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Mozart: Die Zauberfloete

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Peter Brixius

unread,
Oct 2, 1999, 3:00:00 AM10/2/99
to
Liebe NGler, lieber Claus,

vor einiger Zeit gab es schon einmal eine Diskussion ueber die
Zauberfloete, an der ich mich damals nicht beteiligte, aber mit Claus
absprach, zu gegebener Zeit das Thema wieder aufzunehmen, um eine Anzahl
von Aspekten dieser Oper zu diskutieren. Claus hatte sich damals auf den
Text aus dem Booklet von der Christie-Einspielung bezogen, auf den ich
gerne auch im Laufe der Diskussion wieder eingehen werde, da ich es - wie
man weiss - immer etwas wuerziger mag, beginne ich mit dem Text, den
Harnoncourt dem Booklet seiner Einspielung der Zauberfloete spendierte.

Dabei ist der Titel die erste Ueberraschung (bei weitem nicht die
letzte):

> Nikolaus Harnoncourt: Ein Familiendrama

Nun erinnert man sich an Bergmans Inszenierung und Verfilmung, in der
Sarastro und die Koenigin der Nacht ein zerstrittenes Elternpaar zu sein
scheinen, aber lesen wir Harnoncourt dazu:

> In der Zauberfloete gibt es einen beruehmten »Bruch», naemlich die
> Stelle, wo - scheinbar unvermittelt- die »gute« Koenigin der Nacht
> ploetzlich zur »boesen« wird, der »boese» Sarastro zum »guten« wird, wo
> die drei Knaben die Partei wechseln: sie waren ja den beiden Wanderern
> von der Koenigin als Fuehrer mitgegeben worden - nun finden wir sie
> ploetzlich im Lager Sarastros, als Mahner und Ratgeber. Fuer diesen
> »Bruch« hat die Mozart-Literatur der letzten nahezu 200 Jahre zahlreiche
> Hypothesen aufgestellt.

Wie Harnoncourt glaube ich auch nicht an einen Bruch, moechte meinen
Vorschlag aber noch etwas zurueckstellen. Der Titel von Harnoncourts
Beitrag laesst uns schon vermuten, wie Harnoncourt diesen "Bruch"
verstehtbar machen will ...

> [...] Ich meine
> aber, es gibt - gerade bei einem maerchenhaften Stoff - keinen Grund, so
> einen Fehler anzunehmen. Eine Veraenderung des Konzeptes, ohne den
> bereits geschriebenen Teil neu aufzubauen, waere wirklich ein
> unverstaendlicher Fehler. Natuerlich darf man bei einem wienerischen Werk
> dieser Gattung nicht beinharte Konsequenz und realistische Schluessigkeit
> erwarten.

Soweit bin ich einverstanden ...

> Ich sehe mich an eine Scheidungsaffaere eines befreundeten Ehepaares
> erinnert: Vormittags kam der Mann zu uns, berichtete alles aus seiner
> Sicht, wir verstanden seinen Standpunkt und waren bereit, seine Frau und
> Gegnerin zu verurteilen. Nachmittags kam die Frau, und wir erlagen auch
> ihren Argumenten: nun sahen wir ihn als den Alleinschuldigen und Boesen.
> Genauso ergeht es Tamino in der Zauberfloete.

Ich sehe auch einen Perspektivenwechsel, aber ...

> Die Vorgeschichte kann man
> sich so denken, dass ein maechtige Zauberfamilie mit geheimnisvollen
> Schloessern und Burgen und einem grossen Gesinde und Anhang den Tag, die
> Nacht und ein Maerchenreich beherrscht. Sarastro mag wohl ein
> interessanter Freund der Familie gewesen sein, mit einer eigenen
> Hausmacht, dem exklusiven Maennerclub der »Eingeweihten« und mit
> exzentrischen Hobbies: er fuhr taeglich mit dem Loewengespann zur Jagd,
> und wenn es ihm Spass machte, verwandelte er sich selbst in ein Tier.

... bei diesen Spekulationen bleibt mir doch die Spucke weg :-)

> Seine spaetere Frauenverachtung koennte darauf zurueckzufuehren sein,
> dass er die Hausfrau -die Koenigin der Nacht - anschwaermte, oder auch
> sie ihn, die »Affaere« endete jedenfalls mit Hass und Eifersucht.

Hier geht es ins Maerchenhafte, nicht wahr? Nun ist die Frauenverachtung
ja nicht etwas, was nur Sarastro auszeichnet, auch seine Priester
verkuenden vergleichbare Sprueche, die von Tamino eilfertig aufgegriffen
werden.

> Beim
> Tod des alten »Koenigs« brach sein Reich auseinander, die Koenigin erbte
> alles ausser der Macht ueber den Tag, den »alles verzehrenden«
> Sonnenkreis. Diesen hatte der Alte dem Hausfreund Sarastro vermacht, der
> wohl auch ein Auge auf das
> Toechterchen Pamina geworfen hatte, wie sich spaeter zeigen sollte. - Der
> Haushalt, das Gesinde (die Knaben, Damen, Sklaven, Loewen usw.), die
> Burgen, wurden mehr oder weniger eindeutig aufgeteilt, jedoch so, dass
> ein Wechsel, eine Art Ueberlaufen zur anderen Partei, ohne grosse
> Probleme denkbar war. Das urspruenglich Gemeinsame ist jedem Teil noch
> deutlich anzumerken.

Auch hier gehe ich d'accord, dass es Gemeinsames gibt, halte das aber
nicht durch eine Erbteilung begruendet.

> - Schliesslich hatte Sarastro Pamina geraubt,
> angeblich um sie dem schlechten Einfluss der Mutter zu entziehen, aber
> seine Verliebtheit duerfte doch wohl auch eine Rolle gespielt haben.

Das Verhaeltnis Sarastros zu Pamina ist in der Tat ein bemerkenswertes -
und da muss man doch noch Text und Musik befragen ...

> In dieses Familiendrama platzt Tamino, und da er die Geschichte aus dem
> Mund der Koenigin hoert, wird er vorerst zu ihrem gluehenden
> Parteigaenger und Gegner Sarastros. Als er aber dessen Reich betritt und
> dort die Argumente der anderen Partei erfaehrt, laesst er sich von diesen
> ueberzeugen und gleichsam »umdrehen«. Der vielzitierte Bruch ist also
> nichts als eine psychologisch subtil wiedergegebene allgemein menschliche
> Denk- und Verhaltensweise. Keine der beiden Gruppen kommt moralisch heil
> aus der Affaere. So wie in den menschlichen Beziehungen Liebe sehr leicht
> in Hass umschlaegt, geschieht es auch hier: Die Koenigin hasst Sarastro
> und seine Anhaenger bis auf den Tod, man hat ihr wohl auch uebel
> mitgespielt. -Sarastro umgibt sich zwar mit der Aura von Liebe und
> Weisheit, in seinem Bereich aber gibt es Sklaven, Fesseln, Strafen und
> einen richtigen moerderischen Wuestling. Das Los seiner Gefangenen sei
> schrecklich, sie werden »gespiesst oder gehangen«, ihr «martervoller Tod
> wuerde ohne Grenzen sein«, die Pruefungen seien so hart, dass sie nicht
> jeder Pruefling ueberlebe. Mit diesen Gefahren wird zynisch gedroht:
> Pamina moege ihrem Geliebten »das letzte Lebewohl« sagen. Sarastro ist
> also gar nicht so tugendhaft und wahrheitsliebend: Obwohl er feierlich
> seine Menschenliebe besingt und jeder Rache abschwoert, laesst er
> Monostatos verpruegeln und die Koenigin der Nacht mit ihrem Gefolge
> zugrunde gehen. Ja, einmal luegt er offensichtlich, wenn er sagt: «Dies
> ist der Grund, warum ich sie (Pamina) der stolzen Mutter entriss« und
> damit meint, um sie mit Tamino zusammenzufuehren - in Wahrheit hat er
> aber Pamina geraubt, weil er sie fuer sich selbst wollte: «Zur Liebe will
> ich Dich nicht zwingen. . . Du liebest einen Andern sehr». Auch Sarastros
> extreme Jagdleidenschaft passt nicht in das Bild des liebevoll alles
> Leben schuetzenden Weisen. - Makellos rein ist in diesem Maerchen, in dem
> die Frauen so beschimpft werden, nur das Maedchen Pamina.

Ich habe das alles einmal im Zusammenhang stehenlassen, weil ich denke,
den Diskussionseinstand uebersichtlich zu halten. Aber mein energischer
Widerspruch - und von da aus entwickelt sich dann die Kritik dieses
Aufsatzes im Rueckblick - zu der Verallgemeinerung, dass die Frauen so
beschimpft werden, das mag fuer Sarastro und seine Juenger gelten, nicht
aber fuer Mozart, nicht die Oper. Das umjubelte Ende zeigt die
gleichberechtigte Gemeinschaft von Frau und Mann, zeigt wie Tamino und
Pamina eine neue Ebene erreicht haben, die sowohl die Walt der Koenigin
der Nacht, aber auch die reine Maennergesellschaft negiert. Denn: es geht
nicht um eine Scheidungsgeschichte, es ist eine Liebesgeschichte, die mit
der Vereinigung der beiden Liebenden endet, nicht die Parteien bestimmen
das Ende der Oper, sondern am Ende der Oper wird die Parteiung
aufgehoben. Was der Naturmensch vormacht, scheint mir das Ziel der Oper:
in der Wiedervereinigung des maennlichen und weiblichen Prinzips die
Moeglichkeit wirklich menschlichen Lebens zu finden. Der erste Teil
scheint mir vom weiblichen Prinzip bestimmt, der zweite vom maennlichen -
aber die Oper ergreift nicht die Partei des einen oder des anderen - sie
zeigt, wie wenig es menschliches Leben unter der Vorherrschaft der einen
oder der anderen Seite geben kann, sei es das Reich der Emotion, wo Liebe
in Hass umschlaegt, sei es das Reich der Vernunft, die den Menschen herbe
Verletzungen zufuegt (Paminas Wahnsinn), eine strenge Hierarchie
voraussetzt und eine Ideologie, die den verurteilt, der sie nicht teilt
"Wen diese Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Mensch zu sein."

Es gruesst Peter


--
Ist es nicht sonderbar, dass man das Publikum, das uns lobt, immer
fuer einen kompetenten Richter haelt; aber sobald es uns tadelt, es
fuer unfaehig erklaert, ueber Werke des Geistes zu urteilen? (Lichtenberg)

Claus

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Peter,

in aller Kürze, ich muss nämlich noch weg.....


> Liebe NGler, lieber Claus,
>
> vor einiger Zeit gab es schon einmal eine Diskussion ueber die
> Zauberfloete, an der ich mich damals nicht beteiligte, aber mit Claus
> absprach, zu gegebener Zeit das Thema wieder aufzunehmen, um eine Anzahl
> von Aspekten dieser Oper zu diskutieren.

Schön, daß es jetzt klappt....

> Claus hatte sich damals auf den
> Text aus dem Booklet von der Christie-Einspielung bezogen, auf den ich
> gerne auch im Laufe der Diskussion wieder eingehen werde, da ich es - wie
> man weiss - immer etwas wuerziger mag, beginne ich mit dem Text, den
> Harnoncourt dem Booklet seiner Einspielung der Zauberfloete spendierte.

Wörzig, fürwahr. Da war Carsens TExt zur Christie-Einspielung ja geradezu
harmlos gegen.

> > Nikolaus Harnoncourt: Ein Familiendrama

Klingt auch schon ein bißchen nach Bildzeitung ;-))

> Nun erinnert man sich an Bergmans Inszenierung und Verfilmung, in der
> Sarastro und die Koenigin der Nacht ein zerstrittenes Elternpaar zu sein
> scheinen, aber lesen wir Harnoncourt dazu:

Im "zu sein scheinen" liegt da wohl der Haken.

> Wie Harnoncourt glaube ich auch nicht an einen Bruch,

Allerdings nicht.

> moechte meinen
> Vorschlag aber noch etwas zurueckstellen. Der Titel von Harnoncourts
> Beitrag laesst uns schon vermuten, wie Harnoncourt diesen "Bruch"
> verstehtbar machen will ...
>
> > [...] Ich meine
> > aber, es gibt - gerade bei einem maerchenhaften Stoff - keinen Grund, so
> > einen Fehler anzunehmen. Eine Veraenderung des Konzeptes, ohne den
> > bereits geschriebenen Teil neu aufzubauen, waere wirklich ein
> > unverstaendlicher Fehler.

Eben, Herr Harnoncourt, eben.

> > Ich sehe mich an eine Scheidungsaffaere eines befreundeten Ehepaares
> > erinnert: Vormittags kam der Mann zu uns, berichtete alles aus seiner
> > Sicht, wir verstanden seinen Standpunkt und waren bereit, seine Frau und
> > Gegnerin zu verurteilen. Nachmittags kam die Frau, und wir erlagen auch
> > ihren Argumenten: nun sahen wir ihn als den Alleinschuldigen und Boesen.
> > Genauso ergeht es Tamino in der Zauberfloete.
>
> Ich sehe auch einen Perspektivenwechsel, aber ...

