Kant & Geometrie (war: Der Einfluss von Kant auf Einstein)

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Wolfgang G. G.

unread,
Apr 9, 2001, 2:47:00 PM4/9/01
to
Hendrik van Hees in 9akj1j$5mf4g$2...@fu-berlin.de :

>> Wenn ich mich recht erinnere, hat Kant nicht nur ein "Primat" der
>> euklidischen Geometrie "erteilt", sondern behauptet, dass der
>> euklidische dreidimensionale Raum _denknotwendig_ wäre (a priori).

Kant hat im Wesentlichen Recht, denn "Raumkrümmung setzt die
Vorstellung eines ungekrümmten Raums voraus" (siehe unten).

> Richtig ;-)). Wie gesagt, die mathematische Bildung des Herrn Kant
> ließ viel zu wünschen übrig. ...

Immanuel Kant lebte von 1724 bis 1804 und damit um Jahrzehnte
vor der Erfindung der sogenannten nicht-euklidschen Geometrien.
Für seine Zeit liess weder seine mathematische Allgemeinbildung
viel zu wünschen übrig, noch war sein Schreibstil so abwegig
wie er uns heute erscheint.

Die Kantische (anschauliche) Sicht der Geometrie war gegenüber
der axiomatisch-formalen ein Fortschritt, der von denen,
die später die gleichberechtigte Existenz nicht-euklidscher
Geometrien behaupteten, einfach nicht verdaut worden war.

Siehe auch "Kant & couterrevolution & Einstein":
http://groups.google.com/groups?q=author:wissenschaftskritik&seld=939466732&ic=1

Dass nichteuklidsche Geometrien nur axiomatisch-formale
Systeme, nicht aber echte Geometrien (d.h. widerspruchsfreie
Beschreibungen eines mehr-dimensionalen Kontinuums) sind, zeigt
sich vor allem am Fehlen konkreter quantitativer Aussagen.

Ein simples Beispiel: Wie verhält sich die Fläche des Kreises
mit Radius r in Abhängigkeit von r bei einer 2-dimensionalen
Geometrie mit konstanter "negativer Krümmung" von 1 Meter? (Beim
analogen "positiven" Fall nehmen wir ganz einfach die Vorstellung
der 2D-Oberfläche einer idealen 3D-Kugel mit 1 m Durchmesser zur
Hilfe.)


Hier ein paar Auszüge aus meinem Text "Physik und Erkenntnis-
theorie", http://members.lol.li/twostone/a5.html :

Geometrie ist die Wissenschaft des Raums. Im 20. Jahrhundert
hat sich der axiomatisch-formale Standpunkt durchgesetzt:

Eine Geometrie mit Parallelenaxiom ist nur ein Spezialfall
allgemeinerer Geometrien und nicht durch eine denknotwendige
Anschauungsform apriori gegeben, wie Kant meinte. Gekrümmte
Räume nichteuklidscher Geometrien sind fundamentaler als der
ungekrümmte Anschauungsraum, denn letzterer ist nur ein
Spezialfall der ersteren mit allgemeiner Krümmung Null.

Aber nach ähnlicher Logik ist ein Orchester fundamentaler als
ein Musiker, denn der Musiker kann als Spezialfall eines
Orchesters, nämlich des kleinstmöglichen, angesehen werden.

Raumkrümmung setzt die Vorstellung eines ungekrümmten Raums
voraus. Die Krümmung wird durch die Abweichung vom ungekrümmten
Raum ausgedrückt. Die Geometrie einer Kugeloberfläche gilt
als gleichberechtigte 2-dimensionale Geometrie mit konstanter
positiver Krümmung, wobei die Krümmung proportional zum
Verhältnis einer Längeneinheit zur Kugelgrösse ist. Aber so
wie sich Nicht-Rotation gegenüber Rotation dadurch auszeichnet,
dass sie nicht einer willkürlichen Rotationsachse bedarf, so
zeichnen sich die normalen n-dimensionalen Geometrien gegenüber
den nichteuklidschen mindestens dadurch aus, dass sie nicht
einer willkürlichen Längeneinheit bedürfen. Aber nur bei
Unabhängigkeit von einer Längeneinheit lassen sich im
n-dimensionalen Raum Figuren bei gleichbleibender Form beliebig
vergrössern und verkleinern.

Das Parallelenaxiom sagt etwas über Geraden aus. Aber auf einer
Kugeloberfläche gibt es keine Geraden. Die 2-dimensionale
Geometrie mit konstanter positiver Krümmung ist nicht mehr als
die Oberflächengeometrie eines 3-dimensionalen Körpers. Es
lassen sich aber beliebige Krümmungen postulieren und bei z.B.
konstanter negativer Krümmung kann es sich nicht um eine
Oberflächengeometrie eines Körpers einer endlich-dimensionalen
normalen Geometrie handeln. Daraus wurde geschlossen, dass die
nichteuklidschen Geometrien allgemeiner und fundamentaler seien
als die normalen. Aber postulieren kann man viel, z.B. Zahlen,
von denen jede grösser als alle anderen ist.

Dass das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser eines Kreises
nicht exakt 22/7 beträgt, lässt sich empirisch zeigen. Dass
jedoch dieses Verhältnis bei allen idealen Kreisen exakt pi
beträgt oder dass sich die Seitenhalbierenden eines Dreiecks
in exakt einem Punkt schneiden, lässt sich empirisch nicht
zeigen. Nach dem axiomatisch-formalen Standpunkt sind solche
Aussagen weder richtig noch falsch unabhängig von Postulaten
einer Geometrie. Das erweckt den Eindruck, man könnte die
Postulate beliebig wählen, z.B. so, dass das Verhältnis von
Umfang zu Durchmesser eines Kreises exakt 3 ergibt.

...

Der 3-dimensionale Raum der normalen Geometrie ist nicht Folge
sondern Ursache der willkürlichen Definitionen, Axiome und
Postulate von Euklid oder späterer Mathematiker. Kant hielt
diesen Raum, wie auch die Zeit, für eine apriori gegebene
denknotwendige Anschauungsform. Denn eine Erkenntnis wie die,
dass sich die Seitenhalbierenden eines Dreiecks in exakt einem
Punkt schneiden, ist in unserer Anschauung bzw. Vorstellung
gegeben und ist unabhängig von einer ihr entsprechenden
sprachlichen Formulierung. Beim axiomatisch-formalen Standpunkt
geht es nur darum, so eine Formulierung aus anderen
Formulierungen (Definitionen, Axiomen, Postulaten) nach
formalen Regeln ohne Bezug zu einer subjektiven Anschauung
abzuleiten. ...

Da Kant die Anschauungsform des Raums mit dem physikalischen
Raum gleichsetzte und somit die Begrenzung auf drei Dimensionen
als apriori gegeben ansah, wurde sein Standpunkt durch die
Entwicklung von Mathematik und Physik widerlegt. Wie sich das
Volumen der 3-dimensionalen Oberfläche einer 4-dimensionalen
Kugel berechnet oder wieviele Ecken, Kanten, Quadrate und
Würfel einen 4-dimensionalen Würfel begrenzen, ist genauso
apriori gegeben wie bei den analogen Fragen der 3-dimensionalen
Geometrie. Die Antworten sind sogar elegante Beispiele dessen,
was Kant als 'synthetische Urteile apriori' bezeichnete.

...

Kant führte diese Unterscheidungen [in analytisch, synthetisch,
apriori, aposteriori] u.a. im Bestreben ein, die Anwendbarkeit
der geometrischen Methode auf metaphysische Probleme zu klären.
Er kam zu folgendem Schluss:

In der Geometrie kommt man deshalb durch Denken alleine
zu Erkenntnissen, die über die Analyse von Begriffen
hinausgehen, weil es neben den Begriffen auch die
Anschauungsform Raum gibt. Wenn so eine Anschauungsform
fehlt, führt die geometrische Methode nicht zu sinnvollen
Erkenntnissen.

In dieser Hinsicht müssen verschiedene mathematische Theorien
und die moderne theoretische Physik als Rückfall in unkritische
Metaphysik und willkürliche Spekulation bezeichnet werden.


Gruss,
Wolfgang Gottfried G.
Liechtenstein


Eine Satire zu nichteuklidschen Geometrien und ART:
http://members.lol.li/twostone/satire1.html


Walter Schmid

unread,
Apr 9, 2001, 3:17:26 PM4/9/01
to
"Wolfgang G. G." schrieb:

>
> Hendrik van Hees in 9akj1j$5mf4g$2...@fu-berlin.de :
>
> >> Wenn ich mich recht erinnere, hat Kant nicht nur ein "Primat" der
> >> euklidischen Geometrie "erteilt", sondern behauptet, dass der
> >> euklidische dreidimensionale Raum _denknotwendig_ wäre (a priori).
>
> Kant hat im Wesentlichen Recht, denn "Raumkrümmung setzt die
> Vorstellung eines ungekrümmten Raums voraus" (siehe unten).

