Elite

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Berliner

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Oct 12, 2009, 5:39:11 PM10/12/09
to Differenz_Theorie
Nur Zuschauen und Warten ist doch fad. Ich versuche eine Frage:
Wenn "Elite" Teil oder die eine Seite einer Differenz ist, wie hiesse
dann die andere Seite? Vielleicht "Masse", oder "Unterprivilligiert"?
Oderfalls man bei Elite im Hintergrund mitliest "Sieger" oder
"Gewinner", wäre dann die andere Seite von Elite gar "Verlierer"?

Wie sieht die Liste hier diese Differenz(ierung)?

Gruss vom Berliner

Rolf Todesco

unread,
Oct 12, 2009, 7:20:08 PM10/12/09
to differen...@googlegroups.com
Lieber Berliner
 
natürlich kann ich keine Antwort geben, ich kann nur sagen, was ich mir
unter Differenzen vorstelle. Ich stelle mir vor, dass jeder seine eigenen
Unterscheidungen macht. Jeder sieht seine Elite.
Dann können wir uns darüber unterhalten, wie jeder von uns die Elite
sieht - und zur Theorie (was ja nur sehen heisst), wie können uns darüber
unterhalten, wie wir uns das Unterscheiden vorstellen.
 
Berlin könnte man geografisch sehen, sozusagen hinter einer Mauer. Aber
Kennnedy hat ja gesagt, dass er auch ein Berliner sei, was offenbar
nicht geographisch gemeint war. Eher: die Berliner als Elite??
 
Eine DiffereAnce wäre wohl darin zu finden, sich zu fragen, WIE unterscheide
ICH, und wie könnte ich stattdessen unterscheiden. Was habe ich davon
und was häätte ich stattdessen. Oder wozu sehe (erfinde, konstruiere) ich
überhaupt Eliten?
 
Für mich sind das persönliche Fragen, die keine allgemeine Antwort haben.
Mir hilft, wenn andere, mir sagen, ob und wie sie, mit der jeweiligen Frage
umgehen. Nur hier, im konkreten Fall: Ich persönlich kann keine Elite
sehen. Aber unsere Liste ist ja gross, Da gibt es Potential ;-)))
 
Gute Nacht
Rolf

Pluto der Planet

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Oct 12, 2009, 8:28:20 PM10/12/09
to differen...@googlegroups.com

Lieber Rolf,

 

danke für die amerikanisch-unkonventionelle Anrede. Es gibt ein Taschenbuch, ein ganz aktuelles, danach wäre der Sitz der Elite eher München statt Berlin. Die Autorin Julia Friederichs hat sogenannte Eliteuniversitäten besucht, Elite(privat)schulen, sogar Elitekindergärten. Vieles ein sich rasend ausbreitender sozialer Trend, (offenbar aber kein soziologischer). Es wird auch schon von Funktionseliten gesprochen, als wären Ausgewählte oder Auserwählte schon ein System für sich. Die Autorin hat gefunden, dass keiner der befragten Verantwortlichen so recht zugeben wollte, dass es sich eher um eine monetäre Auslese handele, als um die Realisierung der überall vorgeschobenen Maxime, es würden an solchen Institutionen Lediglich mit sozial funktionalen Mitteln „Leistungseliten“ ausgesiebt und herangezogen.

 

Es gibt da einen Soziologen namens Michael Hartmann. Der hat tausende Lebensläufe Hochqualifizierter ausgewertet. Er gilt als der einzige Eliteforscher unseres Landes, also Deutschlands. Der mag aber den Terminus Elite gar nicht. Er meint, mit dem Begriff Elite sei aus vielen Gründen ein Konzept verbunden, das eine Spaltung der Gesellschaft vorsieht. Danach heisse der Gegenbegriff zu Elite eindeutig „Masse“, anders liesse sich das gar nicht denken. Sein Ergebnis sei eindeutig: Nicht die Qualifikation entscheide über die sozialen Aufstiegschancen, sondern die soziale Herkunft. Er hat sogar festgestellt, die Mittelschichtkinder machten, trotz Promotion, in der Wirtschaft wesentlich seltener Karriere als ihre Konkurrenten aus besseren Familien: „Wir haben festgestellt, dass von den Vorstandsvorsitzenden der hundert grössten deutschen Unternehmen 85 Prozent aus dem gehobenen Bürgertum und dem Großbürgertum stammen, […]. Eine enorme Quote, vor allem, weil gerade einmal 3,5 Prozent der Deutschen dieser Oberschicht angehören. Nur 15 Prozent der Vorstände seien in Mittelschicht- oder Arbeiterfamilien geboren, Schichten, aus denen die übrigen 96,5 Prozent der Bevölkerung stammen. Die Oberschichten stellen zudem fast zwei Drittel der oberen Verwaltungsbeamten, und auch in der Politik, früher die >Elite der Aufsteiger<,  liesse sich ein Prozess der >Verbürgerlichung< beobachten. (Alles aus dem Buch: „Gestatten: Elite“ der genannten Autorin).