Interessant. Überhaupt die Frage: Wer ist Gut, wer ist Böse?? Aber das hat wohl
Harnoncourt auch gemerkt: Der ersten Arie der Königin der Nacht ist erstmal
nichts anzumerken, da spricht ganz die sich verzehrende, liebende Mutter. Aber
spätestens ab den Koloraturen (bzw. ab diesen eigentümlichen Orchesterschlägen
vor "du, du, du wirst ihn zu befreien gehen.") merkt man doch schon, daß da was
faul ist, oder? Und bei Sarastro merkt man's gleich beim Auftritt mit diesem
pompösen Chor, der ja zu allem Überfluss gleich mehrmals kommt. Fast kommt es
mir immer so vor, als könne "das Volk" während der ganzen Szene nichts anderes
sagen, wie unter Zwang, bis auf die Stelle "was soll das heißen?", um denn
gleich wieder in Lobhudelei auszubrechen. Ergo: Weder die eine noch die andere
"Partei" ist edel und rein, sicherlich ist Sarastro nicht der unbefleckte
"Weise", als den ihn viele Inszenierungen gerne zeigen.

> > Die Vorgeschichte kann man
> > sich so denken, dass ein maechtige Zauberfamilie mit geheimnisvollen
> > Schloessern und Burgen und einem grossen Gesinde und Anhang den Tag, die
> > Nacht und ein Maerchenreich beherrscht. Sarastro mag wohl ein
> > interessanter Freund der Familie gewesen sein, mit einer eigenen
> > Hausmacht, dem exklusiven Maennerclub der »Eingeweihten« und mit
> > exzentrischen Hobbies: er fuhr taeglich mit dem Loewengespann zur Jagd,
> > und wenn es ihm Spass machte, verwandelte er sich selbst in ein Tier.
>
> ... bei diesen Spekulationen bleibt mir doch die Spucke weg :-)

Mir allerdings auch. Es wundert mich schon, daß Harnoncourt zwar das
märchenhafte erwähnt, es aber gleich wieder zu entzaubern versucht, indem er
den kagdfreudigen Hausfreund Sarastro - "schau mir in die Augan, Kleine" -
erfindet.

> > Seine spaetere Frauenverachtung koennte darauf zurueckzufuehren sein,
> > dass er die Hausfrau -die Koenigin der Nacht - anschwaermte, oder auch
> > sie ihn, die »Affaere« endete jedenfalls mit Hass und Eifersucht.
>
> Hier geht es ins Maerchenhafte, nicht wahr?

Allerdings in einem ganz anderen Sinne, als er das vorher meinte....

> Nun ist die Frauenverachtung
> ja nicht etwas, was nur Sarastro auszeichnet, auch seine Priester
> verkuenden vergleichbare Sprueche, die von Tamino eilfertig aufgegriffen
> werden.

Richtig, richtig....

> > Beim
> > Tod des alten »Koenigs« brach sein Reich auseinander, die Koenigin erbte
> > alles ausser der Macht ueber den Tag, den »alles verzehrenden«
> > Sonnenkreis. Diesen hatte der Alte dem Hausfreund Sarastro vermacht, der
> > wohl auch ein Auge auf das
> > Toechterchen Pamina geworfen hatte, wie sich spaeter zeigen sollte. - Der
> > Haushalt, das Gesinde (die Knaben, Damen, Sklaven, Loewen usw.), die
> > Burgen, wurden mehr oder weniger eindeutig aufgeteilt, jedoch so, dass
> > ein Wechsel, eine Art Ueberlaufen zur anderen Partei, ohne grosse
> > Probleme denkbar war. Das urspruenglich Gemeinsame ist jedem Teil noch
> > deutlich anzumerken.
>
> Auch hier gehe ich d'accord, dass es Gemeinsames gibt, halte das aber
> nicht durch eine Erbteilung begruendet.

Allerdings sehe ich das auch so. Vielleicht lag es aber auch nur in
Harnoncourts Absicht, uns diese Aspekte gleichsam bildhaft zu verdeutlichen.
Ich werde den Verdacht einfach nicht los, denn seiner Aufnahme (ich kenne sie
mittlerweile auch) hört man das alles nicht an, anders als in "fidelio" oder
"freischütz".

> > - Schliesslich hatte Sarastro Pamina geraubt,
> > angeblich um sie dem schlechten Einfluss der Mutter zu entziehen, aber
> > seine Verliebtheit duerfte doch wohl auch eine Rolle gespielt haben.
>
> Das Verhaeltnis Sarastros zu Pamina ist in der Tat ein bemerkenswertes -
> und da muss man doch noch Text und Musik befragen ...

Später gerne, Itzt fehlt mir die Zeit.

[auf den hier gesnippten langen Abschnitt komme ich ebenfalls noch zurück]

> Ich habe das alles einmal im Zusammenhang stehenlassen, weil ich denke,
> den Diskussionseinstand uebersichtlich zu halten. Aber mein energischer
> Widerspruch - und von da aus entwickelt sich dann die Kritik dieses
> Aufsatzes im Rueckblick - zu der Verallgemeinerung, dass die Frauen so
> beschimpft werden, das mag fuer Sarastro und seine Juenger gelten, nicht
> aber fuer Mozart, nicht die Oper.

Seh ich auch so.

> Das umjubelte Ende zeigt die
> gleichberechtigte Gemeinschaft von Frau und Mann, zeigt wie Tamino und
> Pamina eine neue Ebene erreicht haben, die sowohl die Walt der Koenigin
> der Nacht, aber auch die reine Maennergesellschaft negiert.

Das ist nämlich genau der Punkt. Wie schreibst du so schön weiter?

> Denn: es geht
> nicht um eine Scheidungsgeschichte, es ist eine Liebesgeschichte, die mit
> der Vereinigung der beiden Liebenden endet, nicht die Parteien bestimmen
> das Ende der Oper, sondern am Ende der Oper wird die Parteiung
> aufgehoben. Was der Naturmensch vormacht, scheint mir das Ziel der Oper:
> in der Wiedervereinigung des maennlichen und weiblichen Prinzips die
> Moeglichkeit wirklich menschlichen Lebens zu finden.

Bravo, maestro.

> Der erste Teil
> scheint mir vom weiblichen Prinzip bestimmt, der zweite vom maennlichen -
> aber die Oper ergreift nicht die Partei des einen oder des anderen - sie
> zeigt, wie wenig es menschliches Leben unter der Vorherrschaft der einen
> oder der anderen Seite geben kann, sei es das Reich der Emotion, wo Liebe
> in Hass umschlaegt, sei es das Reich der Vernunft, die den Menschen herbe
> Verletzungen zufuegt (Paminas Wahnsinn), eine strenge Hierarchie
> voraussetzt und eine Ideologie, die den verurteilt, der sie nicht teilt
> "Wen diese Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Mensch zu sein."

Ich erinnere mich dumpf. Später auch noch hierzu.

Liebe Grüße

Claus

Walter Schmid

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Peter

vielen Dank. Damit hat Harnoncourt bei mir jeden Anspruch auf
Historizitaet verloren. Diese moderne Ehescheidung gab es damals
doch gar nicht. Die Frau (oder seltener der unterklassige Mann)
wurde verstossen. Fertig.

Effi Briest, Anna Karenina und Madame Bovary (alle viel spaeter
als Schikaneder) zeigen das doch ueberdeutlich. Kennt H. diese
Meilensteine der Literatur gar nicht?

Gruss

Walter


Claus

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Walter,

ohne daß ich den Harnoncourt-Text jetzt die Krönung fände:

Walter Schmid schrieb:

> vielen Dank. Damit hat Harnoncourt bei mir jeden Anspruch auf
> Historizitaet verloren.

Was ist ein "anspruch auf Historizität??

> Diese moderne Ehescheidung gab es damals
> doch gar nicht.

Ich äußerte meinen Verdacht schon: Der meint das nur bildhaft. Zudem er
innerhlab der Zauberflöten Figuren nicht von einer Ehescheidung spricht
(das hieße ja, Sarastro und Königin der Nacht wären das Ehepaar
gewesen). Er sagte lediglich, es erinnere ihn an eine
Ehescheidungssituation.

> Effi Briest, Anna Karenina und Madame Bovary (alle viel spaeter
> als Schikaneder) zeigen das doch ueberdeutlich. Kennt H. diese
> Meilensteine der Literatur gar nicht?

Ich fürchte, das diese Spekulation haltlos ist. Wer Harnoncourt einmal
gehört hat, weis, daß er das, was er sagt, für sich überdenkt und, sei
es auch so verquer wie dieser Text, dazu steht und dafür kämpft. Und die
Meilensteine der Literatur dürfte einer, der einem modernen Publikum in
einem Gesprächskonzert das Märchen von der schönen Melusine
nahezubringen weis, auch kennen.

Gruß

Claus

>
>
> Gruss
>
> Walter


Dieter Göbel

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Hallo Peter,
ich sehe in der Zauberflöte eindeutig ein Märchen. An die Aussage kommt
man bekanntlich mit den Gesetzen der Logik nicht heran, im Gegenteil;-).
Man muß Märchen deuten. Ich kenne Märchendeutungen von V. Kast und E.
Drewermann. Sie versuchen es tiefenpsychologisch, zum größten Teil recht
plausibel und vor allem sehr überraschend.
Solche "Leute" müssten ran, nicht unbedingt Dirigenten;-)
MfG Dieter


Florian Eichhorn

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to

Claus wrote:
>
> Lieber Walter,
>
(snip)


>
> Ich äußerte meinen Verdacht schon: Der meint das nur bildhaft. Zudem er
> innerhlab der Zauberflöten Figuren nicht von einer Ehescheidung spricht
> (das hieße ja, Sarastro und Königin der Nacht wären das Ehepaar
> gewesen). Er sagte lediglich, es erinnere ihn an eine
> Ehescheidungssituation.

(snip)
>
> Gruß

Hallo,
das denke ich auch. Harnoncourt sucht einfach AUCH eine
"allgemeinmenschliche Situation" in dieser Figurenverteilung.

Ziele, vermute ich mal:
(1) zusätzliche, individualisierte Emotionalisierung der Handelnden;
hilft, die Rollen von einer anderen Seite zu beleuchten
(2) auch Leuten von Heute, die es mit Freimaurern, hermetischen
Geheimwissenschaften und 18. Jh. Vogelfänger-Volkstheater nicht so
haben, das ganze etwas näher zu bringen. Natürlich nur ein Einstieg!

Die historischen Essentials
-Freimaureragenda
-Puppenspiel/Volkskomödie
-Urheberrechtsprobleme (ähnliches Schauspiel), Teil der
Konstellation mußte geändert werden, erklärt Teile der
Brüche/unlogischen Ablauf

sind Harnoncourt natürlich bekannt, und wohl auch eingebracht.

Im Übrigen: das ganze mal auf ein einfaches Personenstück
zurückzuführen, kann ja auch mal ganz ergiebig sein.
Freimaurerdrama, Volkstheater, Konflikt Zensur-Freiheit, hatten wir
alles schon mal.

Die Emotionen sind ja ein zentrales Thema bei Harnoncourts Opernrezeption.

Also - why not?


Florian Eichhorn


------------------------------------------------------------
Es ist zwar schon alles gesagt worden - nur noch nicht von jedem.
Karl Valentin

Peter Brixius

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Walter,

vielen Dank, dass Du mir Gelegenheit gibst, zu einem Aspekt hier jetzt
einmal ausfuehrlicher Stellung nehmen zu koennen (denn das Anfangsposting
war ja - bis auf den Schluss - in erster Linie eine Praesentation der
Meinung Harnoncourts, zu der ich im Laufe der Diskussion noch die eine
oder andere denke hinzu zu fuegen).

In article <37F72176...@datacomm.ch>, schm...@datacomm.ch says...

> Diese moderne Ehescheidung gab es damals
> doch gar nicht.

Durchaus richtig, es gibt eine Reihe von Anachronismen in Harnoncourts
Text, auch - wie Claus feststellte - Widersprueche zu dem vorgeblichen
Maerchencharakter der Oper.

Dieser spekulativ vorangestellte Titel "Ein Familiendrama" fuehrt einen
auf die falsche Spur. Mit den Schilderungen eines zeitgenoessischen
Scheidungs-Vorfeldes stellte Harnoncourt nur eine Analogie her, nicht
aber eine Deutung. Was er meint - und das scheint mir das Beste an seinen
Ausfuehrungen zu sein - ist Folgendes: Wenn wir einen "Bruch"
konstatieren, dann haben wir zwei widerspruechliche Teile. Diese
widerspruechlichen Teile koennte man als "Rollenperspektiven", also
Darstellungen aus der Sicht zweier Protagonisten sehen, den einen aus der
Sicht der Koenigin der Nacht, den zweiten aus der Sicht von Sarastro. Da
ihn das an die antagonistischen Darstellungen eines mit ihm, aber wohl
untereinander nicht mehr befreundeten Ehepaars erinnerte, kam diese
unglueckliche Analogie (und die Spekulationen ueber die Vorgeschichte
haben weder Maerchencharakter noch sind sie zeittypisch).

