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Szasz-Zitat: Verwahrung als sozialer Zwang [435] Psychiatrie

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Franz P. Beuler

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May 24, 2014, 5:44:52 AM5/24/14
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Szasz-Zitat: Verwahrung als sozialer Zwang [435] Psychiatrie

Oder:
Einsperrung von Geisteskranken 5 von 6
Oder genauer:
Zwangseinweisung und Einsperrung von Geisteskranken (auch
„Unterbringung“ oder „Verwahrung“ genannt) als sozialer Zwang
Oder:
Zwangseinweisung und Einsperrung als Bestrafung?


Zitat aus:
Szasz, Thomas S.: /Recht, Freiheit und Psychiatrie – Auf dem Weg zum
'therapeutischen Staat'?/

Seite 68 f.:

/Verwahrung als sozialer Zwang/

Wir wollen nun die Verwahrung vom soziopsychologischen Standpunkt
analysieren. Gemeinhin führt ein Verhalten, das dem Laien als anomal
erscheint, zur Verwahrung. Solch ein kraß anstoßerregendes soziales
Verhalten läßt sich jedoch nicht so ohne weiteres zu psychiatrischen
Diagnosen in Beziehung setzen. Die Psychiater bezeichnen ein derartiges
Betragen dennoch gern als psychotisch. Die Ausdrücke „Psychose“ und
„Verwahrung rechtfertigendes Verhalten“ überschneiden sich also, ja
meinen sogar oft dasselbe. Tatsächlich werden Personen, selbst wenn die
Psychiater sie den Psychotikern zurechnen, in Ruhe gelassen, solange sie
niemanden belästigen. Zum Beispiel entließ man Ezra Pound [Ezra Pound
war ein amerikanischer Schriftsteller und saß über 11 Jahre als
„Schuldunfähiger“ im Maßregelvollzug; siehe auch "Szasz-Zitat" 474 und
475; Anm. d. Schreiber] aus seinem psychiatrischen Gewahrsam mit der
Begründung, er sei, obschon immer noch ernsthaft krank, nunmehr nicht
länger gefährlich (siehe 17. Kapitel).
Entscheidend für diese Überlegungen ist das Ausmaß der sozialen
Ruhestörung. Ein alter Mensch, der nicht für sich selbst zu sorgen
vermag, beeinträchtigt die soziale Ruhe, kann also in Verwahrung
genommen werden. Jemand, der mit Selbstmord droht – ohne seine Drohung
wahrzumachen –, stört gleichfalls die soziale Ruhe und verlangt
gewissermaßen nach Verwahrung. Und ein Mensch mit
gesellschaftsgefährdenden Ideen und Überzeugungen oder mit
gesellschaftsfeindlichen Empfindungen – wie etwa der Überzeugung,
ständig verfolgt zu werden (man spricht von Wahnvorstellungen), oder
bestimmten Seh- und Hörempfindungen (sogenannten Halluzinationen) –
zählt gleichfalls zu den Ruhestörern und kann zwangseingewiesen werden.
Und nicht zuletzt: wenn jemand durch sein Beträgen die
gesellschaftlichen Regeln verletzt – indem er zum Beispiel verbotenen
Formen sexueller Befriedigung frönt – und auf diese Weise eine Störung
der sozialen Ruhe verursacht, kommt er für eine Verwahrung in Betracht.
Die Ähnlichkeit zwischen „gemeingefährlicher“ Geisteskrankheit und
Verbrechen springt hier ins Auge. In beiden Fällen „vergeht“ sich der
Betreffende an der Gesellschaft und wird deswegen eingesperrt. Die
Motive für die Freiheitsbeschränkung des Geisteskranken sind vorgeblich
therapeutischer Art, im Fall des Kriminellen handelt es sich angeblich
um Bestrafung. Die Unterscheidung läßt sich nur mühsam aufrechterhalten.
Die Mißachtung, wenn nicht gar Mißhandlung der Patienten in staatlichen
Nervenheilanstalten ist notorisch. Auch deutet vieles darauf hin, daß
der Aufenthalt in solchen Anstalten die Persönlichkeit schwerer schädigt
als eine Gefängnishaft (siehe 14. Kapitel).
Wenn das stimmt, läuft die Hospitalisierung von Geisteskranken
letztlich auch auf Bestrafung hinaus, ganz gleich, was die dafür
Verantwortlichen damit beabsichtigen.


Aus:
ZWEITER TEIL
PSYCHIATRIE ALS SOZIALE INSTITUTION
VIERTES KAPITEL
Verwahrung von Geisteskranken
Unterkapitel:
- /Formen und Ausmaß der Verwahrung/
- /Psychiater-Stellungnahmen zur Verwahrung/
- /Rechtfertigungen für Verwahrung/
- /Verwahrung als sozialer Zwang/

In:
Szasz, Thomas S.: /Recht, Freiheit und Psychiatrie – Auf dem Weg zum
'therapeutischen Staat'?/. Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main
1980; Engl.: /Law, Liberty and Psychiatry/. Macmillan: New York 1963
(Übersetzung nach: Routledge & Kegan: London 1974)

In der Deutschen Nationalbibliothek:
Datensatz: http://d-nb.info/800591895
Inhaltsverzeichnis (PDF): http://d-nb.info/800591895/04

Nachdruck und Online-Ausgabe:
Szasz, Thomas S.: /Law, Liberty, and Psychiatry: An Inquiry Into the
Social Uses of Mental Health Practices/. Suracuse University Press:
Suracuse 1989:
http://books.google.de/books/about/Law_liberty_and_psychiatry.html?id=OZT1y5WFr-0C

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