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Urteil: Keine "IM Parkscheibe" mehr in Frankfurt?

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Andreas Cammin

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Dec 1, 2003, 7:06:45 AM12/1/03
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Hi Group,

folgender Artikel aus der Frankfurter Rundschau ist mir auf einer
Mailingliste zugekommen:

Frankfurter Rundschau, 15.11.03

Gericht stoppt Knöllchen vom Privatmann

Daten von selbst ernannten Verkehrsüberwachern sind nur bedingt zu
verwerten / Ordnungsamt widerspricht Urteil

Anzeigen gegen Falschparker bleiben folgenlos, wenn die städtische
Bußgeldstelle sich nur auf Privatpersonen stützt und deren Angaben kaum
überprüft. Dieses Urteil des Amtsgerichts Frankfurt fällt in eine Phase,
in der die Stadt mit deutlich mehr Bußgeld-Einnahmen rechnet.

VON JÜRGEN SCHENK

Frankfurt · 14. November · Wenn Autofahrer ein Knöllchen bekommen,
steckt nicht immer die Hilfspolizei dahinter. Fast ein Fünftel der
Anzeigen gegen Falschparker und Raser stammt von Privaten - zu einem
großen Teil von Mitarbeitern von Flughafen oder Müllabfuhr. Oder auch
von selbst ernannten Helfern wie dem 64 Jahre alte Ex-Bundesbeamten
Helmut R. aus der Nordweststadt. Er verwendet einen großen Teil seiner
Zeit darauf, den Stadtteil zu durchstreifen und nach Falschparkern zu
fahnden. Mit seinen Anzeigen hat er bisher sein Scherflein dazu
beigetragen, dass Hasso Haas, Leiter des städtischen Ordnungsamtes, 2003
mit elf Millionen Euro an Bußgeld rechnet - einer Million mehr als im
Vorjahr. Haas erklärt den Zuwachs gegenüber dpa mit der Wiedereinführung
des Anwohnerparkens, außerdem lasse die Stadt verstärkt im Umfeld von
Baustellen abschleppen.

Über 70 Verkehrsüberwacher verfügt das Ordnungsamt, sie werden von
Kollegen aus dem Bereich Sicherheit und Ordnung unterstützt. Annähernd
430 000 Anzeigen werden sie Ende dieses Jahres geschrieben haben. Zu den
rund 100 000 privaten Anzeigen gegen Falschparker in Frankfurt steuert
allein der Sicherheitsdienst des Flughafens 80 Prozent bei. Nur knapp
ein Prozent kommt von Bürgern wie Helmut R. "Von der Hilfspolizei lässt
sich ja hier kaum einer blicken", sagt er trotzig.

Helmut R. ist stolz darauf, bei seinen Anzeigen professionell
vorzugehen. Auf Listen vermerkt er die Ordnungswidrigkeiten mit Orts-
und Zeitangaben sowie Beschreibungen der einzelnen Verstöße samt
rechtlicher Bewertung. Gelegentlich fertigt er auch Skizzen an oder
fotografiert die Fahrzeuge seiner falsch parkenden Nachbarn. Um die
Anzeigen dem Ordnungsamt computergerecht aufgearbeitet zukommen lassen
zu können, hat ihm die Bußgeldstelle ein Verzeichnis der
behördeninternen Tatbestands-Nummern an die Hand gegeben, nach denen die
einzelnen Ordnungswidrigkeiten klassifiziert werden. So ist er
unermüdlich unterwegs. In Spitzenzeiten, sagt er lächelnd, komme er auch
mal auf 200 im Monat.


40 Knöllchen in wenigen Tagen

Was das für vermeintliche oder tatsächliche Verkehrssünder bedeuten
kann, bekam Nachbar Norbert D. im Mai zu spüren. Innerhalb weniger Tage
schickte ihm das Ordnungsamt Anhörungsbögen zu 40 Ordnungswidrigkeiten,
die er beim Parken begangen haben sollte - verbunden mit der
Aufforderung, 1500 Euro zu zahlen. Norbert D. platzte der Kragen ebenso
wie seinem Anwalt Hans-Ulrich Bandelow. Sie legten Widerspruch ein.
Offenbar ohne Angaben des Pensionärs zu prüfen, so Bandelow, habe die
Bußgeldstelle die Anzeigen durch ihren Computer laufen lassen und
Anhörungsbögen versandt: "Dem Ordnungsamt geht es ausschließlich
darum, schnell an das Geld der Bürger zu gelangen."


Keine hoheitlichen Befugnisse

Über eine der 40 Bußgeldsachen verhandelte Amtsrichter Dieter Schott und
befand: Norbert D. ist wegen mangels an Beweisen frei zu sprechen, da
die von dem selbst ernannten Hilfspolizisten erhobenen Daten nicht
verwertet werden dürfen. (Az.: 973 OWi 213 Js-OWi 2377/03-2022.) Allein
den Behörden oder Dienststellen der Polizei sei es vorbehalten,
Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen und ahnden. "Eine Übertragung dieser
Tätigkeit auf Private sieht das Geset nicht vor."

