Salve allerseits,
Dr. Joachim Neudert schrieb:
>
> Was sind denn das für technische Probleme? An den 30 Jahre lang
> eingeweckten halb zerfallenen DDR-MANPADs Strla, oder auch an der
> Panzerfaust 3 oder dem MG3? Dn Helmen? Der Munition? Weiß jemand
> was?
>
+--- <hier abknabbern> ---
| *ZEIT ONLINE*: Der ukrainische Präsident und der ukrainische Botschafter
| fordern Deutschland vehement auf, mehr Waffen zu liefern. Die Bundeswehr
| konnte bislang nur wenig helfen. Sind deren Bestände tatsächlich so leer?
|
| *Wolfgang Richter*: Die offizielle Begründung lautet, dass wir nur
| Waffen liefern können, die wir nicht selbst für die Landesverteidigung
| brauchen. Das gilt allerdings nur für die Systeme, die nicht kurzfristig
| ersetzbar sind. Die Rüstungsindustrie ist durchaus in der Lage, größere
| Mengen zu produzieren. Die Bundeswehr kann sicherlich mehr abgeben, als
| öffentlich bekannt gegeben wird. Zudem kann die Bundesregierung Waffen
| bei den Herstellern kaufen. Und das geschieht meines Wissens auch. So
| gehen Maschinenkanonen und Maschinengewehre an die Verteidiger.
| Die Bundesverteidigungsministerin kann hier aus Sicherheitsgründen nicht
| mehr ins Detail gehen. Ich bin mir sicher, dass wir mehr an die Ukraine
| übergeben haben, als aktuell öffentlich bekannt ist. Die Geheimhaltung
| ist sinnvoll, damit keine Details über die anstehenden Transporte
| bekannt werden, welche das Transportpersonal gefährden könnten.
|
| *ZEIT ONLINE*: Was könnte die Ukraine aus Deutschland gebrauchen?
|
| *Richter*: Am besten erhalten die Ukrainer das Kriegsgerät, das sie
| kennen. Also Material, das in Osteuropa oder in der Sowjetunion
| produziert wurde. Dazu gehören etwa die gepanzerten Fahrzeuge, die nun
| aus Tschechien kommen sollen, aber einst zur Bundeswehr gehörten. Nicht
| jede Lieferung an die Ukrainer ist auch sinnvoll. An modernen
| Kampfpanzern etwa muss man Soldaten intensiv ausbilden. Für solche
| Systeme braucht die Ukraine dann auch die passende Logistik,
| Instandhaltung und Munition. An einem Export solchen Materials hängt
| viel mehr dran, als man glaubt. Auch das taktische Vorgehen mit solchen
| Kampfpanzern im Gefecht verbundener Waffen muss aufwändig trainiert
| werden.
|
| *ZEIT ONLINE*: Ukrainische Offizielle fordern Panzer,
| Flugabwehrgeschütze, ja Kampfflugzeuge aus deutschen Beständen. Das
| macht also keinen Sinn?
|
| *Richter*: Der ukrainische Botschafter und der Präsident fordern Waffen,
| um zum Gegenangriff übergehen zu können, verlorenes Gelände wieder zu
| nehmen und in die Flanke des Gegners zu stoßen, etwa in die überdehnte
| russische Logistikkette. Ein Teil des russischen Misserfolgs hat damit
| zu tun, dass die Ukrainer viele gegnerische Versorgungsfahrzeuge mit
| Panzerabwehrwaffen und Kampfdrohnen zerstören. Am besten ist es aber,
| wenn Deutschland und die anderen Nato-Staaten solche Rüstungstechnik
| liefern, die bei den Ukrainern bereits eingeführt ist. Und darüber
| verfügt die Bundeswehr tatsächlich kaum. Die Strela-Raketen gehören
| dazu, die bereits geliefert wurden. Auch diese Flugabwehrwaffen aus den
| Beständen der ehemaligen NVA helfen. Sie sind immer noch wirksam.
