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Die Tonleiter

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Juergen Gaertner

unread,
Dec 23, 1996, 3:00:00 AM12/23/96
to

Hallo Fans und Fenster,


Weihnachtszeit ist's und es wird wieder gesungen und musiziert.
Ich hab' seit Jahren folgendes philosophisches Problem:

Wo kommt das Muster auf der Klaviertastatur her?

Ich meine, warum sind da schwarze Tasten drauf und weshalb immer in
Zweier- und Dreiergruppen? Dieses Muster taucht doch in der Natur nirgends
auf.

Immer wenn ich Freunde, die was von Musik verstehen, danach gefragt habe,
bekam ich die gleichen Antworten von harmonischen Dreiklaengen, grossen
und kleinen Terzen, subdominaten Dekadenzen u.ae :-) Das habe ich zwar
meistens nicht verstanden, kann es mir aber vorstellen. Trotzdem - keine
Antwort auf meine Frage.

Betrachtet man mal eine Oktave, in der, wie der Name schon sagt, sich die
Frequenz eines Tones nicht verachtfacht, sondern verdoppelt. In diesem
Intervall sind, wie der Name schon sagt, nicht etwa 8 sondern 12 Toene in
gleichem Abstand untergebracht. Das allein ist schon sehr merkwuerdig.
Warum 12 Toene und nicht etwa 10 oder 16?

Der Abstand von einem Ton zum naechsten ist immer zwoelfte Wurzel aus
zwei. Damit kommt man nach 12 Toenen genau auf die doppelte Frequenz.

Grundton 1. 2. 3.
--------------------------------------------------------
c 261.63 523.25 1046.50 2093.00
cis 277.18 554.37 1108.73 2217.46
d 293.66 587.33 1174.66 2349.32
dis 311.13 622.25 1244.51 2489.01
e 329.63 659.25 1318.51 2637.02
f 349.23 698.46 1396.91 2793.82
fis 369.99 739.99 1479.98 2959.95
g 392.00 783.99 1567.98 3135.96
gis 415.30 830.61 1661.22 3322.43
a 440.00 880.00 1760.00 3520.00
ais 466.16 932.33 1864.65 3729.31
h 493.88 987.77 1975.53 3951.06 in Hertz


Und jetzt kommt das Merkwuerdigste. Wieso waehlt man von diesen 12 voellig
gleichberechtigten Toenen willkuerlich 8 als sogenannte Grundtoene aus und
nicht z.B. einfach jeden zweiten, also nur 6 ?

Die Antwort war immer die gleiche. "Das klingt dann nicht harmonisch."
Aber was ist "harmonisch"?

Jetzt habe ich mir mal so einen Dreiklang hergenommen, c-e-g. Alle Misch-
und Kreuzprodukte ergeben aber keine Toene. Allenfalls liegt der Abstand
zwischen c und g in der Naehe des c der naechst niedrigeren Oktave. Was
also ist hier eigentlich harmonisch?

Soll' ich sagen, was ich vermute? Das Ganze ist eine reine Frage der
Erziehung und der Gewohnheit. In China klingt die Musik ja auch ganz
anders als in Europa.

Spielt doch mal die Tonleiter cis-dis-f-g-a-h-cis eine Weile und dann cis-
f-a-cis auch eine Weile. Man gewoehnt sich dran. Und jetzt greif' mal
einen Ton daneben. Hoert sich sofort schroecklich an.

Ist also die Stimmung nur deshalb harmonisch, weil sie Bach und Mozart so
festgelegt haben oder gibt es einen tieferen (physikalischen) Grund?

... und allzeit einen reizenden Flame im B(r)ett.

Juergen

## CrossPoint v3.11 R ##


Michael Kalus

unread,
Dec 27, 1996, 3:00:00 AM12/27/96
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)

> Wo kommt das Muster auf der Klaviertastatur her?
>
> Ich meine, warum sind da schwarze Tasten drauf und weshalb immer in
> Zweier- und Dreiergruppen? Dieses Muster taucht doch in der Natur
> nirgends auf.

Eine ist Sache der Physik, Physiologie und Ästhetik gleichzeitig. Daher ja
auch so faszinierend ... und sehr kompliziert.

Im 16 Jahrhundert sollen in den Notenschriften "kleine" Notenwerte im
System schwarz gemalt (mithin "gefärbt"=chromatisiert) worden sein. Daher
haben die 12 Töne ihren Namen: "chromatische Tonleiter". Auf den
Tasteninstrumenten hat man das dann übernommen.

Tasteninstrumente sind eigentlich etwas verstimmt. Eine harmonische Reihe
auf der Geige gibt nicht die gleichen Frequenzen wie diese Reihe auf dem
Klavier. Das Klavier ist "temperiert" gestimmt. Durch dieses knapp daneben
stimmen lässt sich erreichen, das das Klavier zu vielen Instrumenten in
unterschiedlichen Tonarten eingesetzt werden kann. Möglich ist dies durch
die begrenzte Empfindlichkeit des menschlichen Gehörs für
Frequenzunterschiede. So beträgt diese Toleranz in der Umgebung von C +/-
0,576Hz.


> Grundton 1. 2. 3.
> --------------------------------------------------------
> c 261.63 523.25 1046.50 2093.00
> cis 277.18 554.37 1108.73 2217.46
> d 293.66 587.33 1174.66 2349.32
> dis 311.13 622.25 1244.51 2489.01
> e 329.63 659.25 1318.51 2637.02
> f 349.23 698.46 1396.91 2793.82
> fis 369.99 739.99 1479.98 2959.95
> g 392.00 783.99 1567.98 3135.96
> gis 415.30 830.61 1661.22 3322.43
> a 440.00 880.00 1760.00 3520.00
> ais 466.16 932.33 1864.65 3729.31
> h 493.88 987.77 1975.53 3951.06 in Hertz

Deine Frequenztabelle gibt die temperierte Stimmung wieder.
Dein "Grundton" c 261.63Hz ist das c'.
Das "große C" hat 65,41Hz.
Ein temperierter Halbton ist 1/12 Oktave.

Die Schwingungszahlen der Töne in physikalisch harmonischer Stimmung von
C-Dur sind anders. Sie geht von C2=16HZ aus und nicht von a1=440Hz wie in
der internationalen Musik.
Das gibt folgende Teilungen in Hz:
C 64
D 72
E 80
F 85 1/3
G 96
A 106 2/3
H 120


> Und jetzt kommt das Merkwuerdigste. Wieso waehlt man von diesen 12
> voellig gleichberechtigten Toenen willkuerlich 8 als sogenannte
> Grundtoene aus und nicht z.B. einfach jeden zweiten, also nur 6 ?

Tonleitern gibt es viele.
- Die zwölfstufige "chromatische" (c,cis,d,dis,e,f,fis,g,gis,a,ais,h).
- Die siebenstufigen Kirchentonarten:
Dur-Tonleiter (cdefgah).
Moll-Tonleiter (ahcdefg).
- Die sechsstufige Ganztonleiter (c,d,e,fis,as,b).
- Die fünfstufige halbtonlose (zB: degac)

Letztere, die "pentatonische", ist heuer wohl die bekannteste durch Blues
und Rock'n Roll, denke ich.

Aber sie ist natürlich eine Untereinheit der berühmten Chromatischen.
Warum 12 Intervalle bis zu einer verdoppelten Frequenz?
Das habe ich auch noch nicht ergründen können.

> Misch- und Kreuzprodukte ergeben aber keine Toene. Allenfalls liegt
> der Abstand zwischen c und g in der Naehe des c der naechst
> niedrigeren Oktave. Was also ist hier eigentlich harmonisch?
>

Nimm dir mal eine Gitarre zur Hand.
Erzeuge stehende Wellen auf der Saite. Zähle die Schwingungsbäuche:
1 Bauch = Grundton
2 Bäuche= klingt wie der Grundton, nur "eins höher", Prim, doppelte
Frequenz, 1/2 Saitenlänge.
3 Bäuche= Flagolett auf einem Drittel der Sait gehalten.

An der Stelle (2/3) die Saite fest gedrückt erklingen lassen gibt beim
gemeinsamen Erklingen mit dem Grundton einen Zweiklang ohne Schwebungen!
Die Töne *harmonieren*.

Diese Harmonie (gr.-lat.=Übereinstimmung, Eintracht, Einklang, Ebenmaß)
ergibt sich auch, läßt man die Saitenlängen von 3/4 oder 4/5
Schwingungsbäuchen usw. mit dem Grundton zusammen klingen.

mka

## CrossPoint v3.02 R ##

Michael Kalus

unread,
Dec 27, 1996, 3:00:00 AM12/27/96
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)

> Soll' ich sagen, was ich vermute? Das Ganze ist eine reine Frage der
> Erziehung und der Gewohnheit. In China klingt die Musik ja auch ganz
> anders als in Europa.

Du vermutest wohl ganz richtig.

Im Musiklexikon "Meyers", Taschenbuchausgabe, ist das so definiert:
"Tonsystem, der musikalisch verwendete Tonvorrat einer Kultur oder Epoche,
der nach bestimmten Prinzipien geordnet ist." Und als Ordnungsprinzipien
werden genannt: Intervallaufbau, Melodiestruktur, oder akustische
Stimmung.
Als Grundlage eines Tonsystems wird eine Tonleiter erstellt.
Sie funktioniert als eine begrenzte "Gebrauchsleiter" aus dem
Gesammtbestand von Tönen, der "Materialtonleiter".

Uwe Droste

unread,
Dec 28, 1996, 3:00:00 AM12/28/96
to

on 23.12.96
about "Die Tonleiter":
wrote J.Gae...@t-online.de

Hi Juergen,


> Ist also die Stimmung nur deshalb harmonisch, weil sie Bach und Mozart
> so festgelegt haben oder gibt es einen tieferen (physikalischen) Grund?

Nein, alles eine rein kulturelle Frage, wie auch Du schon geschrieben
hast.

Man findet uebrigens in Physikbuechern oft mehr zu dem Thema, als in
Musikbuechern.....

z.B. Kuchling Physik - gute DDR Fachliteratur

Uwe

p.s. Solltest Du irgendwo ein Musikbuch kennen, in dem man Notenlesen
(mit allen Sonderfaellen) im Selbststudium lernen kann, so lass es mich
bitte wissen.

--
Erkennen was die Welt, im Innersten zusammenhaelt. (Goethe/Faust)
email: uw...@einstein.ruhr.de Uwe Droste
Tel : +049 234 9489394 Q Heintzmannsheide 56
Fax : +049 234 9489040 D - 44797 Bochum

Michael Kalus

unread,
Jan 1, 1997, 3:00:00 AM1/1/97
to

Hi, Wolfgang (wolf...@w250zrz.zrz.tu-berlin.de)
> J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) writes:
> (...)
> d = 9/8, e = 5/4, f = 4/3, g = 3/2, a= 5/3, h = 15/8
Interessant sind dann auch die Abstände der Tonhöhen, die Intervalle. Auf
Saiteninstrumenten leicht nachzuvollziehen. Die Frequenzverdopplung liegt
auf der Saitenmitte, 1/2 Länge mithin. In dieser 1/2 Länge sind diese Töne
nacheinander aufzufinden. Die Intervalle von Ton zu Ton angegeben in
Teilen der 1/2 Saite sind:
C nach D : 2/9
D nach E : 8/45
E nach F : 1/10
F nach G : 1/6
G nach A : 2/15
A nach H : 2/15
H nach C : 1/15
Wie man sieht sind da 2x kleinere Abstände in dieser harmonischen Reihe.
Man nannte sie "Halbtonschritt", weil sie ungefähr ein halb so großes
Intervall haben. Instrumente lassen sich nach diesen Teilungen in 8 Töne
recht gut fertigen und klingen schön zusammen. Kleine Kapellen wie große
Orchester sind dadurch möglich. Auch gibt es schöne Resonanzen in
klingenden Hallen wie Kirchen. Höhlen und Tunnel übrigens auch. (Saxophon
nachts ohne Verkehr im Autotunnel oder in der Tiefgarage kommt gut :-)

Doch es werden damit andere Harmonien ausgeschlossen. Zusammenspiel von
Instrumenten verschiedener Tonlagen klingt nicht oder "schräg". Die
Kompositionen sind eingeengt. Es fehlen "Zwischentöne". Diese "kleinen"
Harmonischen Intervalle sind:
kleine Sekunde 15/16
kleine Terz 5/6
kleine Sexte 5/8
kleine Septime 5/9
und andere. (bekannteste im europäischen Raum sind die großen und kleinen
pytagoräischen, harmonischen und temperierten Schritte sowie übermäßige
wie verminderte harmonische Schritte.)
Ihre Abstände von den Nachbartönen sind in etwa "Halbtonschritte". Und sie
werden gebraucht um Mehrtonklänge auf Instrumentengruppen aufzubauen. Man
landet also früher oder später bei Instrumenten, die neben den 7
klassischen Tönen c bis h (oder 8 Tönen einschließlich 1/1 bis 2/1 Ton =
Oktave) auch die halben Stufen dazwischen spielen können. So kommt man zu
12 "halben" Tönen. Die 12 ist somit ein Erfahrungswert und nicht aus puren
Berechnungen herauszulesen. Die Intervalle sind alle nur "so in etwa"
ähnlich groß. Keine rechten mathematischen Gesetze. Dazu klingts verstimmt
wenn höhere und tiefere "richtig berechnete" Klänge und laute und leise
Töne uns treffen, obwohl sie "rein" gestimmt sind. Beim orchestrieren muß
das beherzigtg werden: Unterschiedliche Intonation ist gefragt. Das alles
läßt sich nur noch mit Gefühl interpretieren und nicht mehr notieren.

Hier kommt aber das Gehör dem gequälten Mathematikus und Musikus zur
Hilfe, da es sowieso nicht so gut unterscheidet, ob nun ein Ton höher oder
tiefer als ein anderer ist. Die Hörtoleraz liegt für ein C so bei +/-
0,578 Hz, bei c4 schon bei +/-28,672Hz. Erst wenn Töne gleichzeitig
klingen, werden die leichten Unterschiede als "verstimmt" wahrgenommen, es
gibt Schwebungen; kleinste Pausen zwischen Tönen helfen da schon! Und es
will die Natur außerdem, dass auch "gleich verstimmte" Töne wieder
harmonieren, nämlich dann, wenn die Schwebungen nahe beieinander liegen.
Eine Einteilung in 12 halbe Töne mit Tonschritten in einem
Frequenzverhältnis von 1/12 "gleich schwebend" gestimmt klingt somit recht
ordentlich: "tempertiert" wird diese Stimmung genannt.

Der Instrumentenbau wurde dadurch einfacher, wenn die Klänge auch nicht so
rein waren. Doch viele Komponisten haben inzwischen ja gezeigt, das diese
Herausforderung an ihr Können, festgestimmte "temperierter" Instrumente
zum Klingen zu bringen, gelingen kann. KLaviere wurden beliebt. Gitarren
ebenso, das Harmonium, Ziehharmonika, Klarinette, Saxophon usw. Das durch
die Verbreitung dieser vereinfachten Instrumente das Musikschaffen
beflügelt wurde, hat die ganze Moderne eingeleitet. Erst recht seit der
elektronischen Verstärkung und zuletzt der elektronischen Syntese von
Klängen in "Soundkarten" per Microcomputer. Klänge in der Stube wurden
möglich, die man davor sich nicht ausmalen konnte. Die elektronischen
Keyboards heute sind dabei meines erachtens noch nicht der Abschluß dieser
Entwicklung.

Vollkommenere festgestimmte Instrumente wie manche Kirchenorgeln dagegen
hatten 14-16 Tasten in der Oktave (getrennte Tasten für es und dis, as und
gis, ais und hes u.ä.) Das gab je nach Tonart reinere Klänge zusammen mit
Instrumenten, die konstruktionsbedingt natürliche harmonische Töne
erzeugen - per ihrer physikalischen Eigenschaften durch anblasen:
Blechblasinstrumente mit Kesselmundstück wie Posaune usw.

