>Natürlich drängt die Frage der Wehrgerechtigkeit. Aber hier könnte eine
>allgemeine Dienstpflicht Abhilfe schaffen. Jeder und _ohne_ Ausnahme
>muß also einmal im Leben seine Belange hintenan stellen und für eine
>bestimmte Zeit Dienst für die Gemeinschaft leisten, sei es im
>Pflegebereich, oder sei es beim Militär.
Das geht nicht. Mit einer solchen allgemeinen Dienstpflicht würde die
Bundesrepublik völkerrechtlich vertragsbrüchig (4 II EMRK und 8 III a
IPbürgR) werden.
Für das Thema Wehrpflicht gibt es übrigens eine passendere NG, daher
xp und f'up2 dsp.
Andreas
--
"Wer daran glaubt, daß die Bibel von Gott stammt, muß sich damit
abfinden, daß Orthographie nicht gerade Seine Stärke war. Sogar
Seinen eigenen Namen hat Jahve immer wieder anders geschrieben."
(Ephraim Kishon)
f'up ignoriert
>> Natürlich drängt die Frage der Wehrgerechtigkeit. Aber hier könnte
>> eine allgemeine Dienstpflicht Abhilfe schaffen. Jeder und _ohne_
>> Ausnahme muß also einmal im Leben seine Belange hintenan stellen und
>> für eine bestimmte Zeit Dienst für die Gemeinschaft leisten, sei es
>> im Pflegebereich, oder sei es beim Militär.
> Das geht nicht. Mit einer solchen allgemeinen Dienstpflicht würde die
> Bundesrepublik völkerrechtlich vertragsbrüchig (4 II EMRK und 8 III a
> IPbürgR) werden.
Das geht sehr wohl:
Art 4 EMRK
(1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.
(2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu
verrichten.
(3) Nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Artikels gilt
a) eine Arbeit, die üblicherweise von einer Person verlangt wird, der
unter den Voraussetzungen des Artikels 5 die Freiheit entzogen oder die
bedingt entlassen worden ist;
b) eine Dienstleistung militärischer Art oder eine Dienstleistung, die
an die Stelle des im Rahmen der Wehrpflicht zu leistenden Dienstes
tritt, in Ländern, wo die Dienstverweigerung aus Gewissensgründen
anerkannt ist;
c) eine Dienstleistung, die verlangt wird, wenn Notstände oder
Katastrophen das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen;
d) eine Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürgerpflichten
gehört.
Wie unter Art 4b zu ersehen ist, kann eine allgemeine Dienstpflicht
erhoben werden. Dann nämlich, wenn eine allgemeine Wehrpflicht für alle
Frauen und Männer erhoben wird und dem Dienstverpflichteten jedoch die
Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst oder Zivildienst gegeben wird. Und
wie angesprochen bleibt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung davon
unberührt.
Die Argumentation auf Art 4d EMRK läuft doch auf eine Totalverweigerung
heraus, letztlich sogar auf Verneinung des Anspruchs des Staates auf
allgemeine Bürgerpflichten. Oder willst du die allgemeine Bürgerpflicht
wie Winterdienst oder Straßenreinigung, die es in jeder Gemeindesatzung
gibt, auch mit Artikel 4 EMRK als Zwangsarbeit für unzulässig erklären?
Man kann selbstverständlich durchaus darüber streiten, was allgemeine
Bürgerpflichten sind und man kann ebenso darüber streiten, ob eine
allgemeine Dienstpflicht darunter fallen würde.
Dennoch meine ich, ohne den moralisierenden Zeigefinger heben zu
wollen, dass ein einigermaßen gut funktionierendes Gemeinwesen nicht
nur von den Menschen-/Bürgerrechten, sondern auch von den
Bürgerpflichten lebt.
Die grundsätzliche Frage, welche die allgemeinen Bürgerpflichten und
auch die Wehrpflicht berührt, geht im Grunde darüber, wie ein
Zivilgesellschaft aussehen soll.
Eine solche Zivilgesellschaft wird in der Regel nur getragen, wenn
Solidarität gegenüber der Gemeinschaft, dem Staatswesen vorhanden ist.
Solidarität hat daher immer etwas zu tun mit der Bereitschaft zur
Selbstbegrenzung und Übernahme von Pflichten.
