Josef Fluge wrote:
> On Tue, 28 Dec 2021 13:12:59 +0100, Takvorian <
tak...@gmx.de> wrote:
>> Die Inflation kann diese beiden Probleme lösen. Durch die
>>exponentiell schnelle Ausdehnung werden Abweichungen von einer flachen
>>Geometrie “glatt gebügelt” und ein kausal in Wechselwirkung stehendes
>>Raumgebiet wird derartig aufgebläht, dass es den ganzen Bereich des für
>>uns sichtbaren Universums einnehmen kann.
>
> Genau diese überlicht-schnelle Aufblähung des Kausal-Bereichs
> (sichtbaren Universums) verstehe ich nicht.
Keine Ahnung, woher Du den Begriff bzw. das Konzept „Kausal-Bereich“ hast.
Gemeint ist mit der obigen Beschreibung, dass eine solche Expansion
(Ausdehnung) unter anderem erklären kann, weshalb
1. unser Universum anscheinend geometrisch (annähernd) flach ist;
2. es auch auf grossen Skalen in alle Richtungen annähernd gleich
aussieht (gleiche Strahlungstemperatur, mit nur geringer Anisotropie),
obwohl unser Universum noch gar nicht lange genug existieren kann, so
dass diese weit voneinander entfernten Region miteinander (z. B. durch
Austausch von Licht) in Kontakt getreten sein konnten.
Die Inflationstheorie sagt nun, dass dies möglich war, weil die Unterschiede
bereits annähernd ausgeglichen werden konnten, als diese Regionen noch nahe
genug beieinander waren; sich dann unser (beobachtbares) Universum
schlagartig ausdehnte (eben die Inflation), und dann sich diese nun weit
voneinander entfernten Bereiche ähnlich weiterentwickelten (Annahme: die
physikalischen Gesetze sind im gesamten Universum dieselben).
> Ebenso obskur mutet in
>
https://de.wikipedia.org/wiki/Horizontproblem
> im Kap. "Inflation" folgenderText an:
> "Während dieser Inflationsphase hat sich das Universum um einen
> enormen Faktor schneller als das Licht ausgedehnt und zog das Licht
> dabei quasi in alle Richtungen mit."
Das ist tatsächlich nicht so schwierig zu verstehen:
Stell Dir eine Lichtquelle Q vor, und einen Beobachter B, der diese aus
einiger Entfernung sieht. Die Lichtquelle ist gerade eingeschaltet worden.
Da die Lichtgeschwindigkeit endlich ist, dauert es einige Zeit, bis das
erste Licht die Position des Beobachters erreicht.
Wenn die Entfernung zum Beobachter schneller wächst (nämlich im realen
Modell exponentiell) als das (erste) Licht die Zunahme der Entfernung
ausgleichen kann, dann wird dieses quasi von der Expansion vom Beobachter
fortgerissen bzw. vom Raum/„Universum“ „mitgezogen“ (“Hubble flow”),
*obwohl* sich das Licht weiterhin von der Quelle entfernt:
erstes Licht
:
v
1. B ~Q
2. B ~ Q
3. B ~ Q
[Ich habe hier den Raum sich nach der exponentiellen Vorschrift
a(t) = 3^(t − 1) ausdehnen lassen, wobei t die Ordnungszahl ist und
eine Zeiteinheit der kosmologischen Zeit darstellen soll; die Funktion
a(t) heisst dann *Skalenfaktor*; das Verhältnis der Änderungen seines
Wertes zu einem Zeitpunkt im Vergleich zu einem früheren Zeitpunkt und
seinem Wert zum aktuellen Zeitpunkt ist der *Hubble-Parameter*:
H(t) = ȧ(t)/a(t). Die Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum) ist hier
demnach 2 Zeichen/Zeiteinheit.]
Irgendwann (tatsächlich schon nach kleinsten Bruchteilen einer Sekunde: die
kosmische Inflation soll von 10⁻³⁶ s bis höchstens 10⁻³² s nach dem Urknall-
Ereignis gedauert haben¹) hört die überlichtschnelle Expansion aber auf
(“dark energy turned off”) und die Expansion geht gleichmässig weiter
(“coasting”), so dass das Licht nun die Chance hat, in Bereiche um den
Beobachter vorzudringen, in denen die Expansionsgeschwindigkeit
(Rezessionsgeschwindigkeit) kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist (in die
“Hubble sphere”), so dass es den Beobachter erreichen kann:
4. B ~ Q
5. B ~ Q
6. B ~ Q
7. B ~ Q
8. B ~ Q
9. B ~ Q
10. B ~ Q
11. B ~ Q.
12. B ~ Q.
13. B~ Q.
[Vor ca. 1 Milliarde Jahren begann die "Expansionsgeschwindigkeit"
(in Ermangelung eines besseren Begriffs) tatsächlich wieder zuzunehmen
(“dark-energy dominated/accelerated expansion”²), was wir hier der
Einfachheit halber ignorieren. (Die von mir gewählte Einheit der
kosmologischen Zeit ist NICHT 1 Milliarde Jahre.)]
> Vielleicht kann man den Sachverhalt "phänomenologisch" gar nicht
> verstehen, sondern nur formal-mathematisch.
Ich finde: Das geht schon, wenn man es klar formuliert. Genau daran kranken
aber (auch unabsichtlich) viele populärwissenschaftliche Beschreibungen;
genau jene bezeichnete ich deshalb zuvor als „Mist“.
Ich hoffe, es ist mir hier gelungen.
> Zum Vergleich die Quantenphysik:
>
https://www.spektrum.de/news/was-ist-wirklich-real/1365934
> Dort das Zitat "Halt den Mund und rechne!".
Ja, “Shut up and calculate” ist eine gängige Devise in der (Astro-)Physik :)
Damit ist gemeint, dass qualitative Beschreibungen, wie sie etwa Religionen
und die Philosophie liefern – mitunter nur subjektives Geschwurbel –, nicht
genügen: in den exakten Wissenschaften wie der
Astronomie/(Astro-)Physik/Kosmologie müssen mithilfe der Mathematik
möglichst genaue quantative Aussagen/Vorhersagen gemacht werden können, um
später durch Messungen zu überprüfen, ob eine Hypothese richtig (oder doch
zumindest nicht sehr falsch) ist und eine Theorie tatsächlich unser
Universum zu beschreiben geeignet ist.
_______
¹ Don Lincoln et al. (2020): “What really happened at the Big Bang?”.
0:04:57+. YouTube: Fermilab.
<
https://www.youtube.com/watch?v=bZdvSJyHvUU&t=4m57s>
²
<
https://en.wikipedia.org/wiki/Big_Bang#/media/File:CMB_Timeline300_no_WMAP.jpg>