Vor einiger Zeit hatte 3SAT Nicolaus Harnoncourts King Arthur aus Salzburg
2004 (in deutscher Sprache) ausgestrahlt, die ich mich z.Zt. anschaue.
Weiss hier jemand, wer die deutsche Texte geschrieben hat, und ob man
vielleicht den Text im WEB finden kann? Das englischsprachige Libretto
findet man im WEB schon, die deutsche Fassung wurde aber doch ziemlich
frei übersetzt?
Salut
René
--
Die hier verwendete Absenderadresse könnte nur
kurzfristig existieren. Um mich sicher zu erreichen:
bitte an ReneOnNews AT renegagnauxPUNKTch schreiben.
On Sat, 02 Feb 2008 15:47:36 +0100, Rene Gagnaux
<rg_01...@renegagnaux.ch> wrote:
>Vor einiger Zeit hatte 3SAT Nicolaus Harnoncourts King Arthur aus Salzburg
>2004 (in deutscher Sprache) ausgestrahlt, die ich mich z.Zt. anschaue.
>Weiss hier jemand, wer die deutsche Texte geschrieben hat, und ob man
>vielleicht den Text im WEB finden kann?
Ich meinte natürlich die gesprochene Zwischentexte, die gesungene Stellen
sind schon original.
>
>Guten Tag allerseits
>
>On Sat, 02 Feb 2008 15:47:36 +0100, Rene Gagnaux
><rg_01...@renegagnaux.ch> wrote:
>
>>Vor einiger Zeit hatte 3SAT Nicolaus Harnoncourts King Arthur aus Salzburg
>>2004 (in deutscher Sprache) ausgestrahlt, die ich mich z.Zt. anschaue.
>>Weiss hier jemand, wer die deutsche Texte geschrieben hat, und ob man
>>vielleicht den Text im WEB finden kann?
>
>Ich meinte natürlich die gesprochene Zwischentexte, die gesungene Stellen
>sind schon original.
>
>Salut
>René
Habe noch das Programmheft und daraus eine Stelle gescannt:
Von Zauberkünsten und Theatermagiern
King Arthur erobert die Bühne - ein Werkstattbericht
...
»Warum das Stück neu dichten?«
Über zweihundert Jahre lang war King Arthur als integrales Musikdrama,
das Drydens Schauspiel und Purcells Musik gleichberechtigt umfasst,
nicht mehr präsentiert worden, bevor es im Februar 1995 am Pariser
Théâtre du Châtelet zu einer ersten Wiederaufführung kam, die Drydens
originales Drama zur Grundlage nahm; diese Produktion, die Graham Vick
inszenierte und William Christie dirigierte, wurde anschließend auch
am Theater von Caen und am Londoner Royal Opera House gezeigt. Eine
bemerkenswerte Renaissance war damit in Gang gesetzt - doch die
Fassungsfrage blieb bei jeder Neuinszenierung aktuell, zumal bei
Aufführungen außerhalb des englischen Sprachraums. Sollte man die
Schauspielpassagen, denen die eigentliche Handlung des Stücks
vorbehalten ist, im Original belassen oder sie doch besser der
jeweiligen Landessprache anpassen? Wenn ja, wie sollte man bei der
Übersetzung verfahren? Sollte man Dryden folgen, Wort für Wort, oder
lieber eine freie Nachdichtung versuchen, wie es etwa Wolfgang
Deichsel 1996 für Martin Kusejs Deutung am Staatstheater Stuttgart
unternommen hatte? Oder war es sinnvoller, jenseits der musikalischen
Tobleaux ganz von Drydens Vorlage Abstand zu nehmen, das Stück neu zu
schreiben, vielleicht gar auf die (kostensparende) Instanz eines
Erzählers auszuweichen, der das Geschehen resümiert und erläutert?
Für Jürgen Flimm stand von Beginn an fest, es bei John Drydens
Original zu belassen: »Warum auch nicht? Das ist doch ein schöner
Text! Hier liegt ein Problem der gegenwärtigen Theaterpraxis: Die
Leute sind immer misstrauisch und glauben, sie müssten etwas Neues
schreiben. Aber sie sind nicht besser: Warum also müssen sie die
Stücke neu dichten? Das habe ich nie verstanden. Sicher: Man kann
Drydens Text neu übersetzen, man kann ihn etwas witziger gestalten.
Und jeder versteht die Botschaft: Es geht um Liebe, es geht um Krieg.«
Renate und Wolfgang Wiens wurden mit der Erstellung einer deutschen
Fassung betraut, und ihre wörtliche Übertragung des gesamten
Textkorpus legte ein dramaturgisches Ungleichgewicht der Vorlage frei.
»Der Text ist ein recht zwittriges Wesen«, erklärt Wolfgang Wiens. »Es
gibt lange Strecken, in denen Dryden das Stück als Schauspiel
ausgeschrieben hat, aber diesen Passagen stehen gewaltige Musikblöcke
gegenüber. Dadurch haftet dem Buch etwas Deproportioniertes an.« Der
fünfte und letzte Akt zum Beispiel, die »Masque of Britannia« mit
ihrer nationalen Apotheose, ist nahezu dialogfrei gehalten und setzt
sich in der gängigen Edition des Londoner Novello Verlages aus einer
Reihung von zehn Musiknummern zusammen, die insgesamt eine Spieldauer
von einer halben Stunde beanspruchen. Demgegenüber sind die ersten
fünf Szenen des zentralen dritten Aktes ohne jede Musikeinlage
überliefert; als besonderes dramaturgisches Manko erweist sich hierbei
die Tatsache, dass der entscheidende Moment, da die blinde Heldin
Emmeline ihre Sehkraft wiedererlangt und Arthur in ihre Arme schließen
kann, kein musikalisches Äquivalent findet. Die Salzburger
Spielfassung löst dieses Dilemma, indem zum einen kurze Stücke aus
Purcells Variantennachlass eingefügt werden, zum anderen aber
großdimensionierte Liebesduett »You say 'tis love« aus dem fünften Akt
vorgezogen wird, um die Vereinigung des Liebespaars zu zelebrieren -
ein Schritt, der sich auch dadurch legitimieren lässt, dass dieser
Zwiegesang nicht dem Textbuch John Drydens entstammt, sondern die
Vorlage auf einen gewissen Mister Howe zurückgeht, von Purcell in
anderem Zusammenhang vertont und vermutlich erst nachträglich in die
King-Arthur-Partitur importiert wurde. Die Umschichtung verletzt
mithin nicht die Authentizität; sie strebt vielmehr an, den
musktheatralischen Verlauf bündiger und dramaturgisch zwingender zu
gestalten.
...
Susanne Stähr
Der Artikel ist noch länger, aber ich habe jetzt wenig Zeit. Bitte
allfällige Fehler zu entschuldigen.
VG Gerard
> »Warum das Stück neu dichten?«
Irgend etwas verstehe ich nicht an den Versuchen, solche Stăcke
wiederzubeleben. Einerseits sollen wir davon überzeugt werden, dass
sich diese Versuche lohnen, weil der Gegenstand es wert ist,
andererseits zielen die Bearbeitungen darauf, den Stücken eine Gestalt
zu geben und sie einer Vorstellung von formaler Stimmigkeit
entsprechend neu zu gestalten, die ihnen völlig unangemessen ist.
Eigentlich gibt es doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder der seltsamen
Form dieser Halbopern kann ein Sinn abgewonnen werden, dann ist der
Aufbau nicht unproportioniert, sondern diesem Sinn genau entsprechend.
Oder das ist nicht der Fall, dann kann man die Musik - die wenig mit
dem eigemtlichen Verlauf des Stücks zu tun hat - ohne den Rest des
Werkes aufführen und kann sich die Mühe einer Bearbeitung des
Schauspieltextes (der übrigens im Falle des "King Arthur" gar nicht gut
ist) sparen.
Seltsamerweise liest man aber immer wieder Erläuterungen, die davon
ausgehen, dass das ganz tolle Stücke sind, die dann aber erklären, dass
sie es keineswegs sind, sondern eher ziemlich unbrauchbare und
unspielbare Monstren.
Kann jemand diese Seltsamkeit erklären?
--
Zum Senden einer persönlichen Nachricht, bitte vor dem "at" der Adresse
eine Vier (als Ziffer) hinzufügen.
