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Elternabend (Beobachtungsbericht 18./19.09.2003)

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Frank Stefani

unread,
Sep 19, 2003, 4:27:27 AM9/19/03
to
Ein prächtiger Herbstag neigt sich dem Ende zu - es
wird eine schöne Nacht geben, zumal der Mond schon
nachmittags hinter den Bergen im Westen verschwindet.

Der Elternabend in der Schule meiner Tochter dehnt
sich allerdings deutlicher als befürchtet und die
anschließende Stippvisite zwecks Geburtstag bei
Freunden mündet dann doch in längere Gespräche und
leckeres Verdauen.

Kurz: Gegen Mitternacht bin ich zwar zuhause, aber
doch auch todmüde. Was tun? Dobson rauschleppen und
die müden Augen auf den prominent leuchtenden Mars
richten? Neee ... geht wirklich nicht, bin zu müde.

Ideee ....!!!

Schnell hole ich den Daunenschlafsack und das 10x50
Fernglas und haue mich in die Wiese - draußen schlafen
ist angesagt!

Kuschelig warm und weich eingetütet, scanne ich die
Milchstraße mit bloßem Auge, ein Anblick, der mir
vertraut geworden ist. Etwas wehmütig sehe ich die
Sommersternbilder westlich des Meridians allmählich
ihre Verabschiedung einläuten: Die Leier, der schöne
Adler, das Füchslein, das dem Pfeil hinterherrennt,
der Herkules, der dem Schlangenträger Richtung Horizont
folgt ... alle sind sie da ... und alle teilen die
Stille dieser Nacht mit mir.

Königin Kassiopeia und Töchterlein Andromeda steigen
hoch empor und auch der Königsfadder Kepheus ist
dabei. Ich nehme endlich mein Fernglas zur Hand:

M29 in der Nähe von Sat(i)r, dem zweithellsten Stern
im Schwan (Beta Cyg), ist natürlich ein bequemes Ziel.
Der kleine offene Sternhaufen ist genau über mir und
ich finde ihn sofort; ein Tropfen Milch in der großen
Straße.

M39 zwischen Schwanens Schwanz und König Kepheus fällt
da deutlich leichter und ist erst recht prädestiniert
für so eine Freihand-Fernglasgeschichte. Ja, spazieren-
sehen ist angesagt, einfach so - und weitere offene
Sternhaufen stehen an:

NGC6939 im Kepheus ist schon deutlich anspruchsvoller,
da er eine integrierte Helligkeit von lediglich 7m8
besitzt und nur 8' Durchmesser. Bei Aufhellung durch
den Mond ist er schnell verschwunden, aber diesmal
ist der Himmel noch dunkel genug. Ich erinnere mich,
wie ich diesen Sternhaufen bei Halbmond mit dem Dobson
gesucht und nur schwerlich gefunden habe.

NGC7243 in der Eidechse ist bei meiner ersten Peilung
sofort im Gesichtsfeld des Fernglases. Seine Fläche
bzw. sein Durchmesser ist fast 3x so groß wie der von
NGC6939 und die Helligkeit mit 6m4 auch wesentlich
größer. Um darin Details zu erkennen, bräuchte ich
allerdings einen optischen Bildstabilisator oder ein
Stativ.

M52 liegt ziemlich genau in der Mitte der Strecke von
Beta Cas und Iota Cep und ist deshalb leicht zu finden.
Seine integrierte Helligkeit ist mit 6m9 auch nicht
gerade riesig, zumal sich der Durchmesser auf 13' dehnt.
Dieser offene Sternhaufen liegt bei dieser geringen
Vergrößerung in einem Sterntrapez, das mich immer an
das große Trapez im Herkules erinnert. M52 befindet
sich etwa gegenüber der Position wo M13 im Herkules
wäre.

NGC7789 ist ein offener Sternhaufen der Helligkeit 6m7,
also etwas heller als M52 bei etwas größerer Fläche
als dieser. Es ist ein sehr deutlicher Milchkleks
zu erkennen und von der Beobachtung mit dem Dobson
weiß ich, dass sich dahinter eine unglaubliche Anzahl
schwächerer Sterne verbirgt.

M34 zwischen Perseus und Andromeda besuche ich, ebenso
den schönen Doppelsternhaufen im Perseus, NGC869 und
NGC884.

Andromeda sag ich "Hallo" und finde den Halo von M31
heute besonders eindrücklich. Auch M32 kann ich erkennen
und M110 sowieso. Drei Galaxien ... so weit weg ... und
doch vor unserer kosmischen Haustüre. M31 war übrigens
problemlos mit freiem Auge zu erkennen.

Irgendwann sinke ich in die tiefen des Schlafsacks und
bin weg.

Zweimal werde ich noch wach: Das erste Mal öffne ich
die Augen und sehe eine glimmende Spitze, wie ein Feuer
direkt vor mir am Gipfelgrat des 1940 m hohen Fricken.
Ich brauche einen Moment um zu registrieren, dass es
der aufgehende Mond ist. Pegasus steht derweil hoch
über mir und ich erhasche einen schnellen Blick auf
den Kugelsternhaufen M15. Bevor der Mond auch nur die
Hälfte seiner Gestalt über den Frickenhorizont geschoben
hat, bin ich wieder unter den Schlafsackhorizont gesunken ...

