Non scolae, sed vitae discimus!
Nun, allgemein mag die
Redewendung “Bildung schadet nicht” stimmen. Im Kontext wie aber im Namen von
Bildung ein ganzer Fachbereich umgepflügt wird – mit dem bloßen Zweck der
Kostenminimierung – das benötigt schon einiger kruder Gedanken.
Hamburg ist ein
Bundesland, welches sich der Aufmerksamkeit der breiten Fachwelt der gesamten
Bundesrepublik sicher sein kann. So angelegt ist die Jugendhilfepolitik des
Senators Scheeles und seiner Schergen Pörksen, Riez und Konsorten. Diese
pflügen in unglaublichem Tempo stumpf die gesamte Jugendhilfe um (unter). In
einem Haushaltsjahr, in dem es Steuereinnahmen in ungeahntem Ausmaße gab, wird
dennoch gespart. Die Schuldenbremse erzwinge eine Streichung in der Jugendhilfe
von zunächst 3,5 mio Euro – oder versehentlich auch 4,5 mio. Euro? So gleich
brüstet sich Senator Scheele bei „Spalthoff live“, wir retten immerhin 90%!
Warum werden wir (gemeint sich die SPD-Genossen) dafür kritisiert, so fragt er
am 25.06.12 in der Sendung auf Hamburg Eins? Die Sendung wendet sich den
Einsparungen der OKJA (Offenen Kinder und Jugendarbeit) zu. Die sogenannten
Freiwilligen Leistungen sollen den Einsparetat bringen, welchen sich die
Sozialbehörde selber auferlegt hat. Gefordert wird dieser Etat freilich nicht –
weder von der Finanzbehörde noch von einer bürgerschaftlich geleiteten
Beschlusslage!
Halten wir zunächst
kurz fest: Die Ausstattung der OKJA ist seit nun mehr 10 Jahren hinter allen
Standards bundesweit zurück. Löhne und Gehälter sind weder im Verhältnis zu den
Preissteigerungen kongruent noch angesichts des graduierten Personals
angemessen gestiegen. Ein Dipl.Soz.Päd. (so es ihn denn noch gibt, angesichts
des tiefergelegten Studienganges Bachelor der Sozialarbeit) verdient brutto
E9/Stufe 1 derzeit 2.351,08 das macht in Steuerklasse 1 sagenhafte € 1.546,63
netto. In Hamburg beträgt die Miete für eine kleine 1 1/2 Zimmer Wohnung
mindestens 700,-.
Im ambulanten Bereich
der Hilfen zur Erziehung erzwingt der Arbeitgeber in den allermeisten Fällen
einen eigenen PKW. Nur wenige Träger fahren das Konzept der
Dienstwagenregelung.
Nun ja, verlieren wir
uns nicht in den Ernüchterungen des von der BASFI erzwungenen kapitalistischen
Marktwirtschaft……denn, alle Träger der Hilfen zur Erziehung schließen auf gleicher
Grundlage eine Leistungs- und Qualitätsvereinbarung und danach eine
Entgeltvereinbarung ab – oder? Privat Gewerbliche Träger, Vereine, kirchliche
Einrichtungen, alle werden nach dem Grundsatz der pauschalen Kostenübernahme in
Fachleistungsstundensätze gezwungen. Dabei fallen reale Kosten, wie etwa
Anstiegsraten im Energiesektor, oder Tarifsteigerungen gar nicht eins zu eins
in Gewicht. Das unternehmerische Risiko (etwa der Vollauslastung) liegt
einseitig beim Träger, im §34 SGB VIII werden weder Wochenendzuschläge noch
Feiertagsentgelte gesondert berücksichtigt, die anfallenden Kosten im
Einzelfall für Rechtsanwaltskosten einzelner Jugendlicher werden im Rahmen von
sogenannten Pauschalen gleich komplett in das Risiko der Träger verlagert. Hat
er keine Jugendliche, die in Konflikt mit dem Gesetz geraten (es reicht das
Schwarzfahren), so hat er wirtschaftlich Glück gehabt.
Nun gibt Herr Riez –
Leiter der BASFI - als Argumentum ad
absurdum der TAZ genau dieses zur Antwort: Die MIKO ist ein gewerblicher Träger
– die verdienen ihr Geld mit Hilfen zur Erziehung. Ich habe lange über diese
Aussage nachdenken müssen und möchte an dieser Stelle einmal das Gesagte
ernstnehmen: Add 1) heißt die nüchterne Feststellung, dass ein Träger in seiner
Unternehmensform als GmbH der Einzige ist, welcher Geld mit Sozialarbeit
verdient? Oder im Umkehrschluss: Herr Riez arbeitet ehrenamtlich? Und Senator
Scheele auch (und die HAB auch? – für die werden schließlich 10 mio. Euro
benötigt). Heißt das auch, dass die Mitarbeiter aller anderen kirchlichen,
caritativen Einrichtungen ohne Geld arbeiten? Das hieße ja unter Umständen die
Verbände in Hamburg hätten außer inhaltlicher Gestaltung von Jugendarbeit keine
Interessen….komisch, GEW, Verdi alle versuchen vergebens ihre Mitglieder zu
einer einigermaßen angemessenen Gehaltsstruktur (kilometerweit unterhalb von
LKW Fahrern, Bahnführern und anderen Berufsgruppen) zu verhelfen. Add 2) die
Unternehmensform der GmbH sagt irgendetwas aus über die
Beschäftigungsverhältnisse in Hamburg? Privat Gewerblich = böse?
Wie ist es denn um die
Arbeitsverträge in Hamburg bestellt? Welcher Träger bietet denn noch
unbefristete Arbeitsverträge auf Grundlage des TVL? Welcher Träger stellt denn
Dienstwagen, Laptop und Handyvertrag ohne Selbstbehalt? Welcher Träger hält
sich denn an die Qualitätsvorgaben der BASFI ( 6 SPFH á 5,2 FLS/ volle Stelle)?
Und das Dilemma geht
noch weiter. So wie der „Spiegel“ in einem Beitrag 2010 berichtete, expandiert
die Jugendhilfe quasi gezwungener Maßen durch die Investitionsleistung der
sogenannten gemeinnützigen Träger. Diese dürfen nämlich im Falle einer
Gewinnerzielung nicht die Gelder ausschütten sondern müssten reinvestieren.