(falls das Folgende Unsinn ist, bitte ich um Entschuldigung!)

ist das nicht äquivalent zu der Aussage "der gerade Raum setzt
die Vorstellung des gekrümmten Raumes voraus"?

Da Kant AFAIK vom gekrümmten Raum nichts wusste, konnte er auch
vom ungekrümmten Raum nichts wissen, sondern diesen nur
konstruieren. Ob er gerade oder gekrümmt sei, konnte er nicht
herausfinden, weil die Krümmung zu schwach ist. In der Nähe eines
schwarzen Loches erhielte ein Lineal beim Bewegen desselben je
nach Neigung zur Senkrechten eine andere Krümmung und der
Beobachter würde samt Lichtstrahl mitgekrümmt.

Oder habe ich physikalischer Laie alles falsch verstanden?

Oder verwechselst Du Krümmung der Dinge (oder Planetenbahnen)
_im_ Raum mit der Krümmung _des_ Raumes? Oder ich?


[snip]


> In der Geometrie kommt man deshalb durch Denken alleine
> zu Erkenntnissen, die über die Analyse von Begriffen
> hinausgehen, weil es neben den Begriffen auch die
> Anschauungsform Raum gibt. Wenn so eine Anschauungsform
> fehlt, führt die geometrische Methode nicht zu sinnvollen
> Erkenntnissen.
>
> In dieser Hinsicht müssen verschiedene mathematische Theorien
> und die moderne theoretische Physik als Rückfall in unkritische
> Metaphysik und willkürliche Spekulation bezeichnet werden.
>

könntest Du das kurz erläutern? Welche Theorien sind da gemeint?
Was hat Geometrie mit Metaphysik zu tun?

Gruss

Walter


dr...@incogni.to

unread,
Apr 9, 2001, 3:27:25 PM4/9/01
to
Wolfgang G. G. <z...@z.lol.li>:
: denn "Raumkruemmung setzt die
: Vorstellung eines ungekruemmten Raums voraus"

so ein Unsinn. Wuerden wir die Effekte der Raumkruemmung im Bereich von
Metern beobachten koennen, muessten wir uns keinen "ungekruemmten" Raum
vorstellen. Die Kruemmung erschiene uns ganz natuerlich. Es ist auch nicht
so, dass jeder gekruemmte Raum einen ungekruemmten "Traegerraum" braucht,
in den er gekruemmt ist. Die Kruemmung aeussert sich einfach in
sehr merkwuerdigen Dingen, die mit Winkeln und Entfernungen passieren.

: Immanuel Kant lebte von 1724 bis 1804 und damit um Jahrzehnte


: vor der Erfindung der sogenannten nicht-euklidschen Geometrien.

Das ist -- ausser im werksgeschichtlichen und biographischen Kontext --
irrelevant, die diskutierten Apriori sind Globalaussagen und
sie werden nicht irgendwie mit "aus meinem Matheunterricht weiss ich"
hergeleitet, sondern aus Kants Philosophie.

: Die Kantische (anschauliche) Sicht der Geometrie war gegenueber
: der axiomatisch-formalen ein Fortschritt,

Ja sicher doch! Weil's so schoen "anschaulich" war, haben Generationen von
Mathematikern versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen. Ich bin
beeindruckt. SCNR

: http://members.lol.li/twostone/a5.html

lol.li/twostone, alles klar. Killfile updated.

Dieter Kiel

unread,
Apr 9, 2001, 3:42:14 PM4/9/01
to
On Mon, 09 Apr 2001 21:17:26 +0200, Walter Schmid
<schm...@datacomm.ch> wrote:
snip

Hinweis:
In alt.philosophy.kant wird in Englisch diskutiert. Die Diskussion
ist interessant, wird aber hier wegen der Sprache nicht verstanden.
Dieter

Hendrik van Hees

unread,
Apr 9, 2001, 4:55:14 PM4/9/01
to
Wolfgang G. G. wrote:


> Kant hat im Wesentlichen Recht, denn "Raumkrümmung setzt die
> Vorstellung eines ungekrümmten Raums voraus" (siehe unten).

Seit wann das denn? Die Differentialgeometrie kommt erst mal ganz
ohne jede Vorstellung aus, und da kommt der ungekrümmte Raum als
Tangentialraum in einem gegebenen Punkt vor, aber vorstellen muß ich
ihn mir nicht (das fällt mir schon bei 3 Dimensionen schwer genug).

> Die Kantische (anschauliche) Sicht der Geometrie war gegenüber
> der axiomatisch-formalen ein Fortschritt, der von denen,
> die später die gleichberechtigte Existenz nicht-euklidscher
> Geometrien behaupteten, einfach nicht verdaut worden war.

Ich habe immer die später entwickelte axiomatische Methode der
Mathematik für fortschrittlich gegenüber der anschaulichen Sicht
gehalten, denn Anschauung ist vielleicht zuweilen ein gutes Argument,
einen mathematischen Beweis zu finden, aber es ist deshalb noch kein
Beweis.


>
> Siehe auch "Kant & couterrevolution & Einstein":
>
http://groups.google.com/groups?q=author:wissenschaftskritik&seld=939466732&ic=1
>
> Dass nichteuklidsche Geometrien nur axiomatisch-formale
> Systeme, nicht aber echte Geometrien (d.h. widerspruchsfreie
> Beschreibungen eines mehr-dimensionalen Kontinuums) sind, zeigt
> sich vor allem am Fehlen konkreter quantitativer Aussagen.

Die Differentialgeometrie definiert sehr wohl quantitative Maße für
gekrümmte Räume (affine Zusammenhänge, Riemannsche Räume, Räume mit
Krümmung und Torsion und dgl. mehr, kommen alle in der Physik vor, in
der ART ist die Raumzeit ein pseudoriemannsches vierdim. Kontinuum,
da ist alles quantitativ).

[Werde den Link überfliegen]

> Geometrie ist die Wissenschaft des Raums. Im 20. Jahrhundert
> hat sich der axiomatisch-formale Standpunkt durchgesetzt:
>
> Eine Geometrie mit Parallelenaxiom ist nur ein Spezialfall
> allgemeinerer Geometrien und nicht durch eine denknotwendige
> Anschauungsform apriori gegeben, wie Kant meinte. Gekrümmte
> Räume nichteuklidscher Geometrien sind fundamentaler als der
> ungekrümmte Anschauungsraum, denn letzterer ist nur ein
> Spezialfall der ersteren mit allgemeiner Krümmung Null.

Der Anschauungsraum (wenn Du den Raum damit meinst, in dem wir
täglich umherwandern) ist nicht euklidisch, sondern gekrümmt (wenn
auch nur schwach ;-)). Die Folge der Krümmung (allerdings die der
vierdim. Raumzeit) ist die sehr reale Schwerkraft, die die Dinge in
die Richtung fallen läßt, die wir aufgrund dieses Phänomens als
"unten" zu bezeichnen pflegen.

> Raumkrümmung setzt die Vorstellung eines ungekrümmten Raums
> voraus. Die Krümmung wird durch die Abweichung vom ungekrümmten
> Raum ausgedrückt. Die Geometrie einer Kugeloberfläche gilt
> als gleichberechtigte 2-dimensionale Geometrie mit konstanter
> positiver Krümmung, wobei die Krümmung proportional zum
> Verhältnis einer Längeneinheit zur Kugelgrösse ist. Aber so
> wie sich Nicht-Rotation gegenüber Rotation dadurch auszeichnet,
> dass sie nicht einer willkürlichen Rotationsachse bedarf, so
> zeichnen sich die normalen n-dimensionalen Geometrien gegenüber
> den nichteuklidschen mindestens dadurch aus, dass sie nicht
> einer willkürlichen Längeneinheit bedürfen. Aber nur bei
> Unabhängigkeit von einer Längeneinheit lassen sich im
> n-dimensionalen Raum Figuren bei gleichbleibender Form beliebig
> vergrössern und verkleinern.
>

Ich weiß nicht, was Du uns damit sagen willst. Meinst Du damit, daß
das Universum, in dem wir leben denknotwendig Unsinn ist? Hm, das
würde einiges erklären. SCNR.

> Das Parallelenaxiom sagt etwas über Geraden aus. Aber auf einer
> Kugeloberfläche gibt es keine Geraden. Die 2-dimensionale

Das Parallelenaxiom ist das Unanschaulichste von allen Euklidischen
Axiomen, denn Du hast noch nie zwei Geraden realitier _gesehen_, denn
Dein Blick kann nur endliche Distanzen erfassen. Die
Lichtgeschwindigkeit ist endlich und, so leid mir das tut, Deine
Lebensdauer wird wie unser aller Lebensdauer mit großer
Wahrscheinlichkeit endlich sein. Daß sich zwei Geraden nirgends
schneiden, ist also ein kühne Extrapolation unseres prinzipiell
begrenzten Sichtvermögens ins Unendliche, wobei es fraglich ist, ob
das Universum überhaupt unendlich ist. Das ist eine Frage, die
empirisch zu klären ist.

