Mostowski Collapse <
burs...@gmail.com> schrieb:
> Wenn Du das Thema "Rechnen" ansprichts, dass diese Giganten
> mit Infinitessimalen gerechnet haben, überzeugt mich die
> Non-Standard Analysis weniger, weil sie an der Domäne
> R herumfummel.
Ganz im Gegenteil: In der internen Analysis (um jetzt mal
nur einen der beiden Zugänge zu nennen) ist R genau unverändert,
d.h. alle Sätze über R gelten unverändert.
Trotzdem gibt es Infinitesimale und unendlich große Zahlen,
aber diese kannst Du nur über das standard-Attribut als solche
erkennen.
Auch in Robinsons Zugang haben die hyperreellen Zahlen *alle*
Eigenschaften der reellen Zahlen, d.h. grob gesprochen:
*Jeder* Satz über die reellen Zahlen ist *genau dann* wahr,
wenn der entsprechende Satz über die hyperrellen Zahlen wahr
ist.
Und der wesentliche Punkt an der Nichtstandard-Analysis ist,
dass es in erster Linie gar nicht um reelle Zahlen geht,
sondern um das gesamte Universum (der Mengen und damit beliebiger
mathematischer Strukturen wie metrische Räume, Banachräume,
topologische Räume, Mannigfaltigkeiten usw).
Dies *muss* logisch so sein, weil man sonst Inkonsistenzen
bekäme (s. unten). Dies hat aber den schönen Nebeneffekt,
dass man die Nichstandard-Analysis in allen Teilgebieten der
Mathematik nutzen kann. Beispielsweise wurde der erste Beweis,
dass kompakte Operatoren in unendlichdimensionalen
Banachräumen immer einen nichttrivialen Unterraum haben, zunächst
mit Methoden der Nichtstandard-Analysis gefunden. Im Nachhinein
wurde er dann in einen klassischen Beweis von einem Kritiker
der Nichstandard-Analysis "rückübersetzt", aber vermutlich
wäre er auf klassische Art kaum gefunden worden, weil Rechnen
mit trickreich konstruierten Ultrafiltern eben nicht so
intuitiv ist wie Rechnen mit Infinitesimalen.
> Da scheinen mir Eduar Study's Dual Numbers besser geeignet.
*Hier* ist Dein obiger Einwand angemessen: Da wird R durch
etwas ersetzt, was so *gar nicht* R ist, nicht einmal ein
totalgeordneter Körper; vom archimedischen Axiom ganz zu
schweigen.
Das heißt nicht, dass diese Zahlen nutzlos sind, aber sie
sind halt eine algebraische Spielerei mit möglicherweise
einigen Anwendungen in der Physik. Aber zum Rechtfertigen
der Schlussweisen der klassischen Mathematiker sind sie
ungeeignet. Spätestens bei analytischen Funktionen und
der ersten Ableitung ist schon das Ende der Fahnenstange
erreicht. Rechnen mit z.B. divergenten Reihen wirst Du
damit kaum erreichen
Neben Dual numbers gab es übrigens Dutzende Versuche,
die reellen Zahlen algebraisch zu erweitern, um
unendliche Zahlen und Infinitesimale einzuführen.
Wie oben erwähnt haben alle diese das Problem, dass sie
sich nicht konsistent auf die Objekte höherer Stufe
übertragen lassen, was zum *problemlosen* Rechnen mit
diesen Objekten wesentlich ist.
Ich erkläre das Problem am Beispiel der Robinsonschen
Analysis. Dort gibt es zwei "Welten" (genauer: sog.
Superstrukturen von Mengen): Eine Standard-Welt und
eine ("größere") Nichtstandard-Welt, sowie eine
Abbildung * zwischen den beiden Welten.
Die Standard-Welt beinhaltet z.B. N, und mit jeder Menge
auch deren Potenzmenge und deren Elemente (somit R
und alle deren Teilmengen, Funktionen und Relationen
auf R, Funktionenräume, usw.); analog für die
Nichstandard-Welt (bei der die "elementarste" Ebene
die hypernatürlichen Zahlen *N sind - das Bild von
N aus der Standard-Welt unter der Abbildung *).
