen :->

Es bedarf eines guten Maßes an Medienkompetenz, an kritischem Denken, um
Informationen zu bewerten, deren Gegenstand und Hintergründe man wenig
oder überhaupt nicht kennt. Allzuviele Menschen glauben unbesehen all
das, was täglich auf sie einströmt.
Und allzuviele Menschen und Organisationen versuchen das auch für ihre
Zwecke zu nutzen, um eher unbedarfte Mitmenschen zu beeinflussen.

MfG
Rupert

Thomas Hochstein

unread,
Jun 26, 2021, 6:45:03 AM6/26/21
to
Rupert Haselbeck schrieb:

> Es ist bestürzend, all den Unsinn und das teils strafbare Verhalten
> nicht nur auf Seiten der "Bösen" in Fernsehkrimis zu sehen.

Ich finde es persönlich viel bestürzender, wie oft sich in der Presse-
und Medienberichterstattung (also außerhalb der Fiktion) offenkundige
Fehler zeigen, bei denen man auch ohne Kenntnis des konkreten
Einzelfalls weiß, dass das so nicht stimmen kann. (Noch schlimmer ist
es oft, wenn man den Einzelfall kennt. [1]) Vor allem deshalb, weil ja
zu vermuten steht, dass das nicht nur in den Bereichen des Rechts, der
(Notfall-)Medizin und der IT, die ich ein wenig überblicken kann, der
Fall ist, sondern in anderen Themengebieten eben auch.

-thh

[1] Wobei die Lokalzeitung, das muss man sagen, einen sehr
kenntnisreichen "Gerichtsreporter" hat, der die überregionalen Medien,
dpa und Co. locker in die Tasche steckt, und auch sonst in diesem
Bereich recht gut berichtet - aber eben auch die "investigativen
Journalisten", bei denen man schon bei den Fragen an die Pressestelle
weiß, wie der Artikel hinterher aussehen wird ...

Thomas Hochstein

unread,
Jun 26, 2021, 6:45:04 AM6/26/21
to
Wolfgang Fieg schrieb:

> Eine systematische Straf- und beamtenrechtliche Fortbildung der Tatort-,
> Polizeiruf- usw. Drehbuchautoren wäre so ganz falsch nicht, einfach,
> weil ich in meinem privaten Umfeld, vor allem bei jüngeren Leuten,
> zunehmend feststelle, dass die glauben, das wäre alles so.

Dringend geboten wäre dann wohl eher eine Fortbildung der "jüngeren
Leute", die ihnen verdeutlicht, dass fiktive Werke keine
Dokumentationen sind.

Nichts im Tatort - und anderen, vergleichbaren Produktionen, die
darüber hinaus oft das US-amerikanische Rechtssystem wiedergeben - hat
etwas mit polizelichen Ermittlungen (in Kapitaldelikten) zu tun.
Nirgendwo ermittelt in solchen Fällen ein Team von zwei (oder auch
vier, oder auch sechs) Personen statt einer Sonderkommission.
Nirgendwo fährt man durch die Gegend, spricht mit Leuten und kommt
dabei auf tolle Ideen, ohne irgendetwas davon zu dokumentieren;
insbesondere wird die "Außenarbeit" gerade nicht von den
Sachbearbeitern (oder den Leitern der einzelnen Abschnitte oder der
Soko) erledigt, sondern von Spurentrupps, die genau umrissene Aufgaben
zu erledigen haben und - trotz regelmäßíger Besprechungen - keinen
vollen Überblick über das Gesamtgeschehen haben. (Fast) nirgendwo gibt
es die aus amerikanischen Krimis übernommenen Vernehmungsräume mit
Einwegspiegeln, Kameras und Tontechnik [1]. Nirgendwo liegen
Ergebnisse von kriminaltechnischen oder Labor-Untersuchungen oder
irgendwelche Auskünfte nach Stunden oder am Folgetag vor; das dauert
Tage, oft Wochen, ggf. Monate. Das weiß aber keiner, das will auch
keiner wissen, und es ist nicht das Konzept solcher Filme, in denen
letztendlich ein oder zwei Hauptpersonen oder ein kleines Team - mit
Personen, mit denen man sich identifizieren kann - alles im Alleingang
klärt. Unsere arbeitsteilige Gesellschaft ist eben nicht so. Sich da
über rechtliche Ungenauigkeiten aufzuregen, geht völlig an der Sache
vorbei; Krimis sind insgesamt reine Phantasieprodukte ohne besonderen
Realitätsbezug. [2]

Das ist auch kein Spezifikum von Krimis.