On Sun, 03 Feb 2008 20:58:27 +0100, Gerard Listhoff <m...@privacy.net>
wrote:
>>>Vor einiger Zeit hatte 3SAT Nicolaus Harnoncourts King Arthur aus Salzburg
>>>2004 (in deutscher Sprache) ausgestrahlt, die ich mich z.Zt. anschaue.
>>>Weiss hier jemand, wer die deutsche Texte geschrieben hat, und ob man
>>>vielleicht den Text im WEB finden kann?
>>
>>Ich meinte natürlich die gesprochene Zwischentexte, die gesungene Stellen
>>sind schon original.
>Habe noch das Programmheft und daraus eine Stelle gescannt:
Vielen Dank für die Mühe, der Text ist sehr interessant!
>Renate und Wolfgang Wiens wurden mit der Erstellung einer deutschen
>Fassung betraut, und ihre wörtliche Übertragung des gesamten
>Textkorpus legte ein dramaturgisches Ungleichgewicht der Vorlage frei.
>von einer halben Stunde beanspruchen. Demgegenüber sind die ersten
>fünf Szenen des zentralen dritten Aktes ohne jede Musikeinlage
>überliefert; als besonderes dramaturgisches Manko erweist sich hierbei
>die Tatsache, dass der entscheidende Moment, da die blinde Heldin
>Emmeline ihre Sehkraft wiedererlangt und Arthur in ihre Arme schließen
>kann, kein musikalisches Äquivalent findet. Die Salzburger
>Spielfassung löst dieses Dilemma, indem zum einen kurze Stücke aus
>Purcells Variantennachlass eingefügt werden, zum anderen aber
>großdimensionierte Liebesduett »You say 'tis love« aus dem fünften Akt
>vorgezogen wird, um die Vereinigung des Liebespaars zu zelebrieren -
Genau da war ich auch etwas durcheinander geraten, jetzt verstehe ich es!
>ein Schritt, der sich auch dadurch legitimieren lässt, dass dieser
>Zwiegesang nicht dem Textbuch John Drydens entstammt, sondern die
>Vorlage auf einen gewissen Mister Howe zurückgeht, von Purcell in
>anderem Zusammenhang vertont und vermutlich erst nachträglich in die
>King-Arthur-Partitur importiert wurde. Die Umschichtung verletzt
Jedenfalls eine sehr schöne Aufführung!
>Der Artikel ist noch länger, aber ich habe jetzt wenig Zeit.
Nochmals vielen Dank für die Mühe!
On Sun, 3 Feb 2008 23:02:35 +0100, Werner Hintze <use...@floridante.de>
wrote:
>Seltsamerweise liest man aber immer wieder Erläuterungen, die davon
>ausgehen, dass das ganz tolle Stücke sind, die dann aber erklären, dass
>sie es keineswegs sind, sondern eher ziemlich unbrauchbare und
>unspielbare Monstren.
;-) Ich fand jedenfalls diese Aufführung sehr interessant, und auch sehr
schön. Ist aber nur meine Meinung, und ich muss auch zugeben, dass ich ein
grosser Fan von Harnoncourt und Flimm bin ;-) Auch deren
Zauberflöte-Aufführung in Zürich hat mich begeistert, genau so wie sie
manche anderen Menschen gar nicht gefallen hat! ;-)
On Sun, 03 Feb 2008 20:58:27 +0100, Gerard Listhoff <m...@privacy.net>
wrote:
>Susanne Stähr
Nachdem Du diesen Namen genannt hast, habe ich soeben im WEB kurz danach
gesucht. Für diejenigen, die an dieser Aufführung interessiert sind, zwei
interessante Texte dazu unter
http://www.festspielfreunde.at/deutsch/frames/200404/gf_200404_24.htm
http://www.festspielfreunde.at/deutsch/frames/200312/gf_200312_10.htm
> ;-) Ich fand jedenfalls diese Aufführung sehr interessant, und auch sehr
> schön.
Ich kenne die Aufführung nicht. Ich bezog mich lediglich auf diesen und
andere Texte, die sich auf diese Stücke beziehen. Und eben auf den
seltsamen Widerspruch, der darin besteht, dass diese Artikel einerseits
darauf bestehen, dass es sich da um wertvolle Werke handelt,
andererseits aber fraglos davon ausgehen, dass mir ihrer spezifischen
Struktur nichts anzufangen ist, weshalb man in diese stark eingreifen
muss, um die Stücke spielbar zu machen.
Das scheint mir ganz einfach: Den Fachmann, der den
Entstehungskontext des Werkes kennt, begeistert es leichter als
den Laien, der davon wenig Ahnung hat. Also muss man das in einem
langen Bibliotheks-Koma überwinterte Werk aktualisieren, damit
das Gegenwartspublikum es auch geniessen kann. Das machte auch
schon Mozart mit Händel und Liszt sogar mit Beethoven. Die
Alternative, es den Leuten im Original zu präsentieren und das
Publikum auf einen 4-semestrigen Vorkurs zu verpflichten (bei
Strafe der verschärften Langeweile im Unterlassungsfall) halte
ich für weltfremd.
Irgendwann wird man auch Wagner und/oder Brahms aktualisieren.
(Ich weiss nicht, welche Rezeptionslinie früher abbricht im 23.
Jahrhundert.) Nebst Tecnoisieren ist auch Sinisieren denkbar! :-)
Wir sind uns wohl alle einig, dass sich von Josquin bis Mahler
alle im Grab umdrehen, wenn sie die heutige Musikpraxis hören
müssten. Nach welchem Gesetz müssen wir auf sie Rücksicht nehmen?
Zwar hat die Urtext-Welle auch Verbesserungen gebracht - aber
als Naturgesetz würde ich das nicht postulieren.
Gruss
Walter
> Das scheint mir ganz einfach: Den Fachmann, der den Entstehungskontext
> des Werkes kennt, begeistert es leichter als den Laien, der davon wenig
> Ahnung hat. Also muss man das in einem langen Bibliotheks-Koma
> überwinterte Werk aktualisieren, damit das Gegenwartspublikum es auch
> geniessen kann.
Das meine ich nicht, und davon war auch nicht die Rede. (Außerdem weiß
ich nicht, was mit dem Wort "Aktualisierung" in diesem Zusammenhang
gemeint sein kann.) Es geht mir darum, dass die Stücke nicht etwa
inhaltlich als problematisch empfunden werden (obwohl sie es durchaus
sein mögen), sondern strukturell. Offensichtlich muss man den Versuch
unternehmen, ein Schauspiel, das zwar viel Musik enthält, die aber eher
eine dekorative Rolle spielt und weder die Dramaturgie des Werkes prägt
noch für den Handlungsverlauf die geringste Rolle spielt, in eine Oper
umzufälschen, für die die Musik dramaturgisch konstitutives Element ist.
Und ich frage mich, warum man das tut. Wenn die Stücke strukturell so
unmöglich sind, dass man sie nicht spielen kann, muss man sie doch
nicht spielen. Und wenn die Musik so toll ist, dass man sie unbedingt
zu Gehör bringen muss (beim "King Arthur" habe ich da gelinde Zweifel,
aber das ist eine andere Sache), dann kann man dies ja tun. Anders als
"richtige" Opernmusik kann man diese sehr leicht aus ihrem dramatischen
Kontext herauslösen, da sie ja in Wahrheit in gar keinem steht. Ich
brauche also das Übermaß an (mäßigen) Schauspielszenen nicht, wenn ich
die Musik zu Gehör bringen will. Und man braucht im übrigen die Musik
nicht, wenn man das Schauspiel spielen wollte, wonach niemand das
Bedürfnis zu haben scheint.
> Wir sind uns wohl alle einig, dass sich von Josquin bis Mahler alle im
> Grab umdrehen, wenn sie die heutige Musikpraxis hören müssten.
Wie kommt denn diese blödsinnige Aussage zustande? Auf welche Fakten
und persönlichen Gespräche mit den Komponisten bzw. eigene
Hörerfahrungen der Interpretationen dieser Konponisten stützt sie sich?
