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Artikel über Dauerfestigkeit von Eisenbahn-Radsätzen

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Joachim Schmid

unread,
Jun 7, 2000, 3:00:00 AM6/7/00
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Passend zu diversen Threads in dieser Gruppe nachstehend ein trotz
Kürzung und Kommentierung meinerseits ziemlich langer und
anspruchsvoller, aber wie ich finde hochinteressanter Auszug aus einer
aktuellen Fachveröffentlichung. Vor allem finde ich den Teil 4
interessant, in dem die gummigefederten Räder der BR 401, von denen
eines durch Radreifenbruch ja bekanntlich die Katastrophe von Eschede
ausgelöst hat, nur dermaßen verklausuliert erwähnt werden, dass man
davon ausgehen muss, dass Prof. Buxbaums Untersuchungen Teil der
Ermittlungen hierzu sind. Wieder ein Mosaiksteinchen zu den Berichten,
dass bei der Konstruktion und Anwendung dieser Räder mehr Fehler als nur
die mangelhafte Prüfung bei der Unterhaltung gemacht worden sind.

Wegen besonderer Relevanz Crossposting auch nach d.s.i.
F'up2 d.e.b.e

Joachim

P.S.: Für Auto-Fans: Es gibt in dem Artikel auch einen Abschnitt über
Aluminiumfelgen.

----------

Auszüge aus: O. Buxbaum: Beispiele für das Versagen von Konstruktionen
aufgrund unzureichender Bemessungsvorschriften oder Nachweisversuche.
In: Konstruktion 52 (2000) Nr. 5, S. 39-43.

[...]

2. Nichtberücksichtigte Lastfälle

Im Schienenfahrzeugbau war es bis etwa 1972 üblich, den experimentellen
Nachweis ausreichender Festigkeit von Radsätzen [ausschließlich an der
Achswelle] unter einem umlaufenden Biegemoment zu führen, das aufgrund
senkrechter Kräfte aus den jeweiligen Anteilen des Fahrzeugeigengewichts
und der maximalen Zuladung entsteht. Dieses Biegemoment muss nach der
Forderung des auf A. Wöhler [August Wöhler, 1819-1914, Ingenieur der
österr. Nordbahn, der aufgrund der Untersuchungen von Achsbrüchen die
Materialermüdung entdeckte und die entsprechende Prüftechnik begründete
- die sog. Wöhlerkurve für die Ermüdungsfestigkeit von Stahl ist nach
ihm benannt] zurückgehenden Versuchsprinzips dauerfest ertragen werden.
Die jahrzehntelangen Erfahrungen mit Radsätzen im Betrieb gaben bis zu
dem genannten Zeitpunkt nie Anlass, dieses Versuchsprinzip zu ändern; es
galt im Gegenteil insofern als konservativ, als ihm beispielsweise wegen
der Zugrundelegung der maximalen anstelle einer betriebsähnlich
variierten Zuladung nicht näher quantifizierte Sicherheitsreserven
unterstellt wurden.

Unsicherheit und Besorgnis lösten daher Risse aus, die [...] im Übergang
vom Radsitz zur glatten Achswelle bei elektrischen Schnellzuglokomotiven
[BR 103] und Triebwagen [BR 403] [gefunden wurden]. Werkstoff- und
Fertigungsfehler ließen sich in diesen Fällen als Ursache ebenso
ausschließen wie Korrosion oder Reibkorrosion. Außerdem traten die Risse
an Radsätzen auf, die bereits eine Laufleistung von rund einer Million
oder mehr Fahrkilometern erbracht und folglich - bei einem Radumfang von
etwa 3 m - mehr als 3E8
Überrollungen ertragen hatten, d.h. dass der Bereich der technischen
Dauerfestigkeit bei den verwendeten Stählen bereits nach etwa einem
Hundertstel dieser Laufleistung erreicht worden sein musste. Letzteres
bestätigten Kontroll-Versuche, als selbst unter deutlich höheren
senkrechten Kräften die im Betrieb aufgetretenen Risse nicht erzeugt
werden konnten.

Das Vertrauen in das bisher angewandte Versuchsverfahren war zwar durch
diese Vorfälle bereits erschüttert, aber doch noch nicht so stark, dass
umgehend eine systematische Diagnose begonnen worden wäre. Statt dessen
wurden vorerst nur die Symptome beobachtet, indem die Radsatz-Wellen mit
einer axialen Innenbohrung versehen wurden, um in regelmäßigen Abständen
mit Hilfe einer Ultraschall-Sonde die Existenz von Rissen feststellen
und die betroffenen Radsätze dann aussondern zu können.

