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R.I.P. Wilfried! (Repost vom 28.7.2001 in d.r.s.s. - Grauer Rumpf, grünweiße Genua)

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Ulrich G. Kliegis

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May 9, 2023, 4:50:56 PM5/9/23
to
Erstveröffentlichung: 28.7.2001 in drss


Moin, es gibt Geschichten ... :
Vorgestern mittag, endlich zum Kurztörn in die Schlei losgekommen.
Nördliche Winde 2 bis 3 genau in die Förde rein, also mit der
Eisenfock erstmal nach Strande, Diesel auffüllen, um Bülk rum, dort
weht ein leichter NNO, Genua und Groß hoch, Motor aus.
Einige hundert Meter hinter uns ein Boot mit grün-weiß gestreifter
Genua, grauer Rumpf. Lang mal das Glas her, bitte. Jo, das isser.
Zumindest sein Boot. Er ist schneller als wir, naja, wir schleppen
nicht nur ein Dinghi, er hat auch mehr Segelfläche. Kurzes Winken,
einer der beiden an Bord winkt zurück. Schnell hat er uns überholt,
läßt uns in der zunehmenden Flaute liegen. Wir können Damp anliegen,
er wendet, macht einen langen Schlag Richtung LT Kiel, naja, er hat
ja ein Gespür dafür, wo Wind ist.
Als wir mitten vor der Eckernförder Bucht sind, mittlerweile ist es
drei Uhr vorbei, kommt nur noch strichweise die eine oder andere Brise
angeschlichen. Ansonsten fast spiegelglatter Ententeich. Aber noch ist
Fahrt im Schiff, 0.7 bis 1 Knoten. Wolkenlos, Crew (TheRealBoss(tm)
und Sohn 1) ist auch zufrieden, was will man mehr?
Noch segelt er vor uns, aber seine Genua hängt auch meist nur noch
schlaff rum. Ein Boot ist noch in unserer Nähe, dem geht es auch nicht
besser. Er hangelt sich mit seinem Motor von Kräuselung zu Kräuselung,
arbeitet sich in die Nähe der grün-weißen Genua.
Ich sag mir, solange er segelt, mach ich den Motor nicht an. Das geht
einfach nicht. Er hat ja keinen. Und sowas tu ich nicht. Nicht in
seiner Nähe. Wär so ne Art Sakrileg.
DP07 sendet den Seeeeewetterbericht. Da, wo wir sind, behaupten die
nördliche Winde 4 bis 5, später abnehmend. Es muß noch eine andere
Westliche Ooostsee geben.
Irgendwann rauscht seine Genua an Deck (Klar, daß er eine 'richtige'
Genua, mit Stagreitern, hat.), der andere macht den Motor an, schleppt
ihn langsam Richtung Damp. Wir sind wieder nur einige hundert Meter
entfernt, und ich möchte wenigstens mal direkt gratulieren und ihn
sehen.
Inzwischen sind unsere Segel auch unten, Motor an, wir kommen von
achtern auf, kommen auf seine Höhe. Er mustert uns durch sein Glas.
Als wir neben ihm sind, sehe ich, sie sind zu zweit an Bord. Der
ältere hat seine langen grauen Haare unter einem Cap zusammengefaßt,
eine große Sonnenbrille verdeckt sein Gesicht.
' Herr Erdmann ? '
'Ja, das bin ich.'
'Herzlichen Glückwunsch, schön, daß Sie wieder hier sind, und herzlich
willkommen zu Hause!'
'Danke. - Wo fahren Sie denn hin? '
' Wir wollen in die Schlei.'
' Können Sie uns ein Stück mitnehmen? Der, der uns jetzt schleppt, hat
einen Getriebeschaden, der kommt heute nur bis Damp. Und wir sollen
morgen zu Hause sein, und ich hab ja keinen Motor.'
'Klar, kein Problem. Wie weit wollen Sie denn?'