Im römischen Reich waren Bürgerpflichten etwas vollkommen
Selbstverständliches, die Abgrenzung zwischen Staat und
Zivilgesellschaft ist eine "Erfindung" ab Mitte des 18.Jahrhunderts.
Die Zivilgesellschaft wird als Gegenpol zum Staat verstanden. Das
aufsteigende Bürgertum wollte sich einen von der Politik abgegrenzten
gesellschaftlichen Bereich (Markt + Privatleben), schaffen. Die damit
in Verbindung gebrachten Tugenden waren nicht mehr Bürgersinn, sondern
gute Sitten und Umgangsformen.
Und an diesem auseinanderklaffenden Definitionsbereich, hier Staat,
dort Zivilgesellschaft, knabbern noch heute alle modernen
Gesellschaften und führte bereits in der Vergangenheit zu heftigen
Verwerfungen in der Gesellschaft.
Grüße
Harald
>> "Harald Maedl wrote:
>f'up ignoriert
Und neu gesetzt, inklusive xpost. Für Diskussionen um eine allgemeine
Dienstpflicht ist dsp die passendere GABELN.
>Art 4 EMRK (Art 8 IPBürgR ist fast wortgleich)
[...]
>(2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu
>verrichten.
>(3) Nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Artikels gilt
[...]
>b) eine Dienstleistung militärischer Art oder eine Dienstleistung, die
>an die Stelle des im Rahmen der Wehrpflicht zu leistenden Dienstes
>tritt, in Ländern, wo die Dienstverweigerung aus Gewissensgründen
>anerkannt ist;
[...]
>d) eine Arbeit oder Dienstleistung, die zu den üblichen Bürgerpflichten
>gehört.
[...]
>Wie unter Art 4b zu ersehen ist, kann eine allgemeine Dienstpflicht
>erhoben werden. Dann nämlich, wenn eine allgemeine Wehrpflicht für alle
>Frauen und Männer erhoben wird und dem Dienstverpflichteten jedoch die
>Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst oder Zivildienst gegeben wird.
Allgemeine Wehrpflicht != allgemeine Dienstpflicht. Und 4 III b EMRK
normiert die nichtmilitärische Dienstleistung klar als Ersatz. Mit
anderen Worten: Unter b ist es höchstens denkbar, die Wehrpflicht auf
Frauen auszuweiten. Das ist aber kein "Dienst für die Gemeinschaft,
sei es im Pflegebereich, oder sei es beim Militär", wie du ihn hier
propagiert hast. Oder habe ich dich falsch verstanden, und du meintest
damit die Wehrpflicht für alle?
>Die Argumentation auf Art 4d EMRK läuft doch auf eine Totalverweigerung
>heraus, letztlich sogar auf Verneinung des Anspruchs des Staates auf
>allgemeine Bürgerpflichten. Oder willst du die allgemeine Bürgerpflicht
>wie Winterdienst oder Straßenreinigung, die es in jeder Gemeindesatzung
>gibt, auch mit Artikel 4 EMRK als Zwangsarbeit für unzulässig erklären?
Äh... hä? Nein, genau solche Dienste sind doch durch 4 III b von der
Definition einer Zwangs- oder Pflichtarbeit ausgenommen, fallen somit
nicht unter das Verbot von 4 II und sind mithin erlaubt. Das GG meint
auch genau solche Dienste, wenn es in 12 II von einer "herkömmlichen"
Dienstleistungspflicht spricht: Hand- und Spanndienste (bzw. deren
moderne Entsprechung), Feuerwehr und Deichschutz. Hier muß man
beachten, daß dies ein sehr kleiner Aufgabenbereich ist. Sachen wie
Pflege, Fahrdienste, Hausmeistertätigkeiten und was sonst noch so im
Zivildienst passiert, fallen nicht darunter.
>Eine solche Zivilgesellschaft wird in der Regel nur getragen, wenn
>Solidarität gegenüber der Gemeinschaft, dem Staatswesen vorhanden ist.
Die erreicht man allerdings nicht automatisch durch Verpflichtung,
auch wenn eine solche dazu beitragen kann, diese Solidarität im
einzelnen zu wecken.
Andreas
--
Janice: "There's no such thing as a Star Trek holiday."
Josh: "Well, work hard around here. We'll make one."
("The West Wing")