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Hubertus Heil: "Die Rente mit 63 gibt es nicht mehr"

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D. Schlenk

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Feb 21, 2024, 10:47:56 AMFeb 21
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https://www.morgenpost.de/politik/article241694350/rente-mit-63-renteneintrittsalter-70-hubertus-heil-interview-update-3.html


Hubertus Heil: „Die Rente mit 63 gibt es nicht mehr“


17.02.2024

Von Thorsten Knuf und Jochen Gaugele


https://img.sparknews.funkemedien.de/241701856/241701856_1708265255_v16_9_1200.webp
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). © dpa | Kay Nietfeld

Berlin. Arbeitsminister Heil sagt, was Rentner im Sommer
erwartet – und ob der Kampf gegen Sklavenarbeit in der
Fleischindustrie gelingt.

Die nächste Rentenreform steht bevor. Arbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) spricht im Interview über erste Details
– und sagt, ob wir doch noch bis 70 arbeiten müssen.

Herr Heil, wie sicher ist die Rente?

Hubertus Heil: Die Rente muss dauerhaft gesichert werden.
Wir haben in den letzten Jahren eine gute Entwicklung
erlebt, weil die Beschäftigung auf Rekordniveau ist. Der
Beitragssatz liegt deshalb seit 2018 stabil bei 18,6 Prozent
und wird noch länger stabil bleiben. Zuvor war er übrigens
höher. Jetzt ist es an der Zeit, die Weichen langfristig zu
stellen, damit sich alle Generationen auf eine stabile Rente
verlassen können.

Gelingt das den zerstrittenen Koalitionspartnern noch?

Heil: Ja, das wird gelingen. Finanzminister Lindner und ich
sind sehr weit und werden das neue Rentenpaket in wenigen
Wochen vorlegen. Es geht darum, das Rentenniveau dauerhaft
zu sichern. Wenn wir das nicht machen, würden die Renten in
den nächsten Jahren deutlich sinken. Das werden wir
verhindern. Zudem wird es mit uns keine weitere Erhöhung des
gesetzlichen Renteneintrittsalters geben. Denn eine Rente
mit 69 oder 70 wäre für viele hart arbeitende Menschen, etwa
in der Pflege oder Logistik, ebenfalls eine Rentenkürzung.

Passend dazu: Rente? Gern später! Über-50-Jährige pfeifen
auf Ruhestand


Rente: „Entscheidend ist die Entwicklung auf dem
Arbeitsmarkt“

Wie wirkt sich die Reform auf den Rentenbeitrag aus?

Heil: Detaillierte Zahlen werden wir mit dem Gesetzentwurf
vorlegen. Der Beitragssatz ist seit Jahren stabil und wir
haben viele negative Prognosen alt aussehen lassen. Klar
ist, dass wir deutliche Anstiege in der Zukunft verhindern
wollen, auch dafür machen wir diese Reform.

Konkret?

Heil: Entscheidend ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Je mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter in
sozialversicherungspflichtiger Arbeit sind, desto stabiler
und leistungsfähiger ist die gesetzliche Rente. Wir werden
aber auch im Rentensystem dafür sorgen, dass der
Beitragssatz in der Zukunft nicht zu stark ansteigt. Dafür
schaffen wir ein Generationenkapital.

Sie wollen Geld am Kapitalmarkt anlegen, das bis 2035 ein
Volumen von 200 Milliarden Euro erreichen soll. Was wird aus
dem Generationenkapital, wenn die Börse abschmiert?

Heil: Ziel ist, das Geld langfristig anzulegen und zu
investieren und mit den Erträgen die Beitragssteigerungen ab
Mitte des kommenden Jahrzehnts zu dämpfen. Durch eine
ausreichende Anlagedauer können Risiken deutlich gemindert
werden. Mit diesem Rentenpaket wollen wir den
Generationenvertrag erneuern.



Krieg und Krise – wie bekommen Rentner das zu spüren?

Heil: Die Zeitenwende ist an den Rentnerinnen und Rentnern
nicht spurlos vorbeigegangen. Die Rentenerhöhung im
vergangenen Jahr war nicht gering, ist aber unter der
Inflationsrate geblieben. Jetzt sinkt die Inflation zum
Glück deutlich und es gab ordentliche Lohnabschlüsse.
Deshalb machen erste Schätzungen uns zuversichtlich, dass
zum 1. Juli die Renten wieder stärker steigen als die
Inflation.