 

Liesse sich doch soziologisch fragen: Für welch eine gesellschaftliche Tatsache, als Problem gesehen, sind diese Forschungsergebnisse sozusagen die „Lösung“?, oder anders: Für was könnte man sie als funktionales Äquivalent ansehen?

 

Ich bin zu wenig Soziologe, um mir solche Fragen zufriedenstellend selbst zu beantworten. Was meint Ihre Liste hierzu?

 

Gruss vom Berliner, (ich möchte bei diesem mir durch Geburt und Neigung zugefallenen Alias-Listennamen bleiben).

Rolf Todesco

unread,
Oct 13, 2009, 5:34:56 AM10/13/09
to differen...@googlegroups.com
Lieber Berliner
 
weil Du mehr mich Ansprichst als die Liste, antworte ich, obwohl ich keine Antwort weiss.
Für mich gilt:

"Ich bin zu wenig Soziologe, um mir solche Fragen zufriedenstellend selbst zu beantworten.

Was meint Ihre Liste hierzu?"

 

Als ich noch Soziologe war, gab es in der Soziologie einen empirischen Befund, den jeder

Soziologe reproduzierte (ich glaube der Befund stammt von T. Parsons, aber vielleicht hat

er auch nur reproduziert): Nur die Herkunft entscheidet, das folgt (Folgerung) aus der

gemessenen Tatsache, dass höhere Berufungen zu mindestens 80 % aus einem 10%Anteil

der Bevölkerung stammen.

 

Das wird in der Soziologie (seit sie mit empirischen Befunden argumentiert) immer und durchwegs

so zitiert. Und N. Luhmann, den dieser Befund nicht stört, stört sich daran, dass er immer wieder

gefunden wird. Deshalb gab er (seiner in der Soziologie nicht sehr beachteten) Soziologie die

anti-empirische Wende und fragte, wie man diese Frage durch andere Fragen ersetzen könnte.

 

Das Anliegen scheint mir sinnvoll: Statt immer dasselbe Resultat auf eine Frage zu finden, doch

lieber mal etwas anderes zu fragen. Also schlug er vor nach funktionalen Äquivalenten Ausschau

zu halten. Nun, ich habe es nie getan. Deshalb kann ich in der Luhmann-Liste auch nichts sinnvolles

beitragen - und eben Dir nicht sinnvoll antworten.

 

Sorry

Rolf

 

 

 

Erhard

unread,
Oct 13, 2009, 9:02:31 AM10/13/09
to Differenz_Theorie
Lieber Berliner, Lieber Rolf,


wenn es um Eliten und Differenztheorie geht, dann währe eine mögliche
(kurzschlüssige) selbstreferentielle Wende wohl die, dass wir uns zur
Differenztheorieelite ausrufen (lassen) und dann schauen, wie der Rest
der Welt hinter unserem Unterscheidungs(unterscheidungs)vermögen
in schnöder Armut darniederliegt [Elite vs Masse// marked vs. unmarked
state].
Doch Scherz und Ironie beiseite!

Ich denke dass das Thema "Elite" und das theoretisch-methodische
Interesse an "Differenztheorie" ausgezeichnet zusammenpassen und
ein gutes Übungsfeld für Verstehens- und Verständigungsversuche über
beide Seiten - Thema und Theorie/Methode - abgeben. Zudem erlaubt
und ermutigt das Thema zu unterschiedlich intensivem Engagement
von Beobachtern, so dass die Dynamik der Beobachtung beachtliche
Entfaltungsräume gewinnt, so dass sich Differenztheorie in Aktion
gleichsam
selbst zu Gesicht bekommen könnte. (Also all das passiert, was in
der Luhmann-Liste immer mal wieder angemahnt und dann doch im
nächsten Schritt praktisch selbstblockiert wurde. ...)

