Die Idealisierung der Mutterschaft war mir immer suspekt. Die Ideologie
der weiblichen, insbesondere mütterlichen Aufopferung, bereitet mir
Übelkeit. Meistens wurde und wird sie von Männern verkündet, immer
verbunden mit der Zusatzaufforderung: "Also liebes Weibchen, beschränke
deinen Horizont, wie es deiner weiblichen Natur entspricht, auf deine
Suppentöpfe, und maße dir ja nicht an, in die Gefilde der Macht und/oder
des reinen Geistes vorzudringen, die mir, dem Manne, vorbehalten sind."
Dem Klischeebild einer Lebensschützerin, das sozusagen die Negativkopie
des Klischeebildes einer Emanze ist, entspreche ich, wie aus dem oben
Gesagten erkennbar ist, so ziemlich genau nicht. Ebenso wenig wie dem
des emsig werkenden Hausmütterchens. Das Verhältnis zwischen materieller
und geistiger Ordnung läßt sich in meinem Falle mit folgenden Worten auf
den Punkt bringen: "Schmutzige Teller, aber dafür reine Reime."
Wenn es um das Thema Abtreibung geht, wäre von einer Frau wie mir
logischerweise ein Traktat etwa folgenden Inhaltes zu erwarten: "Die
Abtreibung ist der Schlüssel zur Befreiung der Frau aus den Zwängen der
Biologie und des Patriarchats und sollte daher von der Krankenkasse
bezahlt werden." So würde meine Meinung lauten, wenn ich nur die Theorie
zur Verfügung hätte. Das heißt, wenn ich nie schwanger geworden wäre.
Ich habe aber die Praxis erlebt: Ich bin mehrmals schwanger geworden.
Ich habe sowohl abgetrieben als auch geboren. Die Entscheidung
abzutreiben, gehört zu den ganz wenigen Entscheidungen in meinem Leben,
die ich hundertprozentig bereue. Die Entscheidung zu gebären, gibt mir
die Gewissheit, zumindest zweimal in meinem Leben das Richtige getan zu
haben. Denn ausgerechnet ich, die ich so allergisch bin gegen den
frauenverachtenden, patriarchalischen Mutterschaftskitsch, die ich mich
als Kind nie für Puppen interessiert habe, sondern nur für Bücher,
Bücher, Bücher, und wenn schon für etwas Lebendiges, dann Giftpilze,
Spinnen und Dinosaurier, die ich den Spitznamen "zerstreuter Professor"
trug, und von der alle Tanten sagten: "Du als Mutter? - unvorstellbar!"
- ausgerechnet ich habe das Schwangersein als etwas Heiliges erlebt, als
einen Zustand des tatsächlich "Voll-der-Gnade-Seins". Und das Abbrechen
dieses gnadenvollen Zustandes ist eine Tempelschändung, ein - ich kann
es nicht anders bezeichnen - Frevel. Ein Frevel ist es, wenn man etwas
überaus Kostbares für etwas nur scheinbar Wertvolles opfert. Ich hatte
das Gefühl, Gold gegen Blech eingetauscht zu haben und versank in eine
dumpfe, schmutzige, lähmende Trauer. Das Schlimmste an dieser Art von
Trauer ist, dass man nicht einmal spürt, dass man traurig ist. Ein
ähnliches Gefühl oder besser Nichtgefühl hatte ich bei dem Begräbnis
eines Freundes, der Selbstmord begangen hatte. Das ist kein Zufall.
Denn das, was ich getan hatte, war so etwas wie ein teilweiser
Selbstmord: Gemeinsam mit dem Kind hatte ich auch einen Teil von mir
selbst getötet. Und nicht nur das: Auch mein Partner war für mich in
einer gewissen Weise gestorben. Die Zuneigung, die er mir
entgegenbrachte, konnte meinen Verstand berühren, aber eine lange Zeit
hindurch mein Herz nicht mehr erreichen. Das Makabere daran war die
Tatsache, dass der Wunsch, "den Mann nicht zu verlieren", das
ausschlaggebende Motiv für die Entscheidung zur Abtreibung gewesen war.
Jenes "Hohe Gut", für welches ich mein Kind geopfert hatte, - die
Beziehung zum Mann - war durch eben dieses Opfer zerstört oder zumindest
schwer beschädigt worden. In einem besonders traurigen und perversen
Sinn des Wortes war ich genau bei jener Selbst- Aufopferung angelangt,
die ich immer und um jeden Preis hatte vermeiden wollen - im Sinne
von: mein Selbst opfern. Ein solches Selbstopfer, ein solcher
Selbstverrat ist nicht nur mit Schmerz und Trauer, sondern immer auch
mit Scham verbunden und deshalb so schwer zu heilen. Inzwischen weiß
ich, dass es eine Menge solcher Frauen gibt wie mich: Frauen, die sich
als alternativ, als feministisch und liberal begreifen - und es
auch bleiben möchten. Die aber eines erkannt haben: Die Entscheidung
abzutreiben, war der größte Fehler meines Lebens. Vielleicht ist das ein
Verrat am Feminismus. Doch wie schon Ingeborg Bachmann sagte: Die
Wahrheit ist zumutbar.
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Das Anliegen mag ja noch so her sein: Aber wird hier nicht eindeutig Werbung
betrieben?
Gruss, Matthias