Amtsgericht Frankfurt/M. verhängt neun Monate Freiheitsstrafe auf
Bewährung gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer wegen Widerstand und
Körperverletzung
Frankfurt a.M., 14.03.2000. Am Montag, dem 13.03.00, wurde der
Totale Kriegsdienstverweigerer Torsten Froese (29) wegen "Widerstand
gegen Vollstreckungsbeamte" und "Körperverletzung" nach einer
siebenstündigen Verhandlung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten
verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft
hatte eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen (à 30,- DM) gefordert.
Gegenstand der Verhandlung war die illegale Inhaftierung Froeses für
16 Tage im Juni 1998 im Rahmen des Doppelbestrafungsverfahrens wegen
Totaler Kriegsdienstverweigerung.
Am 23.06.98 sollte Froese zum zweiten Mal wegen Totaler
Kriegsdienstverweigerung verurteilt werden. Bereits im Dezember 1993
war eine Freiheitsstrafe von drei Monaten mit Bewährung ergangen, der
eine erneute Einberufung und ein erneutes Strafverfahren folgte. Im
Verfahren von 1998 hatte der Totalverweigerer beantragt, den
Dipl.-Mathematiker Detlev Beutner und Jura-Studenten Jörg Eichler,
zwei befreundete Totalverweigerer mit jahrelanger juristischer
Erfahrung, gem. § 138 II StPO als Verteidiger zuzulassen. Die damalige
Richterin Mickerts lehnte den Antrag im Vorfeld mit der Begründung ab,
die gewählten Verteidiger seien dem Gericht nicht bekannt, das
Landgericht bestätigte die Entscheidung, da die Gewählten keine
ausreichende Sachkunde besäßen. Um diese Fragen vor Gericht noch
einmal klären zu können, sollte am 23.06.98 der Antrag mündlich
wiederholt werden. Richterin Mickerts jedoch lehnte selbst die
Antragstellung ab. Daraufhin beantragte Froese eine Unterbrechung der
Hauptverhandlung und begab sich wenige Meter vor den Verhandlungssaal,
um mit seinen gewählten Verteidigern einen Befangenheitsantrag gegen
die Richterin zu formulieren. Diese jedoch wartete nicht etwa den
Antrag ab, sondern ordnete die Vorführung Froeses an, die mehrere
Justizwachtmeister mit erheblichem Einsatz von Gewalt durchzuführen
versuchten. Die Vorführung mißlang jedoch, da der Angeklagte sich
gegen diese offensichtlich unverhältnismäßige Maßnahme zur Wehr
setzte. Daraufhin erließ die Richterin einen Haftbefehl gem. § 230 II
StPO, dessen Funktion es eigentlich ist, Angeklagte, deren
Aufenthaltsort unbekannt ist, der Justiz zuführen zu können. Froese
kam nun zwar freiwillig in den Saal, leistete jedoch Widerstand, als
klar wurde, daß der Haftbefehl extralegal von einem
"Vorführhaftbefehl" in einen "Wegführhaftbefehl" umgedeutet wurde.
Schließlich wurde Froese für 16 Tage inhaftiert, bevor der
Vertretungsrichter den Haftbefehl aufhob. In der Wiederholung der
Hauptverhandlung am 25.01.99 ließ nunmehr Richter Rupp, da Richterin
Mickerts inzwischen erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt worden
war, Detlev Beutner sehr wohl den Antrag auf Zulassung mündlich
wiederholen und ließ den Antragsteller auch als Verteidiger zu. Das
Verfahren endete damals mit einer Einstellung wegen des Verbots der
Doppelbestrafung, Froese erhielt Haftentschädigung wegen der illegalen
Inhaftierung zugesprochen. Das Urteil ist jedoch noch nicht
rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt hat, über
die bis heute nicht entschieden worden ist.
