Das stösst mir auch in sämtlichen Untersuchungen zum Gegenstand übel
auf: "Wir brauchen Eliten" ist in seinem Rekurs auf kollektivistische
Phantasmen noch leicht zu durchschauen. Sobald die appellative Parole
aber ersetzt wird durch den Popanz der Gesamtgesellschaftlichen
Nützlichkeit sind auch die Aufmerksameren sofort bereit zu glauben, daß
hier Entscheidendes verlautbart worden sei.
Pynchons "Gravity´s Rainbow" wird durchzogen von einer Unterscheidung,
die zurückgeht auf ein Traktat, welches der Urahne des Protagonisten
Slothrop am Anfang des 17.Jhs verfasst hat. Die heilsökonomische
Gegenüberstellung von Elects (Erwählten, worauf das Wort "Elite"
zurückgeht) und Preterites (Übergangenen). William nun behauptet in
seiner Schrift "Vom Übergangensein", "daß diese "zweiten Schafe" heilig
wären, da es doch ohne sie keine Erwählten gäbe." (Thomas Pynchon, Die
Enden der Parabel, Reinbeck bei Hamburg 1981, S.867)
Im gleichen Stile könnte man sich doch vorstellen, wenn schon das
kollektive Wir und die Gesamtgesellschaft als letzter , alle
Polykontexturalität zusammenfassender Super-Monokontext unverdächtigt
hochgehalten werden sollte, einmal ein paar Worte zur universalen
"Unverzichbarkeit von Nicht-Erwähltheit" zu verlieren.
Viele Grüsse
André
Lieber Rolf,
sehen Sie, „im erwähnten Sinn“ bedeutet halt, man solle sich nicht auf meinen Text stützen, sondern: es muss zuerst der Text von Dirk Baecker gelesen werden, (mit dem ich auch noch nicht zu Ende bin; der Alltag halt). Denn Baecker hat – mit einem Wort – den Eliten thesenhaft die Integration der Gesellschaft zu geschrieben, nicht ich. Ich muss mir das auch erst noch gründlich ansehen, soweit ich dazu fähig bin. Also: Wenn mein Beitrag Sinn machen soll in dieser Diskussion, dann müsste dieser Baeckertext immer im Hintergrund mitlaufen.
Gruss vom Berliner
----- Original Message -----From: ErhardSent: Friday, October 16, 2009 12:14 PMSubject: Re: Eliten
der Computer hat mich soeben bockig getreten: Hier standen schon zwei schöne
Eröffnungssätze, zustimmende, und plötzlich waren sie weg, ohne dass das
System sie mir flugs als Entwurf zum Weitermachen bewahrt hätte. Sei's drum,
ein verpatzter Anfang ist auch ein Beginnen. Ich versuche es noch einmal:
Was der Ehrhard hier vorbringt und empfiehlt, ist recht und richtig gesehen
und gesagt. Wir sollten versuchen, darauf einzugehen, weil ich selber zum
Thema Elite(n) erst noch eine Menge lesen und erlesen muss. Also: Zum Thema
"Vereinbarungseinladung" hatte ich ja hier ziemlich impulsiv und
unvorbereitet etwas Punktuelles gesagt. Ich war dabei davon ausgegangen,
(nicht eigentlich expressis verbis, mehr als im Hintergrund meines
Schreibens mitwirkende erkenntnisleitende Idee), man könne zur
Sicherstellung der Beachtung von Vereinbarungen nicht weitere vorangehende
Protovereinbarungen treffen, weil man sonst schnell in einen unendlichen
Regress (oder auch Progress, wenn man es anders herum sehen möchte) geraten
würde. Das ist wie mit Wittgensteins Sprachspiel des Regelbeachtens.
