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Nachspiel zur Affäre um Polizeidirektor

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Tilman Hausherr

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Jul 25, 1998, 3:00:00 AM7/25/98
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Nachspiel zur Affäre um Polizeidirektor

Berliner Morgenpost
24.7.1998

BM Berlin - Nach der Rehabilitierung
des Polizeidirektors Otto Dreksler
gewinnt der Skandal politische
Dimensionen. Der leitende Polizist war
aufgrund eines anonymen Schreibens in
Verdacht geraten, Scientology-Mitglied
zu sein.

Diese falsche Anschuldigung wurde kurz
darauf durch den Verfassungsschutz
untermauert. Jetzt fordern alle
Fraktionen des Abgeordnetenhauses
die Aufklärung des Falles. Die SPD wirft
Innensenator Schönbohm vor, er habe in
seiner Fürsorgepflicht versagt.

Wer ist schuld am Skandal-Fall Dreksler?

Abgeordnetenhaus fordert Klärung - Rolle von
Innensenator und Verfassungsschutz hinterfragt

Nachdem sich der Vorwurf der
Scientology-Mitgliedschaft gegen
Polizeidirektor Otto Dreksler als
unhaltbar erwiesen hat, fordern alle
Fraktionen im Abgeordnetenhaus die
Aufklärung der Affäre, gegebenenfalls
personelle Konsequenzen. Untersucht
werden soll die Rolle, die Innensenator
Jörg Schönbohm, Staatssekretär Kuno
Böse (beide CDU) und der
Verfassungsschutz gespielt haben.

Einig sind sich die Fraktionen, daß der
Fall des Beamten im Ausschuß für
Verfassungsschutz so weit wie möglich
öffentlich aufgerollt werden soll. Die
Innenverwaltung, die dem
Verfassungsschutzamt einen
«Maulkorb» verpaßt hat, übt sich in
Schadensbegrenzung.: «Für uns galt von
Anfang an die Unschuldsvermutung. Das
hat Senator Schönbohm Herrn Dreksler
zu Beginn der Affäre versichert», sagte
eine Sprecherin.

CDU-Fraktionsvize Roland Gewalt
verlangt «sehr genaue Ermittlungen»,
ehe über mögliche Rücktrittsforderungen
nachgedacht werden könnte. «Man muß
schauen, ob beim Verfassungsschutz
richtig ermittelt wurde, aber auch fragen,
ob in der Innenverwaltung Fehler
gemacht wurden.»

Petra Merkel, Geschäftsführerin der
SPD-Fraktion, griff Schönbohm an:
«Hier hat der Innensenator in seiner
Fürsorgepflicht gegenüber seinem
Untergebenem sträflich versagt.» Die
PDS sieht sich in ihrer Forderung nach
Auflösung des Verfassungsschutzes
bestätigt. Für B90/Grüne ist das Amt
«schwer beschädigt». dr

Falscher Scientology-Verdacht: Schwerer Schaden

Von Christian Bahr

Innensenator Jörg Schönbohm ist ein
Freund der klaren Worte. Mit diesem
Attribut wird er gerne als Hoffnungsträger
der Berliner Union gefeiert. Doch
ausgerechnet dann, wenn Klarheit
dringend geboten ist, läßt der ehemalige
General sie vermissen. Mit einer lauen
Erklärung reagiert er auf die peinliche
Ermittlungspanne des ihm unterstellten
Landesamtes für Verfassungsschutz,
das einen hohen Polizeibeamten haltlos
als Mitglied der Scientology-Sekte
«ausspähte» und beschuldigte. Eine
Erklärung, die der Senator zudem aus
dem Mund einer Vertreterin seiner
Sprecherin verkünden läßt.

Schönbohms Schweigen macht fatal den
Eindruck, als wolle er sich unauffällig aus
der unangenehmen «Affäre» ziehen. Mit
überstürzten Ermittlungen und
vorschnellen Beschuldigungen hatte der
Verfassungsschutz den Polizeidirektor
Otto Dreksler ins Zwielicht gebracht. Der
langjährige Polizist und Leiter des
sensiblen Lagezentrums mußte
Durchsuchungen seines Hauses und
seines Büros über sich ergehen lassen.
Ein ungewöhnlich hartes Vorgehen
wegen des Verdachts der Nötigung.
Schließlich wurde er versetzt. Die eilig
erhobenen Vorwürfe konnte der
Verfassungsschutz nicht untermauern,
Dreksler wurde zu Unrecht beschuldigt.
Eine Panne unter vielen in der Dahlemer
Zentrale.

