Auszüge aus Leben und Werk des "Kaufmann und Poet"
aus Annaberg
Alle folgenden Beiträge von Prof. Gotthard B. Schicker
Name: Georg Arthur S c h r a m m (genannt das "Klaane Getu' ")
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Geb.: 30. Mai 1895 in Annaberg; gestorben: 19. Mai
1994 in Annaberg
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Vater: Georg Louis Schramm (wegen seiner Größe
das "Gruße Getu' ")
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Sohn: Helmut Schramm (60er Jahre nach USA
ausgewandert, lebt jetzt in Detmold/Deutschland)
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Lehre: Handelskaufmann ( im Ausweis steht: Kaufmann
und Poet )
Firma: MIRAMM-Vertrieb (gemeinsam mit Partner Arno
Michaelis)
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Wohnungen: Annaberg, Kleinrückerswalderstr. 11 /
Geyersdorferstr. 6 / Bruno-Matthes-Str. 10
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Altenheim:"Adam Ries" - nach Wohnungsbrand seit
27.7.1982 - dort auch 1994 verstorben
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Parteien: Vor 1945 NSDAP, danach CDU
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Vorlieben: Wald, Pöhlberg, Erzgebirgs-Heimat, laute
Gespräche, Kneipen, Goethe, Stöckchen, Schlips und Weste,
Fichtenzweiglein am Rockaufschlag, Leipziger Messe, Hitler, Ulbricht,
R. Becher, Honecker, Gerald Götting, alle Bürgermeister Annabergs
u.a.m.
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Eigenheiten: Von kleinem Wuchs, Geltungsdrang,
Ordnungssinn gegenüber anderen, Chaos im eigenen Leben, kleine bis
mittlere dichterische Begabung, beachtliche Kreativität,
bodenständig, eigensinnig, kampfeslustig, gesprächig, skurril,
einsam u.a.m.
G e d i c h t e :
(Auswahl)
20.12.1933 "Christi Geburt" (Hochdeutsch)
1936 "Pöhlberglied" ( Erzgebirgisch, selbst
vertont)
16.10.1936 "s' Arzgebirgslied" (Erzgebirgisch)
26.09.1937 "När net locker lossen !"
(Erzgebirgisch)
1937 "Greifenstaalied" (Erzgebirgisch)
1938 "Vorspruch" (Hochdeutsch - 25 Jahre
Schwimmerriege "Neptun" - Abg.)
1939 "Sing när zu !" (Erzgebirgisch)
17.12.1941 "Arzgebirgische Weihnacht" (Erzgebirgisch)
03.10.1942 "Dr Halt" (Erzgebirgisch)
21.02.1943 "Vorfrühling" (Hochdeutsch)
27.06.1943 "s' gebirgische Maadel" (Erzgebirgisch -
Frl. Marga Grummt gewidmet
26.12.1944 "Kriegsweihnacht 1944" (Hochdeutsch)
12.06.1945 "Ruf" (Hochdeutsch)
07.05.1947 "Lebensfreude" (Hochdeutsch)
06.04.1950 "Lusing" (Erzgebirgisch)
27.11.1951 "Weihnachtsfrieden" (Hochdeutsch)
1953 "Einheit" (Hochdeutsch)
03.09.1955 "Heimat" (Hochdeutsch)
31.07.1956 "Fliege, Friedenstaube,fliege"
(Hochdeutsch)
1958 "Friedensaufruf" (Hochdeutsch - vom
Kulturministerium der DDR angekauft, später im Staatsrat
aufgehängt; eine Fassung in Rom - Vatikan)
1992 "Adam Ries" (Hochdeutsch - anläßl.der 1.
Bergmannstage)
Aphorismen,Sprüche, Schnurren . . .
E r f i n d u n g e n (Auswahl) :
( Die mit * gekennzeichneten Erfindungen wurden beim
Deutschen Patentamt in Berlin als Patentsache registriert )
° Zeppelin-Fliegenfänger *
° MIRAMM-Kaffeefilter *
° Riez-Rasierplatte *
° Wetzstein-Hand-Schutz *
° MIRAMM-Wäschezange
° Fahrrad-Sattel-Lehne
° Neuer-Ideal-Salzstreuer *
° Feldflasche *
Das verkannte Genie
Fremde und persönliche Erinnerungen an den
Heimatdichter Arthur Schramm aus Annaberg
Auf die Berge will ich steigen,
um zu schaun ins tiefe Tal.
Droben sich die Hände reichen
Berg und Himmel allzumal . . .
. . . so beginnt eines der zahlreichen Wanderlieder unseres dichtenden
Erzgebirgsoriginals Arthur Schramm. Fast täglich konnte man ihn auf
seinem Weg zum Pöhlberg oder oben auf der "Bäuerin", manchmal auch im
Buchholzer Wald antreffen. Immer hatte er sein Stöckchen bei sich, mit
dem er die Straßen und Gassen von Annaberg - stets mit wichtig
inspizierenden Blicken - von Unrat beräumte. Er liebte seine
heimatliche Natur über die Maßen. Besang sie, verklärte sie und
flüchtete sich in sie, wenn man ihm übel mitspielte. Von seinen
Waldgängen kam er gegen Nachmittag zurück. Am Rockaufschlag, oder im
Winter am Filzhut, steckte ein frischgebrochenes Fichtenzweiglein.
Massenhaft vertrocknete fand man Jahre später in einer Schublade
seiner Bleibe, - er hatte sich den Wald nach Hause geholt. Im
"Erzgebirgischen Hof", "Erzhammer", "Böhmischen Tor", "Schwan",
"Wilden Mann" oder in der Gaststätte vom "Frohnauer Hammer" konnte man
dann bis in den Abend hinein Arthur begegnen. Bestimmt traf man ihn in
einer der Lokalitäten entweder lautstarken Skat dreschend, beim
politischen Diskurs, bei der prononcierten Deklamation seiner Verse, -
oder lallend im Kleiderständer der "Festhalle" sitzend. Dort hatten
ihm wieder einmal "böse Buben" zum Aufsagen seiner schwergewichtigen
Reime mit Mengen von Alkohol zu überreden versucht, die der kleine,
zierliche, und späterhin dann doch schon recht wacklige Mann, nicht
verkraften konnte. Doch der Ruf " Arthur, drinkste noch e Schnaps'l
miet ?" mußte nicht in jedem Falle im besagten Kleiderständer enden.
