Wirkungsvolle Jugendhilfe - Gegen die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit
unread,
Aug 7, 2015, 9:36:00 AM8/7/15
Reply to author
Sign in to reply to author
Forward
Sign in to forward
Delete
You do not have permission to delete messages in this group
Copy link
Report message
Show original message
Either email addresses are anonymous for this group or you need the view member email addresses permission to view the original message
to wirkungsvoll...@googlegroups.com
Der Countdown zur endgültigen Dekonstruktion der Kinder- und Jugendhilfe läuft …
Intensiv und kritisch und voller Sorgen verfolgt das
„Bündnis Kinder-und Jugendhilfe – für Professionali- tät und Parteilichkeit“ seit einigen Jahren die politi- schen Diskussionen und Entwicklungen in Sachen Kin- der- und Jugendhilfe, wie sie z.B. in der AGJF (Arbeits-
gemeinschaft der Jugend- und Familienministerien) und bei den (JFMK) Jugend- und Fami- lien Ministerkonferenzen vor-
gebracht werden und in der Praxis immer mehr um sich greifen.
Wir haben mit Mahnwachen und Stellungnahmen re- agiert und versucht unsere Bedenken und unsere Warnungen einzubringen. Ergebnisse aber waren bestenfalls weichere Töne in den Protokollen, noch verdecktere Strategien als vorher und der Hinweis, uns und unsere Kritik angehört und bedacht zu ha- ben.
Derweil läuft alles weiter wie gehabt und es geht Schritt für Schritt rücksichtslos in die Richtung einer Kinder- und Jugendhilfe, die sich von Kostenfragen steuern lässt und nicht von ihren gesellschaftlichen Aufgaben:
Die verkürzte und fachlich unbefriedigende Praxis der
Sozialen Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe und die sehr oft prekäre Lage der MitarbeiterIn- nen sind für die Politik
kein Thema. Und was im Rahmen dieser neuen Kin- der- und Jugendhilfe die KlientInnen letztlich noch an
geeigneter Unterstützung bekommen, interessiert nicht wirklich. Angeblich wird es durch die Wirkungs- orientierung gesichert: Die Frage aber für uns ist: wel- che Wirkung ist da eigentlich gemeint? Welche ist un- ter diesen Bedingungen überhaupt möglich und noch gewollt oder erlaubt?
Wir stellen fest: Es geht nur noch darum, die kosten- intensive professionelle Hilfe einzuschränken, um die angeblich zu hohen Ausgaben für den Bereich Sozia- les in den Griff zu bekommen. In diesen Debatten kommen nämlich Kinder und Jugendliche gar nicht vor, und schon gar nicht die Kinder und Jugendlichen, die als Folge neoliberaler Politik zunehmend in unse- rer Gesellschaft von Armut und sozialer Ungleichheit betroffen sind.
Weil das so ist und offenbar auch so bleiben soll, ha- ben wir uns entschlossen,
nicht mehr mitzuspielen, uns nicht mehr brav und kooperativ zu zeigen und
als kritische UnterstützerInnen der Diskussion anzu- bieten, sondern lieber den Finger direkt in die Wunde zu legen:
· Wir haben keine Lust mehr auf die offerierten
„Reformprozesse“, die als zwingend und alterna- tivlos dargestellt werden. Dort um Nuancen zu streiten, während die Politik die Kinder- und Ju- gendhilfe immer wie-
ter von dem entfernt, was sie sein sollte, würde uns nur viel
Kraft kosten, aber nichts ändern an den politi- schen (Abbau)-Plänen. Wir werden die weiteren
· Wir weigern uns, etwas zu diesen als Reformab- sichten dargestellten Bestrebungen beizutragen, weil wir durchschauen, dass hier die kritischen und konstruktiven Gedanken und Ideen zur Kin- der- und Jugendhilfe durch die herrschenden po-
litischen Kräfte zu einer Einspar- und Kontroll- Chance missbraucht wer- den. Letztlich werden sie
nur dazu benutzt, die Austeritätspolitik voranzu- treiben und in der Folge die erforderliche fachlich angemessene Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe zu stoppen und zu verhindern. Rich- tig, wir haben das Vertrauen in die politisch herr- schenden Kräfte verloren; wir sind misstrauisch und wir haben allen Grund dazu.
· Wir wollen und können das „alte KJHG“ keines- falls blind verteidigen. Wir sind vielmehr der Mei- nung, dass das SGB VIII tatsächlich an einigen Stel- len reformbedürftig ist.
Aber: Der humanistische und sozialpädagogische Geist des SGB VIII wäre zu stärken, nicht zu unter- laufen. Die zu beobachtenden Praxen und Pla- nungen aber sind gerade darauf bedacht, diesen Geist zu schwächen, wenn nicht sogar abzuschaf- fen und die neoliberale Sicht vom Sozialen auch in der Kinder- und Jugendhilfe durchzusetzen, die
wir in den anderen Sozial- gesetzbereichen längst ha- ben. Nicht der Geist dieses Gesetzes ist reformbedürf-
tig, deshalb brauchen wir kein neues Menschen- bild im SGB VIII und keine neue Ideologie. Der Nützlichkeitsideologie und dem dahinterliegen- den marktliberalen Geist gilt es, sich entschieden entgegenzustellen.
· Im Übrigen könnte man auf der Basis schon des bestehenden KJHG eine sehr viel bessere und ehr- lichere Kinder- und Jugendhilfe entwickeln, als sie
heute besteht, wenn man sie wieder von der Budgethoheit und der marktwirtschaftlichen Do- minanz befreien würde. Man könnte mit den von der Politik als so bedroh-
lich erlebten Summen, die heute in die Kinder- und Jugendhilfe fließen, eine
um ein Vielfaches bessere Kinder- und Jugend- hilfe praktizieren, wenn man das wirklich wollte und fachgerecht umsetzen würde.