So. Das soll erst mal reichen ;-)
Ein gutes neues Jahr 1997 wünsch ich noch.

Martin Rost

unread,
Jan 2, 1997, 3:00:00 AM1/2/97
to

Detlef Bosau (det...@jojo.escape.de) schrieb:

: [Vieles geloescht.]
: Wesentlicher Inhalt: Das ist viel weniger physikalisch als vielmehr
: hoergewohnheitsbedingt, dass eine Kadenz als "Abschluss" wahrgenommen wird.
: [...]
: Der Aufbau einer Tonleiter ist naemlich letztlich nicht mehr
: rein physikalisch zu erklaeren. Zum einen ist man mit den dortigen
: Intervallen bei den Obertoenen schon absolut jenseits von Gut und Boese,
: zum anderen gibt es neben unserem Dur und Moll auch in verschiedenen
: Kulturen auch ganz andere tonale Systeme, und wer mal die alten
: Kirchentonarten heranzieht, wird bemerken, dass auch Dur und Moll
: in Mitteleuropa noch gar nicht so furchtbar alt sind.

Ja, alles was Detlef dazu schrieb, fand ich ganz wunderbar. (Die
Blue-Notes bekommt man allerdings schon ganz gut auch mit klassischen
Bordmitteln der Notation zu fassen (vgl. Haunschild, F., 1992: Die
neue Harmonielehre - Ein musikalisches Arbeitsbuch fuer Klassik, Rock,
Pop und Jazz; Band I; Bruehl: AMA-Verlag (Band II ist 1994
erschienen.))

Ich moechte dem, was von Detlef und auch sonst hier bislang gesagt
wurde, noch eine verschaerfende These ueber den Zusammenhang von
Musik, psychischer Wahrnehmung und Kultur hinzufuegen. Den Umfang
muss ich entschuldigen, es handelt sich um einen Text, den ich vor
gut einem Jahr verfasst habe. Im Zusammenhang mit Popmusik und der
Frage nach dem Unterschied zwischen guter Musik und schlechter Musik
stellte ich mir die folgende Frage:

Woran liegt es, dass man in dem einen Fall eine gelungene Melodie und
in einem anderen Fall eine nervige Aufeinanderfolge von Toenen hoert?

(Bitte vor dem Weiterlesen einige Momente verharren und sich selbst
um eine Antwort dieser Frage bemuehen.)

Zunaechst: Eine Melodie besteht aus nacheinander folgenden Toenen,
die in einem bestimmten Verhaeltnis zueinander stehen. Eine Tonfolge
wird dann Melodie genannt, wenn sie eine stimmige Form aufweist.

Der Knackpunkt an dieser Definition ist das "bestimmte Verhaeltnis".
Will man die Verhaeltnisse zwischen den Toenen genauer
untersuchen, koennte man immer zwei aufeinanderfolgende Toene einer
Melodie herausnehmen, sie systematisch miteinander vergleichen und
die Unterschiede notieren. Wenn man nach einer solchen Untersuchung
dann saemtliche Unterschiede ueberblickte, wuerde klarwerden, dass es
die Unterschiede zwischen den Toenen und nicht die Toene selber sind,
die eine Melodie als eine Melodie wahrnehmbar werden lassen. Denn es
ist weitgehend gleichgueltig, mit welchen melodiefaehigen
Instrumenten (melodieunfaehig waere z.B. eine Triangel, im
Unterschied zu Gesang, Klavier, Gitarre, Trompete, Violine usw.) und
in welcher Tonart und mit welcher Geschwindigkeit oder Lautstaerke
eine Melodie gespielt wird. Eine Melodie bleibt trotz verschiedener
Toene und Takt-Zeiten wiedererkennbar, solange die Unterschiede
zwischen den Toenen konstant gehalten werden.

Es sind nur erstaunlich wenige Unterschiede zwischen zwei Toenen
feststellbar. Zum einen koennen zwei aufeinanderfolgende Toene mit
unterschiedlicher Tonhoehe klingen. Dieser Unterschied wird als
Intervall bezeichnet. Die Toene koennen zum zweiten unterschiedlich
lang klingen, pausieren oder betont sein, was als Rhythmus
angesprochen wird. Ferner koennen aufeinanderfolgende Toene
unterschiedlich laut klingen. Das bezeichnet man als Dynamik. Und die
Toene einer Melodie koennen sich viertens im Klang unterscheiden.
Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die aufeinanderfolgenden Toene
einer Melodie von verschiedenen Instrumenten gespielt werden.

Nun die These, die zunaechst nur duerr aussieht: Ich vermute, dass
das menschliche Bewusstsein anhand des gerade erklingenden Tones
Erwartungen an den naechstfolgenden Ton ausbildet. Solange solche
Erwartungen vom gegenwaertigen ausgehend an den naechstfolgenden Ton
haeufig genug erfuellt werden und sich dann sofort wieder neue
Erwartungen ausbilden, solange ist das Bewusstsein bereit, eine
Tonfolge als eine Gestalt wahrzunehmen, die in-sich stimmt, schoen,
spannend oder einfach interessant klingt. (Diese Vermutung stuetzen
sich auf Ausfuehrungen z.B. von: Bruhn, Herbert, 1996:
Musikpsychologische Aspekte; in: Musik in Geschichte und Gegenwart
(MGG), Sachteil Band 3, Kassel: Baerenreiter.)

Die Erwartungen an das naechste klangliche Ereignis beim Hoeren einer
Melodie sind insofern nicht beliebig, weil sich die Erwartungen auf
die vier eben genannten Eigenschaften (Tonhoehe, Dauer bzw. Rhythmus,
Lautstaerke, Klang) beziehen, die der naechste Ton zwangslaeufig
mitbringen wird. Erfuellt ein Klangereignis keine dieser Eigenschaften,
dann sind wir nicht bereit, von Musik zu sprechen.

Die Erwartungen an den naechsten Ton sind so gesehen zwar bestimmt,
aber nicht festgelegt, sondern vielmehr statistischer Art. Das soll
heissen, dass man mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit die
Fortsetzung der Tonfolge aufgrund der bislang gehoerten Toene
erwartet. Verschiedene Intervalle sind verschieden wahrscheinlich, je
unwahrscheinlicher, desto disharmonischer. Und umgekehrt. Dies gilt
jedenfalls fuer Kinderlieder und kommerzielle Volksmusik, aber sicher
nicht fuer Jazz.

Man koennte zum Beispiel bei einem Popsong als wahrscheinlichste
Fortsetzung einer Tonfolge einen Ton entsprechend einer Viertelnote
in einem reinen Quintabstand, der vom gleichen Instrument gespielt
wird, annehmen. Man ist aber nicht sonderlich ueberrascht, wenn
tatsaechlich stattdessen eine punktierte Achtel in einem
Terzintervall, vom gleichen Instrument gespielt, erklingt. Vielmehr
bedarf es sogar dieser Art geringer "Erwartungsenttaeuschungen", um
einer Melodie bereitwillig zu folgen. Wuerden naemlich saemtliche
Erwartungen immerzu erfuellt werden, waere man umgehend gelangweilt und
koennte sich kaum mehr motivieren, den Verlauf der Tonfolge wahrnehmen
zu wollen. Werden dagegen Erwartungen an Klangereignisse innerhalb
einer begrenzten Zeit nicht erfuellt, so bezeichnet man diese
Ereignisse als Krach. Interessante Musik besitzt also zugleich einen
Anteil an Redundanz und Originalitaet (s. dazu die Berechnungen von
Moles, Abraham A., 1958: Informationstheorie und aesthetische
Wahrnehmung, 1971, Koeln: Verlag M. DuMont)

Die Erwartungen an den jeweils naechsten Ton in einer Tonfolge werden
zunehmend bestimmter, je mehr Toene einer Tonfolge man bereits
wahrgenommen hat und zu erinnern vermag. Weiss man dann auch, um was
fuer einen Stil von Musik es sich handelt, vermag man seine
Erwartungen immer genauer auszurichten, und sei es, dass man mit
Bestimmtheit erwartet, dass ein unvorhersehbares Klangereignis folgen
wird. Hoert man den ersten Ton einer Tonfolge, sind die Erwartungen
noch weitgehend unbestimmt, sofern der Klang dieses ersten Tones
nicht schon auffallend charakteristisch ist. Viele Lieder kann man
unabhaengig vom Klang aber spaetestens nach drei Toenen erkennen
und so genaue Erwartungen an die Nachfolgetoene ausbilden, so dass man
ein erkanntes Lied selbstbewusst laut mitzusingen in der Lage ist.

Die Grenzen, innerhalb deren sich eine Melodie durch eine Tonfolge
einstellen kann, sind klar angebbar:

Die Tonhoehe eines Folgetones muss sich innerhalb einer bestimmten
Auswahl an Intervallen bewegen, damit sich fuer den Hoerer eine Melodie
entfalten kann. Welche Intervalle als angenehm, als ueberraschend oder
als stoerend empfunden werden, ist abhaengig von der musikalischen
Erwartungskompetenz eines Hoerers, die wiederum abhaengt von der
Kultur, in der der Hoerer aufgewachsen ist.

Ebensowenig wie die Intervalle beliebig sind, ist der Rhythmus
beliebig. Die Dauer und die Betonung des naechsten Tones lassen sich
mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten aufgrund des bereits
Gehoerten erwarten. Ganz unbestimmt sind die Erwartungen nur selten,
wenn man auf das Erklingen eines Musikstueckes wartet... schon mit
dem Verstummen des ersten Tons sind die Erwartungen an den naechsten
Ton bestimmter geworden. Wenn in sehr kurzer Zeit sehr viele Toene
aufeinander folgen - oder wenn umgekehrt ein Ton ueberhaupt nicht
mehr aufhoert zu klingen - dann kann sich allerdings keine Melodie
entfalten. Die Toene als Bestandteile einer Melodie muessen entstehen
und vergehen innerhalb einer bestimmten Zeit. Die Melodie
reproduziert die Toene. Man muss alte Toene wieder vergessen koennen,
um die neuen Toenen wahrzunehmen. Ansonsten ist die menschliche
Wahrnehmung ueberfordert, zwischen dem alten und dem aktuellen
akustischen Ereignis eine sinnvolle Beziehung herzustellen. Folgt ein
Ton zu schnell innerhalb von 50 Millisekunden oder noch weniger, dann
verschmelzen zwei Toene zu einem Ton, wie psychologische
Wahrnehmungsstudien ergeben haben. Folgt der naechste Ton bzw. folgen
die naechsten Toene erst im Abstand von 2 Sekunden und mehr, dann ist
das Bewusstsein des Menschen ebenfalls ueberfordert, eine Form in
einer Tonfolge auszumachen. Das Gedaechtnis muesste bei zu langen
Toenen sich dann ungewohnt lange an sich selbst halten, um sich
selbst hinreichend mit Eigenreizen zu versorgen.

Aus dieser engen physiologischen Zeitspanne, in der die musikalischen
Ereignisse erzeugt werden muessen, entwickeln Musiker uebrigens meist
unbewusst Strategien, um beim Improvisieren Zeit fuer Einfaelle zu
gewinnen. Routine und Erfahrung beim Musizieren sind wichtig, weil
durch routiniertes Abspoolen sozusagen Zeitpolster angelegt werden
koennen, um Platz fuer neue musikalische Einfaelle zu schaffen. Aus
dieser Perspektive ist also nicht die Routine der Feind des
Spontanen, sondern ganz im Gegenteil gilt, dass Routine eine
Voraussetzung ist, damit sich Einfaelle einstellen koennen.

Wir hegen Erwartungen an Tonhoehe/ Intervall und Dauer/ Rhythmus,
sobald wir einen Ton hoeren. Wir richten ebenso an die Lautstaerke
und den Klang des naechsten Tones eine eingrenzbare Erwartung. Beim
Klang des zu erwartenden naechsten Tones gehen wir naemlich wie
selbstverstaendlich davon aus, dass eine Melodie nur von einem
Instrument gespielt wird. Wir reagieren mit Verwunderung, wenn wir
erkennen, dass die Toene einer Melodie einzeln von verschiedenen
Instrumenten gespielt werden, wie dies z.B. von Frank Zappa zusammen
mit dem Ensemble Modern in dem Stueck "Amnerika" auf der CD
"Civilisation Face III" zu hoeren ist. Viele Hoerer koennen in einem
solchen Falle spontan keine Melodie erkennen. Relativ leicht faellt
das Erkennen, wenn man die Melodie bereits gut kennt und folglich
genaue Erwartungen hinsichtlich der Intervalle und Rhythmen an den
naechstfolgenden Ton stellen kann.

Spitzt man das bisher zur Wahrnehmung von Tonfolgen Gesagte zu, so
zwingt sich die Wahrnehmung einer Melodie dem Hoerer nicht allein aus
der objektiv vorhandenen Musik auf, sondern dadurch, dass der Hoerer
Erwartungen innerhalb bestimmter Grenzen an eine Tonfolge richtet. So
gesehen ist das Zuhoeren also keineswegs ein passiver Vorgang, bei
dem man Toene in sich aufsaugt, sondern eine Aktivitaet, die bis an
ein stummes Mitsummen heranreicht. Werden Erwartungen an eine
Tonfolge haeufig und stark enttaeuscht, bricht die Aufmerksamkeit des
Hoerers zusammen. Dies kann fuer einen westeuropaeischen Hoerer
erfahrungsgemaess dann leicht der Fall sein, wenn er seine
westlich-standardisierten Erwartungen hinsichtlich von
Melodieverlaeufen, Harmonien, Rhythmen und Klaengen auf arabische
oder chinesische Musik richtet und, im Unterschied zu den Menschen
dieser Kulturen, fuer laengere Zeit nur vage Melodieverlaeufe
auszumachen weiss.

Interessant in dieser Hinsicht ist auch die medizinische Beobachtung,
wonach sich beim vorgestellten Singen, das manchmal als "inneres
Singen" mit der "inneren Stimme" genannt wird, die Stimmlippen
andeutungsweise so mitbewegen, als wenn laut gesungen wuerde (s.
Habermann, G., 1986: Stimme und Sprache - Eine Einfuehrung in ihre
Physiologie und Hygiene, 2. ueberarbeitete Auflage; Stuttgart, New
York: Georg Thieme Verlag: 135).

Wie sehr das Hoeren von Musik und das Erkennen von musikalischen
Formen dabei vom aktiven Bewusstsein und nicht allein von den
objektiven physikalischen Gegebenheiten, die sich einem Bewusstsein
aufdraengen, abhaengt, erkennt man wunderschoen an der Hoerillusion der
virtuellen Toene und der Rhythmuswahrnehmung. Bei einem virtuellen Ton
handelt sich um einen besonders tiefen Basston einer Orgel, wenn zwei
tiefe Toene mit einem Quintabstand gespielt werden (s. Parncutt in
Bruhn, H./ Oerter, R./ Roesing, H. (Hrsg.), 1995: Musikpsychologie -
Ein Handbuch, Reinbeck bei Hamburg: rowohlts enzyklopaedie: 670ff). Der
dann wahrgenommene Ton ist objektiv physikalisch nicht vorhanden,
weil er unter dem tiefsten der tatsaechlich gespielten Toene liegt.
Und gibt man einer Versuchspersonen eine Reihe identischer
klanglicher Elemente vor, also Toene von gleicher Hoehe, Dauer,
Faerbung, Lautstaerke und im exakt gleichen Abstand, dann berichten
diese, nach einiger Zeit einen Rhythmus gehoert zu haben (Beck in
Bruhn et al. 1995: 460). Und ist erst einmal die Selbstrhythmisierung
entstanden, besteht die Tendenz, diesen Rhythmus auch dann
beizubehalten, wenn sich der Rhythmus der Tonvorgabe objektiv
geaendert hat.