Ich habe Runden beigewohnt, in denen Schramm in zum Teil überzeugender
Weise nicht all zu dumme Ansichten vertrat und diese auch redegewandt
zu verteidigen wußte. Und was seine Verse anbetrifft: Manch einem ist
gerade bei solchen Sitzungen deutlich geworden, daß nicht alles was
man ihm nachsagte, es stamme aus seiner Feder, auch tatsächlich von
ihm war. Noch nach seinem Tode - in sogenannten Nachrufen der
einheimischen Presse - sind dem Wehrlosen Verse angedichtet worden, die
nicht von ihm stammen, - aber zugegeben, mitunter von ihm hätten
kommen können. Mag schon sein, daß sich hier der grobe Volksmund
seinen Dichter gesucht hat. Wahrscheinlich hat sein überwiegend
exaltiertes und aus mangelnder Anerkennung resultierendes,
geltungsbedürftiges Verhalten sowie sonderbare Erlebnisse mit seiner
Person zu teilweisen Unter- und Falschbewertungen beigetragen. Meine
Begegnungen mit unserem "grünen Humanisten" waren fast immer
informativ, heiter bis komisch und anregend allemal. Wie sollte es auch
anders sein, wenn man einem Menschen gegenüber sitzt, der den I.
Weltkrieg mit erlitten, die Weimarer Republik durchlebt, dem Führer
gehuldigt und Ulbricht verehrt hatte, um sich nun endlich Bier trinkend
mit den Revoluzzern der Neuzeit abfotographieren zu lassen. Ein solcher
Mensch wird einfach zur Persönlichkeit, - ob er dies will oder nicht.
Eine derart langlebige Biographie macht ihn auch willenlos dazu. Seine
Skatbrüder ahnten dies, die Mittrinker fühlten sich unbewußt wohl in
seiner Nähe, die ganze Stadt war froh, daß es ihn gab, - und sei es
auch nur, um mit Fingern auf ihn zu zeigen oder jenen Alten als
abschreckendes Beispiel für arbeitsscheues Künstlergesindel den
Heranwachsenden vorführen zu können. Schramm war so gesehen überaus
nützlich. Nützlich, wie eben ein städtischer Hofnarr hierzulande
nützlich sein kann. Schramm hatte keine Freunde. Seine Ehe scheiterte.
Sein Sohn verließ ihn in Richtung Amerika und ward seitdem kaum mehr
gesehen.
Unnützer städtischer Clown
Zu seinem Partner Arno Michaelis, mit dem er den MIRAMM-Vertrieb zwecks
Verwertung seiner zum Teil patentierten Erfindungen gründete, gab es
nur kühle geschäftliche Beziehungen, die obendrein noch ausgesprochen
erfolglos waren. Feindschaft begegnete ihm zeitlebens in Form von
Intoleranz. Man wußte mit dem seltsamen Männlein nicht recht
umzugehen. Er war in seiner Art unnahbar und doch immer ganz dicht bei
uns, - weil er einer von uns war. Geprägt von den Zeitumständen,
einem darin verkorksten Talent, das sich zudem in der räumlichen und
mentalen Erzgebirgsbeschränktheit nie entfalten konnte, - vielleicht
auch nicht wollte.
Ende der 70er Jahre muß es gewesen sein, als ich das Glück hatte -
ja, es war ein Glück - mit Herrn Schramm allein an einem
Erzhammer-Tisch sitzen zu können und mit ihm über Gott und die Welt
ins Gespräch zu kommen. Dabei ist mir deutlich geworden, daß dieser
überaus sensible Mann, aus tiefer und ehrlicher christlicher Ethik
kommend, sich eine zweite Welt innerhalb seiner innig geliebten
Erzgebirgsheimat errichtet hatte, in der Realität und Phantasie
oftmals weit auseinanderliefen. Von daher kann das Unverständnis
seiner Mitmenschen auch nicht durchweg getadelt werden, obschon die
Offiziellen der Stadt in den zurückliegenden Jahren so gut wie nichts
getan hatten, um ihm geistige und gegenständliche Räume anzubieten,
in denen sich das Talent dieses Mannes hätte produktiv für die Stadt
Annaberg und darüber hinaus entfalten können. Eher schämte man sich
seiner, denn er war ja anders als die anderen. Er wich ja ab von der
Norm. Er paßte nicht in das Bild von einem Erzgebirgsdichter, wie man
es sich von anderen hat schnitzen lassen.
Es dauerte nicht lang und Arthur rückte mit einer Fotokopie seines
"Friedensaufruf" heraus, um ihn mir gestenreich und vielsagend, mit
einer wuchtigen Widmung versehen, für drei DDR-Mark und zwei Bier (á
51 DDR-Pfg.) zu überreichen. Viele Erzgebirger und Gäste unserer
Heimat sind mit diesen durchaus beachtenswerten Reimen von ihm bedacht
worden. Und er konnte unermüdlich und stolz berichten, daß dieses
Werk sogar vom Kulturministerium der Deutschen Demokratischen Republik
(gerahmt) angekauft wurde. Später hörte ich, daß es im Staatsrat zur
Aufhängung gekommen sein soll. Im Jahre 1988 starb der dafür
anrufbare Augenzeuge aus Annaberg. Schramms Ruhm drang sogar bis zum
Heiligen Stuhl nach Rom vor, denn eine Kopie seines Gedichtes hatte er
nachweislich (gerahmt) an den Vatikan geschickt. Ob es dort sichtbar
angebracht wurde ? Ich glaube, genau so wenig, wie im Rathaus. Darin
waren sich schon damals der Papst in Rom und er Bürgermeister von
Annaberg einig.
Die Fliege in der Suppe
Bisher wurde wenig über eines der vermutlich letzten
Erzgebirgsoriginale veröffentlicht. Als ich im Jahre 1990 versuchte,
auch auf den anderen Schramm aufmerksam zu machen, war die Resonanz
darauf in Form von Leserbriefen, Anrufen und Gesprächen reichlich und
überwiegend von liebenswerter Zustimmung. Allerdings gab es auch
Meinungen einzelner, die den Schramm Arthur vermutlich in nicht nur
lustigen Situationen erlebt hatten. Es kam auch zu Beschimpfungen !