> On 2008-02-06 18:47:40 +0100, Walter Schmid <News-...@freesurf.ch> said:
>
>> Das scheint mir ganz einfach: Den Fachmann, der den Entstehungskontext
>> des Werkes kennt, begeistert es leichter als den Laien, der davon wenig
>> Ahnung hat. Also muss man das in einem langen Bibliotheks-Koma
>> überwinterte Werk aktualisieren, damit das Gegenwartspublikum es auch
>> geniessen kann.
>
> Das meine ich nicht, und davon war auch nicht die Rede. (Außerdem weiß
> ich nicht, was mit dem Wort "Aktualisierung" in diesem Zusammenhang
> gemeint sein kann.) Es geht mir darum, dass die Stücke nicht etwa
> inhaltlich als problematisch empfunden werden (obwohl sie es durchaus
> sein mögen), sondern strukturell.
Absolute Musik als geordneter Schall ist nur Struktur. Von der
Sinuswelle bis zur 4-sätzigen Sinfonie. Auch Klangfarbe ist
Struktur.
> Offensichtlich muss man den Versuch
> unternehmen, ein Schauspiel, das zwar viel Musik enthält, die aber eher
> eine dekorative Rolle spielt und weder die Dramaturgie des Werkes prägt
> noch für den Handlungsverlauf die geringste Rolle spielt, in eine Oper
> umzufälschen, für die die Musik dramaturgisch konstitutives Element ist.
>
> Und ich frage mich, warum man das tut. Wenn die Stücke strukturell so
> unmöglich sind, dass man sie nicht spielen kann, muss man sie doch
> nicht spielen.
Du würdest eine soeben entdeckte Wiese mit Goldgrube drin nicht
kaufen, weil die Wiese unschön ist?
> Und wenn die Musik so toll ist, dass man sie unbedingt
> zu Gehör bringen muss (beim "King Arthur" habe ich da gelinde Zweifel,
> aber das ist eine andere Sache), dann kann man dies ja tun. Anders als
> "richtige" Opernmusik kann man diese sehr leicht aus ihrem dramatischen
> Kontext herauslösen, da sie ja in Wahrheit in gar keinem steht.
Dasjenige Publikum, das vor allem an Musik interessiert ist, wird
das so wünschen. Aber Viele haben Zugang zur Musik nur über den
Text. Ich selbst war früher Opernverächter, aber ich habe Zugang
zu Neuer Musik ausgerechnet über die Oper gefunden. Es begann mit
Wozzeck, von dem ich Ausschnitte auf einer B-Seite ungewollt
mitbekam.
> Ich
> brauche also das Übermaß an (mäßigen) Schauspielszenen nicht, wenn ich
> die Musik zu Gehör bringen will. Und man braucht im übrigen die Musik
> nicht, wenn man das Schauspiel spielen wollte, wonach niemand das
> Bedürfnis zu haben scheint.
Wenn einer sich zutraut, ein altes Stück zu retten, zählt nur das
Ergebnis. Ich kenne es nicht - und kann dazu nichts sagen.
>> Wir sind uns wohl alle einig, dass sich von Josquin bis Mahler alle im
>> Grab umdrehen, wenn sie die heutige Musikpraxis hören müssten.
>
> Wie kommt denn diese blödsinnige Aussage zustande?
Da zur heutigen Musikpraxis vor allem Berieselung mit Rockmusik
(i.w.S.) gehört, ist diese Aussage zwar trivial - aber sicher
nicht blödsinnig. (Du verwechselst Musikpraxis mit
Aufführungspraxis, - dass Du ungenau liest, um Leerpulver
verschiessen zu können, ist altbekannt.) Allenfalls früher
Stravinsky könnte von Mahler goutiert werden. Die andern hielten
sich die Ohren zu. Zur Erinnerung: Ich selbst höre sehr gerne
Scelsi, Lachenmann u.v.a. Lebende.
> Auf welche Fakten
> und persönlichen Gespräche mit den Komponisten bzw. eigene
> Hörerfahrungen der Interpretationen dieser Konponisten stützt sie sich?
Z.B. dass Brahms keinen Bruckner mochte - und umgekehrt.
Gruss
Walter
> Werner Hintze schrieb:
>
[...]
>> Offensichtlich muss man den Versuch unternehmen, ein Schauspiel, das
>> zwar viel Musik enthält, die aber eher eine dekorative Rolle spielt
>> und weder die Dramaturgie des Werkes prägt noch für den
>> Handlungsverlauf die geringste Rolle spielt, in eine Oper
>> umzufälschen, für die die Musik dramaturgisch konstitutives Element
>> ist.
>>
>> Und ich frage mich, warum man das tut. Wenn die Stücke strukturell
>> so unmöglich sind, dass man sie nicht spielen kann, muss man sie
>> doch nicht spielen.
>
> Du würdest eine soeben entdeckte Wiese mit Goldgrube drin nicht
> kaufen, weil die Wiese unschön ist?
Wenn ich Werner richtig verstanden habe, ist seine Position eher, um
im Bild zu bleiben: wenn man sehr genau weiß, wo überhaupt Gold liegen
/kann/, dann muss man nur dieses Grundstück kaufen und nicht auch noch
mehrere hundert Hektar Gras- und Hügel- und Sumpflandschaft drumherum,
nur weil sie zufällig zum selben Gebiet gehören.
>> Und wenn die Musik so toll ist, dass man sie unbedingt zu Gehör
>> bringen muss (beim "King Arthur" habe ich da gelinde Zweifel, aber
>> das ist eine andere Sache), dann kann man dies ja tun.
Ich mag die Musik des "King Arthur". :-) Allein schon das "Shepherd,
leave decoy" (aus dem Gedächtnis) finde ich sehr witzig.
>> Anders als "richtige" Opernmusik kann man diese sehr leicht aus
>> ihrem dramatischen Kontext herauslösen, da sie ja in Wahrheit in
>> gar keinem steht.
>
> Dasjenige Publikum, das vor allem an Musik interessiert ist, wird
> das so wünschen. Aber Viele haben Zugang zur Musik nur über den
> Text.
Ich glaube, die These war, dass (gesprochener) Text und Musik bzw.
Gesang in diesem Falle nicht viel miteinander zu tun hätten.
[...]
>> Ich brauche also das Übermaß an (mäßigen) Schauspielszenen nicht,
>> wenn ich die Musik zu Gehör bringen will. Und man braucht im übrigen
>> die Musik nicht, wenn man das Schauspiel spielen wollte, wonach
>> niemand das Bedürfnis zu haben scheint.
>
> Wenn einer sich zutraut, ein altes Stück zu retten, zählt nur das
> Ergebnis. Ich kenne es nicht - und kann dazu nichts sagen.
Ich auch nicht; ich kenne nicht einmal den Schauspieltext, sondern nur
die Musik. Aber Gerd Listhoff hat ja aus dem Programm einer Salzburger
Aufführung zititiert, und in diesem Text kann man in der Tat einen
Selbstwiderspruch wahrnehmen. Offensichtlich stand als Überlegung im
Raum, den gesprochenen Schauspieltext stark zu verändern, weil man ihn
als ungenügend empfand. Aber ein Jürgen Flimm, der offenkundig der
entweder der Regisseur oder der Dramaturg der Salzburger Aufführung
war, sagt dazu einerseits:
"Das ist doch ein schöner Text! Hier liegt ein Problem der
gegenwärtigen Theaterpraxis: Die Leute sind immer misstrauisch und
glauben, sie müssten etwas Neues schreiben. Aber sie sind nicht
besser: Warum also müssen sie die Stücke neu dichten? Das habe ich
nie verstanden."
Aber andererseits:
"Sicher: Man kann Drydens Text neu übersetzen man kann ihn etwas
witziger gestalten."
Und unmittelbar darauf heißt es:
"Renate und Wolfgang Wiens wurden mit der Erstellung einer
deutschen Fassung betraut, und ihre wörtliche Übertragung des
gesamten Textkorpus legte ein dramaturgisches Ungleichgewicht der
Vorlage frei. »Der Text ist ein recht zwittriges Wesen«, erklärt
Wolfgang Wiens. »Es gibt lange Strecken, in denen Dryden das Stück
als Schauspiel ausgeschrieben hat, aber diesen Passagen stehen
gewaltige Musikblöcke gegenüber. Dadurch haftet dem Buch etwas
Deproportioniertes an.«
Da kann man denn in der Tat die Frage stellen, was genau denn nun an
Drydens Text so bewahrenswert wäre.