Beispiel - habe ich mal in einer anderen Liste gelesen - Schiedsrichter beim
Fussball. Solch ein wichtiger Mann, ohne den das Spiel nichts wäre, er hat
feste Regeln, eben die Spielregeln. Die kennen alle: Er, die Spieler, die
Zuschauer, die aktuellen und die späteren Kritiker und sogar alle
Stammtische. Was die meisten nicht wissen: Der Schiedsrichter hat sogar -
von seiner Schiedsrichtervereinigung - weitere Regeln zur Auslegung der
Regeln. Jetzt aber läuft das Spiel. Es geschieht ein Foul. Sofortfrage in
den Köpfen aller Anwesenden: Elfmeter oder nicht. Der Schiedsrichter, der
als Beobachte genau hingeschaut hat, denn ein idealer Schiedsrichter ist ja
- wie Gott - immer überall anwesend, er muss sich im Bruchteil einer Sekunde
entscheiden. In den Regeln nachschauen, gar in seinen Auslegungsregeln, das
kann er nicht, Tempora, die Göttin der Zeit, wenn es die gäbe, oder halt
Chronos, der Titan, beide wären dagegen. Er pfeift also und erkennt als
braver Richter: Elfmeter! Pfiffe auf den Rängen, vorsichtige Zweifel beim
Fernsehkommentator, der Elfmeter wird geschossen, wenn es das Schicksal des
Ludus will, sogar gehalten. Dann kommt, mit elektronischer Geschwindigkeit,
aber dennoch - zeitlich und rechtlich - zu spät, die Zeitlupe: Kein Foul und
kein Elfmeter. Armer Schiedsrichter. Vielleicht auch armer Rolf. Aber
vielleicht verstehe ich ihn ja auch falsch. Sogar sein mit vieler
Programmiererpraxis gestütztes Bus-Beispiel schien mir schon - semantisch
überspitzt und damit überkonsequent - als schwer begreifbar (technisch
schon, aber listenpragmatisch?, auch hier für diese Differenzliste).
Ich erinnere an meinen Hinweis auf diesen neuen Essay in dem genannten
Suhrkampbändchen und den darin enthaltenen wichtigen und begründeten Hinweis
auf die unaufhebbaren Grenzen zwischen Alltagssprache, Objektsprache,
Parasprache und Metasprache.
Also lieber Rolf, jetzt sind notgedrungen Sie dran.
Grüsse vom Berliner
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: differen...@googlegroups.com
[mailto:differen...@googlegroups.com] Im Auftrag von Erhard
Gesendet: Samstag, 17. Oktober 2009 19:47
An: Differenz_Theorie
Betreff: Re: Eliten
Lieber Rolf,
da ich kein Computer bin, kann ich einen Liebesbrief zwar ohne Mühe als Text und Zeichenkette erkennen, aber abstrakte, maschinengenerierte Zeichenketten nicht als plausible und für mich anschlussfähige Texte. Von André angeregt habe ich mit der Taschenlampe weitergesucht, um die Rückentitel klarer und lesebarer heraustreten zu lassen, und siehe da: Die „Enden der Parabel“ von Thomas Pynchon wurden gefunden. Eine taussendseitige Zeichenkette, die oft plausibel aussieht, aber dennoch für mich nur punktuell anschlussfähig erscheint. Bei Seite 162 fand ich ein (mein) Lesezeichen. An diesem Punkt hatte vor Jahren aufgegeben. Das von André erwähnte Zitat habe ich gefunden. Herausgelöst ein schöner Satz, den man sofort als sinnvoll und anschliessbar empfindet.
Ich fürchte: Programmiererdenken liegt mir nicht. Ich würde Lexikoneinträge nie als Vereinbarung ansehen, es sind – wenn sie gut durchgearbeitet sind – meist redundanzfreie Texte, aber schon beim Lesen forme ich sie automatisch um und mache sie für meine Gedankenwelt passend. Das wird hier ein Konsenzgraben werden (falls Konsenzgraben ein zulässiges Wort ist und kein intrinsicher Widerspruch).
Eine triviale Randbemerkung zu den eigehenden Postings und ihre nachlässigen oder gedankenlosen Poster: Nicht immer die gesamte vorangegangene Zeichenkette stehen lassen, das belastet alle Festplatten und ist zum Verständnis nicht nötig. Der letzte Post oder gar seine wichtigsten Sätze genügen doch, oder?
Gruss vom Berliner
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vielleicht verstehe ich das Probleme (wenn es denn eins gibt) deshalb nicht, weil ich den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe. Dabei mag die Erwartung ein Rolle spielen, dass ich den Hinweis auf Differenz t h e o r i e in dem Beispiel über Text vermisse. Natürlich gibt es viele Sätze oder Wortverwendungsweisen - in unterschiedlichen Kontexten - die ich völlig unproblematisch gleichsam selbst in den Mund nehmen könnte (oder notfalls völlig desinteresiert mich abwenden würde). Bei Theorie denke ich hingegen an wahres/unwahres Wissen , das der methodischen Generierung, Explikation und (empirischen und/oder argumentativen) Prüfung fähig ist.