Ökonomen machen sich Sorgen wegen der schwächelnden
Konjunktur – und nehmen es Ihnen übel, dass Sie um jeden
Preis an der Rente mit 63 festhalten wollen.

Heil: Zum einen gibt es die sogenannte Rente ab 63 nicht
mehr. Die Altersgrenze liegt inzwischen über 64 und wird auf
65 Jahre ansteigen. Zum anderen ist es nur fair, dass
Menschen nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehen
können.


Arbeitsminister Hubertus Heil (links) neben Justizminister
Marco Buschmann im Deutschen Bundestag. © DPA Images |
Britta Pedersen

Die Regelung verschlingt in den nächsten zehn Jahren einen
dreistelligen Milliardenbetrag und entzieht dem Arbeitsmarkt
mehrere hunderttausend qualifizierte Beschäftigte.

Heil: Die Zahlen sehen anders aus. Vor 20 Jahren hatten wir
eine deutliche niedrigere Beschäftigtenquote der 60- bis
64-Jährigen von 12 Prozent, schon heute liegt der Anteil
derjenigen in diesem Alter bei rund 50 Prozent. Und Menschen
nach 45 Jahren harter Arbeit mit Abschlägen in Rente zu
schicken, ist lebensfremd.

Die Frage ist ja nicht nur, ob Menschen bereit sind, länger
zu arbeiten, sondern auch, ob man sie lässt. Es gibt
Großkonzerne, die kerngesunde Menschen mit 60 zum alten
Eisen packen. Diese Einstellung können wir uns nicht
erlauben. Der demografische Wandel zwingt uns, bis 2035 rund
sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte zu ersetzen. Wir
müssen alle Register ziehen, um mehr Frauen, mehr
qualifizierte Zuwanderer und mehr Ältere in Arbeit zu
bringen. Sonst wird der Fachkräftemangel zu einer
dauerhaften Wachstumsbremse.

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Alle Register ziehen – aber die Rente mit 63 bleibt?

Heil: Nochmal: Die Rente mit 63 gibt es schon heute nicht
mehr. Ich bin für flexible Übergänge in den Ruhestand und
kluge Anreize, damit Menschen freiwillig länger arbeiten,
die das können und wollen. Dafür haben wir mit der
Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenem
Ruhestand schon eine deutliche Verbesserung erreicht. Zudem
werden wir im Dialog mit den Sozialpartnern weitere
Vorschläge entwickeln und Anreize verstärken.

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Apropos ausländische Arbeitskräfte: Sie wollten in der
Fleischindustrie „aufräumen“ und die Arbeitsbedingungen
verbessern. Wie gut ist das gelungen?

Heil: Wir haben Verhältnisse gehabt, für die man sich in
Deutschland schämen muss. Menschen aus Mittel- und Osteuropa
wurden in deutschen Fleischfabriken als Sklavenarbeiter
ausgebeutet. Sie haben in gammeligen Unterkünften
geschlafen, man hat sie um ihren Lohn betrogen, Regelungen
zur Arbeitszeit sind nicht eingehalten worden. Auf den
Knochen der Beschäftigten haben einige richtig Profit
gemacht. Hier haben wir aufgeräumt.

Sie sprechen von Fleischkonzernen wie Tönnies.

Heil: Es ging nicht um einzelne Unternehmen, sondern um
strukturelle Probleme in der Fleischindustrie.
Fleischkonzerne haben sich ihrer Verantwortung entledigt,
indem sie missbräuchlich auf Werkverträge und Leiharbeit
zurückgegriffen haben. Das war über Jahrzehnte ein
wachsendes Problem. In der Corona-Zeit war die Empörung
groß, als ganze Landkreise wegen solcher Verhältnisse wieder
in den Lockdown mussten.

Erst dann war die Union bereit, in der großen Koalition zu
handeln. 2021 haben wir Werkverträge und Leiharbeit in der
Fleischindustrie verboten und damit die strukturellen
Missstände beseitigt. Das belegt auch die wissenschaftliche
Untersuchung, die jetzt vorliegt.
Ein größerer Corona-Ausbruch in einem Werk des
Fleischverarbeiters Tönnies lenkte 2020 viel Aufmerksamkeit
auf die Arbeitsbedingungen in der Branche.

