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Illegale Modems - Kommentar

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Hans H. Huebner

unread,
Jul 1, 1989, 1:11:21 PM7/1/89
to

K o m m e n t a r

Deutsche und andere Modems
Bangemachen gilt nicht

Helle Aufregung verursachte eine am Wochenende ueber die Netze
geschickte Meldung, die Post beabsichtige, "in Zusammenarbeit
mit Dienststellen der Polizei, gegen Betreiber illegaler Modems
vorzugehen". Als Quelle dieser Information wurde das
Bundespostministerium (BPM) angegeben. Ein Anruf bei der
Pressestelle ergab, dass niemand etwas von derartigen Vorhaben
wusste. Die Pressestelle des BPM, eigentlich immer gut informiert
und bekannt fuer ihren schnellen Presseservice, versprach, der
Sache mal nachzugehen. Ergebnis: Kein Anschluss mit dieser
Nummer.

Man koennte sich unter Berufskollegen darueber streiten, inwieweit
es "gutes Handwerk ist" eine derartige Meldung mit mieser
Quellenlage (z.B. "BPM liess verlautbaren") ueberhaupt auf den
Draht zu geben. Aber so ist das nun mal in dem Gewerbe: Was raus
ist, ist raus, foerdert Reaktionen und beginnt ein
informationsdynamisches Eigenleben zu entwickeln.

Eine Meldung, die im Leadsatz mit der Formulierung beginnt, dass
bereits "Anfang der Woche geruechteweise zu hoeren war", sollte
man eigentlich immer nur mit der Kneifzange anfassen - oder aber
den Dingen auf den Grund gehen.

Das Munkeln, sprich, eine Verunsicherung bei einigen Sysops,
war in der Tat vernehmbar. EINE Quelle der Geruechtekueche konnte
durch Recherchen des MIK-Magazin ausfindig gemacht werden. Es
begann naemlich mit einer offiziellen Anfrage des Hamburger
Modemherstellers Dr. Neuhaus vom 21.4.1989. Dr. Neuhaus, bekannt
fuer Modems mit FTZ-Zulassung, wollte wissen, wie es sich denn
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.6.1988 mit
der Anschaltung "illegaler" Modems verhaelt. Unter dem
Aktenzeichen 261b B 3130-3 erfolgte am 16.05.89 die Antwort aus
dem Ministerium. In einer jeden Journalisten quaelenden
Amtsprache bestaetigte das BPM der Firma Dr. Neuhaus, dass durch
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "die Anschaltung
nicht zugelassener Endeinrichtungen nicht GRUNDSAETZLICH
straffrei wurde". Nach laengeren Ausfuehrungen zur Rechtslage
kommt das Antwortschreiben in den letzten drei Zeilen zu einer
fuer die Firma Dr. Neuhaus nicht unwesentlichen Aussage. Das
Ministerium bestaetigte, dass auch fuer Haendler eine Bestrafung
wegen Beihilfe zu einer nach Paragraph 15 Abs.1 FAG vorsaetzlich
begangenen Straftat IN BETRACHT komme.

Bei Dr. Neuhaus wurde dieses Antwortschreiben zunaechst in die
Klarsichthuelle und dann in das Schreibtischschubfach gepackt.
Doch dann kam man auf den "glorreichen" Gedanken, dieses
Dokument an die Vertragshaendler zu schicken, die durch das
Urteil des Verfassungsgerichts natuerlich verunsichert waren.
Schliesslich basiert die Qualitaet und der Verkaufserfolg der
Dr. Neuhaus-Modems auf der Tatsache, dass sie eine deutsche
Postzulassung haben. Und weil dem so ist, kostet ein Fury-Modem
eben 2.200 Mark im Gegensatz zu auslaendischen Geraeten, die hier
nicht betrieben werden duerfen, aber fuer ein paar hundert Mark zu
haben sind. Und nun begann das beliebte Kinderspiel "stille
Post". Am Ende der "Informations(nahrungs)kette" stuermten
bereits Vertreter ungenannter Polizeidienststellen friedlich vor
sich hinmailende Sysops.

Doch zurueck zum Antwortschreiben des BPM. Wenn Juristen den
Terminus "grundsaetzlich" verwenden, ist hoechste Vorsicht
geboten. Grundsaetzlich bedeutet eben nicht prinzipiell und
"grundsaetzlich nicht straffrei" heisst im Klartext strafbar, aber
wenn uebergeordnete Rechtsgueter tangiert sind, koennen Grundsaetze
auch mal uebergangen werden. Wer mit Sprache arbeitet, wird
spaetestens dann hellhoerig, wenn davon gesprochen wird, dass eine
Bestrafung "in Betracht kommt". Das ist was anderes als die
Formulierung: "wird bestraft".

Juristen gehoeren eben zu jenen Zeitgenossen, die jedes Wort auf
die Goldwaage legen und gewohnt sind ueberaus praezise zu
formulieren. Wer den Text aufmerksam liesst, wird feststellen,
wie sehr sich der BPM-Jurist hat abmuehen muessen, um an den
entscheidenden Stellen die juristischen Sollbruchstellen
einzubauen. Sowas darf natuerlich nur ein aussenstehender
Kommentator oeffentlich sagen.