Ich erinnere mich etwa an eine Formulierung von mir - die in etwa gelautet hat:
Die Differenztheorie i s t die Empirie der Systemtheorie.
Könnte man mit einer solchen Formulierung auch eine >>Vereinbarungseinladung<< verknüpfen, die dann vergleichbar ( wie soll ich sagen?) "gleichgültig" erprobt würde?
Herzlich
Erhard
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Lieber Rolf, lieber Erhard, liebe Listis,
EIN Groschen – scheint mir – ist bei mir jetzt gefallen: Wir schreiben hier den Listenartikel „Differenztheorie“.
Erhards Vorschlag hierzu lautet: „Die Differenztheorie i s t die Empirie der Systemtheorie.“ Soweit bis jetzt also die „Artikelseite“.
Jetzt die „Diskussionsseite“: Erste Ansage von mir: Wie Rolf kann ich diesen Satz, diesen „Artikel“, SO nicht lesen; vulgo: ich verstehe ihn nicht.
Fragen: a) Soll „ist“ ontologisch gemeint sein? Es gibt ja diese Theorie noch nirgends, oder? Sie wurde doch nicht gedruckt als ein Text. B) „Empirie“ bedeutet Erfahrung. Gäbe es eine Differenztheorie, könnte man mit ihren Aussagen Erfahrungen machen, Sachverhalte oder Tatbestände verifizieren auf wahr/falsch. C) Was ist mit Systemtheorie gemeint? Irgendein Konstrukt?, eine Handlungsvorschrift? Oder gar die Luhmann’sche Systemtheorie S = S/U ?
Soviel zur „Artikelseite“ (Den Satz kann ich noch nicht umschreiben; erst muss Erhard sich hierzu äussern.)
Meine Meinung zur „Diskussionsseite“ habe ich gesagt.
Gruss vom Berliner
An die Differenzliste:
Wenn wir von Luhmann ausgehen, sollte man dann nicht als FORM schreiben:
Diffenztheorie = Differenztheorie/???
Was wäre denn das Gegenteil, das Komplement, um die Form zu vervollständigen, von Differenztheorie: Chaostheorie? Alltagsgerede?
Das wäre also auch zu klären, damit dann auf der „Artikelseite“ der Erhard’sche Satz für alle lesbar würde.
Gruss vom Berliner
P.S. Und sogleich wäre zu klären, was Weder „Differenztheorie“ noch „???“ wäre, also dasjenige, was NICHT beobachtet werden könnte, wenn man mit der Differenz Differenztheorie/??? Arbeiten wollte:
Also: Differenztheorie/???? // ????
Lieber Rolf, lieber Erhard, liebe Listis,
These: Die Hoffnung auf „einen“ bedeutungsfesten Text, sei es als Theorie, sei es als Vereinbarung, der oder die für alle Beobachter dasselbe sein könnte, wäre fundamentalistisch, jedoch – zum Glück für alle aufrechten Beobachter – gegenbeobachtbar!
Gruss vom Berliner
> Also: Differenztheorie/???? // ????
ich neige dazu, die Sache etwas umfassender (nicht ganz 30 Jahre) anzugehen.
Man könnte meinen (alltagssprachlich?) Dass der Aufdruck Differenztheorie
eine spezielle Theorie bezeichne. Ich müsste dann sagen, was eine Theorie ist,
und was das spezifische der Differenztheorie ist.
Also: Theorie / ???? // ????
Ich neige aber dazu, dass die Differenztheorie keine Theorie ist, wobei ich auch (noch)
nicht sagen würde, dass sie eine Empirie ist (was natürlich mit der Vereinbarung
von Empirie zusammenhängt)
Als Differenztheorie sehe ich das Vereinbarungsangebot (übrigens habe ich einen
derartigen Satz noch nie formuliert, weil mir der Ausdruck Vereinbarungsangebot
neu zugefallen ist), als erstes immer Differenzen in der Form x / ?? // ?? zu bestimmen.