> Geometrie mit konstanter positiver Krümmung ist nicht mehr als
> die Oberflächengeometrie eines 3-dimensionalen Körpers. Es
> lassen sich aber beliebige Krümmungen postulieren und bei z.B.
> konstanter negativer Krümmung kann es sich nicht um eine
> Oberflächengeometrie eines Körpers einer endlich-dimensionalen
> normalen Geometrie handeln. Daraus wurde geschlossen, dass die
> nichteuklidschen Geometrien allgemeiner und fundamentaler seien
> als die normalen. Aber postulieren kann man viel, z.B. Zahlen,
> von denen jede grösser als alle anderen ist.
>

Die moderne Physik hat zweifelsfrei gezeigt, daß die Raumzeit und mit
ihr der Raum eines beliebigen Beobachters nicht global flach ist.

Hm, das alles erinnert mich stark an Sokals schönen Text, wo er
meinte, die Kids in der Schule würden unterdrückt, weil man sie
zwingt zu lernen, pi sei konstant. SCNR.
--
Hendrik van Hees Home: http://theory.gsi.de/~vanhees/
c/o GSI-Darmstadt SB3 3.183 FAQ: http://theory.gsi.de/~vanhees/faq/
Planckstr. 1 mailto:h.va...@gsi.de
D-64291 Darmstadt

Karl Wagner

unread,
Apr 9, 2001, 3:49:46 PM4/9/01
to
Walter Schmid wrote:

> "Wolfgang G. G." schrieb:
>>
>> Hendrik van Hees in 9akj1j$5mf4g$2...@fu-berlin.de :
>>
>> >> Wenn ich mich recht erinnere, hat Kant nicht nur ein "Primat" der
>> >> euklidischen Geometrie "erteilt", sondern behauptet, dass der
>> >> euklidische dreidimensionale Raum _denknotwendig_ wäre (a priori).
>>
>> Kant hat im Wesentlichen Recht, denn "Raumkrümmung setzt die
>> Vorstellung eines ungekrümmten Raums voraus" (siehe unten).
>
> (falls das Folgende Unsinn ist, bitte ich um Entschuldigung!)
>
> ist das nicht äquivalent zu der Aussage "der gerade Raum setzt
> die Vorstellung des gekrümmten Raumes voraus"?
>
> Da Kant AFAIK vom gekrümmten Raum nichts wusste, konnte er auch
> vom ungekrümmten Raum nichts wissen, sondern diesen nur
> konstruieren. Ob er gerade oder gekrümmt sei, konnte er nicht
> herausfinden, weil die Krümmung zu schwach ist. In der Nähe eines
> schwarzen Loches erhielte ein Lineal beim Bewegen desselben je
> nach Neigung zur Senkrechten eine andere Krümmung und der
> Beobachter würde samt Lichtstrahl mitgekrümmt.
>
> Oder habe ich physikalischer Laie alles falsch verstanden?

Von einem gekrümmten Raum hat man zu Kants Zeiten noch nicht
gesprochen, wie heute.
Was aber Kant schon kannte, war der Krümmungsbegriff überhaupt. Ich
denke aber, dass dies für die Argumentation in der "Kritik der reinen
Vernunft" unwichtig ist. Um den Philosophen Kant zu beurteilen, muß man
seine Argumente betrachten. Die Argumente gehen auf den Erfahrungsraum.
Dieser Erfahrungsraum wird in seiner geometrischen Struktur nicht
präzis genug gefasst, um von Krümmung eines Raumes zu sprechen. Die
Krümmung des Raumes ist nämlich ein seltsamer Begriff, bei dem
Konzepte, die man aus der Flächen und Kurventheoie gewonnen hat auf den
Raum beziehungsweise allgemeine differenzierbare semi-riemansche
Mannigfaltigkeiten überträgt (dass das geht ist schon erstaunlich genug
und alles andere als sebstverständlich: Theorema Egregium!).
Die Raumkrümmung läßt sich messen, aber nicht durch eine Krümmung, denn
der intuitive Krümmungsbegriff setzt eine Einbettung in den
übergeordneten Raum voraus. Dies ist beim Erfahrungsraum selbst nicht
gegeben. Die Raumkrümmung läßt sich nur vermittelt, durch die
induzierte Geometrie des Raumes messen. Gekrümmte Räume haben eine
anderen Geometrie, wie ungekrümmte. Um von gekrümmten Raümen zu reden
muß man also zuerst diese Abstraktion von dem Krümmungsbegriff
mitmachen, und man braucht man einen sehr differenzierten Geometrie-
und Messbegriff.
Kant redet aber nicht von Abstandsbegriffen, Metriken oder Winkel,
sondern von Formen der Anschaung: Raum und Zeit und von Urteilsformen;
und wie sich diese Formen aufeinander apriori beziehen können:
Wie sind sythetische Urzeile a priori möglich? Ist seine zentrale
Frage.
Seine Arguemente sind also relativ gering von der Entwicklung der
moderen Mathematik betroffen. Man kann Kants philosophischen Argumente
falsch finden, aber ich glaube durch die Relativitätstheorie sind seine
Argumente nicht betroffen (aber seine Physikalischen Vorstellungen
schon).


>
> Oder verwechselst Du Krümmung der Dinge (oder Planetenbahnen)
> _im_ Raum mit der Krümmung _des_ Raumes? Oder ich?
>
>
> [snip]
>> In der Geometrie kommt man deshalb durch Denken alleine
>> zu Erkenntnissen, die über die Analyse von Begriffen
>> hinausgehen, weil es neben den Begriffen auch die
>> Anschauungsform Raum gibt. Wenn so eine Anschauungsform
>> fehlt, führt die geometrische Methode nicht zu sinnvollen
>> Erkenntnissen.
>>
>> In dieser Hinsicht müssen verschiedene mathematische Theorien
>> und die moderne theoretische Physik als Rückfall in unkritische
>> Metaphysik und willkürliche Spekulation bezeichnet werden.
>>
>
> könntest Du das kurz erläutern? Welche Theorien sind da gemeint?
> Was hat Geometrie mit Metaphysik zu tun?

Ich vermute, dass hier die nichteuklidischen Geometrien und die
axiomatisch-formale Weise, wie sie zu Beispiel David Hilbert
dargestellt hat gemeint ist. Wenn man diese einfach für die Welt
Behaupten würde: Die Welt ist nicht euklidisch sonder hyperbolisch,
etc. wäre das sicher Spekulativ. Aber so machts die Mathematik nicht.
Die Mathematik bestimmt sich anders!
Hier ist wieder mal so eine Stelle, wo "Theoretiker" der Wissenschaft
vorschreiben wollen, was und wie sie es zu sagen und zu machen haben
und sich wundern, dass die Wissenschaftler sich einen feuchten Sch...
drum kehren.
Die Mathematiker und Physiker bestimmen durch ihr tun, was Mathematik
oder Physik ist, nicht die "Wissenstheoretiker".

Es lebe Wittgenstein!

Gruß,
Karl.

Wolfgang Thumser

unread,
Apr 9, 2001, 5:44:12 PM4/9/01
to
Hallo Wolfgang,

Als Befuerworter des kategorischen Imperativs frage ich mich,
was Kant wohl von einem unangekuendigten crossposting in
vier Gruppen ohne gesetztes follow up to gehalten haette.

Xpost auf dsm gekuerzt und f'up2 poster wegen OT gesetzt

Gruss Wolfgang

Axel Schmitz-Tewes

unread,
Apr 10, 2001, 5:29:58 AM4/10/01
to
dr...@incogni.to wrote:

> Ja sicher doch! Weil's so schoen "anschaulich" war, haben Generationen von
> Mathematikern versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen.

sorry, weil's so _unanschaulich_ war, haben Generationen von


Mathematikern versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen.

Axel

dr...@incogni.to

unread,
Apr 10, 2001, 4:50:06 AM4/10/01
to
Axel Schmitz-Tewes <a...@in-telegence.net>:
:> Ja sicher doch! Weil's so schoen "anschaulich" war, haben Generationen von

:> Mathematikern versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen.

: sorry, weil's so _unanschaulich_ war, haben Generationen von
: Mathematikern versucht, das Parallelenaxiom zu beweisen.

Nein, oder du verstehst mich falsch.
Jemand, der in der hier geschmaehten Axiomatik geschult ist, wuerde ganz
cool sagen: "Euch sorgt das Parallelenaxiom? Wohlan, lasset uns das
Gegenteil annehmen und sehen, was dabei herauskommt." Dieser Weg war
den "anschaulichen" Mathematikern eben durch die Anschauung verbaut.
Dass es mehr als eine Parallele gibt, haette der schlicht als "falsch"
klassifiziert. Die Axiome wurden nicht als Voraussetzungen betrachtet,
unter denen man die Theorie auf Objekte anwenden darf, sondern als
Elementaraussagen ueber Objekte.

