Am 30.04.23 um 13:21 schrieb Martin Vaeth:
> Wenn Du Dich *privat* zusätzlich zu den Fachinformationen, die Du
> Dir bereits anggeeignet hast, informierst, hat das thematisch mit
> dem Video m.E. gar nichts zu tun. Der Zusammenhang besteht höchstens
> darin: Glaubst Du, Deine private Internet-Recherche war erfolgreich
> und wäre das auch gewesen, wenn Du vorher von Deinem Arzt keinerlei
> Fachwissen über Deine konkreten Probleme Deiner Halswirbelsäule
> bekommen hättest?
Wieso gehst du davon aus, ich hätte vom Arzt Wissen vermittelt bekommen?
Was ich oft bekommen habe, waren hochgestochene, über das Problem nichts
weiterhelfendes aussagende, zunächst unverständliche Arztbriefe, denen man,
wenn man sie mal durchdrungen hatte, vor allem anmerkte, dass es dem Arzt
darum ging, gegenüber den Kollegen, an deren Rundablage des geben sollte,
irgendwie gescheit zu wirken.
Wer als Patient zuviel fragt, gilt als unbequem, wird abgewehrt.
Wobei die Schranke des angeblichen Zuviel heutzutage viel schneller erreicht
ist als zB in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Denn erstens kostet
das Zeit. Und zweitens mögen heutzutage viele Ärzte, insbesondere Hausärzte,
von denen ja oft verlangt wird, über gar alles Bescheid zu wissen, gerne alles
vermeiden, was irgendwie auch geeignet sein könnte, Schlüsse bezüglich ihrer
fachlichen Sattelfestigkeit zu ziehen bzw was Zweifel und Lust erwecken
könnte, ihnen auf den Zahn zu fühlen.
Das "Fachwissen", ich nenne es in meinem Fall eher zu einem mir stringent
erscheinenden Bild zusammengestoppelte Amateurrecherche, habe ich im
Internet unter Zuhilfenahme von mittels Gastleserausweis bei der UB
ausgeliehenen Büchern recherchiert.
Erst danach habe ich die Arztbriefe verstanden.
Ein Gespräch, das du verstehen sollst, führt ein Arzt heutzutage nicht.
Statt zu versuchen, Dinge verständlich darzustellen, wird oft suggeriert,
der Patient sei eh zu blöd und solle sich mit oberflächlichem Blabla
zufriedengeben. Wenn man weiterbohrt, weil man ja schon gerne
wissen möchte, was genau an einem kaputt ist, wird einem ins Gesicht
gesagt, Stand der Wissenschaft sei, den Patienten lieber nicht so
genau aufzuklären - das mache die Leute bloß verrückt.
Oberflächliches Blabla ist das Stichwort.
Was ich in meinem letzten Posting von mir gegeben habe, war auch nur ein
Versuch, das, was ich mir - auch im Internet - angelesen habe, plakativ
vereinfacht wiederzugeben.
> Oder sie wäre erfolgreicher gewesen, wenn Du
> *statt* diesem Fachwissen in der Schule gezwungen worden wärst,
> Internet-Recherche über verschiedenste Dinge zu machen?
Das Problem ist meiner Ansicht nach nicht Internet-Recherche an sich,
sondern, dass die Leute oft meinen, wenn man irgendwas kurz aus dem
Internet herauskruschtelt, damit man fürs ebenfalls dumme Publikum was
zum Klappern hat, dann würde das reichen. Hauptsache, die Beamerpräsentation
läuft flüssig durch, leuchtet schön und das sieht medienkompetent aus.
Anstatt so lange hartnäckig weiter zu recherchieren und nachzubohren, bis
sich ein stringentes Bild ergibt und man die Sache tatsächlich
durchdrungen hat. Kritikfähig sein wenn einer sagt, wo es im Verständnis
noch klemmt anstatt nur pseudomotivierend zu loben. Nur pseudomotivierend
zu loben bringt die Leute eben genau nicht dazu, bei dem, was sie nicht
verstanden haben, weiter zu bohren, weil sie ja auch so durchgekommen sind.