Andere wieder gaben mir Informationen über sein anbieterisches
Verhalten in der Nazi-Zeit. Deshalb habe ich auch der immerwährenden
Systemnähe Schramms ein gesondertes Kapitel gewidmet. Doch bleiben wir
zunächst bei den heiteren Episoden im Leben unseres Kaufmannes und
Poeten. So nämlich stand es in seinem Ausweis. Dort hinein kam diese
Berufsbezeichnung nur, weil er offenbar mit Engels(Dichter)-Zungen auf
die damaligen Volkspolizisten einredete, die ihm schließlich diesen
Gefallen taten.
Stolz zeigte er jedem - auch der es nicht wissen wollte - diese
kapriziöse Eintragung.
Regelmäßig führte Arthur eine Streichholzschachtel bei sich, in der
nicht etwa Zündhölzer für seinen mehr fünfzehn Mal erloschenen
Zigarrenstummel waren, - nein, Fliegen befanden sich darin. Mit
abnehmendem Erfolg, kam noch bis in die frühen 80er Jahre hinein sein
Fliegentrick zu Anwendung, und der ging so:
Der immer an einem mageren Geldbeutel leidende Poet begab sich in eine
Gaststätte seiner Wahl - meist "Erzhammer", "Erzgebirgischer Hof" oder
"Böhmisches Tor" - bestellte dort eine Suppe, die er bis zur Hälfte
auslöffelte, um dann unbemerkt eines der armen Fliegentiere aus der
Schachtel zu holen und in der Brühe baden zu lassen. Just im nächsten
Moment krähte er lautstark den Kellner herbei, um seine mehrfach
erprobte, saftige Beschwerde über jene Fliege in der Suppe
loszulassen. Viele der damaligen Gastronomen kannten Arthurs
Fliegen-Theater. Mit stillschweigender Heiterkeit sahen die meisten
darüber hinweg und verhalfen ihm manchmal derart zum Sattwerden.
Kein keimfreier Dichter
Schramm hatte auch Kritiker seiner Dichtkunst. Allerding nicht einer
von denen, die mir bisher begegneten, kannten auch nur ein Gedicht, das
tatsächlich aus seiner Feder stammte. Die ihm oftmals in dümmlicher
Absicht untergejubelten Verslein dagegen waren um so häufiger mit
schwerer Zunge dahergelallt anzutreffen.
Wahr ist aber: Arthur Schramm hatte eine tiefe, fast gläubige,
lebenslängliche innere Beziehung zu seiner Erzgebirgsheimat. Seine
romantischen Gedichte - ob nun im Hochdeutschen oder in seiner Mundart
verfaßt - drücken dies aus.
Gleichzeitig scheinen sie oftmals im krassen Gegensatz zu seinem
sonstigen exaltiertem Getu' zu stehen. Daß dabei auch eine Reihe
weniger gelungene Reime zu Papier gebracht wurden, sollte heute
unproblematisch und mit Nachsicht bewertet werden, zumal viele
Sprüchchen, Versilein und Liedleinchen von sogenannten seriösen
Erzgebirgsdichtern in so manchem Erzgebirgsbüchlein oder auf diversen
Heimatkalendern bei einer genaueren Analyse der dort gebotenen Lyrik
kaum besser davon kämen. Vieles aus dem Gedichte-Nachlaß von Schramm
ist schon frühzeitig verschwunden, weggebracht worden oder dem
Wohnungsbrand zum Opfer gefallen. Übrigens muß die Wohnungsauflösung
nach besagtem Brand 1982 in der Geyersdorferstraße 6 mit dazu
beigetragen haben, daß negative Bild von Schramm in der Annaberger
Öffentlichkeit zusätzlich zu verfestigen. Daß ein über Jahre
alleinlebender Mann, der im vorigen Jahrhundert geboren wurde, eine
vielleicht andere Auffassung von Ordnung und Reinlichkeit hat, ist
sicher von menschen, die aus "geordneten" Verhältnissen stammen, nicht
immer leicht nachzuvollziehen. Und dennoch darf man A. Schramm den
Vorwurf eines nicht ganz keimfreien Dichters angesichts seines
verwahrlosten Domizils nicht gänzlich ersparen. Zu dieser Wohnung gibt
es übrigens noch eine Episode, die den Kritikern ihr Schramm-Bild noch
weiter stabilisieren könnte, und die von der Großmutter meiner Frau
verbürgt übermittelt wurde: Vor vielen Jahren gab es noch in jenem
fernen, kleinen Land mit den drei Buchstaben die sogenannten
Naßpreßsteine, - ein ziegelförmiges Braunkohlensurregat, von dem man
Berge benötigte, um einigermaßen über die damals noch kalten
Erzgebirgswinter zu kommen. Eines Tages hatte sich auch Arthur Schramm
einen solchen Kohlenberg vor Tüt und Fenster seiner Parterrewohnung -
gleichzeitig Gewerberaum - in der Geyersdorfer Straße 6 werfen lassen.
Der himmel über Annaberg graute und ein Regenwetter drohte auf die
Schramm-Steine niederzugehen.
Die Heizkraft solcherart eingeweichter Kohlen sank, auch nach
intensiver Trocknung, fast auf Null, da sie außerordentlich porös
waren. Um dies zu verhindern, mühte sich die gute alte Frau Gruß -
Arthurs Nachbarin - die Kohlen noch vor dem Gewitter in den keller zu
bringen. Der Dichter, der das Wetter in illustrer Runde beim Skat im
"Erzgebirgischen Hof" äußerlich trocken überstanden haben soll,
begab sich bei seiner Heimkehr sogleich in den Keller. Nach geraumer
Zeit klopfte er bei seiner Nachbarin und sprach dort die denkwürdigen
Worte: " Frau Gruß, Sie sind eine ehrliche Frau. Ich habe die Kohlen
gezählt - sie stimmen !" Nun gut, auch das war unser Arthur. Auch das
machte ihn vielleicht mit zum umstrittenen Original unserer Heimat.
