Am 24.03.23 um 23:30 schrieb Dietz Proepper:
Das war er. Mühelos. Ein Titan.
Letztes Jahr ist er gestorben. Seine Schüler haben ihm als letzte Ehre
die große Todesanzeige erstellt (und finanziert, klar). Da waren lauter
Ordinarien und Professoren und Kliniksleiter darunter, und meine
niedergelassene Landarzt-Wenigkeit.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Riecker
Einen vergleichbaren Mann und Chef habe ich nie wieder erlebt.
Und er war ein Tyrann und absolutistischer feudalistischer
Alleinherrscher. Das alles auch. Macht. Entschlußkraft. Unbedingter
stählerner Willen.
In jeder Klinikskonferenz hat er allein seine 5 Professoren Oberärzte
und alle seine 35 promovierten Ärzte- einfach an die Wand gedrückt.
Unvorstellbar heute, wo Chefs nur Angestellte einer allmächtigen
Verwaltung sind und neben der Pflegedienstleitung stehen.
Weißt Du, wahrscheinlich hat sich niemand beschwert der unter Dschinghis
Khan einen Reiterhaufen befehligt hat und es überlebt hat. So etwa muss
man sich das analog heute vorstellen.
Und à propos Hierarchie: Ich war nach dem Studium ja erst noch bei bei
der Bundeswehr. Die hatten im Vergleich überhaupt keine Hierarchie. Da
hat jeder in seiner Ecke geschützt von der Dienstvorschrift gemacht oder
eben nicht gemacht, was er wollte.
Was Hierarchie ist, habe ich in der Med I erlebt.
Ein ausstenstehender Kenner und Beobachter hat mal gemeint, das sei
keine Klinik, sondern eine paramilitärische Kampfgruppe...
Dem Laden habe ich 300 Stunden meines Lebens geopfert. Jeden Monat wieder.
Eher mein ganzes Leben zwischen 27 und 40. Am härtesten die 2 Jahre als
Stationsarzt seiner Privatstation, zwar mit 3 unterstellten Kollegen
aber eben direkt mit ihm. Am Dienstag und Donnerstag hat er seine
Privat-Station F22 besucht und seine Patienten visitiert. Da musste ich
liefern. Am Samstag nochmal dasselbe, da war eher die Sozialvisite. Hat
aber auch so den ganzen Vormittag gedauert. Ein Privatpatient sah ihn
also mit Glück nur 2 oder 3 mal in der Woche. Ein gesetzlich
Versicherter sah ihn nie, nur 2 mal im Jahr wurde jede normale Station
von ihm visitiert, das war eine 4 Wochen lang vorbereitete Show. Statt
Powerpoint (gab es noch nicht) waren alle Graphiken zu den Verläufen
einzelner Patienten handgezeichnet auf großem Millimeter-Papier,
Mikroskope standen vorbereitet aufgebaut zum durchgucken, aus Konsilen
(er wollte täglich dazulernen) wurden Kurzvorträge zum Stand der
Forschung erstellt und vorgetragen- vor dem Patientenzimmer, der störte
bestenfalls. Dias und Flip-Chart ergänzten.
Ach, jeden Freitag gab es eine "Schwerkrankenvisite". Jeder Stationsarzt
der 9 Stationen hatte einen Fall vorzutragen- ohne Patient, der wurde
nie dazugebeten. Nur der Vortrag des Falles musste sitzen und
erfolgreich diskutiert werden gegen alle Kritik die seine 5 begleitenden
Oberärzt-Professoren einwarfen ("Rieckers Meute" nannte sein
chirurgischer Konterpart Prof. Heberer die fünf)
Die besten Showmen haben da teils das Blaue vom Himmel
heruntergeschwindelt. Das wußte und tolerierte er- er wollte seine Leute
auf souveräne Vortragstechnik und Diskussionstechnik trainieren, und das
konnte anschließend jeder der diese Schule erfolgreich durchlief, und
hat sich bei der nächsten akademischen Veranstaltung mit oder gegen Med
II und Med III oder national/international entsprechend gut geschlagen.
Daher die vielen Ordinarien und Professoren die aus seiner Klinik
hervorgingen.
Wenn ich gewußt hätte, daß ich mich da drin 13 Jahre halten konnte mit
den selbstkündigenden Kettenverträgen, hätte ich langfristiger geplant
und es vielleicht doch geschafft mich zu habilitieren. Ich sag ja, in
jedem Lebenslauf ist "room for improvement".
Im nächsten Leben vielleicht...
Aber der Mann war "Impressive. Most impressive".
Gruß
Joachim