Stefan Schmitz <
ss...@gmx.de> schrieb:
> Am 02.11.2022 um 14:30 schrieb Fritz Feldhase:
>> [...] Stefan Schmitz wrote:
>>> Am 02.11.2022 um 13:44 schrieb Fritz Feldhase:
>>>> [...]
ralfmu...@googlemail.com wrote:
>>>>>
>>>>> Ich habe ein kleines Problem mit der Definition und fürchte,
>>>>> ich habe etwas missverstanden.
>>>>>
>>>>> Man beginnt mit einer Relation
>>>>> R ⊂ X × X mit der Eigenschaft, dass für jedes a∈X die Menge
>>>>> B(a):={b∈X: a R b} nicht leer ist.
>>>>>
>>>>> Das Axiom sagt dann, dass ich eine Folge xₙ aus X bilden kann mit
>>>>> xₙ R xₙ₊₁. Soweit schön. Allerdings steht da, dass die Bildung
>>>>> eines endlichen Anfangs der Folge trivial sei und man das Axiom
>>>>> nur dafür braucht, die Folge als Ganzes zu erzeugen. Auch schön.
>>>>>
>>>>> Nur: wie *wähle* ich (ohne vorher AC schon zu haben) ein
>>>>> xₙ₊₁∈B(xₙ) aus?
>>>>>
>>>>> Mein Problem ist also nicht die unendliche Folge, sondern bereits
>>>>> deren zweites Element.
>>>>>
>>>> Gehen wir einmal davon aus, dass X nicht leer ist. D. h. es gibt
>>>> mindestens ein Element in X. Sei x_0 ein solches Element.
>>>> (Damit habe ich eins "ausgewählt". So einfach ist das.)
>>>>
>>>> Laut Voraussetzung gibt es dann eine nichtleere Menge
>>>> B(x_0) = {x ∈ X: x_0 R x}. Da die Menge nicht leer ist, gibt
>>>> mindestens ein Element in B(x_0). Sei x_1 ein solches Element.
>>>> (Damit habe ich wieder eins "ausgewählt".)
Um diese Argumentation zu verstehen, muss man erst verstehen, wie
Axiomatisierung funktioniert: In Z/ZF/ZFC hat man es mit Aussagenlogik
1. Stufe zu tun, d.h. *jede* Aussage die man macht, muss mit endlich
vielen der elementar-logischen Zeichen "und", "oder", "(", ")",
"für alle", "es gibt", "=", und Variablen beschreibbar sein;
dazu kommen je nach betrachteter Welt noch Konstanten und
Relationenszeichen - im Falle von ZF gibt es keine Konstanten
und als spezielle Relationszeichen "element".
(Details können je nach Lehrbuch abweichen: Manche betrachten "="
nicht als elementar-logisch, sondern als spezielles Relationszeichen,
manche die leere Menge als Konstante, manche auch spezielle Mengen
als Konstanten - es kann dann durchaus überabzählbar viele Konstanten
geben. Der Einfachheit halber mache ich das hier nicht.)
Eine Aussage mit, sagen wir, x_1 und x_2 zu bilden, ist dann
kein Problem, weil man einfach mit Quantoren hinschreiben kann, was
gemeint ist:
Es gibt x_1 aus X: Es gibt x_2 aus B(x): gewünschte Aussage.
(Und dass diese Aussage dann wahr ist, kann man aufgrund der
Eigenschaft von B formal beweisen.)
Ebenso für endlich viele x_1,...,x_n. Daraus kann man dann
unmittelbar schließen, dass es eine Abbildung F_n (Achtung:
Hier ist n zunächst nur ein Element der "Metasprache") von
{1,...,n} -> X gibt mit "F(x_k) element B(x_k) für
k=1,...,n-1" (ebenfalls Meta-sprache) (Mit {1,...,n} ist
hier allerdings die Menge z.B. mit der Neumannschen Definition
gemeint): Es sollte klar sein, wie die entsprechende Formel für
z.B. n=13 hinzuschreiben wäre, wenn man für {1,...,13} die
Neumannsche Definition der natürlichen Zahlen benutzt, und
ebenso, wie diese Formel aus den Eigenschaften von B zu beweisen
wäre.