Der entscheidende Satz ist das Transfer-Prinzip:
Eine Aussage (1. Ordnung nur mit dem elem-Symbol),
die über Elemente der Standard-Welt quantifiziert
ist, ist *genau dann* wahr, wenn die entsprechende
Aussage über die Nichtstandard-Welt wahr ist (also,
grob gesprochen: Wenn man vor jede *Konstante* das
Symbol "*" schreibt).
Wichtig ist:
Wenn man von den standard-reellen Zahlen R zu den
hyperreellen Zahlen *R übergeht, muss man z.B. auch
die Funktionen erweitern, denn aus einer Funktion
f:R->R muss ja eine Funktion *f:*R->*R werden; analog
für Relationen. Das ist notwendig, weil man ja z.B. über
*f(*x *+ dx) mit einem Infinitesimal dx reden will
(man lässt in der Praxis später das *-Symbol weg und
redet einfach von f(x + dx)),
Bei analytischen Funktionen (wie in dem Beispiel
der Dual numbers) geht das noch problemlos, weil
man die algebraische und topologische Struktur von
*R dazu ausnutzen kann. Aber für andere Funktionen
ist nicht unbedingt klar, dass es eine slche
Abbildung * gibt, die jedes f auf das passende *f
abbildet, so dass das Transfer-Prinzip erhalten
bleibt (und letzteres ist für das "Rechnen" in der
Nichstandard-Welt natürlich wesentlich). Und wenn
* für reelle Funktionen definiert ist, muss man es
natürlich auch für Funktionen von Funktionen
definieren usw., denn natürlich darf man nicht
z.B. mit Mitteln der Funktionalanalysis eine
Aussage in der Standard-Welt zeigen können, deren
Transfer in die Nichtstandard-Welt falsch ist.
Deswegen *muss* nicht nur R sondern das gesamte
Universum erweitert werden, wenn man Infinitesimale
einführt.
Ein technisches Problem bei diesem Zugang ist, dass
das Nichstandard-Universum zu groß ist:
Wenn man von *N alle Zahlen der Menge {*n: n aus N}
wegnimmt (also die Menge aller unendlichen
hypernatürlichen Zahlen betrachtet), so hat diese
kein kleinstes Element. Das ist *kein* Widerspruch
zum Transfer-Prinzip, denn der Satz, dass N
wohlgeordnet ist, lässt sich nur mit Hilfe der
Potenzmenge P(N) von N formulieren. Es gilt eben
nicht *P(N) = P(*N), sondern es stellt sich heraus,
dass *P(N) das System aller sog. "interner"
Teilmengen von *N ist. Die Menge {*n: n aus N} kann
daher nicht *interne* Teilmenge von *N sein.
Daher ist die Unterscheidung von "internen" und
"externen" Teilmengen beim Robinsonschen Zugang
wesentlich, aber auch etwas schwer zu vermitteln.
In der internen Analysis betrachtet man *nur*
das Nichstandard-Universum der internen Teilmengen.
Damit gelten *alle* Sätze der klassischen Analysis
in diesem Universum; es ist also nicht vom
"Standard"-Universum zu unterscheiden.
Man erhält nur eine "Ahnung" von der Standard-Welt
durch das Attribut "standard".
Der Zugang ist dadurch sehr viel einfacher zu
verstehen, weil er "versteckt", was tatsächlich
"unter der Haube" passiert.
Zurück zu den Dual Numbers: Die verletzen das
Transfer-Prinzip eben schon für R (weil die
Dual numbers kein totalgeordneter Körper sind);
das Transfer-Prinzip ist aber wie gesagt, wesentlich,
um das konsistente Rechnen in der Nichstandard-Welt
zu begründen. Für einfache analytische Funktionen und
elementare Dinge wie die 1. Ableitung mag das
"gerade noch" klappen, aber um tiefliegende Rechnungen
mit z.B. divergenten Reihen zu machen, oder neben den
Rechnungen andere logische Schlussweisen einzubringen,
sind die nicht geeignet.
Das selbe Problem hat man mit anderen Zugängen wie
beispielsweise den "surreal numbers", die eben
(prinzipbedingt) nur über die Erweiterung von R
sprechen, aber nicht darüber wie Objekte erweitert
werden, die damit zu tun haben (also reelle Funktionen,
reelle Relationen, Räume reeller Funktionen oder
Relationen usw.).