(oder ich habe hier gerade einen riesigen Denkfehler - dann bitte
Laut geben)

Adolf Göbel

unread,
Apr 10, 2001, 6:01:51 AM4/10/01
to


Schon richtig:
Die Axiome wurden für _unbestreitbar_ wahr und für _unbeweisbar_ gehalten. Ihre
'Richtigkeit' sollte für _jeden_ offensichtlich sein. Genau das galt für das
Parallelenaxiom(gleichgültig in welcher Form, etwa Winkelsumme im Dreieck = 180°)
eben _nicht_.
Deshalb die Versuche, es zu beweisen.


Grüsse
Adi

--
_____________________________________________________________
NewsGroups Suchen, lesen, schreiben mit http://netnews.web.de

Wolfgang G. G.

unread,
Apr 10, 2001, 1:26:28 PM4/10/01
to
Entgegnungen zu Stellungnahmen zu meinem Beitrag
http://groups.google.com/groups?q=author:z...@z.lol.li&seld=904043418&ic=1


Dieter Kiel antwortete in nm34dtk9ntusu3huo...@4ax.com :

: In alt.philosophy.kant wird in Englisch diskutiert. Die Diskussion


: ist interessant, wird aber hier wegen der Sprache nicht verstanden.

Ich kann mich kaum erinnern, jemals eine so armselige Newsgroup
(mit sovielen off-topic Threads und Schrott) wie alt.philosophy.kant
gesehen zu haben. Also da kann ich deinen Newsgroup-Sprachpurismus
beim besten Willen nicht nachvollziehen, vor allem auch weil es
sich um eine internationale Newsgroup über einen deutschsprachigen
Philosophen handelt, und jeder ohne Zeitverlust einen Thread
ignorieren kann. Wenn sinnlose (dafür aber autochtone) "troll-
alert"-Threads, nicht aber sinnvolle (crossgepostete) Diskussionen
im Zusammenhang mit Kant erwünscht sind, dann sollte man meines
Erachtens den Namen Kant für so etwas nicht missbrauchen.


drno.incognito in 9at2et$4ok$1...@narses.hrz.tu-chemnitz.de :

>> denn "Raumkruemmung setzt die Vorstellung eines ungekruemmten
>> Raums voraus"
>

> So ein Unsinn.

Statt leichtfertiger Verunglimpfung würde es dir eher anstehen,
dich um ein minimales Verständnis des Problems zu bemühen.

> Wuerden wir die Effekte der Raumkruemmung im Bereich von
> Metern beobachten koennen, muessten wir uns keinen "ungekruemmten" Raum
> vorstellen. Die Kruemmung erschiene uns ganz natuerlich.

Aber trotzdem würden wir die Krümmung als Abweichung von der
idealen euklidischen Geometrie ausdrücken und die Zahl pi
hätte nach wie vor die Bedeutung des Verhältnisses von Umfang
zu Durchmesser eines idealen Kreises.

Auch könnten wir feststellen, ob der Raum positiv oder negativ
gekrümmt ist. Das ist aber nur möglich, weil sich die flache
Geometrie apriori gegenüber gekrümmten auszeichnet. Die flache
Geometrie ist auch immer als Grenzfall im Kleinen gültig,
etwa so wie die Verzerrungen bei Landkarten umso kleiner sind,
je kleiner die darauf gezeichneten Gebiete im Verhältnis zum
irdischen Krümmungsradius.

Das heisst: Ideale räumliche Anschauungsformen im Sinne Kant's
sind nicht nur das Fundament der flachen Geometrien, sondern
auch der gekrümmten (sofern sie mehr sind als inhaltslose
axiomatisch-formale Systeme).

Die Annahme, dass der Abstand zwischen Parallelen überall
konstant ist, ist die einzige nicht-willkürliche, und nur das
Nicht-Willkürliche kann als Fundament unseres Denkens dienen.

> Es ist auch
> nicht so, dass jeder gekruemmte Raum einen ungekruemmten "Traegerraum"

> braucht, in den er gekruemmt ist. ...

Das ist genau der entscheidende Punkt. Wenn flache Trägerräume
höher Dimensionen für gekrümmte Räume aufgegeben werden,
verlässt man die Vernunft und begibt sich auf das Gebiet
willkürlicher Spekulation.

> Killfile updated.

Ignorieren und Verdrängen was man nicht wissen will, waren
immer schon die einfachsten Methoden, den eigenen Glauben vor
Widerlegung zu schützen.


Wolfgang Thumser in 3AD22D2C...@mathematik.uni-bielefeld.de :

| Als Befuerworter des kategorischen Imperativs frage ich mich,
| was Kant wohl von einem unangekuendigten crossposting in
| vier Gruppen ohne gesetztes follow up to gehalten haette.

Also diese Hetze gegen Crossposten an und für sich ist doch
grotesk. Wer Newsgroups täglich mit haufenweise Monopostings
versorgt, verhält sich "korrekt", wer jedoch ab und zu ein
Crossposting verschickt, gilt als "asozial"! Wem würde es
viel bringen, wenn ich aus meinem Crossposting vier ähnliche
Monopostings mit Schwerpunkten für jede der vier Gruppen
gemacht hätte? Mein Grund für Crossposten besteht gerade
darin, überflüssige Redundanz möglichst zu vermeiden.

Und könntest du mir bitte erklären, inwiefern mein Beitrag
deinem Forum de.sci.mathematik schadet? Ist er off-topic?
Entspricht er irgendwie sonst nicht deinen ästhetischen
oder intellektuellen Anforderungen? An der hohen Anzahl meiner
Beiträge kann es wohl nicht liegen, da der von dir monierte
Beitrag mein erster an de.sci.mathematik überhaupt ist.

Auch halte ich es für eine Bevormundung, ein f'up zu setzen.
Du hast deine Antwort, die nichts mit Mathematik zu tun hat,
in de.sci.mathematik abgesetzt, was dein gutes Recht ist.
Du hättest sie mir aber auch als Email zukommen lassen und
zu Folgendem Stellung beziehen können:

Wie verhält sich die Fläche des Kreises mit Radius r in
Abhängigkeit von r bei einer 2-dimensionalen Geometrie mit
konstanter "negativer Krümmung" von 1 Meter? (Beim analogen
"positiven" Fall nehmen wir ganz einfach die Vorstellung
der 2D-Oberfläche einer idealen 3D-Kugel mit 1 m Durchmesser
zur Hilfe.)

Für eine oberflächliche technische Stellungnahme zu dieser
Frage wäre dann de.sci.mathematik wohl am ehesten angebracht.
Eine durchdachte Antwort zu dieser Frage sollte aber meines
Erachtens trotz der inszenierten Hetze gegen Crossposten
mindestens de.sci.physics nicht vorenthalten werden.

Siehe auch "Zensur und Crossposten":
http://groups.google.com/groups?q=author:z...@z.lol.li&seld=904719884&ic=1


Es grüsst,
Wolfgang


Das Fundament der Physik:
http://members.lol.li/twostone/index1.html


Roland Harnau

unread,
Apr 10, 2001, 1:52:35 PM4/10/01
to
On 10 Apr 2001 12:01:51 +0200, "Adolf Göbel" <adolf...@aol.com>
wrote:

[...]


>Schon richtig:
>Die Axiome wurden für _unbestreitbar_ wahr und für _unbeweisbar_ gehalten. Ihre
>'Richtigkeit' sollte für _jeden_ offensichtlich sein. Genau das galt für das
>Parallelenaxiom(gleichgültig in welcher Form, etwa Winkelsumme im Dreieck = 180°)
>eben _nicht_.
>Deshalb die Versuche, es zu beweisen.

Nein, nach Kant ist der folgende Satz eine synthetische Aussage a
priori: "Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei
Punkten."


roland

Walter Schmid

unread,
Apr 10, 2001, 2:28:35 PM4/10/01
to
"Wolfgang G. G." schrieb:
>

> Aber trotzdem würden wir die Krümmung als Abweichung von der
> idealen euklidischen Geometrie ausdrücken und die Zahl pi
> hätte nach wie vor die Bedeutung des Verhältnisses von Umfang
> zu Durchmesser eines idealen Kreises.

glaubst Du im Ernst, dass man in der Nähe des Ereignishorizontes
eines Schwarzen Loches wirklich die Euklidische Geometrie
gefunden hätte? und gar als Standard gesetzt hätte?, wo doch dort
ein Halbblinder sieht, dass die Winkelsumme im Dreieck je nach
Ausrichtung der Zeichentafel eine andere ist, und nur im Falle
der waagrechten Position zufällig = 180 Grad? Dort wäre wohl eher
ein Apriori des "nichts gilt überall, alles fliesst, sogar Zirkel
und Lineal" erfunden worden. Ob auf dieser Grundlage Wissenschaft
möglich wäre oder nicht, scheint mir eine sehr interessante Frage
(auch wenn Leben dort kaum denkbar ist).

Gruss

Walter


Hendrik van Hees

unread,
Apr 10, 2001, 3:19:19 PM4/10/01
to
Roland Harnau wrote:

>
> Nein, nach Kant ist der folgende Satz eine synthetische Aussage a
> priori: "Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei
> Punkten."