Man hat also nicht "für allgemeines n" einen Beweis, sondern
kann jeweils nur für ein konkretes n einen Beweis hinschreiben,
indem man den (offensichtlichen) Algorithmus dafür ausführt,
den ich hier natürlich nicht im Detail beschreibe (obwohl das
möglich wäre). Man kann das Aufschreiben dieses Algorithmus
als eine Art formalen Beweis für "beliebiges" n ansehen, aber
strenggenommen ist dies ein Meta-Beweis (in Logik 2. Stufe)
und nicht in ZF.
Auf eine Abbildung von der (unendlichen) Menge der natürlichen
Zahlen auf X mit der gewünschten Eigenschaft kann man
insbesondere mit *diesem* Beweisansatz nicht schließen.
(Das schließt natürlich nicht aus, dass es nicht einen ganz
anderen Beweis dafür geben könnte - zu zeigen, dass DC
logisch unabhängig ist von ZF ist ja in der Tat hochgradig
nichttrivial.)
>>> Und wofür braucht man dann noch das Axiom?
>>
>> Für eine unendliche Folge (dieser Art). [...]
>
> Das können wir auch mit Axiom nicht.
Doch, denn die Existenz einer solchen Folge (= Abbildung der
natürlichen Zahlen nach X) ist genau die Aussage, die das
Axiom *postuliert*.
> Was unterscheidet denn eine unendliche Folge von einer endlichen, die
> man beliebig lang machen kann?
Das ist jetzt hoffentlich klar:
Das, was man "beliebig lang machen kann", ist eben nur eine
Aussage der Metasprache. Die Metasprache kann nicht auf einmal
anfangen, das "n" (das man in der Metasprache explitiz braucht)
in einen Allquantor zu "verpacken".
Die Aussage des Axioms ist also - grob gesprochen - dass diese
"offensichtlich richtige" Aussage der Metasprache über endliche
Mengen {1,...,n} in diesem Fall tatsächlich auch ein Analogon
für die unendliche Menge der natürlichen Zahlen hat: Sobald
man eine Abbildung (=Folge) hat, kann man diese wiederum in
der Logik 1. Stufe (also in *endlich langen*) Aussagen benutzen,
um (beweisbare) Aussagen über unendliche Objekte machen zu können,
die man sonst nicht beweisen könnte.
> Mit der Vorschrift, wie das Element an jedem endlichen Index n
> gebildet wird, hat man doch schon die ganze Folge definiert.
Vorsicht: Wir haben keine "Vorschrift", denn mit einer "Vorschrift"
verbindet man Eindeutigkeit. Das ist ein entscheidender Punkt des
Axioms. Für Abbildungen B, für die man eine "Vorschrift" hat, ist
die Aussage ohne zusätzliches Axiom sogar in Z beweisbar, und zwar
wie folgt:
Wir nehmen der Einfachheit halber an, wir haben eine "Vorschrift"
auf ganz X, also eine "Formel" der Logik 1. Stufe, die für jedes
x element X *eindeutig* ein Element y element B(x) bestimmt
(das ist sogar etwas mehr, als wir brauchen, aber ich will nur die
Idee skizzieren und nicht durch technische Details verschleiern).
Unsere Annahme ist also, dass wir einen sog. "Funktor F" auf X
haben mit der Eigenschaft F(x) element B(x) für alle x aus X.
Man kann daraus in Z beweisen (i.W. aufgrund des Aussonderungsaxioms),
dass es dann auch (genau) eine Abbildung f:X -> X gibt mit
f(x) = F(x) für alle x element X, also insbesondere f(x) element B(x)
für alle x element X.
Wenn man eine solches f hat, erhält man für jedes x_1 element X
auch eine eindeutige unendliche Folge (also eine Abbildung von der
Menge der natürlichen Zahlen nach X) mit x_{n+1} = f(x_n) aufgrund
des sog. Prinzips der induktiven Definition.
Diese Folge leistet natürlich das Gewünschte.
Der formale Beweis des Prinzips der induktiven Definition ist nicht
ganz leicht, die Beweisidee lässt sich aber leicht beschreiben:
Für jedes endliche n hat man eine *eindeutige* Abbildung
g_n:{1,...,n}->X, die Fortsetzungen voneinander sind. Der Graph
der gewünschten Abbildungen ist die Vereinigung der Graphen der
Abbildungen g_n. Die technische Schwierigkeit im Beweis liegt
darin, dass nicht von vornherein klar ist, dass n->g_n eine
Abbildung ist: Hierzu braucht man eben die Eindeutigkeit, um
einen Funktor zu haben, der dann wiederum aufgrund des
Aussonderungsaxioms zu einer Abbildung führt.