Sorgfalt bei der Selbstkontrolle, ob man verstanden hat, ob schlüssig ist,
was einem vorgesetzt wird und Weiterbohren wo das nicht so ist - das fehlt.
Egal, ob Internetrecherche oder ausm Buch -äh- plagiiert.
Viele Kinder heutzutage ziehen sich irgendwelche hanebüchenen Schülerreferate
aus dem Netz, weil sie davon ausgehen, dass sie damit schon nicht nach unten
zu sehr aus dem Rahmen fallen werden, und von der inhaltlichen Recherche her
wars das dann.
Im sozialen Kontext durchkommen ist nicht erst heutzutage etwas ganz anderes
als über etwas gut Bescheid wissen und das Richtige tun. Schulkinder und
Lehrpersonal und Universitätsangehörige und Politiker wissen das.
Der Wille zur Sorgfalt, der Wille, sorgfältig zu prüfen, ob das, was man
weitererzählt, stringent oder im Grunde genommen Mist ist, ist auch
Charaktersache.
Schon bei meinen Neffen und Nichten war es, als Internet an der Schule noch
uninteressant war, oft so, dass sie einfach einen auf den Deckel gekriegt
haben wenn sie mit dem, was im Schulbuch serviert worden war, nicht zufrieden
waren und es genauer wissen wollten, weil sie das Gefühl hatten, das reicht
so nicht aus, um darüber so Bescheid zu wissen, dass man mit dem Wissen
etwas Sinnvolles anfangen kann geschweige denn guten Gewissens zur
Wissensvermittlung vor andere hintreten kann.
Lehrer/innen, die sich bemüht haben, ihnen weiterzuhelfen, ihnen zB gesagt
haben, wie sie mehr Informationen zum Thema bekommen können als im kurzen
Schulbuchabschnitt stehen, oder wo sie im Schulbuch genauer hinschauen
müssen, um die gesuchte Information nicht zu übersehen, sind schon damals
aus der Masse positiv hervorgestochen.
>> Man sieht auf den Bildern, dass an der Halswirbeksäule zwischen
>> C4 und C5 die Bandscheibe viel zu dünn ist.
>
> Damit hast Du bereits eine ganze Menge Fachkenntnis (bekommen), die
> die armen Schüler nicht haben, denen eine Internet-Recherche als
> Ersatz für einen vernünftigen Unterricht zugemutet wird.
Ganz allgemein: Wenn man etwas machen will, stellt man sich einfach die
Frage, was man dazu wissen muss und mit welchen Hilfssachen man umgehen
können muss und recherchiert das dann. Auch gerne mit Internet.
Ich hatte zB nie einen Halswirbelsäulenunterricht, aber ich wollte halt
gerne dem Arzt genau sagen können, wo es seit dem Rumms extrem weh tut.
Also hab ich halt mal im Internet(!) recherchiert, mir ein paar Bilder
angeschaut, auf denen man sieht, wo am Skelett welche Knochen sind und
wie die heißen, und dann noch nach Verlautbarungen gesucht, was man beim
Tasten beachten sollte, bzw was man überhaupt gut von außen tasten kann
und was nicht, zB, weil zuviele Muskeln und anderes Geschluder darum
herum hängt. Und dann vom Schädel aus Wirbeldorne getastet und gezählt
und festgestellt, wenn ich auf den Wirbeldorn drücke, den ich für zum C4
zugehörig halte, oder auf den Wirbeldorn direkt darunter, dann tut das
extrem weh und mir schießen flammenartige Schmerzen in den Kopf.
Dann wieder in den ausgeliehenen Harrison geschaut und gelernt,
dass zwischen den beiden Wirbeln sogenannte Okzipitalnerven in die
Wirbelsäule eintreten. Dann im Internet und im Harrison rechechiert,
was es für Symptome gibt wenn da etwas kaputt ist und festgestellt,
dass das auf mich passt. Dazu brauchte ich nicht extra "Schulunterricht".