Heilend könnte man das Ganze aber auch so lesen: 'Ja, der gesprochene
Schauspieltext hat starke Schwächen. Aber in einigen Szenen hat er
auch seine dramatischen Meriten und unsere Einschätzung war: mit nur
ein paar Umstellungen und Eingriffen können wir ein ganz passables
Schauspiel daraus machen. Wir glauben, dass dieses Verfahren ein
besseres Ergebnis bringt, als eine freie Nachdichtung oder
Nacherzählung.'
Oliver
--
20 Pluviôse an 216 de la Révolution
Liberté, Egalité, Fraternité!
On Fri, 8 Feb 2008 09:28:29 +0100, Werner Hintze <use...@floridante.de>
wrote:
>brauche also das Übermaß an (mäßigen) Schauspielszenen nicht, wenn ich
>die Musik zu Gehör bringen will. Und man braucht im übrigen die Musik
>nicht, wenn man das Schauspiel spielen wollte, wonach niemand das
>Bedürfnis zu haben scheint.
Beim King Arthur von Henry Purcell ist es aber leider schon so, dass wenn
man nur die Wiedergabe Purcells Partitur hört, man recht wenig von der
ganzen Geschichte verstehen kann, ausser man hat die Geschichte darum
herum genau gelesen. Bei der Darstellung von Flimm/Wiens/Stähr/Harnoncourt
hat man dagegen eine recht gut verständliche Gesamtheit, so habe ich sie
jedenfalls als Laie, als Musikliebhaber ohne vertiefte Kenntnisse,
empfunden.
> Absolute Musik als geordneter Schall ist nur Struktur. Von der
> Sinuswelle bis zur 4-sätzigen Sinfonie. Auch Klangfarbe ist
> Struktur.
Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass Du sagen könntest, was
diese Sätze besagen wollen, verstehe ich nicht, was sie in diesem
Zusammenhang zu suchen haben.
> Du würdest eine soeben entdeckte Wiese mit Goldgrube drin nicht
> kaufen, weil die Wiese unschön ist?
Der Vergleich hinkt leider auf allen Beinen, die er haben mag. Fällt
Dir das auf?
> Dasjenige Publikum, das vor allem an Musik interessiert ist, wird
> das so wünschen. Aber Viele haben Zugang zur Musik nur über den
> Text.
Es sagt ja auch niemand, dass die Vokalstücke ohne Text aufgeführt
werden sollen. Ich habe auch nichts dagegen, dass diese Stücke gespielt
werden. Ich frage mich lediglich - ich habe das schon öfter gesagt -
wie man gleichzeitig behaupten kann, diese Stücke seien so bedeutend,
dass man sie unbedingt spielen müsse, und andererseits, sie seien so
schwach, dass man sie gar nicht spielen könne, jedenfalls nicht ohne
schwerwiegende Eingriffe in ihre spezifische Struktur.
>>> Wir sind uns wohl alle einig, dass sich von Josquin bis Mahler alle im
>>> Grab umdrehen, wenn sie die heutige Musikpraxis hören müssten.
>>
>> Wie kommt denn diese blödsinnige Aussage zustande?
>
> Da zur heutigen Musikpraxis vor allem Berieselung mit Rockmusik
> (i.w.S.) gehört, ist diese Aussage zwar trivial - aber sicher
> nicht blödsinnig.
Sie ist blödsinnig, weil sie von der lächerlichen Voraussetzung
ausgeht, dass früher alles besser gewesen wäre. Aber die wenig oder gar
nicht Gebildeten waren immer in der Überzahl, und also auch die Musik,
die für sie gemacht wi4rd (wobei das natürlich keineswegs für alles
zutrifft, was Du sa so mir nichts dir nichts unter dem Terminus
"Rock-Musik" zusammenrührst.
Es ist auch sicher, dass zu allen Zeiten die Anzahl schwacher und
läppischer Kompositionen erheblich höher war als die derer, die irgend
eine Substanz hatten und damit auch eine Chance zu überleben. Dank der
Aktivitäten der Plattenindustrie kann man in den letzten Jahren
ziemlich problemlos die Bekanntschaft mit solchen schwachen Werken
machen, die man besser in ihren Archiven hätte verschimmeln lassen
sollen.
>> Auf welche Fakten und persönlichen Gespräche mit den Komponisten bzw.
>> eigene Hörerfahrungen der Interpretationen dieser Konponisten stützt
>> sie sich?
>
> Z.B. dass Brahms keinen Bruckner mochte - und umgekehrt.
Aha. Ja. Das sind ja sehr tiefgründige Erkenntnisse.
> Beim King Arthur von Henry Purcell ist es aber leider schon so, dass wenn
> man nur die Wiedergabe Purcells Partitur hört, man recht wenig von der
> ganzen Geschichte verstehen kann, ausser man hat die Geschichte darum
> herum genau gelesen.
Das ist richtig und verhält sich bei den anderen Stücken auch so.
Allerdings macht das nichts aus, das die musikalische gestalteten
Szenen ziemlich wenig mit der Handlung zu tun haben. Darauf will ich
hinaus: Entweder man findet eine Darstellungsform für diese seltsame
Art "Halb-Oper", oder nicht. Findet man sie, muss man der Musik nicht
eine die Fabel stützdende oder erzählenden Funktion zuschreiben, die
sie nicht hat (und muss dann nicht ein Duett dort hinsetzen, wo es nach
ästhetischen Vorstellungen, die dieser Gattung fremd sind, stehen
müsste), findet man sie nicht, muss man das Stück doch nicht auf die
Bühne bringen, sondern kann die Musik so losgelöst von der Handlung
funktionieren lassen, wie sie komponiert worden ist.
> On 2008-02-08 10:26:18 +0100, Walter Schmid <News-...@freesurf.ch> said:
>
>> Absolute Musik als geordneter Schall ist nur Struktur. Von der
>> Sinuswelle bis zur 4-sätzigen Sinfonie. Auch Klangfarbe ist
>> Struktur.
>
> Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass Du sagen könntest, was
> diese Sätze besagen wollen, verstehe ich nicht, was sie in diesem
> Zusammenhang zu suchen haben.
Dein Problem. Wenn es noch jemand nicht versteht, komme ich gerne
darauf zurück.
>
>> Du würdest eine soeben entdeckte Wiese mit Goldgrube drin nicht
>> kaufen, weil die Wiese unschön ist?
>
> Der Vergleich hinkt leider auf allen Beinen, die er haben mag. Fällt
> Dir das auf?
Da hast Du mal recht - und Ich gönne Dir das.
>
>> Dasjenige Publikum, das vor allem an Musik interessiert ist, wird
>> das so wünschen. Aber Viele haben Zugang zur Musik nur über den
>> Text.
>
> Es sagt ja auch niemand, dass die Vokalstücke ohne Text aufgeführt
> werden sollen. Ich habe auch nichts dagegen, dass diese Stücke gespielt
> werden. Ich frage mich lediglich - ich habe das schon öfter gesagt -
> wie man gleichzeitig behaupten kann, diese Stücke seien so bedeutend,
> dass man sie unbedingt spielen müsse, und andererseits, sie seien so
> schwach, dass man sie gar nicht spielen könne, jedenfalls nicht ohne
> schwerwiegende Eingriffe in ihre spezifische Struktur.
Goethe hat gesagt, von jeder besonders gelungenen Maxime könne
auch das Gegenteil gelten. - Nur sollte man das nicht im selben
Text sagen. Auch da: Zustimmung.
Die Genese solcher Texte ist leicht nachvollziehbar: Man erstellt
ein Exposé *vor* der Realisierung, und nachher würgt man es mit
copy and paste in die neue Beurteilung aufgrund der Aufführung
ein. Dass sich das Urteil über ein Werk während der Einstudierung
ändert, ist doch ganz normal. Nur absolute Meisterwerke werden
dabei immer besser.
>
>>>> Wir sind uns wohl alle einig, dass sich von Josquin bis Mahler alle im
>>>> Grab umdrehen, wenn sie die heutige Musikpraxis hören müssten.
>>>
>>> Wie kommt denn diese blödsinnige Aussage zustande?