Ich habe dazu ein Beispiel gegeben:
Lieber Rolf, liebe Gruppe:
Erster Zustimmungsschritt meinerseits, also als ein Vereinbarungsangebot:
Differenzen haben immer die FORM: x = x/y // z
Hier ist „x/y“ die beobachtbare Differenz; und „z“ ist dann das, was man mit dieser Differenz NICHT beobachten kann: Die Einheit dieser Differenz.
Gruss vom Berliner
Lieber Erhard,
keine Angst, mir haben Sie mit Ihren stringenten Überlegungen Freu(n)de gemacht, soll heissen: Ich freue mich und wäre gerne Ihr Freund, weil ich spüre, wie beide ticken ähnlich. Aber: So etwas muss sich selbstverständlich erst einmal bewähren.
Hier ein paar soeben gelesene Sätze, lose gereiht, die meines Erachtens sehr gut in das von Ihnen beackerte und in der letzten Mail allen zugänglich gemachte Gedankenfeld passen könnten:
Luhmanns Theorie hat den Duktus einer allgemeinen Theorie von Sinnsystemen; psychische und soziale.
Luhmanns Theorie ist eine äquivalenz-funktionalistische Theorie; sie erzeugt keine Entitäten, sondern sie konstruiert Probleme, als deren Lösung je fragliche Phänomene beobachtet werden können.
Es geht bei Luhmann im Prinzip immer um die Inszenierung einer Deutbarkeit in einem Auswahlbereich vergleichbarer Lösungen desselben Problems; (funktionale Äquivalente).
Die Soziologie hat es nicht mit Begründungsfragen der Kausalität zu tun.
Es gibt kaum einen sozialen Zusammenhang, der nicht mit Freiheit, Schuld und Verantwortung verbunden ist.
Bei allen Formbestimmungen wird das zu Bestimmende (Definiendum) in die Unterscheidung einkopiert und in dieser Verdoppelung IMAGINÄR. (Das von mir genannte Beispiel war: x = x/y // z).
Die Luhmann’sche Systemtheorie sieht eine Welt, die sich nur als stabil instabil beobachten lässt.
Psychische Systeme (also: Bewusstsein) sind nicht determiniert, denn determiniertes Bewusstsein würde eine Grundvoraussetzung sozialer Systeme verletzen; (weil undurchschaubare psychische Systeme für soziale Systeme unerlässlich sind).
Soziale Systeme errechnen die für sie relevante psychische Umwelt der Bewusstseine als nicht-triviale Maschinen im Sinne des Heinz von Foerster.
Sinnsysteme können es sich – allein aus Zeitgründen – gar nicht leisten, immerfort in die unergründlichen „Kausaltiefen“ (zum Beispiel von Mittel, Zweck und Ziel) komplex determinierter Verhältnisse hineinzurechnen, wenn Verstehen noch möglich sein soll.
Ob individuelles Handeln in Personen determiniert abläuft oder nicht, ist völlig irrelevant. (Man kann so tun, als ob, weiss aber, es ist nicht zu wissen: blackbox).
Partner sind leichter zu beeinflussen als zu berechnen.
Nach Luhmann ist die Selbstberechnung, im Sinne einer kompletten Kausalitätsberechnung, viel zu langsam: „Freiheit ist ein Resultat von Eile …“. Anders: Die Unterstellbarkeit von Freiheitsgraden in psychischen Systemen ist zunächst eine conditio sine qua non sozialer Systeme. (Wieder ein notweniges Als-ob).
Kommunikation als elementare Einheit sozialer Systeme, die Information/Mitteilung/Verstehen zusammenzieht, reduziert die nicht im Ganzen zu beobachtende Komplexität.
Handeln bedeutet immer, dass – gleichsam konventionell – Kausalität ausgeschaltet ist – zugunsten der Zurechnung auf einen Entschluss, eine Entscheidung, auf ein Gewolltes.
Eine Illusion ist eine Beobachtung im Schema Sein/Schein.
Psychische Systeme sind zwar an eine lebende (somatische) Infrastruktur/Infraprozessualität gekoppelt, sie sind aber selbst nicht Körper, haben keine Ausdehnung, bewohnen keinen Ort.
Psychische Systeme leben nicht und unterliegen nicht der Welt der Physik.
Nichts im Körper denkt, auch das Gehirn nicht. Alles andere wäre ein Kategorienfehler. (Das ins Stammbuch der sich gottgleich dünkenden Gehirnforscher).