Dann später - es hat nur über zwei Monate gedauert bis jemand bereit
war, Bildgebung zu machen - halt mal die CD mit der Bildgebung in den
Computer eingelegt, erstmal nicht viel gesehen, dann auf die Idee gekommen,
Bilder aus dem Datensatz als einzelne Bilddateien herauszuholen und in
einer Bildbearbeitung mit hochgefahrenem Kontrast anzuschauen. Und bei
hochgefahrenem Kontrast sieht man ganz deutlich, dass der vierte und
der fünfte Halswirbel auch bei nach vorne geneigtem Kopf hinten
aneinander schrammen. Aber das interessiert keinen. Immer wenn ich sage,
dass man das ganz deutlich sieht wenn der Kontrast hochgesetzt wird,
wird abgewinkt, weil ich ja kein Arzt bin.
Ärzte haben mir das nicht erklärt. Ich habe das recherchiert. Auch mit
Internet.
Das Problem ist nicht Recherche im Internet, sondern ganz allgemein
wann man mit seiner eigenen Recherche zufrieden ist. Und ob man ein
Interesse an dem hat, was man recherchiert.
In meinem Fall habe ich ein Interesse, denn ich will mit der Recherche
etwas erreichen woran mir liegt:
Verstehen was an meiner derzeitigen anatomischen Situation die Schmerzen,
den Schwindel und den Tinnitus verursacht und diese Leiden abstellen.
Ärzte haben oft kein großes Interesse - die sind überlaufen, im Zeitdruck,
ausgebrannt und fertig, und abrechnen können sie auch so.
Kinder in der Schule wollen oft - häufig zurecht! - einfach nur den
ihnen aufgetragenen Mist, von dem sie wissen, dass er im Grunde genommen
für nichts außer Notengebung verwendet wird (jedenfalls nicht, um in der
Welt außerhalb der Schule etwas "echtes" damit zu machen) schnell vom
Hals haben.
Schnell vom Hals haben wollen, weil eh gleich der nächste Mist kommt, ist
auch ein Interesse, aber langes gründliches Recherchieren wird von den
Kindern nicht als Methode gesehen, diesem Interesse gerecht zu werden.
Wenn es dann in die universitäre Ausbildung geht, ist diese Geisteshaltung
bereits eingebrannt: Ich will einfach nur den Schein bekommen und meine
Ruhe haben und arbeite dafür den Hausaufgabenmist irgendwie ab und
schreibe die Klausuren, es wird ja doch nichts echtes mit dem gemacht, was
ich in der Ausbildung abliefere und wenn der Schein/das Zeugnis da ist,
landet das, was ich produziert habe, eh im Altpapier soweit ich es nicht
aus Nostalgie aufhebe ohne dass es praktischen Nutzen hätte.
Schon Seneca der Jüngere wusste das und schrieb in einer seiner Epistulae
Morales ad Lucilium: "Non vitae sed scholae discimus" - Nicht für das Leben
sondern für die Schule lernen wir.
Und das ist der Knackpunkt: Es geht in der Schule in den Augen der
Schüler/innen nicht ums Leben außerhalb der Schule, sondern um die Noten
bzw den Schein.
Schon zu meiner Schulzeit kam es eher selten vor, dass die Leute darauf
aufmerksam gemacht wurden, welche ganz konkreten Probleme sie bei etwas,
das sie machen wollen, bekommen können, wenn sie diesen oder jenen Lehrstoff
nicht begriffen haben. (Ich meine jetzt nicht das Problem, dass es die
Karriere behindern könnte wenn man die Prüfung nicht schafft/den Schein
nicht bekommt bzw nicht wahren kann.)
> Das tut mir wirklich leid.
Lassen wir es.
Ich wollte eigentlich nur mal zur Abwechslung einen der Gründe
durchblicken lassen, warum ich hier nicht immer auf der Höhe bin.
