Lieber Rolf,
danke für die amerikanisch-unkonventionelle Anrede. Es gibt ein Taschenbuch, ein ganz aktuelles, danach wäre der Sitz der Elite eher München statt Berlin. Die Autorin Julia Friederichs hat sogenannte Eliteuniversitäten besucht, Elite(privat)schulen, sogar Elitekindergärten. Vieles ein sich rasend ausbreitender sozialer Trend, (offenbar aber kein soziologischer). Es wird auch schon von Funktionseliten gesprochen, als wären Ausgewählte oder Auserwählte schon ein System für sich. Die Autorin hat gefunden, dass keiner der befragten Verantwortlichen so recht zugeben wollte, dass es sich eher um eine monetäre Auslese handele, als um die Realisierung der überall vorgeschobenen Maxime, es würden an solchen Institutionen Lediglich mit sozial funktionalen Mitteln „Leistungseliten“ ausgesiebt und herangezogen.
Es gibt da einen Soziologen namens Michael Hartmann. Der hat tausende Lebensläufe Hochqualifizierter ausgewertet. Er gilt als der einzige Eliteforscher unseres Landes, also Deutschlands. Der mag aber den Terminus Elite gar nicht. Er meint, mit dem Begriff Elite sei aus vielen Gründen ein Konzept verbunden, das eine Spaltung der Gesellschaft vorsieht. Danach heisse der Gegenbegriff zu Elite eindeutig „Masse“, anders liesse sich das gar nicht denken. Sein Ergebnis sei eindeutig: Nicht die Qualifikation entscheide über die sozialen Aufstiegschancen, sondern die soziale Herkunft. Er hat sogar festgestellt, die Mittelschichtkinder machten, trotz Promotion, in der Wirtschaft wesentlich seltener Karriere als ihre Konkurrenten aus besseren Familien: „Wir haben festgestellt, dass von den Vorstandsvorsitzenden der hundert grössten deutschen Unternehmen 85 Prozent aus dem gehobenen Bürgertum und dem Großbürgertum stammen, […]. Eine enorme Quote, vor allem, weil gerade einmal 3,5 Prozent der Deutschen dieser Oberschicht angehören. Nur 15 Prozent der Vorstände seien in Mittelschicht- oder Arbeiterfamilien geboren, Schichten, aus denen die übrigen 96,5 Prozent der Bevölkerung stammen. Die Oberschichten stellen zudem fast zwei Drittel der oberen Verwaltungsbeamten, und auch in der Politik, früher die >Elite der Aufsteiger<, liesse sich ein Prozess der >Verbürgerlichung< beobachten. (Alles aus dem Buch: „Gestatten: Elite“ der genannten Autorin).
Liesse sich doch soziologisch fragen: Für welch eine gesellschaftliche Tatsache, als Problem gesehen, sind diese Forschungsergebnisse sozusagen die „Lösung“?, oder anders: Für was könnte man sie als funktionales Äquivalent ansehen?
Ich bin zu wenig Soziologe, um mir solche Fragen zufriedenstellend selbst zu beantworten. Was meint Ihre Liste hierzu?
Gruss vom Berliner, (ich möchte bei diesem mir durch Geburt und Neigung zugefallenen Alias-Listennamen bleiben).
"Ich bin zu wenig Soziologe, um mir solche Fragen zufriedenstellend selbst zu beantworten.
Was meint Ihre Liste hierzu?"
Als ich noch Soziologe war, gab es in der Soziologie einen empirischen Befund, den jeder
Soziologe reproduzierte (ich glaube der Befund stammt von T. Parsons, aber vielleicht hat
er auch nur reproduziert): Nur die Herkunft entscheidet, das folgt (Folgerung) aus der
gemessenen Tatsache, dass höhere Berufungen zu mindestens 80 % aus einem 10%Anteil
der Bevölkerung stammen.
Das wird in der Soziologie (seit sie mit empirischen Befunden argumentiert) immer und durchwegs
so zitiert. Und N. Luhmann, den dieser Befund nicht stört, stört sich daran, dass er immer wieder
gefunden wird. Deshalb gab er (seiner in der Soziologie nicht sehr beachteten) Soziologie die
anti-empirische Wende und fragte, wie man diese Frage durch andere Fragen ersetzen könnte.
Das Anliegen scheint mir sinnvoll: Statt immer dasselbe Resultat auf eine Frage zu finden, doch
lieber mal etwas anderes zu fragen. Also schlug er vor nach funktionalen Äquivalenten Ausschau
zu halten. Nun, ich habe es nie getan. Deshalb kann ich in der Luhmann-Liste auch nichts sinnvolles
beitragen - und eben Dir nicht sinnvoll antworten.
Sorry
Rolf
Abschließend vielleicht noch die Frage, ob jemand den Ausatz "Wozu
Eliten?"
von Dirk Baecker kennt und sagen kann, wo man ihn (Baecker oder den
Aufsatz?)
findet?