Nach Abendessen mit Angela Merkel
Dünne Begründung:
Bundesverfassungsgericht erklärt sich selbst für nicht befangen
Der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau hält die Begründung
des Bundesverfassungsgerichts für "denkbar dünn", mit der
es die Befangenheit der von Merkel zum Abendessen geladenen
Richter verneinte. (...)
Die Begründung ist recht skurril: Einerseits heißt es, das
Treffen „zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch“ sei üblich
im Sinne eines „Dialogs der Staatsorgane“ – tatsächlich
fanden solche Abendessen bereits mehrfach in den vergan-
genen Jahren statt, nach Angaben des Regierungssprechers
2012, 2015, 2018 und 2019, weshalb er von einer „Tradition“
sprach. Eine nicht besonders alte also – und offenbar erst
in Merkels Regierungszeit begründete Sitte.
Auf der anderen Seite argumentiert das Gericht, dass Verfas-
sungsrichter quasi schon allein deshalb nicht befangen sein
können, weil sie Verfassungsrichter sind.
In der Begründung heißt es: „Zudem käme darin ein Misstrauen
gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum
Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich voraus-
gesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht.“
Zu diesem Satz erklärte der Verfassungsrechtler Ulrich Vosge-
rau, der in anderen Verfahren schon oftmals vors
Bundesverfassungsgericht zog, gegenüber TE:
„D.h., der angebliche Unterschied der Kriterien einer
möglichen Befangenheit (mit der Folge, dass es beim Bundes-
verfassungsgericht „offensichtlich“ praktisch keine Befangen-
heit gibt!) wird hier argumentativ auf nichts anderes als das
semantische Kriterium des „Verfassungsorgans“ gestützt.
Dies ist eine denkbar dünne und eigentlich gar keine Begrün-
dung, da hier das semantischen Kriterium „Verfassungsorgan“
zwar rhetorisch mit einigem Brimborium eingeführt wird,
ohne dass aber irgendeine argumentative Entfaltung der Frage
stattfindet, warum und inwiefern für die Richter eines Spruch-
körpers, der semantisch zugleich auch als Teil eines Verfas-
sungsorgans ausgewiesen werden könnte, völlig andere Befangen-
heitskriterien gelten sollten. Denn das eine hat ja eigentlich
mit dem anderen schon auf den ersten Blick gar nichts zu tun.“
Die Sache hier sei besonders brisant, da – so Vosgerau weiter
– „der zweite Senat den Befangenheitsantrag nicht als ‚unbe-
gründet‘, sondern als ‚offensichtlich unzulässig‘ abgelehnt
hat, ‚da er sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung‘
stütze.
Das bedeutet, dass hier eben keine anderen Richter des Bundes-
verfassungsgerichts ihren an dem Abendessen beteiligten Kolle-
gen Nichtbefangenheit attestiert haben (es waren wohl nicht
alle dabei), sondern hier haben die Richter des Zweiten
Senats wirklich in eigener Sache sich selbst Nicht-
befangenheit attestiert.
Die Unverfrorenheit, wie selbstverständlich als Richter in
eigenen Angelegenheiten aufzutreten, entspricht dabei kaum
der deutschen Verfassungstradition.“
Bemerkenswert ist auch, dass die Bundesregierung über die nä-
heren Umstände des Abendessens so gut wie nichts sagt. Auf
eine Anfrage von TE an die Bundesregierung, ob dieses Treffen
privaten oder offiziellen Charakter habe, ging das Bundes-
presseamt überhaupt nicht ein. Auch die Frage nach den Kosten
der Bewirtung wurde ignoriert. Die Antwort bestand ausschließ-
lich aus dem Verweis auf die spärliche Aussage von Regierungs-
sprecher Steffen Seibert in der Regierungspressekonferenz vom
12. Juli.
Dort sagte er, er könne nicht sagen, von wem diese Institution
der gemeinsamen Abendessen eingeführt wurde. Aber er wusste,
dass solche 2012, 2015, 2018 und 2019 schon stattfanden.
Womöglich wollte er vermeiden zu sagen, dass diese
Tradition eine von Merkel eingeführte ist. (...)
Es hätte dem Vertrauen in diese hohe Verantwortung der Ver-
fassungsorgane und die Nichtbefangenheit der Richter aber
sicher gut getan, wenn die Öffentlichkeit erfahren hätte,
welche „Gedanken und Erfahrungen“ da ausgetauscht wurden.
Vosgerau macht deutlich: „Die Ablehnung eines Richters –
auch beim Bundesverfassungsgericht! – setzt nicht etwa
voraus, dass dieser „wirklich“ befangen ist, man dies
auch „beweisen“ kann oder dergleichen.