Dieses freilich in neue Angebote, welche wiederum einen Bedarf auslösen und so
weiter…
Bei Ärzten,
Rechtsanwälten, Psychotherapeuten und anderen macht sich niemand Gedanken über
die Gewinnerzielungsabsicht oder anders ausgedrückt, die Honorarsätze,
Stundensätze oder Pflegesätze sind irgendwie schon gerecht fertigt. Allerdings,
wenn eine Einrichtung mit einem nachgewiesenen Standard an Fachpersonal und
Methoden für € 41,35/FLS im Rahmen der
Jugendhilfe an den Start geht, dann schreit der Hamburger Senat „Wucher“ und
deklariert die Sozialpädagogische Familienhilfe als „menschenunwürdigen
Eingriff!. Mutet schon ein bischen komisch an: Wir bringen unser Auto für €
75,- in die Inspektion und halten die Unterstützung eines Alkoholkranken
Elternteils für „rausgeworfenes Geld“!
Geld scheint dabei zur
Zeit alles zu sein. Hamburg fährt eine Reform
von der sie weiß, dass sie rechtswidrig ist. Minutiös wurde dem Hamburger
Senat über die Mitarbeiter der BASFI, den Vorsitzenden der
Jugendhilfeausschüsse dargelegt, dass die Steuerung wie sie in der
Globalrichtlinie verifiziert ist, rechtlich nicht haltbar ist. Es existiert ein
Rechtsgutachten von Prof. Dr. Knut Hinrichsen, in dieser Abhandlung ist für den
Laien nachvollziehbar dargelegt wie und an welchen Punkt die Rechtwidrigkeit
eintritt – nämlich am Punkt der Verschränkung von Einzelfallhilfen und
Zuwendung.
Nun soll in Hamburg
seit dem 01.02.2012 die geneigte Mitarbeiterschaft des ASD so tun, als wüsste
sie nicht mehr um den Unterschied von Einzelfallhilfen und sozialräumlichen Angeboten.
Jeder weiß wie die Mitarbeiter in den Dienststellen unter Druck gesetzt werden
um dieser Steuerung nachzukommen. JUS IT
setzt diesem Wahnsinn nur noch die Krone auf.
„Warum
aber steht niemand auf und wehrt sich? Warum schweigen alle Jugendhilfeträger?
Möglicherweise wartet jeder auf den Zeitpunkt an dem sich die Wogen wieder
glätten. Nur wird es diesen wahrscheinlich nicht geben….wer heute nicht
weggekürzt wird, wird es morgen.
An
dieser Stelle möge man mir persönlich nachsehen und verstehen, ich kann diesen
Weg nicht mitgehen. Die MIKO Kinder- & Jugendhilfe hat in den letzten 15
Jahren gezeigt, dass Jugendhilfe auf hohem Niveau eine erfolgreiche
Unternehmung sein kann. Als Geschäftsführer lag mir immer daran, den
Berufsethos mit seinen Bedingungen zu fördern als auch den Menschen, die ausgeschlossen von der Teilhabe zu sein
scheinen, maximal zu unterstützen. Dazu gehören für mich: Motivationen an
Mitarbeiter sich für Menschen einzusetzen, Ernsthaftigkeit gegenüber dem
Gesetzgeber. Eine Regierung, die sich nicht an bestehende Gesetze hält – sie
zugleich mir aber auferlegt – kann für mich keine Autorität darstellen. Wenn
Hamburg sich zukünftig so darstellen will, dann ist das in meinen Augen ein
Skandal. Zugleich fühlt es sich nicht gut an, in Hamburg der Einzige zu sein,
der dieses so auch ausspricht. Ich habe lernen müssen, dass dieses so sehr
gefährlich ist. Dennoch, es muss gesagt werden. Ich will in so einem Staat
nicht leben.“
Die dort gemachten
planerischen Änderungen zur Vorlage als Gesetzeserweiterung (siehe Dr. Hammer,
Standpunkt Sozial 5/11 – als Erweiterung des §36a SGB VIII, allgemeine
Gewährleistungsverpflichtung) stellen im Ergebnis nichts anderes dar, als das
der begonnene Umbau der Jugendhilfe/Hilfen zur Erziehung weder in Frage
gestellt wird, noch die dadurch in Hamburg hervorgebrachten Probleme
ernstgenommen werden. Die durch die SPD angeschobene Umsteuerung leugnet die
gesellschaftlichen Ursachen der menschlichen Problemlagen. Und obwohl man
durchaus sieht, dass diese Ursachen erhöhte Bedarfe nach Hilfen zur Erziehung
bedingen, sieht man sich ausschließlich der Fallreduktion und der
Kostendämpfung verpflichtet und verordnet der Jugendhilfe weitere
Steuerungsstrategien und glaubt, über Kontrollsysteme, sowohl die Kosten als
auch das Funktionieren der Jugendhilfe (z.B. kein „Versagen“ bei
Kindeswohlgefährdung) in den Griff zu kriegen.[1]
Am
21.06.12 hat die MIKO Kinder- & Jugendhilfe eine Einstweilige Anordnung und
eine verwaltungsrechtliche Klage vor dem Hamburger Verwaltungsgericht
eingereicht. Um nachzuzeichnen, welche Schritte und Unterlassungen u.E.
notwendig sind, stellen wir dem geneigten Leser nachfolgend die Antragschrift
zur Verfügung.
Anträge:
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der
einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
verpflichtet, die Durchführung und den Vollzug der Globalrichtlinie GR J 1/12
(Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe) insoweit zu unterlassen,
als dadurch bei der Antragsgegnerin ein System der Zuwendungsfinanzierung im
Bereich der Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII implementiert wird.
2. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, es zu unterlassen, auf Basis der Globalrichtlinie GR J 1/12
(Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe) im Bezirk Hamburg
Mitte sog. SHA-Mittel im Wege der Pauschalfinanzierung an ausgewählte Träger
der freien Jugendhilfe zur Durchführung von „Sozialräumlichen Angeboten“ zu
vergeben.
3. Der
Antragstellerin wird Einsicht in sämtliche Verfahrensakten und Materialien zur
Einführung des Konzepts „Neue Hilfen / Sozialräumliche Angebote der Jugend- und
Familienhilfe“ gewährt.
