Bei diesem vielen Regen ein vielleicht passendes Thema?
SÜDDEUTSCHE, 4.7.2012: Panorama
Großes Gemüse
Nach 'Urban Gardening' kommt 'Urban Farming': Wie Firmen und Forscher mit Containergärten die Selbstversorgung der Städter planen
Von Frederik Obermaier
Die Zukunft gluckst und gluckert, und sie riecht nach Fisch. 200 graue
Buntbarsche tummeln sich eng gedrängt in einem 1000-Liter-Aquarium. Die
subtropischen Speisefische, im Fachjargon oreochromis niloticus, arbeiten, wenn
man so will. Ihr Becken gehört zum Projekt 'Containerfarm': Ihr Aquarium steht
in einem Überseecontainer, hier sollen sie fressen und wachsen. Das Wasser mit
den Fisch-Ausscheidungen fließt in große blaue Behälter, wird gefiltert und ins
Aquarium zurück- sowie auf das Dach des Containers geleitet, in ein
Gewächshaus. Dort fließt es durch mehrere Beete, Tomatenstauden stehen darin,
Basilikum, Kürbispflanzen, in einer Ecke wachsen Gurken. 'So sieht die Zukunft
aus', sagt Christian Echternacht von der Firma Efficient
City Farming (EFC).
Der 41-Jährige hat eine Vision: Statt auf dem Land soll das Gemüse für die
Großstädter künftig in den Großstädten produziert werden. In 'Stadtfarmen', wie
Echternacht die Großversion des Projekts 'Containerfarm' nennt. Pro Jahr sollen
sie mehrere Tonnen Gemüse und Fisch produzieren. Es ist die Idee Schrebergarten
2.0, die New York Times spricht gar von der 'Farm der Zukunft'.
Lange schon ist Gärtnern in der Stadt nicht mehr nur Trend, sondern Alltag. Ob
in München, Berlin oder Hamburg - in zahlreichen Großstädten ziehen
Stadtbewohner in kleinen Gemeinschaftsgärten, auf Verkehrsinseln und
Randstreifen eigene Tomaten, Salatpflänzchen und Zucchini. 'Urban Gardening'
sagen viele längst, wenn sie die Gemüseproduktion für den Eigenbedarf in der
Stadt meinen. Das Start-Up-Unternehmen Efficient City Farming denkt dagegen in
viel größeren Dimensionen. 'Wir sind die Pro-Variante des Urban Gardening',
sagt Echternacht etwas schwurbelig. Mit 'pro' meint er professionell - und
schwärmt von Containerfarmen auf Flächen so groß wie Fußballfelder, von Gärten
über Großparkplätzen, von Urban Gardening als Massenproduktion - oder, wie
manche auch schon sagen: Urban Farming.
Echternacht nennt es etwas umständlich die 'ökologische und ökonomische
Ergänzung' zur klassischen Landwirtschaft. Geht es nach dem City-Farmer, dann
sollen Stadtbewohner bald selbst sehen können, wie lange es dauert bis aus
einem grünen Kügelchen eine prallrote Tomate und aus einem kleinen Stängel eine
Gurke geworden ist. 'Die Städter sollen wieder einen Bezug zu dem bekommen, was
sie essen.' Sie sollen sehen, dass keine Pestizide verwendet werden, dass die
Fische nur Biofutter bekommen. Die Metropole als Ökotraum für Selbstversorger.
Mit zwei Freunden hat Echternacht investiert, er hat Patentgebühren gezahlt,
einen Prototyp der Containerfarm bauen lassen und ist mit seinem Büro in eine
stillgelegte Malzfabrik im Süden Berlins gezogen. Im Hof, wo früher Malz für
die Brauereien verladen wurde, steht der Überseecontainer mit Gewächshaus auf
dem Dach - die 'Containerfarm'. Gurken, Salat und Tomaten hat Echternacht in
diesem Jahr schon geerntet, die 'Hauptstadtbarsche', wie er die Buntbarsche im
Container selbstbewusst nennt, sind allerdings noch Hauptstadtwinzlinge.
Wie die Zukunft aussieht, erklärt Echternacht gerne an grünen Schautafeln. Dass
bis 2050 mehr als sechs Milliarden Menschen weltweit in Städten leben werden.
Dass sie irgendwie mit Nahrung versorgt werden müssen, dass das Wasser immer
knapper wird, dass dies ein Problem werden könnte. Echternacht erklärt aber
auch, wie die Lösung in seinen Augen aussehen könnte. 'Sie heißt Aquaponik.' So
wie Aquakultur (also Fischzucht) plus Hydroponik (Aufzucht von Pflanzen in
Wasser): Der Ammoniak in den Fäkalien der Fische wird zu Nitrat umgewandelt,
dieses fließt im Wasser durch mehrere Beete, in denen Tomaten, Gurken und
Kürbisse auf Steinwollkissen wachsen. Das Wasser wird somit doppelt genutzt.