Ob seine Wohnung durch seinen klimmenden Zigarrenstummel Feuer fing und
1982 lichterloh brannte, oder ob andere Umstände zur Vernichtung
seiner Bleibe führten, - Genaues weiß man nicht. Er fand zunächst im
Otto-Buchwitz-Heim und später dann im Altenheim "Adam Ries" seine
letzte Raststatt. Zuwendung und auch Annerkennung waren dem nicht immer
pflegeleichten Insassen hier gewiß. Er bekam dort ein paar der
Streicheleinheiten, die er wahrscheinlich so dringend als Knabe
gebraucht hätte, im sehr hohen Alter doch noch verabreicht. Ab und an
führten ihn seine wackligen Beine an die Stätten seiner früheren,
bescheidenen Lüste. Die Leute schauten, tuschelten, lachten, foppten
ihn manchmal und mockierten sich nur noch selten über ihn. Er wurde
langsam zum Exoten. Der "Erzgebirgsverein Berlin 1910 e.V." - eine
illustre Truppe von "Erzgebirgsflüchtlingen", die sich schon vor und
nach den beiden Kriegen, aber besonders nach dem Mauerbau 1961, in
Westberlin eingerichtet haben - bestaunte den bis dahin noch nie
leibhaftig zu Gesicht bekommenen auf ihrer ersten Reise in die alte
Heimat mit einfältiger Bewunderung. Man interessiert sich aber
lediglich für die Form, kaum für den Inhalt der traurigen Gestalt,
die an diesem Tag fast wie der Hoffmannsche "Klein Zack" über die
Buchholzer stakste. Die Sofort-Bild-Kameras wurden gezückt und auf ihn
angelegt. Man sprang wieder in die Mercedes-Busse, und ab ging die
Fahrt in die noch wohlstandsgesicherte, pseudo-erzgebirgische
Heimatinsel. Dort dann wurde auch Schramm entwickelt, 'rumgezeigt und
nachsichtig bestaunt. Ein Text ist sogar über diesen Ausflug verfaßt
worden, aus dem hervorgeht, daß man Arthur nicht begriffen hat, weil
einem das Erzgebirge selbst über die Jahre doch schon mächtig fremd
geworden ist.
" ' S is Feierobnd " . . . haben vier Musikanten im Berghabit dem
"Klaanen Getu'" auf seinem allerletzten Weg nachgeblasen, als ihn eine
kleine Fan-Gemeinde am 26.Mai 1994 bei Regen und Nebel auf dem Neuen
Friedhof von Annaberg in seine geliebte Heimaterde bettete.
Drei Fichten stehen an seinem Grab.
Fichtenzweiglein waren zeitlebens sein heimatverbundener Schmuck.
Nicht nur die Geschichte wiederholt sich, - die Geschichten tun es
auch.
Jeweils in veränderter Form.
Unser "patenter" Schramm
Eine unerhörte Erfindung vom " Klaanen Getu'" - der
Zeppelin-Fliegenfänger"
Vom Poeten Arthur Schramm wurde versucht in letzter Zeit einiges der
Vergessenheit zu entreißen und zu veröffentlichen. Immer auch in der
Absicht, den anderen Schramm, den sensiblen ,den verkannten und das
teilweise auch zu recht gescholtene "Klaane Getu' " ,als eines unserer
letzten lebenden Erzgebirgs-Originale, bekannt zu machen.
Dieser Kaufmann und Poet hat aber nicht nur Gedichte in erzgebirgischer
Mundart und in hochdeutscher Sprache geschrieben, wenn er mal gerade
nicht seinen obligatorischen Gang zum Pöhlberg tat oder seine Schritte
an die Stammtische hiesiger Kneipen lenkte. In anderen Stunden der Muse
sann er über die Verbesserung der Lebensqualität seiner Mitmenschen,
- selbstverständlich nicht ohne Eigennutz - , nach. Zu den zahlreichen
Erfindungen, die zum Teil im Deutschen Patentamt registriert sind und
mit denen er auf der Leipziger Messe in den 30er Jahren für nicht
geringes Aufsehen sorgte, gehört sein " Zeppelin - Fliegenfänger ".
Gemeinsam mit seinem Partner Arno Michaelis aus Annaberg gründete er
das Zwei-Mann-Unternehmen "MIRAMM - Vertrieb " ( zusammengesetzt aus MI
-chaelis und Sch - RAMM) . Beide tüftelten nun ein Unikum zurecht,
dessen Aussehen von ihen selbst in diversen Werbeschriften wie folgt
beschrieben wurde:
" Unsere neueste,eigene Erfindung besteht aus einem etwa 40 cm langen
Pappzeppelin, an dessen Außenmitte sich mehrere runde Löcher
befinden. Durch den, im Inneren des Gehäußes hängenden, jedoch dem
menschlichen Auge wohltuend verdeckten, süßduftenden Leimstreifen
werden die Fliegen unabwendbar angezogen, sowie unauffällig gefangen
und schließlich rettungs los getötet ... " (Auszug).
Der Ästhet Schramm legte insbesondere Wert auf die Form. Nicht nur in
seinem illustren Leben ,sondern auch bei diesem Fliegenfänger-Patent.
Und er schwärmt geradezu über das gefällige Aussehen seines
Fliegen-Tod indem er ihn als " Ziermittel für jedes Zimmer" anpreist.
Der Erfolg dieses " neuen Weltschlagers" , - wie er ihn auf seinen
Werbezetteln
etwas großspurig nannte -, war recht bescheiden. Einige wenige
deutsche Kaufleute liesen sich zwar auf der Leipziger Messe von diesem
" umwälzenden und billigen Massenschlager für das In- und Ausland" zu
kleinen, eventuell auch mitleidigen, Kaufabschlüssen bewegen. Von
daher gehört Schramms Werbe-Offerte: " Unser ges.gesch.
Zeppelin-Fliegenfänger ist im Deutschen Reiche in jedem einschlägigen
Geschäft zu haben ! "- sicher zu seinen liebenswerten, weil
unschädlichen Übertreibungen. Meine Großmutter hatte solch einen
Fänger erstanden. Und ich kann mich erinnern, daß er allgemeine
Zufriedenheit auslöste. Vielleicht weil keiner wußte, daß unsere
Schramm , Arthur der Erfinder war.
Seine Neigung zum Kreativen war offenbar nicht nur im Erfinden von
Versen ausgeprägt. Sein praktischer Sinn, der sich noch anhand
anderer Entdeckungen für den Haushalt nachweisen liese, steht
allerdings im Widerspruch zu seinem sonstigen bekannten unpraktischen
Verhalten im täglichen Leben. Ich habe meine Frau gebeten, die
nebenstehende Rekonstruktion des Schrammschen Fliegentodes aus der
Erinnerung anzufertigen - weil: " Jede saubere Hausfrau wird die
großartige Appetitlichkeit unseres Miramm-Fliegenfängers ohne
weiteres richtig erkennen, sie nachgerade als Wohltat empfinden und
durch sofortige,gute Aufnahme dieses einmaligen Schlagerartikels
begeistert zu schätzen wissen !"