Schwerer als der neuerliche Kratzer für
den Verfassungsschutz wiegt der
persönliche Schaden in der Affäre:
Drekslers Ansehen ist beschädigt, die
Familie hat unter dem Vorfall gelitten.
Doch seine Dienstvorgesetzten
schweigen. Polizeipräsident
Saberschinsky ist im Urlaub.
Staatssekretär Kuno Böse, den
Eingeweihte als den eigentlichen
Verantwortlichen für die Panne sehen, ist
ebenso im Urlaub - seit gestern. Auf ein
Wort der Entschuldigung durch
Innensenator Schönbohm wartet der
hohe Polizeibeamte vergeblich. Dies
zeugt nicht von der Souveränität einer
Führungsperson, sondern offenbart
Schwächen und Unsicherheiten im
Umgang mit Konfliktfällen.


Alptraum für die Familie

Die vergangenen vier Monate waren die
schlimmste Zeit im Leben der Familie
des Polizeidirektors Otto Dreksler aus
Wannsee. Der Vater einer 22jährigen
Tochter und eines zwölfjährigen Sohnes
war nach Bekanntwerden der gegen ihn
erhobenen haltlosen Vorwürfe so
erschüttert, daß er nicht mehr in der
Lage war, den ihm zugewiesenen Dienst
an anderer Stelle im Polizeipräsidium zu
verrichten. Dazu kamen die vielen
schlaflosen Nächte. Der 53jährige mußte
sich krankschreiben lassen und ist erst
seit 6. Juli wieder im Dienst. Als
Landesschutzpolizeidirektor Gernot
Piestert ihn am Mittwoch wieder in sein
Amt als Leiter des polizeilichen
Lagezentrums einführte, wollte bei ihm,
wie er anschließend sagte, «keine
rechte Freude aufkommen». Dreksler:
«Das war nicht so, wie sechs Richtige
im Lotto gewonnen zu haben.» Ehefrau
Ingeborg fiel nach der Rehabilitierung
ein Stein von Herzen: «Vor allem für die
Kinder war es schrecklich.» Der Sohn
wurde sogar in der Schule auf den Fall
angesprochen, kam nach Hause und
fragte: «Papa, was ist ein
Scientologe?» Ein Alptraum ist zu Ende.
eck

Die Chronik: So wurde der Verdacht «gemacht»

Von Walter Scharfenecker

Das über Polizeidirektor Otto Dreksler
vom Landesamt für Verfassungsschutz
(LfV) ausgestellte «Behördenzeugnis»,
in dem festgestellt wurde, der Beamte
sei Mitglied der Scientology-Sekte,
spielte offensichtlich eine größere Rolle
als bislang angenommen. Denn: Schon
beim Herbeiführen eines
Durchsuchungsbeschlusses durch einen
Richter wurde es als schlagender
Beweis für die Dringlichkeit der Aktion
ins Feld geführt. Aus den Akten geht
hervor, daß das «Behördenzeugnis»
dasselbe Datum trägt wie der
Durchsuchungsbeschluß: 31.März. Der
Leiter des Landesamtes für
Verfassungsschutz, Direktor Eduard
Vermander, und einige seiner
Mitarbeiter werden eine Reihe
unbequemer Fragen durch die
Innenverwaltung zu beantworten haben.
Hier die Chronik des Skandals:
Am Freitag, dem 20. März, geht bei
der Innenverwaltung, im
Polizeipräsidium, beim
Gesamtpersonalrat der Polizei und bei
der «B.Z.» ein gleichlautendes
anonymes Schreiben ein, in dem
Dreksler bezichtigt wird, seit fünf Jahren
Scientologe zu sein und ein aus der
Sekte ausgetretenes Mitglied massiv zu
nötigen. Auf dem Brief finden die mit
dem Fall betrauten Beamten des
Staatsschutzes der Polizei keine
Fingerabdrücke, auf der Marke keine
Speichelspuren.
Am 23. März, einem Montag, bringt
auf Veranlassung eines hohen Beamten
aus der Innenverwaltung ein Kurier ein
Foto Drekslers von der Polizeibehörde
zum Verfassungsschutz nach Dahlem.
Am Freitag, 27. März, richtet die
Polizeibehörde ein Schreiben an den
Verfassungsschutz mit der Bitte um
Aufklärung, ob Dreksler Scientologe sei.
Am Abend des 31. März erfolgt dann
die Durchsuchung des Büros und des
Hauses Drekslers wegen des
Nötigungsvorwurfes. An seinem
Dienstzimmer wird sogar das Schloß
ausgewechselt. Bei der
Durchsuchungsaktion sieht Dreksler das
«Behördenzeugnis».
Am 17.Juni wird das Verfahren
wegen Nötigung von der
Staatsanwaltschaft eingestellt.
Am 22. Juli wird Dreksler - voll
rehabilitiert - wieder als Leiter des
Lagedienstes eingesetzt. Wie kam der
Verfassungsschutz binnen weniger Tage
zur Erkenntnis, daß der Polizeidirektor
Scientologe sei? Wenn Dreksler in der
Woche nach dem 23. März observiert
worden wäre, hätten die «Schlapphüte»
feststellen können, daß er zum Beispiel
am Dienstag und Mittwoch abend als
CDU-Bezirksverordneter an
Ausschußsitzungen im Rathaus
Zehlendorf teilgenommen oder am
Freitag sich mit Freunden zum
Billardspiel getroffen hatte. Die restliche
Freizeit verbrachte er mit seiner Familie,
nicht mit Scientologen. Zwischen dem
16. April und dem 4. Juni versuchten ein
« Herr Dörfler» und ein «Herr Aland»
vom Verfassungsschutz, einen
hauptamtlichen Mitarbeiter der Sekte in
Berlin als Informanten anzuheuern. Das
behaupten zumindest sechs von
Scientology beauftragte Münchener
Rechtsanwälte, die am 10.Juli beim
Verwaltungsgericht Berlin deswegen
Klage eingereicht haben. Danach
fragten die Verfassungsschützer am 15.
Mai (!) im «Café Übereck» in der
Prenzlauer Allee in Prenzlauer Berg den
Scientologen, «ob der Polizeibeamte
Otto Dreksler Mitglied der Kirche sei».
«Kirche» steht hier für die Sekte. Bei
einem weiteren Treffen am 26. Mai
boten sie ihm für die Beantwortung der
Frage 5000 Mark, für die Beantwortung
eines Fragenkatalogs noch einmal die
gleiche Summe. «Aus der Hemdtasche
des Herrn Dörfler schaute deutlich
sichtbar das Geldbündel heraus.» Der
Scientologe lehnte jede Mitarbeit mit
dem LfV ab und offenbarte sich der
Sekte, heißt es.