Mir gefaellt an der Analogie, dass sie sich mit meiner Vorstellung des
Perspektivenwechsels beruehrt - nur: Ich mache *drei* Perspektiven aus,
nicht zwei - ich sehe auch nicht eine einfache Umwertung, sondern eher
einen spiralfoermigen Verlauf, waehrend der erste Teil Probleme aufwirft,
aber - bis auf die waghalsige Expedition - keine Loesungsansaetze, sind
im zweiten Teil Problemloesungen, aber unzureichende und unserer
Auffassung nach unmenschliche da - erst die Ueberwindung auch der
Sarastrowelt bietet eine Loesung (und kein Urteilsspruch eines Richters,
der ueber zwei Darstellung ein und derselben Sache zu entscheiden
haette).

Deshalb fand ich den Einstieg mit dem Harnoncourt-Text recht gut, es gibt
aber noch eine Reihe der Verkuerzungen in der Darstellung aufzuarbeiten.

Du hast Recht, wenn Du deutlich machst: Um Scheidung im modernen Sinne
kann es in der Zauberfloete nicht gehen (nicht gegangen sein).

Peter Brixius

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Dieter,

Du teilst diese Meinung mit Kurt Pahlen, der meint: "Trotz allem kommt
wohl derjenige der /Zauberfloete/ am naechsten, der sie als buntes
Maerchen nimmt. Sie waere demnach ein ideales Kinderstueck (was ein hohes
Lob bedeutet); das hindert aber wiederum nicht, sie als aeusserst
tiefgruendiges, symboltraechtiges, hoechst intellektuelles Schauspiel zu
geniessen. 'Chacun a son gout' - Jeder nach seinem Geschmack." (Pahlen
zitiert nach Mozart: Die Zauberfloete. Text und Erlaeuterungen, Muenchen
1978, S. 230)

In article <37F71D1D...@t-online.de>, D-Go...@t-online.de says...

> ich sehe in der Zauberflöte eindeutig ein Märchen.

Ich nicht! Zumindest muesste man den Begriff "Maerchen" vorher noch
klaeren. Die eingesetzten maerchenhaften Mittel sind eher spaerlich.
Natuerlich ist es ausserhalb einer bestimmbaren Zeit und ausserhalb eines
bestimmten Raumes angesiedelt. Es gibt einiges an Zahlensymbolik, aber
nicht die starren Vorgaben, die ein Maerchen in der Regel auszeichnen.
Die Personen sind nicht typisiert, sie sind fast durchgehend
psychologisiert. Ein Volksmaerchen (Pahlen S. 206) ist es keinesfalls.
Pahlen schreibt vorher (besser): "Schikaneder und Mozart haben ein
Maerchen schaffen wollen, ein 'Zauberspiel', wie es der Mode ihrer Zeit
entsprach." (S. 203), spaeter gebraucht er noch "Volksstueck" (S. 206),
"Zauberposse" (S. 207) und "Vorstadttheater-Stueck" (S. 207). Er nennt
Shakespeare, Goldoni, Raimund und Nestroy - und damit haben wir alles -
und gar nichts. Ein Zauberspiel ist keine Zauberposse (Raimund nicht
Nestroy), ein Volksstueck kein Maerchen und fuer Shakespeares Tempest
gilt das gleichermassen. Es ist ein Zauberspiel, es hat maerchenhafte
Elemente, aber es ist kein Maerchen (wie auch Raimunds "Der Alpenkoenig
und der Menschenfeind" kein Maerchen ist, obwohl es Zauber gibt und
einiges an Maerchen erinnert.)

> An die Aussage kommt
> man bekanntlich mit den Gesetzen der Logik nicht heran, im Gegenteil;-).

Das stimmt in der Regel fuer keine Form des Maerchens. Logik ist
allenfalls innerhalb des Maerchens, aber auch nicht allgemein aufgehoben
(gerade Luegen-Maerchen gehorchen einer strengen Logik). Der Sieg des
Guten ueber das Boese scheint uns zumindestens auch heute noch als
wuenschenswert, schwieriger allerdings die (eindeutige) Zuordnung von Gut
und Boese).

> Man muß Märchen deuten. Ich kenne Märchendeutungen von V. Kast und E.
> Drewermann. Sie versuchen es tiefenpsychologisch, zum größten Teil recht
> plausibel und vor allem sehr überraschend.

Da ich die genannten Personen und ihre Deutungen kenne, bin ich sehr
skeptisch. (Ueber das Thema Tiefenpsychologie will ich mich hier gar
nicht auslassen, in der Wissenschaft ist man sich heute eher einig, dass
man da ins Vor-Wissenschaftliche geraet). Um nicht zu sehr OT zu werden:
es ist fast unglaublich, dass vor einer Deutung keine Textphilologie
geschieht. Wer den Bolte-Poliwka kennt, weiss, wie wechselnd die
Gestalten von Maerchen sind, wer sich mit Grimms Volksmaerchen
beschaeftigt hat, wie sehr sie redigiert und umgeschrieben sind (auch die
Unterschiede zwischen verschiedenen Auflagen). In Drewermanns Deutung
von "Der Tod als Arzt" erfaehrt man nichts davon. Der Text wird so
genommen, wie er ist (als gelernter Bibelphilologe haette man von
Drewermann da anderes erwarten duerfen). Die gezogenen Schluesse sind
plausibel, weil sie es schon vor der Uebertragung auf den Text waren. Mit
Maerchenforschung und -deutung haben diese theologischen und
tiefenpsychologischen Erguesse wenig zu tun.

> Solche "Leute" müssten ran, nicht unbedingt Dirigenten;-)

Dann doch lieber Harnoncourt :-))

Claus

unread,
Oct 3, 1999, 3:00:00 AM10/3/99
to
Lieber Peter,

Ich wollte ja noch was nachreichen.....

Peter Brixius schrieb:

> > In dieses Familiendrama platzt Tamino,

Wie?? Er platzt zwar am Anfang geradezu in die Oper, aber in das höchst
zweifelhafte Familiendrama??

> und da er die Geschichte aus dem
> > Mund der Koenigin hoert, wird er vorerst zu ihrem gluehenden
> > Parteigaenger und Gegner Sarastros.

Bildhaft stimmt das ja. Aber Familiendrama.....

> Als er aber dessen Reich betritt und
> > dort die Argumente der anderen Partei erfaehrt, laesst er sich von diesen
> > ueberzeugen und gleichsam »umdrehen«. Der vielzitierte Bruch ist also
> > nichts als eine psychologisch subtil wiedergegebene allgemein menschliche
> > Denk- und Verhaltensweise. Keine der beiden Gruppen kommt moralisch heil
> > aus der Affaere.

Sollte Harnoncourt das alles wirklich nur beispielhaft gemeint haben, was ich
für ihn hoffe, dann Ok.

> So wie in den menschlichen Beziehungen Liebe sehr leicht
> > in Hass umschlaegt, geschieht es auch hier: Die Koenigin hasst Sarastro
> > und seine Anhaenger bis auf den Tod, man hat ihr wohl auch uebel
> > mitgespielt.

Das ist nun wieder Spekulation.

> -Sarastro umgibt sich zwar mit der Aura von Liebe und
> > Weisheit, in seinem Bereich aber gibt es Sklaven, Fesseln, Strafen und
> > einen richtigen moerderischen Wuestling.

Das nicht. Schön, daß es einer merkt....

> Das Los seiner Gefangenen sei
> > schrecklich, sie werden »gespiesst oder gehangen«, ihr «martervoller Tod
> > wuerde ohne Grenzen sein«, die Pruefungen seien so hart, dass sie nicht
> > jeder Pruefling ueberlebe. Mit diesen Gefahren wird zynisch gedroht:
> > Pamina moege ihrem Geliebten »das letzte Lebewohl« sagen.

Wahr, wiederum.

> Sarastro ist
> > also gar nicht so tugendhaft und wahrheitsliebend: Obwohl er feierlich
> > seine Menschenliebe besingt und jeder Rache abschwoert, laesst er
> > Monostatos verpruegeln und die Koenigin der Nacht mit ihrem Gefolge
> > zugrunde gehen.

Und hält sein Volk an, sich ihm bedingungslos zu unterwerfen. "Er ist es, dem
wir uns mit Freuden ergeben" klingt - zudem wenn man in Mozarts Zeit schaut -
nicht eben ehrlich gemeint.

> Ja, einmal luegt er offensichtlich, wenn er sagt: «Dies
> > ist der Grund, warum ich sie (Pamina) der stolzen Mutter entriss« und
> > damit meint, um sie mit Tamino zusammenzufuehren - in Wahrheit hat er
> > aber Pamina geraubt, weil er sie fuer sich selbst wollte: «Zur Liebe will
> > ich Dich nicht zwingen. . . Du liebest einen Andern sehr».

Da kommen wir ja noch zu.

> --
> Ist es nicht sonderbar, dass man das Publikum, das uns lobt, immer
> fuer einen kompetenten Richter haelt; aber sobald es uns tadelt, es
> fuer unfaehig erklaert, ueber Werke des Geistes zu urteilen? (Lichtenberg)

Tja.....was soll man dazu sagen?? Wo er Recht hat, hat er Recht.

Liebe Grüße

Claus


Walter Schmid

unread,
Oct 4, 1999, 3:00:00 AM10/4/99
to
Lieber Claus

Claus schrieb:

> > vielen Dank. Damit hat Harnoncourt bei mir jeden Anspruch auf
> > Historizitaet verloren.
>
> Was ist ein "anspruch auf Historizität??

Meine schlechte Formulierung fuer den Anspruch, Musik aus
gruendlicher Kenntnis ihrer Entstehungszeit so nahe wie moeglich
an den Absichten des Komponisten zu interpretieren. Fuer mich
war das bisher beinahe ein Synonym fuer den Namen Harnoncourt.
Vielleicht aus Unkenntnis.

>
> > Diese moderne Ehescheidung gab es damals
> > doch gar nicht.
>

> Ich äußerte meinen Verdacht schon: Der meint das nur bildhaft. Zudem er
> innerhlab der Zauberflöten Figuren nicht von einer Ehescheidung spricht
> (das hieße ja, Sarastro und Königin der Nacht wären das Ehepaar
> gewesen). Er sagte lediglich, es erinnere ihn an eine
> Ehescheidungssituation.

"an eine Ehescheidungssituation" erinnerte es auch mich schon vor
30 Jahren. Meine schiefen Spontanideen sollten auch hier
inzwischen bekannt sein. ;-)

Aber ich kenne eben auch die Literatur aus jener Zeit, und so
verwarf ich den Gedanken sofort wieder. (Ein gedrucktes booklet
ist aber kein spontanes News-Forum...)

Wenn man nun diese Idee - ungeachtet, dass Mozart sie niemals
haben konnte - trotzdem inszeniert, muss das durch Regie
unterstrichen werden. Dadurch kann man die Musik, falls sie einen
Sinn hat, weniger verstehen als am Radio oder ab CD. Dann schadet
die Inszenierung der Musik. Das ist bei Dittersdorf vielleicht
egal - bei Mozart ist das ein Verbrechen.

Auch die Regiekunst ist nicht so frei, dass sie mit grossen
Meisterwerken machen kann, was sie will. Wenn Harnoncourt zum
Lager der Regie-ueber-alles-Seite wechselt, hat er die
Musik-Seite verlassen.

Gruss

Walter

Walter Schmid

unread,
Oct 4, 1999, 3:00:00 AM10/4/99
to
Hallo Dieter

Dieter Göbel schrieb:
>
> Hallo Peter,
> ich sehe in der Zauberflöte eindeutig ein Märchen. An die Aussage kommt


> man bekanntlich mit den Gesetzen der Logik nicht heran, im Gegenteil;-).

> Man muß Märchen deuten. Ich kenne Märchendeutungen von V. Kast und E.
> Drewermann. Sie versuchen es tiefenpsychologisch, zum größten Teil recht
> plausibel und vor allem sehr überraschend.

> Solche "Leute" müssten ran, nicht unbedingt Dirigenten;-)

Nur bleiben im Maerchen die Guten immer die Guten, und die Boesen
immer die Boesen. Genau wie auch in Hollywood und der
TV-Soap. DAS sind Maerchen. Die Zauberfloete ist mehr. Sie ist
auch Freimaurer-Kult, und Symbol fuer das Werden von Himmel und
Erde. Die Zauberfloete verwendet Maerchen-Motive, sie ist aber
keines. Es gibt keine "Moral der Geschichte": es gibt eine
verwirrende Moral fuer den Zuschauer, aber eine eindeutige fuer
die Protagonisten, die erst noch fuer einige (nicht alle) um 180
Grad umgedreht wird. (Womit ich keinen Anspruch auf umfassende
Deutung erhebe!)

Die Z.F. ist vielleicht auch ein Symbol der Musik: dass dort das
vermeintlich Haessliche das eigentlich Schoene ist - also dass,
je nach Kontext, die Konsonanz haesslich, und die Dissonanz
schoen ist. Vor allem, dass es beides braucht.

Das Problem der Zauberfloete liegt darin, dass die
Charakteraenderung bzw. die Aenderung der Beurteilung der
Charaktere nicht begruendet wird. - Ich weiss auch nicht, wie man
begruendet, dass die gleiche Dissonanz einmal schoen und einmal
haesslich ist. Es ist einfach so.

Das Maerchen dagegen weiss alles. Es ist fuer Kinder, Politiker
und psychologisierende Priester... Somit das Gegenteil von Kunst.