'Kennen Sie die Schlei? Vor Kappeln ist rechts ne Bucht, da wollen wir
ankern.'
'Jo, dat geiht los.'
Eine Minute später hängt seine Schleppleine auf der Stb.- Heckklamp,
und mit 4.4 Knoten SOG tuckern wir an den Förderplattformen vorbei
nach Schleimünde. Winken dem anderen noch zu, der dreht nach Damp ab.
Immer noch 0 Bft.
In Schleimünde sitzen die Stegsegler vor der Giftbude beim Bier und
bramabasieren von ihren wilden Abenteuern auf See. Keiner merkt was.
Und wir haben eine Legende im Schlepp. Einige Segler auf Booten
erkennen den Bootsnamen, ziehen die Mütze, rufen ihre Anerkennung
rüber. Wilfried Erdmann steht mal am Want, mal am Bugkorb, und saugt
das Bild auf. Bis auf den fehlenden Wind ein Bilderbuchabend. Wir
drehen bei Tonne 21 nach Stb ab, Erdmann hat vorher schon seinen
Anker klariert, wir ankern in Rufweite.
Erdmann möchte sich mit einem Buch für den Schlepp bedanken.
Eigentlich nicht nötig, aber da kann man auch nicht Nein sagen. Sohn
1 pullt im Dinghi rüber, ungläubig sehen wir, wie er an Bord gebeten
wird. Er darf sich das Schiff ansehen, verschwindet minutenlang mit
Wilfried und Kym Erdmann unter Deck, dann noch ein Gang zum Mast,
dann kommt er zurück. Wasserfest verpackt: Die Magische Route, einmal
um die Welt gesegelt, mit Kap-Hoorn-Wasser getauft, mit Widmung...
Wunderbar sternklarer Abend, Kein Wind, das Boot treibt in den
wechselnden Strömungen um den Haken. Erdmanns Ankerlicht blinkt
rüber.
Am nächsten Morgen bekommt Erdmann Besuch von einem Fischer aus
Maasholm, offenbar ein guter alter Freund; als der wieder wegfährt,
winkt er rüber und ruft, 'Können wir weiter?' Eine Viertelstunde
später brummen wir wieder los, noch immer kein Wind. Wir kommen auf
die Minute pünktlich zur Öffnung der Brücke in Kappeln an, immer mehr
Leute erkennen ihn, rufen, fotografieren.
Um 12h45 passieren wir die Brücke Lindaunis. Er hat mittlerweile
erfahren, daß er erst um 16 Uhr in seinem Heimathafen Missunde sein
soll, kleine Willkommensparty. Da es nur noch 4 Seemeilen sind, ankern
wir wieder, kurz hinter der Brücke. um 15 Uhr soll es weitergehen. Es
ist heiß, kein Windhauch, wir baden erstmal. Da kommt leichter Wind
auf, nordöstlich 1 bis 2. Die Erdmanns setzen ihre Segel, sagen noch
Bescheid, daß sie das ausnutzen wollen, klar, aber wir sollen mal
sicherheitshalber, wenn es paßt, so rechtzeitig hinterherfahren, daß
wir sie notfalls noch auf den Haken nehmen können. Und zur Feier
sollen wir bitte doch vorbeischauen. Der Wind bleibt, um 14h30 setzen
wir den Blister, trödeln mit 2 bis 3 Knoten hinter ihm her, er ist ca.
2 sm voraus. Kurz nach vier nehmen wir den Blister runter, die letzte
Meile bis Missunde tuckern wir wieder - wir finden eine Box ganz nahe
bei der Kathena Nui .
Na, dann haben wir noch nett geklönt. Sie seien auf die Minute genau
unter Segeln in ihre Box eingelaufen. Wir reden mit Kym, seinem Sohn,
und seiner Frau. Es gibt ein ganz hervorragendes Bier vom Faß von
einer kleinen Schleswiger (!) Brauerei (soviel soll gesagt sein
dürfen), ein Foto mit Wilfried Erdmann vor der Kathena Nui am Steg,
und das Leben ist um eine schöne Erinnerung reicher.