|
| *ZEIT ONLINE*: Wie gut ist die Bundeswehr auf die Landesverteidigung
| tatsächlich vorbereitet?
|
| *Richter*: Für die Landesverteidigung braucht es Großverbände, die in
| fünf bis sieben Tagen einsatzbereit sind. Die müssen dann aber auch mit
| ausreichendem Material ausgerüstet sein. Das ist aktuell nicht der Fall.
| Die Truppe wurde zu einer Armee für leichte Stabilisierungseinsätze bei
| niedriger Kampfintensität umgebaut, auf Missionen wie in Afghanistan und
| Mali vorbereitet. Es ist daher richtig, die Bundeswehr jetzt so
| aufzustellen, dass sie wieder auf die Bündnis- und Landesverteidigung
| fokussiert und dafür ausgerüstet ist. Denn mit dem russischen Einmarsch
| in die Ukraine hat sich das wahrscheinliche Kriegsszenario verändert.
| Dem müssen nun auch die künftigen Aufgaben der Bundeswehr entsprechen.
|
| *ZEIT ONLINE*: Zum Ende des Kalten Krieges hatte die Bundeswehr fast
| 2.200 Kampfpanzer Leopard 2, deren Zahl sollte auf 225 sinken und nun
| aber 2023 bei gut 320 liegen. Wer auf solche Zahlen blickt, dem
| erscheint Deutschland nur sehr bedingt verteidigungsbereit zu sein. Wie
| sehen Sie das?
|
| *Richter*: Ein Krieg ist kein Duell zwischen einzelnen Waffensystemen,
| etwa ein Panzergefecht, das alles entscheidet. Die einzelnen
| Waffengattungen kämpfen im Verbund der Kräfte, um gemeinsam bestmögliche
| Effekte zu erzielen. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob ein einzelner
| Panzer um fünf Prozent besser ist als der des Feindes. In Deutschland
| gibt es immer den Drang zu Goldrandlösungen – es reichen aber 90 bis 95
| Prozent der möglichen technischen Qualität für ein taktisch
| erfolgreiches verbundenes Gefecht aus. Um die restlichen Prozentpunkte
| zu erreichen und den besten aller Panzer zu bauen, braucht es viele
| weitere Jahre an Entwicklung und Tests, dazu kosten diese
| Goldrandlösungen unnötig viel Geld.
|
| Wir brauchen gute Qualität, natürlich, aber mit Augenmaß. Es ist jetzt
| besser, auf dem Markt verfügbare Systeme schnell zu kaufen, als immer
| den höchsten technischen Standard anzustreben und dafür zu lange
| Wartezeiten in Kauf zu nehmen, in der die Truppe nicht adäquat
| ausgestattet ist.
|
| *ZEIT ONLINE*: Die Bundesregierung will die Bundeswehr durch einen
| 100-Milliarden-Sonderfonds aufrüsten. Lag es bislang nur am Geld, dass
| die Streitkräfte viele Fähigkeitslücken aufweisen und laut dem
| Inspekteur des Heeres kaum in der Lage seien, den Aufgaben im Bündnis
| nachzukommen?
|
| *Richter*: Geld ist wichtig, aber Geld ist nicht alles. Die finanziellen
| Mittel müssen in die richtigen Strukturen fließen. Heute hat die
| Bundeswehr zu viele hohe Kommandobehörden, zu viele Häuptlinge, zu
| wenige Indianer. Das führt zu einer Zersplitterung der Verantwortung.
| Ein Beispiel: Das Heer bildet Soldaten aus, verfügt aber nur über einen
| Teil des Materials. Ein weiterer Teil wird von der Streitkräftebasis
| oder der Industrie und der Depotorganisation verwaltet. Wenn eine
| Auslandsmission erfolgen soll, so muss das Kontingent aufwändig aus
| vielen Verbänden und Einheiten zusammengestellt, ausgerüstet und
| vorbereitet werden. Die Mission selbst leitet dann das
| Einsatzführungskommando. Im Ergebnis liegt die Verantwortung für
| Personal und Material, die Ausbildung und die Erfüllung des Auftrages
| nicht mehr in einer Hand. Ein Führungsgrundsatz aber lautet: Die
| Verantwortung ist unteilbar.