Ich schwatze vor mich hin. Aber ich lass es nicht auch noch - wie
Harnoncourt - drucken! Und bezahlt werde ich auch nicht dafuer
;-)

Gruss

Walter

Claus

unread,
Oct 4, 1999, 3:00:00 AM10/4/99
to
Lieber Walter,

Walter Schmid schrieb:

> > Was ist ein "anspruch auf Historizität??
>
> Meine schlechte Formulierung fuer den Anspruch, Musik aus
> gruendlicher Kenntnis ihrer Entstehungszeit so nahe wie moeglich
> an den Absichten des Komponisten zu interpretieren. Fuer mich
> war das bisher beinahe ein Synonym fuer den Namen Harnoncourt.
> Vielleicht aus Unkenntnis.

Vielleicht. Immerhin geht es Harnoncourt stets gerade darum, die Musik für
uns heute interessant zu machen, sie für heutige Ohren zu beleben und sie so
auch gleichsam wie neu erscheinen zu lassen.Daher kommen ja auch die auf den
ersten Blick höchste eigentümlichen Sichtweisen auf die Stücke. Egal ob man
sie nachvollziehen kann oder nicht: sie fordern stets dazu heraus, Stellung
zu nehmen und sich mal ernsthaft Gedanken um die vermeintlich bekannten
Stücke zu machen. Und das kann nie schaden. Schade, daß ich es nicht
mitgeschnitten habe, sonst könnte ich jetzt ien wenig aus dem
Gesprächskonzert der diesjährigen Styriarte Graz plaudern können, in dem sich
Harnoncourt im ersten Teil geschlagene 20 Minuten nahm, um die Ouvertüre "Die
schöne Melusine" von Mendelssohn zu erläutern, eigenwillig, ein bißchen
provozierend. Wer das Stück danach nicht verstand......

> Aber ich kenne eben auch die Literatur aus jener Zeit, und so
> verwarf ich den Gedanken sofort wieder. (Ein gedrucktes booklet
> ist aber kein spontanes News-Forum...)

Nochmal: Es steht ausdrücklich nicht in Harnoncourts Artikel, daß es sich in
der Zauberflöte um eine Scheidung drehe.

> Wenn man nun diese Idee - ungeachtet, dass Mozart sie niemals
> haben konnte - trotzdem inszeniert, muss das durch Regie
> unterstrichen werden.

Die Scheidung kommt auch bei Harnoncourt in der Zauberflöte *nicht* vor.

> Dadurch kann man die Musik, falls sie einen
> Sinn hat, weniger verstehen als am Radio oder ab CD. Dann schadet
> die Inszenierung der Musik. Das ist bei Dittersdorf vielleicht
> egal

WARUM??

> - bei Mozart ist das ein Verbrechen.

Wie sollte man Mozart denn inszenieren, Deiner Meinung nach?

> Auch die Regiekunst ist nicht so frei, dass sie mit grossen
> Meisterwerken machen kann, was sie will. Wenn Harnoncourt zum
> Lager der Regie-ueber-alles-Seite wechselt, hat er die
> Musik-Seite verlassen.

Harnoncourt hat übrigens die Musikerposition nicht verlassen - anders etwa
als sein Kollege Gardiner, der ja auch schon selbst inszeniert hat (es aber
mittlerweile meines Wissens nach wieder lässt). Harnoncourt geht nur der
essentiellen Pflicht nach, sich auch als Dirigent (in diesem Falle halt einer
schallplattenaufnahme) GEdanken über das stück und die Figuren zu machen.
Sollte er das etwa nicht dürfen??

Gruss

Claus


Walter Schmid

unread,
Oct 5, 1999, 3:00:00 AM10/5/99
to
Lieber Claus

Claus schrieb:
>
[...]


> > Dadurch kann man die Musik, falls sie einen
> > Sinn hat, weniger verstehen als am Radio oder ab CD. Dann schadet
> > die Inszenierung der Musik. Das ist bei Dittersdorf vielleicht
> > egal
>
> WARUM??

Ich moechte eigenlicht keinen alten Streit mit Peter aufwaermen.
Es gibt fuer mich so etwas wie 'heilige' Musik, und es gibt
ephemere Musik. 'Heilig' ist nicht nur ein Wertkriterium, sondern
auch eines der Tradition, - das was Benjamin Aura nennt. Die hat
Dittersdorf nicht, also kann sie auch nicht beschaedigt werden.
Ein guter Regisseur und ein guter Dirigent samt Mitwirkenden kann
aber daraus sehr wohl etwas Originelles, auch etwas
Anachronistisches draus machen. Das darf man. Ganz einfach weil
man dadurch keine andere Inszenierung schädigen kann, - es gibt
sie ja gar nicht. (Dittersdorf 'traditionell' gibt vermutlich gar
nie einen guten Abend. Mozart schon.)

>
> > - bei Mozart ist das ein Verbrechen.
>
> Wie sollte man Mozart denn inszenieren, Deiner Meinung nach?

Nicht unbedingt mit Originalkostuemen, aber auch nicht mit
aktueller Mode, das lenkt von der Musik ab. Die ist zu schwierig,
als dass sie Ablenkung vertruege. Die Saenger sollen in
derjenigen Haltung singen, die das Singen verlangt, nicht in
einer Pose, die der Situation maximal angemessen ist. Ein
kargeres Buehnenbild als damals schadet kaum.

>
> > Auch die Regiekunst ist nicht so frei, dass sie mit grossen
> > Meisterwerken machen kann, was sie will. Wenn Harnoncourt zum
> > Lager der Regie-ueber-alles-Seite wechselt, hat er die
> > Musik-Seite verlassen.
>
> Harnoncourt hat übrigens die Musikerposition nicht verlassen - anders etwa
> als sein Kollege Gardiner, der ja auch schon selbst inszeniert hat (es aber
> mittlerweile meines Wissens nach wieder lässt). Harnoncourt geht nur der
> essentiellen Pflicht nach, sich auch als Dirigent (in diesem Falle halt einer
> schallplattenaufnahme) GEdanken über das stück und die Figuren zu machen.
> Sollte er das etwa nicht dürfen??

O.K. mein Urteil bezieht sich auf den geposteten Text, nicht auf
Harnoncourt. Aber mir daemmert, weshalb mein Plattenverkaeufer
Hogwood vorzieht... Ich habe deshalb 10 mal weniger Ha. als Ho.

Gruss

Walter

Claus

unread,
Oct 6, 1999, 3:00:00 AM10/6/99
to
Lieber Walter,

Walter Schmid schrieb:

> [...]
> > > Dadurch kann man die Musik, falls sie einen
> > > Sinn hat, weniger verstehen als am Radio oder ab CD. Dann schadet
> > > die Inszenierung der Musik. Das ist bei Dittersdorf vielleicht
> > > egal
> >
> > WARUM??
>
> Ich moechte eigenlicht keinen alten Streit mit Peter aufwaermen.

Kann ich mir vorstellen. Jetzt hast du's mit mir ;-))

> Es gibt fuer mich so etwas wie 'heilige' Musik, und es gibt
> ephemere Musik.

Immerhin schreibst du noch "für mich"!!

> 'Heilig' ist nicht nur ein Wertkriterium, sondern
> auch eines der Tradition, - das was Benjamin Aura nennt. Die hat
> Dittersdorf nicht, also kann sie auch nicht beschaedigt werden.

Kann man nicht gerade unbekanntem mehr Schaden zufügen als Bekanntem, etwa, indem
man es schlecht aufführt oder entstellt??

> Ein guter Regisseur und ein guter Dirigent samt Mitwirkenden kann
> aber daraus sehr wohl etwas Originelles, auch etwas
> Anachronistisches draus machen. Das darf man.

Was? Etwas originelles daraus machen? Braucht man nicht, das ist es schon. auch
wenn man es nicht kennt.

> Ganz einfach weil
> man dadurch keine andere Inszenierung schädigen kann, - es gibt
> sie ja gar nicht.

Wer sagt das? Heißt das, weil die "Genoveva" von Schumann kaum inszeniert wird,d
arf ich damit machen was ich will? Oder wie??

> (Dittersdorf 'traditionell' gibt vermutlich gar
> nie einen guten Abend. Mozart schon.)

Du hats es wohl ausprobiert.....

> > Wie sollte man Mozart denn inszenieren, Deiner Meinung nach?
>
> Nicht unbedingt mit Originalkostuemen, aber auch nicht mit
> aktueller Mode, das lenkt von der Musik ab.

Wieso?

> Die ist zu schwierig,
> als dass sie Ablenkung vertruege.

Und Dittersdorf oder Schumanns "Genoveva" sind dann leicht?? Im Gegenteil.

> Die Saenger sollen in
> derjenigen Haltung singen, die das Singen verlangt, nicht in
> einer Pose, die der Situation maximal angemessen ist.

Ein oft gehörtes Argument. du glaubst gar nicht, in was für Positionen man
wesentlich besser singen kann als es aussieht. Und das hab ich selbst ausprobiert.

> > Harnoncourt hat übrigens die Musikerposition nicht verlassen - anders etwa
> > als sein Kollege Gardiner, der ja auch schon selbst inszeniert hat (es aber
> > mittlerweile meines Wissens nach wieder lässt). Harnoncourt geht nur der
> > essentiellen Pflicht nach, sich auch als Dirigent (in diesem Falle halt einer
> > schallplattenaufnahme) GEdanken über das stück und die Figuren zu machen.
> > Sollte er das etwa nicht dürfen??
>
> O.K. mein Urteil bezieht sich auf den geposteten Text, nicht auf
> Harnoncourt.

Das ging aus dem Posting allerdings nicht hervor?

> Aber mir daemmert, weshalb mein Plattenverkaeufer
> Hogwood vorzieht...

Nämlich warum??

> Ich habe deshalb 10 mal weniger Ha. als Ho.

Solltest du vielleicht was nachholen??

Gruß

Claus

Walter Schmid

unread,
Oct 6, 1999, 3:00:00 AM10/6/99
to
Lieber Claus

Claus schrieb:
>

> Kann ich mir vorstellen. Jetzt hast du's mit mir ;-))

Bist Du auch Dittersdorf-Fan?

>
> Kann man nicht gerade unbekanntem mehr Schaden zufügen als Bekanntem, etwa, indem
> man es schlecht aufführt oder entstellt??

Einverstanden. Aber was ich von Dittersdorf halte, ist ja
bekannt. Gesetzt der Fall, meine Meinung waere falsch, muesste
man ihn historisch korrekt auffuehren.

> [...]


> Wer sagt das? Heißt das, weil die "Genoveva" von Schumann kaum inszeniert wird,d
> arf ich damit machen was ich will? Oder wie??

Kenn' ich nicht. Ich habe gerade seinen Faust am TV gesehen: Es
ist keine schlechte Musik, aber total am Faust vorbei. Wenn das
einer retten kann, soll er! Schumann eignet sich aber kaum zur
Parodie. Das ist zum Teil einfach hoffnungslos. (Z.B. Sonaten
fuer die Jugend)

>
> > (Dittersdorf 'traditionell' gibt vermutlich gar
> > nie einen guten Abend. Mozart schon.)
>
> Du hats es wohl ausprobiert.....

Der ist bei unserem Radio ziemlich beliebt. Ich schrieb sogar
einen Protestbrief deswegen.

>
> > > Wie sollte man Mozart denn inszenieren, Deiner Meinung nach?
> >
> > Nicht unbedingt mit Originalkostuemen, aber auch nicht mit
> > aktueller Mode, das lenkt von der Musik ab.
>
> Wieso?

Auf Musik muss man sich konzentrieren, da ist jede Ablenkung
schlecht. Unkonventionelle Dekoration IST Ablenkung. Zudem
gehoeren zu Koenigen entsprechende Anzuege, keine heutigen. Ich
sah einmal Shakespeares "Caesar" in Business-Anzuegen. Fehlte nur
noch das Handy!

>
> > Die ist zu schwierig,
> > als dass sie Ablenkung vertruege.
>
> Und Dittersdorf oder Schumanns "Genoveva" sind dann leicht?? Im Gegenteil.

Inwiefern ist D. schwer zu hoeren?

Schumann sollte - wenn schon - verdeutlichend aufgefuehrt werden,
weil seine Musik haeufig neutral (boeser gesagt: unpassend) ist.

Das verfremdende Regie-Theater
fuer Populaeres ist etwas anderes: zur Traviata-Musik ist nur die
Handlung in einer Vorstandssitzung mit anschliessendem
Motorrad-Rennen ertraeglich ;-)

>
> > Die Saenger sollen in
> > derjenigen Haltung singen, die das Singen verlangt, nicht in
> > einer Pose, die der Situation maximal angemessen ist.
>
> Ein oft gehörtes Argument. du glaubst gar nicht, in was für Positionen man
> wesentlich besser singen kann als es aussieht. Und das hab ich selbst ausprobiert.

Da kann ich nicht mitreden, ich kann in keiner Haltung singen.

> > O.K. mein Urteil bezieht sich auf den geposteten Text, nicht auf
> > Harnoncourt.
>
> Das ging aus dem Posting allerdings nicht hervor?

Dort stand dieser Text ja darueber.

>
> > Aber mir daemmert, weshalb mein Plattenverkaeufer
> > Hogwood vorzieht...
>
> Nämlich warum??

Ich kann jetzt nur vermuten: mehr Willkuer bei Harnoncourt.