Ich bin aber trotzdem gern dabei, weil das unter anderem etwas
ist, was mich ablenkt und mein Leben so erträglicher macht.
> Leider gibt es viele Fälle (ich habe
> selbst einen in der Familie), bei denen Ärzte schlichtweg nicht
> helfen *können*.
Dann könnten die das sagen und einem empfehlen, weiter nach jemandem
zu suchen, der es kann statt einen in die nächste Physio-Folterrunde
zu schicken.
> Und mich für den Fall einer negativen Antwort an einen
> Schmerzspezialisten wenden, damit zumindest die Symptome
> erträglicher werden.
All diese Ideen hatte ich auch schon. Man bekommt in einem halben Jahr
einen Termin, da wird zehn Minuten gelabert, dann bekommt man mit einem
verbalen Klaps auf den Hintern zwanzig Seiten Fragebogen mit heim, der
von den Antwortvorgaben her so aufgebaut ist, dass man echt nicht weiß,
wie man den so ausfüllen soll, dass etwas drinsteht, was auf einen selbst
zutrifft, dann schickt man den ein, dann bekommt man einen Telefonanruf,
man solle weiter vom Hausarzt Schmerzmittel nehmen und vielleicht in
einem Dreivierteljahr gibts einen Platz für Schmerztherapie.
Wenn man dann nicht kann, weil man sich bei irgendeinem Schnelltest, bei
dem, der ihn durchgeführt hat, mit Covid19 angesteckt hat, darf man
wieder ein Dreivierteljahr warten.
Aber diese Newsgroup ist nicht dazu da, das gelöst zu bekommen.
Ich hätte es hier gar nicht erwähnen sollen, aber mir ist beim Schreiben
und Abschicken leider mein Menschsein mit mir durchgegangen.
>> Das Gesundheitssystem ist abgehalftert und kaputt.
>
> Dass gerade das Krankenhaussystem katastrophal ist, weil es
> ausschließlich am Gekd ausgerichtet wurde, ist ebenso
> bekannt wie ein vollkommen anderes Thema.
Dass am Geld ausgerichtet wird, ist aber auch ein Schulproblem.
Abwirtschaftung und heruntergekommene Ausstattung führt dazu, dass
die Leute von materieller Renovierung und Modernisierung träumen.
Und das oft unreflektiert mit Digitalisierung und möglichst viel
modernem Computerzeug über einen Kamm scheren.
Hab ich in den 2000er-Jahren beim Gymnasium in meiner Gegend beobachtet:
Da haben sich die jungen Lehrer gefreut, dass jetzt endlich ein schicker
neuer Computerraum da ist und sich darin reingestürzt, in technischer
Hinsicht mit dem Zeug umgehen zu können. Zeigen zu können, wie toll sie
administrieren und mit dem Netzwerkdrucker und den lokalen Schüler-
Accounts spielen, Sachen mit PowerPoint basteln und mit Word schreiben
und im Internetbrowser Google aufrufen können.
Die alten Lehrer haben sich nicht gefreut, denn sie konnten mit dem
Zeug nicht umgehen und haben sich deshalb unwohl gefühlt ohne dran zu
denken, dass technisches Know-How im Umgang mit den sogenannten neuen
Medien nicht alles ist.
Medienkompetenz und Selbstschutz in sozialer/gesellschaftlicher
Hinsicht - Überblick über die Möglichkeiten für Fakes/Lügen/Blendwerk/
Manipulation nicht nur beim Datenklau und Hackerangriff sondern auch
bei der Vermittlung von Inhalten? Sich bewusst werden, auf welchen
Ebenen man über Internet ausgeforscht und manipuliert wird und wie sich
das darauf auswirkt, wie mit einem umgegangen wird und wie man sich
selbst verhält? Damals komplett Fehlanzeige.
Wie es heute ist, weiß ich nur bedingt.
Mit freundlichem Gruß
Ulrich