Moin, hans-Peter,
Am 07.02.16 um 14.22 schrieb Hans-Peter Diettrich:
> Kann mir jemand mit Literatur (Tutorials?) zur Konstruktion von
> Zustandsreglern weiterhelfen, zum Einsatz auf Mikrocontrollern?
hast Du einmal recherchiert? Es gibt neben Deiner Quelle eine ganze
weitere Menge an durchaus guten Scripten im Web und in jedem Lehrbuch
steht eigentlich auch alles drin zum Zustandsraum. Nach meinen
Erfahrungen ist es immer gut, zu einem "neuen" Thema mehrere Quellen zu
lesen und sich nicht mit nur einer zufrieden zu geben. Was ich nicht soo
schlecht finde bspw. ist
https://www.ifr.ing.tu-bs.de/static/files/lehre/vorlesungen/rt1/Skript_RT1.pdf
Zum Einsatz auf Controllern: Du benötigst i.d.R. Gleitkomma-Arithmetik.
Geht alles seit ca. 1960, muss man aber dran denken.
> [1] Der erste Punkt war garnicht dabei, d.h. ich habe keine Ahnung, wie
> man von einem vorgegebenen System auf die zugehörigen Gleichungen kommt.
Durch Modellbildung. Entweder, indem man eine analytische mathematische
Beschreibung für die Regelstrecke erarbeitet (Glass Box-Modell), oder
indem man eine experimentelle Identifikation durchführt - Beispiel:
Sprungantwort. Deren Ergebnis: Black Box-Modell.
>
> [2] Bei einfachen Systemen (1. Ordnung?) kann man - soweit praktisch
> möglich - die Sprungantwort analysieren. Geht das auch für komplexere
> Systeme, oder was für Verfahren gibt es dazu überhaupt?
Es gibt auch durchaus Verfahren, die Modelle höherer Ordnung liefern
(Wendetangentenmethode mit PT2-Ansatz, wahlweise mit oder ohne
Laufzeitabspaltung, mehrere Verfahren nach Strejc, FOPTD-Approximation,
Half-Rule nach Skogestad, ...). Oder Identifikationsmethoden, die
Modelle mit beliebigen vorgebbaren Ordnungen liefern. Quellen u.a.:
Isermann, R.: Identifikation dynamischer Systeme I. Springer 2012
Isermann, R.: Identifikation dynamischer Systeme II. Springer 1988
Isermann, R.: Identification of Dynamic Systems - An Introduction with
Applications. Springer, 2010
> [3] Wenn man das Gleichungssystem hat (Matrix), wie wird das vom Zeit-
> in den Zustandsraum transformiert?
Garnicht. Eine Zustandsraumbeschreibung kann man im Zeit- wie im
Frequenzbereich formulieren und handhaben. Üblich ist allerdings eine
Betrachtung im Zeitbereich.
> [4] Wie wird die Matrix der Regelstrecke in die Matrix des Reglers
> überführt?
Garnicht. Allenfalls entwirft man einen Regler an Hand der Eigenschaften
der Regelstrecke, die man im Zustandsraum formuliert, bspw. durch
Eigenwertvorgabe: man bestimmt die Koeffizienten in der
Zustandsrückführung so, dass alle Eigenwerte des geschlossenen
Regelkreises an gewünschter Position liegen. Das geht bei einfachen
Problemen auch leicht händisch, zumal das i.d.R. nur einmal beim
Reglerentwurf zu tun ist.
Nebenbei: eine Zustandsraumbeschreibung umfasst üblicherweise 4 Matrizen
A, B, C, D, nicht nur "die Matrix".
> [5] Wie wird daraus die Struktur des Reglers (Schieberegister für
> Zustandsvektoren) festgelegt, und wie werden die Koeffizienten für die
> Rückführung und das Stellsignal bestimmt?