Interessant ist auch, dass im gesamten Schreiben auffaellig darauf
verzichtet wird, auf eine deutschen Zulassung abzuheben. Es wird
lediglich von einer Zulassung gesprochen. Das diese Zulassung
fuer die Sicherung der Funktionsfaehigkeit eines oeffentlichen
Netzes im allgemeinen Interesse und auch sinnvoll ist, hat
bislang niemand ernsthaft bestritten. WESSEN Zulassungskriterien
durch die "normative Kraft des Faktischen" letztlich verbindlich
sind, die der Deutschen Bundespost oder die der internationalen
CCITT, steht auf einem anderen Blatt und wird wohlweislich in
dem Schreiben nicht naeher erlaeutert. Immerhin ist es inzwischen
allgemein bekannt, dass die EG-Laender Kompetenzen zunehmend an
die EG-Ebene abzugeben haben. Und natuerlich wird an dieser
Stelle, nicht nur im Bereich Telekommunikation, noch kraeftig
geholzt werden - bisweilen auch unter der Guertellinie.

Wenn die Post behauptet, bislang nicht gewusst zu haben, dass
"illegale Modems" eingesetzt werden, kann man darueber lachen -
aber man sollte dieses Signal richtig interpretieren. Im Grunde
bedeutet das naemlich nichts anderes, als das der gelbe Riese
versucht, mit allen zur Verfuegung stehenden Moeglichkeiten, die
Augen zuzumachen - so gut man ihn eben laesst. Nach dem Prinzip
"was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss" vermeidet die Post
nach Moeglichkeit, von "illegalen" Modems amtlich und offiziell
Kenntniss zu bekommen und diese dann einzusammeln zu muessen -
weil sie dazu rechtlich NOCH verpflichtet waere.

Bis auf Modemhersteller, die sich bislang an die FTZ-
Vorschriften gehalten haben, hat jedoch niemand ein wirkliches
Interesse an dieser Strafverfolgung. Auch nicht die Post: denn
wuerde sie nach jetzt geltendem Recht ihrer Verpflichtung
nachkommen, die "Illegalen" aus dem Verkehr zu ziehen, koennte
sie spaetestens 1991 mit einer Flut von Regressanspruechen
konfrontiert werden. Wesentlicher Kernpunkt der
verfassungsrichterlichen Entscheidung im sogenannten
"Modemurteil" war naemlich die "Verwerfung einer
verfassungswidrigen Aktion des Staates und seiner Organe". Jeder
der bislang nach Paragraph 15 Abs.2 FAG rechtskraeftig verurteilt
wurde, hat seit der Urteilverkuendung einen klaren
Wiederaufnahmegrund. Voraussetzung fuer diese Wiederaufnahme ist
natuerlich, dass das Urteil auf der fuer nichtig erklaerten Norm
beruht.

Da wegen der Nichtigkeit der Strafvorschrift ein Freispruch
erfolgen muss, sind Kosten und Auslagen, inklusive
Verteidigerhonorar, gemaess Paragraph 467 StPO von der Staatkasse
zu tragen. Schliesslich wird noch zu pruefen sein, ob der
Freigesprochene Entschaedigung nach dem Gesetz ueber die
Entschaedigung fuer Strafverfolgungsmassnahmen (SrEG) geltend
machen kann. Ergo: Eine grossangelegte Polizeirazzia koennte sich
fuer die Staatskasse Monate spaeter zur finanziellen Belastung
mittlerer Groessenordnung entwickeln und ist politischer und
sachlicher Unsinn.

Tatsache ist aber, dass man sich derzeit in einem rechtlichen
Uebergangszustand befindet, der von interessierter Seite
kurzfristig genutzt werden KANN, um gegen die "Illegalen"
Stimmung zu machen. Die Post holzt mit guter Miene zum boesen
Spiel notgedrungen und pflichtgemaess mit. Das deutsche
Behoerdenwesen hat schon immer gut funktioniert.

Die formaljuristische Schlammschlacht mit dem FAG, bei der
letztlich Haarspalterei eine Rolle spielt, erinnert an einem
uralten, juristischen Szenewitz aus dem Hackerumfeld. Legt man
naemlich das FAG streng aus, wird auch der Betrieb einer
Taschenlampe strafbar: denn eine Taschenlampe kann zur
Uebertragung von Morsesignalen genutzt werden und ist somit eine
fernmeldetechnische Anlage, deren unangemeldeter Betrieb gemaess
Paragraph 15 Abs.1 FAG strafbar ist. Das FAG ist mit der
Definition, was unter einer "fernmeldetechnischen Anlage" zu
verstehen ist, bekanntermassen ueberaus globalgalaktisch. Und
deshalb kann die Post bis zum Beweis des Gegenteils kurzerhand
alles zur fernmeldetechnische Anlage erklaeren, was sich
irgendwie an ein oeffentliches Netz klemmen laesst - egal ob das
ein Computer, ein Modem oder ein Anrufbeantworter ist.