|
| "*Die Russen waren äußerst vertragstreu*"
|
| *ZEIT ONLINE*: Reicht denn das 100-Milliarden-Sondervermögen für die
| Bundeswehr überhaupt aus?
|
| *Richter*: Ein Großteil der Summe ist sicherlich bereits verplant:
| Allein für die dringend benötigte Munition wird man etwa 20 Milliarden
| brauchen, dann werden bis zu 25 Milliarden für das neue Kampfflugzeug
| vom Typ F-35 gebraucht, das in den USA gekauft werden soll. Dann sollen
| ein neuer schwerer Transporthubschrauber beschafft werden sowie weitere
| Fregatten und U-Boote. Zudem sollen die Panzergrenadiere endlich
| flächendeckend den Schützenpanzer Puma erhalten. Um mit Verbündeten
| operieren zu können, braucht man interoperable Funkgeräte. Die 100
| Milliarden werden rasch aufgezehrt sein.
|
| Die angestrebten jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die
| Verteidigung sind angesichts der gewachsenen Sicherheitsrisiken nötig.
| Mit etwa 75 Milliarden Euro jährlich für den Wehretat würde Deutschland
| zu denjenigen Staaten gehören, die weltweit am meisten für ihre
| Streitkräfte ausgeben. Wichtiger als bestimmte Prozentzahlen am
| Bruttoinlandsprodukt zu erreichen ist es allerdings, die
| Streitkräfteziele zu erfüllen, die für die Landes- und
| Bündnisverteidigung nötig sind.
|
| *ZEIT ONLINE*: Woran liegt es, dass die Bundeswehr selten zeitnah und in
| der richtigen Menge die Rüstungstechnik bekommt, die sie braucht?
|
| *Richter*: Ich bin dagegen, den ganzen Frust auf dem Beschaffungsamt
| abzuladen. Die Mitarbeiter müssen sich als gute Beamte an ihre
| Vorschriften halten. Zum Problem werden oft auch taktische und
| technische Nachforderungen aus den Streitkräften. Die Beschaffer müssen
| dann neu mit der Industrie verhandeln, Qualitätsforderungen an Panzer
| oder Flugzeuge müssen wieder geändert werden. Wenn alles immer auf dem
| allerneuesten Stand der Technik sein soll, dann bremst das die
| Beschaffung aus. Auch die ersten Auslieferungen der Industrie sind nicht
| immer zufriedenstellend, müssen getestet und verbessert werden. Zudem
| müsste man die teilweise europaweiten Ausschreibungsverfahren
| vereinfachen. Aber hier ist die Politik gefragt. Letztlich geht jedes
| größere Projekt durch den Verteidigungs- und Haushaltsausschuss des
| Bundestags. Er genehmigt den Verteidigungshaushalt mit jedem
| Einzelposten. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
|
| *ZEIT ONLINE*: Veraltete Boden-Luft-Abwehr, fehlende mobile
| Luft-Nahverteidigung, keine bewaffneten Drohnen in Deutschland … Was
| fehlt der Bundeswehr Ihrer Meinung nach am dringendsten?
|
| *Richter*: Die Heeresflugabwehr abzuschaffen, war ein großer Fehler. Nun
| gibt es nur noch einige leichte Ozelot-Fahrzeuge, die mobile Einheiten
| gegen Angriffe aus der Luft im Nahbereich schützen sollen. Die
| Luftverteidigung ruht vor allem auf den zwölf Patriot-Staffeln der
| Luftwaffe. Sorge bereiten aber die Lücken in der Abwehr von Drohnen und
| schnell fliegenden Mittelstreckenraketen. Die aktuelle Debatte über
| einen Raketenschutzschirm führt aber in die Irre. Es gibt nicht ein
| System, das alle Gefahren abwehren kann. Russland verfügt über
| Boden-Boden-Raketen vom Typ Iskander, die auch in Kaliningrad stehen und
| mit ihrer Reichweite von etwa 500 km bis Berlin fliegen können, dazu
| über see- und luftgestützte Marschflugkörper, sowie über
| Kinschal-Raketen mit Hyperschallgeschwindigkeit und tiefer, schwankender
| Flugbahn, die momentan überhaupt kein System abwehren kann.