Wahrnehmung und Kognition sind selbstverständlich nicht körperfrei, aber: die somatische Infrastruktur ist die Bedingung der Möglichkeit zur Entstehung eines ganz anderen, nicht-neuronal codierten Systemtyps.
Psyche realisiert sich nicht im Medium neuronaler Ereignisse, sondern im Medium Sinn, und zwar auf der Basis der sozialen Interpretation solcher Ereignisse.
Das General-Medium Sinn hat keine Eigenexistenz, es steckt nirgendwo drin, weder in Büchern, noch in Filmen und auch nicht in Gehirnen. (Wohl auch nicht in Theorien, oder doch?).
In der Sinnhaftigkeit allen menschlichen Erlebens liegt begründet, das alles Wahrgenommene als Selektion aus anderen Möglichkeiten erlebt wird, hat Luhmann schon früh auf der Basis der Husserlschen Phänomenologie formuliert.
Soweit meine Lesefrüchte. Ich bin sicher, all dies darf man nie aus den Augen verlieren.
Gruss vom Berliner
Lieber Erhard,
noch ein Hinweis zur Selbstvergewisserung (wer anfängt zu lesen, was andere gesehen haben, muss sich ja verstricken):
„Historisch gesehen, startet die Systemtheorie, wie sie durch Niklas Luhmann ausgebaut und zum Teil neu entwickelt wurde, auf den ersten Blick als funktionalistische Theorie. Erst ein zweiter und genauerer Blick zeigt, dass diese Theorie selbst nicht die Eigenschaften eines wie immer gearteten Funktionalismus hat, sondern die funktionale Analyse als Methode reflektiert (also eine Theorie dieser Analyse liefert) die zentral an die Stelle zwischen Theorie und (Re-)Konstruktion des Phänomenenbereichs Sozialität plaziert wird unter Einschluss der Rekonstruktion der dies rekonstruierenden Theorie. Funktionale Analyse ist, so gesehen, eine Theorietechnik [sc. Empirie; der Berliner] durch die das wissenschaftliche Abtasten von Differenzen, das der Informationsgewinnung dient, in eine besondere Form gebracht wird. Mit anderen Worten (bezogen auf ein häufig vorzufindendes Missverständnis): Die Theorie der Methode ist nicht identisch mit der Methode der Theorie.“
Lieber Ehrhard, dieser Text relativiert a) das erwähnte Hinauslehnen aus dem Fenster, weil jetzt b) deutlicher wird – jedenfalls mir – das der Satz „Die Differenztheorie IST die Empirie der Systemtheorie“ tatsächlich seine Berechtigung hat.
Und dann ist es ja nur noch ein kleiner Schritt für die Theorie, aber ein grosser Schritt für die Menschheit der Moderne, wenn es folgerichtig heissen soll: „>>Die Gesellschaft der Gesellschaft<< IST die Metaphysik der Modernen Gesellschaft“. Ich gehe davon aus, das „Metaphysik“ hier auch mit „Leitidee“ oder „Erkenntnisleitende Idee“ zu übersetzen wäre.
Gruss vom Berliner
(Differenzen haben immer die FORM: x = x/y // z)
Text = Text / ?? // ??
Zur Methode: Wie sollen wir die Platzhalter ( y oder ??) ersetzen? Wer ersetzt
sie weshalb wie?
Oder: Ist es blöd Text als Differenz zu sehen? Weshalb? (Oder ist das einfach
für Soziologen kein Thema, weil es nicht Soziologie ist?)
