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KR9815 Zur Situation der Gefangenen

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Maurice Merlin

ungelesen,
02.08.1998, 03:00:0002.08.98
an
Aus: Kurdistan-Rundbrief, Nr. 15, Jg. 11, 29.7.1998


_Zur aktuellen Situation der Gefangenen in der Türkei_


_Entsendung einer Delegation nach Sivas_

Während sich im E-Typ Gefängnis von Sivas 120 gefangene Frauen aus der
PKK seit dem 2. Mai in einer Hungerstreikkette befinden, ist die in
Ankara zusammengestellte Delegation zur Aufnahme von Verhandlungen in
Sivas eingetroffen.

Die Delegation besteht aus dem Mitglied des Zentralen
Koordinationsrates der Gewerkschaft SES, Veli Büyüksahin, dem
Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins IHD in Ankara, Yildiz
Temurtürkan, dem Mitglied des allgemeinen Koordinationsrates des
Gewerkschaftsdachverbandes KESK, Veysel Gencel, dem Mitglied der
Gefängniskommission des Fortschrittlichen Anwaltsvereins Zeki Rüzgar,
und dem Mitglied der Gefängniskommission der ÖDP (Freiheits- und
Solidaritätspartei), Rechtsanwalt Belgum Culhaoglu.

Der Pressesprecher der Delegation, Rechtsanwalt Medeni Ayhan, verlas
im Namen der Delegation eine schriftliche Erklärung. Er betonte, daß
auch auf den zweiten offiziellen Antrag der Delegation für einen
Besuch im Gefängnis seitens des Justizministeriums und der Direktion
des Straf- und Gefängniswesens lange Zeit keine Antwort gegeben wurde.
Medeni Ayhan gab bekannt, daß das Justizministerium den Antrag nun mit
folgenden Worten abgelehnt hat: "Es ist nicht angemessen, zum zweiten
Mal eine Delegation im Auftrag von Zivilorganisationen in das
Gefängnis von Sivas zu entsenden." Der Pressesprecher der Delegation
erklärte weiter: "Auch wenn das Justizministerium uns nicht die
Erlaubnis erteilt, die Situation in den Gefängnissen zu untersuchen,
so werden wir auch weiterhin nicht ruhen und am heutigen Tag auch als
Delegation nach Sivas reisen, um die Rechtsverletzungen aufzudecken,
unsere ablehnende Haltung gegenüber der Unterschlagung der Rechte
auszudrücken und deren Einhaltung zu gewährleisten, und um uns dafür
einzusetzen, den Hungerstreik durch eine Vereinbarung zu beenden."


_In Elazig gibt es keine Verhandlungsergebnisse_

Im Gefängnis von Elazig befinden sich seit dem 2. Juni die
PKK-Gefangenen im Hungerstreik gegen die Rechtsverletzungen,
Willkürmaßnahmen und die Repression. 18 Gefangene befinden sich im
unbefristeten Hungerstreik, 17 führen Hungerstreikketten von jeweils 5
Tagen durch. Am 6. Juli, dem 34. Tag des Hungerstreiks, wurde bekannt,
daß sich der Gesundheitszustand der Gefangenen von Tag zu Tag
verschlechtert. Am 15. Juli gab es ein Gespräch zwischen dem
Vorsitzenden des IHD in Elazig, Cafer Demir, dem IHD-Sekretär in
Elazig, Hilmi Elci, dem Vorsitzenden der Gefängniskommission des
IHD-Elazig, Rechtsanwalt Piltan Erdogan, dem stellvertretenden
Staatsanwalt von Elazig, Tuna Gungor, dem ersten Direktor des
Gefängnisses von Elazig und den Vertretern der Gefangenen, Murat
Görmez und Mehmet Akdogan.

Die Delegation berichtete, daß die Gefangenen in den Gesprächen ihr
Mißtrauen gegenüber der Gefängnisleitung zum Ausdruck gebracht haben.
Außerdem forderten sie eine gemeinsame Verlegung in andere
Gefängnisse, da sie befürchten, daß die Zusagen für die humanitären
Forderungen nicht eingehalten werden, genau wie nach den
vorangegangenen Hungerstreiks. Die Gefangenen erklärten ihre
Entschlossenheit, ihren Antrag auf gemeinsame Verlegung auch
durchzusetzen.

Als bei dem Gespräch die Delegation darauf aufmerksam machte, daß die
Gefangenen ihren Hungerstreik erst bei einer Zustimmung zu ihren
Forderungen beenden würden, entgegneten sowohl der stellvertretende
Staatsanwalt Güngör als auch der erste Gefängnisdirektor, daß eine
Einwilligung zu der Forderung der Gefangenen nach einer gemeinsamen
Verlegung nicht in ihrer Befugnis stehe, sondern daß dies das
Justizministerium zu entscheiden habe.


