Gewaltsamer Tod Hunderter Demonstranten
Ägyptens Ex-Präsident Mubarak muss sich ab heute erneut wegen des Todes von mehr als 800 Demonstranten vor Gericht verantworten. In einem ersten Verfahren war er zu lebenslanger Haft verurteilt worden, dagegen hatten Anklage und Verteidigung Berufung eingelegt. Am Ende könnte die Todesstrafe stehen.
Von Peter Steffe, ARD-Hörfunkstudio Kairo
Im Januar hatte ein Berufungsgericht entschieden, dass der Prozess gegen den ehemaligen ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak und den damaligen Innenminister Habib Al Adli neu aufgerollt werden muss. Beide waren Anfang Juni 2012 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Auch die damals freigesprochenen beiden Söhne Mubaraks sowie sechs hochrangige Polizeioffiziere müssen sich erneut vor Gericht verantworten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten gegen das damalige Urteil Berufung eingelegt.
Die im Juni 2012 live im staatlichen Fernsehen übertragene Verkündung des Strafmaßes wurde als Jahrhundert-Urteil bezeichnet. Bis dahin war keiner der Despoten, die während des Arabischen Frühlings stürzten, zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Neuer Prozess gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Mubarak
P. Steffe, ARD Kairo
13.04.2013 08:08 Uhr
Der inzwischen pensionierte Richter Ahmed Rifaat führte bei der Bekanntgabe des Urteils damals aus, dass das Gericht es für erwiesen ansehe, dass Mubarak die Hauptschuld am Tod von mehr als 800 Demonstranten trägt, die während des Volksaufstandes im Januar 2011 in Ägypten ihr Leben verloren hatten. Auch der bei der Bevölkerung verhasste Ex-Innenminister Adli, ehemals zuständig für die staatlichen Sicherheitskräfte, bekam lebenslange Haft.
Richter Rifaat betonte bei der Urteilsverkündung, dass das Verfahren höchsten rechtsstaatlichen Ansprüchen genüge. Es gab 49 Verhandlungstage mit allein 700 Seiten Zeugenaussagen - das gesamte Prozessmaterial umfasste mehr als 60.000 Seiten. Aber schon damals tauchten Zweifel auf, ob tatsächlich alles nach rechtsstaatlichen Kriterien abgelaufen ist. Beweismaterial war vernichtet beziehungsweise gefälscht worden, wie Rifaat im Juni vergangenen Jahres beklagte.
Unmittelbar nach dem Urteil machte sich Wut und Enttäuschung bei den Hinterbliebenen der Opfer des Aufstandes breit. Vor allem wegen der Freisprüche für Mubaraks Söhne Gamal und Alaa sowie für die sechs hochrangigen Polizeioffiziere, die ebenfalls angeklagt waren. Viele, wie beispielsweise Ahmed Saad, einer der Opferanwälte, vermuteten eine Verschwörung dahinter: "Das Urteil hat keinen Wert. Es ist bedeutungslos, dass der gestürzte Präsident in hohem Alter lebenslänglich bekommt. Auch sein Innenminister ist Mitte 70. Aber wenn Mubaraks Söhne freigesprochen werden, heißt das, dass da Kräfte hinter den Kulissen wirken. Diese Kräfte sind das System, gegen das die Menschen sich eigentlich erhoben hatten."
Im Klartext: gemeint ist das alte Mubarak-Regime. Lassen sich diese Verschwörungstheorien im zweiten Prozess beweisen? Das neue Verfahren, vor allem dessen Ausgang ist mit vielen Fragezeichen versehen. Es birgt jedenfalls für die Angeklagten ein hohes Risiko. Für die sechs Polizeioffiziere und die beiden Mubarak-Söhne könnte das Haft bedeuten, für den Ex-Präsidenten und seinen damaligen Innenminister sogar die Todesstrafe.
Während Mubaraks Verteidiger nach wie vor argumentieren, ihr Klient habe nichts von den Tötungen der Demonstranten gewusst, stellte eine Untersuchungskommission fest, dass Mubarak über eine Fernseh-Leitung in sein Büro damals offenbar permanent live über die Lage informiert war. Festgestellt wurde auch, dass die ägyptische Polizei für nahezu alle Todesfälle während der Revolution 2011 verantwortlich sei. Rund um dem Tahrir-Platz in Kairo hatten während des Aufstandes Scharfschützen von Dächern aus auf die Demonstranten gefeuert. Die Anweisungen für die Massaker können dem Bericht zufolge nur von Innenminister Adli veranlasst worden sein, unter wissentlicher Billigung Mubaraks.
Können diese Erkenntnisse, die erst nach Ende des ersten Prozesses öffentlich wurden, tatsächlich bewiesen werden? Diese neuen Fakten könnten aber zumindest sowieso schon bestehende Forderungen nach einer grundlegenden Reform im ägyptischen Sicherheitsapparat weiter befeuern. Zu Beginn des ersten Prozesses hatte Mubarak sämtliche Vorwürfe der Anklage mit folgenden Worten zurückgewiesen: "Ich habe mit all dem nichts zu tun." Man darf gespannt sein, wie der 85 Jährige sich diesmal äußert, zum Auftakt des Berufungsprozesses.is