Und noch einen Gegenvorschlag (gestützt auf viele Beispiele von D. Baecker)
statt: Differenzen haben immer die FORM: x = x/y // z
gilt: Differenzen haben immer die FORM: x = a/b // c wobei x = a möglich ist
Dann müsste die Differenz zu Text nicht Text / b //c sein, sondern könnte
beispielsweise Text = Symbol / Zeichen // ?? sein
Herzlich
Rolf
----- Original Message -----From: Pluto der Planet
Lieber Rolf,
wie soll man einem helfen, wie kommt man jemandem näher, der offensichtlich nicht sieht, was doch offenbar für viele andere deutlich sichtbar ist, weil man es sogar auf den Tisch legen kann, wie eben zum Beispiel das Inhaltverzeichnis des Buches „Form und Formen der Kommunikation“ von Dirk Baecker. Dieses sich eigentlich sehr bescheiden gebende Buch ist doch nichts weiter als eine Kurzfassung, ein Resümee, praktisch fast ein Lehrbuch der Luhmann’schen Theorie, die ja im Laufe ihrer eigenen Entwicklung viele (indirekte) Namen bekommen hat. Systemtheorie war dem Luhmann selber nicht mehr ganz geheuer, er hätte sie wohl eine zeitlang selber lieber schlicht Differenztheorie genannt. Aber das allein ist sie ja auch nicht. Das Luhmann’sche Theoriewerk enthält schliesslich noch andere Komponenten. Man denke zuerst einfach an die Namen derer, die ihm vorangingen oder gleichzeitig mit ihm lebten, und bei denen er sich bedient hat, aber nicht schlicht bedient, im Sinne von einfachen Übernahmen, sondern immer auf die allerintelligenteste Weise. Luhmann, als Beobachter, hat nämlich niemals Gedanken anderer übernommen, in Gestalt von ganzen Sätzen, Aussagen oder Hypothesen und Thesen, Luhmann hat immer nur FIGUREN übernommen, Denkfiguren.
Von der Phänomenologie, also von Husserl, hat er den Beobachter, der den Horizont sieht, den der Beobachter, als Beobachter, bei aller Annäherung, nicht erreichen und nicht überschreiten kann. Von Hegel, dem Meister und Philosophen des Anfangs und der systematischen Gedankenentwicklung mit ihrem grandiosen Abschluss- und End-Denken, hat er die Figur, es gebe gar keinen Anfang, und auch kein Ende: Theorie, sei sie auch noch so systematisch, sei work in progress. Von Talcott Parsons hat er die doppelte Kontingenz und die Einsicht in die Unmöglichkeit des Beherrschens von so etwas wie die unendliche Verschachtelung des AGIL-Schemas, an dem man zwar sehen kann, was Komplexität ist, das aber intrinsisch zum infiniten Regress neigt. Von Darwins Nachfolgern, also von der modernen Evolutionstheorie, hat er den Gedanken einer Entwicklung, die irgendwo, an einem Punkt vielleicht, in der Biologie eben mit der Erfindung der veränderten Weitergabe des Gehabten, also lässt auch er seine Theorie UND die Gesellschaft durch Variation/Selektion/Retention sich von selbst entwickeln. Den Biologen Maturana/Varela hat er dann den Gedanken der Autopoiesis abgenommen und die Paradoxie des geschlossenen/offenen Systems hinzugefügt, dazu noch die strukturelle Kopplung, die in vielem sich besser machte als die Interpenetration, die es schon bei Parsons gab. Dann kam die wirkliche kleine Revolution des Formgedankens: Aus Substanz/Form von Aristoteles und Form/Inhalt der Renaissance wurde nun – dank Heider und Georg Spencer Brown – der Gedanke der ständigen Zwei-Seiten-Form und das Gebilde Form/Medium. Mit diesen wesentlichsten Elementen begnüge ich mich hier. Luhmann hat mit dieser komplex verschachtelten Gedankenfülle, von der er selber sagte in „Soziale Systeme“, man könne dies Ganze eben nicht mehr linear vortragen, es hänge eben alles mit allem zusammen, man dürfe daher anfangen, wo man wolle, man sei eh immer „mittendrin“. Und Luhmann hat der Wissenschaft den Horror vor den angeblichen Ausweglosigkeiten ausgetrieben, die Angst vor Aporien, Tautologien, Zirkularitäten und eben Paradoxien. Und er hat praktisch die Ironie als Methode eingeführt: Es kann doch alles immer auch anders gesehen, beobachtet, gesagt und beschrieben werden, aber keinesfalls dürfe man glauben, was Feyerabend gesagt habe, dieses kindische „anything goes“, denn es gilt: wer A gesagt hat, der ist schon strukturell gebunden, er muss nun auch B sagen, denn es geht keinesfalls alles, es geht eben immer nur, was geht. Deshalb hat er auch die Überheblichkeit aller Rationalität durch ausführliche Darstellung in „Organisation und Entscheidung“ ad absurdum geführt und ergänzend zum Abschluss des Rationalitätsartikels gesagt: Rationalität allein reicht nicht, es müsse mindestens Intelligenz hinzukommen; und man darf deshalb getrost ergänzen: auch mindestens noch Intuition und Phantasie. Sonst klappt das nämlich nicht mit der unumgänglichen Entfaltung der unumgänglichen Paradoxien.