Vor diesem Hintergrund hebt der Hamburger EDV-Rechtsexperte Dr.
Axel Bauer in erster Linie auch auf den Paragraphen 30 des EWG-
Vertrages ab. Danach muessen die EG-Laender den freien
Warenaustausch zwischen den Mitgliedslaendern garantieren. CCITT-
Modems MUESSEN danach auch in der Bundesrepublik genutzt werden
duerfen. Das entspricht im Prinzip der Post-Politik, die auf
Marktoeffnung setzt. Das ist allerdings noch keine Alltagspraxis,
weil man sich quasi auf einer "nationalrechtlichen Baustelle"
befindet.

Doch damit nicht genug: Als "juristisches Beissholz" stellt Bauer
die Ansicht in den Raum, dass ein Modem keine fernmeldetechnische
Anlage ist. Mit der juristisch einwandfreien Klaerung dieser
Frage koennte man diverse Gutachter und Juristen langfristig
beschaeftigen. Denn die Entwicklungen haben die klassische
Trennung zwischen Fernmeldetechnik und Computertechnik
aufgehoben.

Die naechsten ein bis zwei Jahre wurschtelt man sich bei Postens
also irgendwie durch und der Nutzer eines CCITT-zugelassenen
Modems kann nur auf das institutionelle Phlegma und die
buerokratischen Muehlen einer guten deutschen Behoerde setzen -
vertrauen sollte man darauf allerdings nicht. Die Post kann noch
jederzeit dazu gezwungen werden, gegen "illegale" Modems
vorzugehen. Ausloeser kann da ein uebereifriger Beamter sein, der
die Hintergruende noch gar nicht richtig gerafft hat. Das
Einzige, was man sicher sagen kann: Von den Fuehrungsetagen der
Post ist in dieser Frage "Dienst nach Vorschrift" verordnet
worden.

Sich in Sachen "illegaler" Modems auf die Post einzuschiessen,
ist also falsch. Interessanter ist die Frage, wie deutsche
Unternehmen auf die preiswerten Modems aus dem Ausland reagieren
werden. Beispielsweise ob sie weiterhin CCITT-gepruefte Modems
auslaendischer Mitbewerber als "illegal" bezeichnen werden, was,
wenn man nicht aufpasst, zu gegebener Zeit wettbewerbsrechtlich
relevant werden koennte. Selbstanzeigen bei der Post sind
jedenfalls der groesste Unsinn. Die Devise lautet "Schnauze halten
und weitermachen".

Sollte die Post zum Einsammeln kommen, empfiehlt sich,
Widerspruch einzulegen und schon mal unverbindlich darueber
nachzudenken, wie hoch der taegliche betriebswirtschaftliche
Schaden ist, der durch den Entzug der Kommunikationstechnik
entstehen wuerde.

Berufskollegen sei der Hinweis gegeben, darueber nachzudenken,
wessen Interessen sie - vielleicht ungewollt - transportieren,
wenn sie Begriffe wie "illegales Modem" unreflektiert
ventilieren. Zumindest sollte man diese Bezeichnung kuenftig in
Anfuehrungszeichen setzen.

Juergen Wieckmann

--
Hans H. Huebner
pengo@tmpmbx, pe...@garp.mit.edu, hue...@db0tui6.bitnet
"Why not ?"

Tim Berndt

unread,
Jul 3, 1989, 6:08:28 PM7/3/89
to
hmm - alles schoen und gut.
Jedenfalls hat auf dem Zerberus-Netz ein nicht mehr ganz neuer und
fast schon kommerzieller Mailbox-Chef gerade gepostet, dass er
'Besuch bekommen' hat. Offenbar aber war bei ihm alles legal.
(-> jes-box)
Hoffentlich bleibt das ein Einzelfall.
-Tim-

U...@ppcger.uucp

unread,
Jul 5, 1989, 11:54:00 PM7/5/89
to

High
Zu diesem Thema hab ich mal ein paar Informationen eingezogen.
Als erstes, beim Fernmeldeamt Neustadt wissen die Leute die fuer eine
"Einziehaktion" in Frage kommen wuerden noch nichts von einer solchen.
zweitens: Zumindest die Fernmeldeschule Heussenstamm hat in einigen Mailboxen
Accounts, und das schon seit laengerer Zeit. (mindestens dezember 88)
Trotzdem ist bei den betroffenenen Mailboxen, in denen natuerlich aus einige
Listen abrufbar sind, noch nix passiert.
drittens: Ab Juni 1990 sind die jetzigen Vorschriften eh nicht mehr
gueltig, ein
Geraet darf dann angeschlossen werden wenn es in einem EG Land eine Zulassung
hat.
Salve,Ury


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Michael Urrey | UUCP: ...althh!science!ppcnet!ppcger!ury
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