HintergrundPatientInnen mit Zwangsstrungen werden in klinischer Forschung und Praxis hufig nicht erkannt oder fehldiagnostiziert, wodurch es zu verzgerten und unzureichenden Behandlungen kommt. Ein Aspekt, der mageblich dazu beitrgt, sind unter anderem unzureichende Screening- und Diagnostikinstrumente, da bestehende Fragebgen zur Erfassung von Zwangsstrungen zu einem groen Teil Limitationen hinsichtlich ihrer psychometrischen Qualitten und ihrer Aktualitt unterliegen. Mit der Dimensional Obsessive-Compulsive Scale (DOCS) steht im englischsprachigen Raum seit mehreren Jahren bereits ein vielversprechendes Instrument zur Erfassung von Zwangsstrungen zur Verfgung. Patienten und Methoden: Ziel der vorliegenden Arbeit war es, erstmalig die Faktorstruktur sowie die psychometrischen Eigenschaften der deutschsprachigen DOCS-Version zu berprfen. Hierzu wurden 177 PatientInnen (107 mit Zwangsstrung, 30 mit Angststrungen und 40 mit Depression) sowie eine nicht-klinische Kontrollgruppe mit 223 Probanden untersucht. Ergebnisse: Die vierfaktorielle Originalstruktur der DOCS konnte in explorativen und konfirmatorischen Faktoranalysen repliziert werden. Interne Konsistenzen und die zeitliche Stabilitt der DOCS fielen akzeptabel bis sehr gut aus. Die Konstruktvaliditt der DOCS-Gesamtskala fiel zufriedenstellend bis gut aus. Die Kriteriumsvaliditten fielen bedingt zufriedenstellend aus. Die diagnostische Genauigkeit der DOCS fiel befriedigend aus. Schlussfolgerung: Die deutsche Version der DOCS ist ein robustes, reliables und erstmals validiertes Instrument zur dimensionalen Beschreibung des Schweregrads von Zwangsstrungen.
Background: Patients with obsessive-compulsive disorder are often misdiagnosed in clinical research and practice, resulting in delayed and inadequate treatment for patients. Deficient screening and diagnostic instruments contribute to this, since existing questionnaires for obsessive-compulsive disorders are subject to limitations with regard to their psychometric qualities and their topicality. The Dimensional Obsessive-Compulsive Scale (DOCS) is a promising instrument for assessing obsessive-compulsive disorders. Patients and Methods: The aim of the present study was to examine for the first time the factor structure and the psychometric properties of the German-language DOCS version. A total of 177 patients (107 with obsessive-compulsive disorder, 30 with anxiety disorder, and 40 with depression) and a non-clinical control group with 223 subjects were examined. Results: The original four-factor structure of the DOCS could be replicated in explorative and confirmatory factor analyses. Internal consistency and temporal stability of the DOCS were acceptable to very good. The construct validity of the overall DOCS scale was satisfactory to good. The criterion validities were conditionally satisfactory. The diagnostic accuracy of the DOCS was satisfactory. Conclusion: The German version of the DOCS is a robust, reliable, and for the first time validated instrument for the assessment of obsessive-compulsive disorders.
Diese Heterogenitt der Zwangsstrung fhrt in der Diagnostik vor allem bei Selbstberichtsfragebgen zu Problemen. Das Fremdbeurteilungsinstrument Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (Y-BOCS) [Hand und Bttner-Westphal, 1991] gilt bislang meist als Goldstandard zur Diagnostik der Zwangsstrung [Storch et al., 2010]. Die Y-BOCS zeigt in der Originalversion von Goodman et al. [1989a] eine sehr hohe Interrater-Reliabilitt. Daneben zeigt sich eine gute konvergente Validitt und eine moderate diskriminante Validitt [Goodman et al., 1989b]. Bei der Bewertung der Symptomatik mit der Y-BOCS nimmt der Interviewer eine Zusammenfhrung der dimensionalen (Heterogenitt im Erscheinungsbild) und der quantitativen Aspekte der Zwangssymptomatik (Schweregrad) vor. Dies erfolgt ber die Erfassung aller Symptome mittels einer Checkliste und der darauffolgenden Einschtzung von Zeitdauer, Vermeidung, Leid, Beeintrchtigung, und Widerstand. Hierbei geht allerdings der qualitative Aspekt der kategorialen Diagnostik verloren, weswegen die genaue Ausprgung jedes Symptoms nicht dargestellt werden kann.