Es muß allerdings vor dem unberechtigten Nachbau dieses
nostalgisch-nützlichen Zimmer-Zeppelins aus patentrechtlichen Gründen
gewarnt werden ! Es sei denn, jemand fänd' sich, der unserem "
patenten " Arthur Schramm seine Erfindung, zwecks eventueller
Aufbesserung dessen schmaler Rente, abkaufen würde.
Gefiltertes vom " Klaanen Getu " (Übersicht)
Eine noch unerhörtere Erfindung von Arthur Schramm - der
MIRAM-Kaffeefilter
Unser Heimatdichter und das vielleicht letzte Original des Erzgebirges,
Arthur Schramm, - der dieser Tage seinen 97 Geburtstag begehen konnte -
, ist uns hauptsächlich durch seine heimatverbundene Lyrik bekannt.
Nur wenige wissen, daß er ein überaus phantasiebegabter und
schöpferischer Mensch hinsichtlich der Verbesserung der
Lebensqualität seiner Mitmenschen und nicht zuletzt bei der
Aufbesserung seines ständig schmalen Bugets war.
Aus seinen zahlreichen , beim Deutschen Patentamt registrierten und auf
Leipziger Messen vorgestellten Erfindungen, ragt der "Miramm -
Kaffeefilter" markant hervor.Arno MIchaelis und Arthur SchRAMM legten
nicht nur Teile ihres Namens, sondern auch das wenige Gesparte zum
wohlklingenden, jedoch kaum gewinnbringenden MIRAMM - Vertrieb,
Annaberg i. Erzgeb., Kleinrückerswalder Straße 11, Fernspr. 2640,
Postscheck-Konto: Leipzig Nr. 81107 , zusammen.
Neben seinen Patenten für Fahrrad-Sattel-Lehnen, Zeppelin - Fliegen-
Fänger und die "ewigen" Rasierklingen gab es eben auch jenen
"unverzichtbaren Helfer für jede Hausfrau, den praktischen und
billigen Miramm-Kaffeefilter" , - wie er in zahlreichen Werbeschriften
Anfang der 30er Jahre angeprießen wurde.
Das Aussehen dieses "gesetzlich geschützten Weltschlagers" kann hier
nur aus der Erinnerung bzw. auf der Grundlage vorhandener
Werbeschriften rekonstruiert werden. Es wird demnach nicht viel mehr
als ein Metall-Ring gewesen sein an dem ein Leinensäckchen befestigt
war. Da hinein kam nun das Kaffeepulver oder getrocknete Teeblätter.
Mit einem Deckel wurde das ganze verschlossen und " . . . mittels des
anhängenden Kettchens wird der Filter nunmehr zum Ziehen in den Topf
hineingehängt. Es bleibt der Hausfrau überlassen, den Filter mit
seinem Inhalte - zum ergiebigen Auslaugen des Kaffees oder Tees -
beliebig lange im kochenden Wasser zu belassen. "
Ausführliche Hinweise auf die Nachbehandlung des Filters unter kaltem
Wasser und der verblüffenden Möglichkeit einer sofortigen
Wiederverwendung nach gehörigem Trocknen, schließen sich an.
Im Vergleich mit der bis dahin weit verbreiteten
Kaffee-Aufbrüh-Methode im Erzgebirge der frühen 30er Jahre und der
allgemeinen Notwendigkeit zu Einschränkungen in allen Lebensbereichen,
handelte es sich hierbei tatsächlich um ein sparsames Haushaltgerät,
- wenn auch der Kaffeefilter in anderen Gegenden schon längst erfunden
war.
Tragisch und komisch zugleich verlief das Leben unseres Schramm Arthur.
Seine Erfindungen wurden belächelt und verspottet. Dabei wollte er
doch nur sich und vielleicht auch anderen helfen, etwas vom großen
Lebens-Kuchen abzubekommen.
Möglicherweise träumte er sich mit seinen Erfindungen in einen
Michelangelo hinein, wie er dies ja auch so häufig mit seinem
hochverehrten Herrn Goethe auf dichterischem Gebiet tat. Diese, für
den kleinen Mann aus Annaberg unfaßbaren Größen haben zumindest sein
Talent und seine Phantasie beflügelt und für uns ein Stück
bescheidene, manchmal naive, aber auch skurril- liebenswerte
Heimat-Poesie, - ebenso in Gestalt seiner " verhaunen " Erfindungen -
, hinterlassen .
* * *
Der systemnahe Schramm
oder: Die immerwährende Staatsnähe des " Klaanen Getu' "
Als umstritten Heimatdichter kennen ihn fast alle im Erzgebirge. Als
Erfinder und Patentbesitzer von zum Teil kuriosen, aber auch
nützlichen Gebrauchsgegenständen ist er sicherlich nur wenigen
bekannt. Kaum jemand der jüngeren Erzgebirger wird vermutlich etwas
vom politischen Arthur Schramm wissen, der er zu allen Zeiten und in
jedem System auch war.
Der 1. Weltkrieg war zu Ende und der damals 20 jährige Arthur lobte in
seinen frühen Verslein den Frieden. Verständlich, - denn die
Kriegssituation hatte den Jüngling tief erschüttert und
wahrscheinlich auch für sein weiteres Verhalten im Leben mitgeprägt.