>>
>> Da zur heutigen Musikpraxis vor allem Berieselung mit Rockmusik
>> (i.w.S.) gehört, ist diese Aussage zwar trivial - aber sicher
>> nicht blödsinnig.
>
> Sie ist blödsinnig, weil sie von der lächerlichen Voraussetzung
> ausgeht, dass früher alles besser gewesen wäre.
Du hast wieder nicht alles gelesen! Ich sagte: "Nach welchem
Gesetz müssen wir auf sie Rücksicht nehmen?" Ich meinte damit:
'wir' können manches besser!
> Aber die wenig oder gar
> nicht Gebildeten waren immer in der Überzahl, und also auch die Musik,
> die für sie gemacht wi4rd (wobei das natürlich keineswegs für alles
> zutrifft, was Du sa so mir nichts dir nichts unter dem Terminus
> "Rock-Musik" zusammenrührst.
Nur lehnte sich früher die U-Musik der Bürger- und Palastmusik
durchaus an. Die Drehorgelspieler kurbelten auch Wagner.
>
> Es ist auch sicher, dass zu allen Zeiten die Anzahl schwacher und
> läppischer Kompositionen erheblich höher war als die derer, die irgend
> eine Substanz hatten und damit auch eine Chance zu überleben. Dank der
> Aktivitäten der Plattenindustrie kann man in den letzten Jahren
> ziemlich problemlos die Bekanntschaft mit solchen schwachen Werken
> machen, die man besser in ihren Archiven hätte verschimmeln lassen
> sollen.
Keine Frage. Es gibt viel zu viel Ausgrabungen, vor allem von
Barokmusik. Adornos 'Ressentimenthörer' werden eindeutig
überbevorzugt.
>
>
>>> Auf welche Fakten und persönlichen Gespräche mit den Komponisten bzw.
>>> eigene Hörerfahrungen der Interpretationen dieser Konponisten stützt
>>> sie sich?
>>
>> Z.B. dass Brahms keinen Bruckner mochte - und umgekehrt.
>
> Aha. Ja. Das sind ja sehr tiefgründige Erkenntnisse.
Wieviele Künstler aller Gattungen kannst Du mir denn nennen, die
jüngere und modernere als sie selbst nicht ablehnten? Boulez
vielleicht, und wer noch? Unter den Lebenden gibt es heute wohl
davon am meisten - seit das Modernsein modern geworden ist: seit
Mitte des 19. Jh. Aber zuvor? Hat J.S.B. die Musik seiner Söhne
geliebt? Aus Vaterliebe, aber nicht der Musik willen - vermute
ich mal. So wie meine Grossmutter mein Klavierspiel mehr liebte
als das von Wilhelm Kempff. FYI: ich kann nicht halb so gut
spielen wie der alte W.K.
Gruss
Walter
> Wieviele Künstler aller Gattungen kannst Du mir denn nennen, die
> jüngere und modernere als sie selbst nicht ablehnten?
Da gibt es eine ganze Menge. Manche konnten es ertragen, dass sie alt
wurden, andere nicht. Haydn ist zum Beispiel ein gutes Beispiel dafür,
dass einer einen jüngeren Komponisten uneigennützig fördern kann.
Andere haben das auch getan. Ob sie dann jeweils die Komponisten
gefördert haben, die wir auch heute noch für bedeutend halten, ist eine
andere Frage.
Ich beschränke mich auf Haydn, weise noch auf Schumann hin und lasse
es, denn Deine Behauptung basiert einfach auf einer extrem
oberflächlichen Kenntnis der Musikgeschichte, in der nicht einmal die
Beziehung von Lehrern und Schülern vorzukommen scheint (wobei Mozart
nicht Haydns Schüler war, und Brahms nicht der von Schumann).
> On 2008-02-09 21:24:20 +0100, Walter Schmid <News-...@freesurf.ch> said:
>
>> Wieviele Künstler aller Gattungen kannst Du mir denn nennen, die
>> jüngere und modernere als sie selbst nicht ablehnten?
>
> Da gibt es eine ganze Menge. Manche konnten es ertragen, dass sie alt
> wurden, andere nicht. Haydn ist zum Beispiel ein gutes Beispiel dafür,
> dass einer einen jüngeren Komponisten uneigennützig fördern kann.
> Andere haben das auch getan. Ob sie dann jeweils die Komponisten
> gefördert haben, die wir auch heute noch für bedeutend halten, ist eine
> andere Frage.
Hier liegt aber gerade der Kern meines Argumentes. Belege, dass
Revolutionäres mehr gefördert wurde als Epigonales, hast Du nicht
geliefert.
> Ich beschränke mich auf Haydn,
Du hast auch nicht mehr Belege als ich! :-)
Ich bezog mich vor allem auf Thomas Mann, der nur seine Epigonen
gut fand. Zu positiven Urteilen über Kafka und Joyce musste er
geradezu genötigt werden.
> weise noch auf Schumann hin
Wen hat er am meisten gelobt? - die konservativen Brahms und
Mendelssohn! - an Chopin hat ihn gefreut, dass er in Op. 25,1
auch nicht alle Noten spielt, und er sagte, dass einer, der nur
für Klavier komponiere, gar kein rechter Komponist sei. Chopin
war für ihn ein wandernder Virtuose,- dass Chopin alle diese
Virtuosen weit überragte als Musiker, hat Schumann nicht bemerkt.
Goethe über Beethoven oder Schubert wäre auch ein Thema.
> und lasse
> es, denn Deine Behauptung basiert einfach auf einer extrem
> oberflächlichen Kenntnis der Musikgeschichte,
solange meine Basis grösser ist als Deine ...
> in der nicht einmal die
> Beziehung von Lehrern und Schülern vorzukommen scheint (wobei Mozart
> nicht Haydns Schüler war, und Brahms nicht der von Schumann).
Die Schüler wurden nur gelobt, wenn sie den Meister an Neuheit
nicht übertrafen. Das sieht man doch den Jugend-Kompositionen
dieser Schüler an. Wenn der Schüler einmal besser war als der
Lehrer, wie bei Lehrer Wieck und Schüler Schumann, gab es eine
Katastrophe. Haydn mag andere gefördert haben: über Beethoven
hatte er vor allem den Kopf geschüttelt.
Czerny als Lehrer Liszts ist vielleicht ein anderer Fall. Czerny
hat sich als Schüler Beethovens wohl nie als Komponier-Genie
betrachtet. Er hat es eher /deswegen/ auf über 800 Opus-Nummern
gebracht. Wie sähe die Musik aus, wenn LvB den fingerfertigen
Carl Czerny als Komponisten gefördert hätte?
Gruss
Walter
> Hier liegt aber gerade der Kern meines Argumentes. Belege, dass
> Revolutionäres mehr gefördert wurde als Epigonales, hast Du nicht
> geliefert.
Dazu gibt es mehrererlei zu sagen:
1. Das war nicht die Frage, weshalb ich solche Beweise auch nicht zu
liefern habe. Wenn Du diese Behauptung stützen willst, solltest Du
vielmehr Beweise erbringen, das: a. das heute Moderne revolutionär ist,
und dass es b. nicht gefördert wird.
Aber lass es sein. Das kann man nicht beweisen, weil der Gedanke
schlicht blödsinnig ist.
2. Du hattest behauptet, die alten Komponisten würden sich im Grabe
umdrehen, weil die hezutioge Musi8kausübung von dem beherrscht wird,
was Du als Pop-Musik bezeichest (und anscheinend in Bausch und Bogen
abklehnst). Nun scheint es aber um die musikalische Avantgarde zu
gehen. Entscheide Dich doch erst einmal, was Du meinst: Lachemann oder
LLoyd Webber. Dann sehen wir weiter. Wenn Dir aber egal ist, wovon Du
sprichst, sprich am besten gar nicht.
> Du hast auch nicht mehr Belege als ich! :-)
>
> Ich bezog mich vor allem auf Thomas Mann, der nur seine Epigonen gut
> fand. Zu positiven Urteilen über Kafka und Joyce musste er geradezu
> genötigt werden.
Gut. Ich verstehe. Deine Aussage war also: Die alten Künstler würden
sich im Grabe umdrehen, wenn Sie sehen würden, was heute los ist, das
ist aber vollkommen bedeutungslos, denn das liegt nur daran, dass sie
nicht in der Lage sind, das Neue und Revolutionäre zu akzeptieren.
