"Nur ein neuer Lebensstil kann Klimakriege verhindern" Generationswechsel

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Schoepfersgeselle

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Nov 3, 2008, 9:28:51 PM11/3/08
to Kuhschwanz-welcome
"Nur ein neuer Lebensstil kann Klimakriege verhindern"
Der Klimawandel als Ursache für Kriege und Konflikte? Genau das
passiert schon, sagte der Sozialpsychologe im Interview mit
tagesschau.de. Er erwartet von Konferenzen keine Lösung des
Klimaproblems, solange sich unser Lebensstil nicht gundlegend ändert.

tagesschau.de: Was macht den Klimawandel sozial und politisch so
gefährlich, dass Sie von Klimakriegen sprechen?


[Bildunterschrift: Flüchtlingscamp in Darfur: Auslöser des Konflikts
auch das Klima? ]
Harald Welzer: Weil es gegenwärtig schon Entwicklungen gibt, wo man
den Zusammenhang zwischen Klimaerwärmung und Gewaltkonflikten deutlich
sehen kann. Insofern würde ich unter dem Begriff des Klimakrieges
tatsächlich solche Konflikte fassen, wo es aufgrund von Bodenerosion,
Naturkatastrophen oder ähnlichen Ereignissen zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen kommt. Prototypisch ist das zu sehen in Darfur im
Westen des Sudans. Dort gibt es Konflikte zwischen unterschiedlichen
Interessensgruppen, in dem Fall nomadische Viehzüchter auf der einen
und Landbauern auf der anderen Seite. Und wenn das Land durch die
Klimaveränderung weniger wird, ist für beide Gruppen nicht mehr genug
da.

Zur Person: Harald Welzer ist Direktor des Center for
Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut
in Essen und Forschungsdirektor für Sozialpsychologie an der
Universität Witten/Herdecke. Er ist Autor des Buches "Klimakriege.
Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird."
tagesschau.de: Was unterscheidet denn Klimakriege von normalen
Kriegen?

Welzer: Wir haben im Kalten Krieg und in den Konflikten danach
eigentlich immer eher die ideologische Komponente gesehen, die sich
dann natürlich auch in vielfältigen Machtinteressen äußert. Aber man
hat viel zu wenig darauf geachtet, dass häufig bei Konflikten auch
Umweltfaktoren eine Rolle spielen: zum Beispiel die
Ressourcenknappheit.

Natürlich haben alle Konflikte niemals nur eine Ursache. Meine
Argumentation ist aber, dass sich durch bestimmte Klimaveränderungen
die Möglichkeiten für die dort lebende Bevölkerung verschlechtern,
noch Nahrung anzubauen oder ihr Überleben zu sichern. Das ist sichtbar
in Darfur.

tagesschau.de: Wo und zwischen welchen Parteien finden denn in Zukunft
Klimakriege statt?

Welzer: Das wird die Zukunft zeigen. Klar ist aber, verschlechterte
Umweltbedingungen führen auch zu Flüchtlingsbewegungen. Und die finden
innerhalb eines Landes statt, als Binnenmigration, und zwischen
Ländern. Beides ist konfliktträchtig, weil Flüchtlinge immer irgendwo
hinwandern, wo schon andere sind. Und das ganze kann auch noch die
Kontinente überschreiten, und damit gelangen die Konflikte und die
damit verbundenen Sicherheitsprobleme auch zu uns in die
Wohlstandsgesellschaften.

tagesschau.de: Also auch die Industrieländer könnten in umweltbedingte
Konflikte verwickelt werden, nicht nur die Entwicklungsländer?


[Bildunterschrift: Opfer des Klimawandels: Kinder in einem
Flüchtlingslager, die aus Darfur fliehen mussten. ]
Welzer: Ein Szenario was ich sehe, ohne dass man gegenwärtig schon
sagen kann, dass es dort dann zu Kriegen kommt, sind neue
Ressourcenkonflikte. So werden zum Beispiel durch das Schmelzen des
arktischen Eises neue Rohstoffvorkommen zugänglich. Die Hoheitsrechte
für solche bisher nicht zugänglichen Rohstofflager sind aber überhaupt
nicht geklärt. Und deshalb wird man auf jeden Fall darüber streiten.
Ist das dann per Vertrag zu regeln oder sind die Konflikte so groß,
dass man auch zur Gewalt greift?

tagesschau.de: Ein fairer Ausgleich zwischen den Gewinnern und
Verlierern des Klimawandels ist nicht wahrscheinlich?

Welzer: Nein, es deutet zumindest aus der Geschichte nichts daraufhin.
Wir können im Falle des Klimawandels Verursacher und Notleidende
identifizieren, und dann stellt sich die Frage der Gerechtigkeit. Die
Verursacher, die wohlhabenden Industriestaaten, müssten mehr tun. Das
wäre zwar für das Überleben der Menschheit langfristig sinnvoll, aber
das wird nicht passieren.


[Bildunterschrift: "Nicht zielführend": die Teilnehmer des G8-Gipfels
in Toyako ]
tagesschau.de: Ist das nicht zu pessimistisch? Es gibt die
Klimakonferenzen der Vereinten Nationen, wir haben G8-Gipfel zu dem
Thema gehabt. Sehen Sie da keinen wirkungsvollen Ansatz?

Welzer: Ich halte diese Dinge für notwendig, weil das alles Schritte
sind, die das Thema Klimawandel zumindest immer weiter in der
Öffentlichkeit halten. Was allerdings auf der faktischen Ebene
passiert, ist sicherlich nicht zielführend. Man nimmt diese globale
Problematik überhaupt nicht zum Anlass, grundsätzlich darüber
nachzudenken, welche Aspekte unserer Lebensform und unseres
Lebensstils kontraproduktiv sind, und welche stattdessen eingeführt
werden müssten. Um ein Beispiel zu nennen: Anstatt darüber
nachzudenken, dass unsere Mobilitätsvorstellungen wahrscheinlich nicht
überlebenstauglich sind, denkt man nur über spritsparende Autos nach.
Fehlentwicklungen werden nicht abgebrochen, sondern optimiert. Es wird
nicht konzeptuell gedacht, sondern lediglich ein bisschen an Symptomen
herumlaboriert.

tagesschau.de: Was müsste denn getan werden, um einen Ausweg aus der
Klimaproblematik hinzubekommen?

Welzer: Zunächst müssten wir uns fragen: Wie wollen wir eigentlich
leben? Wie soll die Gesellschaft der Zukunft aussehen? Was soll sie
den Leuten bieten? Worauf können wir ohne Not, sogar mit Gewinn an
Lebensqualität, verzichten? Und was sind eigentlich die Prioritäten,
die wir gesellschaftlich setzen? Ist die kurzfristige Erhöhung des
Lebensstandards auf Kosten aller kommender Generationen unsere
Priorität? Oder ist die Priorität die Sicherung des Überlebens der
kommenden Generationen? Ich würde die Fragestellung immer umdrehen und
nicht fragen: Was können wir vom gegenwärtigen Status Quo mit Gewalt
retten? Sondern: Wie haben wir den Status Quo so zu verändern, damit
eine gute Gesellschaft entsteht?

Das Interview führte Dieter Westhoff, tagesschau.de
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