Helmut Fischer
unread,Aug 15, 2020, 12:39:58 PM8/15/20You do not have permission to delete messages in this group
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Moin,
angeregt von Ignatios' Berichten und HCs Abkündigung seiner Seite, auf
der ich noch einen antiquarischen Törnbericht mit Beteiligung von mir
fand, stelle ich hier mal meinen letztjährigen Reisebericht ein. Er muss
ja nicht nur im Vereinsblatt stehen. Eigentlich wäre ich genau jetzt mit
dem selben Schiff und anderer Crew von Glasgow aus Richtung äußere
Hebriden unterwegs, aber dieses Jahr ist alles anders ...
Viel Spaß beim Lesen! (wie viele das wohl noch sein mögen?)
Helmut
Wappen von Bremen
Bremerhaven – Glasgow (Inverkip)
15.–29.6.2019
Schiffer: W, Stellvertreter: P
Crew:
1. Wache P (WF), AR
2. Wache H (WF), S, W
3. Wache T (WF), AB, AT
869 sm unter Segel, 191 unter Motor, insgesamt 1060 sm
Eine Seglerin und sieben Segler, aufgeteilt in eine Zweier- und zwei
Dreierwachen, gingen am Samstag, 15.6. um 14:30 mit der „Wappen“ durch
die Schleuse in Bremerhaven. Da der Wind genau entgegen stand, mussten
wir bis zum LT Roter Sand motoren. Dort wurde wegen angesagter stärkerer
Böen aus W erst mal ein gerefftes Groß und die Kutterfock gesetzt und
anschließend Helgoland an Steuerbord gelassen. Über Nacht nahm der Wind
ab, so konnten volles Groß und Genua gefahren und direkter Kurs auf
Orkney abgesetzt werden. Unterwegs hatten wir Sicht- und Funkkontakt zur
„Sunbird“ auf dem Weg nach Skagen und konnten zur guten Platzierung im
Edinburgh Race gratulieren.
Der weitere Verlauf führte uns durch mehrere Ölfelder – bei Sonnenschein
kann so eine Bohrinsel fast hübsch aussehen. Ein mit Vermessungsarbeiten
beschäftigtes Schiff brachte durch wechselnde Kurse und Warnungen über
Funk mit starkem (französichem?) Akzent zwischenzeitlich Verwirrung.
Bei wechselnd starkem, aber stets raumem Wind kamen wir so gut voran,
dass wir am Dienstag, 18.6. um 14:30 in Kirkwall auf Orkney Mainland
fest waren. Dem voran ging ein aufregendes Anlegemanöver bei ablandigem
Wind an der hohen Fischereipier, wohin uns der Hafenmeister beordert
hatte. In den vorangegangenen Nächten und auch später noch konnten wir
das faszinierende Schauspiel nachtleuchtender Wolken beobachten.
Der nächste Tag brachte eine am Vorabend spontan gebuchte Kleinbus-Tour
über die Insel, einschließlich Blick auf Scapa Flow, eine von
italienischen Kriegsgefangenen errichtete und liebevoll ausgestattete
Kapelle, einen vorzeitlichen Steinkreis und eine ebensolche Grabanlage,
einen teils jahrhundertealten Museums-Bauernhof und die ersten
Vogelfelsen mit einigen Papageientauchern. Volles Programm! Die
romanische Kirche im Zentrum des auch sonst recht hübschen Orts war auch
sehr sehenswert. Abends war dann Auslaufen mit Ziel Shetlands.
Diesmal war der Wind uns nicht so gesonnen – er schwächelte arg und wir
mussten vorwiegend motoren. Der Versatz durch den Gezeitenstrom zwischen
den Inseln war bei Motorfahrt gut zu beobachten und beeindruckend.
Da die vorhergesagten zunehmenden Winde aus West kommen sollten, liefen
wir ersatzweise Fair Isle an, die auf halber Strecke liegt und auch
schon zu den Shetlands gehört. Ankunft war am Donnerstag, 20.6 um 08:00
im Nordhafen. Die Insel bot ein ganz besonderes Erlebnis – 40 Einwohner,
zwei Kirchen, viele Schafe und Unmengen von Vögeln, ansonsten Wiesen und
schroffe Klippen. Wir lagen längsseits des Hamburger Seglers „Heimkehr“,
dessen Crew uns von vor Schwertwalen unter ihr Boot flüchtenden Robben
berichtete und die beste Tageszeit zum Papageientaucher beobachten
nannte – vor Sonnenuntergang. Sie hatten nicht zu viel versprochen. Den
Tipp, sich ruhig hinzusetzen und zu warten bis sie anfangen an den
Schnürsenkeln zu ziehen, bekamen wir leider erst kurz vor dem Ablegen –
zu spät.