|
| Wir brauchen daher verschiedene Techniken zur Luftverteidigung und
| sollten dabei im Bündnisrahmen denken. Zudem benötigen wir offensive
| Luftkriegsmittel, um Raketen zerstören zu können, bevor sie abgefeuert
| werden, oder um Flugzeuge am Boden zu treffen, die mit Hyperschallwaffen
| aufsteigen sollen. Außerdem müssen wir eine weitere Lücke schließen: Die
| Bundeswehr braucht bewaffnete Drohnen. Das zeigt der Ukraine-Konflikt
| deutlich. Solche Drohnen müssen in größerer Zahl gekauft und in die
| Verbände integriert werden.
|
| *ZEIT ONLINE*: Sie haben sich als Offizier und als Wissenschaftler
| intensiv mit Verträgen zwischen Ost und West auseinandergesetzt. Wie
| könnte eine Vereinbarung zwischen Nato und Ukraine auf der einen sowie
| Russland auf der anderen Seite aussehen?
|
| *Richter*: Man muss festhalten, dass die Russen in den Neunzigerjahren
| tatsächlich abgerüstet und große militärische Transparenz gezeigt haben.
| Damals waren sie äußerst vertragstreu. Einige westliche Staaten haben
| die Rüstungskontrolle weniger ernst genommen und eine Chance für eine
| neue Geopolitik gesehen. Nun hat Putin seine Frustration darüber selbst
| in eine aggressive Geopolitik und einen Angriffskrieg zulasten seiner
| Nachbarn münden lassen. Die neue Konfrontation mit Russland zeigt, dass
| die kooperative Sicherheitsordnung Europas am Ende ist. Aber anders als
| im Kalten Krieg zeichnen sich derzeit noch keine klaren Regeln ab, um
| die Abschreckungsbeziehungen unter Kontrolle zu halten. Mein Eindruck
| ist, dass Russen und Ukrainer gerade versuchen, diesen Ordnungskonflikt
| auf dem Gefechtsfeld zu entscheiden, (noch) nicht am Konferenztisch.
| Offensichtlich ist der Leidensdruck für beide Seiten noch nicht hoch
| genug.
|
| *ZEIT ONLINE*: Wie wird der Konflikt zwischen Nato und Russland
| weitergehen?
|
| *Richter*: Ich glaube, militärische Abschreckung wird allein nicht
| reichen, um für dauerhafte Sicherheit zu sorgen. Bereits 1968 stellte
| die Nato fest, dass wir eine Sicherheitsarchitektur brauchen, die auf
| zwei Säulen steht: auf Abschreckung, aber auch auf Rüstungskontrolle und
| Diplomatie. Die Zeitenwende, die mit dem russischen Angriff eingeleitet
| wurde, bedeutet das definitive Ende der kooperativen Sicherheitsordnung.
| Das imperiale Narrativ Wladimir Putins hat vorerst zum Ende des
| konstruktiven Dialogs geführt. Wir leben nun in einer anderen Welt, in
| der sich Europa bedroht fühlen muss. Ich gehe von einem eisernen Gürtel
| aus, den die Nato vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer errichten wird. Die
| Frage ist, wie lange Russland diesen Konflikt mit der Nato durchhalten
| kann, auch wirtschaftlich.
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M.f.G.
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Diese E-Mail-Adresse wird nur aus nostalgischen Gründen verwendet. Sie
wird praktisch nie gelesen. Das MausNet ist nicht tot – es riecht nur
etwas komisch... ;-)