Das " Gruße Getu' ", wie im Annaberger Volksmund Arthurs Vater wegen
seiner gewichtigen Körpergröße und seines ebenfalls etwas
exaltierten Verhaltens genannt wurde, kam leicht verletzt in seine
ärmliche kaufmännische Existenz aus dem Krieg zurück. Sein Sohn, der
nunmehrige Kaufmannsgeselle, mutierte merklich zum Poeten. In dieser
Zeit sind seine ersten lyrischen Versuche, die sich noch enorm stark -
sprachlich und begrifflich - an größeren Vorbildern orientierten, "
aus ihm heraus-gequollen" , - wie er diese Ergüsse selbst gern
bezeichnet wissen wollte. Wahrscheinlich haben ihn andere davon
abgeraten, dieser brotlosen Kunst weiter zu fröhnen und darüber sein
Geschäft zu vergessen, welches im Hinblick auf seine Erfindungen
durchaus - im bescheidenen Rahmen selbstverständlich -
erfolgversprechend begann. Es waren jene produktiven Jahre, in denen
die Leipziger Messen, und damit auch die Welt, von solchen epochalen
Erfindungen erfuhr, wie z.B. dem Zeppelin-Fliegenfänger, dem
Wetzstein-Handschutzhalter, der Fahrrad-Sattel-Lehne, dem
Miram-Kaffeefilter, dem Ideal-Salzstreuer oder der
Immer-währenden-Riez- Rasierklingen-Reinigungsplatte . Es war auch
jene illustre Zeit, in der unser Schramm Arthur sowohl im Männerchor
"Tannhäuser" wie auch unter der Mitglieds Nr. 7 im Annaberger
Männergesangsverein "Orpheus" die Säle mit seiner Stimme zum
erschauern brachte. Der Naturheil-Verein-Annaberg sah ihn regelmäßig
im Adams-Kostüm im Luft- und Sonnenbad hinter jenem durchlöcherten
Bretterverschlag am Flößgraben im Pöhlbergwald, und im Stadtbad
Annaberg verfügte er nachweislich über ein Wäschefach mit der Nr. 24
, für das er damals immerhin 5,40 Mark für ein halbes Jahr berappen
mußte.
Die Weimarer Republik färbte sich zusehens brauner und Schramm
reagierte zunächst mit seiner bescheidenen Lyrik meist naturverbunden
und heimattümelnd-sentimental auf die Ereignisse rings um ihn herum.
Kaum etwas Brauchbares ist uns aus dieser Zeit erhalt, wenn man von
seinem am 20. 12. 1933 verfaßten Weinachtsgedicht " Christi Geburt "
einmal absieht, das er zusätzlich mit "Gesegnete Weihnacht - Arthur
Schramm" unterzeichnet. Im Oktober 1936 erscheint sein "Arzgebirgslied"
worin er noch merklich verhalten seine deutsch-nationale Positionen
durchschimmern läßt, indem er feststellt, daß im " Härzblattl vun
Deitschland, mei Arzgebirg," das " . . . Härzblut vun den heiling
grußen Voterland,dos für uns net annersch als när Deitschland heßt
" fließt und dort " . . . wie aus Basalt un Granit aah dei Volk
feststieht ".
Diesmal unterschreibt er sinnig mit " Gelickauf ! " , was er dann im
nachfolgenden, dem Erzgebirgsverein Annaberg zu dessen 50 Jahrfeier
(1936) gewidmeten" Pöhlberglied", in ein dreimal auszurufendes
"Glickauf!" münden läßt. Ist das "Pöhlberglied" im erzgebirgischen
Raum - auch durch den Druck von selbstverfaßten Liedpostkarten -
ziemlich bekannt geworden, so konnte er mit dem 1937 geschriebenen "
Greifenstaalied " nicht den gleichen Erfolg für sich verbuchen." När
net locker lossen ! " - betitelt der Kaufmann und Poet aus Annaberg
sein im September des gleichen Jahres entstandenes Lied, in dem auch er
sich am Schmieden von Durchhalteversen beteiligt: " Wie dr Baam drubn
zäh hält jeden Watter Stand; a de Stürme trotzt, die fegn durch
unner Land ".
Nach den bisher bekannten Gedicht-Manuskripten unterzeichnete A.Schramm
lediglich einen "Vorspruch" zum 25 jährigen Jubiläum der Annaberger
Schwimmerriege "Neptun" (ohne Datum; vermutlich 1933 ) mit der
tragisch-komischen Grußformel "Gut Naß ! Heil Hitler !" . Alle seine
anderen lyrischen Verlautbarungen schließen nur mit seinem gewaltigen,
graphologisch unschwer zu deutenden Namenszug.
Es war bisher noch nicht zu ermitteln, wann der Heimatdichter Schramm
in die Reichsschriftumskammer (RSK) unter der Mitglieds Nr. 4419
aufgenommen worden ist. Wir kennen auch nicht jenes Schreiben, welches
er von dort erhalten haben muß und in dem man ihm zu verstehen gab,
daß in der RSK nur hauptberufliche Schriftsteller und Dichter ein
Mitgliedsrecht haben. Er aber - da er ja von Beruf Kaufmann war und
seine Verse nebentätig fabrizierte - konnte dort offenbar aus diesem
Grunde nicht länger Mitglied bleiben. Man hatte allerdings im
damaligen "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" am
Berliner Wilhelmplatz nicht mit dem in seinem Ehrgefühl äußerst
verletzten Energiebündel aus dem Erzgebirge gerechnet.
Denn an jene Goebbels-Dienststelle richtete unser so verkannter
Heimatdichter am 15.6.1939 eine fünf (!) -seitige, eng beschriebene "
Berufung ". Ganz fürchterlich wetterte er darin gegen den "
mißgünstigen und übelgesinnten Kreisleiter (der NSDAP, d.V.)
Vogelsang aus Annaberg ", den er seit mehr als 4 Jahren bei der
"Reichsregierung unter schwerer, bis heute leider noch immer nicht
abgeschlossener Anklage" stellen lies, wogegen er "als alter
Hitler-Kämpfer schärfsten Sturm läuft".Nun wäre eine Beschwerde
gegen einen Rausschmiß aus der RSK weiter keine tragische
Angelegenheit. Ganz andere Dichter- und Schriftstellergrößen waren
dort Mitglied und kamen nicht zu der "Ehre", wie sie Arthur Schramm
zuteil wurde. Interessant ist also weniger sein Kampf um die
Wiederaufnahme in jene ominöse Kammer, sondern vielmehr die Dar- und
Ausstellung seiner Haltung zum damaligen System in jenen verbalen
Äußerungen, die hier nicht wiedergegeben werden sollen, um den
bereits mehrfach an anderer Stelle positiv gewerteten Heimatdichter zu
schmähen, sondern um die Entwicklungsgeschichte eines Menschen
möglichst in seiner Ganzheit darzustellen. Hierbei könnte A.Sch.
durchaus auch als Synonym-Figur in Betracht kommen, um damit eventuell
einer leider wieder zunehmend häufiger anzutreffenden selektiven
Geschichtsaufarbeitung von Lebensläufen verdienstvoller
erzgebirgischer Persönlichkeiten entgegenzuwirken.
