Fritz Feldhase schrieb:
> On Saturday, September 4, 2021 at 2:35:21 AM UTC+2, Stephan Gerlach wrote:
>> Das Auswahlaxiom besagt (anschaulich), daß man bei Vorliegen von
>> "irgendwelchen", beliebig vielen Mengen aus jeder Menge ein Element
>> wählen kann und aus all diesen Elementen eine "neue" Menge bilden kann.
>
> Hier hast Du aber nicht (explizit) auf eine Auswahlfunktion Bezug genommen.
> Darauf komme ich weiter noch einmal zurück
> (Zermelo hat das -für mich überraschend- nämlich auch nicht getan).
>
> Ich will daher hier "dieser" Variante des Auswahlaxioms (for the sake of the argument)
> folgende (bekannte) Form geben:
>
> "Sei A eine Menge von nichtleeren Mengen. Dann heißt f eine Auswahlfunktion für A,
> falls f jedem Element X von A ein Element von X zuordnet,
> das heißt f hat den Definitionsbereich A und es gilt:
>
> Für alle X e A: f(X) e X
>
> f wählt also aus jeder Menge X in A genau ein Element aus.
>
> Das Auswahlaxiom lautet dann: Für jede Menge nichtleerer Mengen gibt es eine Auswahlfunktion." (Wikipedia)
Das ist jetzt die Variante mit Mengensystem (nicht Mengenfamilie) als
"Bezugsgröße" für die Auswahlfunktion.
> [ Anmerkung: Die Menge {f(X) : X e A} ist dann offenbar die "neue" Menge, von der Du oben gesprochen hast. ]
Genau das.
>> Etwas präziser wird oft auf den Begriff der Mengenfamilie Bezug genommen:
>> Hat man eine Mengenfamilie (M_i)_{i ∈ I} gegeben, so existiert eine
>> Auswahlfunktion f: I --> Vereinigung{i ∈ I} M_i mit f(i) = x_i ∈ M_i für alle i ∈ I.
>>
>> Nun ist eine Mengen*familie* streng genommen etwas anderes als ein
>> Mengen*system*. Anschaulich ist der Unterschied, daß bei einer
>> Mengenfamilie Mengen mehrfach vorkommen können, bei einem Mengensystem
>> jedoch nicht (jede Menge nur einmal).
>>
>> Frage: Kann man das Auswahlaxiom genausogut für Mengensysteme statt
>> Mengenfamilien formulieren?
>
> Ja, die beiden Varianten sind äquivalent:
>
> Das kann man leicht einsehen: Man kann eine beliebiges "Mengensystem"
> im Handumdrehen in eine "Mengenfamilie" "umwandeln". Sei A ein beliebiges Mengensystem.
> Dann kann man einfach A selbst als Indexmenge verwenden und als "Indexfunktion"
> für die Mengenfamilie die identische Abbildung auf A.
Ist einleuchtend. Wenn ich das Auswahlaxiom nur für Mengenfamilien als
(gegebenes) Axiom annehme, muß ich im Fall eines vorliegenden
Mengensystems (statt einer Mengenfamilie) dieses in eine Mengenfamilie
umwandeln, um das Auswahlaxiom anwenden zu können.
> Eine Auswahlfunktion für die "Mengenfamilie" liefert dann also sofort
> auch eine Auswahlfunktion für das Mengensystem.
In diesem Fall ja, da die so konstruierte Mengenfamilie keine "doppelt
vorkommenden" Familienmitglieder enthält (d.h. die "Indexfunktion" ist
injektiv) und sich i.W. nur durch diverse Bezeichnungen vom
zugrundeliegenden Mengensystem unterscheidet.
> Die "andere Richtung" ist auch klar. Wenn eine Mengenfamilie (M_i)_{i ∈ I} gegeben ist,
> kann man ja daraus sofort ein Mengensystem A = {M_i : i e I} bilden.
Sieht ziemlich trivial aus.
Interessantes Detail im Fall, daß in der Mengenfamilie Mengen "mehrfach
vorkommen", genauer: Daß es verschiedene Indizes i_1, i_2 gibt mit
M_{i_1}=M_{i_2}:
Wenn man in diesem Fall aus besagtem Mengensystem A = {M_i : i e I}
wieder eine Mengenfamilie (M_X)_{X ∈ A} wie oben beschrieben "zurück"
konstruiert, dann hat (M_X)_{X ∈ A} zwar dieselben Familienmitglieder
wie die ursprüngliche Mengenfamilie (M_i)_{i ∈ I}, aber durch den
"Trick" über den Umweg des Mengensystems werden die mehrfach
vorkommenden Mengen "eliminiert".
> Für dieses gibt es dann eine Auswahlfunktion f mit f(X) e X für alle X e A,
> und diese liefert dann sofort auch eine Auswahlfunktion f' für die Mengenfamilie:
> f'(i) = f(M_i) für alle i e I.
Sieht gar nicht so schwierig aus :-) .
>> Oder anders gefragt: Weiß jemand, auf was sich das Auswahlaxiom
>> ursprünglich bezog: Mengensysteme oder Mengenfamilien?
>
> Zermelo, 1908 (1907):
>
> "Axiom VI. Ist T eine Menge, deren sämtliche Elemente von 0 verschiedene Mengen
> und untereinander elementfremd sind, so enthält ihre Vereinigung UT mindestens
> eine Untermenge S_1, welche mit jedem Element von T ein und nur ein Element gemein hat.
> (Axiom der Auswahl.)
>
> Man kann dieses Axiom auch so ausdrücken, daß man sagt, es sei immer möglich,
> aus jedem Elemente M, N, R, ... von T ein einzelnes Element m, n, r, ... /auszuwählen/
> und alle diese Elemente zu einer Menge S_1 zu vereinigen."
>
> Vergleiche diese letzte Formulierung mit Deiner ganz oben (passt).
Zermelo geht hier BTW offenbar explizit von verschiedenen und sogar
paarweise disjunkten Mengen aus ("untereinander elementfremd").
Die aktuellen Versionen des Auswahlaxioms lassen auch nicht-disjunkte
Mengen zu.
Nur fürs Protokoll, Hintergrund meiner Frage war:
Beim Durchstöbern alter Aufzeichnungen fiel mir folgende Konstruktion in
die Hände (nur teilweise/sinngemäß wiedergegeben):
"... Dann ist ~ eine Äquivalenzrelation auf M. Dadurch gibt es
Äquivalenzklassen [x] von Elementen x aus M. Das Auswahlaxiom erlaubt
uns nun, aus jeder Äquivalenzklasse einen Repräsentanten zu wählen, was
eine Menge V dieser Repräsentanten ergibt..."
Hier war ich zunächst stutzig, denn betrachtet man die Familie(!) der
Äquivalenzklassen, kommen offensichtlich (sehr oft) Mengen mehrfach in
der Mengenfamilie vor.
Wenn man jetzt das Auswahlaxiom in der Mengenfamilien-Version verwendet,
könnte das aber dazu führen, daß im Endeffekt in der Menge V der
Repräsentanten aus einer Äquivalenzklasse *mehrere* Elemente vorkommen
(was aber nicht gewollt war).