Im Urteil heißt es: "Ein Privater, der nicht nur in Einzelfällen als
gewöhnlicher Zeuge Ordnungswidrigkeiten zur Anzeige bringt, sondern die
zuständigen Behörden in einer Regelmäßigkeit wie im vorliegenden Fall
zur Einleitung von Bußgeldverfahren veranlasst, nimmt eine Stellung ein,
die der eines Verwaltungshelfers ähnelt." Ein Quasi-Verwaltungshelfer
wie Helmut R. aber sei nicht mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet.
Ordnungsamtsleiter Haas zollt dem Urteil zwar "Respekt", will aber auch
künftig im Wesentlichen an der geübten Praxis festhalten. "Andernfalls
würde das Recht eines jeden, Anzeige zu erstatten, ins Leere laufen."
Die Bußgeldstelle bleibe stets "Herr des Verfahrens".
Nicht nur die Angaben des 64-Jährigen, sondern auch die von vier anderen
Frankfurter Bürgern, die ihm nacheiferten, würden auf Vollständigkeit
und Plausibilität überprüft. Dem Pensionär aus der Nordweststadt habe
man nur "Formularhilfe" geleistet zwecks Verfahrensvereinfachung. Da das
Ordnungsamt versäumt hat, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, will
Haas durch eine Rechtsbeschwerde vom Oberlandesgericht Frankfurt klären
lassen, welche Auffassung die Richtige ist: Die des Amtes oder die des
Amtsrichters Schott.

Anzeigen gegen falschparker

Von privater Seite werden in Frankfurt in diesem Jahr annähernd 100 000
Anzeigen wegen Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten erstattet werden, wie der
Leiter des Ordnungsamtes, Hasso Haas, hochrechnet. Den größten Batzen,
nämlich 80 Prozent davon, machen die Anzeigen aus, die vom
Sicherheitsdienst der Fraport am Flughafen stammen. Mit 15 Prozent
folgen die Anzeigen von Mitarbeitern der Kranken- häuser, der Stadtwerke
sowie der Müll- abfuhr. Auf einen Anteil von vier Prozent kommen
Anzeigen aus dem Bereich der Parkhaus-Betriebsgesellschaft.
430 000 Anzeigen steuern die 70 so genannten Verkehrsüberwacher der
Stadt bei. Einsatzschwerpunkte sind die 28 Park- plakettengebiete, die
erweiterte Innenstadt, Radwege und zuletzt die Parkscheinautomaten. In
den übrigen Bereichen der Stadt gehen die Männer und Frauen von der Hipo
nur gelegentlich Streife. Mehr gibt der Personalbestand nicht her. Laut
Haas reagiert manallenfalls auf Beschwerden aus diesen Stadtteilen.
Hilfspolizisten von privaten Über- wachungsunternehmen waren in
Frankfurt nur vorübergehend im Einsatz. 2001 gab es 80 Mitarbeiter von
diesen Firmen, wegen rechtlicher Schwierigkeiten entschied sich die
Stadt dann gegen deren weitere Verwendung. Seit Januar 2002 sind
keine privaten Hilfspolizisten mehr unterwegs. Die Quote der
Widersprüche gegen Verwarnungsgelder liegt zur Freude des
Ordnungsamtsleiters unter 0,5 Prozent extrem niedrig. Die allermeisten,
sagt er, würden mehr oder wenigerklaglos zahlen, weil ihnen der zu
erwartende finanzielle und zeitliche Aufwand im Falle eines Widerspruchs
zu groß sei. enk

-schnipp-

Meine Meinung:

Schlimm genug, dass es Zeitgenossen gibt, die ihre (meist als Rentner
reichliche) Freizeit damit ausfüllen, ihre Mitbürger systematisch bei
der Obrigkeit zu denunzieren. Skandalös und höchst bedenklich finde ich,
dass es tatsächlich eine Behörde gibt, die diese Hobbydenunzianten auch
noch unterstützt, quasi in guter alter Stasi-Manier als "IM Parkscheibe"
beschäftigt und sogar noch mit einigem an Rüstzeug ausstattet
(behördeninterne Tatbestandsnummern), um dann ohne den Sachverhalt zu
prüfen erstmal Anhörungsbögen rauszuschicken.

Unsere Rechtsordnung sieht es nun mal nicht vor, Privatpersonen
hoheitliche Aufgaben wie Beweissicherung zu übertragen, und das ist
verdammt gut so. Für die Sanktionierung von Denunziantentum gehört der
Amtsleiter eigentlich an den Zehennägeln aufgehangen.

Dass mich keiner falsch versteht, es ist IMHO absolut in Ordnung, als
unmittelbar Betroffener in so einem Fall Anzeige zu erstatten. Selbst
wenn jemand z.B. als Radfahrer konsequent jeden Radwegparker anzeigt,
ist das in meinen Augen absolut gerechtfertigt. Aber das Durchstreifen
des Viertels auf der Suche nach Parksündern erfüllt für mich ganz klar
den Tatbestand der Spitzelei. Die ist zwar nicht verboten, aber
moralisch höchst verwerflich. Traurig genug, dass unsere Gesellschaft
Menschen hervorbringt, die sich nicht mehr anders ihrer Umwelt mitteilen
können. Aber eine Behörde, die Denunziantentum fördert um ihre Einnahmen
zu erhöhen, begeht eindeutig Unrecht, den es zu unterbinden gilt.

Man mag jetzt argumentieren, dass die Falschparker ja auch regelmässig
unrecht tun, aber kann ein Unrecht das andere aufwiegen? Nehmen wir mal
an, ich hab Streit mit dem Nachbarn, und der wirft mir die Scheibe ein.
Dann geh ich hin und hau ihm eins auf die Nase. Wie soll das vor Gericht
aussehen - 4 Monate wegen Sachbeschädigung für den Steinewerfer, 6
Monate wegen Körperverletzung für mich - heisst das es bleiben dann 2
Monate Knast für mich??

Oder ein bisschen krasser ausgedrückt: Wird es rechtens, in Palästina
mal eben 2 Wohnblocks plattzumachen und ein Dutzend Familien obdachlos
zu machen, weil 2 Tage vorher in Haifa ein Linienbus gesprengt wurde?

Nein, das Urteil geht schon absolut in Ordnung. Hoffentlich wird es
nicht von der nächsten Instanz gekippt.

Andreas

Andreas

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