Richard Parncutt stellt hierbei die besondere Bedeutung der sozialen
Umgebung zur Entwicklung der Wahrnehmung von Musik heraus, wenn er
schreibt:

"Die Wahrnehmung von virtuellen Toenen stellt eine Art
Konditionierungseffekt dar (...). Die Konditionierung des Gehoers
durch die staendige Auseinandersetzung mit alltaeglichen und
musikalischen Klaengen ist weitaus wichtiger fuer die Musikwahrnehmung
als die Physiologie des Gehoers." (Parncutt in Bruhn 1995: 676)

Das heutige interessierte Hoeren von Musik hat sich entwickelt aus
einem lauten Mitsingen in einer Gemeinschaft, wie ein Blick in die
Geschichte der musikalischen Entwicklung plausibel macht: Lange Zeit
waren Singen und Tanzen in einer Gruppe ein Zusammenhang. Durch das
Tanzen und Singen wurde beim Feiern und Arbeiten ein Gleichklang der
Vielen zu einer Einheit erzeugt. Diesem Zusammenhang von Tanzen und
Singen in einer Gemeinschaft laesst sich heute bei uns noch in der
Kirche und bei einigen gelungenen Konzerten nachspueren: Um
Gemeinschaft herzustellen, die sich heute eben nicht mehr ohne
weiteres traditionell einstellt, sondern sozusagen kuenstlich
hergestellt werden muss, wird gemeinsam gesungen. Die
Kirchenfunktionaere an der Front, die Pastoren und Pfarrer, und wieder
zunehmend auch die Parteien, setzen Musik in diesem Sinne ganz
gezielt ein. Auch wenn die Gesaenge der Kirchenbesucher immer leiser
und immer bruechiger und in den Parteien immer peinlicher werden -
fuer die Kirchen und Parteien sind sie unverzichtbar.

Gleiches gilt fuer das Schlachtfeld: Ein Rhythmus, bei dem jeder mit
muss, war obendrein lange Zeit geeignet, um Menschen, die wie andere
Menschen auch normalerweise Angst vor dem Sterben haben, trotzdem als
Soldaten auf das Schlachtfeld zu fuehren.

Schaut man sich einmal nur grob die verschiedenen Stationen in der
Geschichte des Tanzes an, dann zeigt sich, wie der Gruppentanz, und
damit auch der Gruppengesang, sich in den letzten Jahrhunderten
zunehmend aufloeste: Zunaechst wurde in Gruppen getanzt. Im
Mittelalter dann entstand das Menuett, dem der Tanz eines Paares,
z.B. in Form des Wiener Walzers, innerhalb einer grossen Gruppe an
Paartaenzern, folgte. Heute tanzt man in den Diskotheken locker
gebunden oder auch allein fuer sich, manchmal dient die Bassbox als
Tanzpartner. Es haben sich dabei die festen Regeln, wie zu tanzen
ist, aufgeloest. Man kann traditionell tanzen oder sich nach Belieben
mit der Musik bewegen. Viele Zuhoerer tanzen auch gar nicht mehr,
sondern schauen Experten fuer das Tanzen in den Shows und Theatern
zu. Und darum gibt es durchaus Leute im Publikum, die vom Saenger
eine Choreographie oder zumindest schoene Bewegungen beim Singen
erwarten. Man kann es so sehen: Der Saenger tanzt stellvertretend
fuer die Zuhoerer. Und dass beispielsweise eine Blaesersektion einer
Big Band den Drang verspuert, mit untereinander koordinierten
Bewegungen zu spielen, ist auch alles andere als zufaellig.

So wie beim Tanzen kam es auch beim Singen zu dieser Vereinzelung.
Aus dem lauten, gleichberechtigten (Mit-)Singen in einer Gruppe wurde
ein stummes, zuhoerendes, individuelles Verfolgen der Aktivitaeten von
Musikern heute. Die Folge dieses Verstummens war, dass sich die
musikalische Phantasie des Einzelnen anhand der verschiedensten
Eindruecke entfaltete. Die Orte musikalischer Ereignisse waren
zunaechst die Arbeitsplaetze und vor allem Feiern, spaeter dann
Buehnenauffuehrungen sowie in unserem Jahrhundert Schallplatten,
Rundfunk, Fernsehen, Videos, CDs, Computernetze... Sie haben
einerseits zum Verstummen der Alltagssaenger gefuehrt, weil hier die
Trennung zwischen dem Musizierenden und dem Zuhoerenden unueberwindbar
wurde. Medien regen an (und entfremden nicht nur), selbst Musik zu
machen und die Klischees immer wieder selbst brechen, die sie
festschreiben, weil die Medien aus aller Welt Unmengen an
verschiedenen musikalischen Formen zu Gehoer bringen. Mit dem Zugriff
auf Computer, Syntheziser sowie Lehrbuechern kann diese musikalische
Phantasie heute ziemlich direkt praktisch werden, weil kein
handwerklicher Drill mehr Voraussetzung ist, um auf einem
angemessenen gesellschaftlichen Niveau Phantasie praktisch in Musik
umzusetzen und mit Musik spielen zu koennen.

Man kann sich diese Verinnerlichung des Singens bis zum Verstummen so
aehnlich vorstellen, wie die Verinnerlichung des Lesens seit den Tagen
der Kloester des Mittelalters. Heute liest man nur noch wenige Monate
laut, naemlich beim Lesenlernen in den Grundschulen.

Es sei noch einmal formuliert: Das interessiert stumm zuhoerende
Verfolgen eines Melodieverlaufs ist kein bloss passives Aufnehmen von
Toenen, sondern ein aktives, wenn auch stummes und selten
bewusst-kontrolliertes Mitkonstruieren an der Fortsetzung einer
Tonfolge. Die Logik einer Melodie, oder anders ausgedrueckt: der
merkwuerdige Zwang, bestimmte Intervalle, Rhythmen, Klaenge und
Dynamiken zu benutzen und andere auszuschliessen, wird vom Zuhoerer
weitgehend in-sich selbst entwickelt. Und gemaess solcher Zwaenge
erzeugt auch ein Musiker seine Toene. Weil es unwahrscheinlich ist,
dass sich die Erwartungen von Musikern und Zuhoerern decken, suchen
sich Zuhoerer solche Musiker bzw. eine solche Musik aus, bei denen
ihre Erwartungen erfuellt werden. Ohne dieses innere stumme parallele
Mitkonstruieren an einer Melodie wuerden sich bei verschiedenen
Zuhoerern (auch der Musiker ist beim Musizieren schliesslich sein
eigener Zuhoerer) keine unterschiedlichen Erwartungen ueber die
Fortsetzbarkeit einer Tonfolge ausbilden. Der Unterschied zwischen
einem konzentrierten Zuhoerer und einem Musiker ist dann einzig der,
dass der Musiker beim Musizieren nicht stumm bleibt.

Fragt sich nun, wie es zur Ausbildung von diesen musikalischen
Erwartungen kommt?

Kulturelle und geschichtliche Vergleiche machen deutlich, dass
die Ausbildung musikalischer Erwartungen von der musikalischen
Umgebung abhaengt, der ein Mensch ausgesetzt ist. Fuer die
Erwartungsbildung wichtig sind periodisch wiederkehrende Klaenge. Man
lernt schon als Baby, wenn nicht gar schon im Mutterleib (s. Bruhn et
al., 1995: 268ff), bestimmte Tonfolgen durch permanente
Wiederholungen so selbstverstaendlich wie eine Muttersprache und haelt
sie dann fuer das natuerlichste von der Welt.

Man kann beobachten, wie Menschen bei laengeren Erzaehlungen
voellig unbeabsichtigt eine Melodie entwickeln. Auch Namen, wie z.B.
Katharina, sinnlich ausgesprochen, enthalten oftmals bereits Melodie
und Rhythmus. Wichtig sind die Klaenge und Rhythmen, denen ein Mensch
in seiner Familie und spaeter dann im Freundeskreis ausgesetzt ist.
Und die Art der Musik, die in diesen Bezugsgruppen gehoert wird, ist
abhaengig vor allen Dingen vom Bildungsniveau und den Moeglichkeiten,
Musik zu hoeren, also ueber eine Musikanlage und CDs zu verfuegen und
diese Musik ungehindert in gewuenschter Form hoeren zu koennen, in
Konzerte zu gehen oder ein Instrument zu lernen (s. Bruhn et al.
1995: 305ff).

Es ist so gesehen problematisch, die auf diese Weise entstandenen
Erwartungen an Musik als natuerlich oder normal zu bezeichnen, wenn in
anderen Teilen der Welt ganz andere Bedingungen vorherrschen.
Helmut Roesing schreibt:

"Wie ein ungetruebter, nicht eurozentristisch ausgerichteter Blick auf
die Musik anderer Ethnien und Kulturen zeigt, gibt es keine
natuerliche Musik. Weder physikalisch-akustische Aspekte (z.B.
Analogie von Teiltonreihe und Tonsystem) noch Fragen der Aesthetik
(z.B. schoen - unschoen, lebendig - starr, neu - veraltet (...)) oder
Informationsdichte und Strukturierung (...)) koennen als
Bewertungsinstanzen des Natuerlichen herangezogen werden. Einzige
Rahmenbedingung fuer musikalische Betaetigung ist das menschliche
Hoerfeld (...) Die biologische Disposition zum Musikgebrauch in
entscheidenden Phasen des Zusammenlebens ist in allen Gesellschaften
dieser Erde (...) in derselben Weise gegeben, doch hat die Fuelle
unterschiedlicher kultureller Evolutionen diese Disposition jeweils
anders genutzt (...)." (Roesing in Bruhn et al., 1995: 75)

Ein Zuhoerer, dessen musikalischen Erwartungen von kommerzieller
Volksmusik erfuellt werden, stellt an die Musik vor allem den
Anspruch, in Wohlsein eingepackt zu werden. Er ist kein Gourmet, der
neue musikalische Ereignisse jagt, er wuenscht sich deshalb keine
musikalischen Experimente. So wenig, wie er in der Regel auch
politische-, kuenstlerische- oder psychologische Experimente
schaetzt. Die Melodien und Harmonien duerfen ihn nicht enttaeuschen
und keinen grossen Ueberraschungsanteil enthalten. Fuer den
Komponisten kommerzieller Volksmusik stellt sich damit die etwas
paradoxe Aufgabe, einerseits ein neues Lied zu komponieren, das
andererseits nicht neu sein darf. Jeder nicht gerade voellig
unmusikalische Zuhoerer vermag in diesem Genre erfolgreich eine
Melodie auch dann mitzusingen, wenn er sie zuvor noch nie gehoert
hat. Dieser Effekt der nahezu perfekten Erwartungserfuellung ist es,
der musikalisch sensibilisierte Hoerer langweilt, um nicht zu sagen:
quaelt.

Den spannungsarmen (konsonanten) Melodien entgegengesetzt sind
spannungsvolle (dissonante) Tonfolgen, die nicht die traditionell
ausgebildeten Erwartungen beim Zuhoerer erfuellen. Einen hohen
Ueberraschungsanteil bietet, innerhalb der westlichen Musiktradition
bleibend, zum Beispiel die 12-Ton-Musik, weil dort auch nach
abstrakt-formalen Konstruktionsregeln komponiert wird. Die Auswahl
der Toene bzw. Intervalle bemisst sich weitgehend daran, ob der Ton im
Rahmen einer vorgegebenen Konstruktionsregel gewonnen wurde - und
nicht (jedenfalls nicht primaer), ob der Komponist die Tonfolge allein
aus dem Gefuehl heraus entspannend oder spannungsaufbauend schoen
findet. Hoch kann ferner das Ueberraschungsmoment im Jazz sein. Aber
man muss sich gar nicht diesen edlen Gefilden der Musik zuwenden, denn
viele Hoerer ueberrascht schliesslich auch Punk. Es ist allein
eine Frage der Erwartungen, was man als Krach oder als Musik
bezeichnet.

Durch eine entsprechende musikalische Umgebung und Ausbildung vermag
ein Hoerer einen hohen Ueberraschungsanteil in der Musik auf ein
erwartbares Mass zu reduzieren. Er hoert nicht nur Musik, er denkt auch
ein wenig ueber sie nach, er beobachtet sie. Erwartungen richten sich
dann haeufig nicht nur an einzelne Toene, sondern an groessere Einheiten
im gesamten Tonmaterial, was wiederum bei ihm dazu fuehrt, sich an
unauffaelligen Variationen und Details erfreuen zu koennen.

Musikalische Stile sind dadurch ausgezeichnet, dass sie bestimmte
rhythmische, melodioese, klangliche oder harmonische Muster in den
Tonfolgen ausbilden. Diese Muster, die periodisch wiederkehren, sind
fuer Zuhoerer, die sich in diese Muster eingehoert haben, somit gut
erwartbar. Die Kunst, einen Hit in einem bestimmten musikalischen
Stil zu schreiben, besteht darin, genau das richtige Mass zwischen
konventionell und ueberraschend, zwischen redundant und neu zu
treffen, um das Interesse der Hoerer (siehe Schulze, G., 1992: Die
Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/ Main:
Campus; Diederichsen, D., 1993: Freiheit macht arm, Koeln: Kiepenheuer &
Witsch) zu erregen. Sind alle Formen innerhalb eines Stils ausprobiert
und macht sich Langeweile breit, bestehen gute Chancen, dass Fusionen
ausprobiert werden und sich ein ganz neuer Stil herausbildet und in
den naechsten Jahren vorherrschend sein wird.

Die Popmusik, die als Begriff fuer eine bestimmte Menge an
musikalischen Stilen steht, laesst sich insgesamt zwischen diesen
beiden Polen des Konventionellen und des Ueberraschenden ansiedeln.
Sie kommt einerseits nicht ohne Klischees aus und muss
standardisierte musikalische Erwartungen erfuellen. Andererseits
muessen Popmusiker zumindest in kleinen Portionen etwas
Ungewoehnliches ausprobieren. Konventionell ist Popmusik in der Regel
im Bereich der Intervalle. Dort wird relativ wenig experimentiert,
bei den Rhythmen schon mehr. Die in der Musikentwicklung womoeglich
bedeutenden Neuerungen durch die Popmusik geschehen aber vor allem im
Bereich der Klangfarben und Sounds. Seit der elektrisch verstaerkten
und vor allem verfremdeten Gitarre darf in der Popmusik ein
Syntheziser synthetisch klingen; ein Saenger darf, anstatt schoen zu
intonieren, rasend schnell sprechen oder schreien, kreischen,
bruellen, nuscheln und unverstaendliches Kauderwelsch durch einen
Vocoder jagen. (Und es duerfen minutenlange Rueckkopplungen der
Gitarre stehenbleiben. Die Rueckkopplung, technisch oft gefuerchtet
und gemieden, ist fuer die Popmusik deshalb von klanglich enormer
Bedeutung, weil sie, als Soundelement des armen Mannes, eine
Gratwanderung zwischen Krach und perfektem Klang (Beatles, Santana,
Hendrix) bildet und damit in einem Effekt gleich die ganze Bandbreite
musikalisch zugelassener Ereignisse in der Popmusik ausdrueckt: Von
Krach bis zum perfekten Klang.)

Auf dem Pol der "standardisierten Erwartbarkeit" befindet sich in der
Popmusik z.B. die Nashville-Countrymusic mit ihrem hohen Anteil an
Klischees. Sie wird zwar vielfach mit beeindruckender Virtuositaet
dargeboten, ist aber aehnlich standardisiert wie die kommerzielle
deutsche Volksmusik. Dass Country und Tekkno leicht zusammengefuegt
werden koennen, ist da wenig ueberraschend. Auch ehemalige Hits sind,
gleichgueltig welchem Stil sie zuzurechnen sind, natuerlich ebenfalls
stark Klischee-beladen und werden deshalb geschaetzt, weil sie die
Wiegen- und Kinderlieder von einst ersetzt haben und sich nahezu
vollstaendig mitsingen lassen. Alte Hits erfuellen alle Erwartungen
perfekt, sie lassen sich wonniglich mitsingen, was auch die
Musikgourmets in schwachen Stunden zu geniessen wissen.