Die Geodäte ist die geradeste Verbindung zwischen zwei Punkten. In
einem ungekrümmten Raum ist das eine Gerade (ist ja auch logisch,
denn gerader geht's nicht).

SCNR

Der arme Kant. Eigentlich mag ich ihn viel lieber für seinen
berühmten Aufklärungssatz, den ich damals in der Schule auswendig
lernen mußte: "Aufklärung ist der Ausgang..."

In Sachen Geometrie ist er ja auch nur dadurch gescheitert, daß er
die _euklidische_ Geometrie für denknotwendig gehalten hat. Mit
Geometrie lag er ja ganz recht.

Interessanterweise sind die heutigen Grundlagen, von mir aus
synthetische "synthetische Urteile a priori", Symmetrien (genauer
Symmetriegruppen). Sie gestatten die Konstruktion der Geometrie der
Raumzeit erst.

Als mathematische Theorien sind natürlich alle sinnvoll formulierten
Geometrien gleichwertig, und keine hat eine Bevorzugung vor einer
anderen.

Vielleicht können mit dieser Auffassung auch die Philosophen leben?
Nochmal: ich hab' ja nix gegen Kant, aber es ist ein schönes Beispiel
dafür, daß ohne Empirie korrekte Schlüsse über die physikalische Welt
ziemlich unsicher, in der Regel sogar, falsch sind. Wo Kant
allerdings Recht hatte: Ohne Theorie kann ich auch nichts messen und
folglich auch keine Empirie treiben. Es ist also ein kompliziertes
einander Bedingen von Theorie und Empirie, die ein Weltbild entstehen
lassen, das immerhin von etwa 10^(-16)m bis zu den Ausmaßen des
sichtbaren Universums alles korrekt beschreibt.

Roland Harnau

unread,
Apr 10, 2001, 3:36:26 PM4/10/01
to
On Tue, 10 Apr 2001 21:19:19 +0200, Hendrik van Hees
<h.va...@gsi.de> wrote:

>Roland Harnau wrote:
>
>>
>> Nein, nach Kant ist der folgende Satz eine synthetische Aussage a
>> priori: "Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei
>> Punkten."
>
>Die Geodäte ist die geradeste Verbindung zwischen zwei Punkten. In
>einem ungekrümmten Raum ist das eine Gerade (ist ja auch logisch,
>denn gerader geht's nicht).
>
>SCNR

Göttchen, ist das süß! Hast du meine Ausführungen zu Kant auch nur
halbwegs verstanden? Meine Anwort an Adolf sollte begründen, dass Kant
das Parallelenaxiom tatsächlich als a priori auffasst. Und das ist,
soweit der Raum als apriorische Raumanschaung betrachtet wird, auch
*richtig*.(hier empfehle ich Cassirer)

Nehmen wir an, t0 sei die Gegenwart. Zu einer Zeit t1 > t0 hat sich
die *Bedeutung* des Terms "Birne" soweit verändert, dass es generell
Obst umfasst. Du bist nun wie jemand, der in t1 sagt: "Sind die Leute
zur Zeit t0 doch blöd, sie erkannten nicht, dass Äpfel auch Birnen
sind". Wenn du also mit *deinem* Raumbegriff Kants kritiserst, so ist
das wohl kaum ernstzunehmen. Den Satz mit dem Philosphen und dem
Schweigen spare ich mir jetzt, weil mir sonst Norbert an die Gurgel
geht.

roland

Hendrik van Hees

unread,
Apr 10, 2001, 5:57:08 PM4/10/01
to
Roland Harnau wrote:


> Göttchen, ist das süß! Hast du meine Ausführungen zu Kant auch nur
> halbwegs verstanden? Meine Anwort an Adolf sollte begründen, dass
> Kant das Parallelenaxiom tatsächlich als a priori auffasst. Und das
> ist, soweit der Raum als apriorische Raumanschaung betrachtet wird,
> auch *richtig*.(hier empfehle ich Cassirer)
>

Ich habe Kant wahrscheinlich anders verstanden als Du. Sicher ist
aber, daß die euklidische Geomtrie weder denknotwendig ist, noch zur
Beschreibung des Raumes geeignet ist, in dem wir herumwuseln ;-)).
Natürlich ist die euklidische Geometrie denkmöglich, denn sonst gäbe
es sie ja nicht. Trotzdem ist die Kantsche Begründung, der Raum müsse
euklidisch sein nun einmal physikalisch nicht korrekt, sondern nur
eine Näherung, für Bereiche, wo die Gravitation schwach ist, sprich
die Energie-Impulsdichte klein ist.

Egal, ob ich Kant verstehe oder nicht, das ist nun einmal die
Erkenntnis der Physik (sicher weiß man's seit 1919 durch die Messung
der Lichtablenkung an der Sonne).

> Nehmen wir an, t0 sei die Gegenwart. Zu einer Zeit t1 > t0 hat sich
> die *Bedeutung* des Terms "Birne" soweit verändert, dass es generell
> Obst umfasst. Du bist nun wie jemand, der in t1 sagt: "Sind die
> Leute zur Zeit t0 doch blöd, sie erkannten nicht, dass Äpfel auch
> Birnen sind". Wenn du also mit *deinem* Raumbegriff Kants
> kritiserst, so ist das wohl kaum ernstzunehmen. Den Satz mit dem
> Philosphen und dem Schweigen spare ich mir jetzt, weil mir sonst
> Norbert an die Gurgel geht.

Nun gut, ich bin halt ein ungebildeter Physiker. Ich lese Kant als
solcher. Wenn mir einer beweist, der physikalische Raum müsse
notwendig durch euklidische Geometrie beschrieben werden und ich weiß
(egal wann ;-)), dem ist nicht so, dann muß an dem "Beweis" etwas
falsch sein. Imho ist das sehr einfach zu begründen, denn Kant
argumentiert ja so, daß das, was übrig bleibt, wenn ich mir alle
Materie entfernt denke der euklidische Raum sei. Das ist ja sogar
richtig, denn die Lösung der Einsteingleichung für ein leeres
Universum ist der Minkowskiraum und der Raumschnitt bzgl. eines
Inertialsystems ist dann ein euklidischer R^3. Schön, da hat Kant
recht.

Nun setzt er aber voraus, daß mit aller Materie der Raum
_denknotwendig_ genauso aussieht, wie ein leerer Raum. Das ist aber
widerlegt. Der Raum ist nicht unabhängig vom dynamischen Geschehen in
ihm, ja er ist sogar auch noch abhängig vom Bezugssystem. Die
Raumzeit wird durch das dynamische Geschehen bestimmt und bestimmt
ihrerseits das dynamische Geschehen, ja es macht gar keinen Sinn
beides trennen zu wollen, die Raumzeit ist vielmehr selbst Teil des
dynamischen Geschehens.

Seltsam, daß Riemann das in seiner Habil-Vorlesung schon korrekt so
formuliert hat, und welche Geomtrie den physikalischen Raum (daß es
gar die ganze Raumzeit sein muß, hat er wohl nicht wissen können)
korrekt beschreibt sei _empirisch zu entscheiden_. Er war allerdings
später als Kant, so daß Kant das nicht hat wissen können.

Worauf ich nur hinweisen wollte, ist die Tatsache, daß Physik besser
vorurteilsfrei betrieben wird. Man sollte sich nicht durch
historische Philosophie am Denken hindern lassen, selbst wenn man
dann von den Philosophen für einen Narr gehalten wird ;-)).

Ein für die Physik tragisches Beispiel ist Einstein, der die letzten
30 Jahre seines Lebens nichts substantielles mehr zur Physik
beigetragen hat, weil er in einem philosophischen Vorurteil gefangen
war (könnte auch psychologisch gedeutet werden, aber das ist ein
weites Feld). Wer weiß, wo die Physik heute stünde, hätte er seine
ganze Schaffenskraft der Quantentheorie gewidmet, statt nach dem
Phantom einer allumfassenden klassischen Feldtheorie zu suchen ;-(.

Wolfgang Thumser

unread,
Apr 10, 2001, 6:20:02 PM4/10/01
to
Hallo Wolfgang,

um nicht wieder am Gruppenthema vorbei zu reden, zunaechst
eine Stellungnahme zu Deiner Frage:

> Wie verhält sich die Fläche des Kreises mit Radius r in
> Abhängigkeit von r bei einer 2-dimensionalen Geometrie mit
> konstanter "negativer Krümmung" von 1 Meter? (Beim analogen
> "positiven" Fall nehmen wir ganz einfach die Vorstellung
> der 2D-Oberfläche einer idealen 3D-Kugel mit 1 m Durchmesser
> zur Hilfe.)

Zunaechst ist zu klaeren, was in gekruemmten Raeumen unter "Kreisen"
zu verstehen ist. Naheliegend ist es, darunter all die Punkte des zwei-
dimensionalen Raumes zu verstehen, deren kuerzester (im geodaetischen
Sinne) Abstand r von einem vorgegebenen Punkt des Raumes konstant ist.