Dann wandte sich der Radsatz-Hersteller [1973] an das
Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit [in Darmstadt]. [Sehr bald]
wurden Seitenkräfte als Ursache der Risse vermutet. Das bestätigten
[...] Wechselbiegungsversuche, bei denen die Beanspruchungsverhältnisse
nur in einer Ebene der Achswelle simuliert wurden. Anschließende
Versuche in einer speziell [...] entwickelten Vorrichtung, die die
getrennte Einleitung von senkrechten und seitlichen Kräften bei
umlaufendem Rad gestattete, bekräftigten die Aussagen. Wird von den
Seitenkräften wegen der unvermeidlichen Querbewegungen während des
Geradeauslaufs üblicher Radsätze (Sinus- beziehungsweise Zickzacklauf)
einmal abgesehen, treten Seitenkräfte bei Weichenüberfahrten und
Bogenfahrten zwar mit wesentlich geringerer relativer Häufigkeit auf als
die senkrechten Kräfte, aber die Größe dieser Seitenkräfte hängt von der
Fahrgeschwindigkeit ab. Deshalb wurde ihr Einfluss auf die
Beanspruchungen am Übergang vom Nabensitz zum Wellenschaft erst dann
dominant, als [planmäßige Schnellfahrten aufgenommen] wurden, während
die vergleichsweise geringere Häufigkeit die Ursache dafür war, dass die
Risse erst nach verhältnismäßig langen Laufzeiten entstanden.

[...] Da an den Radsätzen der Schienenfahrzeuge bei hohen
Fahrgeschwindigkeiten außer senkrechten und seitlichen Kräften noch
Fliehkräfte und Torsionsmomente wirken, wurde das [...] Versuchsprinzip
inzwischen [1997] in einem weiterentwickelten Versuchsstand umgesetzt,
in dem betriebsähnliche Verformungen aller ermüdungsgefährdeten
Systempunkte von Radsätzen unter den maßgeblichen Lastfällen simuliert
werden können. Dieser Versuchsstand sowie die zu seiner Steuerung
erforderlichen Kenntnisse über Größe, Häufigkeit und zeitliche Zuordnung
der Kräfte und Momente erlauben es, einen zuverlässigen Nachweis nach
dem derzeitigen Stand der Technik zu führen.

[...]

4. Neue Bauweisen

Für Eisenbahnräder wurde statt der sogenannten Monoblockbauweise [...]
eine Verbundbauweise eingeführt. Bei dieser werden Radscheibe und
Radreifen mechanisch gefügt, um beispielsweise auf diese Weise leichtere
Räder mit verbesserten Federungseigenschaften zu erhalten oder um
Fahrgeräusche in den Fahrzeugen zu reduzieren. [Der Verfasser meint hier
ganz offensichtlich nicht die altbekannten Räder mit aufgeschrumpften
Radreifen, sondern die gummigefederten Räder.] Wenn Radscheibe und
Radreifen mechanisch gefügt sind, verhält sich letzterer unter einer
Vertikallast annähernd wie ein gekrümmter Balken auf elastischer
Bettung, d.h. an seiner Innenseite tritt unter dem Aufstandspunkt eine
tangentiale Zugbeanspruchung auf, während aus Gleichgewichtsgründen
davor und dahinter Druckbeanspruchungen wirken. Damit erfährt jeder
Punkt der Reifen-Innenseite während des Abrollens unter Vertikallast ein
Tangentialspannungsschwingspiel, dessen (Zug-) Maximum am
Radaufstandspunkt auftritt und dessen Minimum vom jeweils vorausgehenden
und nachfolgenden Eintauchen in Druck gebildet wird. Die experimentelle
Simulation eines derartigen Spannungsverlaufs ist nur in einem
Versuchsstand möglich, in dem das Rad abrollen kann. Hinzu kommt, dass
für einen aussagefähigen Festigkeitsnachweis außerdem noch Seiten-,
Beschleunigungs- und Bremskräfte aufzubringen sind, wie bereits in Kap.
2 erwähnt wurde. Auch der neben "gegen Versagen unter mechanischen
Beanspruchungen" zu führende Nachweis "gegen Versagen aufgrund von
Reibkorrosion" lässt sich nur in einem solchen Versuchsstand führen.

Die existierenden Empfehlungen für die Auslegung von Vollrädern
enthalten keine Hinweise für eine derartige Vorgehensweise. Deshalb muss
der Hersteller dafür Sorge tragen, dass der Festigkeitsnachweis für ein
in neuer Bauweise gefertigtes Produkt nach dem neuesten Stand von Wissen
und Technik geführt wird.

[...]

Relevante, öffentlich zugängliche Literaturangaben:
Fischer, G.; Grubisic, V.: Betriebsbeanspruchung und
Betriebsfestigkeitsnachweis von Eisenbahnrädern. In: Eisenbahningenieur
49 (1998) H. 3, S. 80-82

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