Das Austesten neuer musikalischer Formen und die Fusionierung alter
und neuer Stile zu neuen musikalischen Formen geschieht entweder im
Underground, entweder programmatisch z.B. in Randbereichen des Jazz,
oder praktisch durch soziale Minderheiten, wie z.B. beim Rap, oder
durch Importe musikalischer Traditionen abgelegener Kulturen (Ethno).
Soziale Minderheiten stabilisieren andere Erwartungen an eine
Gesellschaft, was eben auch Spuren in ihrer Musik hinterlaesst und nach
einiger Zeit neue Erwartbarkeiten bei den Hoerern erzeugt.

Zum Abschluss sei noch auf Kultur-vergleichende
musikwissenschaftliche Untersuchungen hingewiesen, die zeigen, dass
die gaengige Meinung, nach der die musikalische Entwicklung im
Abendland den Hoehepunkt der Musikentwicklung bilde, falsch ist. So
wie die westlich-europaeische Musikkultur von Vielstimmigkeit
gepraegt ist, wird die afrikanische Musik durch komplizierte Rhythmik
bestimmt. In arabischen Subkulturen und in Indien haben sich
darueberhinaus komplizierte Systeme mit 22 Tonstufen (srutis) als
melodische Grundlage entwickelt. Die hohe melodische Komplexitaet
etwa der indischen Ragas ging dabei auf Kosten der Mehrstimmigkeit
und orchestralen Klangfarbe, waehrend die Vielstimmigkeit im Westen
auf Kosten einer geringeren Anzahl von Tonstufen (12) und
vergleichsweise primitive Rhythmen durch sehr symmetrische
Takteinteilungen ging (s. Bruhn et al. 1995: 57ff). Von Weltmusik
darf man vielleicht erst dann sprechen, wenn gleichberechtigt
untereinander europaeische Vielstimmigkeit mit indischer
Melodiositaet und afrikanischer Rhythmik verbunden wird.


Michael Kalus

unread,
Jan 2, 1997, 3:00:00 AM1/2/97
to

Hi, Detlef (det...@jojo.escape.de)
dein Brief zum Thread hat mich begeistert. Deine Musikbeispiele zu Gehör
zu bekommen wird mich freuen. Hoffentlich finde ich sie auf.


> > Vollkommenere festgestimmte Instrumente wie manche Kirchenorgeln

> > dagegen hatten 14-16 Tasten in der Oktave (getrennte Tasten fuer es
> > und dis, as und gis, ais und hes u.ae.) Das gab je nach Tonart
>
> Hast Du dafuer Beispiele? Ich habe eine solche Orgel leider noch
> nicht gesehen.
Gesehen habe ich auch noch keine. Aber davon gelesen in der deutschen
Übersetzung "Akustische Grundlagen des Orchestrierens" von Burghauser-
Spelda, Gustav Bosse Verlag Regensburg 1970; Titel der tschechischen
Originalausgabe: "Akusticke Zaklady Orchestrace" :-)


> Allerdings moechte ich noch eine Anmerkung machen.
>
> Der ganze Thread ist hier furchtbar physikalisch und erschlaegt
> vermutlich den armen Kerl etwas, der hier eingangs gefragt hat.
Oh je, hoffentlich nicht. Was sagt der 'arme Kerl' selbst dazu?

> Tatsaechlich ist die 5 Toene umfassende Tonleiter der Pentatonik
> wohl sehr elementar. Man trifft sie in praktisch allen Kulturen.
Jep, denke ich auch.

Grüße, Michael

Paul Lenz

unread,
Jan 4, 1997, 3:00:00 AM1/4/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 01.01.97:

> > Vollkommenere festgestimmte Instrumente wie manche
> > Kirchenorgeln dagegen hatten 14-16 Tasten in der Oktave
> > (getrennte Tasten fuer es und dis, as und gis, ais und hes
> > u.ae.) Das gab je nach Tonart
>
> Hast Du dafuer Beispiele? Ich habe eine solche Orgel leider noch
> nicht gesehen.

In Berlin gibt es ein Museum fuer Musikinstrumente, da sind
einige exotische Keyboards ausgestellt mit sehr merkwuerdigen
Tastenanordnungen.


Proppi


.
DIN-Gr}~e sendet pro...@sampo.han.de /|\
Paul Lenz, Friesenstr. 22, 30161 Hannover / |B \
Germany voice: +49 511-342451 --|--o-
Remember: Rock'n'Roll and CP/M never die! \""""""b
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
** XP v3.1 R ** Ts ts... wer quotet denn da Signaturen???

Paul Lenz

unread,
Jan 5, 1997, 3:00:00 AM1/5/97
to

ma...@maroki.netzservice.de (Martin Rost) schrieb am 02.01.97:

> Nun die These, die zunaechst nur duerr aussieht: Ich vermute,
> dass das menschliche Bewusstsein anhand des gerade erklingenden
> Tones Erwartungen an den naechstfolgenden Ton ausbildet.
> Solange solche Erwartungen vom gegenwaertigen ausgehend an den
> naechstfolgenden Ton haeufig genug erfuellt werden und sich
> dann sofort wieder neue Erwartungen ausbilden, solange ist das
> Bewusstsein bereit, eine Tonfolge als eine Gestalt
> wahrzunehmen, die in-sich stimmt, schoen, spannend oder einfach
> interessant klingt.

Dem muss ich widersprechen. Die Tonfolge als solche ist ziemlich
nebensaechlich. Dagegen gibt es eine Erwartungshaltung gegenueber
Akkorden. Beginnt man z.B. mit C-dur und E-dur, muss darauf
zwangslaeufig A-moll folgen, etwas anderes ist kaum vorstellbar.

Ich habe mal ein elektronisches Geraet gebaut, das nach diesem
Prinzip selbst Musik erzeugt.

Vorgegeben sind 8 Akkordschemata, die nach den normalen
Hoergewohnheiten aufgebaut sind. Alle beginnen mit C-dur,
sodass sie in beliebiger Reihenfolge aufeinander folgen koennen.

Die Schemata lauten: C G C G
C F C F
C F G C
C F Dm G
C G Em F
C Am F G
C Em F G
C Em Am F

Ein Zufallsgenerator waehlt die Schemata aus, deren Akkorde
nacheinander gespielt werden.

Passend dazu wird eine Melodie erzeugt. Dabei ist festgelegt,
welche Toene zu welchem Akkord harmonisch passen. Und zwar:

C dur : C E G c
F dur : C D F A
G dur : D F G H
A moll: C E G A
D moll: C D F A
E moll: D E G H

Der Zufallgenerator wuefelt aus, ob es sich um eine Viertel-,
Achtel- oder halbe Note handeln soll und sucht sich dann aus
dieser "Harmonietabelle" _voellig zufaellig_ einen dieser
jeweils 4 Toene fuer die Melodie aus.

Hinter einem Achtelton (der ja betont ist) folgt ein zweiter,
unbetonter Achtelton, wobei das Harmonieschema abgeschaltet
wird, d.h. das unbetonte Achtel darf auch mal disharmonisch sein.

Das ist im Prinzip alles - und es hoert sich wirklich nach Musik an!


> Die Erwartungen an den naechsten Ton sind so gesehen zwar
> bestimmt, aber nicht festgelegt, sondern vielmehr statistischer
> Art. Das soll heissen, dass man mit einer bestimmten
> Wahrscheinlichkeit die Fortsetzung der Tonfolge aufgrund der
> bislang gehoerten Toene erwartet. Verschiedene Intervalle sind
> verschieden wahrscheinlich, je unwahrscheinlicher, desto
> disharmonischer. Und umgekehrt. Dies gilt jedenfalls fuer
> Kinderlieder und kommerzielle Volksmusik, aber sicher nicht
> fuer Jazz.

Gerade fuer Jazz habe ich mal ein Beispiel im Fernsehen gesehen.
Ein Computer hatte mehrere Dixieland-Stuecke analysiert und
daraus einen neuen Dixieland komponiert. Allerdings moechte ich
behaupten: ob ein Titel wie ein Dixieland klingt, liegt wohl
weniger an der Melodiestruktur als an der Instrumentierung.


> virtuellen Toene und der Rhythmuswahrnehmung. Bei einem
> virtuellen Ton handelt sich um einen besonders tiefen Basston
> einer Orgel, wenn zwei tiefe Toene mit einem Quintabstand
> gespielt werden (s. Parncutt in Bruhn, H./ Oerter, R./ Roesing,
> H. (Hrsg.), 1995: Musikpsychologie - Ein Handbuch, Reinbeck bei
> Hamburg: rowohlts enzyklopaedie: 670ff). Der dann wahrgenommene
> Ton ist objektiv physikalisch nicht vorhanden, weil er unter
> dem tiefsten der tatsaechlich gespielten Toene liegt.

Interessant! Dieses Phaenomen habe ich auch bei meinem Akkordeon
entdeckt, allerdings eher bei hohen Toenen. Ich wuerde das aber
nicht "virtuellen Ton" nennen, sondern einfach eine Interferenz:


## ### ### ### ### ### ###
C ### ### ### ### ### ### ###

## ## ## ## ## ## ## ## ## ## ##
G ## ## ## ## ## ## ## ## ## ##

## ## ## ##
ergibt ## ## ## ##

wobei ich nur die Teile dargestellt habe, wo sich die
beiden originalen Wellentaeler und -berge addieren.
Jedenfalls: bei einer Quint (Frequenzverhaeltnis 1:1,5)
ergibt sich zwangslaeufig eine Interferenz mit der halben
Frequenz.

Robert Wachinger

unread,
Jan 5, 1997, 3:00:00 AM1/5/97
to

Hi,

In de.sci.misc Paul Lenz <pro...@sampo.han.de> wrote:
> ma...@maroki.netzservice.de (Martin Rost) schrieb am 02.01.97:

> > Nun die These, die zunaechst nur duerr aussieht: Ich vermute,


> > dass das menschliche Bewusstsein anhand des gerade erklingenden
> > Tones Erwartungen an den naechstfolgenden Ton ausbildet.
> > Solange solche Erwartungen vom gegenwaertigen ausgehend an den
> > naechstfolgenden Ton haeufig genug erfuellt werden und sich
> > dann sofort wieder neue Erwartungen ausbilden, solange ist das
> > Bewusstsein bereit, eine Tonfolge als eine Gestalt
> > wahrzunehmen, die in-sich stimmt, schoen, spannend oder einfach
> > interessant klingt.

> Dem muss ich widersprechen. Die Tonfolge als solche ist ziemlich


> nebensaechlich. Dagegen gibt es eine Erwartungshaltung gegenueber
> Akkorden. Beginnt man z.B. mit C-dur und E-dur, muss darauf
> zwangslaeufig A-moll folgen, etwas anderes ist kaum vorstellbar.

Du argumentierst zu lokal (möchte fast "provinziell" schreiben ;-))
Deine Gegen-These wird sofort ungültig, wenn man Musik hat, die keinen Harmonik-
Begriff besitzt (modaler Jazz, aber auch aussereuropäische Musik, wie z.B.
die Arabische Musik, die keine Mehrstimmigkeit kennt).
Hingegen wird deine durch Akkordfolgen bestimmte Melodik auch durch Martins
These mit abgedeckt (Du schreibst ja unten selbst, daß aufgrund der Akkord-
folge gewisse Folgetöne erwartet werden).

Servus, Robert

--

Robert Wachinger rob...@UmKalsum.camelot.de


Martin Rost

unread,
Jan 6, 1997, 3:00:00 AM1/6/97
to

Paul Lenz (pro...@sampo.han.de) wrote:

: Dem muss ich widersprechen. Die Tonfolge als solche ist ziemlich


: nebensaechlich. Dagegen gibt es eine Erwartungshaltung gegenueber
: Akkorden. Beginnt man z.B. mit C-dur und E-dur, muss darauf
: zwangslaeufig A-moll folgen, etwas anderes ist kaum vorstellbar.

Ist es zulaessig, einen Akkord als einen Gesamtton anzusehen?
"Fourieranalytisch" ist ein Akkord ja nichts anderes. Im Zusammenhang
von Erwartungen schrieb ich von Toenen und meinte auch Akkorde. Aber
an Deinem Hinweis ist sicher etwas dran: Akkorde grenzen deshalb
Erwartungen womoeglich noch staerker als etwa einzelne Sinustoene
ein, weil die noch so gerade unterscheidbaren einzelnen Toene des
Akkords jeder fuer sich den Erwartungsbereich an den naechsten Ton/
Akkord einschraenken. So gesehen addieren sich in einem Akkord die
einzelnen Erwartungswahrscheinlichkeiten - aber nur so lange, so
lange die Toene des Akkords unterscheidbar bleiben.

: Das ist im Prinzip alles - und es hoert sich wirklich nach Musik an!

Hast Du vor, Dein Geraet als Midi-Programm umzusetzen? Ich wuerde
gern damit experimentieren...

: > virtuellen Toene und der Rhythmuswahrnehmung. Bei einem


: > virtuellen Ton handelt sich um einen besonders tiefen Basston
: > einer Orgel, wenn zwei tiefe Toene mit einem Quintabstand
: > gespielt werden (s. Parncutt in Bruhn, H./ Oerter, R./ Roesing,
: > H. (Hrsg.), 1995: Musikpsychologie - Ein Handbuch, Reinbeck bei
: > Hamburg: rowohlts enzyklopaedie: 670ff). Der dann wahrgenommene
: > Ton ist objektiv physikalisch nicht vorhanden, weil er unter
: > dem tiefsten der tatsaechlich gespielten Toene liegt.

: Interessant! Dieses Phaenomen habe ich auch bei meinem Akkordeon
: entdeckt, allerdings eher bei hohen Toenen. Ich wuerde das aber
: nicht "virtuellen Ton" nennen, sondern einfach eine Interferenz:

Nur fuer's Protokoll: Nicht ich nenne diese Toene "virtuell", sondern
sie werden u.a. von Parncutt im Musikpsychologie-Handbuch so genannt.

: ## ### ### ### ### ### ###


: C ### ### ### ### ### ### ###

: ## ## ## ## ## ## ## ## ## ## ##
: G ## ## ## ## ## ## ## ## ## ##

: ## ## ## ##
: ergibt ## ## ## ##

(Klasse, was man mit ASCII so alles machen kann ...)

Muesste das Ergebnis nicht vielmehr folgendendermassen aussehen?

## # ## # ## # ## #
## # ## # ## # ##

: wobei ich nur die Teile dargestellt habe, wo sich die
: beiden originalen Wellentaeler und -berge addieren.
: Jedenfalls: bei einer Quint (Frequenzverhaeltnis 1:1,5)
: ergibt sich zwangslaeufig eine Interferenz mit der halben
: Frequenz.

Wenn ich mich nicht geirrt habe, so erhielte man keine
Frequenzteilung, also keinen Interferenzton im Abstand einer Oktave.
Aber um die Oktave geht es:
"Durch die Mixtur eines tiefen Tones mit seiner Quinte laesst sich
der Eindruck eines Tons hervorrufen, der eine Oktave unter dem tiefer
erklingenden Ton liegt. Der wahrgenommene Ton ist als Teilton
physikalisch nicht vorhanden..." (Bruhns et al. 1995, Seite 456)

Ich kann auch nicht glauben, dass die Musiktheoretiker nicht laengst
auf diese doch einfache Erklaerung der virtuellen Toene gekommen
waeren. Sollte sie aber doch stimmen, gilt es, an Bruhns einen Brief
aufzusetzen...

