Genossenschaftliches Bauen

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Patrik Keller

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Jan 30, 2021, 2:03:45 PM1/30/21
to lindenbu...@googlegroups.com
Liebe Leute,

ich hab in der letzten Mail schon angedeutet, dass ich an einer Genossenschaft für den Bau und Betrieb der Mietwohnungen im Lindenbühl-West interessiert bin. Heute liefere ich euch den ganzen Vorschlag. Meine Meinung ist noch nicht ganz ausgereift. Ich würde mich freuen, wenn Ihr ein bisschen mitdiskutiert.

Das Problem

Die Gemeinde will mit dem neuen Quartier laut Südkurier den Bedarf von jungen Reichenauern decken. Mein Eindruck ist, dass die meisten jungen Reichenauer bisher nicht wissen was geplant ist. Die, die doch Bescheid wissen, sind hauptsächlich am Bau eines Einfamilienhauses für den Eigenbedarf interessiert und das am besten direkt auf der Insel. Kaum jemand wird sich sich Gedanken über die Miet- und Eigentumswohungen gemacht haben.

Zwei (von zwei) befragten Gemeinderäten schätzen die Lage auch so ein. "Bedarf von jungen Reichenauern decken" meint scheinbar Baugrund für bauwillige junge Reichenauer schaffen. Im ersten Bauabschnitt kommen laut Plan 18 "verdichtete Einfamilenhäuser". Die Grundstücke sollen laut Gemeinderat irgendwie gerecht auf junge Reichenauer mit Bedarf verteilt werden sollen. Die Umsetzung von Miet- und Eigentumswohnungen scheint politisch kein großes Thema zu sein.

Wenn das so bleibt und sich niemand engagiert, dann könnte es passieren, dass die Gemeinde den am wenigsten aufwändigen Weg geht. Für die Eigentumswohnungen in den Wohntürmen wäre das eine öffentliche Ausschreibung für den Bau ganzer Türme. Danach Verkauf, bevorzugt an "bedürftige" junge Reichenauer. Für die Mietwohnungen wäre der einfachste Weg der Verkauf der Gründstücke an eine Wohnbaugesellschaft, die dann die Mietwohnungen baut und betreibt.

So eine Verwertung bedeutet zwar einfaches und schnelles Geld für die Gemeinde, hätte meiner Meinung nach aber zahlreiche Nachteile:

  1. Künftige Wohnungseigentümer haben kein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Wohnung und kaum Einfluss auf die späteren Nachbarn.
  2. Künftige Wohnungseigentümer zahlen einen Aufpreis, denn die Baugesellschaft will auch was verdienen.
  3. Kauf einer neuen Eigentumswohnung ist für viele junge Reichenauer finanziell nicht möglich oder sinnvoll.
  4. Die Mietwohnungen gehen komplett in die Hände einer großen gewinnorientierten Firma. Der Gewinn bleibt nicht auf der Insel. Womöglich steigen die Mieten ins Unermessliche.

Lösungsvorschlag: Genossenschaftliches Bauen

Punkt 1 und 2 könnte man mit einer sogenannten Bauherrengemeinschaft lösen: 6-10 Leute schließen sich zusammen, kaufen das Grundstück, bauen einen Wohnturm, jeder bekommt eine Eigentumswohnung, Ende der Bauherrengemeinschaft. Sowas könnte sinnvoll sein, ich möchte mich heute aber auf die Mietwohnungen und die Punkte 3 und 4 konzentrieren.

Ein mögliches Modell für den Bau und Betrieb der Mietwohnungen wäre die Baugenossenschaft: Eine Initiative heckt einen Plan aus und beschließt eine Satzung. Leute kaufen Anteile an der Genossenschaft und werden dadurch Mitglied in der Genossenschaft. Ein Anteil kostet ein paar Zehntausend Euro. Das Geld aus den Mitgliedschaften ist dann Eigenkapital der Genossenschaft. Die Genossenschaft sammelt weiteres Geld ein (Kredite und Förderungen) und lässt dann alle Wohnungen aufs Mal bauen. Es entstehen Wohnungen für alle Mitglieder, vielleicht ein Paar mehr. Die Genossenschaft betreibt die neuen Wohnungen als Mietwohnung. Die Satzung legt einen fairen Mietpreis pro Quadratmeter fest. Die Genossenschaft nutzt die Mieteinnahmen um ihre Kredite abzubezahlen. Laut Satzung haben Mitglieder ein Vorrecht auf die Wohnungen, können nach der Investition in das Genossenschaftsanteil also günstig wohnen. Änderungen an der Satzung bestimmen die Mitglieder demokratisch.

Dieser Ansatz hätte meiner Meinung nach ein paar wichtige Vorteile:

  1. Die Mitglieder gestalten ihre eigene Nachbarschaft.
  2. Die Anteile sind eine im Vergleich zur Eigentumswohnung relativ kleine Investition. Es können auch tatsächlich bedürftige Reichenauer mitmachen.
  3. Die Gewinne aus dem Betrieb der Wohnungen können auf viele Reichenauer verteilt werden, wenn die Anteile richtig vergeben werden.
  4. Die Bewohner besitzen die Verwaltung, sind also nicht einer großen Betreiberfirma ausgeliefert.