Behördenzeugnis

Um Späher zu schützen, können
Geheimdienste bei Gericht
Behördenzeugnisse vorlegen. Darin wird
ein Tatbestand dargestellt. Es dient als
Zeugenaussage, ist für Richter,
Staatsanwälte und Verteidiger in der
Regel bindend. Auch im Fall Dreksler.
Das dem Richter vorgelegte
Behördenzeugnis war offensichtlich
Freifahrtschein für die Genehmigung der
Haus- und Bürodurchsuchung. eck

Tilman Hausherr

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Jul 28, 1998, 3:00:00 AM7/28/98
to
Scientology-Verdacht ausgeräumt

Frankfurter Rundschau
28.07.1998

Polizist nach viermonatiger Suspendierung wieder
eingesetzt

Von Karl-Heinz Baum

Berlins Senatsverwaltung für Inneres unter Senator
Jörg Schönbohm (CDU) und das Landesamt für
Verfassungsschutz geraten wegen der falschen
Verdächtigung eines leitenden Polizisten immer mehr
unter Beschuß.

BERLIN, 27. Juli. Für die Opposition der
Bündnisgrünen in Berlin hat Renate Künast, Mitglied
des Abgeordnetenhauses, am Montag die vollständige
Offenlegung der Akten beider Ämter gefordert. Die
SPD ist bereits auf Distanz zur CDU, dem Partner in
der großen Koalition, gegangen. Es geht um den 1995
ernannten Leiter des Lagezentrums der Polizei Otto
D. In einem anonymen Brief, offenbar aus
Polizeikreisen, war er im März als Mitglied der
Scientology-Sekte genannt worden. Ein V-Mann des
Verfassungsschutzes wollte D. nach Vorlage eines
Fotos als wichtiges Mitglied der Sekte erkannt
haben. Das Landesamt gab ein Votunm ab; die
Innenverwaltung suspendierte D. Nach vier Monaten
ist D. seit vergangenen Mittwoch wieder im Amt.

Für Künast sind der Senator, sein Staatssekretär
Kuno Böse und das Landesamt für den Vorfall
verantwortlich. Sie sieht bei Innenverwaltung und
Verfassungsschutz "so etwas wie eine
Scientology-Hysterie". Schwere handwerkliche Fehler
und schlampige Arbeit stellten die Überwachung der
Sekte insgesamt in Frage. Die gelobte Beobachtung
der Sekte sei "wie ein Kartenhaus zusammengestürzt".