Gruss, Martin

Paul Lenz

unread,
Jan 6, 1997, 3:00:00 AM1/6/97
to

rob...@umkalsum.camelot.de (Robert Wachinger) schrieb am 05.01.97:

> Deine Gegen-These wird sofort ungültig, wenn man Musik hat, die

> keinen HarmonikBegriff besitzt (modaler Jazz, aber auch


> aussereuropäische Musik, wie z.B. die Arabische Musik, die
> keine Mehrstimmigkeit kennt).

Schoen - aber wird dort eine Tonfolge in der Melodie erwartet?


> Hingegen wird deine durch Akkordfolgen bestimmte Melodik auch
> durch Martins These mit abgedeckt (Du schreibst ja unten

> selbst, daß aufgrund der Akkordfolge gewisse Folgetöne erwartet
> werden).

Nein, ich habe nur geschrieben, dass eine gewisse Akkordfolge
erwartet wird. Die Folgetoene muessen zwar harmonisch zum
jeweiligen Akkord sein, brauchen aber nicht im Zusammenhang mit
den vorausgegangenen Toenen zu stehen.

Juergen Gaertner

unread,
Jan 6, 1997, 3:00:00 AM1/6/97
to

wolfaefg (Wolfgang Schwanke) schrieb am 30.12.96 zum Thema
Re: Die Tonleiter:

>Das Grundprinzip ist, dass als "harmonisch" empfundene Intervalle
>Frequenzverhaeltnisse kleiner ganzer Zahlen sind.
[...]
>Fuer C-Dur:


>d = 9/8, e = 5/4, f = 4/3, g = 3/2, a= 5/3, h = 15/8

[...]
>So ergibt sich die "reine Stimmung". [Die "temperierte Stimmung", nach
>der Klaviere gestimmt sind, macht ein paar geringfuegige Korrekturen
>zur Vereinfachung, um die eigentlich unterschiedlichen Nachbarhalbtoene -
>z.B. cis und des - auf denselben Ton zu schieben. Ohne diese Massnahme
>haetten Klaviere viel mehr Tasten.]
>Harmonie hat also was mit einfacher Arithmetik zu tun, und ist insofern
>nicht willkuerlich.

Die Sache ist offensichtlich noch viel schwieriger, als ich zunaechst
angenommen habe. Das mit den Frequenzverhaeltnissen kleiner ganzer Zahlen
leuchtet mir ein. Wahrscheinlich war das der Ursprung ("reine Stimmung")
und der konstante Abstand von zwoelfte Wurzel aus zwei ("temperierte
Stimmung") wurde erst spaeter eingefuehrt.
Nur so zum Vergleich versuch' ich die Tabelle fuer eine Oktave nochmal,
obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die Frequenzen der reinen Stimmung so
richtig sind, denn Michael Kalus schreibt, die Basis sei ein C bei 16 Hz:

reine Stimmung temperierte Stimmung
Frequenzver- Frequenz
haeltnis zu c
-------------------------------------------------------------
c 1 264.00 261.63
des (cis) 16/15 281.60 277.18
d 9/8 297.00 293.66
es (dis) 6/5 316.80 311.13
e 5/4 330.00 329.63
f 4/3 352.00 349.23
fis 45/32 371.25 369.99
g 3/2 396.00 392.00
as (gis) 8/5 422.40 415.30
a 5/3 440.00 440.00
b (ais) 9/5 475.20 466.16
h 15/8 495.00 493.88 in Hertz


Viele Fragen, korrigiert mich, wenn ich Stuss schreibe:
Ist das "des" der reine Ton, basierend auf den Frequenzverhaeltnissen
kleiner ganzer Zahlen, waehrend das "cis" der temperierte Ton, basierend
auf dem konstanten Abstand ist?

Gut, dann wird mir nach der reinen Stimmung auch ein Dreiklang klar, z.B.
c-e-g. Wenn c 6 Schwingungen gemacht hat, hat e 7 1/2 und g 9
Schwingungen hinter sich und alle erreichen zur gleichen Zeit den
Nulldurchgang. Nur, wer sagt denn, dass die Phase stimmt? Stehende Wellen
bekomme ich doch nur, wenn die Phase abgeglichen ist. Das kann ich mir
aber allenfalls in einem Sythesizer vorstellen?

Alles in Allem ist mir doch Vieles jetzt klarer geworden und ich bedanke
mich fuer Eure Aufklaerung.

Manches scheint wohl auch einfach historisch festgelegt zu sein und es ist
halt jetzt so (z.B. dass man die Noten auf 5 Linien schreibt und dass die
Halbtoene mit ulkigen # und b gekennzeichnet werden).

Wie einfach wuerde doch das Erlernen eines Instruments sowie der Noten
wenn man 6 Linien haette, die genau eine Oktave abdecken, mit den Toenen
a,b,c,d,e,f,g,h,i,j,k,l, temperiert nach obiger Tabelle und fuer alle
Instrumente gleich. Die Linien a,c,e,g,i,k waeren dann die weissen Tasten
und die Zwischenraeume b,d,f,h,j,l die schwarzen Tasten. Einfach, genial
und geschmacklos.

Aber es ist halt nicht so, genauso wie wir leider mit dem Dezimalsystem
leben muessen und nicht mit dem Hexadezimalsystem, und dass unsere Kinder
Deutsch lernen und nicht Esperanto.

Robert Wachinger

unread,
Jan 7, 1997, 3:00:00 AM1/7/97
to

Hi,

In de.sci.misc Paul Lenz <pro...@sampo.han.de> wrote:

> rob...@umkalsum.camelot.de (Robert Wachinger) schrieb am 05.01.97:

> > Deine Gegen-These wird sofort ungültig, wenn man Musik hat, die
> > keinen HarmonikBegriff besitzt (modaler Jazz, aber auch
> > aussereuropäische Musik, wie z.B. die Arabische Musik, die
> > keine Mehrstimmigkeit kennt).

> Schoen - aber wird dort eine Tonfolge in der Melodie erwartet?

Ich denke schon. (genauer kann ich es nicht sagen, ich bin auch mit unserer
europäischen Musik aufgewachsen ;-))

> > Hingegen wird deine durch Akkordfolgen bestimmte Melodik auch
> > durch Martins These mit abgedeckt (Du schreibst ja unten
> > selbst, daß aufgrund der Akkordfolge gewisse Folgetöne erwartet
> > werden).

> Nein, ich habe nur geschrieben, dass eine gewisse Akkordfolge
> erwartet wird. Die Folgetoene muessen zwar harmonisch zum
> jeweiligen Akkord sein, brauchen aber nicht im Zusammenhang mit
> den vorausgegangenen Toenen zu stehen.

Martins These besagt aber doch (so ich richtig verstanden habe), daß
bestimmte Musik als "besser" oder "schlechter" eingeschätzt wird, in
Abhängigkeit davon, wie die Erwartungen erfüllt werden.
(Ich kann diese These gut nachvollziehen, sie hat mir recht einfach
erklärt, warum manche Leute z.B. Schlager oder Volkstümliches so sehr lieben
und andere regelrecht davon gequält werden).

Das gilt m.E. genauso für Erwartungen, die durch eine Akkordfolge verursacht
werden.


Nichts für ungut,

Martin Rost

unread,
Jan 8, 1997, 3:00:00 AM1/8/97
to

Hallo allerseits,

: > Sollte sie aber doch stimmen, gilt es, an Bruhns einen Brief
: > aufzusetzen...

: Gute Idee. Hast Du die Adresse?

Jo, aus dem Musikpsychologie-Handbuch, Seite 2:
Prof. Herbert Bruhn, Christian Albrechts Universit„t Kiel, Institut
f r Žsthetische Bildung, Olshausenstr. 75, 24118 Kiel

Ich hatte Bruhn schon mal aufgesucht und mit ihm gesprochen. Er wirkte
ausgesprochen nett und zugaenglich.

Wenn Du Dir sicher bist, dann schreibe doch wirklich den Brief! Und
berichte vom Ergebnis.

Gruss, Martin

Paul Lenz

unread,
Jan 8, 1997, 3:00:00 AM1/8/97
to

rob...@umkalsum.camelot.de (Robert Wachinger) schrieb am 07.01.97:

> Martins These besagt aber doch (so ich richtig verstanden habe), daß
> bestimmte Musik als "besser" oder "schlechter" eingeschätzt wird, in
> Abhängigkeit davon, wie die Erwartungen erfüllt werden.
> (Ich kann diese These gut nachvollziehen, sie hat mir recht einfach
> erklärt, warum manche Leute z.B. Schlager oder Volkstümliches so sehr
> lieben und andere regelrecht davon gequält werden).

Dies hat m.E. ueberhaupt nichts mit der Melodie zu tun, sondern
vor allem mit der Instrumentierung. Wenn z.B. die "Toten Hosen"
eine Volks-Melodie bearbeiten, wirst Du das Ergebnis bestimmt
Rock nennen, obwohl die Tonfolge 100%ig die gleiche geblieben ist.

Lonely Locke

unread,
Jan 9, 1997, 3:00:00 AM1/9/97
to

On 08 Jan 1997 20:24:00 +0100 Paul Lenz wrote in de.sci.misc :
: Dies hat m.E. ueberhaupt nichts mit der Melodie zu tun, sondern

: vor allem mit der Instrumentierung. Wenn z.B. die "Toten Hosen"
: eine Volks-Melodie bearbeiten, wirst Du das Ergebnis bestimmt
: Rock nennen, obwohl die Tonfolge 100%ig die gleiche geblieben ist.

Das wiederum besagt auch nicht viel mehr als das Rock und Volksmusik
ziemlich eng verwandt sind. Nimm zum Beispiel etwas aus der Klassik und
spiele es auf Rock-Instrumentarium und das Ergebnis wird nicht ein
Rocksong sondern "Klassik auf Rock-Instrumenten" sein.
Nimm etwas aus einem ganz anderen Kulturkreis und man wird es
"World-Music" nennen.

CU,
_ __ ___ _ __ ___ \\|||//
| | / \ / _/| |/ /| _| NP: / @ @ \
| |__| || || |_ | \ | _| Phillip Boa & The Voodooclub (| \ |)
|____|\__/ \__\|_|\_\|___| "Philister" \__=__/
| |


Thomas P. Braun

unread,
Jan 9, 1997, 3:00:00 AM1/9/97
to

Paul Lenz wrote:
[...]
>
> Aber mal anders herum: gibt es eine Kultur auf der Erde,
> die einen reinen Dur-Akkord als disharmonisch und unangenehm
> empfindet?
>

Ja, die mitteleuropaeische z.B. im Jahre 1000. Dort galten nur 'reine'
Intervalle (Quinten und Quarten) als harmonisch (und ganz nebenbei:
der 3-er Takt galt als obszoen).

So aendern sich die Geschmaecker ...

Gruss,

Thomas

Michael Kalus

unread,
Jan 9, 1997, 3:00:00 AM1/9/97
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)
auch ich lerne gerade erst diese Zusammenhönge zu verstehen.

> Nur so zum Vergleich versuch' ich die Tabelle fuer eine Oktave
> nochmal, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die Frequenzen der
> reinen Stimmung so richtig sind, denn Michael Kalus schreibt, die
> Basis sei ein C bei 16 Hz:

Ja. Die sogenannte "physikalische Stimmung" hat als subkontra c 16 HZ.
Damit sind im Experimentiersaal dann die Teilungen leichter
nachzuvollziehen. Schwebungen und Differenztöne können ermittelt werden.
Dies ist also eine ganz willkürliche Setzung der Experimentatoren. Oder
besser gesagt - man hat sich an die Musikpraxis 'angelehnt', sie aber für
die eigenen Zwecke etwas 'verbogen'. Wenn du die temperierte Stimmung
weiter runter ins subkontra rechnest, kommst du auf c 16,35 Hz.
Daher also das.

Die Fruequenztabelle sieht dann nämlich so aus:
Oktave: subcontra
Ton (Hz)
c 16
d 18
e 20
f 21 1/3
g 24
kleines a 26 2/3
h 30
Die nächst höhere Oktave ist dann doppelt so hoch:
c: 32, 64, 128 usw. oder h: 60, 120, 240 usw.
Geht dann auch ohne Taschenrechner :)

> Viele Fragen, korrigiert mich, wenn ich Stuss schreibe:
> Ist das "des" der reine Ton, basierend auf den Frequenzverhaeltnissen
> kleiner ganzer Zahlen, waehrend das "cis" der temperierte Ton,
> basierend auf dem konstanten Abstand ist?

Nein. In der temperierten Stimmung sind CIS und DES gleich.
Die KLangprobleme entstehen auch nicht, wenn nur EIN Ton oder Instrument
spielt. Auch nicht wenn menschliche Stimme oder Geige zusammen mit
temperiertem Instrument erklingen, denn die die "freie" Intonation dieser
Stimmen passt sich der festen Stimmung des Klavieres an.
Die Probleme entstehen erst wenn verschiedene fest gestimmte Instrumente
zusammen spielen sollen und diese dann auch noch verschieden gestimmt
sind. Also z.B. Keyboard und Trompete. Keyboard temperiert, Trompete
harmonisch natürlich schwingend. Und dann lange Intervalle, über Oktaven
in einer Tonart die nicht Grundton der Trompete ist! Da kommt Verzweiflung
auf.
Ganze Bands sollen an diesen Mißklängen schon zerbrochen sein, weil sie
die physikalischen Grenzen nicht beachtet haben, sondern alles über den
Keyboard oder Guitarrenleisten der temperierten Stimmung schlagen wollten.

> Gut, dann wird mir nach der reinen Stimmung auch ein Dreiklang klar,
> z.B. c-e-g. Wenn c 6 Schwingungen gemacht hat, hat e 7 1/2 und g 9
> Schwingungen hinter sich und alle erreichen zur gleichen Zeit den
> Nulldurchgang. Nur, wer sagt denn, dass die Phase stimmt? Stehende
> Wellen bekomme ich doch nur, wenn die Phase abgeglichen ist. Das kann
> ich mir aber allenfalls in einem Sythesizer vorstellen?

Dem Ohr ist es egal, ob die Phasenlage gleich ist oder nicht. Die
Frequenzen werden an verschiedenen Stellen in der Schnecke des Innenohres
registriert. Parallel sozusagen.
Stehende Wellen existieren nur im einzelnen Instrument. Im Rohr der
Trompete, der Orgelpfeife, der einzelnen Guitarrensaite. Wir hören diese
gleichzeitig gespielten Töne dann an verschiedenen Stellen im Hörorgan.

> Alles in Allem ist mir doch Vieles jetzt klarer geworden und ich
> bedanke mich fuer Eure Aufklaerung.

Schließe mich an. War - ist - anregend :-)

mka

Paul Lenz

unread,
Jan 9, 1997, 3:00:00 AM1/9/97
to

ma...@maroki.netzservice.de (Martin Rost) schrieb am 08.01.97:

> Wenn Du Dir sicher bist, dann schreibe doch wirklich den Brief!
> Und berichte vom Ergebnis.

Das werde ich tun!

Ich habe ein kleines BASIC-Programm geschrieben, das das Ganze
schoen illustriert:

SCREEN 12
FOR x = 1 TO 600
y1 = 10 * SIN(x / 12)
y2 = 10 * SIN((x - 19) / 8)
PSET (x, y1 + 100)
PSET (x, y2 + 150)
PSET (x, y1 + y2 + 200)
NEXT

Diese Grafik werde ich in den Brief einfuegen, und dann werden
wir sehen...

Markus Selve

unread,
Jan 10, 1997, 3:00:00 AM1/10/97
to

Juergen Gaertner (J.Gae...@t-online.de) wrote:

: wolfaefg (Wolfgang Schwanke) schrieb am 30.12.96 zum Thema
: Re: Die Tonleiter:

: >Das Grundprinzip ist, dass als "harmonisch" empfundene Intervalle
: >Frequenzverhaeltnisse kleiner ganzer Zahlen sind.
: [...]
: >Fuer C-Dur:
: >d = 9/8, e = 5/4, f = 4/3, g = 3/2, a= 5/3, h = 15/8

Diese Frequenzverhaeltnisse gelten ja fuer alle dur-Tonleitern. Die
Halbtonschritte, die bei einem anderen Grundton als c noetig werden, werden
dann halt in den verschiedenen anderen Dur-Tonarten noch eingefuegt. Bei den
Molltonarten in der temperierten Stimmung sind es ja die gleichen Toene wie
bei den Durtonarten. Wie ist aber Moll in der reinen Stimmung? Was sind da
die Frrequenzverhaeltnisse?