Mit dieser Definition haetten die "Kreise" in Raeumen konstanter negativer
Kruemmung - im Gegensatz zu positiv gekruemmten Raeumen - im einbet-
tenden euklidischen Raum keine Kreisform mehr, ihre Mittelpunkte waeren
im gekruemmten Raum teilweise verstarrt und liessen sich dort nicht frei
bewegen und haetten in Abhaengigkeit von ihrer Lage in diesem Raum bei
gleichem Radius unterschiedliche Form und unterschiedlichen Flaecheninhalt.
Potentielle Flaechenwesen kaemen durch Betrachtung dieser Objekte (selbst
im kleinen ist alles verstarrt und abhaengig vom jeweiligen Raumpunkt) niemals
auf eine vernuenftige Definition von Pi.

In diese Verlegenheit geraten sie ohne ihre Schuld:

Man kann sich diese Pseudosphaeren naemlich als zwei ins Unendliche
verlaengerte Trompetenrohre im R^3 vorstellen, die man an ihren kreis-
foermigen Enden zusammengeklebt hat. Durch ihre SO2 Symmetrie verlieren
sie gegenueber ihren positiv gekruemmten Kugelflaechen Pendants wesentlich
an Isotropie. Wenn ich mich recht erinnere, ist dies alles sehr schoen in dem
auch fuer Laien gut verstaendlichen Buch " Vom Punkt zur vierten Dimension"
von Egmont Colerus beschrieben.

Es steht zu bezweifeln, ob in solchen Raeumen der Begriff eines Kreises auch
nur den geringsten Sinn macht.

Eine letzte Bemerkung zum euklidischen Raum: Zwar laesst sich beweisen,
dass man einen "unanschaulichen" gekruemmten Raum lokal in einen nicht
gekruemmten euklidischen Raum einbetten kann. Allerdings ist dieser einbettende
Raum aufgrund seiner hohen Dimension nicht weniger unanschaulich.
Letztendlich tut man gut daran zu lernen, in gekruemmten Raeumen direkt
zu denken ohne den Umweg ueber den euklidischen Raum. Das ist alles eine
Frage der Gewoehnung.

Soviel zum Thema.

> Also diese Hetze gegen Crossposten an und für sich ist doch
> grotesk.

Mach' Dir nichts vor: Wenn Du crossposten willst, dann tu's einfach
und jammere nicht. Mir ging es nicht um's crossposten (Es ist sogar
sinnvoll, um fuer uebergreifende Aufmerksamkeit zu sorgen), sondern
darum, anschliessend die Diskussion in genau einer Gruppe fortzusetzen.
Und dafuer ist das f'up ja vorgesehen. Und darum, die Diskussions-
teilnehmer im Text auf ein Xpost und f'up aufmerksam zu machen.

Nicht jeder will naemlich seine Antwort auf Deinen Beitrag in 3 weiteren
Gruppen wiederfinden, die er ueberhaupt nicht liest. Wenn er sich an einer
Diskussion in einer anderen Gruppe beteiligen will, kann er dies durch
Gruppenwechsel jederzeit tun.

> Mein Grund für Crossposten besteht gerade
> darin, überflüssige Redundanz möglichst zu vermeiden.

Dann setz' doch zusammen mit Xpost in vier Gruppen ein f'up in eine.
Damit vermeidest Du doch die Redundanz, und ermoeglichst zudem jedem,
den es interessiert in die f'up2 Gruppe zu wechseln. Was ist daran so
verwerflich?

> Und könntest du mir bitte erklären, inwiefern mein Beitrag
> deinem Forum de.sci.mathematik schadet? Ist er off-topic?

Erstens ist es nicht mein Forum, zweitens schadet er ueberhaupt
nicht und drittens ist er on topic. Was veranlasst Dich zur Annahme,
ich sei in Erklaerungsnot?

> Entspricht er irgendwie sonst nicht deinen ästhetischen
> oder intellektuellen Anforderungen?

Kann es sein, dass Du ein wenig in den Gedanken verliebt bist,
er koenne ihnen nicht entsprechen?

> Auch halte ich es für eine Bevormundung, ein f'up zu setzen.

Und ich halte es fuer eine Bevormundung durch Unterlassung,
andere zu veranlassen, unbeabsichtigt in nichtbestellte Gruppen
zu posten oder es zumindest billigend in Kauf zu nehmen.

> Du hast deine Antwort, die nichts mit Mathematik zu tun hat,
> in de.sci.mathematik abgesetzt, was dein gutes Recht ist.

Es ist niemandes Recht, off topic zu posten, und ich bedauere im
Nachhinein, dass ich es getan habe.

> Du hättest sie mir aber auch als Email zukommen lassen und
> zu Folgendem Stellung beziehen können:

In Bezug auf die fachliche Stellungnahme gebe ich Dir recht.
In Bezug auf das Medium, wollte ich Leser dieses threads
auf den Umstand aufmerksam machen, dass sie u.U.
unbewusst in nichtbestellt Gruppen posten. Dabei habe ich mich
moeglicherweise in der Form etwas vergriffen.

> Eine durchdachte Antwort zu dieser Frage sollte aber meines
> Erachtens trotz der inszenierten Hetze gegen Crossposten
> mindestens de.sci.physics nicht vorenthalten werden.

Wie gesagt: Ich habe nichts gegen Crosspostings. Und moeglicher-
weise unterschaetzt Du die Physiker in ihrem Verstaendnis
gekruemmter Raeume: Das sind fuer die meisten alte Kamellen!
Und den anderen steht es frei, nach dsm zu wechseln.

Wenn Du an einer weiteren Diskussion an diesem Thema interessiert
bist, dann schick' mir 'ne mail.

Gruss Wolfgang

Adolf Göbel

unread,
Apr 11, 2001, 4:23:55 AM4/11/01
to
Roland Harnau <roland...@gmx.de> wrote:
>
>Nein, nach Kant ist der folgende Satz eine synthetische Aussage a
>priori: "Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei
>Punkten."
>
>
????
Was hat das mit Parallelen zu tun? Und was mit nichteuklidische Geometrie?


fragend

Boudewijn Moonen

unread,
Apr 11, 2001, 5:00:41 AM4/11/01
to
"Wolfgang G. G." wrote:

>
> drno.incognito in 9at2et$4ok$1...@narses.hrz.tu-chemnitz.de :
>
> >> denn "Raumkruemmung setzt die Vorstellung eines ungekruemmten
> >> Raums voraus"
> >
> > So ein Unsinn.
>
> Statt leichtfertiger Verunglimpfung würde es dir eher anstehen,
> dich um ein minimales Verständnis des Problems zu bemühen.
>

So eine Aussage faellt leider leicht auf den zurueck, der sie macht.
Die Aeusserung von "drno.incognito" ist zwar in der Form nicht nett,
und zudem beklagenswerterweise anonym, aber dem Inhalt nach zutreffend.
Es war ja gerade die tiefe Einsicht von Gauss und Riemann, dass
Kruemmung eine intrinsische Eigenschaft des Raumes sein kann.


MfG


--
Boudewijn Moonen
Institut fuer Photogrammetrie der Universitaet Bonn
Nussallee 15

D-53115 Bonn

GERMANY

e-mail: Boudewij...@ipb.uni-bonn.de
Tel.: GERMANY +49-228-732910
Fax.: GERMANY +49-228-732712

Axel Schmitz-Tewes

unread,
Apr 11, 2001, 4:09:28 AM4/11/01
to

was hat das mit dem Versuch das Parallelenaxiom zu beweisen zu tun?

Axel

Roland Harnau

unread,
Apr 11, 2001, 6:17:54 PM4/11/01
to
Hendrik van Hees <h.va...@gsi.de> schrieb...

>Roland Harnau wrote:
>
>
>> Göttchen, ist das süß! Hast du meine Ausführungen zu Kant auch nur
>> halbwegs verstanden? Meine Anwort an Adolf sollte begründen, dass
>> Kant das Parallelenaxiom tatsächlich als a priori auffasst. Und das
>> ist, soweit der Raum als apriorische Raumanschaung betrachtet wird,
>> auch *richtig*.(hier empfehle ich Cassirer)
>>
>Ich habe Kant wahrscheinlich anders verstanden als Du. Sicher ist
>aber, daß die euklidische Geomtrie weder denknotwendig ist, noch zur
>Beschreibung des Raumes geeignet ist, in dem wir herumwuseln ;-)).

