Lieber Rolf,
ist es vielleicht möglich, allen Neueinschreibern zu empfehlen, ein
Pseudonym zu verwenden? Also nicht vorschreiben, sondern nur eine
entsprechende Empfehlung herauszugeben.
Soweit. Werner
Lieber Rolf,
dieser Punkt interessiert mich, weil ich glaube, dass damit etwas sehr
wichtiges angesprochen ist. Aber mir scheint, ich stehe da etwas auf dem
Schlauch. Insbesondere das Stichwort "Vereinbarungsverfahren" hat es mir
angetan. "Vereinbarungsverfahren in Form von Differenzen" - könntest du
mir dazu noch was aufschreiben?
Danke. Werner
----- Original Message -----From: Zwoelfelf
Lieber Rolf,
ich fürchte, diese mehr ingenieurmässig gesehenen „Vereinbarungsverfahren“ können niemals die semantische Ebene des Verstehens (von Sinn und Bedeutung) erreichen.
„Verstehen“, als die dritte Komponente der Triade oder Syndosis von Information/Mitteilung/Verstehen, liegt oder befindet sich – analog zur Linguistik, als ein Sprechhandeln – auf der unteren Ebene der Syntaktik: Die Information kann man ansehen als eine willkürliche, aber irgendwie zusammenpassende „Summe“ von Sinn- und/oder Bedeutungs-Elementen. Die Mitteilung ist dann – technisch gesehen: Shannon/Weaver – die Leistung des „Kanals“ der Übertragung. Der Ingenieur sorgt dafür, das alles, was der Sender als Informationselemente hineingegeben hat, beim Empfänger möglichst verlustfrei wieder ankommt. Damit ist aber nicht der geringste Schritt zum Verstehen auf der Empfängerseite geleistet. Beispiel: Sender/Kanal/Empfänger (als technische Geräte) seien Vereinbart. Also: Alle Schnittstellen stimmen und sind funktional kompatibel. Jetzt wird beim oder im Sender eine Information in deutscher Sprache erzeugt und verlustfrei über den Kanal an den Empfänger geleitet. Der Empfänger kann aber nur Englisch. Folge: Ein Verstehen kommt nicht zustande, weil sich dieser englisch sprechende Empfänger den Sinn und die Bedeutung der erhaltenen deutschen Informationselemente beim besten Willen nicht zusammenreimen kann.
Wir können hier in der Differenzliste in strengen Verfahren vereinbaren, was wir wollen, es wird doch immer dazu führen, dass ein jedes Listenmitglied die erhaltenen Vereinbarungselemente, bedingt durch seine spezifische und individuelle (idiosynkratische) Sozialisation eben „anders“ verstehen wird. Alles zu vereinbarende wird in jedem Einzelfall mehrmals hin- und her-geschoben werden, bis ein halbwegs pragmatisches, ein brauchbares und reibungsfreies Listen-Verstehen zu erreichen sein wird.
Diesem meinem hier ad hoc zusammengebastelten „Einwand“ liegt zugrunde, was ich soeben in dem schon erwähnten Suhrkampbändchen „Kein neues Menschenbild“, Zur Sprache der Hirnforschung, von Peter Janich, gelesen habe (bis jetzt bis Seite 69). Ich hatte nämlich vor geraumer Zeit eine schöne Darstellung des Nobelpreisträgers Eric Kandel gelesen. Der hat in seinem Buch „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ geschildert, was er in über dreissig Jahren in seinen und anderen Labors so getrieben hat: Er hat Riesen-Nervenzellen einer Seeschnecke untersucht und wunderbare Ergebnisse erzielt, um die physikalisch/chemischen Zusammenhänge der Signalübertragung zwischen den Neuronen, über Sysnapsen/Dendriten/Spalten/Ionenkanäle/Neurotransmitter usw. zu erläutern. Dafür hat er den Nobelpreis erhalten. Peter Janisch weist ihm und seinen Kollegen jetzt (mit aller Vorsicht und Einschränkung) nach, dass bei solchen Forschungen verschiedene Sprachspiele (als performativ zu sehende Sprechhandlungen) irreführend durcheinander gebracht werden. Janich unterscheidet hierzu streng Alltagssprache, Objektsprache, Parasprache und Metasprache. Er hält den Gehirnforschern vor, stets von „Natur“ zu sprechen, sie untersuchen auch – mit bildgebenden Verfahren – lebende Gehirne, aber ihre Sprache und alle ihre Begriffe hätten sie (ohne vorangegangene interdisziplinäre Vereinbarungen) den auch schon ziemlich unreflektierten Objektsprachen von Physik, Chemie und Informationstechnik übernommen. Das kann ich hier nicht weiter ausführen. (Das Janisch-Buch hat nur 190 Seiten und kostet nur 10 Euro).
Soviel zu den möglichen Hürden von Vereinbarungsverfahren.