Hilfsweise:
4. Die Antragsgegnerin wird im Wege der
einstweiligen Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache
verpflichtet, es zu unterlassen, einzelnen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe
Zuwendungen zur Durchführung von rechtsanspruchsgebundenen Einzelfallhilfen, insbesondere
für
·
verbindliche
Gruppenangebote (BASFI, Globalrichtlinie GR J 1/12 3.2) sowie für
·
verbindliche
Hilfen in der familialen Privatsphäre in Form von verbindlichen „Frühen Hilfen“
sowie von „verbindlichen Einzelhilfen“ (BASFI, Globalrichtlinie GR J 1/12, 3.1,
3.2, 5,1)
zu gewähren.
Weiter hilfsweise:
5. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, es zu unterlassen, auf Basis der Globalrichtlinie GR J 1/12
(Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe) im Bezirk Hamburg
Mitte sog. SHA-Mittel an ausgewählte Träger der freien Jugendhilfe zur
Durchführung von „Sozialräumlichen Angeboten“ zu vergeben, soweit diese
Angebote auch Hilfen zur Erziehung, verbindliche Einzelhilfen, mit umfassen.
Weiter hilfsweise:
6. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer
Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, die Antragstellerin an der Vergabe
von Mitteln für Sozialräumliche Hilfen, auf Basis der Globalrichtlinie GR J 1/12
(Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe) zur Durchführung von
„Sozialräumlichen Angeboten“ im Bezirk Hamburg Mitte zu beteiligen.
Begründung:
I. Tatbestand
1. Zum Antrag
zu 1.
a)
Die Antragsstellerin will mit
ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verhindern, dass die Antragsgegnerin
rechtsanspruchsgebundene Leistungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung im Wege
der Zuwendungsfinanzierung an ausgewählte Träger der freien Jugendhilfe
„vergibt“. Sie stützt sich dabei auf einen Abwehranspruch aus Art. 12 Abs.1 GG.
Sie will eine Rückkehr zur gesetzlich vorgeschriebenen Finanzierung dieser
Jugendhilfeleistungen durch Leistungsentgelte über das rechtliche
Dreiecksverhältnis erreichen.
b)
Im Einzelnen:
Die Antragstellerin ist ein
Träger der freien Jugendhilfe. Sie bietet in Hamburg unter anderem ambulante
Jugendhilfemaßnahmen im Bereich der Hilfen zur Erziehung auf Grundlage des SGB
VIII (Kinder – und Jugendhilfe) an. Ich gehe davon aus, dass dieses zwischen
den Parteien unstreitig ist. Ich verzichte deshalb einstweilen auf die Vorlage
entsprechender Leistungsbeschreibungen der Antragstellerin.
Die Antragsgegnerin hat ein
Konzept zur Einführung einer so genannten sozialraumorientierten Steuerung in
der Jugendhilfe entwickelt und betreibt dessen Umsetzung unter dem Titel „Neue
Hilfen / Sozialräumliche Hilfen und Angebote“. Sie setzt dieses Konzept im
Rahmen einer umfassenden
Verwaltungsreform im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe um. Die
Antragsgegnerin hat das Konzept in einer Vielzahl von Papieren unter
verschiedenen Titeln niedergelegt. Die wesentlichen Inhalte des Konzepts sowie
dessen Umsetzung in die Verwaltungspraxis ergeben sich aus folgenden Papieren:
·
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12 Sozialräumliche Angebote der Jugend- und
Familienhilfe vom 01.02.2012 (zitiert: „Globalrichtlinie GR J 1/11“);
·
Neue
Hilfen als Alternative zur Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) – Inhalt
und Gestaltung, Konzeptpapier der BSG vom 09.07.2010 (zitiert: „BSG, Neue
Hilfen – Inhalt und Gestaltung“);
·
Eckpunkte
des Programms Neue Hilfen, Konzeptpapier der BSG vom 04.10.2010 (zitiert: BSG,
Eckpunkte Neue Hilfen“)
c)
Die Antragstellerin intendiert
mit dem Konzept „Neue Hilfen / Sozialräumliche Hilfen und Angebote“ einen grundlegenden Richtungswechsel sowie eine
Neuausrichtung der Jugendhilfelandschaft im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Diese soll ihren Ausgangspunkt im Bereich der ambulanten Hilfen, namentlich im
Bereich der Sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 SGB VIII nehmen.
Erklärtes Steuerungsziel ist eine „Verringerung
der Fallzahlen und Kosten der Hilfen zur Erziehung“;
vgl.
Eckpunkte Neue Hilfen, S. 1.
Die Finanzierung des
Programms erfolgt durch eine „Umschichtung im Budget der Hilfen zur Erziehung“
im Gesamtumfang von 10 Mio Euro;
ebd.
d)
Die „Neuen Hilfen“ sollen „neben bzw. anstelle von Hilfen zur
Erziehung (HzE) zur Verfügung stehen bzw. diese verkürzen“;
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12, S.2.
In diesem Sinne formuliert
auch der Titel des o.a. Konzeptpapiers die Intention des Konzepts deutlich: „Neue Hilfen als Alternative zur SPFH“;
ebd.,
S.1
e)
Mit den „Neuen Hilfen“ sollen
im Interesse der genannten Sparziele die Fallzahlen
verringert und die Gewährung von
Einzelfallhilfen möglichst vermieden
werden. Inhaltlich soll dieses wesentlich durch Schaffung „verbindlicher Gruppenangebote“, durch die
Einbindung von und Vernetzung mit
Regeleinrichtungen (Schule, Kita, etc.) sowie durch Aktivierung von „Nachbarschaftshilfe“ erreicht werden.
Darüber hinaus sollen über die neuen Hilfen auch die – aus Sicht der
Antragsgegnerin zu vermeidenden – rechtsanspruchsgebundenen Leistungen aus dem
Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung erbracht und finanziert werden;
vgl.
hierzu im Einzelnen die unter 1. b) genannten Papiere.
f)
Die Finanzierung der Neuen
Hilfen soll durch die Gewährung von Zuwendungen
an Träger der freien Jugendhilfe erfolgen;
vgl.