Aus dem Abfall der Fischzucht wird Dünger für die Tomaten und aus dem Kohlendioxid
der Fische machen die Pflanzen Sauerstoff. Am Ende können Pflanzen geerntet und
Fische geschlachtet werden - mitten in der Stadt, ohne lange Transportwege.
Klingt gut, doch die Idee ist nicht neu. Bereits 2009 eröffnete die erste
kommerzielle Aquaponik-Farm der USA in Milwaukee. Die Industriestadt gilt als
Mekka der Aquaponik. In einer stillgelegten Kranfabrik schwimmen dort Schwärme
von Barschen. Auf Barbados wird sogar an einer Aquaponik-Insel gearbeitet, in
Zürich stehen Tomaten-Fisch-Container, in London produziert ein 'Farm:shop' in
einem Laden frisches Gemüse und frische Krabben. Nun soll Berlin folgen - und
auch zur Urban-Farm-Metropole werden.
Was im Hof der Berliner Malzfabrik gluckst und gluckert ist ein System des
Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. ASTAFpro
nennen es die Wissenschaftler, es ist die Weiterentwicklung der herkömmlichen
Aquaponik, ECF besitzt die exklusiven Nutzungsrechte für Europa und Amerika.
Das Wasser aus der Fischzucht fließt nun nicht mehr direkt zu den Tomaten,
sondern wird dosiert. 'Das sind zwei vollkommen unterschiedliche
Lebensbereiche', sagt Sven Würtz vom Berliner Leibniz-Institut, 'Fische
brauchen einen hohen pH-Wert, Pflanzen einen niedrigen.' Vor ASTAFpro wählten
die urbanen Farmer schlicht einen Mittelwert. 'Das läuft irgendwie, aber nicht
ideal.' Mit dem neuen System, so hoffen die Wissenschaftler, wird Aquaponik nun
massentauglich.
Eine Containerfarm hat Efficient City Farmig für etwa 35000 Euro im Angebot. Es
ist das kleinste Modell, eigentlich denkt die Firma in größeren Dimensionen.
Echternacht und seine Kollegen haben die Vision von der größten Dachfarm der
Welt. Sie soll auf und unter dem Dach der alten Malzfabrik entstehen, auf etwa
7000 Quadratmetern Fläche. In den Becken, in denen einst die Gerste eingeweicht
wurde, soll dann exotischer Speisefisch schwimmen, daneben das Gemüse wachsen -
und zwar tonnenweise. 'Pro Quadratmeter rechnen wir jährlich mit 50 Kilo
Tomaten', sagt Echternacht. Pro Jahr isst der durchschnittliche Deutsche etwa
24 Kilo des Gemüses, ein Quadratmeter Aquaponik kann damit in der Theorie den
Tomatenbedarf von zwei Menschen decken. Wie viele Personen mit einer
Containerfarm versorgt werden können, hängt dann jedoch vom Klima und der
angebauten Gemüsesorte ab.
Wissenschaftler schwärmen jedenfalls von den Möglichkeiten - oft haben sie
eigene Aquaponik-Verfahren patentiert. Es lockt das große Geschäft. Und daran
wollen auch Echternacht und seine zwei Teilhaber teilhaben. Auf Supermärkten
möchten sie Dachfarmen errichten oder über den Parkplätzen do, auf drei Meter
hohen Stelzen. 'Erste Gespräche mit dem Einzelhandel laufen schon', sagt
Echternacht. In den USA hat eine Urban-Farming-Firma bereits eine Kooperation
mit der Supermarktkette McCaffrey"s geschlossen - dabei geht es allerdings
um schlichte Gewächshäuser, nicht um die Kombi-Version mit integrierter
Fischzucht.
ECF schreibt derzeit nach eigenen Angaben an Dutzenden Machbarkeitsstudien,
nach ersten Medienberichten kamen Anfragen aus China, Südafrika und Australien.
Umgesetzt hat Echternachts Firma aber bislang noch kein Großprojekt. Die
einzige fertige Stadtfarm der Firma ist der Überseecontainer im Hof, mit den
Buntbarschen im Becken. In drei Monaten, wenn sie ein halbes Kilo schwer sind,
werden sie geschlachtet, doch der Traum von einer Farm mitten in der Stadt wird
wohl weiterleben.