- - - Für heute hatten die Wetterfrösche wieder Hochsommerwetter
angesagt. Wir liegen noch in der Box in Missunde, es regnet seit vier
Stunden, kein Lufthauch.


Heute kam die Nachricht, daß er seine letzte große Reise begonnen hat.
Ruhe in Frieden, Wilfried, und auf Deine Frage, mehrere Jahre nach
diesen Treffen gestell: "Na, suchst n Schlepp?" - Klar, jederzeit,
wohin Du willst.

Ignatios Souvatzis

unread,
May 10, 2023, 6:20:09 AM5/10/23
to
Ulrich G Kliegis wrote:
> Erstveröffentlichung: 28.7.2001 in drss
>
>
> Moin, es gibt Geschichten ... :
> Vorgestern mittag, endlich zum Kurztörn in die Schlei losgekommen.[...]

Huch, seinerzeit verpasst...

> Heute kam die Nachricht, daß er seine letzte große Reise begonnen hat.

Ja, vorhin hat Mastodon gebimmelt.

Ich kann selbst mit laengeren Strecken einhand nichts anfangen -
also selbst - vielleicht deshalbe wurde ich mit den meisten der
wenigen Bücher von ihm, die ich habe, nicht richtig warm - auch
wenn ich seine seglerische Leistung da jeweils und ueberhaupt
durchaus anerkenne.

Genial leerreich fand ich aber sein Buch über den "Unmögliche"(n)
"Törn", (Cuxhaven-New York City hin und zurück mit je 8 Anfänger:inn:en).
Ich glaube, ich schrieb hier schon mal darüber?

Den Hut absetzend,

-is

HC Ahlmann

unread,
May 10, 2023, 6:43:29 AM5/10/23
to
Ulrich G. Kliegis
<diesemailadressevonUlliistzwaret...@diesedomainexistiertnicht.de>
wrote:

> Heute kam die Nachricht, daß er seine letzte große Reise begonnen hat.
> Ruhe in Frieden, Wilfried, und auf Deine Frage, mehrere Jahre nach
> diesen Treffen gestell: "Na, suchst n Schlepp?" - Klar, jederzeit,
> wohin Du willst.

Ach, Mensch...
Gute Reise, Wilfried Erdmann.
--
Munterbleiben
HC

Helmut Fischer

unread,
May 10, 2023, 12:56:52 PM5/10/23
to
Am 09.05.23 um 22:50 schrieb Ulrich G. Kliegis:.

> Moin, es gibt Geschichten ... :

Ich habe Deine drss-Geschichte heute morgen aus der Erinnerung meiner
Frau erzählt. In den gut 20 Jahren hatte sie sich in meinem Schädel
leicht verändert, danke fürs Wiedereinstellen! Immer noch schön.

Gedenken an W.E. sowieso!

Grüße, Helmut

Ulrich G. Kliegis

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May 10, 2023, 3:20:47 PM5/10/23
to
On Wed, 10 May 2023 18:56:49 +0200, Helmut Fischer <h_fi...@gmx.de>
wrote:

>
>Ich habe Deine drss-Geschichte heute morgen aus der Erinnerung meiner
>Frau erzählt. In den gut 20 Jahren hatte sie sich in meinem Schädel
>leicht verändert, danke fürs Wiedereinstellen! Immer noch schön.

Nu bin ich aber ziemlich gerührt. Wenn in drss inzwischen binaries
zulässig wären, hätte ich ja das Bild von den Helden der Geschichte
(mit Ausnahme von Kym, der fotografierte) vor der Kathena Nui am Steg
in Lindaunis mitgeschickt, aber vielleicht ist es auch zu privat und
persönlich. Also, nein.

Danke für Dein Echo!

Gruß,
U.
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