BSG, Eckpunkte Neue Hilfen, S.8:
„Die
Umsetzung der Angebote von Neuen Hilfen durch Träger erfolgt durch eine
Zuwendungsfinanzierung, die Flexibilität für unterschiedliche Modelle der
Bezirksämter ermöglicht.“
Die Mittel hierzu sollen aus
dem Budget der Hilfen zur Erziehung geschöpft werden;
vgl.
ebd., S. 1.
g)
Voraussetzung einer Förderung
der jeweiligen sozialräumlichen Angebote der Träger der freien Jugendhilfe ist,
dass sie den fachlichen Vorgaben der Neuen Hilfen folgen. Insbesondere geht es
dabei um Vernetzung mit anderen Trägern und Regeleinrichtungen im Sozialraum
sowie die Unterwerfung unter das
beschriebene sozialräumliche Konzept;
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12, S.2.
e)
Das Konzept „Neue Hilfe /
Sozialräumliche Hilfen und Angebote“ sieht vor, dass Nutzerinnen und Nutzer
„sich ohne Einschaltung des ASD direkt
an das Angebot wenden“;
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12, S.2.
f)
Wegen der weiteren
Einzelheiten verweise ich auf den Inhalt der unter 1 b) zitierten Papiere.
g)
Die Antragsgegnerin wurde
unter Fristsetzung bis zum 20. Juni 2012 aufgefordert, den mit den Anträgen
geltend gemachten Begehren nachzukommen;
vgl.
Schreiben vom 25. Mai 2012.
Eine Antwort ist nicht erfolgt.
2.
Zum Antrag zu 2.
Die Antragsgegnerin hat im
Bezirk Hamburg Mitte mit den Verfahren zur Vergabe von pauschalen Zuwendungen
an ausgewählte Träger der freien Jugendhilfe begonnen. Ausweislich der
Protokolle der bezirklichen „AG § 78 SGB VIII Hamburg-Mitte – Hilfen zur
Erziehung“ hat der Jugendhilfeausschuss verschiedenen Projektskizzen zugestimmt
und offensichtlich bereits Träger ausgewählt. Die Vergabe von pauschalen
Mitteln für Einzelfallhilfen ist daher bereits erfolgt oder steht unmittelbar bevor;
vgl.:
Protokolle der bezirklichen AG § 78 SGB VIII Hamburg-Mitte – Hilfen zur
Erziehung – vom 13.02.2012 (TOP 3), 19.03.2012 (TOP 4), 04.04.2012 (TOP 4)
II.
Anordnungsanspruch
1.
Abwehranspruch aus Art. 12 Abs.1 GG
Die Einführung und Umsetzung
des Konzepts „Neue Hilfen / Sozialräumliche Hilfen und Angebote“ sowie die
damit verbundene Finanzierung von Einzelfallhilfen im Wege der
Zuwendungsfinanzierung verletzt die Antragstellerin
in ihrer Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs.1 GG.
Dieser Abwehranspruch steht
in engem Zusammenhang zum Leistungserbringungsrecht in der Jugendhilfe,
insbesondere zur der jugendhilferechtlichen Dogmatik zum sog. rechtlichen
Dreiecksverhältnis. Ich gehe daher zunächst kurz auf das jugendhilferechtliche
Dreiecksverhältnis sowie weitere Aspekte des Leistungserbringungsrechtes ein,
um sodann den Abwehranspruch aus Art. 12 Abs.1 GG herzuleiten.
a)
Leistungserbringung im rechtlichen Dreiecksverhältnis
Jugendhilfeleistungen, auf
die ein Rechtsanspruch besteht, sind zwingend im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis abzuwickeln.
Rechtsprechung und Literatur zum Leistungserbringungsrecht in der Kinder- und
Jugendhilfe gehen davon aus, dass es im Rahmen der Leistungserbringung zu drei
Rechtsbeziehungen zwischen den an der Leistungserbringung beteiligten
Rechtssubjekten kommt. Deshalb wird auch vom rechtlichen Dreiecksverhältnis
gesprochen.
Die erste Seite des Dreiecks
bildet der Sozialleistungsanspruch des
Hilfesuchenden gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dieser
Sozialleistungsanspruch wird vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht „in
Natur“ erbracht. Seine Rolle ist zunächst darauf beschränkt, das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, sowie im Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB
VIII gemeinsam mit dem Hilfesuchenden Art und Umfang der Hilfe zu
konkretisieren. Die zweite Seite des Dreiecks bildet die vertragliche Rechtsbeziehung zwischen Hilfesuchendem und dem Träger
der freien Jugendhilfe. Hierbei handelt es sich um eine (privatrechtliche) vertragliche
Rechtsbeziehung. Der Hilfesuchende „kauft“ Dienstleistung gegen Geld. Die
dritte Seite des Dreiecks bildet die Rechtsbeziehung zwischen dem Träger der
freien Jugendhilfe und dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Der Träger der
öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet sich in diesem Verhältnis, den
Hilfesuchenden diejenigen Kosten zu erstatten, welche dem Hilfesuchenden im
Verhältnis zum Träger der freien Jugendhilfe entstehen (Kostenerstattungsverhältnis). Rechtlich wird dieses
Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlicher Schuldbeitritt oder als
öffentlich-rechtliche Schuldübernahme gewertet. Die Kostenerstattung erfolgt
durch Gewährung sog. Leistungsentgelte,
die nach §§ 77, 78a ff. SGB VIII zwischen den zwischen den Trägern der
öffentlichen Jugendhilfe und den Trägern der freien Jugendhilfe auszuhandeln
sind;
Diese
Auffassung ist seit Neumann, RsDE 1 (1988), 1-31; Neumann, RsDE 2
(1988),
45-61; Neumann, Freiheitsgefährdung kooperativen Sozialstaat; Münder, ZfSH/SGB
1988, 225-240; Münder, RsDE 5 (1989), 1-20; Münder, ZfJ 1990, 488-493 führend.
In der Rechtsprechung ist die Lehre vom Dreiecksverhältnis bereits für das bis
1990 geltende JWG vom BVerwG ausdrücklich anerkannt worden (BVerwG, Beschluss
vom 25.08.1987, Az. 5 B 50.87, in: RsDE 1 (1988), 67-70 = FEVS 37, 133 =
NVwZ-RR 1989, 252-253 = Buchholz 436.51 Nr.2 zu § 5 JWG und BVerwG, Urteil vom
19.04.1991, Az. 5 CB 2/91) und wird seither durchgängig angewandt. Vgl. etwa
zuletzt: OVG Schleswig, Urteil vom 31.08.2007, Az. 7 A 85/06 und BSG, Urteil
vom
28.10.2008,Az.
B 8 SO 22.07 = FEVS 60 (2009), 481-490.
Diese Finanzierungsform über Leistungsentgelte ist bei
Jugendhilfeleistungen, auf die der Hilfesuchende einen Rechtsanspruch bzw.
einen Anspruch auf Ermessensfehlerfreie Entscheidung hat, zwingend;
vgl. Wiesner, a.a.O., vor § 78a Rn.20.