Der Reglerentwurf führt - solange man sich auf eine Rückführung des
Zustandsvektors aus Strecke oder Beobachter beschränkt - erst einmal auf
ein rein proportionales Regelgesetz, also rein proportional wirkende
Koeffizienten in der Zustandsrückführung. Diese Stuktur des
Zustandsreglers ist verfahrensimmanent vorgegeben, da gibt es also
nichts "festzulegen". Die Stellgröße berechnet sich dann einfach als
gewichtete Summe von Führungsgröße und Zustandsgrößen. Schieberegister
benötigt man nicht - das ist ja der Witz bei der Zustandsregelung: dass
man die Reglerdynamik unter Nutzung der Energiespeicher der Strecke
realisiert. Ein bisschen komplizierter wirds, wenn man eine
integrierende Erweiterung des Zustandsreglers möchte. Dann muss man halt
im Regler einen Integrator - also zeitdiskret: Summierer - spendieren.
Und sich natürlich noch um das Problem Windup kümmern, wenn
Stellgrößenbeschränkungen vorliegen.
Problem bei Regelung im Zustandsraum mit Rückführung des Zustandsvektors
sind die unvermeidbaren Modellabweichungen, die sowohl Dynamik als auch
stationäre Genauigkeit beeinträchtigen. Allein deswegen projektiert man
einen Zustandregler gern mit I- oder PI-Erweiterung.
> Konkret hätte ich gerade das Beispiel eines Heizungsreglers zu beackern.
> Naiv würde ich das in zwei Teile zerlegen, den Heizkörper und seine
> Umgebung (Wohnraum). Als elektrisches Modell fällt mir dazu ein:
>
> ^ Uh Ur
> Uv ---[/]---[]-+--[]-+--[]--- Ua
> Regler | |
> = =
> | |
> Gnd -----------+-----+-------
>
> mit dem ersten RC Glied für den Heizkörper und seine Temperatur (Uh),
> dem zweiten für den Raum (Ur). Eingang ist die Vorlauftemperatur (Uv)
> und das Stellglied (Ventil), Störgröße die Außentemperatur (Ua).
>
> Ist dieses Modell halbwegs realistisch, und zum Testen des Reglers zu
> gebrauchen?
Durchaus. Das wäre ein Ansatz, der auf ein Eingrößensystem 2. Ordnung
führen würde. Auch für so einfache Probleme hat eine Zustandsregelung
durchaus Vorteile - z.B. den, dass man alle Eigenwerte des geschlossenen
Regelkreises dort platzieren kann, wo man sie hinhaben möchte. Den
Vorteil bieten aber andere Konzepte auch (Youla-Parametrierung,
Modellfolgeregelung, ...). Beim Thema Heizung solltest Du aber beachten,
dass Du u.U. heftige Stellgrößenbegrenzungen hast. Muss es also
unbedingt der Zustandsraum sein? Evtl. wäre eine PI-Modellfolgeregelung
die günstigere Wahl? Auch hier gilt: wenn I-Anteil im Regler, dann:
Achtung, Windup.
> Ein erstes Erfolgserlebnis wäre ein Beobachter, der neben der
> Raumtemperatur auch die Temperatur des Heizkörpers (Rücklauf?) liefert,
> die dann mit den realen Spannungen im Modell verglichen werden können.
Genau das ist in der Regelungstechnik im Zustandsraum ein sinnvoller
Einsatz eines Beobachters - nämlich Schätzwerte für Zustandsgrößen zu
liefern, die man nicht messen kann oder will.
> Dieser Beobachter sollte doch auch verwendbar sein, um später die
> Parameter der realen Heizung zu bestimmen?
"Parameter" = Eigenschaften? Nein - die musst Du aus der Modellbildung
oder Identifikation bestimmen. Ein Beobachter kann nur Schätzwerte der
Zustandsgrößen liefern, also bspw. der Temperaturen in Deinem Fall.
> Als erster Schritt in die Literatur ist mir
>
http://www.mb.uni-siegen.de/mrt/lehre/dr/skriptdr.pdf
> untergekommen, aus dem ich allerdings nicht ganz schlau werde, und das
> etliche Fragen (s.o.) offen läßt. Hilfreich wäre vor allem eine
> Formelsammlung für die Nachbildung realer Regelstrecken.
Im Script steht eigentlich alles drin - und noch mehr. Das Beispiel der
Lageregelung ab Seite 24 zeigt doch, wie man von von einer Strecke zu
deren Zustandsraummodell kommt?
Gruß,
Volker.
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Prof. Dr.-Ing. Volker Staben
FH Flensburg - University of Applied Sciences
Fachbereich 2 Energie und Biotechnologie
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