[...]

--
Markus Selve
Tel. +49 711 685 - 4897
Fax 4886
WWW page: http://s.pi1.physik.uni-stuttgart.de/selve/
PGP public key and Geek Code available on WWW page

Paul Lenz

unread,
Jan 11, 1997, 3:00:00 AM1/11/97
to

tbr...@simaix.mpi-stuttgart.mpg.de (Thomas P. Braun) schrieb am 09.01.97:

Das habe ich auch schon gehoert, dass frueher die Terz als
Missklang galt. Das soll aber nicht an der Terz gelegen haben,
sondern an der damaligen Stimmung. Erst die temperierte Stimmung
hat aus der Terz einen Wohlklang gemacht.

Und das "diabolische" Intervall (oder so aehnlich), zum Beispiel
C-Fis, klingt auch heute noch schrecklich.

Wolfgang Schwanke

unread,
Jan 11, 1997, 3:00:00 AM1/11/97
to

J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) writes:

>Nur so zum Vergleich versuch' ich die Tabelle fuer eine Oktave nochmal,
>obwohl ich mir nicht sicher bin, ob die Frequenzen der reinen Stimmung so
>richtig sind, denn Michael Kalus schreibt, die Basis sei ein C bei 16 Hz:

> reine Stimmung temperierte Stimmung


> Frequenzver- Frequenz
> haeltnis zu c
>-------------------------------------------------------------
> c 1 264.00 261.63
> des (cis) 16/15 281.60 277.18
> d 9/8 297.00 293.66
> es (dis) 6/5 316.80 311.13

Da kann was nicht stimmen. Der Unterschied zwischen "reiner" und
"temperierter" Stimmung ist, dass bei der reinen des ungleich cis,
es undgleich dis ist usw. ... Sie duerfen deshalb nicht in derselben
Zeile auftreten.

Nur bei der temperierten Stimmung schiebt man sie "mutwillig"
auf dieselbe Mittelfrequenz und zerstoert so die urspruenglichen
Zahlenverhaeltnisse.


Gruss

wolfgang

--
Elektropost: wo...@cs.tu-berlin.de | wo...@berlin.snafu.de | wo...@techno.de
WeltweitesSpinnweb: http://www.snafu.de/~wolfi/
IRC: wolfi | htrae no ecalp a nevaeh ekam ll'eW
RealLife: Wolfgang Schwanke | tsrif semoc evol nevaeh ni yas yehT

Paul Lenz

unread,
Jan 11, 1997, 3:00:00 AM1/11/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 09.01.97:

> > In meinem Beispiel sind das Melodietoene, die die gleichen sind,
> > aus denen auch der dazu gespielte Akkord aufgebaut ist plus die
> > Sexte.
>
> Fein. Mit der Sexte haette man noch im fruehen 19. Jhdt. unter
> lauten Fluechen Dein Konzert verlassen ;-)

Tatsaechlich? Dann muss doch irgend jemand die Sexte gewaltsam
eingefuehrt haben, oder warum konnten wir uns daran gewoehnen?


> Puh, so habe ich das nie gefragt. Aber ich habe in einigen
> aelteren Dokumentationen bulgarische und korsische Folklore
> gehoert, da war kaum ein Dur-Akkord drin. Ich fand es schlicht
> und ergreifend zum Weglaufen.

Waren da nun disharmonische Akkorde drin oder gar keine?
Ich kann mir unter Deiner Beschreibung leider nichts konkretes
vorstellen.


> Aber wenn die so herzlich Dur-Akkorde meiden, dann werden die
> sich nicht gerade in die Dinge verliebt haben....

Fanden sie die Akkorde unaesthetisch oder nur langweilig?


> Und im fruehen Mittelalter gab es Traditionen mit
> Quartparallelen und Quintparallelen, vor allem aber wohl
> Quartparallelen. Das klingt dann auch immer ganz spannend ;-)

Da hoert's bei mir leider auf. Kannst Du mir bitte mal
die Tonfolge von diesen Dingen aufschreiben?

Michael Kalus

unread,
Jan 12, 1997, 3:00:00 AM1/12/97
to

Hi, Detlef (det...@jojo.escape.de)

> > Und das "diabolische" Intervall (oder so aehnlich), zum Beispiel
> > C-Fis, klingt auch heute noch schrecklich.
>

> Ein Tritonus? Ist ein herrlich interessantes Intervall. Das ist
> auch nur eine Hoergewohnheit. Ich finde auch scharfe "Dissonanzen"
> oft sehr reizvoll.
>
Das "diabolische" Intervall braucht glaub ich noch etwas Erklärung:

In der italienischen Solmisation "ut (später so), re, mi, fa, sol, la"
galt die Regel "mi contra fa, diabolus in musica" :-)

Die Solmisation buchstabiert geht so: a,b,c,d,e,f,g (Hexacordum durum
primum). Ausgehend vom tiefsten noch ganz gut singbaren stimmstarken
Vocal. Die tiefe männliche Stimmlae (italienische: basso) reicht bis A
hinab (110Hz). Nur wenige Sänger schaffen tiefere Töne, den sog. "tiefen
Baß" bis Kontra-B (basso profondo).
Stimmlich begann man Hymnen aber gerne eine Terz (viertel Oktave) höher,
also in c. Die Sechstonskala ging dann c,d,e,f,g,a (Hexacordum naturale
primum).
Eine Quart darüber bei f ist die Reihe f,g,a,h,c,d (Hexacordum molle
primum). Und im Quintenabstand zum c gibt's g,a,h,c,d,e (Hexacordum durum
secundum).
Naturale primum und durum secundum klingen schön harmonisch setzt man sie
gegeneinander in verschiedenen Stimmen. Solange man das mi der einen Reihe
und das fa der anderen Reihe nicht gleichzeitig erklingen lässt! Da diese
im Tonsystem drei ganze Töne weit auseinander sind, nannte man dieses
Interval "Tritonus". (Synonym: `übermäßige Quarte' (c-dur: f-h).

In der Zwölftontechnik halbiert der Tritonus f-h mit seinen 6
Halbtonschritten nun die Oktave und hat so bei symetrischen Klängen und
Reihen eine neue Bedeutung bekommen.

Teuflisch gut, nicht wahr? mka

Michael Kalus

unread,
Jan 12, 1997, 3:00:00 AM1/12/97
to

## Nachricht vom 12.01.97 weitergeleitet
## Ursprung : det...@jojo.escape.de
## Ersteller: mic...@malente.forth-ev.de

Hallo Detlef
(... viel gelöscht, denn ich möchte hier auf eine ganz bestimmte Sache
dieser Disskussion hinweisen)
> Auch gibt es immer wieder das Thema "Charaktere der Tonarten", wo
> eben genau _bestritten_ wird, dass ein Musikstueck in A Dur genauso
> klingt wie in As Dur.
>
> Vielleicht ist das aber doch eher eine Form eines schwaecher
> ausgebildeten Absolutgehoers.
>
> Zu Deiner Tastenanordnung: Als man die ersten Tasteninstrumente
> gebaut hat, war ja die Aufteilung des Tonraumes in unserer heutigen
> Form schon ausgepraegt, wenn ich mich recht erinnere.

Zum Thema Tonart
Die Welt der elektronisch erzeugten Musik und die der physikalisch-
akustisch erzeugten haben verschiedene Probleme! Eine Es-Klarinette und
eine B-Klarinette sind verschieden lang. Auch die Saxophone, eine B-
Posaune oder eine Baßtuba. Ein Banjo klingt nicht wie eine Guitarre, die
Mandoline ist höher gestimmt. Geige oder Cello - alle haben andere
Grungtöne.

- Eine Saite hat eine feste Grundlänge und dicke, der Hals eine feste
Teilung durch Stege. (nur bei den Steichern nicht)
- Ein Rohr hat eine feste Länge. Die Löcher liegen fest (nur bei
Zugposaunen nicht).

Das bestimmt die Möglichkeiten so eines Instrumentes grundlegend. Tiefster
und höchster möglicher Ton sind damit vorbestimmt - das Tonmaterial liegt
fest. Und es ist damit meist auch festgelegt, welche Tonintervalle
vorkommen können. Die Teilungen sind fest vorgegeben . Da ist es nicht so
ohne weiteres möglich, "alles einen halben Ton höher" zu spielen. Oder gar
einfach am "Pitch" ein bischen zu drehen.
Man muß sich schon beim Bau des Instruments festlegen, welche Lage oder
Stimme es einmal haben soll im Zusammenklang mit allen anderen
Instrumenten. Dazu braucht es die "klassische" Vereinbarung. Sonst ist
"große" Musik nicht möglich. Sonst kann man eben nicht große Orchester
bauen. Das bedeutet konkret: Keine Kinomusik, keine Fernsehmusik!
Man bleibt im Dorf und dem wahlfreien Klang dort! Das hat seinen Reiz,
unbestritten. Existiert also nebeneinander. Es darf experimentiert werden
mit Erfindungen aller Art.

In der elektronischen Musik ist das Problem von Bau ins Programm
verlagert. Da setzt nur der menschliche Hörbereich noch die Grenzen.
Stimmen könnte man so ein Tastenbrettinstrument ja eigentlich wie man
möchte, könnte man fix programmieren :-)
Nicht mal eine Tonleiter oder die Tastenbelegung müsste vor dem Spiel
festgelegt werden. Das könnte auch per Sofware jederzeit geschehen. Und in
der Tat sind selbst billige Keyboards heute ja schon mit Akkordautomatik
im Einfingersystem ausgestattet (single finger chord Vereinbarung z.B. von
Yamaha, JVC, Technics). Man drückt ein c links auf der geteilten Klaviatur
und es klingt der c-dur Dreiklang usw. Das kann man noch weiter
'ausspinnen', denke ich mal.

So ist es kein Effekt eines schwach gebildeten Gehörs, wenn in der Tonhöhe
transponierte Musik 'anders' klingt. Jedenfalls nicht wenn sie 'unplugt'
life erklingt. Dreht man etwas am Tempo des Plattentellers oder
transponiert ein Midi-Stück, wied man hingegen keine Klangintervalprobleme
bekommen.

Zur Tastenanordnung: Ja, sie ist das Ergebnis der klassischen Vereinbarung
über das zu verwendende Tonmaterial.

So weit mal. mka

Paul Lenz

unread,
Jan 12, 1997, 3:00:00 AM1/12/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 11.01.97:

> > Tatsaechlich? Dann muss doch irgend jemand die Sexte gewaltsam
> > eingefuehrt haben, oder warum konnten wir uns daran gewoehnen?
>

> Es gibt auch so etwas wie Entwicklungen. Und das 19. Jhdt. bestand
> auch nicht nur aus dem fruehen selbigen.

Ich frage mich aber, wie so etwas funktioniert. Den Offbeat-Rhythmus
kann man langsam und heimlich einbringen und immer lauter werden
lassen. Aber wie ist das bei der Sexte? Oder dem Walzer-Takt, der
ja auch mal verpoent gewesen sein soll? Oder gab es tatsaechlich
eine gewaltsame Einfuehrung, ein grosses Geschrei und dann eine
Gewoehnung wie bei den neuen Postleitzahlen?


> Und als hier der Swing aufkam, war die Gesellschaft schon ganz
> andere Neutoener gewohnt ;-)

Klar, da hatten wir ja sogar schon die Zwoelftonmusik
ueberstanden. :-)


> > Waren da nun disharmonische Akkorde drin oder gar keine?
> > Ich kann mir unter Deiner Beschreibung leider nichts konkretes
> > vorstellen.
>

> Es sind Akkorde drin. Akkorde sind gleichzeitig klingende Toene.

Klar. :-) Es gibt aber auch Musik mit einem einzigen Instrument,
das die Melodie spielt und nur von Percussions begleitet wird.
Deshalb meine Nachfrage.


> Ich weiss nicht mehr, wie die im einzelnen aufgebaut waren, und
> ich habe ein nicht sehr gut ausgebildetes Gehoer, ich koennte
> Dir nicht ohne weiteres so einen Akkord notieren.

Schade, es wuerde mich echt mal interessieren.


> > Fanden sie die Akkorde unaesthetisch oder nur langweilig?
>

> Habe ich nie gefragt. Aber das ist auch fast muessig. Es sind
> einfach andere Hoergewohnheiten. Vermutlich klangen unsere
> Akkorde auch bald interessant, denn heute ist da vieles aus
> alten Traditionen verschwunden.

Ich finde das gar nicht muessig, denn...


> Plattgemacht durch's Radio und durch eine Pop-Musik, die sich
> auf drei Akkorde beschraenkt.

... Musik mit drei Akkorden ist ja auch nicht unbedingt
unaesthetisch.


Dies allerdings ist ein Thema, das sich kaum ausdiskutieren
laesst. Ich finde, der Oldie "Da doo run run" (sp?) hoert sich
gut an, obwohl er nicht nur auf drei Akkorden basiert, sondern
auch noch eine Melodie hat, die aus nur drei Toenen besteht.
Oder der Oldie "Temma Harbour", ein sehr schoenes, romantisches
Lied, das weitgehend nur zwei Begleitakkrode hat.

Andererseits bewundere ich wieder Kompositionen wie "That's Me"
von ABBA, das eine 20taktige Melodie hat, bei der sich kein Takt
wiederholt. 20 Takte sind m.E. absoluter Rekord.


> > > Und im fruehen Mittelalter gab es Traditionen mit
> > > Quartparallelen und Quintparallelen, vor allem aber wohl
> > > Quartparallelen. Das klingt dann auch immer ganz spannend ;-)
> >
> > Da hoert's bei mir leider auf. Kannst Du mir bitte mal
> > die Tonfolge von diesen Dingen aufschreiben?
>

> Spiel einfach mal die Tonfolge von d nach d' oder von e nach e'
> aus dem Tonmaterial der "weissen Tasten".

Ach so - ich dachte, Du sprichst von Akkorden.


> Einige davon (genau weiss ich es ohne Literatur auch nicht
> mehr) sind die alten Kirchentonarten.
>
> Das klingt total ungewohnt, eine Tonleiter
>
> e f g a h c' d' e'
>
> Da wuerde jeder denken, das waere irgendwie komisch.

Nicht, wenn Du wie ich von Deinen Eltern als Kind oft genug in
die Kirche geschleppt wurdest. :-)

Aber da haben wir es wieder: alles Gewohnheit.


> Jetzt weiss ich nicht mehr, wie es in Kirchentonarten genau
> mit Mehrstimmigkeit aussah, die kam da erst ganz langsam auf.

Ich weiss nicht, ob ich faehig waere, zu einer Melodie in
Kirchentonart eine dazu passende Orgel-Begleitung zu schreiben.
Die Akkorde sind mir zwar vertraut, aber trotzdem schwer
nachzuvollziehen.

Paul Lenz

unread,
Jan 12, 1997, 3:00:00 AM1/12/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 11.01.97:

> > Und das "diabolische" Intervall (oder so aehnlich), zum Beispiel


> > C-Fis, klingt auch heute noch schrecklich.
>
> Ein Tritonus? Ist ein herrlich interessantes Intervall.

Kommt drauf an. Fuegt man ein D und ein A hinzu, hat man einen
schoenen D-dur-Septakkord.


> Das ist auch nur eine Hoergewohnheit. Ich finde auch scharfe
> "Dissonanzen" oft sehr reizvoll.