Vorteile für das Wohnen in einer Genossenschaftswohnung gibt's zum Beispiel hier: https://baugenossenschaft.info/

Beispiel

Zur Veranschaulichung hab ich mal ein Beispiel rausgesucht. Frohnhof 2 in Bad Dürkheim (https://froh2wo.de/). Die Genosschenschaft baut 41 Wohnungen in 4 Gebäuden. Die Mitglieder haben etwa ein Viertel an Eigenkapital eingebracht. Ich hab leider nicht wirklich eine Ahnung was der Bau von 41 Wohnungen kostet. Mal angenommen es sind 200.000 pro Wohnung. Dann wäre eine Mitgliedschaft für 50.000 machbar.

Fazit

Die Gründung einer Genossenschaft ermöglicht kleinere Investitionen und schafft langfristig günstigen Wohnraum. Ich denke, das ist eine gute Sache. Ich denke auch, dass sich Gemeinderat und Bürgermeister von diesen Ansatz überzeugen lassen, wenn sich eine handvoll Leute aktiv für die Idee einsetzen.

Natürlich braucht es erstmal ein paar Leute, die Bock haben sich zu engagieren. Allein will ich keine Politik machen. Wer ist dabei?


Liebe Grüße

Patrik

Tobias Keller

unread,
Jan 31, 2021, 12:41:16 PM1/31/21
to lindenbu...@googlegroups.com
Liebe Leute,

es ist zurzeit noch unklar, wie die späteren Bauplätze von der Gemeinde an die zukünftigen Bauherren vergeben werden. Ich habe mal versucht mir einen Überblick zu verschaffen was bis jetzt schon feststeht und welche Möglichkeiten der Baugrundvergabe denn überhaupt bestehen.

Da das Thema "Vergabe von Baugrund" recht kompliziert ist und vermutlich weiterer Diskussionsbedarf besteht habe ich mal einen neuen Thread in der Mailingliste aufgemacht.

Kurz zusammengefasst was ich dazu bis jetzt gefunden habe:

  • Die Ausschreibung der Grundstücke ist nach der Erschließung des ersten Bauabschnitts (2022) geplant. Laut Haushaltsplan der Gemeinde sind Einnahmen aus dem Grundstücksverkauf deshalb ab 2023 zu erwarten.
  • 47,5 % des späteren Wohnraums gehen an ZfP & Land. Der Rest wird von der Gemeinde vergeben. (SK 17.11.2020) Allerdings ist mir nicht klar wie die Verteilung von Wohnraumfläche auf Baugrundfläche übertragen wird. Das hängt ja davon ab, ob die Gemeinde nur die Reihenhäuser und Wohntürme nimmt oder ob gleichmäßig verteilt wird.
  • Im gesamten Neubaugebiet soll 30 % sozialer Wohnbau und 30 % geförderter Wohnbau entstehen. Die restlichen 40 % für den freien Wohnungsmarkt. (SK 17.11.2020) Diese Verteilung bezieht sich auf Grundstücksflächen – nicht auf Wohnraumfläche. (Auswertung S.109) Inwieweit das mit der Verteilung auf Land/ZfP/Gemeinde kollidieren kann weiß ich nicht. Wenn von der Gemeinde z. B. Reihenhäuser vergeben werden, geht ein Großteil der restlichen Wohnraumfläche ja an ZfP/Land.
  • Von den Teilnehmern an Bürgerbefragung/Diskussionsforum wurde oft gefordert, dass soziale Aspekte und Verbundenheit mit der Gemeinde bei der Vergabe von Baugrund und Wohnraum berücksichtigt werden sollen. Gleichzeitig sollen Großinvestoren nach Möglichkeit ausgeschlossen werden. (Auswertung S.32 f.)
  • Im Diskussionsforum war ein Punktesystem zur Vergabe von fertigen Wohnungen und Reihenhäusern bereits Thema. Auch ein Vorkaufsrecht für Bürger der Gemeinde wurde diskutiert, allerdings ist mir nicht klar, ob es hier um den Bauplatz oder die späteren Wohnungen geht. (Auswertung S.81)
  • Im Diskussionsforum wurde die Frage gestellt, ob ein Vorkaufsrecht für Baugruppen berücksichtigt werden soll. Das zielt auf die Vergabeart von Baugrund für Reihenhausketten und MFH ab. Die Diskussion dazu war leider nicht unbedingt zielgerichtet. (Auswertung S.82)


Kleiner Exkurs ins Thema Vergabe von Baugrund:

Das Bieterverfahren ist das übliche Vergabeverfahren und läuft auch genau so ab wie man sich das vorstellt. Die Gemeinde stellt Baugrund zum Verkauf und der Höchstbietende bekommt den Zuschlag. Große Investoren sind eher bereit einen höheren Preis für den Baugrund zu bezahlen, da sie gleich mehrere Grundstücke kaufen. Die höheren Kosten für den Baugrund können sie durch niedrigere Planungs- und Baukosten ausgleichen, wenn sie mehrere Gebäude gemeinsam planen und bauen. Um das noch weiter zu fördern, kann der Baugrund schon für die Vergabe zu Paketen geschnürt werden. Dann können nur noch Angebote für den Baugrund von ganzen Reihenhausketten oder im Extremfall für einen kompletten Bauabschnitt abgegeben werden.