Wegen der Verletzungen der Justizwachtmeister am 23.06.98 hatte die
Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl in Höhe von 90 Tagessätzen
erlassen, gegen den Froese Einspruch eingelegt hatte. Wiederum wurde
beantragt, Detlev Beutner, inzwischen Jurastudent, als Wahlverteidiger
zuzulassen. Obwohl Beutner in einer Stellungnahme gegenüber dem
entscheidenden Richter Dr. Bernd Weiland erklärt hatte, seit Jahren im
allgemeinen strafrechtlichen Gebiet als wissenschaftlicher Mitarbeiter
verschiedener RechtsanwältInnen tätig zu sein, lehnte Weiland im
Vorfeld die Zulassung mit der Begründung ab, Beutner habe nur
Sachkunde auf dem Gebiet der Kriegsdienstverweigerung. Das Landgericht
bestätigte die Entscheidung, stellte aber nicht mehr auf die Sachkunde
ab, da die Beschwerde ausgeführt hatte, daß zu dieser Frage die
Rechtsprechung durchgehend anderer Auffassung ist. Vielmehr wurde nun
eine Erklärung des Amtsinspektors Schmitt herangezogen, nach der
Beutner am 23.06.98 selbst "zur Eskalation beigetragen haben soll".
Das Gericht habe daher bei einer Zulassung mit "unsachgemäßem Gebaren"
zu rechnen - eine Einschätzung, die bereits durch die Zulassung im
Januar 1999 wiederlegt worden ist. Da die Entscheidung des
Landgerichts jedoch erst am 11.03.00 zugestellt und die Erklärung
Schmitts Beutner nicht mitgeteilt worden war, sollte erneut die
Möglichkeit genutzt werden, bei mündlicher Antragstellung die Zweifel
auszuräumen.
Am Montag kam es jedoch wiederum nicht hierzu. Weiland untersagte
die Antragstellung, woraufhin Froese einen Befangenheitsantrag
stellte. Schließlich hatte Richter Rupp 1999 sowohl gezeigt, daß der
mündlich gestellte Antrag zu einem anderen Ergebnis als die vorherige
schriftliche Entscheidung führen kann, als auch entschieden, daß
Beutner die Sachkunde und Vertrauenswürdigkeit besitzt, um als
Verteidiger zugelassen zu werden, was sich in der damaligen
Verhandlung auch bestätigte. Weiland aber ließ über den
Befangenheitsantrag gar nicht entscheiden, sondern verwarf ihn als
angeblich unzulässig, "da er allein der Prozeßverschleppung" diene -
eine Entscheidung, die selbst noch einmal den Grad der Befangenheit
des Vorsitzenden deutlich machte. Als Froese hierzu Stellung nehmen
wollte, fuhr Weiland in aggressiv an mit den Worten: "Herr Beutner,
halten Sie den Mund!".
Anschließend wollte Froese seine Prozeßerklärung vortragen, kam
jedoch nicht weit, da Weiland mehrmals unterbrach und dem
Totalverweigerer schließlich das Wort entzog, da der Richter meinte,
sich keine "allgemeinpolitischen Erklärungen" anhören zu wollen.
Bei der Vernehmung der geladenen 15 Zeugen stellte sich im
wesentlichen der Ablauf der Ereignisse vom 23.06.98 so dar, wie er
auch bisher unbestritten behauptet wurde. Allerdings äußerten sich
lediglich die damaligen ProzeßbeobachterInnen dazu, mit welcher
Aggressivität die Justizwachtmeister die Anordnungen der sichtlich
erregten Richterin Mickerts ausführten.
Für Überraschung sorgte lediglich Justizhauptsekretär Dillmann, der
im Juni 1998 Protokollführer war. Dieser erklärte frank und frei, sich
seiner Erinnerung nicht mehr ganz sicher zu sein, denn "bei der
Ladung" zum Termin am Montag "wurden mir verschiedene Zeugenaussagen
mit übersandt", die seiner Erinnerung teilweise widersprachen. Trotz
allgemeinen Entsetzens über die Übersendung von anderen Zeugenaussagen
wurde wenige Sekunden später weiterverhandelt, als ob nichts geschehen
sei.
Die seinerzeitige Richterin Mickerts wiederum äußerte sich als
Zeugin nicht zu den Fragen, die die Rechtmäßigkeit des Vorführ- und
des Haftbefehls betrafen. Gegen sie war ein Ermittlungsverfahren wegen
Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung eingeleitet worden, welches aber
von Staatsanwalt Galm - der sowohl die Ermittlungen in dieser Sache
gegen die Staatsbediensteten konsequent im Sande verlaufen ließ als
auch die Ermittlungen gegen Froese konsequent verfolgte - eingestellt
worden war. Zur Vermeidung der möglichen Selbstbelastung verweigerte
daher die Richterin insoweit die Aussage.