In der Medizin sieht es genauso aus: Nirgendwo wird bei
Wiederbelebungen ein wenig auf einem Patienten herumgedrückt, worauf
er dann entweder binnen Sekunden dramatisch nach Luft schnappt und zu
sich kommt oder eben leider tot ist. [3] Nein, auch das wilde Schocken
mit einem Defibrillator (gerne bei einer Nulllinie auf dem EKG) macht
die Leute nicht sofort wieder lebendig, so dass sie die Augen
aufschlagen und verwirrt um sich schauen.

Bei der Feuerwehr ist es nicht anders: Es brennt nicht dramatisch mit
großen Flammen, die überall umherzüngeln, ohne dass es schon in der
Nähe im wahrsten Sinne des Wortes glühend heiß wird oder ohne dass es
raucht. Man kann nicht mit einem feuchten Lappen vor dem Mund durch
ein brennendes Haus laufen. Man hat auch keine klare Sicht, man sieht
vielmehr in der Regel die Hand vor Augen nicht; und wenn man sich
länger in einem brennenden Haus aufhält, dann muss man nicht nur ein
bißchen husten. [4]

Und in Actionfilmen wird es ganz wild: Menschen fliegen nicht durch
die Luft, wenn sie von einer Kugel getroffen werden. Die dünnen Türen
eines Autos gewähren auch keinen Schutz gegen Beschuss. Es ist
keineswegs ungefährlich, sich zu prügeln, Menschen niederzuschlagen
oder mit dem Kopf gegen die Wand zu rammen; die stehen dann nicht
einfach wieder auf und sind etwas groggy. Es ist auch nicht
ungefährlich, irgendwo bewusstlos liegenzubleiben; wer von hinten
niedergeschlagen wird, braucht danach nicht nur einen Eisbeutel, um
wieder fit zu sein. Und natürlich ist es im Zweifel fatal, aus schnell
fahrenden Autos, Zügen oder Flugzeugen zu springen. [4]

Entweder braucht also jeder Film einen langen Nachspann, in dem
erklärt wird, dass das alles Phantasie und Unsinn ist (Aber wer wollte
das über seinen Film sagen? Und wer würde so etwas dröges ansehen?),
oder man bemüht sich stattdessen, wieder zu vermitteln, dass Bücher
und Filme Fiktion sind, keine Realität. (Und dass auch außerhalb
fiktiver Publikationen nicht alles wahr ist, nur weil es im Internet
steht oder im Fernsehen kommt; das wäre dann der zweite Schritt.)

-thh

[1] Seitdem bei Kapitaldelikten die audio-visuelle Dokumentation der
Beschuldigtenvernehmung vorgeschrieben ist, gibt es das teilweise
schon; nicht selten wird aber einfach mit einer mobilen Kamera auf
Stativ improsivisiert.

[2] Mit wenigen Ausnahmen. Es gibt eine Reihe von Regional-Krimis, die
die polizeliche Arbeit in einer Sonderkommission einigermaßen
realitätsnah wiedergeben (was daran liegt, dass die Autorin sie aus
eigener Erfahrung kennt). Und es gibt eine sehr gute Dokumentation
(ja, ich weiß, die ist gerade nicht fiktiv) des SWR, der damals für
ein paar Wochen die Kripo begleitet hat und das Glück hatte, dass
genau in diesen Zeitraum ein ungeklärtes Tötungsdelikt fiel, so dass
die Sonderkommission während der Ermittlungen begleitet wurde.
Natürlich ist auch die Doku vor allem auf die "spannenden" Teile
zugeschnitten, aber so würde ein realitätsnaher Krimi aussehen:
<https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/UG45G3GTUKHIYHWWWCUAVQSBHU2HIGBR>

[3] Das ist übrigens im Zweifel eine sehr viel problematischere
Fehlvorstellung als es bei polizeilichen Ermittlungen der Fall ist.
Denn ermitteln muss man als Bürger nicht, wiederbeleben im Zweifel
aber schon.