>
> > Ich habe deshalb 10 mal weniger Ha. als Ho.
>
> Solltest du vielleicht was nachholen??

Jetzt noch? Er kommt auch oft am Radio.

Koenntest Du bitte die Zeilenbreite auf 70 Zeichen einstellen?
Ich muss eine grosse Schrift waehlen, dann wrappen (ich kann nix
deutsh) alle Deine geschaetzten Zeilen um.

Gruss

Walter


Claus

unread,
Oct 7, 1999, 3:00:00 AM10/7/99
to
Lieber Walter,

eines vorweg:

 

Koenntest Du bitte die Zeilenbreite auf 70 Zeichen einstellen?
  Ich muss eine grosse Schrift waehlen, dann wrappen (ich kann nix
  deutsh) alle Deine geschaetzten Zeilen um.

Ich kenne das Problem, und ich entschuldige mich vielmals dafür. Allerdings scheint das ein grundsätzliches Problem beim Netscape Communicator zu sein, den ich - ich gebe ja zu, aus Bequemlichkeitsgürnden - als Newsreader benutze. Obwohl als Zeilenbreite 70 eingestellt ist, setzt sich das Programm von Zeit zu Zeit fröhlich darüber hinweg. Ich kann da nix dran machen, weil beim Schreiben der Zeilenumbruch gewahrt wird......
Also nochmals: Entschuldige, ich suche noch nach der Zeit, um eine Lösung zu finden und Abhilfe zu schaffen.

Walter Schmid schrieb:

[Dittersdorf]

> Kann ich mir vorstellen. Jetzt hast du's mit mir ;-))

Bist Du auch Dittersdorf-Fan?

Ich wehre mich bloß dagegen, ihn als geringerwertuge Musik abzutun.

> Kann man nicht gerade unbekanntem mehr Schaden zufügen als Bekanntem, etwa, indem
> man es schlecht aufführt oder entstellt??

Einverstanden. Aber was ich von Dittersdorf halte, ist ja
bekannt.

Ja.

Gesetzt der Fall, meine Meinung waere falsch, muesste
man ihn historisch korrekt auffuehren.

Ich dachte immer, "historisch korrekt" geht Deiner Meinung nach nicht....

[Schumann]

> Wer sagt das? Heißt das, weil die "Genoveva" von Schumann kaum inszeniert wird,d
> arf ich damit machen was ich will? Oder wie??

Kenn' ich nicht. Ich habe gerade seinen Faust am TV gesehen: Es
ist keine schlechte Musik, aber total am Faust vorbei.

Darf ich davon ausgehen, daß du das Stück am Fernsehen zum ersten Mal gehört hast (ich nehme an, es war die Aufführung unter Bernius)?? Ich wüsste nicht, wie du zu dem Urteil kommst, das sei total am Faust vorbei. Ich habe mich noch gestern abend, angeregt hiervon und von einer Bemerkung weiter unten, mit zwei Szenen aus dem Stück hingesetzt (Gartenszene (I 1) und Lemurenszene (II 3). Ich fand nichts, was an Faust vorbei sei. Man muss allerdings bedenken, daß das Stück nicht den Anspruch stellt, Goethes Faust in seiner GAnzheit zu zeigen, es geht um einige exemplarische Aspekte (grob gesagt: im ersten Teil um Gretchen und ganz insbesondere um Gretchens "Fall"), im zweiten Teil um Fausts Verblendung und Tod (gibt es eine ergreifendere Stelle als das Ende dieses zweiten Teils??) und im dritten um die Vertonung der Schlussszene, die ja geradezu nach Musik schreit und in der Schumann wiederum eigene Akzente setzt. Deshalb heißt das Stück ja auch nicht "Faust", sondern "Szenen aus Goethes Faust".

Wenn das
einer retten kann, soll er!

Das stück bedarf dringend einer Rettung, allerdings nicht, weil es an Goethes Faust vorbei sei, sondern weil es immer noch mit Vorurteilen behaftet ist, wie so vieles von Schumann. 

> Und Dittersdorf oder Schumanns "Genoveva" sind dann leicht?? Im Gegenteil.

Inwiefern ist D. schwer zu hoeren?

Es scheint sehr schwer zu sein, die Vorurteile, die es gegen seine Musik gibt, zu überwinden.

Schumann sollte - wenn schon - verdeutlichend aufgefuehrt werden,
weil seine Musik haeufig neutral (boeser gesagt: unpassend) ist.

Ich denke, Dir war klar, daß dies nicht so stehen gelassen werden kann. Was heißt denn "unpassend" bzw. "neutral"? Da sie sich einer aussage oder einer dramatischen Situation ("szenen aus Goethes Faust", "Genoveva"....) entzieht? Da braucht es nicht viel, um das zu widerlegen - eine solche Aussage scheint eher auf einer höchst ungenauen Kenntnis vieler Stücke von Schumann zu basieren. Den Verdacht werde ich auch hier nicht los.

[Mozart-Inszenierungen]

> Wieso?

Auf Musik muss man sich konzentrieren, da ist jede Ablenkung
schlecht. Unkonventionelle Dekoration IST Ablenkung.

Zwingend?

Zudem
gehoeren zu Koenigen entsprechende Anzuege, keine heutigen.

Wer sind denn die "könige" von heute?

Ich
sah einmal Shakespeares "Caesar" in Business-Anzuegen. Fehlte nur
noch das Handy!

Kann ich ejtzt schlecht beurteilen. Aber: Warum eigentlich nicht??

Da kann ich nicht mitreden, ich kann in keiner Haltung singen.

Du glaubst aber ofensichtlich beurteilen zu können, welche Pose zum Singen ungeeignet ist....

[zu guter letzt: Harnoncourt]

> > Aber mir daemmert, weshalb mein Plattenverkaeufer
> > Hogwood vorzieht...
>
> Nämlich warum??

Ich kann jetzt nur vermuten: mehr Willkuer bei Harnoncourt.

Was verstehst du da jetzt unter Willkuer? Nur ehe ich dich missverstehe....

> > Ich habe deshalb 10 mal weniger Ha. als Ho.
>
> Solltest du vielleicht was nachholen??

Jetzt noch?

Aber immer!!

Gruß

Claus

Henning Giesler

unread,
Oct 7, 1999, 3:00:00 AM10/7/99
to Claus
On Thu, 7 Oct 1999, Claus wrote:

> Lieber Walter,
> eines vorweg:

> > Koenntest Du bitte die Zeilenbreite auf 70 Zeichen einstellen?
> > Ich muss eine grosse Schrift waehlen, dann wrappen (ich kann nix
> > deutsh) alle Deine geschaetzten Zeilen um.

> Ich kenne das Problem, und ich entschuldige mich vielmals dafür.
> Allerdings scheint das
> ein grundsätzliches Problem beim Netscape Communicator zu sein, den ich
> - ich gebe ja
> zu, aus Bequemlichkeitsgürnden - als Newsreader benutze. Obwohl als
> Zeilenbreite 70
> eingestellt ist, setzt sich das Programm von Zeit zu Zeit fröhlich
> darüber hinweg. Ich
> kann da nix dran machen, weil beim Schreiben der Zeilenumbruch gewahrt
> wird......
> Also nochmals: Entschuldige, ich suche noch nach der Zeit, um eine
> Lösung zu finden und
> Abhilfe zu schaffen.

[schnipp]

Hallo Claus! Vielleicht hilft ja schon das Deaktivieren der Mail/News als
HTML-Format. Das spart außerdem die Netzbelastung um mehr als die Hälfte.
Gruß Henning


Walter Schmid

unread,
Oct 8, 1999, 3:00:00 AM10/8/99
to
Lieber Claus

Claus schrieb:

> > Koenntest Du bitte die Zeilenbreite auf 70 Zeichen einstellen?

[...]


> Also nochmals: Entschuldige, ich suche noch nach der Zeit, um
> eine Lösung zu finden und Abhilfe zu schaffen.

der Schuss ging nach hinten :-)

[...]


> > Kenn' ich nicht. Ich habe gerade seinen Faust am TV gesehen:
> > Es
> > ist keine schlechte Musik, aber total am Faust vorbei.
>
> Darf ich davon ausgehen, daß du das Stück am Fernsehen zum
> ersten Mal gehört hast (ich nehme an, es war die Aufführung
> unter Bernius)??

Ja, aber ich war schon seit 35 Jahren (als Faustleser und
Kreisleriana-Spieler) begierig darauf. Weil es selten aufgefuehrt
wird, war ich aber auf eine Enttaeuschung vorbereitet.

> Ich wüsste nicht, wie du zu dem Urteil kommst,
> das sei total am Faust vorbei.

ich habe nicht alles gesehen. Ich hatte Interessanteres zu hoeren
(Scelsi, Lachenmann, Schnittke, Nono, Holliger...). Nach 3/4
Stunde stellte ich um. Spaeter wieder ein.

> Ich habe mich noch gestern
> abend, angeregt hiervon und von einer Bemerkung weiter unten,
> mit zwei Szenen aus dem Stück hingesetzt (Gartenszene (I 1) und
> Lemurenszene (II 3). Ich fand nichts, was an Faust vorbei sei.

'Der Teufel in der Gartenlaube'.

> Man muss allerdings bedenken, daß das Stück nicht den Anspruch
> stellt, Goethes Faust in seiner GAnzheit zu zeigen, es geht um

der Teufel tritt trotzdem auf. Und Faust ist trotzdem Faust.
Wenn ich da an sie Sonate op 14 mit Horowitz denke, erwarte ich
etwas anderes zum Faust vom genialen, faustischen Schumann.

> > Schumann sollte - wenn schon - verdeutlichend aufgefuehrt
> > werden,
> > weil seine Musik haeufig neutral (boeser gesagt: unpassend)
> > ist.
>
> Ich denke, Dir war klar, daß dies nicht so stehen gelassen
> werden kann. Was heißt denn "unpassend" bzw. "neutral"? Da sie
> sich einer aussage oder einer dramatischen Situation ("szenen
> aus Goethes Faust", "Genoveva"....) entzieht? Da braucht es
> nicht viel, um das zu widerlegen - eine solche Aussage scheint
> eher auf einer höchst ungenauen Kenntnis vieler Stücke von
> Schumann zu basieren. Den Verdacht werde ich auch hier nicht
> los.

Sie beruht auf gruendlicher Kenntnis aller Klavierwerke, da weiss
man, dass Schumann viel Schwaecheres gemacht hat als jeder grosse
Komponist. Wobei ich nicht meine, dass der Faust besonders
schlecht sei, aber auch nicht gut. Vielleicht 'wollte' er Goethe
gefallen, der den Erlkoenig ja nicht akzeptierte. Musik auf
Zelter-Niveau sozusagen. (das war nur ein Witz, der Arme *konnte*
nicht mehr.)

>
> [Mozart-Inszenierungen]
>
> > > Wieso?
> >
> > Auf Musik muss man sich konzentrieren, da ist jede Ablenkung
> > schlecht. Unkonventionelle Dekoration IST Ablenkung.
>
> Zwingend?

Fuer Uebermenschen als Zuseher und -Hoerer nicht. Aber solche
habe ich noch in keiner Theater-Pause angetroffen. Man diskutiert
ueber das Unwesentlichste, die Dekoration, wenn ueberhaupt ueber
das Gesehene.

>
> > Zudem
> > gehoeren zu Koenigen entsprechende Anzuege, keine heutigen.
>
> Wer sind denn die "könige" von heute?

Siehste, da liegt das Problem, das wollen wir dem Mozart doch
nicht aufhalsen.

>
> > Ich
> > sah einmal Shakespeares "Caesar" in Business-Anzuegen. Fehlte
> > nur
> > noch das Handy!
>
> Kann ich ejtzt schlecht beurteilen. Aber: Warum eigentlich
> nicht??

Es geht nicht um Business, sondern um Macht, diese zeigt das alte
Rom bzw. Shakespeare unvermischter.

>
> > Da kann ich nicht mitreden, ich kann in keiner Haltung
> > singen.
>
> Du glaubst aber ofensichtlich beurteilen zu können, welche Pose
> zum Singen ungeeignet ist....

Nein, aber es gibt Regisseure, die meinen, das besser zu wissen
als die Saenger.

>
> [zu guter letzt: Harnoncourt]
[...]


> Was verstehst du da jetzt unter Willkuer? Nur ehe ich dich
> missverstehe....

Willkuerlich Auslegung von kargem Notentext, statt in alten
Texten nachzulesen, was man damals damit meinte. (Wie gesagt, das
ist keine Behauptung, nur ein Zweifel, der sich nach Peters
Beitrag bei mir regt).

Gruss

Walter

Claus

unread,
Oct 8, 1999, 3:00:00 AM10/8/99
to
Lieber Walter,

> > Also nochmals: Entschuldige, ich suche noch nach der Zeit, um
> > eine Lösung zu finden und Abhilfe zu schaffen.
>

> der Schuss ging nach hinten :-)

Wieso. Um so besser, wenn das Abhilfe schafft. Ich bin ja dankbar für
soclhe Tips.

> > Darf ich davon ausgehen, daß du das Stück am Fernsehen zum
> > ersten Mal gehört hast (ich nehme an, es war die Aufführung
> > unter Bernius)??
>

> Ja, aber ich war schon seit 35 Jahren (als Faustleser und
> Kreisleriana-Spieler) begierig darauf. Weil es selten aufgefuehrt
> wird, war ich aber auf eine Enttaeuschung vorbereitet.