Weil es auf Hilfen zur
Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) einen Rechtsanspruch gibt, ist deren
Finanzierung über Leistungsentgelte im Rahmen des rechtlichen
Dreiecksverhältnisses zwingend geboten. Pauschalfinanzierungen, sei es im Wege
der Zuwendungsfinanzierung nach § 74 SGB VIII oder im Wege der Vergabe von
Dienstleistungen, sind hier unzulässig. Diese Finanzierungarten kommen nur dort
in Betracht, wo es um Angebote der allgemeinen Förderung (z.B. §§ 11, 13 SGB
VIII) geht.
b)
Jugendhilfe als kontrollierter Markt
Jugendhilfe ist damit im
Bereich der Leistungen auf die ein Rechtsanspruch besteht, als kontrollierter Markt organisiert, auf
dem Träger der freien Jugendhilfe um Belegung und Leistungsentgelte
konkurrieren. Dieser kontrollierte Markt
ist kein Selbstzweck und dient auch nicht etwa dazu,
Partikularinteressen von Trägern der freien Wohlfahrtspflege zu bedienen. Er
folgt vielmehr ganz den Strukturprinzipien der Kinder- und Jugendhilfe, die auf
Betroffenenbeteiligung und Akzeptanzförderung ausgerichtet sind:
Art. 6 Abs.2 GG weist die
Erziehungsverantwortung für Kinder grundsätzlich den Eltern zu. Die Eltern sind
bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsauftrages jedoch nicht frei - über ihre
Betätigung wacht vielmehr die staatliche Gemeinschaft. Das
Bundesverfassungsgericht hat in einer grundlegenden Entscheidung vom 29. Juli
1968,
BVerfGE
24, 119, NJW 1968 S. 2233;
die Rahmenbedingungen dieses
staatlichen Wächteramtes festgezurrt. Es hat insbesondere darauf hingewiesen,
dass der Staat versuchen müsse, „durch helfende unterstützende, auf Herstellung
oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen
Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen“. Gleichzeitig hat das
Bundesverfassungsgericht betont, dass der Staat bei seiner Intervention nicht
auf helfende und unterstützende Maßnahmen beschränkt sei. Vielmehr müsse er im
Zweifelsfall das Kind den Eltern vorübergehend oder dauerhaft entziehen. Das
Bundesverfassungsgericht hat damit dem Jugendamt als zuständiger Behörde eine
sowohl helfende als auch eingreifende Funktion zugewiesen. Dieser Dualismus von „Hilfe und Eingriff“ wird
als widersprüchlich empfunden, weil das Jugendamt im Rahmen der Wahrnehmung
seiner Hilfeaufgaben auf das Vertrauen
der Klienten angewiesen ist, welches im Rahmen der Wahrnehmung der
Eingriffsaufgaben gerade angegriffen wird.
Der Gesetzgeber des SGB VIII
hat sich deshalb für einen Modell entschieden, bei dem die Aufgabe der Hilfeleistung weitgehend auf die so
genannten Träger der freien Jugendhilfe übertragen ist. Dies kommt insbesondere
in dem in § 4 Abs. 2 SGB VIII niedergelegten Subsidiaritätsprinzip zum
Ausdruck, wonach der Träger der öffentlichen Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen
absehen soll, wenn hinreichend Angebote von Trägern der freien Jugendhilfe
vorhanden sind.
Die Erbringung von sozialen
Dienstleistungen, insbesondere diejenige von sozialpädagogischen Leistungen,
verlangt eine umfassende Mitwirkung des Klienten am Hilfeprozess. Leistungserbringer
im Bereich sozialer Dienstleistungen sind deshalb auf eine Akzeptanz der Hilfe durch den Hilfesuchenden angewiesen. Diese
Akzeptanz herzustellen, ist wesentlicher Teil des Hilfeprozesses. Der
Gesetzgeber des SGB VIII hatte dieses erkannt und deshalb Strukturprinzipien
etabliert, die diese Akzeptanz des Hilfesuchenden für die jeweilige Hilfe
befördern sollen. Zu diesen zentralen Strukturprinzipien gehören
·
die
Trägerpluralität,
·
das
Wunsch- und Wahlrecht der Hilfesuchenden,
·
der
Bedarfsdeckungsgrundsatz
·
sowie
die kooperative Ausgestaltung des Entscheidungsprozesses im Hilfeplanverfahren
Wegen dieses Interesses an Akzeptanzförderung
hat der Gesetzgeber des SGB VIII ein Steuerungsmodell gewählt, bei dem dem
Hilfesuchenden nicht ein bestimmter Träger der freien Jugendhilfe oder gar das
Jugendamt selbst aufgeherrscht wird; vielmehr liegt es im Interesse des
Gesetzgebers, dass der jeweilige Hilfesuchende aus einer „Vielfalt von Trägern
unterschiedlicher Werteorientierung“ mit einer „Vielfalt von Inhalten, Methoden
und Arbeitsformen“ (§ 3 Abs.1 SGB VIII) „wählen“ kann (§ 5 SGB VIII). Nur eine
Hilfe, die vom Hilfesuchenden gewollt und akzeptiert wird, kann im Ergebnis zum
Erfolg führen – so die „Idee“ des Gesetzgebers.
Eben wegen dieses Interesses hat der Gesetzgeber
mit § 3 Abs. 1 SGB VIII das Prinzip der sogenannten „Trägerpluralität"
etabliert und die Jugendhilfe als „Markt“ von Dienstleistungen organisiert;
vgl. hierzu Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 4. Auflage, § 3
Rn. 6,
der darauf hinweist, dass die
„Interessen, Wünsche und Bedürfnisse (…) der eigentliche Grund dafür (sind),
warum der Staat ein möglichst plurales Angebot an Hilfen sicherzustellen hat“.
Gerade diese Trägerpluralität
ist im Rahmen zuwendungsfinanzierter Steuerungsmodelle nicht gewährleistet.
Auch das Wunsch- und Wahlrecht wird massiv eingeschränkt.
Die geforderte
Trägerpluralität kann nur durch das vom Gesetzgeber etablierte Modell der
Finanzierung von Einzelfallhilfen über Leistungsentgelte (Entgeltfinanzierung) erhalten
werden. Jede Form von Pauschalfinanzierung, sei es über Verträge oder über
Zuwendungen, konterkariert die Trägerpluralität. Eben deshalb ist es sowohl in
der jugendhilferechtlichen Literatur als auch in der jugendhilferechtlichen
Rechtsprechung ganz herrschende Meinung, dass jede Form von
Pauschalfinanzierung im Bereich von Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch
besteht, zu unterbleiben hat.
c)
Recht auf Marktzugang – Abwehranspruch aus Art. 12 Abs.1 GG gegen
zuwendungsfinanzierte Konzepte sozialraumorientierter Steuerung
Weil Jugendhilfe als
kontrollierter Markt organisiert ist, korrespondiert dem Wunsch und Wahlrecht
der Betroffenen einerseits ein Recht auf
Marktzugang der freien Träger andererseits.