Sondern es genügt die Besorgnis der Befangenheit, d.h. es
müssen irgendwelche Umstände vorliegen, die Aussicht auch
einer vernünftigen und einigermaßen objektiv denkenden Pro-
zeßpartei Zweifel daran begründen, dass ein Richter sein Amt
auch wirklich unparteiisch ausüben werde.
Würde im Rahmen eines Verfahrens beim Landgericht heraus-
kommen, dass die gesamte Kammer sich drei Wochen vor dem
Termin zur mündlichen Verhandlung von einer Prozesspartei
zu einem opulenten Abendessen hat einladen lassen, in dessen
Folge man sich dann noch bis spät in die Nacht angeregt, aber
harmonisch über die neusten politischen Entwicklungen ausge-
tauscht hat, so würde dies selbstverständlich nicht nur ei-
nen Befangenheitsantrag gegen sämtliche beteiligte Richter
begründet werden lassen, sondern über dies den Verdacht
der Vorteilsnahme, also der Korruption gegen die Kammer
begründen. Die mündliche Verhandlung würde auf jeden
Fall nicht wie geplant stattfinden.“
In der Organklage selbst geht es um den Vorwurf des Amtsmiss-
brauchs gegen die Kanzlerin in der sogenannten Thüringen-Krise
im Februar 2020. Der FDP-Landtagsabgeordnete Thomas Kemmerich
wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsi-
denten gewählt.
Am Tag danach hatte Merkel während eines Staatsbesuchs in Süd-
afrika zu Beginn einer Pressekonferenz gesagt: „Die Wahl dieses
Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer
Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat,
dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden
sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang
gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang
unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht
werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht
an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten betei-
ligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“
Merkel habe, so die Argumentation der Organklage der AfD, ihre
Amtsautorität für parteipolitische Äußerungen missbraucht und
dabei die Chancengleichheit der AfD verletzt. Sie habe auch
rechtswidrig staatliche Ressourcen eingesetzt, weil die Aus-
sagen auf den Webseiten der Kanzlerin und der Bundesregierung
veröffentlicht wurden.
Letzteres könnte ein aussichtsreicher Vorwurf sein. Denn die AfD
hat bereits eine ähnliche Organklage gegen Bundesinnenminister
Horst Seehofer gewonnen, der ein Interview mit AfD-kritischen
Äußerungen auf der Ministeriumswebsite veröffentlicht hatte
– unrechtmäßig, wie das Bundesverfassungsgericht entschied.
(Link
tagesschau.de kurz:
https://is.gd/H496jR )
Die Chancen stehen vermutlich auch deswegen schlecht für Merkel,
weil Kanzleramtsminister Helge Braun vor Ort eine sehr fragwür-
dige Begründung ablieferte. Statt – wie es zu erwarten gewesen
wäre – zu betonen, dass Merkel sich als Politikerin und nicht
als Kanzlerin geäußert habe, gestand er gar indirekt ein, dass
sie sich in der Funktion der Regierungschefin geäußert habe.
Wenn das Bundesverfassungsgericht Merkel im weiteren freisprech-
en will, muss es eine grundsätzliche Entscheidung über die
Rechte und Pflichten eines Bundeskanzlers treffen, muss
die bisher geltenden Maßstäbe also verrücken. (...)
mehr, mit Fotos:
https://www.tichyseinblick.de/meinungen/duenne-begruendung-bundesverfassungsgericht-erklaert-sich-selbst-fuer-nicht-befangen/
Meine Meinung:
"Wenn das Bundesverfassungsgericht Merkel im weiteren freisprech-
en will, muss es eine grundsätzliche Entscheidung über die
Rechte und Pflichten eines Bundeskanzlers treffen, muss
die bisher geltenden Maßstäbe also verrücken."
Wie in der DDR: Was nicht passend ist, wird passend gemacht.
Wer kann dieses Gericht noch ernst nehmen? Es ist ein Gericht
von Merkels Gnaden. Seine Aufgabe ist es, Regierungspolitik
gegen alle Kritiker durchzupeitschen.
Das war gewiss nicht immer so, aber Merkel hat es geschafft,
die Verfassungsrichter zu Abnickern ihrer irren Politik zu
machen.
Insofern ist das Bundesverfassungsgericht inzwischen ebenso
unabhängig wie das Oberste Gericht der DDR unter Hilde Benjamin.
Weiter zurückgehen in der Geschichte wollen wir mal vorerst nicht.
:-/