Das alles kann man, wenn man die Augen und den Blick dazu hat, schon aus dem Inhaltsverzeichnis beim genannten Buch von Dirk Baecker entnehmen. Dirk Baecker schreibt zwar nicht in dieser Liste, und er wird sie wohl auch kaum lesen. Aber wenn er hier auch nur virtuell anwesend ist, durch seine Texte, wir sollten ihn uns nicht vermiesen. Es bleibt zwar immer dabei: selber denken, selber formulieren, alles o.k., deshalb dürfen wir ja auch ohne uns rechtfertigen zu müssen, an einer eigenen Differenztheorie basteln (bricolage), wenn wir das wollen. Aber man lese, wie schon angedeutet, den Artikel von Luhmann über die Intelligenz, als FORM, im MEDIUM der Intellektualität, und damit über die Rolle der Intellektuellen. Jetzt bin ich nämlich sprachlos, lieber Rolf, wenn ich akzeptieren soll, es gebe bei Luhmann eigentlich nichts als die Differenz System/Umwelt und bei Baecker dann wohl nur Unverständliches. Wir sollten hier nicht den Geist von Dirk Baecker austreiben, so wie Werner Schumacher et al. den – zugegeben nicht immer leicht zu ertragenen Listen-Peter-Fuchs, der als Mensch, wenn man ihm gegenüber sitzt, so überaus freundlich und hilfsbereit ist – diesen Peter Fuchs also aus der Luhmannliste vertrieben haben.
Also, lieber Rolf: Zeigen sie uns ein paar Beispiele echter, brauchbarer Differenzen in Ihrem Sinne.
Gruss vom Berliner
Lieber Rolf,
leicht machen Sie es einem Leser Ihrer Texte wahrlich nicht: Ich erinnere mich – sehr lange ist es her – an den Meister der kleinen Werkschlosserei in einem der berühmten Betriebe, in denen ich als junger Lauser mal gearbeitet habe. Wenn der zum Arzt ging, dann mit seiner aufrichtigen Maxime „ich sage dem nie, was mir fehlt, der ist ja Arzt, der soll das selber herausfinden“. Was ich – ich spiele jetzt mal den Arzt, den Sie um Hilfe bitten – damit meine ist: Sie möchten brauchbare Differenzen von nichtbrauchen Differenzen Unterscheiden. Das geht gar nicht, denn für den Beobachter erster Ordnung sind ja alle Differenzen „brauchbar“, denn andere hat er ja nicht, denn: er sieht nur, was er sieht, und was nicht sieht, das sieht er eben nicht, weil: a) weil er einen Standpunkt eingenommen hat (freiwillig oder notgedrungen), bei dem es eben nicht mehr zu sehen gibt, (vielleicht vom geistiges Parterre aus, sprich Unterkomplexität, statt guter Sicht aus einen entsprechend besser unterrichteten „dritten oder vierten Stockwerk“), oder b) weil sein ansozialisierter Blinder Fleck so gross ist, dass er eben das Angepeilte nicht „besser“ sehen kann. Ein Beobachter dieses Beobachters könnte dies vielleicht erkennen, denn er kann (wenn er kann) mehr oder besseres oder anderes sehen als der von ihm beobachtet Beobachter erster Ordnung. Aber: Was der Beobachter erster Ordnung tatsächlich sieht, ist immer – für ihn – korrekt und damit – für ihn – auch „brauchbar“, denn dieses sein Beobachten spannt – für ihn – eine Welt auf, seine eigene Welt, in der er dann eben leben muss. Man kann ihm zunächst einmal gar nicht helfen, vor allem dann nicht, wenn er nicht sagt, WAS er denn „aus seinem Parterrefenster“ so sieht. Man kann ihn gar nicht korrigieren, wenn er nicht sagt (schreibt, mitteilt), was er denn sieht. Denn der Beobachter zweiten Grades – in Bezug auf den Beobachter ersten Grades – der sieht zwar Anderes, wenn die beiden (Systeme) miteinander kommunizieren, könnte eine neue Differenz entstehen, die BEIDEN einen neuen Blick auf das Beobachtete verschafft, aber: zuerst muss der Beobachter ersten Grades einmal sagen, WAS er sieht. Denn der Beobachter zweiten Grades – auch in diesem Falle – ist ja (für sich) auch nur ein Beobachter ersten Grades.
