Sie kämpfen zwar nicht an der Front, aber dafür in allen anderen Bereichen der libyschen Revolution. Frauen nutzen den politischen Aufbruch im Osten, um ihrerseits auszubrechen aus einer konservativen Gesellschaftsstruktur. Und sie erfahren Unterstützung von den Männern.
Von Esther Saoub, ARD-Hörfunkstudio Kairo
[Bildunterschrift: Anti-Gaddafi-Demonstration in Bengasi: Immer mehr Frauen gehen für ihre Forderungen auf die Straße. ]
Im Kinderkrankenhaus von Bengasi sind freiwillige Helferinnen zusammengekommen. Sie packen Taschen für die Kämpfer an der Front: Socken, Unterwäsche, Seife, Waschmittel, Zahnpasta, Deo - alles gespendet - stecken sie in Beutel, auf denen die Namen großer Fußballvereine stehen. Thanna, eines der Mädchen, die die Beutel füllen, erzählt, ihr Freund kämpfe bei Brega: "Wenn er an der Front ist, gibt es keine Verbindung zu ihm. Das Mobilnetz funktioniert nur, wenn er nach Adschdabija kommt. Dann kann er mich anrufen, und erzählen, wie es ihm geht." Und sie ergänzt: "Ich drücke meine Hochachtung vor den Kämpfern aus, hoffentlich bleiben sie gesund." Seit Oktober seien sie ein Paar, murmelt sie noch, dann kommen ihr die Tränen. Ihr Freund hat drei seiner Kameraden verloren, durch einen versehentlichen NATO-Angriff.
Als sie mit dem Packen fertig ist, geht Thanna zurück in den Vortragssaal des Krankenhauses. Hier macht sie einen Erste-Hilfe-Kurs. Eigentlich ist sie zwar Pädagogikstudentin, aber die Uni ist geschlossen und Sanitäter werden derzeit am dringendsten gebraucht.
Mit der Revolution am 17. Februar haben sich die Frauen in Ostlibyen nicht nur von einem diktatorischen Regime befreit, sondern auch begonnen, aus einer patriarchalischen Gesellschaft auszubrechen. "Der Zusammenhalt zwischen den Frauen und auch mit den Männern hat sich völlig verändert", sagt Esraa. Sie ist seit den ersten Tagen der Revolution täglich auf dem zentralen Platz vor dem Gerichtsgebäude in Bengasi. "Wir haben hier ein Zelt. Die Männer unterstützen uns, wo sie können. Wenn wir etwas erledigen wollen, gehen sie mit. Sie sorgen sich um uns, als wären sie unsere Brüder. So etwas hat es hier noch nie gegeben. Frauen und Männer arbeiten zusammen, als wären sie Geschwister."
[Bildunterschrift: "Weg mit Gaddafi" - das ist die Forderung der Demonstranten. ]
Zwei Putztrupps ziehen vorbei: seit die meisten Gastarbeiter das Land verlassen haben, kehren die Libyer freiwillig selbst ihre Straßen - junge Frauen und Männer, auch das war vor der Revolution undenkbar. Viele Frauen gingen kaum aus dem Haus. Die Unternehmerin Fawzia Ferjani geht heute nicht nur aus dem Haus, sondern sie fährt bis an die Front. Ihr Mann ist Chirurg und behandelt verletzte Kämpfer. Fawzia verteilt die Beutel, die sie mit den Helferinnen im Kinderkrankenhaus gepackt hat. "Wir sind mehrmals beschossen worden: in Brega und auch in Ras Lanuf. Gaddafis Milizen haben uns verfolgt, als die Rebellen auf der Flucht waren", erzählt sie. "Aber ich habe keine Angst: Wer ein Ziel hat, der hat keine Angst. Je mehr sie uns beschießen, desto beharrlicher werden wir. Wir schauen immer nach vorne."
Manchmal übernachten die 40-Jährige und ihr Mann an der Front. Dann sitzt sie als einzige Frau mit den Kämpfern ums Lagerfeuer. "Die Jungs erzählen mir, wie es ihnen geht. Manche sagen, schade dass meine Frau nicht auch hier ist, oder meine Schwester. Sie haben sich daran gewöhnt, dass ich dabei bin - seit den ersten Tagen."
Wenn sie an die Front fährt, zieht Fawzia als Sonnenschutz eine Baseballmütze über ihr Kopftuch. Aber das nahe Geschützfeuer habe ihr trotzdem die Haut verbrannt, klagt sie. Und fügt dann lächelnd hinzu: "Wenn das hier alles vorbei ist, gehe ich mal zur Kosmetikerin."