Was hat das eine (selten aufgeführt) denn mit dem anderen
(Enttäuschung vorbereitet) zu tun? Bach wurde auch lange nicht
aufgeführt - hat er uns enttäuscht??

> ich habe nicht alles gesehen.

Schade. Wo du so begierig darauf warst.

> > Ich habe mich noch gestern
> > abend, angeregt hiervon und von einer Bemerkung weiter unten,
> > mit zwei Szenen aus dem Stück hingesetzt (Gartenszene (I 1) und
> > Lemurenszene (II 3). Ich fand nichts, was an Faust vorbei sei.
>

> 'Der Teufel in der Gartenlaube'.

????

> > Man muss allerdings bedenken, daß das Stück nicht den Anspruch
> > stellt, Goethes Faust in seiner GAnzheit zu zeigen, es geht um
>

> der Teufel tritt trotzdem auf. Und Faust ist trotzdem Faust.

Ja. Und?

> Wenn ich da an sie Sonate op 14 mit Horowitz denke, erwarte ich
> etwas anderes zum Faust vom genialen, faustischen Schumann.

Mir ist das Ganze faustisch genug. Schon in der Ouvertüre. Und das der
Teufel vielleicht nicht gleich mit allem dämonischen Pomp daherkommt,
ist ja auch nicht das schlimmste. Immerhin gibt es einen höchst
dämonischen auftritt (als böser Geist, zumindest ist es derselbs
Sänger) in der Domszene.

> > Ich denke, Dir war klar, daß dies nicht so stehen gelassen
> > werden kann. Was heißt denn "unpassend" bzw. "neutral"? Da sie
> > sich einer aussage oder einer dramatischen Situation ("szenen
> > aus Goethes Faust", "Genoveva"....) entzieht? Da braucht es
> > nicht viel, um das zu widerlegen - eine solche Aussage scheint
> > eher auf einer höchst ungenauen Kenntnis vieler Stücke von
> > Schumann zu basieren. Den Verdacht werde ich auch hier nicht
> > los.
>

> Sie beruht auf gruendlicher Kenntnis aller Klavierwerke, da weiss
> man, dass Schumann viel Schwaecheres gemacht hat als jeder grosse
> Komponist.

Mag sein. Kann ich nicht kommentieren, weil ich da vielleicht wirklich
nur dei Highlights kenne.

> Wobei ich nicht meine, dass der Faust besonders
> schlecht sei, aber auch nicht gut.

Oh doch. Im Ganzen.

> Vielleicht 'wollte' er Goethe
> gefallen, der den Erlkoenig ja nicht akzeptierte.

Der erlkönig war aber nicht von schumann, oder? Und die szenen haben
einige genauso deftige Sachen drin - Goethe dürfte das Stück auch
nicht gefallen haben. Nicht wirklich.

> > [Mozart-Inszenierungen]


> >
> > Zwingend?
>
> Fuer Uebermenschen als Zuseher und -Hoerer nicht.

*************

?? wie meins du den Übermensch da??

> Aber solche
> habe ich noch in keiner Theater-Pause angetroffen. Man diskutiert
> ueber das Unwesentlichste, die Dekoration, wenn ueberhaupt ueber
> das Gesehene.

Da stehe ich denn mittlerweile doch auf dem Standpunkt, daß das alles
zwar eine Rolle spielt, aber beiweitem nicht immer eine wesentliche.

> > > Zudem
> > > gehoeren zu Koenigen entsprechende Anzuege, keine heutigen.
> >
> > Wer sind denn die "könige" von heute?
>

> Siehste, da liegt das Problem, das wollen wir dem Mozart doch
> nicht aufhalsen.

Warum eigentlich nicht? Wir machen doch "mozart für heute", oder??



> > > Da kann ich nicht mitreden, ich kann in keiner Haltung
> > > singen.
> >
> > Du glaubst aber ofensichtlich beurteilen zu können, welche Pose
> > zum Singen ungeeignet ist....
>

> Nein, aber es gibt Regisseure, die meinen, das besser zu wissen
> als die Saenger.

Du kennst sicherlich viele Regisseure ;-)) Lass dir gesagt sein:
Natürlich gibt es solche. Die kümmern sich nicht drum, weil sie's
nicht wissen. Nicht, weil sie glauben, sie wüssten es besser. Es gibt
aber auch viele andere, dei wissen , wie man das macht - und stellen
sich auf den Sänger ein. Erstaunlicherweise sind gerade die oft die,
von denen ein Großtei im Publikum hinterher behauptet, sie muteten den
Sängern unmögliche Posen zu.

> > [zu guter letzt: Harnoncourt]
> [...]

> > Was verstehst du da jetzt unter Willkuer? Nur ehe ich dich
> > missverstehe....
>

> Willkuerlich Auslegung von kargem Notentext, statt in alten
> Texten nachzulesen, was man damals damit meinte.

Für wen den jetzt? Damlas? Oder Heute? Außerdem - ich wiederhole mich
auch hier - bin ich felsenfest davon überzeugt, daß Harnoncourt nicht
am Frühstückstisch diese Konzeption entwickelt hat - und keineswegs
willkürlich.

Gruss

Claus


Peter Brixius

unread,
Oct 8, 1999, 3:00:00 AM10/8/99
to
Lieber Claus,

einige weitere Ueberlegungen zu Zitaten aus Pahlen (Mozart: Die
Zauberfloete, Muenchen 1978)

"Nicht umsonst fuehrt /Die Zauberfloete/ die Statistik des im deutschen
Sprachraum aufgefuehrten Musiktheaters an. Sie fasziniert auch als 'The
magic flute', 'La flute enchantee', 'Il flauto magico', 'La flauta
magica' und einem Dutzend weiterer Titeluebersetzungen die Musikliebhaber
anderer Laender und Voelker, die ihrem Entstehungsort ferner liegen. Ihre
Mentalitaet - wenn man so sagen kann - muss also einen Ausdruck echten
Humanismus' zum Inhalt haben, der alle Menschen anspricht. /Die
Zauberfloete/ ist ein Kaleidoskop des menschlichen Lebens; die Gefuehle
und Situatio-//nen , die sie auf die Buehne bringt und in unsterbliche
Musik taucht, sind keinem Sterblichen fremd. Sie 'geht uns alle zutiefst
an' (Alfred Rosenberg, Symbolforscher)." (a.a.O. S. 132 f.)

An diesem Zitat wird schon einmal deutlich, was mir Probleme bei der
Lektuere von Pahlen verschafft: ein Cliche reiht sich an das andere,
Begriffe sind unscharf, entsprechend Zuordnungen undeutlich.

Was immer die Statistik der Opernhaeuser im deutschen Sprachraum
anfuehren mag, meines Wissens ist das nicht gerade Mozarts Zauberfloete,
sondern eher Puccinis Tosca oder Verdis La Traviata, es sagt weniger
ueber den Gehalt eines Stueckes aus, eher schon etwas ueber den Geschmack
des Publikums, meist aber nur ueber die Kalkulationen und Spekulationen
der Opernhaeuser. Auf welchen Zeitraum sich da Pahlen bezieht, weiss ich
nicht, nur duerfte es fuer die letzten 30 Jahre eher zweifelhaft sein,
dass gerade "Die Zauberfloete" die Statistiken anfuehrt.

Wenn ich die zitierten Uebersetzungen aufliste, habe ich den anglo-
amerikanischen, den franzoesischen, den italienischen und spanischen
Kulturraum - also den durch Geschichte und Tradition eng verbundenen
europaeischen mit seinen ueberseeischen Ausweitungen - auch das sagt
ueber die Geltung des Werkes wenig. Da wuesste ich gern mehr ueber die
Auffuehrungen in der Volksrepublik China, im Iran oder im Irak, also bin
anderen Laendern und bei anderen Voelkern, "die ihrem Entstehungsort
ferner liegen". Die Beweise fuer kulturueberschreitende,
voelkerverbindende Musik (nicht fuer ihren imperialistischen Oktroi)
fallen schwer, denn "die Gefuehle und Situationen," die Die Zauberfloete
auf die Buehne bringt, sind sehr wohl einigen Sterblichen fremd - und ob
die Musik unsterblich ist, bezweifele ich eher, mit den Sterblichen wird
sie wohl auch vergehen.

Dass ich etwas ausfuehrlicher auf diese Seifenblasen eingehe, hat den
Grund, dass man immer wieder solchen Phrasen begegnet - und diese Phrasen
meist nicht der Ausdruck angestrengten Nachdenkens sind, sondern eher
vernebeln als aufklaeren wollen. Dafuer spricht auch der Kernbegriff des
*echten* Humanismus. Wenn ich auch eine Vielzahl von Humanismen zu
zitieren weiss, die jeweils ihr Partikularinteresse als das der ganzen
Menschheit ausgeben, so macht mich das Attribut "echt" eher misstrauisch.
Ueber die Jahrzehnte wurde in dem Reich Sarastros die echte Humanitaet
angesiedelt. Ivan Nagel erinnert sich: "Wer als Kind bei fast jedem
Wunschkonzert, das einer moerderisch mordenden Wehrmacht Kraft durch
Freude gab, die 'Hallenarie' mit den Reichsbaessen Strienz, Hann, Weber
hoerte aus unheiligen Ehrenhallen - der wird die Worte
ordensmonopolisierter Schlichtheit nie//ohne Furcht und Scham mehr
vernehmen." (Nagel, Autonomie und Gnade. Muenchen Wien 1985, S. 35f.)

Diese Humanitaet ist kritisch in Der Zauberfloete, sie wird hellsichtig
befragt von dem grossartigen Textdichter und von dem genialen
Komponisten: Es ist eine geschichtlich einzigartige Stunde in der
Vorahnung der Grossen Franzoesischen Revolution - noch sind alle
Antworten moeglich, bevor die Realitaet des Tugendterrors die Worte
Sarastros blutig aufleuchten lassen.

>
(Bei dem Symbolforscher - was ist denn das? - Alfred Rosenberg, der mir
nicht bekannt ist, hoffe ich doch sehr, dass es nicht der Alfred
Rosenberg ist, der mir bekannt ist.)

Es gruesst bis auf Weiteres Peter

>
>

--
Es gibt eine wahre und eine foermliche Orthographie. (Lichtenberg)

Walter Schmid

unread,
Oct 9, 1999, 3:00:00 AM10/9/99
to
Lieber Claus

Claus schrieb:

> > Ja, aber ich war schon seit 35 Jahren (als Faustleser und
> > Kreisleriana-Spieler) begierig darauf. Weil es selten aufgefuehrt
> > wird, war ich aber auf eine Enttaeuschung vorbereitet.
>
> Was hat das eine (selten aufgeführt) denn mit dem anderen
> (Enttäuschung vorbereitet) zu tun? Bach wurde auch lange nicht
> aufgeführt - hat er uns enttäuscht??

Bis 1829 bedeutete "selten aufgefuehrt" etwas anderes. Damals
wurde nur zeitgenoessische Musik gespielt. Heute bedeutet seltene
Auffuehrung trotz grossem Namen, dass sich kein Interpret dafuer
erwaermt. Da muesste es also eher schlecht sein.

>
> > ich habe nicht alles gesehen.
>
> Schade. Wo du so begierig darauf warst.

Ich war leider nicht darauf eingestellt, ich erfuhr es erst am
Abend, da war mein Programm schon gemacht, Schumann eine
Stoerung. - Ist es besonders gut?

>
> > > Ich habe mich noch gestern
> > > abend, angeregt hiervon und von einer Bemerkung weiter unten,
> > > mit zwei Szenen aus dem Stück hingesetzt (Gartenszene (I 1) und
> > > Lemurenszene (II 3). Ich fand nichts, was an Faust vorbei sei.
> >

> > 'Der Teufel in der Gartenlaube'.
>
> ????

es klang so friedlich, nicht?

>
> > > Man muss allerdings bedenken, daß das Stück nicht den Anspruch
> > > stellt, Goethes Faust in seiner GAnzheit zu zeigen, es geht um
> >

> > der Teufel tritt trotzdem auf. Und Faust ist trotzdem Faust.
>
> Ja. Und?

Ich hoerte es nicht.

> Der erlkönig war aber nicht von schumann, oder?

aber spitze! - Uebrigens hat sich ein anderer Franz _Anton_
Schubert (Kontrabassist und Komponist, 1768-1827) beklagt, dass
man seinen Namen mit dieser "Kantate"(!) in Verbindung bringe.
Nur deshalb steht der Mann im Grove... Schaendlicher Ruhm.

> > > [Mozart-Inszenierungen]
> > >
> > > Zwingend?
> >
> > Fuer Uebermenschen als Zuseher und -Hoerer nicht.
> *************
>
> ?? wie meins du den Übermensch da??

Jemand, der trotz auffaelliger Dekoration die Musik verfolgen
kann.



>
> > Aber solche
> > habe ich noch in keiner Theater-Pause angetroffen. Man diskutiert
> > ueber das Unwesentlichste, die Dekoration, wenn ueberhaupt ueber
> > das Gesehene.
>
> Da stehe ich denn mittlerweile doch auf dem Standpunkt, daß das alles
> zwar eine Rolle spielt, aber beiweitem nicht immer eine wesentliche.

hoffentlich.