_Im Gefängnis von Mus werden die Rechte vorenthalten_

Im E-Typ Gefängnis von Mus haben Eva Juhnke, Musa Candemir und Mazhar
Tumen im Namen der PKK-Gefangenen erklärt, daß ihnen die am Ende des
letzten Hungerstreiks zugestandenen Rechte von der Gefängnisleitung
nicht mehr zugestanden werden. Sie wiesen darauf hin, daß die von den
Gemeinschaftszellen der Gefangenen getätigten Einkäufe zur Deckung
elementarer Bedürfnisse behindert werden, daß die Besuchszeiten auf 15
bis 20 Minuten reduziert werden und daß die Verlegung von Gefangenen,
die eine dringende medizinische Behandlung benötigen, bewußt verzögert
wird. Auf den Hin- und Rückfahrten zu den Gerichten müssen sie
stundenlang in Wartezellen des Gefängnisses warten, und in den
Wartefluren des Gerichtsgebäudes von Van müssen sie den ganzen Tag in
Handschellen ausharren. Außerdem versuchen die Beamten der
Sicherheitsgruppe des Gefängnisses, die unter dem Namen "A-Team"
bekannt sind, ständig, zu provozieren, um einen Vorwand für ihre
tätlichen Angriffe zu schaffen.


_Frauen sagen: "Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen!"_

Eine Gruppe von Frauen, Mitarbeiterinnen der Zeitschriften Pazartesi,
Özgür Kadin und Yasamda Özgür Kadin, haben sich am 15.7. im Barbaros
Park in Istanbul zusammengefunden und zeigten Spruchbänder mit den
Aufschriften "In den Gefängnissen von Sivas, Erzurum, Kirklareli,
Elazig, Elbistan befinden sich hunderte politische Gefangene im
Hungerstreik" und "Wir verurteilen die Repression in den
Gefängnissen". Außerdem verteilten sie schwarze Schleifen, um gegen
die unsensible Haltung der Regierung und des Justizministeriums
gegenüber den Hungerstreiks zu protestieren.

Auf dem Boden entrollten die Frauen ein schwarzes Transparent, auf dem
sich Zeitungsausschnitte über die Hungerstreiks der Gefangenen in den
Jahren 1989, 1995, 1996 und 1998 befanden, und verlasen eine
Erklärung. Die Journalistin der Zeitschrift Pazartesi, Ayse Düzkan,
die die Erklärung verlas, erklärte, daß die willkürlichen Behandlungen
in den Gefängnissen ein Ende finden müssen und daß den Forderungen der
Gefangenen und politisch Inhaftierten Beachtung entgegengebracht
werden muß. Sie rief zum Protest gegen die Haltung der Regierung auf,
bevor es zu spät sei und betonte, daß "sowohl der Justizminister als
auch alle anderen Zuständigen, denen die Entwicklung bekannt ist,
wissen sollten, daß sie die Verantwortung tragen. Wir lassen nicht
locker." Nach der Kundgebung riefen die Frauen den Slogan: "Susma
sustukca, sira sana gelecek" ("'Schweig nicht! Wer schweigt, kommt
selber dran!") und verteilten anschließend die schwarzen Schleifen am
Hafen des Istanbuler Stadtteils Besiktas.


_Die Familien werden klagen_

Nach dem Erdbeben vom 27. Juni in Adana und Umgebung wurden die
Gefangenen aus dem Kürkcüler Gefängnis in Adana in das E-Typ und
Spezialgefängnis von Antep verlegt. Bei dem Transport wurden sie vom
Wachpersonal angegriffen und schlecht behandelt. Deswegen werden die
Angehörigen Anklage gegen die Verantwortlichen einreichen.

Am 14. Juli kamen die Familienangehörigen der Gefangenen im Büro des
IHD Adana zusammen und gaben dort eine Presseerklärung ab. Darin hieß
es:

"Die Gefangenen, die aus Sicherheitsgründen in das E-Typ- und
Spezialgefängnis von Antep verlegt wurden, wurden zwischen dem fünften
und siebten Juli angegriffen. Diese Angriffe wurden vom zweiten
Gefängnisdirektor und dem als A-Team bekannten Gefängnispersonal
durchgeführt."

Weiter gaben die Familienangehörigen bekannt, daß bei diesen Angriffen
Bülent Arslan schwer, Necati Önder, Recep Gedik, Yilmaz Özdemir, Oktay
Tarhan, Mahmut Öztürkmen, Ugur Turkmen, Dogan Kartastan, Bülent Öner,
Sahin Gecit, Mehmet Akgün, Mehmet Bakir Yigit, Mehmet Leylek, Esma
Aslanboga, Arzu Torun und Lütfiye Aydin verletzt wurden.

Die Angehörigen der politischen Gefangenen verlangten die sofortige
Rückverlegung ihrer Kinder in der Kürkcüler Gefängnis und betonten,
daß sie für alles, was den Inhaftierten und politischen Gefangenen
zustößt, alle Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen werden, allen
voran den Justizminister, den Staatsanwalt und den Direktor des
Gefängnisses von Antep. Die Familienangehörigen werden beim
Staatsanwalt Strafanzeige stellen. "Unsere Kinder sind unsere Würde,
wir werden ihre Ermordung nicht zulassen. Wir werden bis zuletzt an
ihrer Seite stehen," sagten sie. (KIZ, 17.7.98)


--------------------------------------------- V.i.S.d.P.: R. Lötzer --
Der *Kurdistan-Rundbrief* erscheint 14-täglich im GNN-Verlag, Dieffen-
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