On 16 Jul., 13:27, Lothar Schenk <
lothar.sch...@gmx.de> wrote:
> Am 15.07.2012 19:11, schrieb Karl-Ludwig Diehl:
> > On 15 Jul., 10:11, Lothar Schenk<
lothar.sch...@gmx.de> wrote:
> >> Mein persönliches Anliegen liegt in der Dharmapraxis, d.h. in der
> >> Umsetzung des Weges, der zur Befreiung vom Leiden führt. Insofern ist es
> >> wichtig, Vorstellungen, die mit dem eigentlichen Ziel der Lehrausübung
> >> nichts zu tun haben, richtig einordnen zu können, um sich davon nicht in
> >> die Irre führen zu lassen.
> > Ich bin kein Buddhist, sondern sehe das aus der Warte
> > des Religionsvergleichs (Vergleichende Religionswissen-
> > schaft, etc.), will sagen, eine "Befreiung vom Leiden"
> > ist ein Konzept, an das ich nicht glaube, sondern nur
> > als Idee verstehen will.
> "Die Botschaft hoer' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."
Mit Glaube kommt man da nicht weiter.
> Ich meinerseits glaube nicht an den Wert vergleichender
> Religionswissenschaften.
Das steht Dir frei. Andererseits entwickelt eine solche Dis-
ziplin einen methodischen Apparat, um vergleichbare The-
men aus den unterschiedlichen Religionen zu bearbeiten.
Damit kommt man sehr weit. Natuerlich kann das nicht
alles leisten. Es bleibt immer ein unbearbeiteter Rest.
> Da kann man bis in alle Ewigkeit Konzepte
> waelzen und vergleichen und sich im Kreise drehen, ohne je zur
> Wirklichkeit hinter den Konzepten zu gelangen (oder ueberhaupt die
> Notwendigkeit dazu zu sehen).
Daselbe Problem hast Du religionsintern.
> Die Wirklichkeit hinter den Konzepten
> vermag nur die eigene Erfahrung zu erhellen, und nur dadurch ist man
> ueberhaupt in der Lage, den relativen Wert oder Unwert eines Konzeptes
> als Beschreibung der Wirklichkeit einschaetzen zu können.
Du kannst das am Thema "Meditation" festmachen. Was ist dabei
"die eigene Erfahrung"?
Daselbe Problem hast Du bei der sogenannten "Gottessuche" der
Mystiker. Erfahrungen, die von ihnen gemacht werden, sind selten
schriftlich niedergelegt. Um das wissenschaftlich zu bearbeiten,
bist Du aber auf Selbstzeugnisse angewiesen. Das gilt folglich auch
fuer die Theologien.
> Tatsaechlich ist Leiden, in welcher Form auch immer, die grundlegende
> Erfahrung im Leben, und ohne Ausnahme alles, was Menschen und auch alle
> anderen Lebewesen tun, verfolgt den Zweck, sich "irgendwie" vom Leiden
> zu befreien, oder, wie es meistens ausgedrueckt wird, gluecklich zu sein
> (oder zu werden). Das eigentliche Problem dabei ist nun, und auch das
> ist die allgemeine Erfahrung, dass dieses Gluecklichsein nie andauert.
> Es hat keinen Bestand. Es kehrt sich immer wieder in sein Gegenteil um -
> eben ins Leiden.
Das mag wohl so stimmen, wie Du sagst, aber es muss dann in
Worten geklaert sein, was mit "Leiden" an der Welt, usw. gemeint
ist. Von buddhistischen Lehrern hast Du dazu unterschiedliche
Texte. diese lassen sich vergleichen. Es gibt unterschiedliche
buddhistische Schulen. Diese moegen wiederum andere Erklae-
rungsmodelle bieten. Diese lassen sich vergleichen.
> Wenn du nun sagst, dass du an eine (endgueltige) "Befreiung vom Leiden"
> nicht glaubst, dann sehe ich darin nichts Anderes als einen Ausdruck
> eben dieser allgemeinen Erfahrung, aber gleichzeitig gekoppelt mit der
> Erwartung, dass sich daran nichts aendern lassen wird.
Beim Religionsvergleich sehe ich das von aussen, also nicht
als Glaeubiger. Das Bestreben geht dahin, die Sichtweise des
Glaeubigens moeglichst genau zu erschliessen. Die eigene
Erfahrung besteht darin, sich in die Sichtweise des Glaeubigen
zu versetzen. Dazu braucht es jedoch die Selbstzeugnisse der
Glaeubigen.
