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Noch ist Polen nicht verloren: Rechtsstaatlichkeit in den europäischen Vertragsstaaten der EU

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Armin

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Oct 19, 2021, 5:16:36 PM10/19/21
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Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl sowie das Ignorieren des Freiheitsrechts bei der Rundfunkfinanzierung werden von Verfassungsdebatten in Polen überschattet und den Reaktionen darauf aus Brüssel. Völkerrechtlich ist die EU kein Staatenbund, sondern um einen Bund europäischer Vertragsstaaten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die EU 1993 als Staatenverbund. Vor knapp zwei Wochen hatte das polnische Verfassungsgericht den Vorrang von EU-Recht in Frage gestellt. Die EU reagierte besorgt. EU-Behördenchefin von der Leyen ( bekannt durch die Finanzierung eines Segelschulschiffsrenovierung zum Preis einer Segelschulschiffsflotte ) kündigte eine gründliche Analyse des Urteils an und nahm große Worte in den Mund: "Das EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich verfassungsrechtlicher Bestimmungen. Diesem Grundsatz haben sich alle EU-Mitgliedstaaten als Mitglieder der Europäischen Union verschrieben. Wir werden von allen Befugnissen, die uns die Verträge verleihen, Gebrauch machen, um diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen."

Allein Leyen verkennt die Rechtsprechung in ihrem Heimatland. Denn das Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz kann bis auf den heutigen Tag als nicht eindeutig geklärt bezeichnet werden. Zwischen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Gemeinschaftsrechtsordnung besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis. Die prinzipielle Vereinbarkeit des EU-Rechts mit dem Grundgesetz ist in Art. 23 GG (»Europaartikel«) dargelegt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat schon früh festgestellt, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung ihrerseits »eigenständig« sei und nicht von den Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten abgeleitet oder diesen gar untergeordnet sei. Dem entspricht auch, dass die »Hüter« beider Rechtsordnungen, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie der EuGH miteinander ein »Kooperationsverhältnis« pflegen und keines der beiden Gerichte den Anspruch erhebt, rechtlich über dem anderen zu stehen. Allerdings ist dieses Kooperationsverhältnis gewissen Schwankungen unterworfen, die darauf zurückzuführen sind, dass sich die Rechtsprechung des BVerfG nicht immer eindeutig zum Jurisdiktionsanspruch des EuGH bekennt (»Solange I und II«, »Maastricht-Urteil«). Gerade wenn es um den Schutz der Grundrechte geht, behält sich das BVerfG in Karlsruhe prinzipiell vor, als letzte Instanz Recht sprechen und gegebenenfalls sogar EU-Recht und Rechtsprechung ignorieren zu können, falls der EU-Grundrechtsschutz das laut Grundgesetz erforderliche Schutzniveau unterschreiten sollte. Auf der anderen Seite hat es bereits wichtige Entscheidungen des EuGH gegeben, die das BVerfG gebilligt hat und zu einzelnen Änderungen des Grundgesetz führten. Dazu gehört der Zugang von Frauen zum Dienst an der Waffe seit dem Jahr 2000. Das Verhältnis von Grundgesetz und EU-Recht wird in Zukunft entscheidend davon abhängen, inwieweit der EuGH willens und in der Lage ist, den EU-Grundrechtsschutz weiter auszubauen, sich aber eine gewisse richterliche Zurückhaltung aufzuerlegen, und davon, ob das BVerfG diese Rechtsprechungsdienstleistungen in Kraft setzt.

Armin

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Oct 19, 2021, 5:24:22 PM10/19/21
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Armin schrieb am Dienstag, 19. Oktober 2021 um 23:16:36 UTC+2:
> Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl sowie das Ignorieren des Freiheitsrechts bei der Rundfunkfinanzierung werden von Verfassungsdebatten in Polen überschattet und den Reaktionen darauf aus Brüssel. Völkerrechtlich ist die EU kein Staatenbund, sondern um einen Bund europäischer Vertragsstaaten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete die EU 1993 als Staatenverbund. Vor knapp zwei Wochen hatte das polnische Verfassungsgericht den Vorrang von EU-Recht in Frage gestellt. Die EU reagierte besorgt. EU-Behördenchefin von der Leyen ( bekannt durch die Finanzierung eines Segelschulschiffsrenovierung zum Preis einer Segelschulschiffsflotte ) kündigte eine gründliche Analyse des Urteils an und nahm große Worte in den Mund: "Das EU-Recht hat Vorrang vor nationalem Recht, einschließlich verfassungsrechtlicher Bestimmungen. Diesem Grundsatz haben sich alle EU-Mitgliedstaaten als Mitglieder der Europäischen Union verschrieben. Wir werden von allen Befugnissen, die uns die Verträge verleihen, Gebrauch machen, um diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen."
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> Allein Leyen verkennt die Rechtsprechung in ihrem Heimatland. Denn das Verhältnis zwischen EU-Recht und Grundgesetz kann bis auf den heutigen Tag als nicht eindeutig geklärt bezeichnet werden. Zwischen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Gemeinschaftsrechtsordnung besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis. Die prinzipielle Vereinbarkeit des EU-Rechts mit dem Grundgesetz ist in Art. 23 GG (»Europaartikel«) dargelegt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat schon früh festgestellt, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung ihrerseits »eigenständig« sei und nicht von den Rechts- und Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten abgeleitet oder diesen gar untergeordnet sei. Dem entspricht auch, dass die »Hüter« beider Rechtsordnungen, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie der EuGH miteinander ein »Kooperationsverhältnis« pflegen und keines der beiden Gerichte den Anspruch erhebt, rechtlich über dem anderen zu stehen. Allerdings ist dieses Kooperationsverhältnis gewissen Schwankungen unterworfen, die darauf zurückzuführen sind, dass sich die Rechtsprechung des BVerfG nicht immer eindeutig zum Jurisdiktionsanspruch des EuGH bekennt (»Solange I und II«, »Maastricht-Urteil«). Gerade wenn es um den Schutz der Grundrechte geht, behält sich das BVerfG in Karlsruhe prinzipiell vor, als letzte Instanz Recht sprechen und gegebenenfalls sogar EU-Recht und Rechtsprechung ignorieren zu können, falls der EU-Grundrechtsschutz das laut Grundgesetz erforderliche Schutzniveau unterschreiten sollte. Auf der anderen Seite hat es bereits wichtige Entscheidungen des EuGH gegeben, die das BVerfG gebilligt hat und zu einzelnen Änderungen des Grundgesetz führten. Dazu gehört der Zugang von Frauen zum Dienst an der Waffe seit dem Jahr 2000. Das Verhältnis von Grundgesetz und EU-Recht wird in Zukunft entscheidend davon abhängen, inwieweit der EuGH willens und in der Lage ist, den EU-Grundrechtsschutz weiter auszubauen, sich aber eine gewisse richterliche Zurückhaltung aufzuerlegen, und davon, ob das BVerfG diese Rechtsprechungsdienstleistungen in Kraft setzt.

Für den Bürger bedeutet das nicht unbedingt Rechtssicherheit. Denn er kann sich seine Lieblingsparagrafen ebenso heraussuchen wie die Richter. Diese werden dann nach dem Prinzip Zwickmühle entscheiden können: Törchen auf, Törchen zu. So erfüllt sich eine alte juristische Weisheit: Vor Gericht und auf Hoher See ist man in Gottes Hand.
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