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Szasz-Zitat: Prämisse der Psychiatrie als Fachrichtung 2 [422]

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Franz P. Beuler

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Sep 22, 2014, 11:19:35 AM9/22/14
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Szasz-Zitat: Prämisse der Psychiatrie als Fachrichtung 2 [422]

Oder genauer:
Der organische und der nichtorganische Zweig der Psychiatrie
Oder:
Syphilispatienten in den Psychiatrien des 18. und des 19. Jahrhunderts
Oder:
Die Auswirkung der Entdeckung des syphilitischen Ursprungs der
progressiven Paralyse


Kurzzitate:

„Die Psychiatrie – ihr organischer ebenso, wie ihr nichtorganischer
Zweig, denn Freud und seine Anhänger sind diesem Modell ebenso sklavisch
gefolgt wie ihre organischen Kontrahenten (5) – wurde somit
schicksalhaft mit der Medizin und ihren Grundkonzeptionen von Krankheit
und Behandlung verknüpft.“

„Bis zum Aufkommen des Penicillins in den vierziger Jahren unseres
Jahrhunderts litt ein großer Teil der Patienten, die die psychiatrischen
Anstalten bevölkerten, an progressiver Paralyse. [Auswirkung der
Neurosyphilis; Anm. d. Schreiber] Hier einige aufschlußreiche Zahlen: Im
psychiatrischen Krankenhaus Dalldorf in Berlin litten 22-32 Prozent der
zwischen 1892 und 1902 aufgenommenen Patienten an Parese.“


Zitat aus:
Szasz, Thomas S.: /Schizophrenie – Das heilige Symbol der Psychiatrie/

Seite 12 f.:

Die Entdeckung des syphilitischen Ursprungs der progressiven
Paralyse war eine brilliante wissenschaftliche Bestätigung dieser
organisch-psychiatrischen Hypothese – nämlich, daß Menschen, deren
Gehirn anormal ist, dazu neigen, ein Verhalten an den Tag zu legen, das
gemeinhin als anomal bewertet wird. Mit dem Beispiel der Parese vor
Augen wurde die Psychiatrie zur medizinischen Fachrichtung, deren
Aufgabe die Diagnose, das Studium und die Behandlung von
„Geisteskrankheiten“ war – das heißt von abnormalen biologischen
Prozessen im Kopf des Patienten, die sich durch psychologische und
soziale „Symptome“ seiner Krankheit äußerten. Die Psychiatrie – ihr
organischer ebenso, wie ihr nichtorganischer Zweig, denn Freud und seine
Anhänger sind diesem Modell ebenso sklavisch gefolgt wie ihre
organischen Kontrahenten (5) – wurde somit schicksalhaft mit der Medizin
und ihren Grundkonzeptionen von Krankheit und Behandlung verknüpft.
Es gibt Erfahrungen, über die wir etwas lesen können und die wir
verstandesmäßig begreifen mögen, deren volle Auswirkung auf den Menschen
wir jedoch nicht erfassen, ohne sie persönlich erlebt zu haben. So
können die meisten gesunden Menschen nicht begreifen, was es heißt,
todkrank zu sein; die Reichen wissen nicht, was es heißt, bitter arm zu
sein.
Ebensowenig können sich die heutigen Menschen die Wirkung
vorstellen, welche die Neurosyphilis in den entscheidenden ersten vier
Jahrzehnten des Bestehens der Anstaltspsychiatrie – das heißt zwischen
1900 und 1940 – auf diese ausübte. Die meisten der heute in den
wichtigsten Industriestaaten praktizierenden Psychiater bekommen niemals
einen Patienten mit Neurosyphilis zu Gesicht. Viele Ärzte haben in ihrem
ganzen Leben keinen solchen gesehen. Für die Medizinstudenten ist die
Krankheit beinahe schon so legendär – im Sinne von esoterisch und
ausgestorben –, wie es die Lepra bereits vor Generationen war.
Vor dem Hintergrund dieser heutigen Situation müssen wir uns die
Häufigkeit und die Rolle der Neurosyphilis in den prägenden Jahrzehnten
der modernen Psychiatrie vor Augen halten. Bis zum Aufkommen des
Penicillins in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts litt ein großer
Teil der Patienten, die die psychiatrischen Anstalten bevölkerten, an
progressiver Paralyse. Hier einige aufschlußreiche Zahlen: Im
psychiatrischen Krankenhaus Dalldorf in Berlin [„Städtische Irren- und
Idioten-Anstalt zu Dalldorf“ später „Wittenauer Heilstätten“ dann
„Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik“ und „Vivantes-Klinikum“; Anm. d.
Schreiber] litten 22-32 Prozent der zwischen 1892 und 1902 aufgenommenen
Patienten an Parese. Im staatlichen Zentralkrankenhaus von Indianapolis,
Indiana, waren zwischen 1927 und 1931 20-25 Prozent der Neuaufnahmen
Paretiker. Im Nervenkrankenhaus von Tokio handelte es sich 1930 bei 30%
der Patienten um Paretiker (6). Das gleiche Bild bot sich in der ganzen
Welt.


Anmerkungen:

5 Vgl. beispielsweise S. Freud, /Abriß der Psychoanalyse/ (1938), Ges.
W. Bd. XVII, Frankfurt 1972
6 Vgl. W. L. Breutsch, „Neurosyphilitic Conditions: General Paralysis,
General Paresis, Dementia Paralytica, Chronic Brain Sndrome Associated
with Syphilitic Meningoencephalitis“, in: /American Handbook of
Psychiatry/, Hrsg. S. Arieti, Bd. 2, S. 1003-1020; S. 1005


Aus:
/ERSTES KAPITEL/
/Psychiatrie:/
/Das Modell des syphilitischen Geistes/
In:
Szasz, Thomas S.: /Schizophrenie – Das heilige Symbol der Psychiatrie/.
Fischer Taschenbuch Verlag: Frankfurt am Main 1982; Engl.:
/Schizophrenia/. Basic Books, Inc., Publishers New York: New York 1976

Nachdruck und Online-Ausgabe:
Szasz, Thomas S.: /Schizophrenia: The Sacred Symbol of Psychiatry/.
Syracuse University Press: Suracuse 1988:
http://books.google.de/books/about/Schizophrenia.html?id=d840e94r4y0C


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