Mehrere Inselrundgänge in wechselnden Gruppierungen führten vorbei am
regelmäßig (wöchentlich!) bedienten Flugplatz, zum leider donnerstags
geschlossenen Kaufladen nebst Poststation, der Krankenstation, den
beiden Kirchen und natürlich einem Friedhof, wo sich auch eine
Gedenktafel für die dort 1588 beigesetzten Toten der Spanischen Armada
befindet. Die Insel ist gespickt mit großen Vogelfallen („Heligoland
traps“), die von einer ornithologischen Forschungsstation betrieben
werden (und deren angeblich auch Gastmahlzeiten, Kaffee und Unterkunft
anbietendes Besucherzentrum leider gerade abgebrannt war). Über uns
waren respekteinflößende Skuas unterwegs. Wir erlebten auch das
Insel-Highlight des Tages und die Rush Hour: die Ankunft der Fähre „Good
Shepherd IV“ – plötzlich waren Pier und Straße voll mit Autos, insgesamt
über 5 Stück!
Südlich der Pier gab es schönen Sandstrand – S hat tatsächlich gebadet.
Freitag, 21.6. um 11:00 ging es dann nördlich um die Insel und bei W 5-6
im 2. Reff hoch am Wind Richtung Äußere Hebriden. Die Sonne schien,
aber an Deck war trotz Sommersonnenwende viel warme Kleidung angesagt.
Samstag konnten wir bei abnehmendem Wind ausreffen und mussten weiter
kreuzen. Die Nacht auf Sonntag, 23.6. brachte, Lewis and Harris
steuerbords und das schottische Festland backbords in Sicht, Flaute mit
Rückwärtstreiben und dem Produzieren von Kringeln auf dem Plotter, bis
wir uns vom Motor erlösen ließen. Morgens kam dann leichter NO auf und
wir konnten Stornoway unter Segel anlaufen, wo wir dann um 12:00 fest
waren. Dank unseres Tiefgangs bekamen wir den schönsten Liegeplatz am
Kopf des Steges („hammerhead“), abends konnten wir uns für die
„Strapazen“ mit einem hervorragenden Essen im „The Boatshed“ direkt am
Hafen belohnen. Kaisergranat, Wolfsbarsch und Jakobsmuscheln waren
angeblich alle lokalen Ursprungs. Nur mit der Temperatur des Weißweins
hatten sie es nicht so ...
Montag wurde dann die Insel erkundet, diesmal per ÖPNV. Der Bus nach
Westen brachte uns durch recht eintöniges und kaum besiedeltes Moorland
zu den Standing Stones von Callanish, lt. Reiseführer in der
archäologischen Bedeutung nur noch von Stonehenge übertroffen. In der
Meeresbucht zu Füßen der Anlage ankerte tatsächlich ein Segler. Das
naheliegende Visitor Centre, quasi ein „Restaurant am Ende des
Universums“ (Douglas Adams) bot „Soup of the Day“ und hervorragenden
Cappuccino. Der Versuchung, im angrenzenden Gift Shop Dinge wie
Fahrradwerkzeugtaschen aus Harris Tweed zu erstehen konnten wir
widerstehen. Die Weiterfahrt führte uns weiter nördlich in einem großen
Kreis an der sehr abwechslungsreichen Westküste entlang bis Barvas und
dann wieder zurück durchs Moor nach Stornoway.