"denknotwendig" im Kantschen Sinn ist nicht "logisch möglich". Die
Beantwortung der anderen Frage hängt davon ab, ob man physikalische
Theorien instrumentalistisch oder realistisch interpretiert. Im ersten
Sinn erheben sie keinen Anspruch auf Wahrheit, sondern sind allenfalls
empirisch adäquat. Speziell Poincares Überlegungen sind dazu recht
interessant: Er hat eine mögliche Situation untersucht, unter welchen
Bedingungen ein Satz wie

"Die Experimentalphysiker haben entdeckt, daß der uns umgebene Raum
kein euklidischer Raum ist."

wahr sein könnte. Wie könnte man so etwas feststellen? Etwa durch ein
"kosmisches Dreieck" zwischen Fixsternen oder Galaxien,und sich dabei
auch nach mehrmaliger Messung eine Winkelsumme von deutlich mehr oder
weniger als 180° ergibt. Poincare zeigt, dass die Falschheit der eukl.
Geometrie nicht die einzige Deutungsmöglichkeit ist: Den geometrischen
Grundbegriffen einer phys. Theorie müssen über Korrespondenzregeln
Klassen von realen Objekten zugordnet werden, z.B. durch
Messvorschriften. Eine solche Korrespondenzregel könnte gelautet
haben: "Das Licht bewegt sich auf geraden Linien", und eine
Alternative zur Aufgabe der eukl. Geometrie wäre die Aufgabe dieser
Korrespondenzregel. Er kommt letztlich zum Schluss, dass uns
Messregebnisse niemals zwingen könnten, die eukl. Geomtrie aufzugeben,
da immer die Möglichkeit besteht, andere Teile der Theorie zu ändern
oder sie umzuinterpretieren.

Wenn man es modelltheoretisch sieht, dann beziehen sich die Terme
physikalsicher Theorien in erster Linie auf *mathematische Objekte*,
etwa auf Funktionen, oder die Elemente eines Hilbertraums. Die
Beziehung des Modells zur Empirie ist dabei nur sehr indirekt über
empische Hypothesen gewährleistet, d.h. physikalsiche Theorien machen
letztlich keine Aussagen über die "wahre Struktur der Realität",
sondern sind allenfalls *nützlich* für allerlei Anwendungen.


>Natürlich ist die euklidische Geometrie denkmöglich, denn sonst gäbe
>es sie ja nicht. Trotzdem ist die Kantsche Begründung, der Raum müsse
>euklidisch sein nun einmal physikalisch nicht korrekt, sondern nur
>eine Näherung, für Bereiche, wo die Gravitation schwach ist, sprich
>die Energie-Impulsdichte klein ist.
>
>Egal, ob ich Kant verstehe oder nicht, das ist nun einmal die
>Erkenntnis der Physik (sicher weiß man's seit 1919 durch die Messung
>der Lichtablenkung an der Sonne).

Nö, das könnte man sicher durch Einführung bestimmter "Kräfte" o.ä.
ebenso gut erklären. Hat nicht Ilja eine entsprechende Theorie auf
Lager?

[...]


>Nun gut, ich bin halt ein ungebildeter Physiker. Ich lese Kant als
>solcher. Wenn mir einer beweist, der physikalische Raum müsse
>notwendig durch euklidische Geometrie beschrieben werden und ich weiß
>(egal wann ;-)), dem ist nicht so, dann muß an dem "Beweis" etwas
>falsch sein. Imho ist das sehr einfach zu begründen, denn Kant
>argumentiert ja so, daß das, was übrig bleibt, wenn ich mir alle
>Materie entfernt denke der euklidische Raum sei. Das ist ja sogar
>richtig, denn die Lösung der Einsteingleichung für ein leeres
>Universum ist der Minkowskiraum und der Raumschnitt bzgl. eines
>Inertialsystems ist dann ein euklidischer R^3. Schön, da hat Kant
>recht.

Kant argumentiert in den Prolegomena für die These, dass die gültigen
Sätze der reinen und der angewandten Geomtrie zusammenfallen müssen.
Er schließt dort von der prinzipiellen Nichtvorstellbarkeit
nicht-euklidischer Geometrien auf die grundsätzliche
Nichtbeobachtbarkeit nicht-euklidischer Sachverhalte. Wenn man das
Argument kippen möchte, sollte man wohl an dieser Stelle ansetzen.


>Nun setzt er aber voraus, daß mit aller Materie der Raum
>_denknotwendig_ genauso aussieht, wie ein leerer Raum. Das ist aber
>widerlegt.

Bei Kant "sieht" der Raum eigentlich überhaupt nicht "aus", es ist ja
eine reine *Form* der Anschauung.

[...]


>Worauf ich nur hinweisen wollte, ist die Tatsache, daß Physik besser
>vorurteilsfrei betrieben wird. Man sollte sich nicht durch
>historische Philosophie am Denken hindern lassen, selbst wenn man
>dann von den Philosophen für einen Narr gehalten wird ;-)).

Sagen wir's 'mal so: Wenn Bohr und Einstein ein phil. Training gehabt
hätten, wäre ihr Disput möglicherweise etwas "fruchtbarer" verlaufen.
Deine "Vorurteilsfreiheit" ist übrigens mit starken Vorurteilen
belastet, die du dank deiner Philosophiephobie aber nicht bemerkst,
speziell in der Realismusdiskussion mit Ilja, die ja gelegentlich (ich
lese de.sci.physik allerdings nur sporadisch) aufkeimt.

>Ein für die Physik tragisches Beispiel ist Einstein, der die letzten
>30 Jahre seines Lebens nichts substantielles mehr zur Physik
>beigetragen hat, weil er in einem philosophischen Vorurteil gefangen
>war (könnte auch psychologisch gedeutet werden, aber das ist ein
>weites Feld).

Wer weiß, wenn Einstein tatsächlich Erfolg gehabt hätte, hätte ihm
jeder zugejubelt. Die QT hat ja doch erhebliche Probleme, angefangen
vom Messproblem über die Schrödingerkatze zu der Frage des Realismus
oder der Kopenhagener Deutung. Nicht schlecht ist auch many worlds.


roland

Roland Harnau

unread,
Apr 11, 2001, 6:18:58 PM4/11/01
to
Axel Schmitz-Tewes <a...@in-telegence.net> schrieb...

Es geht um Kants Beziehung zur euklidischen Geometrie (im Sinne der
analyt. Geomtrie), deren Aussagen er als synthetische Aussagen a
priori aufgefasst hat. Die Geometrie ist für ihn eine synthetische
Wissenschaft, die die tatsächlichen Strukturen der Welt beschreibt,
und deren Sätze evidente Prinzipien sind, die damit wahr sind. Für
Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
verschiedenen anderen Gründen) irrelevant, d.h. wenn schon zu seiner
Zeit eine nichteuklidische Geometrie bekannt gewesen wäre, hätte er
sie als Begriffsspielerei ablehnen müssen. Dass Gauß sicher nicht
Kants Ansicht gewesen ist, ist dabei eine andere Sache.


Obiger Satz sollte nur klarstelllen, dass der Raum als Anschauungsform
bei Kant tatsächlich eine euklidische Geometrie ist. Das Analogon zu
einer geraden Strecke in der eukl. Geometrie ist in der Riemannschen
Geometrie die Geodäte, für die aber i.A. nicht mehr gilt, dass sie die
kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Bei S^2 mit der Standardmetrik
etwa sind die Geodäten die Großkreise. Für Punkte x,y auf S^2, die
nicht antipodisch liegen, bestimmen x,y genau einen solchen Großkreis,
so dass es zwei *unterschiedlich* lange Wege entlang einer Geodäte von
x nach y gibt.

roland

Adolf Göbel

unread,
Apr 11, 2001, 6:43:18 PM4/11/01
to
Roland Harnau <roland...@gmx.de> wrote:
>Es geht um Kants Beziehung zur euklidischen Geometrie (im Sinne der
>analyt. Geomtrie), deren Aussagen er als synthetische Aussagen a
>priori aufgefasst hat. Die Geometrie ist für ihn eine synthetische
>Wissenschaft, die die tatsächlichen Strukturen der Welt beschreibt,
>und deren Sätze evidente Prinzipien sind, die damit wahr sind.


Für mich ist _die_ Geometrie so vielfältig, dass sie _offensichtlich_
(=evident?) nicht (=alle Geometrien gleichzeitig) wahr sein können. Hast Du schon
mal daran gedacht, dass Kant einfach _historisch überholt_ ist? (zumindest in
diesem Punkt?)


>Für Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
>verschiedenen anderen Gründen) irrelevant,


...dann hat er das Problem nicht verstanden....


d.h. wenn schon zu seiner
>Zeit eine nichteuklidische Geometrie bekannt gewesen wäre, hätte er
>sie als Begriffsspielerei ablehnen müssen.


Das ist natürlich eine Lösung....


Dass Gauß sicher nicht
>Kants Ansicht gewesen ist, ist dabei eine andere Sache.
>
>
>Obiger Satz sollte nur klarstelllen, dass der Raum als Anschauungsform
>bei Kant tatsächlich eine euklidische Geometrie ist. Das Analogon zu
>einer geraden Strecke in der eukl. Geometrie ist in der Riemannschen
>Geometrie die Geodäte,


die


für die aber i.A. nicht mehr gilt, dass sie die
>kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Bei S^2 mit der Standardmetrik
>etwa sind die Geodäten die Großkreise. Für Punkte x,y auf S^2, die
>nicht antipodisch liegen, bestimmen x,y genau einen solchen Großkreis,
>so dass es zwei *unterschiedlich* lange Wege entlang einer Geodäte von
>x nach y gibt.
>
>
>
>roland

--

Adolf Göbel

unread,
Apr 11, 2001, 6:43:16 PM4/11/01
to
Roland Harnau <roland...@gmx.de> wrote:
>Es geht um Kants Beziehung zur euklidischen Geometrie (im Sinne der
>analyt. Geomtrie), deren Aussagen er als synthetische Aussagen a
>priori aufgefasst hat. Die Geometrie ist für ihn eine synthetische
>Wissenschaft, die die tatsächlichen Strukturen der Welt beschreibt,
>und deren Sätze evidente Prinzipien sind, die damit wahr sind.