[4] Auch das alles sind Fehlvorstellungen, die konkret
lebensgefährlich werden können, wenn man glaubt, die Realität sei auch
nur annähernd so, wie sie im Film dargestellt würde.

Gerald Gruner

unread,
Jun 26, 2021, 7:04:39 AM6/26/21
to
Stefan Schmitz schrieb am 26.06.21:

> Am 26.06.2021 um 10:22 schrieb Wolfgang Fieg:
>> Am 23.06.2021 um 18:15 schrieb Wolfgang Schreiber:
>>>> In einem Fernsehkrimi hieß es, ...
>>>
>>> Nicht dass ich viel Ahnung hätte, aber es heißt allenthalben, dass
>>> Fernsehkrimis mit der kriminalistischen Wirklichkeit - nunja - nicht
>>> wirklich viel zu tun haben.
>>>
>> Vor allem haben sie wenig mit der Strafprozessordnung und dem Dienstecht
>> der Polizeibeamten zu tun: Da darf man Beschuldigte "24 Stunden"
>> festhalten, da haben Staatsanwälte ihr Büro im Polizeipräsidium und
>> spielen sich auf, wie die Dienstvorgesetzte des Polizeibeamten. Letztere
>> werden "abgemahnt" und "kündigen", wenn sie keine Lust mehr haben.
>>
>> Eine systematische Straf- und beamtenrechtliche Fortbildung der Tatort-,
>> Polizeiruf- usw. Drehbuchautoren wäre so ganz falsch nicht, einfach,
>> weil ich in meinem privaten Umfeld, vor allem bei jüngeren Leuten,
>> zunehmend feststelle, dass die glauben, das wäre alles so.

Glauben die auch, dass Iron Man existiert und fliegen kann?
Oder dass Arnold Schwarzenegger mit bloßer Hand Autoscheiben einschlagen
kann?

> Das ist ja auch das einzige, was der Normalbürger so über die
> Arbeitsweise der Polizei erfährt. Und angesichts der Krimischwemme
> erfährt er es immer wieder gleich.
> Eine sinnvolle Alternative zur Fortbildung der Krimiautoren wären
> regelmäßige Aufklärungssendungen, in denen die rechtlichen Fehler der
> Filme aufgezeigt werden, am bestem direkt im Anschluss.

Und dann?
Wisse, dass ein Krimi keine Doku ist und dass der polizeiliche Alltag
vermutlich weitaus weniger spannend ist, um abendliche 90 min so zu füllen,
dass die Zuschauer nicht wegschalten...
Spannung geht beim Film vor Realität.

MfG
Gerald

--

Enrik Berkhan

unread,
Jun 26, 2021, 8:13:05 AM6/26/21
to
Thomas Hochstein <t...@thh.name> wrote:
> Nichts im Tatort - und anderen, vergleichbaren Produktionen, die
> darüber hinaus oft das US-amerikanische Rechtssystem wiedergeben - hat
> etwas mit polizelichen Ermittlungen (in Kapitaldelikten) zu tun.

Einspruch(, Euer Ehren)!

Oliver Jennrich

unread,
Jun 26, 2021, 2:55:40 PM6/26/21
to
Marc Haber <mh+usene...@zugschl.us> writes:

> Wolfgang Fieg <wolfgfa...@t-online.de> wrote:
>>Am 23.06.2021 um 18:15 schrieb Wolfgang Schreiber:
>>>> In einem Fernsehkrimi hieß es, ...
>>>
>>> Nicht dass ich viel Ahnung hätte, aber es heißt allenthalben, dass
>>> Fernsehkrimis mit der kriminalistischen Wirklichkeit - nunja - nicht
>>> wirklich viel zu tun haben.
>>>
>>
>>Vor allem haben sie wenig mit der Strafprozessordnung und dem Dienstecht
>>der Polizeibeamten zu tun: Da darf man Beschuldigte "24 Stunden"
>>festhalten, da haben Staatsanwälte ihr Büro im Polizeipräsidium und
>>spielen sich auf, wie die Dienstvorgesetzte des Polizeibeamten. Letztere
>>werden "abgemahnt" und "kündigen", wenn sie keine Lust mehr haben.
>>
>>Eine systematische Straf- und beamtenrechtliche Fortbildung der Tatort-,
>>Polizeiruf- usw. Drehbuchautoren wäre so ganz falsch nicht, einfach,
>>weil ich in meinem privaten Umfeld, vor allem bei jüngeren Leuten,
>>zunehmend feststelle, dass die glauben, das wäre alles so.
>
> Wer davon ausgeht, dass Fernsehkrimis die Rechtslage und Arbeitsweise
> von Ermittlern korrekt wiedergeben, der glaube auch dass alle
> Sendungen mit Computer- und Internetbezug alles korrekt und
> unvereinfacht zeigen.

Wie, Star Trek ist keine Reportage?

--
Space - The final frontier

Thomas Hochstein

unread,
Jun 27, 2021, 5:35:19 AM6/27/21
to
Oliver Jennrich schrieb:

> Wie, Star Trek ist keine Reportage?

Nein. Die Reportage ist Babylon 5.

Stefan Schmitz

unread,
Jun 27, 2021, 8:47:52 AM6/27/21
to
Am 27.06.2021 um 10:57 schrieb Michael Zink:
> On Sat, 26 Jun 2021 10:41:59 +0200, Stefan Schmitz wrote:
>
>> Eine sinnvolle Alternative zur Fortbildung der Krimiautoren wären
>> regelmäßige Aufklärungssendungen, in denen die rechtlichen Fehler der
>> Filme aufgezeigt werden, am bestem direkt im Anschluss.
>
> Ich bezweifle allerdings, daß solche Sendungen von denen gesehen
> würden, die es nötig hätten.
> (Ich hoffe ja, ich täusche mich ...)

Wer es nötig hätte, interessiert sich eh nicht für die Wirklichkeit. Der
braucht auch keine Krimis für falsche Vorstellungen, dem reichen obskure
Internetquellen.
Mir geht es um ein leicht zugängliches Angebot für die, die ahnen, dass
die Realität anders ist als das, was ihnen mehrmals täglich präsentiert
wird.

Ulf Kutzner

unread,
Jun 29, 2021, 2:45:05 AM6/29/21
to
Stefan Froehlich schrieb am Donnerstag, 24. Juni 2021 um 09:54:41 UTC+2:

> Hm. In Wien stehen Mülltonnen typischerweise in eigenen, versperrten
> Räumen, zu denen die Bewohner, aber auch die Müllabfuhr einen
> (unterschiedlichen) Schlüssel haben. Die Bewohner werfen Dinge
> hinein, die Müllabfuhr holt Dinge heraus.

So erkennt man kultutelle Unterschiede. Bei uns holt
die Müllabfuhr die vollen Tonnen heraus, zieht sie am
Müllwagen hoch, kippt sie um vielleicht 160 Grad, schüttelt
sie dabei zwecks möglichst vollständigher Entleerung, senkt
sie ab und stellt sie bei Gelegenheit zurück.

Gruß, ULF

Thomas Homilius

unread,
Jul 3, 2021, 5:48:23 PM7/3/21
to
Am 2021-06-26 um 10:22 schrieb Wolfgang Fieg:
> da haben Staatsanwälte ihr Büro im Polizeipräsidium und
> spielen sich auf, wie die Dienstvorgesetzte des Polizeibeamten.

Der Polizist ist der Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, auch wenn das
politisch korrekt jetzt anders genannt wird.