Schließlich wurde bekannt, daß der Richterin im Juni '98 vom
Sicherheitsdienst angeboten worden war, in einen größeren
Verhandlungssaal zu gehen, da bereits abzusehen war, daß der
anvisierte Saal keinen ausreichenden Platz für die ZuschauerInnen
bieten würde. Dies jedoch hatte Mickerts begründungslos abgelehnt.
Der Staatsanwalt erklärte in seinem Plädoyer, daß es "außer Zweifel"
stehe, daß die Entscheidungen der Richterin als auch das Handeln der
Justizwachtmeister "rechtmäßig" war. Letztlich spiele diese Frage aber
"auch keine Rolle", die Befehle der Richterin seien zumindest "formal
rechtmäßig", dies reiche aus, um selbst gegen rechtswidrige
Entscheidungen der Richterin keinen Widerstand leisten zu dürfen. Der
Angeklagte hätte sich lediglich mit "zivilen Mitteln wehren" dürfen -
was in der Konsequenz hieße, daß eine offensichtlich extralegale
Inhaftierung hinzunehmen ist in der Hoffnung, auf Beschwerde eines
Tages wieder entlassen zu werden. Der Staatsanwalt beantragte eine
Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen, womit er leicht über die
ursprüngliche Strafbefehlshöhe von 90 Tagessätzen hinausging.
Froese führte in seinem Schlußwort aus, daß sehr wohl der
Rechtmäßigkeit der Anordnungen in Frage stehe. Auch stellte er noch
einmal klar, wie die Staatsanwaltschaft interessenorientiert ermittelt
habe. Durch alle Instanzen habe sich gezeigt, daß hier politische
Justiz betrieben wird, die den sich selbst gesetzten Maßstäben von
Freiheit und Gerechtigkeit Hohn spotte.
Richter Weiland brauchte nach sieben Stunden Verhandlung ganze fünf
Minuten, um zu einem Urteil zu kommen, welches dadurch, daß es die
Forderung der Staatsanwaltschaft um etwa das dreifache übertraf,
zunächst schlicht Sprachlosigkeit hinterließ: Weiland verurteilte
Froese zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, die für drei Jahre
zur Bewährung auszusetzen sei, zusätzlich zu 1.500,- DM Schadensersatz
an einen Justizwachtmeister, der seinerzeit eine kleine Platzwunde an
der Augenbraue davongetragen hatte - also zu Schadensersatz an einen
Staatsbediensteten, der eine rechtswidrige Anordnung mit Gewalt
vollzog. Weiland begründete die Haftstrafe, die er für "dringend
erforderlich" hielt, mit dem "Schutz der Justizwachtmeister", dem er
hier Geltung verschaffen wolle. Auch der Richter betonte, daß es nicht
darauf ankomme, "ob die Vorführung und der Haftbefehl gerechtfertigt
waren oder nicht". Zweifel habe Weiland gehabt, ob die Strafe
überhaupt zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Denn wenn Froese
"sich darauf beruft, er habe rechtmäßig gehandelt", müsse dies als
Uneinsichtigkeit strafschärfend gewertet werden.
Die Totalverweigerer-Initiative Frankfurt/M. erklärte, daß Urteil
sei ein "Skandal sondergleichen" und das Ergebnis "eines über beide
Ohren befangenen Richters, der dem Untertänigkeitsgeist preußischen
Vorbilds fröne". Letztlich sei das Ergebnis aber "in einer sich
zunehmend reaktionär entwickelnden Gesellschaft und bei einer dieser
Entwicklung vorauseilenden Justiz nur in sich logisch und konsequent."
Jedoch habe der Richter "die Grenzen des bisher Vorstellbaren an
Willkür und Selbstherrlichkeit" noch übertroffen. Gegen das Urteil
wird Rechtsmittel eingelegt.
Aktenzeichen: 974 Cs 50 Js 27196.2/98 - 1058