>
> > > > Zudem
> > > > gehoeren zu Koenigen entsprechende Anzuege, keine heutigen.
> > >
> > > Wer sind denn die "könige" von heute?
> >

> > Siehste, da liegt das Problem, das wollen wir dem Mozart doch
> > nicht aufhalsen.
>
> Warum eigentlich nicht? Wir machen doch "mozart für heute", oder??

Ich wuerde eher sagen: fuer die Ewigkeit. Zeitlos. "Mozart fuer
heute" wird zur Parodie. Wie soll das gehen, ohne dass die Sache
an Rockkonzerte oder Star Treck erinnert? Dann wird die
Geschichte ja noch unglaubwuerdiger. Dann leidet die Musik auch.

> > > [zu guter letzt: Harnoncourt]
> > [...]

> > > Was verstehst du da jetzt unter Willkuer? Nur ehe ich dich
> > > missverstehe....
> >

> > Willkuerlich Auslegung von kargem Notentext, statt in alten
> > Texten nachzulesen, was man damals damit meinte.
>
> Für wen den jetzt? Damlas? Oder Heute? Außerdem - ich wiederhole mich
> auch hier - bin ich felsenfest davon überzeugt, daß Harnoncourt nicht
> am Frühstückstisch diese Konzeption entwickelt hat - und keineswegs
> willkürlich.

Gewiss nicht, zumal ich sie unabhaengig von ihm fand. Sie draengt
sich dem heutigen Menschen auf. Das verkrachte Ehepaar scheint
evident. Aber es ist falsch, im Text nicht belegt und unsinnig.
Ich lebe lieber mit der Ungeschicktheit Schickaneders als mit der
Willkuer Harnoncourts.

Gruss

Walter

Dieter Göbel

unread,
Oct 9, 1999, 3:00:00 AM10/9/99
to
Walter Schmid schrieb:
>
> Lieber Claus
>
> Claus schrieb:

>
> > > Koenntest Du bitte die Zeilenbreite auf 70 Zeichen einstellen?
> [...]

> > Also nochmals: Entschuldige, ich suche noch nach der Zeit, um
> > eine Lösung zu finden und Abhilfe zu schaffen.
>
> der Schuss ging nach hinten :-)
>
> [...]

> > > Kenn' ich nicht. Ich habe gerade seinen Faust am TV gesehen:
> > > Es
> > > ist keine schlechte Musik, aber total am Faust vorbei.
> >
> > Darf ich davon ausgehen, daß du das Stück am Fernsehen zum
> > ersten Mal gehört hast (ich nehme an, es war die Aufführung
> > unter Bernius)??
>
> Ja, aber ich war schon seit 35 Jahren (als Faustleser und
> Kreisleriana-Spieler) begierig darauf. Weil es selten aufgefuehrt
> wird, war ich aber auf eine Enttaeuschung vorbereitet.
>
Hallo Walter,
meinst du die Aufführung oder das Stück an sich?
Ich habe mir jetzt Schmumanns "Szenen aus Goethes Faust" mit B.
Britten(2 CDs für 12,95 DM bei jpc - ohne Libretto, aber seinen Faust
hat hier ja wohl fast ein jeder zu Hause) zugelegt.
Ich finde einige Szenen recht eindrucksvoll, ich habe sie immer wieder
gehört. So schlecht ist dieser Schumann nun wirklich nicht. Vielleicht
liegt es auch an einer guten Interpretation, wozu B. Britten wohl
gehört(verschiedentlich empfohlen). Ich bin froh, dass ich dieses Werk
in meiner Schumann-Diskothek habe. Natürlich sind es nur Episoden, ja
Bruchstücke, aber wenn man das weiß, kann man sie durchaus genießen.
Nun bin ich natürlich absoluter Laie, ein Werturteil maße ich mir nicht
zu.
MfG Dieter

Claus Huth

unread,
Oct 11, 1999, 3:00:00 AM10/11/99
to
Lieber Walter,

jetzt komme ich auch noch dazu......

Walter Schmid schrieb:


>
> > Was hat das eine (selten aufgeführt) denn mit dem anderen
> > (Enttäuschung vorbereitet) zu tun? Bach wurde auch lange nicht
> > aufgeführt - hat er uns enttäuscht??
>
> Bis 1829 bedeutete "selten aufgefuehrt" etwas anderes.

Ich weis, da sind wir immer schon anderer Meinung gewesen. Ich bin bis
heute nicht der Meinung, daß "Selten aufgeführt" etwas über die
Qualität eines Stückes aussagt. Man denke nur an Mahler, dessen Werke
Anfang dieses Jahrhunderts sicherlich nicht zu den "Rennern" in der
Aufführungsstatistik gehörten. Heute gehören sie dazu. Und man denke
hierzulande nach wie vor an viele Komponisten aus England, oder nicht
zuletzt an eine ganze Menge Komponisten, die während des dritten
Reichs nicht aufgeführt wurden, und die bis heute nicht die
Wertschätzung erhalten haben, die sie verdienen: Schreker, Zemlinsky,
Ullmann, Haas, Krasa, Schulhoff, Krenek, Goldschmidt - die Liste lässt
sich noch ein bißchen fortsetzen. Hier sagt die Aufführungsstatistik
nichts, aber auch wirklich gar nichts über die Qualität. Und so
verhält es sich auch mit wesentlich älterem, etwa mit einem Teil von
Schumanns Schaffen. Überschattet von den "Hits" wie der "Rheinischen",
der Vierten (meistens in der späten Fassung etc liegt da eine Menge
brach - Musik, die ihre Qualitäten hat.

> Damals
> wurde nur zeitgenoessische Musik gespielt. Heute bedeutet seltene
> Auffuehrung trotz grossem Namen, dass sich kein Interpret dafuer
> erwaermt. Da muesste es also eher schlecht sein.

Hast Du Dir mal überlegt, ob dies nicht auch ein Ausdruck der
Beqeumlichkeit und fehlenden Risikofreude vieler Interpreten sein
könnte? Das hat mit Qualität nichts zu tun, ich muss nur, wenn ich
etwa die "Szenen aus Goethes Faust" auf mein Programm setze, damit
rechnen, daß nicht so viele Leute kommen wie bei einer Aufführung der
"Rheinischen". Das hat nichts mit der Qualität zu tun, sondern mit dem
Repertoiredenken des Publikums. Der erfolg ist bie Aufführung eines
Stückes wie der "Szenen" nicht so kalkulierbar.
Im übrigen setzten sich gerade in der letzten Zeit immer wieder auch
große Interpreten für dieses Stück ein - Britten wurde schon genannt -
so etwa Abbado (der für seine Schallplatteneinspielung des Stückes mit
Preisen geradezu überschüttet wurde) oder Herreweghe, jüngst eben auch
Frieder Bernius.

> Ich war leider nicht darauf eingestellt, ich erfuhr es erst am
> Abend, da war mein Programm schon gemacht, Schumann eine
> Stoerung. - Ist es besonders gut?

Es hätte sich durchaus gelohnt. Und Bernius' Aufführung war nicht von
schlechtesten Eltern.

> > > 'Der Teufel in der Gartenlaube'.
> >
> > ????
>
> es klang so friedlich, nicht?

Ist es das nicht auch?? An dieser Stelle??

> > > der Teufel tritt trotzdem auf. Und Faust ist trotzdem Faust.
> >
> > Ja. Und?
>
> Ich hoerte es nicht.

Vielleicht bist Du mit falschen erwartungen an das stück gegangen. Daß
Schumann nicht Deine, sondern seine eigene Faust-sicht in einbrachte
ist doch wohl klar.

> > > > [Mozart-Inszenierungen]


> > >
> > > Fuer Uebermenschen als Zuseher und -Hoerer nicht.
> > *************
> >
> > ?? wie meins du den Übermensch da??
>
> Jemand, der trotz auffaelliger Dekoration die Musik verfolgen
> kann.

Eine gute Dekoration ist stets so gewählt und gestaltet, daß sie nicht
von der Musik ablenkt, zumindest nur in dem Maße Aufmerksamkeit auf
sich zieht, wie es nötig ist. Da ist es egal, ob der König im Anzug
oder im antiken Umhang (was ich heute vielleicht sogar viel
ablenkender finde) auftritt.
BTW: wir haben hier in Saarbrücken gerade eine Neuinszenierung von
"Wiener Blut", da ist die Dekoration wirklich aufmerksamkeitsheischend
- nicht sehr zum schaden der Musik......

> > Warum eigentlich nicht? Wir machen doch "mozart für heute", oder??
>
> Ich wuerde eher sagen: fuer die Ewigkeit. Zeitlos.

Ach, zeitlos. Ein gerne strapaziertes Wort. In diesem Zusammenhang
aber doch fehl am Platze. Wir spielen die Oper heute, hier und jetzt.
Wo ist da ein "zeitloser" Aspekt? Nirgends. Denn das Publikum muss es
*heute* verstehen, nicht erst 2050 oder 2645. wenn es das heute nicht
rafft, dann nie. Übermorgen ist die Oma Klawuttke in der Fünften Reihe
vielleicht schon nicht mehr unter uns, auch der junge Bänker in der
Achten womöglich nicht mehr, wer weis. Zeitlos? Für die Ewigkeit?
Nein, so machen wir uns selbst lächerlich, selbst wenn die
Inszenierung auf Video aufgezeichnet wird.

> "Mozart fuer
> heute" wird zur Parodie. Wie soll das gehen, ohne dass die Sache
> an Rockkonzerte oder Star Treck erinnert?

Ich bin mir ziemlich sicher, daß unsere Welt nicht ausschließlich aus
diesen beiden Aspekten besteht. Und selbst ein vermeintlich
altbackenes Stück wie der Titus bergen noch heute brisante Theman.
*Die* müssen wir deutlich machen!

> Dann wird die
> Geschichte ja noch unglaubwuerdiger. Dann leidet die Musik auch.

Kennst du eigentlich die Mozart-Inszenierungen von Peter Sellars?
streitbar, ohne Frage. Aber: So geht#s.

> > > > [zu guter letzt: Harnoncourt]

> Gewiss nicht, zumal ich sie unabhaengig von ihm fand. Sie draengt
> sich dem heutigen Menschen auf. Das verkrachte Ehepaar scheint
> evident.

Als Analogie war es gemeint, und als solche ist es auch evident.

> Aber es ist falsch, im Text nicht belegt und unsinnig.

Er bezieht das ja auch nicht auf die Zauberflöte. Nochmal: Er erklärt
damit die Perspektivwechsel, seien es nun zwei oder drei oder mehr.

> Ich lebe lieber mit der Ungeschicktheit Schickaneders als mit der
> Willkuer Harnoncourts.

Welche Ungeschicktheit?

Gruss

Claus

Claus Huth

unread,
Oct 11, 1999, 3:00:00 AM10/11/99
to
Lieber Peter,

noch hierzu, dann gilt's der Kunst;-))

Peter Brixius schrieb:



> "Nicht umsonst fuehrt /Die Zauberfloete/ die Statistik des im deutschen
> Sprachraum aufgefuehrten Musiktheaters an. Sie fasziniert auch als 'The
> magic flute', 'La flute enchantee', 'Il flauto magico', 'La flauta
> magica' und einem Dutzend weiterer Titeluebersetzungen die Musikliebhaber
> anderer Laender und Voelker, die ihrem Entstehungsort ferner liegen.

Wie du so schön sagtest: Iran, Irak, Kuwait......

> Ihre
> Mentalitaet - wenn man so sagen kann - muss also einen Ausdruck echten
> Humanismus' zum Inhalt haben, der alle Menschen anspricht. /Die
> Zauberfloete/ ist ein Kaleidoskop des menschlichen Lebens; die Gefuehle
> und Situatio-//nen , die sie auf die Buehne bringt und in unsterbliche
> Musik taucht, sind keinem Sterblichen fremd. Sie 'geht uns alle zutiefst
> an' (Alfred Rosenberg, Symbolforscher)." (a.a.O. S. 132 f.)
>
> An diesem Zitat wird schon einmal deutlich, was mir Probleme bei der
> Lektuere von Pahlen verschafft: ein Cliche reiht sich an das andere,
> Begriffe sind unscharf, entsprechend Zuordnungen undeutlich.

Allerdings.

> Was immer die Statistik der Opernhaeuser im deutschen Sprachraum
> anfuehren mag, meines Wissens ist das nicht gerade Mozarts Zauberfloete,
> sondern eher Puccinis Tosca oder Verdis La Traviata, es sagt weniger
> ueber den Gehalt eines Stueckes aus, eher schon etwas ueber den Geschmack
> des Publikums, meist aber nur ueber die Kalkulationen und Spekulationen
> der Opernhaeuser.

Ich habe mich da mal kundig gemacht. Die Zauberflöte nimmt tatsächlich
einen spitzenplatz, wenn auch nicht "den" Spitzenplatz in den
Aufführungsstatistiken ein. An anderer Stelle habe ich mich heute ja
schon über die fragwürdige Zuordnung "Aufführungszahl" und Qualität
ausgelassen, ich denke, daß ich das hier nicht nochmal schreiben muss.
Die Zuordnung ist in meinen Augen so vorschnell wie falsch.
In diesem Zusammenhang ist eigentlich noch interessant, warum gerade
die Zauberflöte einen solchen Platz einnehmen kann, denn, so wie ich
das Stück lese, ist es beiweitem nicht so bequem und einfach wie es in
vielen Aufführungen zu sein scheint.