Im Gegensatz zum Bieterverfahren zielt eine Konzeptvergabe nicht auf das Höchstgebot, sondern auf das "Bestgebot" ab. Die Gemeinde legt Ziele fest, die im Neubaugebiet möglichst umfassend umgesetzt werden sollen. Die Investoren geben zusätzlich zum Kaufpreisangebot ein Konzept zur späteren Bebauung und Nutzung ab, das zeigt wie sie die Ziele der Gemeinde erfüllen wollen. Den Zuschlag bekommt der Bieter mit der besten Kombination aus Zielerfüllung und Angebotspreis.

Ähnlich zur Konzeptvergabe ist das "Einheimischenmodell". Die Gemeinde legt hier einen üblichen Preis für Baugrund fest, welche in etwa dem Marktwert entspricht. Außerdem veröffentlicht sie so etwas wie einen Punktekatalog, mit dem Einheimische Ermäßigungen auf den festgelegten Grundstückspreis sammeln können. Umso mehr Punkte man sammelt, desto höher sind die Chancen den Baugrund zu einem fairen Preis kaufen zu können. Alles, was an Baugrund nicht an Einheimische vergeben wurde, kann danach von der Gemeinde in einem normalen Vergabeverfahren (Konzeptvergabe/Bieterverfahren) verkauft werden. In Bayern ist das Einheimischenmodell recht weit verbreitet, wird aber auch in BW inzwischen gemacht. Da die Bevorzugung im Vergabeverfahren recht schnell mit der Gesetzgebung kollidiert, gibts einen Leitfaden wie ein Punktekatalog aussehen kann: https://www.stmb.bayern.de/buw/staedtebau/einheimischenmodell
Außerdem gibt es vom Gemeindetag Baden-Württemberg die "Handreichung zur Bauplatzvergabe", welche lesenswert sein könnte, die ich bis jetzt allerdings noch nirgends finden konnte.

Ein vereinfachtes Einheimischenmodell wäre die Direktvergabe. Einheimische Interessenten werden auch hier nach Punkten bewertet. Mit den gesammelten Punkten wird nur die Reihenfolge der Bauplatzwahl bestimmt. Alle bezahlen für den Baugrund den vorher von der Gemeinde festgelegten Preis und was nicht an Einheimische verkauft wurde, wird in ein Bieterverfahren überführt.

Interessant für uns und Lindenbühl-West:

Mit Direktvergabe und Einheimischenmodell lassen sich Baugrundstücke von der Gemeinde gezielt an Einheimische zu fairen Preisen verkaufen und Großinvestoren dürfen erst ran, wenn der lokale Bedarf gedeckt ist. Es sind Kriterien wie z. B. Bedürftigkeit, Kinder, Wohnsitz (Dauer), Alter, Ehrenamt & Vereine, Einkommen, Besitz von Immobilien usw. denkbar. Wie sich ein Punktesystem aus Einheimischenmodell und Direktvergabe auf Baugruppen oder Genossenschaften (mehrere Interessenten auf einem Bauplatz) übertragen lässt ist mir aber noch nicht klar.

Ich denke, dass unabhängig von der späteren Wohnform (MFH/RH) und der Organisation (Baugruppe/Genossenschaft/Alleine) die alternativen Formen der Baugrundvergabe für das Baugebiet interessant sind. Ein Bieterverfahren ist, auch wenn der Wohnraum anschließend an Reichenauer vermietet oder verkauft wird, nicht unbedingt im Interesse der Bevölkerung und der Gemeinde.

Mir ist bewusst das Thema Baugrundvergabe recht unübersichtlich ist und vermute deshalb, dass noch Fragen offen sind. Genauso gehe ich davon aus, dass sich bei mir ein paar Fehler eingeschlichen haben. Wenn Ihr auch noch ein bisschen Input oder Korrekturvorschläge zum Thema habt, könnt Ihr gerne auf diese Mail antworten. So bekommen wir hier vielleicht eine umfassende Sammlung an Informationen und Meinungen zusammen.

Schöne Grüße 
Tobias




--
Linksammlung zum Thema Baugrundvergabe:

Hier ist recht verständlich beschrieben, in welchen Fällen sich eine Konzeptvergabe anbieten kann und was bei der Vergabe allgemein zu Beachten ist: 

Sowie hier nochmal eine ausführliche Gegenüberstellung von Konzeptvergabe zum Bieterverfahren: 

Leitfaden zum Einheimischenmodell: 

Hier mal zwei beispielhafte Vergaberichtlinien:

Ein aktuelles und lokales Beispiel zu den Möglichkeiten eines Kriterienkatalogs gibts hier:

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