Ein größerer Corona-Ausbruch in einem Werk des
Fleischverarbeiters Tönnies lenkte 2020 viel Aufmerksamkeit
auf die Arbeitsbedingungen in der Branche. © DPA Images |
Friso Gentsch

Was genau hat sich verbessert?

Heil: Im Kernbereich – Schlachtung, Zerlegung, Verarbeitung
– sind die Beschäftigten jetzt direkt bei den Schlachthöfen
und nicht mehr bei Subunternehmen angestellt. Die Betreiber
tragen die volle Verantwortung. Wir haben mit einer
digitalen Arbeitszeitaufzeichnung dafür gesorgt, dass nicht
mehr über die Arbeitszeit betrogen werden kann. Ich bin
froh, dass wir jetzt deutlich anständigere
Arbeitsbedingungen haben.

Gibt es weniger Arbeitsunfälle?

Heil: Wir haben positive Auswirkungen auf den Arbeitsschutz,
weil Arbeitszeiten eingehalten werden. Die Zahl der
Verletzungen in Schlachthöfen ist zurückgegangen. Es ist
Aufgabe der Länder, die Einhaltung der Vorschriften hart zu
kontrollieren. In manchen Bundesländern sind die
Arbeitsschutzbehörden leider zusammengestrichen worden. Dank
unseres Gesetzes stellen die meisten Länder jetzt aber
verstärkt ein und wir stehen am Beginn einer Trendumkehr.

Hat die Fleischproduktion unter den Vorschriften gelitten?

Heil: Die Horrorszenarien, die Lobbyisten und die CSU
vorgetragen haben, haben sich nicht bewahrheitet. Die
Grillsaison ist nicht ausgefallen.

Sind Sie sicher, dass Fleischhersteller nicht ins Ausland
getrieben werden?

Heil: Die Fleischproduktion in Deutschland ist nach wie vor
hoch. Das sagt die wissenschaftliche Studie, die die
Auswirkungen des Gesetzes untersucht hat.

Auch interessant: Steuer fürs Tierwohl – So teuer wird das
Schweine-Steak

Für die erste Zeit gilt eine Ausnahmeregelung: Bis zum 1.
April können Unternehmen in der Fleischverarbeitung noch
Leiharbeit in Anspruch nehmen. Wie geht es weiter?

Heil: Die Ausnahme bei der Fleischverarbeitung werden wir
nicht entfristen. Sie wird auslaufen. In dieser Frage halte
ich mich an die Überzeugung der Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten. Leiharbeit wird aus
Schlachthöfen komplett verschwinden.


Wollen Sie die Regelungen, die bisher nur für die
Fleischindustrie gelten, ausweiten?

Heil: Wir schauen in allen Bereichen sehr genau hin. Aber es
ist wichtig, dass wir verhältnismäßige und wirksame
Maßnahmen ergreifen. So arbeiten wir etwa mit dem
Wirtschaftsminister an einem Postgesetz, das auch
Fehlentwicklungen bei den Paketboten in den Blick nimmt.
Unternehmen, die chronisch gegen Arbeitsschutz- und
Arbeitsrechte verstoßen, soll etwa der Marktzugang verwehrt
oder entzogen werden können. Zudem sollen einzelne
Paketboten nicht mehr Pakete schleppen müssen, die schwerer
als 20 Kilo sind.

Gibt es weitere Branchen, in denen ein Verbot von Leiharbeit
infrage kommt?

Heil: Man muss in jeder Branche genau hingucken. Aber das
ganz scharfe Schwert eines Verbots von Werkverträgen und
Leiharbeit muss auch vor Gerichten bestehen können.

Sind die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie jetzt
so, dass die Verbraucher guten Gewissens Fleisch kaufen
können – auch Billigfleisch?

Heil: Mir ging es nie darum, jemandem ein schlechtes
Gewissen zu machen. Die Verbraucher können an der
Supermarktkasse nicht sehen, wie die Arbeitsbedingungen
sind. Ich bin froh, dass es bei den Verbrauchern ein
wachsendes Bewusstsein für faire Produktionsbedingungen
gibt. Es ist aber nicht meine Aufgabe, Menschen zu belehren.
Es bleibt jedem Verbraucher überlassen, ob und welches
Fleisch er kauft.


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