Nach dem anonymen Schreiben hätten beide
Verwaltungen "alle Fehler dieser Welt gemacht, die
man nur machen kann." So hatte das Landesaamt einem
Scientologen 5000 Mark gegeben; dafür sollte er eine
Liste führender Berliner Sekten-Mitglieder liefern.
Jener hat das Geld nur eingesteckt. Auch ein Richter
am Bundesverwaltungsgericht in Berlin war als
Scientologe verdächtigt worden.

Petra Merkel, Fraktionsgeschäftsführerin der
Berliner SPD, sieht nach der Affäre das Vertrauen
der Beschäftigten zu ihren Vorgesetzten erschüttert.
Ein anonymes Schreiben genüge, "um einen
langjährigen Mitarbeiter zum Paria zu stempeln". Mit
Desinformationen könnten offenbar Personen in
sicherheitsträchtigen Positionen "kaltgestellt"
werden.

Die Bündnisgrünen wollen eine Sondersitzung des
Verfassungsausschusses. Das Landesamt dürfe künftig,
wenn es wie bei D. Voten abgebe, nur
gerichtsverwertbare Erkenntnisse weitergeben, so
Künast. Die Rechtsanwältin hat bereits Teile der
Akten gelesen. Erst nach vollständiger Akteneinsicht
will sie entscheiden, ob ein Untersuchungsausschuß
nötig ist.


Affäre um angeblichen Berliner Scientology-Polizisten:
Keiner will Verantwortung tragen

SZ
28.07.98

CDU-Politiker verweigern dem Beamten eine Entschuldigung

aug. Berlin (Eigener Bericht) –
Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) will
offenbar keine Verantwortung für die
jüngste sicherheitspolitische Affäre in
der Hauptstadt übernehmen.
Presseberichten zufolge lehnte
Schönbohm es ab, sich bei einem hohen
Polizeibeamten zu entschuldigen, dem
zunächst in anonymen Briefen, dann auch
vom Verfassungsschutz vorgeworfen
worden war, Mitglied der
Scientology-Organisation zu sein. Der
Beamte wurde in der vergangenen Woche
rehabilitiert, nachdem sich die
Informationen des Verfassungsschutzes
als falsch herausgestellt hatten. Die
Innenverwaltung will jetzt die Arbeit
des Geheimdienstes überprüfen. Die Rede
ist von Umstrukturierungen und
Versetzungen in der 250-Mann starken
Behörde.

Die „öffentliche Diskussion“ um die
angebliche Scientology-Mitgliedschaft
sei „nicht durch das Innenressort
verursacht“ und darum von diesem auch
„nicht zu vertreten“, sagte Schönbohm
dem Spiegel. Tatsächlich hatte sich die
Innenverwaltung während der Affäre
gegenüber der Öffentlichkeit bedeckt
gehalten. Hinter den Kulissen war sie
freilich intensiv mit dem Vorgang
befaßt.

So hatte Innenstaatssekretär Kuno Böse
dem Verfassungsschutz 10 000 Mark zur
Verfügung gestellt, mit denen dieser
einem Scientology-Mitarbeiter
Informationen abkaufen wollte. Der Mann
legte den Geheimdienst jedoch herein.
Die Aktion war direkt auf den Auftrag
des Innensenators zurückgegangen, für
die Beschuldigungen eines anderen
V-Mannes, die sich nun als haltlos
erwiesen, ein „zweites Standbein“ zu
erhalten.

Auch die Berliner CDU bemüht sich, mit
reiner Weste aus der Affäre
hervorzugehen. Der Polizeidirektor ist
seit Jahren angesehenes Parteimitglied
im Stadtbezirk Zehlendorf. Zu seiner
Überraschung fand sich jedoch in der
Zeit der Verdächtigung kein
CDU-Politiker, der für ihn das Wort
ergreifen mochte. Nun, nach der Klärung
der Vorwürfe, ging Fraktionschef Klaus
Landowsky mit einer Erklärung an die
Öffentlichkeit: Die CDU sei stets von
der Haltlosigkeit der Vorwürfe
ausgegangen, und bei anonymen
Verdächtigungen sei ohnehin stets
Vorsicht geboten. Landowsky warf den
Grünen und der PDS „Scheinheiligkeit“
vor; sie hatten sich im Parlament um
Aufklärung bemüht.


Scientology-Affäre: Grüne fordern Aufklärung
Künast kritisiert "schwere Fehler" des Verfassungschutzes - Wird
Polizeidirektor weiter als "Verdachtsfall" geführt?