Nach der von den Gerichten zu
Art. 12 Abs.1 GG entwickelten Dogmatik zu mittelbaren Grundrechtseingriffen
durch faktisches Verwaltungshandeln im Allgemeinen und der Rechtsprechung zu
sozialraumorientierten Steuerungsmodellen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie
zur Krankenhausbedarfsplanung im Besonderen gilt im Kern:
·
Die
Tätigkeit frei-gemeinnütziger Träger (und damit erst recht diejenige
privat-gewerblicher Träger) ist vom Schutzbereich des Art. 12 erfasst;
vgl.
BVerfG, Beschluss vom
07.11.2001 Az. 1 BvR
325/94 u.a =
NJW 2002,
2091;
Beschluss vom 04.03.2004, Az. 1 BvR 88/00 = NJW 2004, 1648-1650.
·
Zu
einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs.1 GG kommt es nicht erst
dann, wenn der Eingriff intendiert ist; vielmehr liegt ein Eingriff schon dann
vor, wenn das betreffende staatliche Handeln aufgrund seiner tatsächlichen
Auswirkungen die Berufsfreiheit lediglich mittelbar beeinträchtigt und eine
deutlich erkennbare berufsregelnde Tendenz oder eine voraussehbare und in Kauf
genommene schwerwiegende Beeinträchtigung der beruflichen Betätigungsfreiheit
zur Folge hat;
vgl.
BVerfG, Beschluss vom 17.08.2004, Az. 1 BvR 378/00 = NJW 2005,
273,
274; Beschluss vom 12.10.1977, Az. 1 BvR 217 u. 216/75 = BVerfGE 46,
120,
137; Beschluss vom 12.06.1990, Az. 1 BvR 355/86 = BVerfGE 82, 209, (223f); BVerwG, Urteil vom 13.05.2004, Az. 3 C
45.03; BVerwGE 121, 23, 27;
Urteil
vom 17.01.1991, Az. 1 C 5.88 = BVerwGE 89, 281, 283.
·
Art.
12 Abs.1 GG schützt zwar nicht vor Konkurrenz; eine Wettbewerbsverzerrung durch
eine einzelne staatliche Maßnahme, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge
hat, kann aber das Grundrecht der Berufsfreiheit dann beeinträchtigen, wenn sie
im Zusammenhang mit staatlicher Planung, der Verteilung staatlicher Mittel oder
einer bestimmten Wahrnehmung von Aufgaben der staatlichen Leistungsverwaltung
steht. Davon muss insbesondere ausgegangen werden, wenn durch staatliches
Handeln der Wettbewerb beeinflusst wird und die Konkurrenten erheblich
benachteiligt werden. Schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln reicht insoweit
aus;
ebd.
·
Entsprechende
Eingriffe sind nur aufgrund eines förmliches Gesetzes zulässig;
BVerfGE
82, 209, (224); BVerwGE 89, 281, (285).
·
Sie
müssen durch „vorrangige Gemeinwohlbelange“ gerechtfertigt sein;
BVerfGE
93, 362 (369) und BVerfG, NJW 2004, 273; vgl. hierzu auch BVer-
wG,
Urteil vom 21.01.2010, Az. 5 CN 1/09, Buchholz 436.511 § 74a KJHG/SGB VIII Nr.
1.
·
Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden;
BVerfGE
93, 362 (369) und BVerfG, NJW 2004, 273.
·
Sozialräumliche
Steuerungsmodelle,
bei denen Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, durch Zuwendungen an
ausgewählte Träger finanziert werden, verletzen konkurrierende und übergangene
freie Träger in ihrem Recht aus Art. 12 Abs.1 GG;
Verwaltungsgericht
Osnabrück, Urteil vom 20.01.2011, Az. 4 A 102/09 (bislang
unveröffentlicht);Verwaltungsgericht Osnabrück, Beschluss vom 13.11. 2009 - Az.
4 B 13/09 - juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.07.2010, Az. 4 ME 306/09 -
juris, Verwaltungsgericht Hamburg,
Beschluss vom 05.08.07, Az. 13 E 2873/04, Oberverwaltungsgericht
Hamburg, Beschluss vom 10.11.04, Az. 4 Bs 388/04, Zentralblatt für
Jugendrecht (ZfJ) 2005, S. 118 ff.; Verwaltungsgericht
Berlin, Beschluss vom 19.10.04, Az. 18 A 404/04, Zentralblatt für
Jugendrecht (ZfJ) 2005, S. 114 ff.; Oberverwaltungsgericht Berlin, Beschluss
vom 04.04.2005, 6 S 415/04, juris; Verwaltungsgericht
Lüneburg, Beschluss vom 20.12.05, Az. 4 B 50/05, juris; OVG Lüneburg,
Beschluss vom 13.03.2006, 4 ME 1/06, juris.
·
Eine
gesetzliche Grundlage, die einen solchen Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit rechtfertigte, ist im Bereich der Kinder- und
Jugendhilfe nicht ersichtlich;
Verwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 05.08.07, Az. 13 E 2873/04, Oberverwaltungsgericht Hamburg,
Beschluss vom 10.11.04, Az. 4 Bs 388/04, Zentralblatt für Jugendrecht (ZfJ)
2005, S. 118 ff.; Verwaltungsgericht
Lüneburg, Beschluss vom 20.12.05, Az. 4 B 50/05, juris; OVG Lüneburg,
Beschluss vom 13.03.2006, 4 ME 1/06, juris.; Verwaltungsgericht Münster,
Beschluss vom 18.08.04, Az. 9 L 970/04, Recht der sozialen Dienste und
Einrichtungen (RsDE) Nr. 58, S. 100, Oberverwaltungsgericht
für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.03.05, Az. 12 B 1931/04,
Zentralblatt für Jugendrecht (ZfJ) 2005, S. 484 ff.