Was sehen Sie denn für Differenzen, die sie – zunächst wohl – für „brauchbar“ halten? Teilen Sie uns die doch einmal mit. Dann vergleichen wir sie mit dem, was wir so sehen beim Blick auf den gleichen Sachverhalt. Worum soll es denn gehen? Was soll das Grundthema sein? Politik, Wirtschaft, Technik, soziale Gerechtigkeit, Freiheit oder staatlicher Zwang, die-da-oben-wir-hier-unten, der möglichen Themen sind ja unendlich viele. Nennen Sie, bitte eine einzige „brauchbare“ (für Sie, aus Ihrer Sicht in Ihrer Welt) Differenz, Sie werden es sehen, sofort kommt entweder Zustimmung oder es kommen Einwände (Konsens oder Dissens, dann aber – auch für Sie – sichtbar und konkret, allerdings: wiederum anfechtbar; ad infinitum).
Es gibt nämlich nur brauchbare Differenzen, die aus einer anderen Sicht nicht brauchbar sind. Ohne Kontext gibt es überhaupt keine Differenzen. In der Natur, die ja auch Welt ist, gibt es überhaupt keine Differenzen, wenn sie keiner beobachtet. Wer Differenzen will oder sucht oder mit ihnen forschen will, der muss sich welche machen. Manche führen dann halt nicht sehr weit, dennoch wird man sie prima facie nicht für unbrauchbar erklären dürfen.
Sprung: Da sagt einer, nachdem er vor aller Augen in etwas – für die anderen – Undefinierbares hineinbeißt: „Ah, süss“. Der zweite Beobachter, der das beobachtet, denkt sich dabei allerhand, also auch möglich Verschiedenes: a) der meint das Gegenteil von sauer; b) der meint das Gegenteil von bitter; c) der meint einfach unkritisch süss als einen generellen Unterschied zum Rest der Welt. Wenn man nämlich nicht nur den möglichen Auswahlbereich des Beißers nicht kennt, weil der so wortkarg bleibt, dann kann man das Gesagte gar nicht einsortieren. Man versteht den Beißer dann einfach nicht.
Das liegt einfach daran, dass Kommunikation zunächst einmal für jeden undurchschaubar ist, und zwar prinzipiell. Denn Kommunikation folgt ja nicht dem simplen (missverständlichen) Sender-Kanal-Empfänger-Prinzip. Kommunikation ist KEINE triviale Maschine, bei der ein definierter Input den Output kausal definiert und bewirkt. Kommunikation ist immer zunächst ein Bereich des Unbestimmten, den man – durch Beteiligung an dieser Kommunikation - bestimmbar machen kann (wenn man kann: Rationalität, Intelligenz, Intuition, Phantasie). Kommunikation lebt von Überraschung, Kommunikation erwartet auch Überraschungen (in Grenzen: strukturell, durch den als „Anfang“, vorgegebenen Auswahlbereich: es geht nie alles, aber es könnte so oder eben anders gehen, versuchen, bitte). Wer – das wäre dogmatisch oder fundamentalistisch – mit festgezurrten „brauchbaren“ Differenzen in eine Kommunikation hineinginge, der muss scheitern.
Soviel für heute. Ich war in einer anderen Stadt, bei einem Kabarett, ich habe die drei auf der Bühne beobachtet und wurde in jeder Minute mindestens einmal überrascht: Es kam immer anders, als ich es erwartet hatte. Das machte auch das Lachen aller aus. Keiner im Publikum hatte mit dem gerechnet, was man auf der Bühne zu sehen und zu hören bekam. Die drei auf der Bühne schilderten IHRE – für sie – brauchbaren Differenzen, mit denen sie die (ihre) Welt betrachteten, und es gab – das wette ich – mindesten einen/eine im Saal, die sich dachte, dass sind doch Idioten, die drei dort auf der Bühne. Wer wollte verbieten, in einer freien, nicht dogmatisierten Gesellschaft, die Vorstellung so zu sehen. Jedem Tierchen sein Pläsierchen.
Gute Nacht und Gruss vom Berliner an alle.
----- Original Message -----From: Erhard