DIE WELT
28.7.1998

Von THOMAS HOLL

Bei der Beobachtung der Scientology-Sekte führt der Berliner
Verfassungsschutz den Polizeidirektor Otto Dreksler in seinen Akten
möglicherweise weiter als "Verdachtsfall".

Diese Vermutung äußerte gestern die grüne Fraktionsvorsitzende und
Sicherheitsexpertin Renate Künast, nachdem sie am 14. Juli im
Landesamt für Verfassungsschutz Akteneinsicht in den Fall genommen
hat. "Am 14. Juli war der Amtsleiter noch voll der Überzeugung, daß
Dreksler Scientologe ist. Ich glaube nicht, daß sich daran etwas
geändert hat", sagte Frau Künast.

Die grüne Politikerin warf dem Verfassungsschutz "schwere
handwerkliche Fehler" vor. Es sei "unverantwortlich", daß der
Verfassungsschutz auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse Ende März
ein "Behördenzeugnis" ausgestellt habe, wonach der CDU-Mann
Dreksler auch Mitglied in der Scientology-Organisation sei.

Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hatte Dreksler in der vergangenen
Woche wieder auf seinen Posten als Leiter des polizeilichen
Lagezentrums einsetzen müssen, weil der Verfassungsschutz seine
Anschuldigungen nicht belegen konnte. Der zuständige Staatssekretär
Kuno Böse (CDU) und Verfassungsschutzchef Eduard Vermander hatten
sich bei den Ermittlungen allein auf einen im Sommer 1997 in der
Psycho-Sekte angeworbenen V-Mann gestützt. Der Spitzel hatte
Dreksler nach einem ersten anonymen Hinweis am 20. März anhand
eines Fotos als Führungsmitglied von Scientology identifiziert.

Die grüne Abgeordnete kritisierte, daß dem Verfassungsschutz
interne Richtlinien zur Erstellung eines "Behördenzeugnisses"
fehlten. Im Fall Dreksler habe sich die Behörde allein auf
Spekulationen und mittelbare Kenntnisse gestützt. Hier habe die von
Böse ausgeübte Fachaufsicht versagt. Aber auch Schönbohm und
Vermander träfe die Verantwortung.

Jeder Anwalt hätte in einem vergleichbaren Fall vor Gericht einen
Freispruch erwirkt. So habe es bei der Identifizierung Drekslers
keine Gegenüberstellung mit anderen Personen gegeben. Auch bei der
Auswahl der "Quellen" in der Sekte konstatierte Künast schwere
Fehler. Sie stimme dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky
ausdrücklich zu, der von "zwielichtigen Informanten" gesprochen
hatte.

Künast forderte die Innenverwaltung auf, alle Originalberichte zu
dem Fall offenzulegen. Die von Schönbohm angekündigte interne
Untersuchung reiche nicht aus. Der Verfassungsschutzausschuß müsse
im August zu einer Sondersitzung zusammentreten. Falls Schönbohm
dort nicht alle Fragen zufriedenstellend beantworte, schließe sie
die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht aus. Zudem
müsse der Verfassungsschutz die Beobachtung von Scientology
aussetzen und den abschließenden Bericht für die
Innenministerkonferenz im Herbst verschieben: "Große Teile der
Erkenntnisse über Scientology müssen nun in Frage gestellt werden".