> Wenn ich nun aber nicht an die Moeglichkeit einer endgueltigen Loesung
> des Leidens-Problems glaube, verdamme ich mich damit automatisch dazu,
> solange ich lebe (was nun nach buddhistischer Auffassung weit ueber die
> Grenzen des gegenwaertigen Lebens hinausgeht) unausweichlich leiden zu
> muessen.
Diese Idee der Verdammnis ist z.B. ein Gegenstand, der
wissenschaftlich
bearbeitet werden kann. Es handelt sich ja dabei um ein Glaubensgut,
das verstehbar gemacht werden soll und im Vergleich als Gegenstand
interessant betrachtet werden kann.
> Jedes Glueckserlebnis, sobald es ausgekostet ist, verfluechtigt
> sich und ich stecke doch wieder drinnen im Leiden - das, was ich nicht
> haben moechte.
Mir faellt dazu das Zeitalter der Empfindsamkeit, also die Romantik
des
europaeischen Westens, ein.
> Da soll nun kein Entrinnen moeglich sein?
Nur im erdachten Denkmodell.
Ich hatte mich einmal, um unsere alltaeglichen Sichtweisen
besser zu verstehen, in die konstruktivistische Erkenntnistheorie
eingearbeitet:
http://konstruktivistischeerkenntnistheorie.blogspot.com/
Johann Ortner hat dazu einen lesbaren Text geliefert, der sich
mit unserer Innerlichkeit und den dauernd ablaufenden Prozes-
sen beschaeftigt. Ich will dich nun nicht auffordern, Dich einmal
damit auseinanderzusetzen, weil das einen besseren Umgang
mit buddhistischem Denkgut mit sich bringt, sondern will nur
sagen, dass wir in unserem Denken und Ideenentwickeln an
unsere geistigen und seelischen Prozesse gebunden sind
und immerzu Krisen ueberwinden muessen, indem wir voraus-
planen. Der Buddhismus liefert dazu Denkhilfen, indem er
Vorausplanungskonzepte interessantester Art liefert.
> Ist eine solche Ansicht, angesichts des nicht zu verkennenden
> Gluecksstrebens, das offenbar ausnahmslos jedem Lebewesen innewohnt und
> alle seine Handlungen diktiert, wirklich eine brauchbare Lebensauffassung?
Wenn man das Wortgut genau zusammenstellt, entdeckt man
sehr rasch die Struktur der Konzeption: Leiden/Gluecksstreben/
usw. Es ist unuebersehbar, dass mit Wortwelten gearbeitet wird,
in denen die Worte bestimmte Bezuege herstellen und Modelle
der Lebenswirklichkeit schaffen, die einerseits als das Positive
und andererseits als etwas, woran man leiden wird, ausformuliert
sind. Wenn man sich aus dieser Wortwelt herausbegibt und in
eine andere eintaucht, sehen die Zusammenhaenge ganz anders
aus. Wir als Menschen leben in erarbeiteten Wortwelt und Denk-
mustern. Diese sind immer unsere Erfindungen oder weiterge-
gebene Erfindungen. Die Wirklichkeit fuer uns ist immer etwas
von uns Erfundenes. Alles andere ist ausserhalb davon.
Ich schaue rein, wenn ich viel Zeit dafuer freimachen kann.
Auf die Schnelle fand sich darin dies:
"Der Buddha verlangte niemals von irgend jemandem bedings-
losen Glauben."
Das ist logisch. Jeder sollte sich selbst seine Gedanken machen.
Die Kunst der Lehre besteht wohl darin, jeden dazu zu veran-
lassen, selbst bis zur hoechsten Erkenntnis vorzudringen. Aber
welche kann sie sein?
> > ... Die Frage ist, ob man
> > einer "romantischen Sichtweise" ueberhaupt als Mensch entgehen
> > kann?
> Wenn ich "romantisch" mit "verklaert" bzw. "nicht so, wie die Dinge
> tatsaechlich sind" uebersetze, dann ist die Antwort des Erwachten darauf
> ein klares Ja.
Jedoch koennen wir nicht wissen, "wie die Dinge tatsaechlich sind",
sondern sind nur in der Lage, uns Denkmodelle dazu zu schaffen.
Wenn ein "Erwachter" glaubt, er habe die Wirklichkeit geschaut,
so ist das immer doch nur ein Denkmodell, von dem er jedoch
meint, es sei die Wirklichkeit.
Die konstruktivistische Erkenntnistheorie macht ueberdeutlich, dass
wir in unserem eigenen menschlichen Denken gefangen sind.
K.L.