Da hat mich doch irgendwer wegen meinem Post "angeschwaerzt":
Subject: Musik hoeren als Beweis meiner Unschuld?
Date: Thu, 3 Dec 2020 20:17:47 +0100
Message-ID: <rqbdl1$j12$1...@thomashomilius.eternal-september.org>
<https://groups.google.com/g/de.soc.recht.strafrecht/c/hLjEL8Gzy-A/m/3rSTkWCXAAAJ>

Da war ich nun am Freitag, den 26 Maerz 2021 um ca. 14:00 Uhr in der
Hainstr. 142 als Zeugender Jehova eingeladen (§ 306a StGB). Man konnte
sichtlich sehen, dass der Herr Mueller keine Lust hatte zu arbeiten.
Sinngemaes kam heraus, dass Herr Mueller von der Staatsanwaltschaft
gezwungen wurde, mich als Zeugen zu vernehmen, eine Hilfsperson der
Staatsanwaltschaft eben.

[Ziemlich einfallslos vom Herrn Mueller, sich den Namen "Mueller"
auszusuchen.]

--
Thomas Homilius
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Thomas Homilius

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Jul 4, 2021, 4:39:15 PM7/4/21
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Am 2021-06-23 um 14:58 schrieb Stefan Schmitz:
> Braucht die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss, um die Mülltonne eines
> Verdächtigen zu durchsuchen? Wenn ja, dürfte ein Beschluss für die
> Wohnung die Tonne wohl abdecken.

Was ist, wenn die Polizei meine Muelltonnen durchsucht, was wird sie
wohl dort finden?

In der Gelben Tonne sind eine Menge Milchtueten, ich trinke jeden Tag
mindestens 1 Liter Milch, laktoseintollerant bin ich nicht. Ausserdem
sind dort Verpackungen fuer Frisch- und Scheibenkaese.

In der Papiertonne befinden sich meine Steuerbescheide und auch die
Bescheide vom AMT. Die scanne ich aber meistens ein, bevor ich die
wegschmeisse.

Meinen Papierkorb leere ich aus Bequemlichkeitsgruenden in den Restmuell
aus. Darin sind Kassenbelege vom Eckert (Kiosk) und von IKEA.

Was in meinem Biomuell ist, das verrate ich nicht. Das soll die Polizei
schon selber rausfinden.

Ulf Kutzner

unread,
Jul 10, 2021, 3:10:40 AM7/10/21
to
Thomas Homilius schrieb am Samstag, 3. Juli 2021 um 23:48:23 UTC+2:
> Am 2021-06-26 um 10:22 schrieb Wolfgang Fieg:
> > da haben Staatsanwälte ihr Büro im Polizeipräsidium und
> > spielen sich auf, wie die Dienstvorgesetzte des Polizeibeamten.
> Der Polizist ist der Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, auch wenn das
> politisch korrekt jetzt anders genannt wird.

Kannst den nun seit 17 Jahren gültigen Begriff bei Gelegenheit nachschlagen.

> Da hat mich doch irgendwer wegen meinem Post "angeschwaerzt":
> Subject: Musik hoeren als Beweis meiner Unschuld?
> Date: Thu, 3 Dec 2020 20:17:47 +0100
> Message-ID: <rqbdl1$j12$1...@thomashomilius.eternal-september.org>
> <https://groups.google.com/g/de.soc.recht.strafrecht/c/hLjEL8Gzy-A/m/3rSTkWCXAAAJ>
>
> Da war ich nun am Freitag, den 26 Maerz 2021 um ca. 14:00 Uhr in der
> Hainstr. 142 als Zeugender Jehova eingeladen (§ 306a StGB). Man konnte
> sichtlich sehen, dass der Herr Mueller keine Lust hatte zu arbeiten.
> Sinngemaes kam heraus, dass Herr Mueller von der Staatsanwaltschaft
> gezwungen wurde, mich als Zeugen zu vernehmen, eine Hilfsperson der
> Staatsanwaltschaft eben.
>
> [Ziemlich einfallslos vom Herrn Mueller, sich den Namen "Mueller"
> auszusuchen.]

Welche Belege hast Du für Deine Annahme, Polizeibeamte
würden in Vernehmungszimmern als Vernehmer regelmäßig
und im Umgang mit Deinereiner unter Falsch- bzw. Aliasnamen tätig?
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