Stunden später (?) öffne ich ein zweites Mal die Augen
und sehe eines der schönsten Schauspiele, die ich je
in einer Beobachtungsnacht hatte: Schon sehr hoch, aber
noch nicht im Meridan steht der halbe Mond. Darüber das
Fuhrmann-Fünfeck, rechts die Plejaden und unterhalb die
Hyaden. Links oberhalb die Zwillinge Castor und Pollux
und mittendrin Saturn. Zur Krönung ist Orion über dem
Wank aufgegangen ... es ist eine unglaublich schöne
Stimmung und durch den Halbmond auch irgendwie unwirklich,
weil nur die helleren Sterne sichtbar sind.

Ich möchte aus der Penntüte springen und meine Digital-
kamera holen ... aber dann beschließe ich, einfach
liegen zu bleiben und diese großartige Stimmung nicht
mit Geschäftigkeit zu ruinieren, sie stattdessen einfach
zu genießen.

Die Verbundenheit, die Vertrautheit mit dem Jahreslauf
der Sterne ist es, die mich voller Freude die kommenden
Wintersternbilder begrüßen läßt. Der Sommer verabschiedet
sich sanft und der Winter kommt behutsam, gibt mir Zeit,
mich darauf einzustimmen, entfacht Vorfreude. Es ist
eine großartige Nacht!

Am Morgen ist der Schlafsack nass vom Tau ...


Viele Grüße aus den Alpen,
Frank
--
My Home: 47°31'29" N / 11°06'51" E

Peter Niessen

unread,
Sep 19, 2003, 4:53:11 PM9/19/03
to

"Frank Stefani" <frank....@ead-systeme.de> schrieb

> Ein prächtiger Herbstag neigt sich dem Ende zu - es
> wird eine schöne Nacht geben, zumal der Mond schon
> nachmittags hinter den Bergen im Westen verschwindet.
>
> Der Elternabend in der Schule meiner Tochter dehnt
> sich allerdings deutlicher als befürchtet und die
> anschließende Stippvisite zwecks Geburtstag bei
> Freunden mündet dann doch in längere Gespräche und
> leckeres Verdauen.
[rest schön aber snip]

Ich muss Dir mal ein Lob zukommen lassen: LOB!!!
Soviel Begeisterung für den Sternenhimmel und dann noch Deine
vielen schönen Photos! Das hat was!

Mit freundlichen Grüßen:
Peter Nießen

Frank Feger

unread,
Sep 19, 2003, 5:18:13 PM9/19/03
to
On Fri, 19 Sep 2003, Frank Stefani wrote:

>Am Morgen ist der Schlafsack nass vom Tau ...

.. und schloss damit einen wunderbaren Beobachtungsbericht ab!

Bitte mehr davon!


Mit sternfreundlichen Grüßen,

F^2

harald c. greier

unread,
Sep 19, 2003, 7:28:05 PM9/19/03
to
Hallo Frank,


Wirklich schöner Bericht mit Herz und Hirn :)
[allein die Idee!]

> Am Morgen ist der Schlafsack nass vom Tau ...

Es wird um die Zeit schon ganz schön frisch...
Ich hoffe es blieben keine Frostbeulen :)

greets
harald

--
A bad random number generator: 1, 1, 1, 1, 1, 4.33e+67, 1, 1, 1,...

Frank Stefani

unread,
Sep 22, 2003, 3:55:40 AM9/22/03
to
> Ich muss Dir mal ein Lob zukommen lassen: LOB!!!
> Soviel Begeisterung für den Sternenhimmel und dann noch Deine
> vielen schönen Photos! Das hat was!

Danke Peter - freue mich sehr :-)

Frank Stefani

unread,
Sep 22, 2003, 3:57:10 AM9/22/03
to
> .. und schloss damit einen wunderbaren Beobachtungsbericht ab!
>
> Bitte mehr davon!

Danke Frank, von Zeit zu Zeit wird wieder ein Bericht
folgen, wie bisher :-)

Frank Stefani

unread,
Sep 22, 2003, 4:00:21 AM9/22/03
to
> Wirklich schöner Bericht mit Herz und Hirn :)
> [allein die Idee!]

Danke dir auch, Harald!

> > Am Morgen ist der Schlafsack nass vom Tau ...
>
> Es wird um die Zeit schon ganz schön frisch...
> Ich hoffe es blieben keine Frostbeulen :)

Mitnichten - ich habe aus Bergführer's Zeiten
noch einen Expeditionsschlafsack. Der geht bei
angenehmer Schlaftemperatur in normaler Schlaf-
kleidung bis -35°C und ist für Plusgrade an sich
zu warm - ich mußte ihn auch aufmachen.

Dafür ist er recht komfortabel und bietet viel
Raum für Beine und Füße ... bin jetzt in dem
Alter, wo mich sowas anturnt ;-)

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