Auch in der Literatur geht
die ganz herrschende Meinung davon aus, dass die Einführung zuwendungsfinanzierter
sozialraumorientierter Steuerungsmodelle gegen höherrangiges Recht verstößt,
wenn es um die Finanzierung von rechtsanspruchsgebundenen Einzelfallhilfen
geht:
Münder (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum SGB VIII:
Kinder- und Jugendhilfe, 6. Aufl. 2006, vor § 69, Rn. 24 - 39, mit zahlreichen
weiteren Nachweisen und einer Einführung in den rechtlichen Stand (Rn. 32 ff.);
derselbe: Sozialraumkonzepte auf dem
rechtlichen Prüfstand, in: ZfJ 2005, S. 89 ff.; derselbe: Finanzierung der Leistungserbringung durch Dritte:
zwischen jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis, Vergabeverfahren und
Sozialraumorientierung, in: Jugendamt 2005, S. 161 ff.; Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 4. Aufl., vor § 78 a, Rn. 15 ff. mit
zahlreichen weiteren Nachweisen; einen umfassenden Überblick enthält die
Literaturübersicht bei Wiesner vor § 78 a, am Anfang (S. 1070). Hier findet
sich auch ein Überblick über die zum Problem geführte Fachdebatte.
d)
Konsequenzen für die Neuen Hilfen / Sozialräumliche Angebote der Kinder- und
Jugendhilfe
Bei den „Neuen Hilfen“
handelt es sich um ein Konglomerat von Hilfearten, die eine rechtlich
eindeutige Zuordnung zu einer der
Leistungen des SGB VIII nicht ermöglichen: Sie enthalten zum einen
nichtrechtsanspruchsgebundene Angebote der allgemeinen Förderung (z.B.
Schaffung von Infrastruktur im Sozialraum für niedrigschwellige Angebote) aber
zum anderen in wesentlichem Umfang auch solche Angebote, die klar den
rechtsanspruchsgebundenen Leistungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung
zuzuordnen sind (z.B. verbindliche Einzelhilfen). Es ist erklärtes Ziel der
Antragsgegnerin, Hilfen zur Erziehung, also Leistungen, die zwingend im Rahmen
des rechtlichen Dreiecksverhältnisses abzuwickeln sind, durch die „Neue Hilfen“
zur ersetzen bzw. überflüssig zu machen.
Weil im Rahmen der
Finanzierung der neuen Hilfen auch rechtsanspruchsgebundene
Leistungen in nicht unwesentlichem Umfang durch Zuwendungen an Träger der
freien Jugendhilfe finanziert werden, ist dieses rechtswidrig und führt zu
einem Abwehranspruch der Antragstellerin aus Art. 12 Abs.1 GG. Eine gesetzliche
Grundlage für einen entsprechenden Eingriff ist nicht ersichtlich.
Die Mittel für die Einführung
dieses neuen Steuerungsmodells werden dem Etat für (ambulante) Hilfen zur
Erziehung entzogen. Insofern steht dieser Teil des Etats nicht mehr für den
Bereich entgeltfinanzierter Leistungen zur Verfügung. Dieses wirkt
marktbegrenzend, wenn nicht marktausschließend.
Eine Aufhebung der zwingenden
Strukturprinzipien des Leistungserbringungsrechts in der Kinder- und Jugendhilfe
ist nur auf Grundlage eines Gesetzes zulässig. Ein solches Gesetz liegt nicht
vor. Bloße Verwaltungsanweisungen können zwingend zu beachtendes Bundesrecht
nicht aushebeln. Was den Verstoß gegen die Strukturprinzipien des SGB VIII
angeht, kann nicht eingewandt werden, diese seien nicht drittschützend.
Grundrechtsrelevantes faktisches Verwaltungshandeln kann nur dann rechtmäßig
sein, wenn es insgesamt einer
Rechtmäßigkeitskontrolle standhält. Im Rahmen der Verletzung von Grundrechten
findet stets eine volle Rechtmäßigkeitsüberprüfung des Verwaltungshandelns
statt.
Im Ergebnis ergibt sich daher
der geltend gemachte Unterlassungsanspruch.
2.
Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip und die Trägerautonomie
Die Einführung des Konzepts „Neue Hilfen / Sozialräumliche Angebote der
Jugend- und Familienhilfe“
verstößt gegen den Grundsatz der Subsidiarität
in der Kinder- und Jugendhilfe. Nach § 4 Abs.1 S.2 SGB VIII hat die öffentliche
Jugendhilfe „die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe in Zielsetzung und
Durchführung ihrer Aufgaben … zu achten“.
Diesen Anforderungen wird das Konzept „Neue Hilfen / Sozialräumliche Angebote der Jugend- und
Familienhilfe“
nicht gerecht. § 4 Abs.1 S.2 SGB VIII ist drittschützend.
Die Antragsgegnerin
determiniert Zielsetzung und Durchführung der Aufgaben der Träger der freien
Jugendhilfe durch das Konzept der „Neuen Hilfen / Sozialräumliche Hilfen und
Angebote“ in erheblichem Umfang;
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12, S.7, Ziff. 4.2.
Insbesondere die Vorgabe,
wonach eine – fachlich in keiner Weise zwingend gebotene und auch umstrittene –
Fixierung auf den Sozialraum zu erfolgen hat, macht klare Vorgaben hinsichtlich
der konzeptionellen Ausrichtung. Gleiches gilt für die Kooperationspflichten.
Sie verletzt damit den Grundsatz der Subsidiarität.
3.
Steuerung der Fallzuweisung durch die Träger; kein Hilfeplanverfahren mehr
Hilfesuchende sollen sich
auch im Bereich verbindlicher Hilfen ohne Einschaltung des ASD direkt an die
Leistungserbringer wenden können;
BASFI,
Globalrichtlinie GR J 1/12, S.2.
Damit verstößt das Konzept
gegen das Gebot der Steuerung des Einzelfalls durch das Jugendamt sowie der
Steuerung im Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII. Die fachliche Steuerung der
Hilfen ist den Jugendämtern als hoheitliche Aufgabe zugewiesen. Sie kann nicht
delegiert werden. Darüber hinaus ist das Jugendamt an die Verfahrensgrundsätze
des § 36 SGB VIII gebunden. Beide Prinzipien werden durch Delegation der
Fallsteuerung an die freien Träger verletzt. Sie ist rechtswidrig;
vgl.
zu dem insoweit vergleichbaren Vorgehen des Landkreises Osnabrück OVG Lüneburg, Beschluss vom 13.03.2006, 4 ME
1/06, Fundstelle: Juris, welches eine entsprechende Praxis ausdrücklich für
rechtswidrig hält.
