Daß gleichgeschlechtliche Verhältnisse in der Antike nachweislich völlig
anders gesehen wurden als heute bzw. in christlich dominierten,
europäisch-stämmigen Gesellschaften war als ein illustrierendes,
drastisches Beispiel gemeint. Mehr und mehr scheint sich die Debatte aber
nur noch um dieses Beispiel zu drehen.
Da verstehst du was falsch. Die gesamte Vorstellung von Ehe ist im
europäisch-christlich-stämmigem Kulturraum immer noch stark von
christlicher Moraltheologie dominiert. Und die hat Augustinus maßgeblich
geprägt. Ich schieb ihn dir nicht unter, ich mache nur darauf aufmerksam,
dass selbst in unserer modernen Zeit seine und die in seiner nachfolge
entwickelten christlichen Vorstellungen impliziert werden, wenn von Ehe,
Familie etc. die Rede ist. Oder wenn nach dem Muster "Das war schon immer
und überall so" argumentiert wird.
Oh, er war ein wandlungsfähiger Mensch und nacheinander Anhänger des
Manichäismus, Skeptizismus, Neuplatonismus und schließlich des
Christentums. Im Laufe seines Lebens radikalisiert er immer mehr. Nicht
nur in seinen Lehren, sondern auch in seinem persönlichen Leben. Seine
Lehren haben eine extrem autoritäre Ausrichtung auf (den christlichen)
Gott und betrachten mehr und mehr alles menschliche als verwerflich.
Sicher, aber Plato war es nicht. Und irgendwie scheint Sokrates seiner
Ehe auch keine große Bedeutung beigemessen zu haben. Er hing lieber auf
Marktplätzen rum und fragte Schmiede "Ei, weißt du, was du da tust ?" und
philosophierte mit seinen Anhängern über alles mögliche, liebend gern
auch über die Liebe und die Peiderastia. Der Name seiner Frau, Xanthippe,
gilt heute noch als Schimpfwort für eine zänkische Frau, mit der Mann es
unmöglich aushalten kann.
Nun mag Plato in seinen Dialogen einiges übertrieben haben, aber es
scheint ein Fakt zu sein, daß Sokrates Ehe mehr Schein als Sein war.
Das wäre auch nur schwer möglich gewesen, denn selbst bei heterogenen
Ehen galt im Patriarchat für Königshäusern wie im Hochadel die Regel, daß
ein männlicher Stammhalter her muß, ehe die Ehe als "erfolgreich" gilt.
Töchter zählen nicht. Klappte es mit dem Sohn über mehrere Jahre nicht,
war es durchaus üblich die Frau zu verstoßen und es mit einer anderen zu
probieren. Homosexuelle Beziehungen hatten auf der Ebene also kaum eine
Chance.
Hinzu kommt ein zweiter Effekt: gerade die Vorstellung Adel sei eine Art
Geburtsrecht, das sich vererbe, leistete "politischen" Hochzeiten
Vorschub. Die Ehen waren eher Zweck- denn Liebesgemeinschaften. Und wenn
der männliche Thronfolger erstmal da war, gingen beide Ehepartner oft
getrennte Wege. In der Antike, wie Spätantike oder gar anderen Kulturen
eine durchaus tolerierte Sache, nicht nur bei Adligen. Selbst dem
Nachgehen homoerotischer Beziehungen stand dann nichts mehr im Wege, so
der oder die betreffende denn solche Neigungen hatte.
Wie gesagt und belegt: es gibt ihn so nirgenwo, außer eben im Christentum
und in christlich geprägten Gesellschaften. Ich habe wesentliche
Unterschiede schon innerhalb der mosaischen Religionen genannt, auf die
du leider überhaupt nicht eingehst. Geht man in gänzlich andere
Kulturkreise, werden die Unterschiede noch gravierender.
Äh, diskutieren wir hier was unter "Ehe" verstanden wird, oder was du
darunter verstehst? Falls letzteres hättest du mal sagen wollen, was du
unter "Ehe" verstehst.
Gemeinhin ist der Begriff in modernen europäisch-christlichen Staaten
zweigeteilt. Es gibt die staatliche wie die kirchliche Ehe. Erstere ging
aus letzterer erst vor gut 100 Jahren hervor. Sie unterscheiden sich
prinzipiell in dem Sinn, das die staatliche Ehe einen Verwaltungsakt
darstellt, die kirchliche Ehe dagegen konfessionsübergreifend ein
Sakrament. Eine Scheidung ist staatlicherseits ein Verwaltungsakt,
kirchlicherseits der Bruch eines Sakraments. Bis vor etwa 30 Jahren war
die kirchlihe Vorstellung in den Scheidungsgesetzen des Staates tief
verwurzelt. Seit dem nimmt diese kultur- und rechtshistorische
Verwurzelung ab, ist aber noch längst nicht beseitigt.
Da mißverstehst du die Frage. Sie lautet eher "Schon immer und überall
Ehe zwischen Mann und Frau, so wie das Christentum das definiert?". Wobei
den meisten Kulturen und Zeiten die christliche Auffassung von Ehe
unbekannt bzw. hinreichend fremd ist.
Reduziert man die Frage auf gleichgeschlechtliche Gemeinschaften, so
stößt man außerhalb der von christlichen Wertvorstellungen dominierten
europäisch-stämmigen Kulturen in den weitaus meisten Fällen zumindest auf
Toleranz denn auf barsche Ablehnung.
Karl von Henze