Gleichzeiti9g erklärtest Du, unsere Zeit sei vom Gedudel der Pop-Musik
erfüllt. Also wolltest Du sagen, dass sich die Alten im Grabe umdrehen,
weil sie das Revolutionäre an dem Gedudel nicht erkennen, was aber
nicht weiter wichtig ist, weil das eben nichts als eine Schwäche dieser
Alten ist.
Ich muss zugeben, dass ich den Sinn dieser Aussage nicht kenne.
> Wen hat er am meisten gelobt? - die konservativen Brahms und Mendelssohn!
Ich denke, wenn Du Brahms als konservativ einstufst, solltest Du Dich
erst einmal ein wenig mit seiner Musik beschäftigen, bevor Du Dich
wieder zu diesem Thema äußerst.
Wie ich schon sagte:
> Die Schüler wurden nur gelobt, wenn sie den Meister an Neuheit nicht
> übertrafen.
Es kann wohl sein, dass Dir solche Mickrigkeit eigen ist. Du darfst
aber nicht annehmen, dass sie für alle gilt.
> Czerny als Lehrer Liszts ist vielleicht ein anderer Fall. Czerny hat
> sich als Schüler Beethovens wohl nie als Komponier-Genie betrachtet. Er
> hat es eher /deswegen/ auf über 800 Opus-Nummern gebracht. Wie sähe die
> Musik aus, wenn LvB den fingerfertigen Carl Czerny als Komponisten
> gefördert hätte?
Auch hier würde ich eine wenigstens flüchtige Beschäftigung mit dem
Komponisten anraten, bevor Du Dich äußerst. Die große Zahl kommt durch
eine große Anzahl von Etüdenkompositionen zustande, die nur selten den
Anspruch auf kompositorische Qualität erheben (wo sie es aber tun,
diesen glänzend einlösen). Anderer Werke sind deutlich in der
Minderzahl und hoch bedeutend, wie Du anscheinend nicht weißt, weil Du
sie nicht kennt, weshalb es empfehlenswert wäre, wenn Du dazu nichts
sagen würdest.
Aber wie auch immer: Es wäre jetzt an Dir zu zeigen, was dieses alles
mit Deiner Ausgangsthese zu tun hat. Also: Geht es um Lachenmann oder
Lloyd Webber? Was bringt die Toten dazu, in ihren Gräbern zu rotieren?
Wenn Du Dir darüber klar bist, kannst Du den Gedanken (falls Du einen
haben solltest) ja noch einmal erläutern.
>> Wen hat er am meisten gelobt? - die konservativen Brahms und Mendelssohn!
>
> Ich denke, wenn Du Brahms als konservativ einstufst, solltest Du Dich
> erst einmal ein wenig mit seiner Musik beschäftigen, bevor Du Dich
> wieder zu diesem Thema äußerst.
Ich habe alle Klavierwerke von Brahms selbst gespielt - den Rest
habe ich fast alles in Partitur und auf CD. Neben Berlioz,
Chopin, Liszt, Bruckner, Wagner und Wolf ist er nun mal
konservativ. Was niemals heisst, er sei schlechter.
Es hat keinen Sinn, Deine weiteren Lesefehler zu analysieren.
Es scheint, Du verstehst nicht nur wenig von Musik, Du kannst
oder willst auch nicht genau lesen. Aber ich wiederhole mich zu
oft. Da sich sonst niemand für das Thema interessiert, verziehe
ich mich ins EOT. Das Usenet stirbt und Hintze macht die Türe zu.
: -(
Walter
> Ich habe alle Klavierwerke von Brahms selbst gespielt - den Rest habe
> ich fast alles in Partitur und auf CD. Neben Berlioz, Chopin, Liszt,
> Bruckner, Wagner und Wolf ist er nun mal konservativ. Was niemals
> heisst, er sei schlechter.
Aha. Wenn Du das sagst, muss es natürlich stimmen. Ich bin restlos überzeugt.
>> Ich denke, wenn Du Brahms als konservativ einstufst, solltest Du Dich
>> erst einmal ein wenig mit seiner Musik beschäftigen, bevor Du Dich
>> wieder zu diesem Thema äußerst.
>
> Ich habe alle Klavierwerke von Brahms selbst gespielt - den Rest
> habe ich fast alles in Partitur und auf CD. Neben Berlioz,
> Chopin, Liszt, Bruckner, Wagner und Wolf ist er nun mal
> konservativ.
Du willst ja sicherlich nicht sagen, dass er konservativ ist, _weil_ Du
fast alles von ihm gespielt hast bzw. in Partitur und auf CD besitzt.
Insofern würden mich schon ein paar inhaltliche Gründe für Brahms'
Konservatismus interessieren.
Gespannt,
Christian
--
Büchermäßig bin ich auch nicht so lesetechnisch unterwegs. (Cora
Schumacher)
> Am Sun, 10 Feb 2008 15:10:41 +0100 schrieb Walter Schmid:
>
>>> Ich denke, wenn Du Brahms als konservativ einstufst, solltest Du Dich
>>> erst einmal ein wenig mit seiner Musik beschäftigen, bevor Du Dich
>>> wieder zu diesem Thema äußerst.
>>
>> Ich habe alle Klavierwerke von Brahms selbst gespielt - den Rest
>> habe ich fast alles in Partitur und auf CD. Neben Berlioz,
>> Chopin, Liszt, Bruckner, Wagner und Wolf ist er nun mal
>> konservativ.
>
> Du willst ja sicherlich nicht sagen, dass er konservativ ist, _weil_ Du
> fast alles von ihm gespielt hast bzw. in Partitur und auf CD besitzt.
> Insofern würden mich schon ein paar inhaltliche Gründe für Brahms'
> Konservatismus interessieren.
Was hat Brahms denn von dem, was die von mir Genannten haben?
Gibt es eine 5-sätzige Sinfonie mit Gesang? Wo doch schon
Beethoven ein 7-sätziges Streichquartett schrieb. Er schrieb
Sonaten und Stücke wie Schubert, und keine revolutionären
experimentellen Préludes und Etüden wie Chopin eine Generation
früher.
Die ungarischen Tänze sind ein Analogon zu den Schottischen
Liedern Beethovens. Natürlich viel besser - ich liebe ihn ja!
Brahms ist das einzige Genie, das vorwiegend nach Rückwärts
schaute, die Passacaglia ausgrub, usw., Fugen schrieb.
Dass Schönberg seine Variationstechnik aufnahm, sagt über Brahms
selber wenig aus. Die gibt es vorgeformt schon im
wohltemperierten Klavier, wo z.T. jeder Takt neu ist. Pech
gehabt, das kann niemand überbieten. Auch Liszt kam ihm zuvor mit
seiner Variationstechnik. Liszt bringt sogar das Kunststück
fertig, Variationen und Sonatenform in einem Satz übereinander zu
lagern. 1. und 2. Klavierkonzert.
Damit will ich nicht sagen, dass Brahms überhaupt nichts Neues in
die Musik gebracht habe. Aber es ist relativ wenig Neuerung,
verglichen mit den Genannten. Er hat sich auch explizit gegen die
Neuerer Liszt, Wagner und Wolf gewandt. Was willst Du mehr?
Gruss
Walter
>> Du willst ja sicherlich nicht sagen, dass er konservativ ist, _weil_ Du
>> fast alles von ihm gespielt hast bzw. in Partitur und auf CD besitzt.
>> Insofern würden mich schon ein paar inhaltliche Gründe für Brahms'
>> Konservatismus interessieren.
> Was hat Brahms denn von dem, was die von mir Genannten haben?
Eine ganze Menge, aber was hat diese Frage mit der Progressivität von
Brahms zu tun? Da scheint mir eher die umgekehrte Frage wichtig: Was hat
er, was die anderen _nicht_ haben? Das Prinzip der entwickelnden Variation
ist ja eigentlich zur Genüge untersucht und beschrieben worden, die
hochkomplexe Rhythmik mit diversen, einander auf vielfältigste Art
überlagernden Metren wäre ein eigenes Buch wert, ebenso die für viele
Stücke jeweils geradezu neu erfundene Harmonik (siehe z.B. der Beginn des
ersten Klavierkonzertes, das kunstvolle Spiel mit mehrdeutigen
Terzverwandtschaften in der A-Dur-Violinsonate, die sich quasi
überschlagenden Modulationen im Finale des Streichquintetts op. 111 und
vieles mehr).