Schönbohm will sich bei Dreksler nicht entschuldigen

Berliner Morgenpost
28.7.1998

Von Walter Scharfenecker

Trotz der Aufforderung des
CDU-Fraktionsvorsitzenden
Klaus-Rüdiger Landowsky an die
Innenverwaltung, sich bei
Polizeidirektor Otto Dreksler zu
entschuldigen, wird dies
voraussichtlich nicht geschehen.
Dreksler war zu Unrecht vorgeworfen
worden, Mitglied der
Scientology-Sekte zu sein. Er wurde
am Mittwoch rehablilitiert. Die
Sprecherin der Innenverwaltung sagte
zu der Landowsky-Forderung,
Innensenator Jörg Schönbohm bleibe
bei seiner Haltung, daß «die
Diskussion mit allen auch für den
Polizeidirektor D. und seiner
Familie abträglichen Konsequenzen
nicht durch das Innenressort
verursacht worden» und demnach auch
nicht durch die Behörde zu vertreten
seien, es also keine Entschuldigung
gebe. Die Sprecherin bestätigte
aber, daß das Landesamt für
Verfassungsschutz umgegliedert
werden soll. Doch dies wäre auch
unabhängig von dem «Fall Dreksler»
geschehen. Man wolle jetzt aber die
internen Untersuchungen der Behörde
und die Diskussion im
Verfassungsschutz-Ausschuß des
Abgeordnetenhauses abwarten. Darauf
bestand auch am Montag die
Vorsitzende der Fraktion B90/Grüne,
Renate Künast. Sie verlangte, daß
ihr bei der Sitzung des
Verfassungsschutz-Ausschusses volle
Akteneinsicht gewährt werde.
Geschehe dies nicht, erwäge man die
Installierung eines
parlamentarischen
Untersuchungsausschusses. Der
Verfassungsschutz-Ausschuß müsse
aber noch vor dem nächsten regulären
Termin am 10.September
zusammentreten. Nach Ansicht von
Frau Künast sind sowohl der
Innensenator als auch sein
Staatsekretär Kuno Böse für diese
Panne veranwortlich. Der «Spiegel»
berichtete am Montag, die Vorwürfe
gegen Dreksler beruhten auf dem
Bericht eines V-Mannes und
«altgedienten Scientologen» vom
Sommer 1997. Unterstützt wurden die
Berliner Verfassungsschützer von
ihren Kollegen aus
Baden-Württemberg. Auch diese
berichteten, Dreksler sei Mitglied
der Sekte. Der Berliner V-Mann will
Dreksler auf Fotos als Mitglied der
sogenannten «Operierenden Thetanen»
(OT) erkannt haben. Diese OT träfen
sich nur in Privatwohnungen.
Ungeklärt ist bislang aber immer
noch, warum die Polizei erst am
23.März - offenbar auf Bitten des
Verfassungsschutzes - diesem ein
Foto Drekslers mit Kurier
übermittelt hat, obwohl der V-Mann
seinen Bericht bereits im Sommer des
vergangenen Jahres erstattet hatte.
Als Falsch-Meldung stellte sich auch
der Bericht des Spähers heraus, ein
Richter am Verwaltungsgericht sei
ebenfalls Scientologe.

Grüne wollen Scientology-Akte im Original lesen
Polizeidirektor Otto D. zeigt Geheimdienstmitarbeiter an

Berliner Zeitung
28.7.1998

Die Grünen schließen nicht aus, daß es in der
Verfassungsschutzaffäre um einen führenden
Polizeibeamten zu einem parlamentarischen
Untersuchungsausschuß kommt. Das Berliner
Landesamt für Verfassungsschutz hatte nach
einem anonymen Brief an die Polizeiführung
bestätigt, der Polizeidirektor sei
Scientologe. In der Folge wurde Otto D.
vorübergehend beurlaubt. Später jedoch
revidierte die Behörde ihr Urteil und Otto D.
wurde vergangene Woche rehabilitiert. Dadurch
waren die Ermittlungen des Verfassungschutzes
ins Zwielicht geraten.

Vor einem Untersuchungsausschuß verlangen die
Grünen allerdings, daß den Abgeordneten im
Verfassungsschutzausschuß alle Unterlagen im
Original zugänglich gemacht würden, sagte die
Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Grüne,
Renate Künast. Bei diesem Vorgang sei
unglaublich schlampig gearbeitet worden,
sagte Künast. Sie selber habe bisher erst
bereits bearbeitete Unterlagen zu dem Fall
gesehen. Ohne die Originale der
Ermittlungsakten könne man den Vorgang
allerdings nicht beurteilen, sagte die
Abgeordnete, die selber Recchtsanwaältin ist.

Otto D. selbst hat inzwischen Anzeige wegen
Verleumdung und übler Nachrede gestellt. Die
Anzeige richte sich gegen unbekannte
Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, sagte
Justizsprecher Matthias Rebentisch.(lo.)


Grüne: Der V-Mann war ein Fehlgriff

taz
28.7.1998

Von Dorothee Winden

Die Abgeordnete Renate Künast wirft dem
Verfassungsschutz in der Scientology-Affäre
schwere handwerkliche Fehler vor. Geheimdienst hat
offenbar keine Kriterien, wann die Beweislage für
eine offizielle Stellungnahme ausreicht

Die bündnisgrüne Abgeordnete Renate Künast hat dem
Verfassungsschutz gestern schwere handwerkliche
Fehler bei der Überprüfung eines Polizeidirektors
vorgeworfen, der in Verdacht geraten war, Mitglied
bei Scientology zu sein. Der Beamte war am 7.
April von seinen Aufgaben entbunden worden,
nachdem der Verfassungsschutz seine Mitgliedschaft
bei der Sekte bestätigt hatte. In der vergangenen
Woche mußte die Behörde ihre Einschätzung jedoch
wiederrufen. Otto D. wurde öffentlich
rehabilitiert.