Zur Erfassung von Zwangssymptomen gibt es bereits eine Reihe von bestehenden Selbstbeurteilungsfragebgen, wie das Obsessive-Compulsive Inventory (OCI) [Foa et al., 2002] und das Padua Inventory (PI) [Sanavio, 1988; Gnner et al., 2007, 2010]. Zustzlich ist im deutschsprachigen Raum das Hamburger Zwangsinventar (HZI) [Zaworka et al., 1983; Klepsch et al., 1991] verbreitet. Die Fragebgen sind konomisch in der Durchfhrung und haben gute psychometrische Qualitten, zeigen allerdings eine Reihe von Limitationen, die nachfolgend aufgelistet sind:
Zwangsgedanken und Zwangshandlungen werden getrennt beurteilt, obwohl sie hufig einen funktionalen Bezug zueinander aufweisen. So werden kontaminationsbezogene Zwangsgedanken und Zwangshandlungen wie Waschen, Subern und/oder Desinfizieren in den meisten Fragebgen ber zwei oder mehrere Fragen beurteilt. In der Funktionalitt der Strung dienen Zwangshandlungen hufig dazu, Zwangsgedanken zu neutralisieren. Aus diesem Grund sollten diese also in der Schweregradbeurteilung gemeinsam betrachtet werden.
Daneben entspricht beispielsweise der OCI-R nicht der neuesten klassifikatorischen Differenzierung von Zwangsstrungen und Zwangsspektrumsstrungen. So wird Horten mit in den Selbstbeurteilungsfragebogen eingeschlossen, was nicht mehr der aktuellen Klassifikation des DSM-5 [American Psychiatric Association, 2013] entspricht, wo Horten als eigenes Strungsbild den Zwangsspektrumsstrungen zugeordnet wird.
Initial entwickelt wurden die DOCS-Items von Jonathan S. Abramowitz und Brett J. Deacon [Abramowitz et al., 2010] mit dem Ziel, die am hufigsten gefundenen Symptomcluster der Zwangsstrung [McKay et al., 2004; Mataix-Cols et al., 2005] abzudecken. Daraus entstanden 20 Items, die sich auf vier Symptomcluster (Kontamination, Verantwortung, Symmetrie und Ordnung und Inakzeptable Gedanken) beziehen. Innerhalb dieser Symptomcluster wird ber jeweils fnf Items (a) die Dauer, (b) das Vermeidungsverhalten, (c) das Leiden, (d) die Beeintrchtigung und (e) der persnliche Widerstand auf einer 5-stufigen Skala mit variierenden Schweregradbeschreibungen (0 = keine Beschwerden/Beeintrchtigungen, 4 = extreme Beschwerden/Beeintrchtigungen) erfasst. Die einzelnen Items sind, wie in der Originalversion, auch im Deutschen inhaltlich auf die Symptomcluster angepasst. Die Befragung bezieht sich auf den letzten Monat. Die deutschsprachige Version der DOCS ist online unter
www.karger.com/doi/10.1159/000510093 verfgbar.