· Wir fordern deshalb, überhaupt erst einmal und erstmalig, das bestehende SGB VIII seinem Duktus entsprechend flächendeckend umzusetzen. Wenn nämlich – wie immer wieder behauptet - mit den sog. Reformbestrebungen tatsächlich keine Einsparziele verfolgt würden, dann sollte es doch kein Problem sein, die Jugendämter perso- nell und fachlich so auszustatten, dass sie ihren Aufgaben wenigstens entsprechend des derzeit bestehenden Jugendhilferechts auch gerecht werden können. Dann sollte es weiterhin doch kein Problem sein, die Jugendhilfeträger nicht nach dem billigsten Angebot auszuwählen und zu bezahlen, sondern nach dem fachlich besten En- gagement.
· Wir fordern Kinder- und JugendhilfeplanerInnen auf, sich auf die fachlichen Erkenntnisse der Dis- ziplin und Profession Soziale Arbeit zu besinnen, sich nicht mit der fragwürdigen Austeritätspolitik und dem Irrsinn
der „Schulden- bremse“ in vo- rauseilendem Ge- horsam zu arran-
gieren, sondern die notwendigen Schritte einzu- leiten, Soziale Arbeit wieder als Beziehungsarbeit zu fördern und das sog. „Case Management“ als ungeeignetes Verwaltungsinstrument für die Ein- flussnahme auf Menschen zu unterbinden.
Im Rahmen des gegenwärtigen neoliberalen Dienstleistungskonzeptes ist eine Soziale Arbeit entsprechend ihrer
ethischen Grundla- gen nicht mehr zu realisieren. Wir for-
dern deshalb eine Rückkehr zu Professionalität und Parteilichkeit entsprechend der vom Artikel 1
· Wir verlangen, dass sich die Diskussion über die Hilfen zur Erziehung nicht länger auf die Über- gangsbereiche und Schnittstellen der HzE mit Schule, Kindergarten und Berufsvorbereitung be-
schränkt und somit ver- schoben und ausgela- gert wird, sondern dass man sich tatsächlich mit
den zentralen Aufgaben und notwendigen Struk- turen der Hilfe zur Erziehung selbst und deren rechtskonformer Umsetzung befasst.
Die Fokussierung auf „Schnittstellen“ wird sonst zu einem Ablenkungsmanöver, das verhindert, dass man sich den zentralen Problemen der Kin- der- und Jugendhilfe und insbesondere der Hilfen zur Erziehung stellt.
Wir fordern alle Beteiligten, die PolitikerInnen, die Leitungskräfte und VertreterInnen der Fachverbände,
die VertreterInnen der Dis- ziplin und vor allem auch die KollegInnen selbst (die
schließlich die Arbeit machen und ohne die der ganze
„Kinder- und Jugendhilfe-Oberbau“ gar nicht existie- ren würde), zu einem Memorandum* in der Kinder- und Jugendhilfe auf, bevor weitere Schritte in die fal- sche Richtung gemacht werden: Denkt darüber nach!
Sind die gegenwärtigen neoliberalen Struktu- ren und das dahinter liegende Verständnis dieser Aufgabe überhaupt angemessen?
Warum brauchen wir die ethischen, humanis- tischen Prinzipien der Sozialen Arbeit, wie die Par- teilichkeit und das Streben nach einer gerechten Welt?
Sind die Ideen des Marktliberalismus und die Ethik der Sozialen Arbeit und speziell der Kinder- und Jugendhilfe überhaupt vereinbar?
Wie muss die Kinder- und Jugendhilfe ausse- hen und gestaltet werden, wenn sie ihre politische, humanistische und ethische Aufgabe erfüllen will?
Wie kommen wir weg von der politisch und gesetzlich forcierten Annahme, Kinder und Jugend- liche seien Waren auf einem (Sozial)Markt , an dem sich profitorientierte Träger bereichern können. Wie kommen wir weg von der Auffassung, sie seien im Wesentlichen Humankapital für die wirtschaftli- che Verwertbarkeit in einer auf Markt und Profit re- duzierten Gesellschaft.
Wie finden wir zurück zu der Auffassung, dass Kinder- und Jugendliche von Geburt an würdevolle (Artikel 1 GG) Menschen sind, denen unsere Gesell- schaft das Aufwachsen in einer förderlichen Umge- bung schuldet? Angesichts des vorhandenen gro- ßen gesellschaftlichen Reichtums wäre die Schaf- fung der Voraussetzungen für eine gute Entwick- lung aller Kinder- und Jugendlichen ein Leichtes.
Zudem sind es die derzeitige neoliberale Verfasst- heit und die daraus resultierende Verarmung selbst, die den Großteil der problematischen Le- benslagen von benachteiligten Kinder und Jugendli- chen produzieren.
*Ein Memorandum ist eine Denkschrift, eine Stellungnahme, ein kalendarisches Merkheft oder schlicht eine Notiz mit etwas Denk- würdigem. Das Wort ist lateinischen Ursprungs: memorandum heißt wörtlich „das zu erinnernde“ beziehungsweise „das, an das sich erinnert werden soll“ (Wikipedia) und das ist das Ziel dieses Memorandums, sich an Werte erinnern und sich auf die Sozial- ethik besinnen.
--
Von Wirkungsvolle Jugendhilfe - Gegen die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit am 8/07/2015 03:35:00 nachm. unter Wirkungsvolle Jugendhilfe eingestellt