> Gibt es eine 5-sätzige Sinfonie mit Gesang? Wo doch schon
> Beethoven ein 7-sätziges Streichquartett schrieb.
Eben: Das wäre also kein Zeichen von Progressivität, da es ja nicht mehr
neu wäre. Was willst Du eigentlich beweisen?
> Er schrieb Sonaten und Stücke wie Schubert,
Welche seiner Sonaten sind denn z.B. wie die von Schubert? Oder meinst Du
allein die Sonaten-_Form_? Dann müsstest Du mir allerdings erklären, warum
Du im Gegenzug z.B. Bruckner zu den "Progressiven" rechnest.
> und keine revolutionären experimentellen Préludes und Etüden wie Chopin
> eine Generation früher.
Den Denkfehler hast Du jetzt schon mehrfach gemacht: Die Wiederholung von
revolutionären künstlerischen Errungenschaften wäre gerade nicht
progressiv sondern schlicht epigonal. Deine Argumentation läuft also
darauf hinaus, das Fehlen epigonaler Werke als Beleg für angeblichen
Konservatismus anzuführen. Das ist reichlich abstrus.
> Die ungarischen Tänze sind ein Analogon zu den Schottischen Liedern
> Beethovens.
Au weia.
> Natürlich viel besser - ich liebe ihn ja! Brahms ist das einzige Genie,
> das vorwiegend nach Rückwärts schaute, die Passacaglia ausgrub, usw.,
> Fugen schrieb.
Verstehe. So wie Beethovens "Große Fuge" natürlich auch ein ganz und gar
rückwärts gewandtes, konservatives Stück ist. Steht ja schließlich "Fuge"
drauf. Ist schon klar. Ein kleiner Tipp: Du solltest Deine Partituren
gelegentlich auch mal lesen, nicht nur die Umschläge betrachten.
> Dass Schönberg seine Variationstechnik aufnahm, sagt über Brahms selber
> wenig aus. Die gibt es vorgeformt schon im wohltemperierten Klavier, wo
> z.T. jeder Takt neu ist.
Selbst wenn dort "jeder Takt neu" wäre (was selbstverständlich nicht der
Fall ist): Was hätte das mit "Variation" zu tun? Wenn ich nicht sehr irre,
bedeutet "Variation" gerade *nicht*, dass "jeder Takt neu" zu sein hat.
> Damit will ich nicht sagen, dass Brahms überhaupt nichts Neues in die
> Musik gebracht habe. Aber es ist relativ wenig Neuerung, verglichen mit
> den Genannten. Er hat sich auch explizit gegen die Neuerer Liszt, Wagner
> und Wolf gewandt.
Und er hat ziemlich böse über Max Bruchs Konservatismus gespottet. Was sagt
das alles über seine eigenen Werke?
Viele Grüße,
Christian
--
Wer jemals den Pianisten Frantisek Hrdla gehört hat, wird diesen ungeheuren
Eindruck niemals vergessen (selbst wenn er es versucht).
(Wolfgang Hildesheimer, "Lieblose Legenden")
> Am Sun, 10 Feb 2008 17:14:53 +0100 schrieb Walter Schmid:
>
>>> Du willst ja sicherlich nicht sagen, dass er konservativ ist, _weil_ Du
>>> fast alles von ihm gespielt hast bzw. in Partitur und auf CD besitzt.
>>> Insofern würden mich schon ein paar inhaltliche Gründe für Brahms'
>>> Konservatismus interessieren.
>
>> Was hat Brahms denn von dem, was die von mir Genannten haben?
>
> Eine ganze Menge, aber was hat diese Frage mit der Progressivität von
> Brahms zu tun? Da scheint mir eher die umgekehrte Frage wichtig: Was hat
> er, was die anderen _nicht_ haben? Das Prinzip der entwickelnden Variation
> ist ja eigentlich zur Genüge untersucht und beschrieben worden, die
> hochkomplexe Rhythmik mit diversen, einander auf vielfältigste Art
> überlagernden Metren wäre ein eigenes Buch wert, ebenso die für viele
> Stücke jeweils geradezu neu erfundene Harmonik (siehe z.B. der Beginn des
> ersten Klavierkonzertes, das kunstvolle Spiel mit mehrdeutigen
> Terzverwandtschaften in der A-Dur-Violinsonate, die sich quasi
> überschlagenden Modulationen im Finale des Streichquintetts op. 111 und
> vieles mehr).
>
>> Gibt es eine 5-sätzige Sinfonie mit Gesang? Wo doch schon
>> Beethoven ein 7-sätziges Streichquartett schrieb.
>
> Eben: Das wäre also kein Zeichen von Progressivität, da es ja nicht mehr
> neu wäre. Was willst Du eigentlich beweisen?
Dass Brahms konservativ ist. - Aber ich muss hiermit meine
Beteiligung an dieser Diskussion, die ich nicht gesucht habe,
beenden. Ich werde sogar drmk jetzt abbestellten. "Führe uns
nicht in Versuchung"! Ich könnte es Dir am Klavier 'zeigen',
schreiben kann ich dazu nichts, denn ich lese selbst seit 40
Jahren fast keine Musikliteratur mehr. Ich mache lieber selber
Musik. - Mir ging es zuerst um Urheber-Ungerechtigkeit, - und
auf's Glatteis der Musik hätte ich mich gar nicht ziehen lassen
sollen. Mein Fehler. Ich kenne die Musikgeschichte nur aus Noten
und Aufnahmen, nicht aus Worten.
Jedenfalls nehme ich nichts zurück! Ich bin zwar musikalisch
sprachbehindert, aber nicht hörbehindert.
Sorry!
Gruss
Walter
> Aber ich muss hiermit meine Beteiligung an dieser Diskussion, die ich
> nicht gesucht habe, beenden. Ich werde sogar drmk jetzt abbestellten.
> "Führe uns nicht in Versuchung"! Ich könnte es Dir am Klavier 'zeigen',
> schreiben kann ich dazu nichts, denn ich lese selbst seit 40 Jahren fast
> keine Musikliteratur mehr.
Da hättest Du immerhin noch Schönbergs grandiosen Aufsatz "Brahms, the
Progressive" lesen können, der erschien vor 58 Jahren zum ersten Mal.
> Ich mache lieber selber Musik. - Mir ging es zuerst um
> Urheber-Ungerechtigkeit, - und auf's Glatteis der Musik hätte ich mich
> gar nicht ziehen lassen sollen. Mein Fehler. Ich kenne die
> Musikgeschichte nur aus Noten und Aufnahmen, nicht aus Worten.
Die Worte "Brahms ist konservativ" samt der nachgelieferten Begründung "das
ist nun mal so" stammten von Dir, und ich kann nicht erkennen, was die mit
Urheber-Gerechtigkeit zu tun haben. Insofern ist Deine Klage über eine vom
Thema abweichende Diskussion etwas überraschend: Du hast das Thema wie
auch die Abweichung selbst gewählt. Allerdings fand ja bisher eigentlich
keine Diskussion statt, weil Du zu allen Gegenargumenten hartnäckig
schweigst, aber gleichwohl unbeirrt darauf beharrst, Recht zu haben.
Viele Grüße,
Christian
--
"Schweigen ist ein Argument, das kaum zu widerlegen ist." (Heinrich Böll)
> Am Mon, 11 Feb 2008 08:57:26 +0100 schrieb Walter Schmid:
> Da hättest Du immerhin noch Schönbergs grandiosen Aufsatz "Brahms, the
> Progressive" lesen können, der erschien vor 58 Jahren zum ersten Mal.
Ohne es gelesen zu haben: Wer andere auf diese Weise lobt, lobt
oder rechtfertigt meistens sich selbst. Zumindest bei Thomas Mann
ist das immer so.
Uebrigens: Brahms ist fast der Thomas Mann der Musik. Beide sind
perfekte Verwerter der Tradition - ohne viel Neues hervorgebracht
zu haben. Allerdings ist Brahms auch hier vorne: Neues hat er
schon auch geliefert, Thomas Mann nach eigener Aussage gar nichts
(TM frei zitiert: "Erfunden habe ich nichts").
