Hallo,
Eigentlich bin ich auf dieses Thema eher durch Zufall gestoßen, indem
ich die teils interessanten, teils peinlichen Beiträge im Forum zur
Petitionseinreichung gegen Internetsperren gelesen habe:
https://epetitionen.bundestag.de/index.php?board=892.0
Von der "Piratenpartei" hatte ich zwar schon gehört, dachte aber
immer, das sei eine Art Ulk- und Chaospartei ohne ernsthaftes
Programm. Um so erstaunter war ich über das, was ich, der Neugier
folgend, in Wikipedia fand:
http://de.wikipedia.org/wiki/Piratenpartei bzw.
http://de.wikipedia.org/wiki/Piratenpartei_Deutschland
»Ihre Ziele umfassen „die Förderung freien Wissens und freier Kultur,
Schutz vor dem Überwachungsstaat sowie einen Paradigmenwechsel vom
gläsernen Bürger zum gläsernen Staat.“«
Das hört sich doch mal ziemlich interessant an. Dazu passt auch der
Internetauftritt:
http://piratenpartei.de/
Absolut zeitgenössisches Web2.0design in Babyblau-Orange, sogar schon
ultramodern unter Verzicht auf runde Ecken, perfekt abgestimmt auf das
Outfit von Google Chrome. Der erste Satz dort lautet: "Die
Piratenpartei hat in den letzten beiden Wochen einen bemerkenswerten
und erfreulichen Zuwachs an Mitgliedern verzeichnen können. Die
aktuelle politische Entwicklung hat zu einem Anstieg um mehr als 100
Mitglieder geführt, womit die Marke von 1000 Mitgliedern inzwischen
deutlich übersprungen wurde."
Naja, mag da manch einer denken, wir reden hier von einem
Gesellschaftsgebilde, das aus fast 80 Millionen Menschen besteht. Wer
sich da als Partei über mehr als 1000 Mitglieder freut, muss einen
leichten Realitätsknick haben. Andererseits ist die Partei noch sehr
jung. Und im Gegensatz zu anderen Parteien geht es mit ihren
Mitgliederzahlen aufwärts.
Insgesamt bietet sich mir ein ambivalentes [1] Bild. Einerseits
präsentiert sich die Piratenpartei als normale parlamentarisch-
demokratische Partei, andererseits übt sie fundamentale Systemkritik
und positioniert sich teilweise außerhalb oder sehr am Rande des
politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Eine gewisse Form
von Radikalismus bezogen auf das politische System ist mittlerweile
leider auch gar nicht mehr vermeidbar, wenn man informationelle
Selbstbestimmung und gewisse freiheitliche Positionen ohne Wenn und
Aber vertritt. In den meisten Fällen mündet das jedoch in eine gewisse
Politikverdrossenheit, sofern man den wirtschaftlichen Neoliberalismus
nicht gleich auch toll findet ("mich vertritt ja eh keiner"). Es gibt
jedoch auch einen fatalen Punkt in der Geschichte Deutschlands, wo es
einer Partei gelang, "nachvollziehbaren persönlichen Radikalismus" zu
bündeln und damit inklusive ihres "Führers" sehr erfolgreich zu
werden. Parallelen dieser Art zu propagieren sind natürlich völlig
unangebracht. Es war nur so ein Gedanke bei mir. Die Piratenpartei hat
sich keinerlei rassistische, religiöse oder ähnliche Ressentiments auf
die Fahnen geschrieben. Wer das Parteiprogramm nachlesen möchte, kann
das tun:
http://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm
Darin finden sich zumindest für mich keine beunruhigenden
Ideologismen. Im Gegenteil wird der "gläserne Staat" gefordert, um
Machtmissbrauch und Bürgerentmündigung im Keim zu ersticken.
Andererseits lesen sich manche Passagen so, dass sich auch
fundamentalistische Datenverweigerer angesprochen fühlen ("nur ja
keine IT-Technik für Überwachungszwecke und bei der Stimmauszählung
von Wahlen" ).
Wahrscheinlich wird das Schicksal der Piratenpartei wie das anderer
Parteien davon abhängen, welche Führungspersönlichkeiten (nicht
"Führer") sie hervorbringt. Ohne markante Gesichter bleibt eine Partei
gesichtslos. Es konzentriert sich also alles auf die Frage: wo bleibt
Jack Sparrow?
viele Grüße
Stefan Münz
[1] "ambivalenz ist das, was eintritt, wenn die süße arzthelferin mit
weitem ausschnitt zur blutabnahme sagt: "sie müssen ja nicht
hingucken"
(
http://twitter.com/frank93')