Es gibt auch einen Akkord, in dem die Toene E, F, G, Gis und H
vorkommen. Der Trick ist, die Toene auseinanderzuziehen:
im Bass eine tiefe G-Oktave und im Diskant der Akkord f-gis-h-e'.
(Dann aber ganz schnell ein C-dur dahinter setzen!)

Michael Kalus

unread,
Jan 12, 1997, 3:00:00 AM1/12/97
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)

Zum Stichwort Tonhöhenanpassung

> Aber wieso denn? Gerade das wird doch total einfach. Nehmen wir an,
> die 12er Teilung ist ausreichend fein, um die gaengigsten
> existierenden Stuecke spielen zu koennen. Ansonsten erfinden wir halt
> z.B. 16 temperierte Toene fuer eine Oktave (Abstand immer 16. Wurzel
> aus 2). So und jetzt hast Du ein Klavier mit nur weissen Tasten. Wenn
> Deinem Saenger d-Jiddisch zu hoch ist, dann rueckst Du halt mit
> Deinem Stuhl ein Stueck nach links. Wie weit, mit welcher Taste Du
> anfaengst, ist egal. Wichtig sind dann nur noch die Abstaende zu den
> folgenden Noten. Das ganze Notensystem wird dann sozusagen relativ.
> Aber das entspricht doch genau den Eigenschaften des menschlichen
> Gehoers. Wer hoert denn schon exact ein a als 440 Hz heraus? Anders
> bei einer Tonfolge. Das Delta muss stimmen, sonst wellt sich bei
> Manchem das Trommelfell.
>
> Aber ich merk' schon, solche Klaviere sind wohl doch eher was fuer
> Raumschiff Enterprise.
Na ja, die Zukunft hat soeben begonnen :)
Die Anpassung der Tonhöhen an Sänger ist *das* Thema der Musik seit Alters
her. Was hat man nicht alles schon unternommen um diesem Ziel nahe zu
kommen. Instrumente mit gleitender Intonationsmöglichkeit wurden erfunden:
Streicher, Zugposaune, Harfe. Und gigantische Orgeln die alle Tone
gleichzeitig parat haben.
Und die Tasteninstrumente aller Zeiten versuchten eben dies durch so viel
Tasten wie möglich zu erreichen und haben das je nach Stand des Handwerks
ja auch recht ordentlich geschafft durch die Vereinbarung der
"temperierten Stimmung". Dabei "abwärtskompatibel" zu einseitigeren
Instrumenten. Mit dem frei durchstimmbaren Keyboard mit Microprozessoren
ist jetzt ja ein weiteres Instrument mit gleitender Intonation
hinzugekommen (Pitch einstellbar).

Allerdings verlässt man damit dann die klassischen akustischen Instrumente
und macht rein "synthetische" Klänge. Unsere tägliche Radiomusik ist ja
voll davon (Enjoy Radio hier im Norden z.B.)

Paul Lenz

unread,
Jan 14, 1997, 3:00:00 AM1/14/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 13.01.97:

> Groesser. Ein groesseres Geschrei. Versuch mal, Kritiken von
> Eduard Hanslick, so Wien, 1870 zu kriegen, wie der Dinge
> von Liszt etc. besprochen hat.
>
> Dagegen sind Marcel Reich-Ranickis schlimmste Faekalverteilungen
> wohl fast schon wahre Lobeshymnen ;-)

War das damals so ueblich? Ich kenne ein paar Absaetze, in denen
v. Goethe seine Meinung ueber das Rauchen ablaesst - auch nicht
gerade zimperlich.


> Wie Dein Computer, der dann, ohne Dich beleidigen zu wollen,
> vermutlich gleichermassen gefaellige Beliebigkeiten wie beliebige
> Gefaelligkeiten zusammenfummelt, die Du noch irgendwie rhythmisierst,
> und dann hast Du so in etwa den Mix, der heute bei MTV den
> ganzen Tag durch den Aether dudelt.

Dieser Vergleich ist nicht ganz gerechtfertigt. Meine Elektronik
(kein Computer!) wirkt auf die Dauer langweilig, aber im Gegesatz
zu MTV faellt sie nicht auf die Nerven.


> Zusammengestrickte Midi-Konserven mit ein bisschen "aussehenden"
> Pueppchen dazu und fertig ist Milli Vanilli.

Ja, Tanzen ist heutzutage wichtiger als Singen.


> > Oder der Oldie "Temma Harbour", ein sehr schoenes, romantisches
> > Lied, das weitgehend nur zwei Begleitakkrode hat.
>

> Sicher. Aber irgendwann greift es sich ab ;-)

KEINE meiner CDs mag ich zweimal hintereinander hoeren.

Paul Lenz

unread,
Jan 14, 1997, 3:00:00 AM1/14/97
to

det...@jojo.escape.de (Detlef Bosau) schrieb am 13.01.97:

> Wie ist eine Klarinette gebaut? Laeuft da das Klappensystem in
> temperierten Halbtonschritten?

Im Prinzip ja. Es gibt z.B. nur ein Klappe fuer Dis/Es.


> Bei einer Trompete ist das deutlich problematischer. Dort sind
> in den Ventilen die kleine und die grosse Sekunde und die
> kleine Terz realisiert, damit wird der Ton veraendert.

Bei beiden Instrumenten kann man durch die Art des Anblasens
sowieso die Tonhoehe in gewissen Grenzen "nachjustieren", womit
sich die Frage nach der Stimmung wohl eruebrigt.

Juergen Gaertner

unread,
Jan 15, 1997, 3:00:00 AM1/15/97
to

detlef (Detlef Bosau) schrieb am 13.01.97 zum Thema
Re: Die Tonleiter:

>Bei einer Trompete ist das deutlich problematischer. Dort sind


>in den Ventilen die kleine und die grosse Sekunde und die kleine Terz

>realisiert, damit wird der Ton veraendert. Da sind die Kombinationen
>schon schwieriger, weil ich hier eben keine temperierten Intervalle
>realisiere, wenn ich die Ventilzuege (bei Zylinderventilen) nach "Gehoer"
>stimmme, denn dort wird allerdings rein gestimmt, weil wir auch
>dort nach Obertoenen hoeren.

Das war ja meine anfaengliche Vermutung, dass die Oberwellen irgendwie
wieder ganzzahlig zusammen passen muessen. Aber wenn man das ausrechnet,
da kommen lauter krumme Werte raus. Was waere wirklich, wenn Du die
Trompete "temperiert" stimmen wuerdest? Ich kann mir nicht vorstellen,
dass das nicht genau so gut gehen sollte. Die Trompeten sind halt nicht so
gebaut - ok. Aber gibt es einen Grund ausser dem, dass es historisch so
festgelegt wurde. Die anfaengliche Frage war doch, was ist eigentlich
harmonisch? Und als Antwort hat sich herauskristallisiert: Harmonisch sind
moeglichst kleine ganzzahlige Frequenzverhaeltnisse. Die Ueberlagerung der
Wellenzuege einer Harmonie (also mehrere unterschiedlicher Toene)
wiederholt sich dann nach relativ kurzen Zyklen.

Mir will nur im Moment noch nicht eingehen, was das fuer das Ohr fuer ein
Vorteil sein soll. Nehmen wir nochmal den Akkord c-e-g. c macht 4
Schwingungen, e macht 5 Schwingungen und g macht 6 Schwingungen. Danach
faengt alles wieder von vorne an. Das heisst, der Akkord c-e-g hat in
seiner Ueberlagerungsstruktur einen Periodendauer von 4 mal Grundton c.
Oder anders gesagt, seine Frequenz ist c/4. Das macht fuer ein c von 264
Hz eine Frequenz des Akkords von 66 Hz aus. Hoert man diesen Ton dann
zusaetzlich? Nimmt man das wahr?

Wenn ich den gleichen Akkord mit temperierten c-e-g spiele, geht die
Frequenz des Akkords gegen 0. Hoert sich das so gravierend anders an? Ich
meine, warum ist man damals, als das alles festgelegt wurde, so scharf auf
die Querzen und Tinten gewesen? Der Bach muss das doch gehoert haben? Und
nicht nur der Bach. Ich nehme an, Du hoerst es auch.

michael (Michael Kalus) schrieb am 09.01.97 zum Thema
Re: Die Tonleiter:

>> Schwingungen hinter sich und alle erreichen zur gleichen Zeit den


>> Nulldurchgang. Nur, wer sagt denn, dass die Phase stimmt? Stehende
>> Wellen bekomme ich doch nur, wenn die Phase abgeglichen ist. Das kann
>> ich mir aber allenfalls in einem Sythesizer vorstellen?
>Dem Ohr ist es egal, ob die Phasenlage gleich ist oder nicht. Die
>Frequenzen werden an verschiedenen Stellen in der Schnecke des Innenohres
>registriert. Parallel sozusagen.
> Stehende Wellen existieren nur im einzelnen Instrument. Im Rohr der

>Trompete, der Orgelpfeife, der einzelnen Guitarrensaite. Wir hoeren diese
>gleichzeitig gespielten Toene dann an verschiedenen Stellen im Hoerorgan.

Tja, wenn das dem Ohr egal ist, dann weiss ich jetzt doch wieder nicht,
was an den Harmonien harmonisch ist. Wenn das Hoerorgan selbst nicht diese
kleinen ganzzahligen Frequenzverhaeltnisse sozusagen physikalisch
auswertet, dann muss das doch erst im Gehirn passieren, oder?

Michael Kalus

unread,
Jan 16, 1997, 3:00:00 AM1/16/97
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)

>
> michael (Michael Kalus) schrieb am 09.01.97 zum Thema
> Re: Die Tonleiter:
>
> >> Schwingungen hinter sich und alle erreichen zur gleichen Zeit den
> >> Nulldurchgang. Nur, wer sagt denn, dass die Phase stimmt? Stehende
> >> Wellen bekomme ich doch nur, wenn die Phase abgeglichen ist. Das
> >> kann ich mir aber allenfalls in einem Sythesizer vorstellen?
> >Dem Ohr ist es egal, ob die Phasenlage gleich ist oder nicht. Die
> >Frequenzen werden an verschiedenen Stellen in der Schnecke des
> >Innenohres registriert. Parallel sozusagen.
> > Stehende Wellen existieren nur im einzelnen Instrument. Im Rohr
> > der
> >Trompete, der Orgelpfeife, der einzelnen Guitarrensaite. Wir hoeren
> >diese gleichzeitig gespielten Toene dann an verschiedenen Stellen im
> >Hoerorgan.
>
> Tja, wenn das dem Ohr egal ist, dann weiss ich jetzt doch wieder
> nicht, was an den Harmonien harmonisch ist. Wenn das Hoerorgan selbst
> nicht diese kleinen ganzzahligen Frequenzverhaeltnisse sozusagen
> physikalisch auswertet, dann muss das doch erst im Gehirn passieren,
> oder?
Die einzelnen Stationen der Verarbeitung kann ich zZ nicht nachschlagen,
weil die passende Literatur dazu hier nicht zur Verfügung ist. Grob gesagt
geht das aber so:
Die Töne werden erstmal von Knochen bearbeitet. Hohe Töne werden per Luft
zunächst in den Kopf geleitet und dort per Trommelfell (eine Membran) auf
die winzigen Gehörknöchelchen geleitet die nun ihrerseits die Membran an
der Gehörschnecke in Schwingung setzen. Tiefe Töne gelangen besser direkt
über den Schädelknochen (Mastoid) dorthin. Die Schnecke ist gefüllt mit
Lympe (praktisch Wasser) welche nun den Schall weiterleitet an die Wände
der Schnecke auf eine Leiste die mit den Hörzellen gespickt ist. Dies sind
Zellen mit so etwas wie winzigen Tasthaaren daran (Model Katzenschnurrbart
:) An den Resonanzstellen in der Schnecke werden dies Tasthaare verbogen
und das gibt einen Impuls in der angeschlossenen Nervenfaser. Diese leiten
nur kurz weiter an Nervenknoten ganz in der Nähe, wenn ich mich recht
erinnere. Dort wird bereits vorverarbeitet (Art neuronales Netz). Von da
gehts an über Stammhirnstationen über noch weitere Umschaltstellen - alle
mit weiterer Zwischenverarbeitung und Ausdeutung - ans Bewustsein.

Und ich habe keine Ahnung, wo auf diesem langen Weg der
Informationsverarbeitung die "Harmonie" geboren wird.

Aber folgende Erscheinungen finden sich immer.
Wir hören so zwischen 16Hz bis 16KHz. Drunter und drüber nicht. (Hörfeld)
Größte Empfindlichkeit so bei 2 bis 4KHZ (Zischellaute des Sprachbereichs,
von Gesang und Musik so c4 bis c5, Rascheln, Knistern und so was.)
Mitte des Hörbereichs so bei 1KHz also ungefähr c3. Hier genügt schon der
Schalldruck von 2*10E-5 N/m^2 um was zu hören; dies wird gesetzt als 0dB.
Bei sehr lauten Tönen hören wir nichts mehr sondern enpfinden plötzlich
Schmerzen (so bei 140dB)
Lautere Töne führen zur ermüdung der Verarbeitung. Schwache Töne können
dann nicht mehr wahrgenommen werden. Außerdem bewirkt diese Vertäubung das
Töne tiefer empfunden werden als leise Töne gleicher Frequenz!
Bereits nach 5 Sekunden eines Tones oder Akkords von mittlerem Pegel (60-
80dB) sinkt die Lautstärkeempfindung um gut 50% ab - obwohl der gleiche
Schalldruck herscht, hören wir es leiser und tiefer. Letzteres ist
besonders wichtig für die Musik. Ich denke darin liegt begründet, warum
die Pausen zwischen den Noten und Akkorden existieren. In der Pause erholt
sich das Gehör innerhalb von 500 ms auf ca 70% des ausgeruhten
Schellenwertes.
Nach längeren ( > 5 s ) dynamisch satten Klangflächen (Schlag und
Blasinstrumente) beginnt eine zunehmende und schließlich enorme
Gehörsermüdung auf einen Bruchteil der ursprünglichen Empfindlichkeit.
Drum hält man Techno ja überhaupt nur aus :-)
Lästig ist diese Erscheinung allerdings in der Gruppe, im Orchester (oder
auch schon am eigenen Keyboard mit Kopfhörer), wenn laute und leise Töne
(Instrumente) zu einem Akkord ausgestimmt werden sollen. Es klingt immer
"verstimmt" obwohl alle richtig intonieren; da hilft auch keine
temperierte Stimmung :-)
Die örtliche Belastung durch einen Sinusdauerton von 800Hz (ca g2)
bewirkt, das der um eine Quint höhere Ton um 7% tiefer verstimmt
erscheint. Der mit 500Hz um 6%. Also so um eine "kleine Sekunde" immerhin.
(Das Toninterval meine ich hier, nicht eine Zeitsekunde).
Und noch eine Erscheinung ist in diesem Zusammenhang wichtig. Wir mögen
die "kalten Töne" nicht sonderlich lange hören. Das sind solche ohne ein
leichtes Vibrato. Der Ton muß ein klein wenig in seiner Frequenz hin und
her schwanken und angenehm und "genau richtig" zu klingen. Die feste
Frequenz klingt sofort verstimmt, wir sie nur wenige (Zeit)sekunden
angehalten. Und die Vibratofrequenz selbst muß ebenfalls leicht hin und
her schwanken usw. Und außerden muß dabei noch der Schalldruck (Amplitude)
mit vibrieren, also fein moduliert sein. Das richtig bemessene Vibrato,
diese kombinierte Modulation macht den Klang erst rein, perfekt. Durch das
Vibrato trifft der Schall nicht immer genau auf die selbe Stelle der
Sinneszellen, dadurch erholen sich immer die, die gerade nicht dran sind
wieder und das Gehör ermüdet nicht.
Daher klingen ein Chor oder eine Bläsergruppe oder Streichergruppe auch
viel schöner als ein Einzelner - und wenn er noch so laut verstärkt. Mikro
allein nützt nichts. Chorus heißt der Effekt in der elektronischen
Musikmaschine glaube ich. Und auf Bandmaschienen hat man früher (vor 10-15
Jahren :) schöne Stimmen gemacht, indem man die Sängerspur ein paarmal
immerwieder mit sich selbst überkopiert hat. Durch die kleinensten
technischen Verschiebungen dabei entstanden so die schönsten Engelchöre
aus nur einer kratzigen versoffenen Raucherstimme :-)))
Dazu kommt noch, das Vibratotöne auch dann noch gehört werden, wenn
glatte kalte Töne bereits mit ihrer Klangumgebung verschmolzen sind, also
nicht mehr als zusätsliches Instrument erkannt werden können. Das Vibrato
sondert die Solostimme vom begleitenden Hintergrund besser ab als ein
Lauterwerden des Solisten.

mka


Paul Lenz

unread,
Jan 17, 1997, 3:00:00 AM1/17/97
to

J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) schrieb am 15.01.97:

> Das war ja meine anfaengliche Vermutung, dass die Oberwellen
> irgendwie wieder ganzzahlig zusammen passen muessen. Aber wenn
> man das ausrechnet, da kommen lauter krumme Werte raus.