Für mich währe einer der ersten Schritte, dass man einer möglichen
differenztheorietischen Beobachtung von Elitetheorien/Eliteempirien
ein "Gesicht" gibt, so dass auch diejenigen, die angesprochenene
Texte und Thesen nicht zur Hand haben, zum mitbeobachten sich
eingeladen fühlen können.

In diesem Sinne ein ersten Link zur FU Hagen mit einem
Interview eines "Soziologen namens Michael Hartmann".

http://www.fernuni-hagen.de/KSW/basoz/gesellschaftbegreifen/?page_id=91


Zu Rolf vielleicht noch die kurze Anmerkung: es mag ja so sein, dass
Eliteforschung (der Soziologie) zu bestimmten Zeiten auf bestimmte
Publikationen und Äußerungen von Parsons bezuggenommen hat.
Dabei ist es aber sicherlich nicht geblieben- wie ein Blick auf die
Homepage von M. Hartmann schnell zeigen würde. Und das Luhmann
aus Einverständnis/Ablehnung oder Indifferenz mit Parson (in diesem
Thema) dann eine anti-empirischen Wende vollzogen habe, halte ich
zwar für eine wunderschöne "Unterscheidung", aber dennoch für wenig
"empirisch". Mit solchen Kurzschlüssen können wir jeder Zeit jedes
Thema
blockieren und abwürgen.Und gerade die Frage nach der Empirie einer
Theorie,
zum Beispiel der Empirie der Differenztheorie, würden wir so völlig
zur geheimen
Verschlusssache machen und aus den Augen verlieren. Schließlich i s
t die
Differenztheorie die Empirie der luhmannschen Systemtheorie.


Abschließend vielleicht noch die Frage, ob jemand den Ausatz "Wozu
Eliten?"
von Dirk Baecker kennt und sagen kann, wo man ihn (Baecker oder den
Aufsatz?)
findet?

Herzliche Grüsse

Erhard

Rolf Todesco

unread,
Oct 13, 2009, 10:01:00 AM10/13/09
to differen...@googlegroups.com
Liebe Group-liste ;-)
 
da sehe ich zunächst sofort und augenfällig, dass ich der Falsche war, die
Frage hätte nicht mich ansprechen sollen (sondern die Liste) und ich hätte nicht
antworten sollen. Letzteres habe ich ja auch sofort bemerkt (und ignoriert).
 
Und jetzt muss ich noch nachfügen: Ich meinte nicht, dass Elite-Diskussionen
auf T. Parsons bezug nehmen, sondern dass die "empirische" Soziologie seit
T. Parsons immmmmer wieder belegt, das die Kinder der Reichen, neben
der Erbschaft zusätzlich reich und angesehen werden. Das ist einfach-einfach
zu messen, und es ist einfach soziologische Empirie schlechthin (weil es
so einfach messbar wahr und über die ganze Zeit stabil ist).
 
Und: Zumachen, blockieren, abwürgen will ich nichts da draussen, nur ich bin
manchmal etwas zu.
 
Mir gefällt der Satz:
Schließlich  i s t  die Differenztheorie die Empirie der luhmannschen Systemtheorie.
als Differenz, vor dem Hintergrund der Unterscheidung Theorie/Empirie: eine Theorie als
Empirie einer Theorie.
 
Herzliche Grüsse
Rolf
 

Rolf Todesco

unread,
Oct 13, 2009, 10:13:18 AM10/13/09
to differen...@googlegroups.com
Lieber Erhard
Abschließend vielleicht noch die Frage, ob jemand den Ausatz "Wozu
Eliten?"
von Dirk Baecker kennt und sagen kann, wo man ihn (Baecker oder den
Aufsatz?)
findet?
 
Google sagt:
  • Das Willkuerhandeln von Persoenlichkeiten: Die Integrationsfunktion von Eliten im Uebergang zur Netzwerkgesellschaft, in: Herfried Muenkler, Grit Strassenberger, Matthias Bohlender (Hrsg.), Deutschlands Eliten im Wandel. Frankfurt am Main: Campus, 2006, S. 297-317 (wieder abgedruckt unter dem Titel "Wozu Eliten" in: Dirk Baecker, Wozu Gesellschaft? Berlin: Kulturverlag Kadmos, 2007, S. 183-205)
 
 
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