Gruss vom Berliner
danke für die anregende Mail, auf die ich mir vorgenommen habe demnächst, noch im Detail einzugehen. Ich hatte auch den Namen Wittgenstein im Hinterkopf, als ich einige Probleme unseres hoffentlich weitere Form gewinnenden Projektes gedanklich - (also ungemailt) - bearbeitete. Die Nicht-kontraktuellen Grundlagen von Verträgen sind ja in der Sozialtheorie - Hobbes Gesellschaftvertrag - keine Unbekannte. Eine volltransparente, nicht-rekursive, widerspruchlos-logisch-stringente Selbstkonstitution und Selbstreproduktion des Sozialen scheint ja unmöglich zu sein. Darauf baut ja die Karriiere der Systemtheorie auf.
Bei Wittgenstein war ich von zwei Sachen fasziniert: "Man kann nicht nur einmal einer Regel gefolgt sein". Es bedarf also der Wiederholung von Praktiken, ihrer mitlaufenden Beobachtung usw. - und eben auch Zeit - um von einer Regel-Praxis sprechen zukönnen. Die Regel-Semantik scheint dann gleichsam eine nachträgliche regulative Selbstbeobachtung dieser Praktiken zu sein - aber eben nicht der basale konstitutive >>Mechanismus<<! (??) Neben diesem Wiederholungsaspekt (1) hat mich die Abrichtungsthese (2) bei Wittgenstein fasziniert. Die Einübung in eine regelorientierte Sozialpraxis ist eben kein vernünftig kognitiv transparentes Verfahren sondern eine codierte (richtig/falsch) Verhaltensprogrammierung, die viel Platz für Macht und Herrschaft läßt. Auch hier kommt die Vernunft - als kommunikative Reflexion der Regelpraxis und möglicher herrschaftsfreier Diskurs über kollektiv akzeptable [moralische, kognitive] Regeln, die einer zukünftigen Praxis zu grunde gelegt werden sollen, zu spät. "Alle Rationalisierung ist Post-Rationalisierung" - heißt es irgendwo bei Luhmann.
Aber genau um diese Chancen der Post-Rationalisierung - (oder sollte man sagen: Listen-Rationalisierung) - geht es mir eigentlich mit meinen Praktikabilitätsvorschlägen zu Listenkommunikation. So etwas wie eine experimentelle Pragmatik der Differenztheorie in einer Nußschale/Netznische schwebt mir vor Augen, die die Unfallschwerpunkte der Luhmann-Liste etwas glücklicher umschifft.
Jetzt habe ich doch wieder eine längere Antwort verfasst - obwohl ich mich kurz fassen wollte. Ach ja - bevor ich es vergesse: beim Lesen zum Thema Elite ging es mir eigentlich nicht um Viel-Lesen - daher die etwas ironisch gemeinten Hinweise auf den Gesellschafttheoretiker mit 30 Jahresprojekten - , sondern um praktikable Limitationen, die es möglichst Vielen gestatten, sich auf ein Thema und eine selbstreflexive intellektuelle Praxis (Lernen/Argumentieren) einzulassen. Ich würde gerne Exklusionssignale vermeiden.
Soviel als spontane Rückmeldung aus dem Ruhrgebiet in die Bundeshauptstadt.
Herzlich
Erhard
_______________________________________________________________
Neu: WEB.DE DSL bis 50.000 kBit/s und 200,- Euro Startguthaben!
http://produkte.web.de/go/02/
da haben Sie mir ein schönes Sonntagserwachen beschert mit Ihrer so herrlich
langen kurzen Nachricht und Erwiderung. Vor ziemlich langer Zeit, da habe
ich - auf deutsch - einen Norweger (glaube ich) gelesen, sein Name ist mir
jetzt nicht präsent, der mir den so wichtigen historischen Unterschied von
Wittgenstein I und II verstehbar gemacht hat: Wittgenstein I, also der
Tractatus-Autor, der hat als Russelschüler auch noch fest geglaubt, alles
Denkbare und Sagbare liesse sich "restlos" einfangen. Auch Luhmann, da haben
Sie völlig recht, hat dies mit dem von Ihnen zitierten Satz wohl andeuten
wollen. In "Organisation und Entscheidung hat er den darin enthaltenen
langen Artikel über Rationalität ironisch abgeschlossen mit der - ein
bisserl tautologisch - scheinenden Bemerkung, Rationalität allein reiche
nicht, es müsse auch Intelligenz dazukommen. In der alten Liste haben dann
zwei listige Listis mehr spaßig klingend, aber dennoch ernst gemeint,
ergänzt, es müssten sogar zur Abrundung stets noch hinzukommen Intuition und
Phantasie. Die letzten beiden Termini hatte der 30-Jahre-Fleissträger
offensichtlich auch im Sinn, als er einmal sagte, jede Einheit einer
Unterscheidung sei Paradox, und die Entfaltung einer Paradoxie, also ihre
Entparadoxierung, erfordere eben Intuition und Phantasie.
Vorerst einen schönen Sonntag wünsch allen der Berliner.
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: differen...@googlegroups.com
[mailto:differen...@googlegroups.com] Im Auftrag von Erhard Muesse
Gesendet: Sonntag, 18. Oktober 2009 10:31
An: differen...@googlegroups.com
Betreff: RE: Eliten