> "Die Story im Ersten: Todesflug MH17
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> 27.04.2015 | 44:04 Min. | Verfügbar bis 27.04.2016 | Quelle: Das Erste
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> In einer groß angelegten investigativen Recherche haben sich Reporter
> von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung auf Spurensuche begeben und neue
> Ergebnisse zutage gefördert. Sie sprachen mit Augenzeugen an der
> Absturzstelle, internationalen Ermittlern, Militärexperten, Politikern
> und Geheimdienstvertretern. Und trafen die Hinterbliebenen der Opfer.
> In ihrer umfassenden TV-Dokumentation geben sie Antworten auf bislang
> ungeklärte Fragen."
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http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Die-Story-im-Ersten-Todesflug-MH17/Das-Erste/Video?documentId=27938962&bcastId=799280
Jetzt habe ich mir diese Sendung mal komplett angesehen. Da gibt es doch noch
einige Kritik zu ergänzen.
1. Die Untersuchung von Eliot Higgins
https://www.bellingcat.com/wp-content/uploads/2014/11/bellingcat_-_bericht.pdf
bringt auf der Seite 25 die auch in der Fernsehsendung gezeigten Fotos, die
angeblich ein und dasselbe BUK-System zeigen sollen, einmal in der Ukraine und
einmal in Rußland aufgenommen. Und weil angeblich beide Fotos dasselbe
Fahrzeug zeigen, sei bewiesen, daß dieses BUK-System den Separatisten von
Rußland zur Verfügung gestellt worden sei. Jeder mag sich die Fotos selber
ansehen. Ich persönlich kann da mit bloßem Auge keine hinreichende
Übereinstimmung erkennen. Zu unscharf sind sie. Wie die Autoren den
"Fingerabdruck" so eines Fahrzeugs berechnet haben wollen, bleibt ihr
Geheimnis. Meine persönliche Folgerung:
- Mit den Fotos ist nichts bewiesen.
2. Es kommt in der ARD-Doku ein Separatist zu Wort mit der Behauptung, über
kein BUK-System zu verfügen. Fakt ist dagegen, daß die Separatisten lediglich
über kein /funktionsfähiges/ BUK-System verfügten. Ein nicht einsatzbereites
System hatten sie dagegen irgendwie ergattern können und den Besitz auch
eingeräumt:
| Unterdessen kündigte die Führung der international nicht anerkannten
| Volksrepublik Lugansk an, internationalen Beobachtern das von
| Aufständischen erbeutete ukrainische Luftabwehrsystem vom Typ »Buk«
| zugänglich zu machen. Es sei nicht funktionsfähig.
http://www.jungewelt.de/2014/07-21/050.php
Ich frage da:
- Könnte es sich bei dem von Higgins nachgezeichneten BUK-Transport durch die
Donezker Volksrepublik um den Abtransport irgendeines eines an der Front
erbeuteten BUK-Systems ins Hinterland handeln?
3. In der ARD-Doku wird behauptet, daß der Ort bei Snizhe, von dem aus die
BUK-Rakete angeblich vermutlich abgeschossen wurde, eindeutig
Separqatistengebiet gewesen sei. Schaut man sich dagegen die von der Ukraine
verbreitete Lagekarte
http://www.rnbo.gov.ua/files/2014/RNBO_map_21_07_eng.jpg
jener Tage an (ich hoffe, der link funktioniert noch), so muß man festellen,
daß die Kämpfe auch in der Nähe der Abschußstelle stattfanden. Die
eingezeichnete Front ist löchrig wie ein Schweizer Käse.
Ich meine:
- Zur bezeichneten mutmaßlichen Abschußstellung bei Snizhe hätte auch ein
westukrainisches BUK-System hinkommen können....
4. ... und wenn nicht, dann hätte Kiew auch gut von irgendeiner anderen Stelle
auf seiner Seite der Frontlinie aus mit einer BUK den Flug MH17 treffen
können. Immerhin hat die BUK-Rakete eine Reichweite von rund 50 km.
5. Die Doku spricht von der wenige Tage vor der MH17 abgeschossenen Antonow.
Dieser Abschuß sei ein Wendepunkt des Krieges gewesen.