Für mich ist _die_ Geometrie so vielfältig, dass sie _offensichtlich_
(=evident?) nicht (=alle Geometrien gleichzeitig) wahr sein können. Hast Du schon
mal daran gedacht, dass Kant einfach _historisch überholt_ ist? (zumindest in
diesem Punkt?)

>Für Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
>verschiedenen anderen Gründen) irrelevant,

...dann hat er das Problem nicht verstanden....

d.h. wenn schon zu seiner
>Zeit eine nichteuklidische Geometrie bekannt gewesen wäre, hätte er
>sie als Begriffsspielerei ablehnen müssen.

Das ist natürlich eine Lösung....

Dass Gauß sicher nicht
>Kants Ansicht gewesen ist, ist dabei eine andere Sache.
>
>
>Obiger Satz sollte nur klarstelllen, dass der Raum als Anschauungsform
>bei Kant tatsächlich eine euklidische Geometrie ist. Das Analogon zu
>einer geraden Strecke in der eukl. Geometrie ist in der Riemannschen
>Geometrie die Geodäte,


die


für die aber i.A. nicht mehr gilt, dass sie die
>kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Bei S^2 mit der Standardmetrik
>etwa sind die Geodäten die Großkreise. Für Punkte x,y auf S^2, die
>nicht antipodisch liegen, bestimmen x,y genau einen solchen Großkreis,
>so dass es zwei *unterschiedlich* lange Wege entlang einer Geodäte von
>x nach y gibt.
>
>
>
>roland

--

Adolf Göbel

unread,
Apr 11, 2001, 6:48:05 PM4/11/01
to
Roland Harnau <roland...@gmx.de> wrote:
>Es geht um Kants Beziehung zur euklidischen Geometrie (im Sinne der
>analyt. Geomtrie), deren Aussagen er als synthetische Aussagen a
>priori aufgefasst hat. Die Geometrie ist für ihn eine synthetische
>Wissenschaft, die die tatsächlichen Strukturen der Welt beschreibt,
>und deren Sätze evidente Prinzipien sind, die damit wahr sind.

Für mich ist _die_ Geometrie so vielfältig, dass sie _offensichtlich_
(=evident?) nicht (=alle Geometrien gleichzeitig) wahr sein können. Hast Du schon
mal daran gedacht, dass Kant einfach _historisch überholt_ ist? (zumindest in
diesem Punkt?)

>Für Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
>verschiedenen anderen Gründen) irrelevant,

...dann hat er das Problem nicht verstanden....

d.h. wenn schon zu seiner
>Zeit eine nichteuklidische Geometrie bekannt gewesen wäre, hätte er
>sie als Begriffsspielerei ablehnen müssen.

Das ist natürlich eine Lösung....

>Dass Gauß sicher nicht
>Kants Ansicht gewesen ist, ist dabei eine andere Sache.
>
>
>Obiger Satz sollte nur klarstelllen, dass der Raum als Anschauungsform


'Der Raum als Anschauungsform.... ist eine euklidische Geometrie' : Was isser
denn nu: Raum, Anschauungsform oder Geometrie?


>bei Kant tatsächlich eine euklidische Geometrie ist. Das Analogon zu
>einer geraden Strecke in der eukl. Geometrie ist in der Riemannschen
>Geometrie die Geodäte,


die Gerade ist ein Spezialfall der Geodäten. Da hast Du ein Problem.


für die aber i.A. nicht mehr gilt, dass sie die
>kürzeste Verbindung zweier Punkte ist. Bei S^2 mit der Standardmetrik
>etwa sind die Geodäten die Großkreise. Für Punkte x,y auf S^2, die
>nicht antipodisch liegen, bestimmen x,y genau einen solchen Großkreis,
>so dass es zwei *unterschiedlich* lange Wege entlang einer Geodäte von
>x nach y gibt.
>
>
>
>roland

--

Roland Harnau

unread,
Apr 11, 2001, 7:43:12 PM4/11/01
to
"Adolf Göbel" <adolf...@aol.com> schrieb...

[...]


>>Für Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
>>verschiedenen anderen Gründen) irrelevant,
>
>
>...dann hat er das Problem nicht verstanden....

...oder du hast Kant nicht verstanden.

[...]


>>Obiger Satz sollte nur klarstelllen, dass der Raum als Anschauungsform
>
>
>'Der Raum als Anschauungsform.... ist eine euklidische Geometrie' : Was isser
>denn nu: Raum, Anschauungsform oder Geometrie?

Der Raum *ist* eine Anschauungsform, und ihm *gelten* bestimmte
Aussagen, die unter dem Namen "eukldische Geometrie" zusammengefasst
werden. Je nach dem, wie man den Term "Geometrie" definiert, *ist* er
auch eine Geometrie.

>
>>bei Kant tatsächlich eine euklidische Geometrie ist. Das Analogon zu
>>einer geraden Strecke in der eukl. Geometrie ist in der Riemannschen
>>Geometrie die Geodäte,
>
>
>die Gerade ist ein Spezialfall der Geodäten.

Genau genommen nicht: Eine Gerade ist ein 1-dim linearer Unterraum
eines affinen oder projektiven Raums, während eine Geodäte für ein
Zusammenhang D ein C^1-Weg s:[a,b]->M (M Mannigfaltigkeit) ist, so
dass s' parallel entlang s ist. Insofern ist "Analogon" besser als
"Spezialfall".


>Da hast Du ein Problem.

Wo genau liegt das Problem?

roland

Wolfgang Thumser

unread,
Apr 11, 2001, 8:28:14 PM4/11/01
to
Hallo Roland,

> Es geht um Kants Beziehung zur euklidischen Geometrie (im Sinne der
> analyt. Geomtrie), deren Aussagen er als synthetische Aussagen a
> priori aufgefasst hat. Die Geometrie ist für ihn eine synthetische
> Wissenschaft, die die tatsächlichen Strukturen der Welt beschreibt,
> und deren Sätze evidente Prinzipien sind, die damit wahr sind.

Moeglicherweise ist das Parallelenaxiom ein zu evidentes Beispiel. Ich frage
mich, was Kant von folgendem "rein geometrischen" Urteil gehalten haette:

Man kann jede Vollkugel in eine endliche Anzahl von Teile zerlegen und die-
se Teile neu zu zwei Vollkugeln gleicher Groesse wie die Ausgangskugel
zusammenfuegen.

Was meinst Du? Haette er diese Aussage fuer wahr oder fuer falsch erachtet?
Waere sie in seinem Sinne ein synthetisches Urteil a priori? Ist sie in seinem Sin-
ne evident oder paradox? Sagt diese Aussage etwas ueber ueber die tatsaechliche
Struktur der Welt?

> Für Kant sind die Beweisversuche des Parallelenaxioms deshalb (und aus
> verschiedenen anderen Gründen) irrelevant, d.h. wenn schon zu seiner
> Zeit eine nichteuklidische Geometrie bekannt gewesen wäre, hätte er
> sie als Begriffsspielerei ablehnen müssen.

Waeren auch hier Beweisversuche irrelevant oder gar Begriffsspielerei?

Tatsaechlich haengt im besagten Fall die Gueltigkeit obiger Aussage von
keinen "Anschauungsformen des Raumes" (was immer das sein mag!) ab,
sondern davon, ob man bereit ist, ein mengentheoretisch weder beweisbar
noch widerlegbares Auswahlprinzip zu akzeptieren oder nicht. An dessen
Akzeptanz scheiden sich aber die Geister.

Ohne Kant zu nahe treten zu wollen, haette er wahrscheinlich obige Aussage
als unrichtig verworfen (fuer Vollkreise ist sie es sogar), das so evidente
Auswahlprinzip akzeptiert und sich dabei in unaufloesbare Widersprueche
verstrickt.

Leider versaeumt es Kant in der "Kritik der reinen Vernunft", seine Methode
an geometrischen Problemfaellen unter Beweis zu stellen. Die von ihm ge-
gebenen Beispiele ueberzeugen mich nicht: Evident ist, was evident scheint.

Die Banach- Tarskische paradoxe Zerlegung einer Vollkugel ist geradezu ein
Paradebeispiel fuer die Unzulaenglichkeit transzendental aesthetischer
Anschauungsformen (was immer das sein mag!) bei der Beurteilung geometrischer
Sachverhalte.

Gruss Wolfgang

Wolfgang G. G.

unread,
Apr 11, 2001, 10:26:51 PM4/11/01