"Die Sachlage hat es nie hergegeben, daß Otto D.
Mitglied bei Scientology ist", erklärte Künast,
die als Mitglied des Verfassungsschutzausschusses
am 14. Juli Einsicht in Geheimdienstakten nehmen
konnte. Dabei wurden ihr allerdings nur
zusammenfassende Berichte vorgelegt und keine
Protokolle von V-Mann-Berichten.

Sie zog allerdings auch den neuen Kurs von
Verfassungsschutz und Innenverwaltung in Zweifel,
wonach überhaupt nichts an den Vorwürfen gegen
Otto D. dran sei. "Ich habe da noch
Klärungsbedarf."

Das Landesamt für Verfassungsschutz verfüge über
keinerlei Richtlinien, welche Anforderungen an
eine Beweislage gestellt werden müssen, wenn eine
Stellungnahme nach außen gegeben werde,
kritisierte Künast. Darauf seien die
Verfassungsschützer offenbar nicht vorbereitet.
Was die Identifizierung von Otto D. durch einen
V-Mann betrifft, bemängelte sie, daß der Quelle
nicht mehrere Fotos vorgelegt wurden. Auch ein
baden-württembergischer Verfassungsschützer
bestätigte der taz, daß es "gängige Praxis" sei,
zur Identifizierung Fotos verschiedener Personen
vorzulegen, "um Zufallstreffer auszuschließen".

Wenn die Anschuldigungen gegen Otto D.
100prozentig nicht stimmten, dann stimme fast gar
nichts von den Erkenntnissen der
Verfassungsschützer über die Psychosekte, so
Künast. "Das fällt wie ein Kartenhaus zusammen."
Doch nicht nur die Quellenlage des
Verfassungsschutzes ist offenbar dünn, sondern
auch die Auswahl eines V-Mannes findet Künast
kritikwürdig. "Ich habe begründeten Anlaß, davon
auszugehen, daß bei der Auswahl der Informanten
Fehler gemacht wurden", erklärte Künast. Eine
Äußerung von CDU- Fraktionschef Klaus Landowsky,
wonach "kriminelles Protz- und Intrigantenmilieu"
nicht Partner des Verfassungsschutzes sein dürfe,
beschreibe treffend das Kaliber des Informanten.

Künast verglich die Geheimdienstpanne mit einem
Verfassungsschutzskandal, der Ende 1988 für
Aufsehen sorgte. Der Verfassungschutz hatte den
V-Mann Steffen Telschow auf den SPD-Abgeordneten
Erich Pätzold angesetzt, der damals als
Parlamentarier für die Kontrolle des
Geheimdienstes zuständig war. Auch damals seien
bei der Auswahl des V-Mannes schwere Fehler
gemacht worden, so Künast. Als politisch
Verantwortliche der jüngsten Affäre nannte sie
Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), den für den
Verfassungsschutz zuständigen Staatssekretär Kuno
Böse und der Verfassungschutz selbst. Es genüge
daher nicht, daß der Innensenator die Vorgänge
überprüfe. Vielmehr müsse den Mitgliedern des
Verfassungsschutzausschusses volle Akteneinsicht
gewährt werden.

Tilman Hausherr

unread,
Jul 29, 1998, 3:00:00 AM7/29/98
to
Scientology-Vorwürfe nicht haltbar

taz
29.7.1998

Dorothee Winden

Berlins Verfassungsschutz mußte widerrufen, daß
hoher Polizeibeamter Scientologe ist. Innensenator
Jörg Schönbohm (CDU) gerät unter Druck

Berlin (taz) - Das anonyme Schreiben, das am 20.
März im Vorzimmer des Berliner Polizeipräsidenten
Hagen Saberschinsky einging, löste ungeheure
Hektik aus. Der Leiter des polizeilichen
Lagezentrums sei ein führender Berliner
Scientologe, lautete die höchst brisante
Anschuldigung. Der 53jährige Polizeibeamte Otto
Dreksler gehöre seit fünf Jahren der umstrittenen
Psychosekte an und zähle seit drei Jahren zu deren
Berliner Führungskader.

Es hätte sich um den bundesweit schwerwiegendsten
Fall einer Unterwanderung durch Scientologen
gehandelt. Unter Hochdruck wurden Ermittlungen
eingeleitet. Dreksler selbst beschwor von Anfang
an, nichts mit Scientology zu tun zu haben - "beim
Leben meines Sohnes". Bei der Durchsuchung seiner
Wohnung drängte er trotz später Stunde darauf, daß
gründlich nachgeforscht werde. Doch auch in seinem
Computer fand sich nichts Inkriminierendes.

