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Mal was Philosophisches - Feuerbach & Co...

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Wilhelm Ernst

unread,
Dec 9, 2022, 1:07:52 PM12/9/22
to
"Ludwig Feuerbach - 175 Jahre "Das Wesen des Christentums"
Vortrag bei den Nürnberger Freidenker*innen am 16. September 2022,
- Die Voraussetzungen -
Ludwig Feuerbach wurde 1804 in eine Zeit hineingeboren, der man die
Bezeichnung "Biedermeier" gegeben hat. Der Begriff "Biedermeier"
assoziiert Idylle, eine vordergründige, fadenscheinige Idylle fürwahr,
wie wir gleich sehen werden.
Von 1799 bis 1814 überzog Napoleon Europa mit Kriegen, was u. a. zu
einer "politischen Flurbereinigung" im Flickenteppich Mitteleuropa
führte. Im "Wiener Kongreß" 1814/15 sollten die europäischen Fürsten
nach dem Sieg über Napoleon die politischen Verhältnisse in Europa neu
ordnen. Die deutschen Fürsten widersetzten sich dem Gedanken, ein
deutsches Kaiserreich zu gründen: sie wollten selbständig bleiben. So
einigte man sich auf die Errichtung des "Deutschen Bundes", dessen
Teilstaaten sich u. a. verpflichteten, ihren Ländern eine Verfassung zu
geben. Aber die beiden Großmächte Österreich und Preußen hielten sich
nicht an das Verfassungsversprechen. Als Antwort auf die Gründung der
deutschen Burschenschaft in Jena am 12. Juni 1815 schlossen der Kaiser
von Österreich, der Zar von Rußland und König Friedrich Wilhelm III. von
Preußen die sogenannte "Heilige Allianz" gegen die revolutionären
Bestrebungen, was u. a. bedeutete, daß in Preußen Zeitungen,
Zeitschriften und Flugblätter nicht "ohne Vorwissen und Genehmigung der
Landesbehörden zu Druck befördert werden" durften. Als am 23. März 1819
Staatsrat August Friedrich Ferdinand von Kotzebue vom Studenten Karl
Ludwig Sand ermordet wurde, kam es zu den Karlsbader Beschlüssen:
Errichtung einer Zentraluntersuchungskommission in Mainz, Verbot der
Burschenschaften, Verfolgung der sogenannten "Demagogen", Überwachung
der Presse und der Universitäten. Diese Beschlüsse wurden 1820
Bestandteil der Wiener Schlußakte und damit der Bundesverfassung.
Seit 1818 hatte Georg Friedrich Wilhelm Hegel als Nachfolger Johann
Gottlieb Fichtes den Philosophielehrstuhl in Berlin inne. 1821 erschien
seine Rechtsphilosophie unter dem Doppeltitel "Grundlinien einer
Philosophie des Rechts" und "Naturrecht und Staatswissenschaft", deren
Vorrede traurige Berühmtheit erlangen sollte. Rudolf Haym, neben Karl
Rosenkranz der zweite zeitgenössische Hegelbiograph, nennt sie eine
"wissenschaftlich formulierte Rechtfertigung des Karlsbader
Polizeisystems und der Demagogenverfolgung" und fährt dann fort:
"[G]eradezu [...] macht die Philosophie [Hegels] mit der Polizei
gemeinschaftliche Sache, und von Angriff und Anschuldigung schreitet
sie zu persönlicher Denunciation und zur Aufhetzung der öffentlichen
Gewalten fort." (Haym 77)
Der berühmteste Satz aus der Vorrede, der Hegel verdächtig machte,
preußischer Staatsphilosoph zu sein, lautet: "Was vernünftig ist, das
ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig." Das reaktionäre
politische Systems Friedrich Wilhelm III. wird, da real, somit als
vernünftig erklärt, und Hegelbiograph Rudolf Haym (366) merkt an: "Die
Gottesgnadentheorie und die Theorie von der oboedientia absoluta ist
unschuldig und gefahrlos im Vergleich mit der furchtbaren Doctrin,
welche das Bestehende als Bestehendes heilig spricht." Bloch nennt den
zweiten Teil des Satzes "reaktionär". Friedrich Engels hingegen sah das
ganz anders.
1824 kommt Ludwig Feuerbach nach Berlin, um bei Hegel zu studieren. Der
Theologiestudent aus Heidelberg wechselt 1825 gegen den Willen des
Vaters in die philosophische Fakultät, und damit beginnt, was er später
einmal seinen "zweiten Gedanken" nennen sollte: "Gott war mein erster
Gedanke, die Vernunft mein zweiter, der Mensch mein dritter und letzter
Gedanke." Mit "Gott war mein erster Gedanke" spielt Feuerbach auf sein
Theologiestudium an, mit "der Mensch mein dritter und letzter Gedanke"
auf seinen anthropologischen Materialismus.
Ab etwa den 1820er Jahren kann man davon sprechen, daß sich eine
Hegelschule bildete, die sich nach Hegels Tod 1831 allmählich
aufspaltete in Rechtshegelianer und Linkshegelianer. (Die Bezeichnungen
stammen von David Friedrich Strauß, einem Zeitgenossen Feuerbachs.) Die
Namen der Rechtshegelianer sind heute mehr oder weniger vergessen: Daub,
Gabler, Göschel, von Henning, Hinrichs, Marheinke, die der
Linkshegelianer sind (zumindest teilweise) bekannt: Bruno Bauer (der
"heilige Bruno"), Ludwig Feuerbach, Karl Marx, Arnold Ruge, Max Stirner
(der "heilige Max"), David Friedrich Strauß.
Zum Bruch kam es über die Frage, wie die christliche Religion zu deuten
sei. Hegel hatte sie in der Philosophie "aufgehoben", und der Streit
ging darum, was "Aufhebung" bedeuten solle: Bedeutet Aufhebung
lediglich, daß Religion aufhört zu existieren, oder aber, daß sie in
einem neuen Zustand aufbewahrt, erhalten bleibt, indem sie auf eine
höhere Stufe hin"aufgehoben" wird. Der Rechtshegelianismus hielt den
biblischen Bericht für vereinbar mit philosophischer Erkenntnis, der
Linkshegelianismus nicht. Allerdings verblieben, außer Marx und
Feuerbach, die Linkshegelianer in einer "inneridealistische[n] Kritik an
Hegel. Bei Feuerbach mündete der Linkshegelianismus in eine fundamentale
Religionskritik."

So, wer bis hier durchgehalten hat, dem kann ich auch den Rest
anvertrauen:
https://www.freidenker.org/fw17/wp-content/uploads/2022/09/Ludwig-Feuerbach-Vortrag-in-Nuernberg.pdf
Willi


--
Die Anwendung einer Wasserstoffbombe ist vom christlichen Standpunkt aus
nicht einmal eine so schreckliche Sache, da wir alle dem ewigen Leben zustreben.
Und wenn zum Beispiel eine einzelne Wasserstoffbombe eine Millionen Menschen töte,
so erreichen die Betroffenen umso schneller das ewige Leben.
Otto Dibelius, 1949-1961 Ratsvorsitzender der EKD
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