Nach diversen Einzel- und Gruppenerkundungen des ebenfalls hübschen
Ortes wurden am Montag, 24.6. um 22:00 Uhr Segel gesetzt, wegen
angekündigter achterlicher 5-6 Bft nur die Genua. Die zog uns dann auch
mit Macht über den ganzen Mittwoch Richtung Süden, so dass wir nachts
schon Islay querab hatten. Allmählich verließ uns dann der Wind, drehte
aber netterweise auf Süd. Es wurde richtig warm, erstmalig auf der Reise
waren kurze Hosen an Deck zu sehen. Gemütlich haben wir uns dann, Arran
Bb lassend, den Firth of Clyde hochgearbeitet bzw. zeitweise den Motor
arbeiten lassen. Zwischendrin gaben Basstölpel eine imposante
Vorstellung ihrer Sturzflug- und Tauchkünste, und ein halb getauchtes
U-Boot in Polizeibegleitung kam uns entgegen.
Die Kip Marina in Inverkip war Mittwoch, 26.6. um 19:30 erreicht. Der
erste Liegeplatz an der Tankstelle war provisorisch, weil der für das
Einweisen Zuständige vorübergehend nicht verfügbar war. Der zweite,
nordwärts der Einfahrt am Stegkopf gelegen, wurde nach ausführlicher
Bemühung des Gezeitenatlas wieder aufgegeben und das Schiff an die
Südseite an einen handgeloteten Platz verholt. Dennoch blieben Zweifel
ob es bei der kommenden Springtide mit der Wassertiefe noch reichen
würde. Für die folgenden Crewwechsel wurde diese Marina denn auch durch
eine weiter Clyde-aufwärts gelegene ersetzt.
Donnerstag wurde Glasgow gemeinsam erkundet – Anfahrt mit der von der
Marina aus in 15 Fußminuten erreichbaren Eisenbahn, in der Stadt dann
per Doppeldecker-Sightseeing-Rundfahrt-Bus, auf den man nach Lösen des
Tickets beliebig auf- und absteigen konnte. Unterschiedliche Interessen
führten dann, nach gemeinsam besichtigter gotischer Kathedrale, zu
verschiedenen Sehenswürdigkeiten, Museen, und einige auch in eine (die
einzige der Reise!) Whiskydestillerie. Abends ließen wir im Restaurant
der Marina den Schiffer hochleben.
Freitag war von intensivem Klar- und Reinschiffmachen geprägt, und die
ersten traten die Heimreise an. Ein Bad im Firth of Clyde war für einige
aber noch drin – klar und kalt! Samstag war dann für alle Abreisetag,
die Nachfolgecrew haben die meisten gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Schiffer und Stellvertreter hielten die Stellung, hatten auf dem Flug
nach Bremen aber wieder Crew-Begleitung und waren so nicht allein vom
vorübergehenden Verlust des Gepäcks getroffen – alle unsere aufgegebenen
Gepäckstücke kamen erst am Folgetag.
Noch ein privater Eindruck von Glasgows Wasserkante, wo mir Samstag
vormittag passenderweise ein Nextbike-Leihfahrrad vor die Füße fiel:
sehr viele Ähnlichkeiten mit Bremen und Hamburg. Es gibt ein Pendant zum
alten Elbtunnel, in Umstrukturierung begriffene Hafengebiete, und die
Spuren von Schiffbau und Schifffahrt sind allgegenwärtig (und vom neu
errichteten Glasgow Science Center Tower gut von oben zu betrachten).
Bemerkenswert fand ich auch ein Denkmal für „La Pasionaria“, eine
republikanische Aktivistin im spanischen Bürgerkrieg, nebst Gedenktafel
für die über 500 darin umgekommenen britischen Freiwilligen. Meine
spanischen Eindrücke wurden komplettiert durch den bis ins unterste Deck
zu besichtigenden Dreimaster „Glenlee“ vor dem Riverside Museum, der
fast 50 Jahre als „Galatea“ von der spanischen Marine betrieben wurde,
die letzten Jahrzehnte als Schulschiff.
Résumé: dank der vorwiegend günstigen Winde war insgesamt viel Zeit,
Eindrücke an Land zu sammeln, was wir auch ausführlich taten. Das Schiff
machte keine Probleme, wir ihm auch keine, und es gab keine kritischen
Situationen, aber viel wunderbares Segeln. Für das leibliche Wohl war
durch den Einsatz von AB täglich gesorgt – danke! AR hatte auch immer
Tabak für AT verfügbar.
Kleine Anekdote am Rande: die in Bremerhaven gebunkerte Flasche Single
Malt, dort angeblich sogar preiswerter als im Herkunftsland, blieb bis
zum Ende der Reise unangetastet.