>
>> Ich mache lieber selber Musik. - Mir ging es zuerst um
>> Urheber-Ungerechtigkeit, - und auf's Glatteis der Musik hätte ich mich
>> gar nicht ziehen lassen sollen. Mein Fehler. Ich kenne die
>> Musikgeschichte nur aus Noten und Aufnahmen, nicht aus Worten.
>
> Die Worte "Brahms ist konservativ" samt der nachgelieferten Begründung "das
> ist nun mal so" stammten von Dir,
Und diese Worte hätte ich eben nicht geschrieben, wenn ich
gewusst hätte, dass das bestritten wird.
Ein paar Beispiele kann ich schon nennen: Den Anfangs-Dialog von
Solist und Orchester im 2. Klavierkonzert gibt es schon bei
Mozart (KV 271) und Schumann (Op. 54), und die 'Form' des
Doppelkonzerts ist Barock.
> und ich kann nicht erkennen, was die mit
> Urheber-Gerechtigkeit zu tun haben.
Ich vergass, dass ich in 2 threads tätig war. Sorry.
> Insofern ist Deine Klage über eine vom
> Thema abweichende Diskussion etwas überraschend:
ich klage nur über mich selbst!
> Du hast das Thema wie
> auch die Abweichung selbst gewählt. Allerdings fand ja bisher eigentlich
> keine Diskussion statt, weil Du zu allen Gegenargumenten hartnäckig
> schweigst, aber gleichwohl unbeirrt darauf beharrst, Recht zu haben.
Wie gesagt, mir fehlen einfach die Worte, weil ich nicht belesen
bin auf dem Gebiet der Musik.
Warum ich an meiner Behauptung, Brahms sei konservativ festhalte:
Wenn man die von mir genannten Komponisten nach Konservativität
(was für mich als politisch eher Konservativer nicht im
geringsten ein Schimpfwort ist!) sortiert, landet Brahms auf
Platz 1. Aber auch wenn man sie danach sortiert, wie *wenig* bei
ihnen missglückt ist, landet Brahms auf Platz 1. Brahms ist
vollkommen, weil er wenig wagt. Die andern haben viel gewagt, und
sie sind auch alle massiv gescheitert. Das jeweils beste Werk von
Berlioz, Chopin, Schumann, Wagner, Bruckner ist aufregender als
alles was Brahms in der jeweiligen Gattung gebracht hat. Brahms
hat nie etwas wirklich Ausserordentliches gewagt: damit ist er
Klassiker oder Barock - aber nicht Romantiker - also zumindest
tendenziell konservativ.
Gruss
Walter
>> Da hättest Du immerhin noch Schönbergs grandiosen Aufsatz "Brahms, the
>> Progressive" lesen können, der erschien vor 58 Jahren zum ersten Mal.
> Ohne es gelesen zu haben: Wer andere auf diese Weise lobt, lobt
> oder rechtfertigt meistens sich selbst. Zumindest bei Thomas Mann
> ist das immer so.
Es hat wenig Zweck über diesen Artikel zu diskutieren, wenn Du ihn nicht
kennst, also lassen wir das.
> Uebrigens: Brahms ist fast der Thomas Mann der Musik. Beide sind
> perfekte Verwerter der Tradition - ohne viel Neues hervorgebracht
> zu haben. Allerdings ist Brahms auch hier vorne: Neues hat er
> schon auch geliefert, Thomas Mann nach eigener Aussage gar nichts
> (TM frei zitiert: "Erfunden habe ich nichts").
Diese Behauptung, Brahms habe nicht viel Neues hervorgebracht, lese ich
jetzt zum wiederholten Male von Dir, ohne dass Du Dir die Mühe einer
Begründung machst, und ohne dass Du auf die Neuigkeiten, die ich genannt
habe, eingehst.
>> Die Worte "Brahms ist konservativ" samt der nachgelieferten Begründung "das
>> ist nun mal so" stammten von Dir,
> Und diese Worte hätte ich eben nicht geschrieben, wenn ich
> gewusst hätte, dass das bestritten wird.
;-), so kann's kommen im Usenet.
> Ein paar Beispiele kann ich schon nennen: Den Anfangs-Dialog von
> Solist und Orchester im 2. Klavierkonzert gibt es schon bei
> Mozart (KV 271) und Schumann (Op. 54), und die 'Form' des
> Doppelkonzerts ist Barock.
Solche Beispiele helfen natürlich nicht weiter: Auch ein progressiver
Komponist macht selbstverständlich nicht _alles_ anders, als seine
Vorgänger. Das gilt für Brahms genauso wie für Liszt, Bruckner, oder
Berlioz.
> Warum ich an meiner Behauptung, Brahms sei konservativ festhalte:
>
> Wenn man die von mir genannten Komponisten nach Konservativität
> (was für mich als politisch eher Konservativer nicht im
> geringsten ein Schimpfwort ist!) sortiert, landet Brahms auf
> Platz 1. Aber auch wenn man sie danach sortiert, wie *wenig* bei
> ihnen missglückt ist, landet Brahms auf Platz 1.
Du weichst der entscheidenden Frage aus: Worin zeigt sich die angebliche
oder tatsächliche Konservatitität?
> Brahms ist vollkommen, weil er wenig wagt. Die andern haben viel gewagt,
> und sie sind auch alle massiv gescheitert. Das jeweils beste Werk von
> Berlioz, Chopin, Schumann, Wagner, Bruckner ist aufregender als alles
> was Brahms in der jeweiligen Gattung gebracht hat. Brahms hat nie etwas
> wirklich Ausserordentliches gewagt: damit ist er Klassiker oder Barock -
> aber nicht Romantiker - also zumindest tendenziell konservativ.
Ich fange mal mit dem letzten Satz an: Wenn Du glaubst, es sei ein Merkmal
von Klassikern, nichts Ausserordentliches zu wagen, dann solltest Du Dich
spätestens nach Brahms mal mit Haydn, Mozart, Beethoven intensiv
auseinandersetzen. Das ist, entschuldige bitte die deutliche Wortwahl,
offenkundiger Unsinn. Ansonsten: Schau doch nur mal in die Noten sagen wir
der sieben Fantasien op. 116 für Klavier, wo Brahms seine Technik der
"entwickelnden Variation" auf die Spitze treibt. Der ganze, immerhin rund
25 Minuten dauernde Zyklus basiert letzten Endes auf einer einzigen,
winzigen Keimzelle, die sich aber als solche nirgendwo explizit zu
erkennen gibt. Ist das "nichts gewagt"? Alle motivisch-thematischen
Elemente der Komposition stehen zueinander im Verhältnis permanenter
Variation. Man kann dabei gar nicht sagen, was "Thema" und was "Variation"
ist, weil das variative Prinzip die ganze Musik durchdringt. Die
gegenläufigen Arpeggien am Beginn des dritten Stückes finden sich zart
variiert ab T. 15 im vierten Stück wieder, sind hier aber gleichzeitig
Variation von T. 2 ff. desselben Stückes. Im siebten Stück prägen sie den
ganzen Anfangsteil, aber auch der Mittelteil ist wiederum Variation dieses
Elements. Die motivisch-thematische Organisation funktioniert hier nicht
wie bei Beethoven durch Bezug aller Teile auf einen festen Kern, sondern es
wird im Gegenteil alle Festigkeit aufgelöst und durch eine quasi
freischwebende Konstruktion des gleichberechtigten Miteinanders aller
variierten Elemente ersetzt. Das ist der Kern von Brahms' Modernität, das
ist es auch, was zu so viel Missverständnissen ("Komponieren ohne
Einfälle") geführt hat. Man braucht Schönbergs Aufsatz gar nicht zu lesen,
um zu erkennen, dass diese von Brahms angestoßene Entwicklung in der
Musikgeschichte des 20. Jhdts. nachhaltige Bedeutung gehabt hat. Bei
alledem habe ich jetzt noch gar nichts über seine Harmonik, seine enorm
vielfältige und neuartige Metrik usw. geschrieben.
Viele Grüße,
Christian
--
Jedesmal wenn ich Wagner höre, habe ich das Bedürfnis in Polen
einzumarschieren. (Woody Allen)