Es ist schon einigermaßen verwunderlich zu erfahren, daß der spätere
nimmermüde Friedensmahner im Jahre 1939 von sich nachweislich
behauptete:
" Ich habe mich schon vor vielen Jahren als völkischer Rufer selbstlos
eingesetzt und habe aktiv auch im Zeichen Adolf Hitlers für
Deutschlands Erneuerung und Vergrößerung uneigennützig getrommelt
und gepredigt; was unwiderleglich ist und nachgewiesen werden kann! Und
habe so das Dritte Reich mit dichterisch heißem Herzen miterlitten und
erkämpft... !! " .
Der Ministerialkanzlei drohte er schließlich seinen persönlichen
Besuch beim " Förderer und Schützer deutscher Kunst und ihrer
Künder, unseren a l l v e r e h r t e n Pg. Dr. J. Goebbels ... . "
an, und schlimmstensfalls würde er "... doch noch direkt zum
geliebeten Führer...." fahren. Es folgt eine umfangreiche und
umständliche Aufzählung seine vielfältigen Verdienste um "Führer
und Reich" von denen hier nur einige ausgewählte Kostproben folgen
sollen :
Ein "SA-Marsch im Volksliedton" (deponiert im Hauptarchiv der
Reichsleitung der NSDAP- München) zu dem er auch die " . . . Melodie
in straffen Rhythmen selbst komponiert . . . " hatte ; ein
"Freischärlermarsch" für das Freikorps des berüchtigten Konrad
Henlein, von dem er ein Dankschreiben mit der Versicherung erhielt,
daß dieses "Werk" der Bataillionsgeschichte des Batl.VI beigelegt
wurde ". . . damit es späteren Generationen erhalten bleibt !" ; ein
dem italienischen Faschisten "Benito Mussolini" gewidmetes und so
betiteltes Gedicht, für das er vom SS-Judenvernichter Dr. Todt ein
Buch als Auszeichnung überreicht bekam; schließlich hatte ihm der
Gauleiter Bürckel für sein "Saarbefreiungs-Gedicht" schriftlich
herzlich gedankt.
Aber was war das alles im Vergleich zu jenem Schauspiel, von dem A.
Schramm mit Stolz berichten konnte: " So habe ich in der
Revolutionsnacht am 30.Jan. 1933 mein feueriges und zündendes
Kampfgedicht, betitelt ' Aufbruch der Nation ', vom Annaberger
Rathausbalkon begeistert und begeisternd in die a n g e s t a u t e n M
a s s e n deutschen Volkes, erwachten Volkes, geschleudert . . . ! "
Sicher wird es noch Zeitzeugen von diesem makabren Appell auf dem
Annaberger Marktplatz geben. Oder wollen die noch lebenden Teile jener
damals "angestauten Massen" sich nicht mehr daran erinnern können ?
Verdrängen ? Immer noch,- nach 50 Jahren ? Irgendwann werden wir es
unseren Kindern und Enkeln aber doch erklären müssen, warum wir
damals die ausgestreckte Hand nicht zur Faust geballt haben. Wer gibt
uns das Recht, jüngste Geschichte vorgeblich ganz und die von vor
einem halben Jahrhundert nur teilweise aufarbeiten zu wollen ? Das
Luther-Wort " Die Wahrheit muß herfür ! " schleuderte am 26.11.1938
unser staatsnaher Heimatdichter in eigener Sache seinem "geliebten
Führer Adolf Hitler" wuchtig in einem Brief entgegen und setzte als
Höhepunkt seiner Bekennerschaft noch hinzu:
" Ich bin in meiner unveräußerlichen Ehrliebe und in meiner
unabänderlichen Ehrauffassung in sittlicher und charakterlicher
Hinsicht nicht zu übertreffen und fühle mich hierbei in der besten
Gesellschaft meines geliebten Obersten Führers!!
Sie können fest versichert sein, daß ich mit brennender Sehnsucht,
wenn auch blutenden Herzens, im Geiste bei ihnen bin; wie gern wäre
ich auch diesmal wieder bei dem 1. Reichsparteitag Großdeutschlands
persönlich dabei gewesen; es blieb mir hart versagt ."
Wer nun glaubt, in diesem " Kämpfer um ein Parteibuch der NSDAP unter
den Nummern 1-1.000 "nur den manischen Exzentriker sehen zu müssen,
der verniedlicht die Zeit, die solche Fanatiker zeugte und
ge(miß)brauchte, von denen A.Sch. vielleicht nur wegen seiner
spezifischen Persönlichkeitsstruktur heraussticht. Der Nachweis über
das Verhalten anderer bekannter und wesentlich profilierterer
Territorial-Gestalten aus jener Zeit wäre unschwer zu erbringen.
Typisch für die meisten von ihnen ist ihre überraschende
"Vergeßlichkeit", ihre engagierte Verdrängungswut und ihr oftmals
wiederwärtiges Anpaßlertum an das jeweils nachfolgende System, -
einschließlich jener, die deren geistiges Erbe heute "verwalten".
So nimmt es nicht wunder, wenn unser Heimat-Poet nach einer gewissen
sentimentalen Phase in den mittleren 40er Jahren (Weihnachtsgedichte,
Frühlingslieder, Durchhalteverse) bereits 65 Tage nach der Befreiung
von dem bisher furchtbarsten aller Kriege in seinem so betitelten " Ruf
" schmettert :
" Komm' mit, Kamerad ! Pack' an ! Schaffe mit !
Es gilt jetzt die Welt zu befrieden ! -
Wir beid', du und ich, geh'n im gleichen Schritt,
die Einheit, den Frieden zu schmieden. - - - "
Von nun an überstürzen sich seine Bekenntnisse zum Frieden, zu
Einheit, zur Freiheit, zur Heimat - und auch zum "Eierkuchen". Schramms
große Stunde, sich wieder der neuen Macht zu empfehlen, kam bald.
Anfang der 50er Jahre wurde das vormalige Anton-Günther-Gymnasium in
Johannes-R.-Becher-Oberschule umbenannt. Ein ehemaliger Schüler
berichtet dazu aus eigenem Erleben: "Ich gehörte damals zu den
'Jublern', die auf der Schulhaustreppe postiert wurden. Brausender
Beifall sollte J.R.Becher empfangen. Doch vor dessen Eintreffen kam ein
anderer Dichter - es war Arthur Schramm. Man sagte, daß er sich dem
Minister als größter Heimatdichter vorstellen wollte. Dazu kam es
nicht. Schüler aus den oberen Klassen, eigens dafür
eingesetzt,verhinderten ein unerwünschtes Zusammentreffen".