- Richtiger wäre, wenn der Abschuß der Antonow lediglich als markantes Einzel-
Ereignis eines viel wichtigeren und umfassenderen Vorgangs am Boden bezeichnet
worden wäre: Kurz vor dem Abschuß der MH17 sind nämlich die entlang der
russischen Grenze vorstoßenden ukrainischen Truppen vom Nachschub nachhaltig
und sicher abgeschnitten worden, was die erwähnte Lagekarte zwar noch nicht
zugeben mag (bzw. nur bei Chervona Zorya andeutet), gleichwohl aber die
ukrainischen Armee schließlich die Hälfte ihres Materials kosten sollte. Diese
immense Beute ermöglichte den Rebellen, die Lage zu wenden. Warum sollten
unter der Beute nicht auch ein paar BUK-Raketen gewesen sein, mit denen dann
die Antonow abgeschossen werden konnte?
6. Die ARD zitiert ein abgehörtes Telefonat der Rebellen, in denen es um ein
erhaltenes BUK-System geht: Man hätte es mit Mannschaft und auf LKW verladen
bekommen. Die ARD behauptet nun ohne jeden weiteren Beweis, damit sei die
Herkunft des erhaltenen BUK-Systems aus Rußland klar.
Ich meine:
- Die Rebellen könnten sich (nehmen wir das Telefonat mal als echt und
kontextgetreu) ebensogut über ein von den ukrainischen Streitkräften
erbeutetes BUK-System gefreut haben. Daß die Bedienmannschaft gleich die Seite
mit gewechselt hat, ist angesichts diverser früherer Überläufe ganzer
ukrainischer Truppeneinheiten zu den Rebellen nicht unwahrscheinlich.
7. Das ukrainische Innenministerium hat kurz nach dem Abschuß der MH17 auf ein
video verwiesen, in dem ein fahrendes BUK-System zu sehen ist, dem eine Rakete
fehlt. Die ukrainische Behauptung: Mit dieser Rakete hätten die Rebellen die
MH17 abgeschossen.
Ich frage:
- Warum sollten sie damit nicht vielmehr die Antonow abgeschossen haben?!
Higgins vermerkt ausdrücklich, daß sich das video nicht sicher datieren lasse.
Was spricht also dagegen, daß die fehlenden Rakete die Antonow vom Himmel
geholt hatte? Nichts! Und was spricht dagegen, daß das BUK-System mit der
fehlenden Rakete vielleicht doch eher ein westukrainisches gewesen ist?!
Ebenfalls nichts, bedenkt man die Löchrigkeit der Front und die Unsicherheit
der Bestimmung des Ortes, wo dieses video aufgenommen worden sein soll.
8. Der russische Chefkonstrukteur der SU-25 behauptet den Pressemeldungen und
der Interpretation der ARD-Doku zufolge, daß eine SU-25 abstürzen würde,
wollte sie ein derart hochfliegendes Ziel wie die MH17 abzuschießen versuchen.
Die Übersetzung seiner Worte in der Doku sagt aber etwas anderes:
- Er sagt, daß eine /tieffliegende/ SU-25 kein derart hochfliegendes Ziel wie
die MH17 abschießen könne, ohne selbst abzustürzen. Das verstehe ich erst
einmal ganz genau so, wie es gesagt ist. Es hat doch nun wirklich niemand
behauptet, daß die SU-25 aus einer Tiefflugposition heraus die MH17
abgeschossen hätte. Bittschön: Da hätte das Flugzeug in der Tat tödliche
Kapriolen vollführen müssen. Die russische Seite behauptet dagegen, daß die
SU-25 kurzzeitig bis auf 10000 m steigen könne und dann aus dieser /Höhe/
geschossen hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die SU-25 da abstürzen
könnte. Bei der dünnen Luft vielleicht etwas Navigationsprobleme, die sich
aber vermutlich mit dem Erreichen tieferer Luftschichten wieder geben sollten.
9. Zu der Bestimmung der mutmaßlichen Abschußstellung mittels des
Rauchsäulenfotos habe ich ersteinmal nur eine Frage, vgl.
https://www.bellingcat.com/resources/case-studies/2015/01/27/examining-the-mh17-launch-smoke-photographs/
dort heißt es u.A.
| Because the cables were close to the camera position, the zoomed image no
| longer shows the cables.
Ich kenne mich mit Fotografieren nicht so aus. Hätte nicht zumindest ein
unscharfer Schatten der Stromkabel auf dem gezoomten Bild zu sehen sein
müssen?
Wie auch immer: Die ARD-Doku kann ihrem Anspruch, "Antworten auf bislang
ungeklärte Fragen" zu geben, nur sehr ungenügend gerecht werden.
Einzig die Möglichkeit des SBU, mittels eines verhafteten Ost-Spions den
Rebellen Fake-Nachrichten unterzuschieben, war mir neu.
Gruß, Ulf