Die Diagnosen der PatientInnen wurden in allen Einrichtungen von approbierten PsychotherapeutInnen mithilfe des Strukturierten Klinischen Interviews fr DSM-IV (SKID) [Wittchen et al., 1997] gestellt und in ICD-10-Diagnosen berfhrt. Die PsychotherapeutInnen haben die Ein- und Ausschlusskriterien geprft, weswegen nur PatientInnen an der Studie teilnahmen, die von den PsychotherapeutInnen anhand dieser Kriterien als geeignet eingeschtzt wurden. Es htten auch solche PatientInnen, deren Erstdiagnose eine andere psychische Erkrankung darstellte, eingeschlossen werden knnen, dies war aber nicht der Fall. Alle PatientInnen mit einer Zwangssymptomatik hatten eine Erstdiagnose Zwangsstrung. Aufgrund der Ausschlusskriterien Schwangerschaft, derzeitiger Tavor-Entzug, hirnorganische Strung und/oder Wahnvorstellungen und Halluzinationen wurden drei PatientInnen von der Studienteilnahme ausgeschlossen (einmal Tavor-Entzug, zweimal wegen einer falschen Zieldiagnose).
Insgesamt nahmen 400 Personen an der vorliegenden Validierungsstudie teil. Darunter waren 223 nicht-klinische TeilnehmerInnen, 107 PatientInnen mit Zwangsstrung, 30 PatientInnen mit Angststrungen und 40 PatientInnen mit Depression. Die stationre und ambulante Behandlung basierte auf den Prinzipien der KVT und beinhaltete Exposition mit Reaktionsverhinderung. Die Daten der nicht-klinischen Kontrollgruppe (n = 223) wurden ber soziale Netzwerke und E-Mail-Verteiler erhoben. Die demografischen Merkmale der TeilnehmerInnen, aufgeschlsselt nach den einzelnen Gruppen, und die Erhebungsorte sind in Tabelle 1 dargestellt. Eine Sub-Stichprobe von 107 TeilnehmerInnen nahm drei bis zwlf Wochen nach dem erstmaligen Test an einer Re-Testung teil. Es liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Medizinischen Fakultt der Universitt Leipzig vom 23.06.2016 vor (217/16-ek).
Zustzlich zur DOCS (die oben genauer beschrieben wurde) wurden die nachfolgenden Fragebgen in der Studie erhoben. Zur Erfassung der konvergenten Validitt wurden die Yale-Brown Obsessive-Compulsive Scale (Y-BOCS), das Obsessive-Compulsive Inventory-Revised (OCI-R) und das Padua Inventory-Palantine Revision (PI-PR) verwendet. Zur Erfassung der diskriminanten Validitt wurden das Beck-Depressions-Inventar (BDI-II), das Beck-Angst-Inventar (BAI) und die Social Interaction Anxiety Scale (SIAS) verwendet.
Erfragt wurden Geschlecht, Alter, hchster Schul- und Berufsabschluss, derzeitig ausgebter Beruf, aktuelle Wohnsituation, Anzahl der Sozialkontakte und die aktuelle Medikation sowie die Ausschlusskriterien Hirnorganische Erkrankungen, Posttraumatische Belastungsstrung, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen, Tavor-Entzug und Schwangerschaft.
In der vorliegenden Studie wurde die Y-BOCS in der deutschen Selbstratingversion des von Goodman et al. [1989a] entwickelten und von Hand und Bttner-Westphal [1991] ins Deutsche bersetzten Fremdbeurteilungsinstruments zur Erfassung des Schweregrades von Zwangsstrungen verwendet. Die Y-BOCS besteht aus 10 Items und erfasst Zwangshandlungen und Zwangsgedanken getrennt voneinander, wobei die Schwere der Symptomatik ber fnf Bereiche (Zeit, Vermeidung, Leid, Widerstand, Beeintrchtigung) in einem fnfstufigen Antwortformat erfragt wird (0 = keine Symptome bis 4 = schwere Symptome). Die deutsche Version der Y-BOCS verfgt ber sehr gute psychometrische Eigenschaften [Jacobsen et al., 2003]. In der vorliegenden Studie wurde die Y-BOCS als Selbstratingverfahren eingesetzt [Schaible et al., 2001].
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