4.
Verstoß gegen weitere Strukturprinzipien des SGB VIII
Außerdem führt die Einführung
und Umsetzung des Konzepts „Neue Hilfen /
Sozialräumliche Angebote der Jugend- und Familienhilfe“ zu einer weiteren Verletzung
tragender Strukturprinzipien des Kinder- und Jugendhilferechts. Namentlich
werden verletzt,
- das Prinzip der
Trägerpluralität (§ 3 Abs. 1 SGB VIII),
- das Wunsch- und
Wahlrecht (§ 5 SGB VIII),
- der
Bedarfsdeckungsgrundsatz (§ 27 Abs. 2 SGB VIII),
- die Wahrnehmung der Steuerungsverantwortung
durch das Jugendamt als Sozialleistungsträger (§§ 69, 79 SGB VIII).
5.
Verstoß gegen Art. 87 EGV
Die
Einführung sozialräumlicher
Steuerungsmodelle und die damit verbundene Form der Finanzierung durch
Zuwendung verstößt überdies gegen Art. 87 EGV;
Amtsblatt
der EU, v. 29.12.2006, C 321.
Darin
heißt es:
„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes
bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen
gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder
Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit
dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen
Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
Mit
der Gewährung von Zuschüssen an ausgewählte Träger gewährte die Antragsgegnerin
diesen Beihilfen im Sinne des Art. 87 EGV. Die Gewährung von Zuschüssen führt
nicht nur zu einer nach EU-Wettbewerbsrecht unzulässigen Benachteiligung ausländischer Leistungserbringer; sie
stellt sich vielmehr auch im Verhältnis zu den inländischen Leistungserbringern
als wettbewerbsverfälschend dar und beeinträchtigt den innergemeinschaftlichen
Handel.
vgl.: Boetticher,
Die frei-gemeinnützige Wohlfahrtspflege und das europäische Beihilferecht,
Baden-Baden, 2003; Münder/Boetticher,
Wettbewerbsverzerrungen im Kinder- und Jugendhilferecht im Lichte des
europäischen Wettbewerbsrechtes, Schriftenreihe des VPK Bundesverbandes e.V.,
Band 1; Boysen/Neukirchen,
Europäisches Beihilferecht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, Baden-Baden 2007.
Von einer umfassenden
europarechtlichen Bewertung sehe ich im Interesse einer Begrenzung des
Streitstandes einstweilen ab. Ich gehe davon aus, dass sich das Konzept „Neue Hilfen / Sozialräumliche Angebote der
Jugend- und Familienhilfe“ bereits
vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen als rechtswidrig erweist. Sollte
das Gericht zu diesem Punkt Substantiierung fordern, erbitte ich einen Hinweis.
6.
Rechtswidrige Auswahlentscheidung
Wie dargelegt, begehrt die
Antragsgegnerin primär die Verhinderung des
Konzepts „Sozialräumliche Hilfen und Angebote“. Sollte das Gericht jedoch zu
der Auffassung gelangen, dass das angegriffene Konzept rechtmäßig ist, rügt die
Antragstellerin die Auswahl der
Träger selbst. Das Auswahlverfahren ist nicht transparent. Der Antragstellerin
ist auf mündliche Nachfrage mitgeteilt worden, dass sie nicht an der Auswahl
beteiligt werde. Konkrete Gründe wurden hierfür nicht genannt.
Selbst wenn also das Gericht
zu der Auffassung kommen würde, dass für das vorliegende Konzept eine
Förderungsfinanzierung nach § 74 SGB VIII zulässig wäre, wäre die
Auswahlentscheidung in jedem Fall ermessensfehlerhaft. Bei richtiger Auswahl
wäre die Antragstellerin zu beteiligen gewesen. Da die Antragsgegnerin
nichteinmal offen legt, welche Projekte sie wie ausschreibt, ist eine konkrete
Bewerbung auf Projekte auch nicht möglich. Die Vergabe erfolgt nach völlig
intransparenten Kriterien. Die Antragstellerin geht davon aus, dass es sich
dabei um sachfremde Erwägungen handelt. Eine präzise Bewertung kann jedoch erst
nach Akteneinsicht erfolgen.
III.
Anordnungsgrund
Die Sache ist eilbedürftig.
Die Antragsgegnerin hat mit der Implementierung des neuen Steuerungsmodells
begonnen. Mit der Einführung des neuen Steuerungssystems wird die Antragstellerin
in ihrer Konkurrenzsituation nachhaltig und unwiederbringlich beeinträchtigt. Die
Antragsgegnerin strukturiert die betroffenen Sozialen Dienste im Sinne des
neuen Steuerungsmodells grundlegend und unumkehrbar um. Auch die Bezirksämter
werden verpflichtet, die Vorgaben des neuen Steuerungsmodells umzusetzen. Eine
stattgebende Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren käme für die
Antragstellerin zu spät. Im Hinblick auf die Bedeutung des hier betroffenen
Grundrechts und des nach summarischer Prüfung zu bejahenden
Unterlassungsanspruches ist der Antragstellerin ein so langes Abwarten nicht
zumutbar. Im Übrigen verweise ich darauf, dass in sämtlichen der oben zitierten
verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Sozialraumorientierung entsprechende
Entscheidungen im Eilverfahren ergangen sind. Die dort gegebenen Begründungen
zur Eilbedürftigkeit mache ich mir zu Eigen.
IV.
Weitere Begründung nach Akteneinsicht
Eine weitere Begründung –
insbesondere auch zu den weiteren Hilfsanträgen – werde ich nach Akteneinsicht
vornehmen.
Akteneinsicht wird sowohl
hinsichtlich sämtlicher Papiere und Dokumente zum Gesamtkonzept „Neue Hilfen /
SHA“ als auch hinsichtlich der bevorstehenden oder bereits erfolgten Vergaben
im Bezirk Hamburg-Mitte begehrt.
Prof.
Dr. Florian Gerlach
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Nach dieser Vorlage
baute sich Staatsrat Pörksen auf dem Sommerfest der Hamburger Bürgerschaft vor
mir auf und fragte: „Herr Kolle, was haben Sie denn lustiges vor?“
Soweit aus Hamburg,
Mitstreiter sind willkommen!
--
Von Wirkungsvolle Jugendhilfe - Gegen die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit am 7/20/2012 10:20:00 PM unter
Wirkungsvolle Jugendhilfe eingestellt