Später dann ist es Schramm doch noch gelungen, seinen künstlerisch
durchaus akzeptablen "Friedensaufruf" im Treppenaufgang des
Ministeriums für Kultur - fast lebensgroß - zu platzieren.
Vermutungen besagen, daß davon eine Kopie im Staatsrat der DDR zur
Aufhängung kam und eine weitere den Weg nach Rom, in den Vatikan,
antrat.
Die ehemalige systemnahe Blockpartei der SED - die CDU - nahm Arthur
Schramm in ihre Reihen auf. Nach der sogenannten Wende beschweren sich
ehemalige Funktionäre der "Mutterpartei" darüber, daß sich seine
Parteifreunde kaum um den älter und kränker werdenden, nunmehr
christ-demokratischen Dichter gekümmert hätten. Mitarbeiter der
Annaberger SED-Kreisleitung waren es nachweislich, die Herrn Schramm
regelmäßig zum Geburtstag aufsuchten und beschenkten. "Die dabei
immer angebotene Hilfe in vielfältiger Form -Bettwäsche,
Wohnungsgegenstände, Kleidung usw. wurde von A.S. abgelehnt, ja sogar
als ausgesprochene Beleidigung zurückgewiesen ! Geld nahm er an ! " -
schreibt eine ehemalige Mitarbeiterin der SED-KL in einem Leserbrief
vom 24.12.1991 auf einen damals verfaßten Beitrag über A. Schramm.
Obwohl in der "Neuen Zeit " angekommen, konnte er sich offensichtlich
von der alten nicht ganz trennen. In seinem Domizil soll man bei dessen
Auflösung Stapel nazistischer Zeitungen gefunden haben. Sogar Waffen
und Munition seien dort entdeckt worden, wird in einem Schreiben von
einem Kenner der Szene versichert. "Nur dem Alter und der Person A.S.
war es geschuldet, daß er nicht zur Rechenschaft gezogen wurde" -
lautet eine dazu vorliegende, für die damaligen Zeitumstände doch
recht merkwürdig anmutende Begründung.
Sollte er Glück gehabt haben und man war tatsächlich nachsichtig mit
dem "Städtischen Hofnarren " ? Denn Glück hatte Arthur Schramm in
seinem privaten Leben kaum, - dafür anscheinend mehr mit den jeweils
Mächtigen. Und wen wundert es dann noch, wenn wir den nun fast
Hundertjährigen genußvoll sein Bier schlürfend, einträchtig -
gleich zwischen zwei CDU-Bürgermeistern sitzend - beim 1.
Sächsischen Bergmannstag 1992 in der Presse wiederfinden. Warum auch
nicht ? Dies sollte man schon als konsequente Kontinuität von ihm
erwarten dürfen. Der Alte ist schließlich auch nur ein Kind seiner
Zeiten und hat sich in diesen auf seiner Weise engagiert und mit ihnen
arrangiert, - mehr doch wohl nicht !? Oder ?? Toleranz also
gegenüber solch' systemnahen Leuten wie Arthur Schramm ? Sehr
einverstanden !? Doch, - wieso nur diesen gegenüber ? ? ?
Frieden und Ruh' für's "Klaane Getu' "...
Auch diese Zeile stammt übrigens nicht von Arthur Schramm, dem nunmehr
Wehrlosen, dem dieser Tage reichlich gereimte Ungereimtheiten von
regionalen Medien und selbsternannten Schramm-Forschern angedichtet
werden. Das "Klaane Getu' ", unser dichtendes Erzgebirgsoriginal, hat
sein Stöckchen abgegeben, mit dem er ungezählte Spaziergänge zum
Pöhlberg klappernd beschritt; dabei die Straßen von Unrat beräumte
oder auch schon mal einen Lausbub damit heftig drohte, wenn der ihm
Verse nachrief, die nicht seine waren. Schramms Reime waren nie von
hohem literarischen Wert. Nur wenige seiner Gedichte, wie etwa sein
"Friedensaufruf", sind über die Grenzen des Erzgebirges hinaus bekannt
geworden. Sie sind viel zu sehr heimatverbunden. Schlicht sind sie,
häufig naiv und dennoch nicht selten sogar schön. Seine Lieder,
Gedichte und Sprüche huldigen aber nicht nur die Natur, die Bergheimat
und den Erzgebirger, sondern eben auch "seinen Führer", "den neien
Wind" und später dann den Frieden. Damit hat der Kaufmann und Poet aus
Annaberg - wie schon ganz andere vor ihm - ein weiteres Mal den Beweis
angetreten, daß Sprache - auch die in Verse gegossene - eine
konzentrierte Form des Denkens darstellt. In Schramms "Werk" spiegeln
sich das Denken der Zeiten, die er durchlebte ebenso, wie die lokalen
Beschränkungen, denen er sich zeitlebens aussetzen mußte.
Eine Goldmedaille hat er für seine poetischen Ergüsse nie erhalten.
Auch seine zahlreichen Erfindungen, wie z. B.: Zeppelin-Fliegenfänger,
MIRAM-Kaffeefilter, Sicherheits-Wetzstein, "Ewige"-Rasierklinge,
Fahrrad-Sattel-Lehne u.a. sind lediglich beim Deutschen Patentamt
registriert, jedoch niemals mit Leipziger Messegold verziert worden.
Seinen neunund- neunzigsten Erzgebirgs-Lenz hätte Arthur Schramm am
30. Mai dieses Jahres erlebt. Er war eine stets umstrittene, zu allen
Zeiten gelittene, skurril daherkommende und dennoch auch liebenswerte
Identitätsfigur des Erzgebirges. Er wurde von vielen belächelt, von
einigen beschimpft, aber von ganz wenigen nur verstanden. Er war einer
von uns. Ein Erz-Erzgebirger. Ein kleiner, aber schillernder Kiesel aus
unserem erzgebirgischen Urgestein, - der uns hoffentlich noch lange zum
Nachdenken anstiften wird.
Prof. Gotthard B. Schicker (Annaberg/Budapest)