Das CDU-Mitglied, das seit 1995 im Villenviertel
Berlin-Zehlendorf dem Bezirksparlament angehört,
hat nicht nur Freunde in der Polizei. Mit seiner
zuweilen schroffen Art hat sich Dreksler unbeliebt
gemacht, aber auch mit der Befürwortung der
Polizeireform. Künftig sollen die stressigen
12-Stunden-Schichten abgeschafft werden, die den
Polizeibeamten aber auch großzügigen
Freizeitausgleich verschafften. Der anonyme Brief
könnte eine Intrige gegen den Polizeidirektor
gewesen sein.

In der Rekordzeit von acht Tagen kam das Landesamt
für Verfassungsschutz zu dem Ergebnis, daß
Dreksler Mitglied von Scientology sei. Aufgrund
des Behördenzeugnisses des Verfassungsschutzes
wurde Dreksler am 7.April von seinen Aufgaben
entbunden. Vier Monate lang schob er Dienst in der
Funkzentrale. Auch seine Lehrtätigkeit an der
Polizeifachhochschule mußte er einstellen.

Doch dann kamen Zweifel an der Beweislage auf. Der
V-Mann, der Dreksler als Scientolgy-Mitglied
identifiziert hatte, hatte auch einen prominenten
Berliner Verwaltungsrichter der Zugehörigkeit zu
dem Psychokonzern beschuldigt. Bei Nachfragen war
er sich plötzlich nicht mehr sicher, den Richter
auf Fotos erkannt zu haben. Nun kamen auch Zweifel
an der Identifikation Drekslers auf. Der
Innensenator forderte "ein zweites Standbein". Der
für den Verfassungsschutz zuständige
Innenstaatsekretär Kuno Böse bewilligte
Sondermittel für Recherchen und stimmte der
Observation des Polizeidirektors zu. 5.000 Mark
boten zwei Verfassungsschutzagenten einem frisch
kontaktierten Mitarbeiter von Scientology für die
Beschaffung einer Mitgliederliste. Der Student
nahm das Geld an, doch anstatt die Liste zu
liefern, offenbarte er sich seinem Arbeitgeber.

Mangels Beweisen mußte die Innenverwaltung in der
vergangenen Woche den Rückzug antreten. Der
Vorwurf einer Mitgliedschaft bei Scientology habe
sich nicht bestätigt. Otto Dreksler wurde am
vergangenen Mittwoch öffentlich rehabilitiert und
wieder in sein Amt als Leiter des Lagezentrums
eingesetzt.

"Die Sachlage hat es nie hergegeben, daß der
Polizeidirektor Mitglied bei Scientolgy ist",
bestätigt auch die bündnisgrüne Abgeordnete Renate
Künast, die als Mitglied des parlamentarischen
Verfassungsschutzausschusses für die Kontrolle des
Geheimdienstes zuständig ist. Sie wirft den
Verfassungsschützern eine Reihe schwerer
handwerklicher Fehler vor. "Ich habe begründeten


Anlaß, davon auszugehen, daß bei der Auswahl der

Informanten Fehler gemacht wurden", erklärte sie
nach der Einsicht der Geheimdienstakten, ohne
nähere Einzelheiten zu nennen.

Der Verfassungsschutz hat offenbar seine eigenen
Kriterien für die Rekrutierung von V-Männern nicht
eingehalten. Auch bei der - vermeintlichen -
Identifizierung Drekslers habe der
Verfassungsschutz methodische Fehler gemacht.
Künast kritisierte zudem, daß Lebensverhältnisse
und Verhaltensweisen des Polizeibeamten so
gedeutet worden seien, daß dies die These der
Scientology-Zugehörigkeit stützte. Außerdem
verfüge das Landesamt für Verfassungsschutz
offenbar über keine Richtlinien, welche


Anforderungen an eine Beweislage gestellt werden

müßten, wenn eine Stellungnahme des Amtes nach
außen gegeben werde.

Eine Entschuldigung gegenüber Otto Dreksler, wie
sie Polizeikollegen von Innensenator Jörg
Schönbohm (CDU) fordern, ist bislang ausgeblieben.
Schönbohm schiebt die Verantwortung für die
gravierendste Panne des Verfassungsschutzes, die
in den letzten zehn Jahren bekannt wurde, auf die
Behörde ab. Den Verfassungsschützern hat er einen
Maulkorb verhängt. Falls Innensenator Schönbohm
die Affäre vor dem Verfassungsschutzausschuß nicht
hinreichend aufklärt, erwägen die Bündnisgrünen,
einen Untersuchungsausschuß zu beantragen.

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