Jedes natuerliche Instrument erzeugt ANHARMONISCHE Obertoene!


> Mir will nur im Moment noch nicht eingehen, was das fuer das
> Ohr fuer ein Vorteil sein soll. Nehmen wir nochmal den Akkord
> c-e-g. c macht 4 Schwingungen, e macht 5 Schwingungen und g
> macht 6 Schwingungen. Danach faengt alles wieder von vorne an.

[...]


> Wenn ich den gleichen Akkord mit temperierten c-e-g spiele,
> geht die Frequenz des Akkords gegen 0. Hoert sich das so
> gravierend anders an?

Und ob! Bei der ersten Version meiner Musikmaschine hatte ich
lauter freilaufende Tongeneratoren benutzt. Diese versuchte ich
mit Hilfe eines Oszilloskops zu stimmen (bis die Wellen standen).
So erhielt ich eine mathematische Stimmung, und die hoerte sich
absolut scheusslich an. Bei der zweiten Version nahm ich dann
einen Chip, der 12 temperierte Toene ausgibt, damit waren alle
Probleme beseitigt.

Paul Lenz

unread,
Jan 23, 1997, 3:00:00 AM1/23/97
to

ma...@maroki.netzservice.de (Martin Rost) schrieb am 08.01.97:

> Ich hatte Bruhn schon mal aufgesucht und mit ihm gesprochen. Er


> wirkte ausgesprochen nett und zugaenglich.
>

> Wenn Du Dir sicher bist, dann schreibe doch wirklich den Brief!
> Und berichte vom Ergebnis.

Heute hat er mir geantwortet: ein zweiseitiger (!), sehr netter
Brief. Leider ziemlich hoch fuer mich, ich muss mir mal viel Zeit
nehmen, um ihn zu studieren. Grundtenor scheint jedenfalls zu
sein, dass man physikalische und hoerpsychologische Phaenomene
nicht so einfach trennen kann, wie ich es versucht habe.

Und er bedauert, keine Zeit fuer das Internet zu haben. :-)

Paul Lenz

unread,
Jan 23, 1997, 3:00:00 AM1/23/97
to

J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) schrieb am 20.01.97:

> Vielleicht nicht so hart, dass sich die "reine" Stimmung scheusslich
> anhoert. Aber dass sie sich besser anhoeren sollte, will ich nicht so
> recht glauben.

Doch! Du weisst es vermutlich nur nicht besser, weil Du...


> Ich hab' uebrigens was Aehnliches durch. Seit etwa 10 Jahren
> ist meine Wohnungsklingel prozessorgesteuert. (Haengen noch
> zwei Tueroeffner dran und das Telefon, nur nebenbei). Damals
> hatte man den Speicher noch nicht so ueppig wie heute und die
> Algorithmen waren auch sehr handgemacht. Ein Ton musste also in
> einem Byte Platz finden. 4 bit fuer die Tonhoehe, die anderen 4
> bit fuer Tonoder Pausenlaenge.

... offensichtlich nur Einzeltoene spielst, da merkt man das
nicht so sehr, als wenn Du Akkorde spielst. Ausserdem hast Du
die Frequenzen sicherlich temperiert ausgerecnet, oder?

Martin Rost

unread,
Jan 25, 1997, 3:00:00 AM1/25/97
to

Paul Lenz (pro...@sampo.han.de) wrote:
: ma...@maroki.netzservice.de (Martin Rost) schrieb am 08.01.97:

: > Ich hatte Bruhn schon mal aufgesucht und mit ihm gesprochen. Er
: > wirkte ausgesprochen nett und zugaenglich.

: Heute hat er mir geantwortet: ein zweiseitiger (!), sehr netter


: Brief. Leider ziemlich hoch fuer mich, ich muss mir mal viel Zeit
: nehmen, um ihn zu studieren. Grundtenor scheint jedenfalls zu
: sein, dass man physikalische und hoerpsychologische Phaenomene
: nicht so einfach trennen kann, wie ich es versucht habe.

Das ging ja flott...

Es ist doch gerade der Gag, physikalische und psychologische Effekte
scharf trennen zu muessen. In seinen Aufsaetzen macht Bruhn das auch.
Merkwuerdiger Tenor...

Gruss, Martin

Wolfgang von Hansen

unread,
Jan 26, 1997, 3:00:00 AM1/26/97
to

Moin moin!

Paul Lenz <pro...@sampo.han.de> schreibt über `Re: Die Tonleiter':

PL> ... offensichtlich nur Einzeltoene spielst, da merkt man das
PL> nicht so sehr, als wenn Du Akkorde spielst. Ausserdem hast Du
PL> die Frequenzen sicherlich temperiert ausgerecnet, oder?

Ich fange gerade erst an de.sci.misc zu lesen. Wegen UUCP fehlen mir ältere
Artikel. Wurde schon die Berechnung von (nicht)temperierten Tonleitern
gepostet?
Wenn nicht, dann posten. Wenn ja, dann bitte eine Mail an mich.


Gruß

Wolfgang
--
(_(__)_) Privat: w...@geodesy.inka.de //
~oo~ Uni: vha...@ipf.bau-verm.uni-karlsruhe.de \X/
(..)

Juergen Gaertner

unread,
Jan 27, 1997, 3:00:00 AM1/27/97
to

michael (Michael Kalus) schrieb am 16.01.97 zum Thema
Re: Die Tonleiter:

Erstmal recht vielen Dank fuer die interessante Ergaenzung zum Thema
Harmonien und Hoerempfinden.

> Und noch eine Erscheinung ist in diesem Zusammenhang wichtig. Wir moegen
>die "kalten Toene" nicht sonderlich lange hoeren. Das sind solche ohne ein
>leichtes Vibrato. Der Ton muss ein klein wenig in seiner Frequenz hin und


>her schwanken und angenehm und "genau richtig" zu klingen. Die feste
>Frequenz klingt sofort verstimmt, wir sie nur wenige (Zeit)sekunden

>angehalten. Und die Vibratofrequenz selbst muss ebenfalls leicht hin und
>her schwanken usw. Und ausserden muss dabei noch der Schalldruck (Amplitude)


>mit vibrieren, also fein moduliert sein. Das richtig bemessene Vibrato,
>diese kombinierte Modulation macht den Klang erst rein, perfekt. Durch das
>Vibrato trifft der Schall nicht immer genau auf die selbe Stelle der
>Sinneszellen, dadurch erholen sich immer die, die gerade nicht dran sind

>wieder und das Gehoer ermuedet nicht.

Ich hatte mal irgendwo frueher gelesen, dass "Vibrato" im Prinzip eine
Amplitudenmodulation ist, waehrend man Frequenzaenderungen "Tremolo"
nennt. Stimmt die Trennung in den Bezeichnungen? Mein Lexikon geht mit den
Begriffen ziemlich lax um.

Juergen Gaertner

unread,
Jan 29, 1997, 3:00:00 AM1/29/97
to

michael (Michael Kalus) schrieb am 16.01.97 zum Thema
Re: Die Tonleiter:

[...]
MK> Wir hoeren so zwischen 16Hz bis 16KHz. Drunter und drueber nicht. (Hoerfeld)
MK>Groesste Empfindlichkeit so bei 2 bis 4KHZ (Zischellaute des Sprachbereichs,
MK>von Gesang und Musik so c4 bis c5, Rascheln, Knistern und so was.)
MK>Mitte des Hoerbereichs so bei 1KHz also ungefaehr c3. Hier genuegt schon der
MK>Schalldruck von 2*10E-5 N/m^2 um was zu hoeren; dies wird gesetzt als 0dB.

Obwohl der Frequenzbereich, in dem wir hoeren, ja allgemein bekannt ist,
muss ich doch nochmal was dazu los werden.

Und zwar liegt mir hier der Ott*-Katalog zum Thema Heimwerken vor. Da
werden u.a. sogenannte elektronische Insekten- und Mueckenverscheucher
angeboten. Die Geraete arbeiten auf Ultraschallbasis. Ein Geraet kann
sogar auf drei verschiedene Frequenzen umgestellt werden, je nach Tier,
was vertrieben werden soll.

Die Frequenzen sind:

7 kHz - gegen Insekten Stechmuecken und Floehe
10 kHz - gegen Maeuse und Ratten
12 kHz - gegen Kakerlaken und Marder

Sind denn solche Geraete etwa nur fuer Opis ueber 80 geeignet? Ich moechte
nicht auf der Terrasse sitzen und staendig dieses Gefietsche hoeren, das
angeblich Ultraschall sein soll. Da ich jetzt schon von verschiedenen
solchen Geraeten diese Frequenzlagen gelesen habe, frage ich mich, was
stimmt denn nun. Wo geht Ultraschall los und fiepen die Dinger wirklich
nur bei 7 kHz?

Wie kann das jemand aushalten? Mich macht schon der Fernseher verrueckt,
manchmal, und das sind immerhin 15,625 kHz.

Juergen Gaertner

unread,
Jan 29, 1997, 3:00:00 AM1/29/97
to

proppi (Paul Lenz) schrieb am 23.01.97 zum Thema
Re: Musikwahrnehmung:

>Heute hat er mir geantwortet: ein zweiseitiger (!), sehr netter
>Brief. Leider ziemlich hoch fuer mich, ich muss mir mal viel Zeit
>nehmen, um ihn zu studieren.

Kannst Du ihn abtippen? Es interessiert uns andere auch.

Uwe Hennig

unread,
Jan 30, 1997, 3:00:00 AM1/30/97
to

In article <5ch6oh$p...@news00.btx.dtag.de>,
J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) writes:

>...


>Ich hatte mal irgendwo frueher gelesen, dass "Vibrato" im Prinzip eine
>Amplitudenmodulation ist, waehrend man Frequenzaenderungen "Tremolo"
>nennt. Stimmt die Trennung in den Bezeichnungen? Mein Lexikon geht mit den
>Begriffen ziemlich lax um.

Ich bin mir zwar nur 99prozentig sicher, aber:

vibrato = Frequenzmodulation,
tremolo = Amplitudenmodulation

Gruss,
Uwe

Paul Lenz

unread,
Jan 31, 1997, 3:00:00 AM1/31/97
to

J.Gae...@t-online.de (Juergen Gaertner) schrieb am 29.01.97:

> >Heute hat er mir geantwortet: ein zweiseitiger (!), sehr netter
> >Brief. Leider ziemlich hoch fuer mich, ich muss mir mal viel Zeit
> >nehmen, um ihn zu studieren.
>
> Kannst Du ihn abtippen? Es interessiert uns andere auch.

Nee danke, dazu ist es mir einfach zu viel.

Ich koennte die Seiten mit meiner Videocamera abfilmen und
in vier JPEGs ins Netz schicken. Das waeren dann vier Files
von etwa 60 kB, die noch einigermassen lesbar sind (ich hab's
gerade getestet.) Bei dem geringen Traffic in dieser Newsgroup
waere das vielleicht zu vertreten.

Ansonsten bliebe noch noch der Weg ueber Fotokopie...

Michael Kalus

unread,
Feb 1, 1997, 3:00:00 AM2/1/97
to

Hi, Uwe (u...@irz.inf.tu-dresden.de)

> >...
> >Ich hatte mal irgendwo frueher gelesen, dass "Vibrato" im Prinzip
> >eine Amplitudenmodulation ist, waehrend man Frequenzaenderungen
> >"Tremolo" nennt. Stimmt die Trennung in den Bezeichnungen? Mein
> >Lexikon geht mit den Begriffen ziemlich lax um.
>
> Ich bin mir zwar nur 99prozentig sicher, aber:
>
> vibrato = Frequenzmodulation,
> tremolo = Amplitudenmodulation

Da liegst du genau richtig :)

Ein Tremolo besteht eigentlich aus der raschen mehrfachen Wiederholung ein
und desselben Tones.

Beim Gesang wird das Tremolo durch Intensitätsschwankungen der Stimme
ausgeführt. Also ohne den Kehlkopf zu bewegen die Luft stärker oder
schwächer strömen lassen - so wie beim Lachen etwa.

Elektronisch bzw pysikalisch ausgedrückt dürfte das eine
Amplitudenmodulation sein.

Bei Streichinstrumenten macht man einen raschen gleichmäßigen
Bogenwechsel, bei Blasinstrumenten mit Flatterzunge, bei
Schlaginstrumenten als Wirbel und auf dem Klavier auch in Oktaven oder
Akkorden.

mka


Michael Kalus

unread,
Feb 1, 1997, 3:00:00 AM2/1/97
to

Hi, Juergen (J.Gae...@t-online.de)

>
MK>> Wir hoeren so zwischen 16Hz bis 16KHz. Drunter und drueber nicht.
MK>> (Hoerfeld) Groesste Empfindlichkeit so bei 2 bis 4KHZ

> Und zwar liegt mir hier der Ott*-Katalog zum Thema Heimwerken vor. Da
> werden u.a. sogenannte elektronische Insekten- und
> Mueckenverscheucher angeboten. Die Geraete arbeiten auf
> Ultraschallbasis. Ein Geraet kann sogar auf drei verschiedene
> Frequenzen umgestellt werden, je nach Tier, was vertrieben werden
> soll.
>
> Die Frequenzen sind:
>
> 7 kHz - gegen Insekten Stechmuecken und Floehe
> 10 kHz - gegen Maeuse und Ratten
> 12 kHz - gegen Kakerlaken und Marder
>
> Sind denn solche Geraete etwa nur fuer Opis ueber 80 geeignet? Ich
> moechte nicht auf der Terrasse sitzen und staendig dieses Gefietsche
> hoeren, das angeblich Ultraschall sein soll. Da ich jetzt schon von
> verschiedenen solchen Geraeten diese Frequenzlagen gelesen habe,
> frage ich mich, was stimmt denn nun. Wo geht Ultraschall los und
> fiepen die Dinger wirklich nur bei 7 kHz?
>
> Wie kann das jemand aushalten? Mich macht schon der Fernseher
> verrueckt, manchmal, und das sind immerhin 15,625 kHz.

Tja, das frage ich mich auch. Ausprobieren!
Ultraschall ist das jedenfalls noch nicht so richtig, finde ich.
Allerdings brauch es schon fast 20dB Schalldruck bis wir Menschen 7kHz und
höher mitkriegen. Vieleicht sind die Biester die es zu vertreiben gilt da
noch empfindlicher als du und es klappt dann auch mit schwachen Tönen? :-)

Den hohen Fiepton der Zeilenfrequenz im TV hörst du übrigens nicht allein.
Meine Ohren haben inzwischen nichtmehr diese Feinheit, aber ich kenns noch
von früher. Und kenne auch einige (wenige) Bekannte, die das auch (noch
:-) hören können.

mka


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