> Auf welchen Zeitraum sich da Pahlen bezieht, weiss ich
> nicht, nur duerfte es fuer die letzten 30 Jahre eher zweifelhaft sein,
> dass gerade "Die Zauberfloete" die Statistiken anfuehrt.

Sie beheuptet sich anscheinend tatsächlich kontinuierlich in den
oberen Rängen. Spielt aber auch keine Rolle.

> Wenn ich die zitierten Uebersetzungen aufliste, habe ich den anglo-
> amerikanischen, den franzoesischen, den italienischen und spanischen
> Kulturraum - also den durch Geschichte und Tradition eng verbundenen
> europaeischen mit seinen ueberseeischen Ausweitungen - auch das sagt
> ueber die Geltung des Werkes wenig.

Natürlich.

> Da wuesste ich gern mehr ueber die

> Auffuehrungen in der Volksrepublik China, im Iran oder im Irak, also > in anderen Laendern und bei anderen Voelkern, "die ihrem > Entstehungsort


> ferner liegen". Die Beweise fuer kulturueberschreitende,
> voelkerverbindende Musik (nicht fuer ihren imperialistischen Oktroi)
> fallen schwer, denn "die Gefuehle und Situationen," die Die Zauberfloete
> auf die Buehne bringt, sind sehr wohl einigen Sterblichen fremd - und ob
> die Musik unsterblich ist, bezweifele ich eher, mit den Sterblichen wird
> sie wohl auch vergehen.

Das sehe ich auch so. Da ist auch so ein aspekt à la "ein Stück für
die Ewigkeit", sowas lese ich nie gerne.

> Dass ich etwas ausfuehrlicher auf diese Seifenblasen eingehe, hat den
> Grund, dass man immer wieder solchen Phrasen begegnet - und diese Phrasen
> meist nicht der Ausdruck angestrengten Nachdenkens sind, sondern eher
> vernebeln als aufklaeren wollen.

Das soll in der Tat vorgekommen sein und vorkommen. Öfter als man
glaubt.

> Dafuer spricht auch der Kernbegriff des


> *echten* Humanismus. Wenn ich auch eine Vielzahl von Humanismen zu
> zitieren weiss, die jeweils ihr Partikularinteresse als das der ganzen
> Menschheit ausgeben, so macht mich das Attribut "echt" eher misstrauisch.

Allerdings.

> Ueber die Jahrzehnte wurde in dem Reich Sarastros die echte Humanitaet
> angesiedelt. Ivan Nagel erinnert sich: "Wer als Kind bei fast jedem
> Wunschkonzert, das einer moerderisch mordenden Wehrmacht Kraft durch
> Freude gab, die 'Hallenarie' mit den Reichsbaessen Strienz, Hann, Weber
> hoerte aus unheiligen Ehrenhallen - der wird die Worte
> ordensmonopolisierter Schlichtheit nie//ohne Furcht und Scham mehr
> vernehmen." (Nagel, Autonomie und Gnade. Muenchen Wien 1985, S. 35f.)

Das ist auch ein stück, das man grandios falsch lesen kann - und den
bereits zitierten Satz "Wem solche Lehren nicht gefalln, verdienet
nicht, ein Mensch zu sein." wird großzügig überlesen und überhört.
Oder mit einem "recht hat er" abgetan, ist ja auch bequemer so. Und
Sarastro ist, wie bereits bemerkt, nicht der reine, lichte Held, der
für einen "echten" (was auch immer das sei) Humanismus steht.....

> Diese Humanitaet ist kritisch in Der Zauberfloete, sie wird > hellsichtig
> befragt von dem grossartigen Textdichter und von dem genialen
> Komponisten:

Das sehe ich auch so.

> Es ist eine geschichtlich einzigartige Stunde in der
> Vorahnung der Grossen Franzoesischen Revolution - noch sind alle
> Antworten moeglich, bevor die Realitaet des Tugendterrors die Worte
> Sarastros blutig aufleuchten lassen.

Traurig, aber wahr.

> (Bei dem Symbolforscher - was ist denn das?

;-))

> - Alfred Rosenberg, der mir
> nicht bekannt ist, hoffe ich doch sehr, dass es nicht der Alfred
> Rosenberg ist, der mir bekannt ist.)

Ich hoffe mit dir.

Einen fröhlichen Montag weiterhin wünscht

Claus

Walter Schmid

unread,
Oct 12, 1999, 3:00:00 AM10/12/99
to
Hallo Dieter

Dieter Göbel schrieb:

> Hallo Walter,


> meinst du die Aufführung oder das Stück an sich?

so weit bin ich gar nicht vorgedrungen ;-)
Ich war auf die Sendung nicht vorbereitet, also ium Stress, und
die Empfangsqualitaet des Tons war schlecht. Ich weiss nur, dass
Schummanns Werke nicht alle gut sind. Ich dachte, dies gehoert zu
den weniger guten. Wirklich gute Musik hoere ich auch ab
Schellackplatten. Mehr kann ich nicht sagen. Wenn es Dir
gefaellt: um so besser! Oder bist Du der Meinung, es gehoere zu
den besten Werken Schumanns? Wie die wunderbaren Liedzyklen op.
39 und 48? Meine Liste der Klavierwerke wuerde zu lang!

Gruss

Walter

Walter Schmid

unread,
Oct 12, 1999, 3:00:00 AM10/12/99
to
Lieber Claus

Claus Huth schrieb:

> > Bis 1829 bedeutete "selten aufgefuehrt" etwas anderes.
>
> Ich weis, da sind wir immer schon anderer Meinung gewesen. Ich bin bis
> heute nicht der Meinung, daß "Selten aufgeführt" etwas über die
> Qualität eines Stückes aussagt. Man denke nur an Mahler, dessen Werke
> Anfang dieses Jahrhunderts sicherlich nicht zu den "Rennern" in der
> Aufführungsstatistik gehörten. Heute gehören sie dazu.

Das war rein technisch sehr schwierig.

> Und man denke
> hierzulande nach wie vor an viele Komponisten aus England, oder nicht
> zuletzt an eine ganze Menge Komponisten, die während des dritten
> Reichs nicht aufgeführt wurden, und die bis heute nicht die
> Wertschätzung erhalten haben, die sie verdienen: Schreker, Zemlinsky,
> Ullmann, Haas, Krasa, Schulhoff, Krenek, Goldschmidt - die Liste lässt
> sich noch ein bißchen fortsetzen. Hier sagt die Aufführungsstatistik
> nichts, aber auch wirklich gar nichts über die Qualität.

einverstanden. Heute ist die Situation der Menge wegen
unuebersichtlich. Aber der Schumann von 1845 ist fast
konkurrenzlos - er ist der groesste deutsche Vokalkomponist
ueberhaupt. Der wurde nicht vergessen.

> Und so
> verhält es sich auch mit wesentlich älterem, etwa mit einem Teil von
> Schumanns Schaffen. Überschattet von den "Hits" wie der "Rheinischen",
> der Vierten (meistens in der späten Fassung etc liegt da eine Menge
> brach - Musik, die ihre Qualitäten hat.

Warum spielt man nicht einmal Ausschnitte?

>
> > Damals
> > wurde nur zeitgenoessische Musik gespielt. Heute bedeutet seltene
> > Auffuehrung trotz grossem Namen, dass sich kein Interpret dafuer
> > erwaermt. Da muesste es also eher schlecht sein.
>
> Hast Du Dir mal überlegt, ob dies nicht auch ein Ausdruck der
> Beqeumlichkeit und fehlenden Risikofreude vieler Interpreten sein
> könnte? Das hat mit Qualität nichts zu tun, ich muss nur, wenn ich
> etwa die "Szenen aus Goethes Faust" auf mein Programm setze, damit
> rechnen, daß nicht so viele Leute kommen wie bei einer Aufführung der
> "Rheinischen". Das hat nichts mit der Qualität zu tun, sondern mit dem
> Repertoiredenken des Publikums. Der erfolg ist bie Aufführung eines
> Stückes wie der "Szenen" nicht so kalkulierbar.

Pollini hatte mit der ziemlich unbekannten Sonate op. 14 grossen
Erfolg. Die ist unbekannt, weil sie sehr schwer zu spielen ist.
Gilt das fuer den Faust auch?

> Im übrigen setzten sich gerade in der letzten Zeit immer wieder auch
> große Interpreten für dieses Stück ein - Britten wurde schon genannt -
> so etwa Abbado (der für seine Schallplatteneinspielung des Stückes mit
> Preisen geradezu überschüttet wurde) oder Herreweghe, jüngst eben auch
> Frieder Bernius.

dann muss ich wohl doch eine kaufen!

> > > > 'Der Teufel in der Gartenlaube'.
> > >
> > > ????
> >
> > es klang so friedlich, nicht?
>
> Ist es das nicht auch?? An dieser Stelle??

aber eine Andeutung waere noetig gewesen.

> > > > > [Mozart-Inszenierungen]
> > > >
> > > > Fuer Uebermenschen als Zuseher und -Hoerer nicht.
> > > *************
> > >
> > > ?? wie meins du den Übermensch da??
> >
> > Jemand, der trotz auffaelliger Dekoration die Musik verfolgen
> > kann.
>
> Eine gute Dekoration ist stets so gewählt und gestaltet, daß sie nicht
> von der Musik ablenkt, zumindest nur in dem Maße Aufmerksamkeit auf
> sich zieht, wie es nötig ist. Da ist es egal, ob der König im Anzug
> oder im antiken Umhang (was ich heute vielleicht sogar viel
> ablenkender finde) auftritt.
> BTW: wir haben hier in Saarbrücken gerade eine Neuinszenierung von
> "Wiener Blut", da ist die Dekoration wirklich aufmerksamkeitsheischend
> - nicht sehr zum schaden der Musik......

bei dieser aufdringlichen Musik ist das etwas anderes.

>
> > > Warum eigentlich nicht? Wir machen doch "mozart für heute", oder??
> >
> > Ich wuerde eher sagen: fuer die Ewigkeit. Zeitlos.
>
> Ach, zeitlos. Ein gerne strapaziertes Wort. In diesem Zusammenhang
> aber doch fehl am Platze. Wir spielen die Oper heute, hier und jetzt.
> Wo ist da ein "zeitloser" Aspekt? Nirgends.

Auch wenn es der Literaturgattung nach kein Maerchen ist: der
Stimmung nach ist es doch eines. Und es ist auch eine Oper fuer
Kinder. Sollen deren Erwartungen enttäuscht werden? Wenn man
Trickfilme imitiert, hat Mozart doch keine Chance bei den Kids.



> Denn das Publikum muss es
> *heute* verstehen, nicht erst 2050 oder 2645. wenn es das heute nicht
> rafft, dann nie.

Muss das Publikum alles verstehen? Ist nicht gerade das Geheimnis
ein Essential jeder Kunst? Ich duerfte ja nie mehr Webern hoeren.

> Übermorgen ist die Oma Klawuttke in der Fünften Reihe
> vielleicht schon nicht mehr unter uns, auch der junge Bänker in der
> Achten womöglich nicht mehr, wer weis. Zeitlos? Für die Ewigkeit?
> Nein, so machen wir uns selbst lächerlich, selbst wenn die
> Inszenierung auf Video aufgezeichnet wird.

Warum nimmt man dann immer wieder zeitlose Figuren, wie die
Antigone, den Odysseus etc.?

>
> > "Mozart fuer
> > heute" wird zur Parodie. Wie soll das gehen, ohne dass die Sache
> > an Rockkonzerte oder Star Treck erinnert?
>
> Ich bin mir ziemlich sicher, daß unsere Welt nicht ausschließlich aus
> diesen beiden Aspekten besteht. Und selbst ein vermeintlich
> altbackenes Stück wie der Titus bergen noch heute brisante Theman.
> *Die* müssen wir deutlich machen!

Aber die Wichtigkeit von Geschichtskenntnissen wuerdest Du nicht
bestreiten? Eine voellige Aktualisierung ist ja bei der Oper nie
moeglich.

>
> > Dann wird die
> > Geschichte ja noch unglaubwuerdiger. Dann leidet die Musik auch.
>
> Kennst du eigentlich die Mozart-Inszenierungen von Peter Sellars?
> streitbar, ohne Frage. Aber: So geht#s.

Fuer Kenner der Musik gewiss, aber Neulinge koennen die Musik
nicht historisch einordnen. Mozarts Musik ist nun mal Ausdruck
_seiner_ Zeit, nicht unserer Zeit. Fuer uns ist das nur ein
schoener (aber unwahrer, es sei den wir waeren Adlige) Traum,
keine moegliche Wirklichkeit.

>
> > > > > [zu guter letzt: Harnoncourt]
[...]

> > Aber es ist falsch, im Text nicht belegt und unsinnig.
>
> Er bezieht das ja auch nicht auf die Zauberflöte. Nochmal: Er erklärt
> damit die Perspektivwechsel, seien es nun zwei oder drei oder mehr.

nur das? Dann nehme ich alles zurueck!

>
> > Ich lebe lieber mit der Ungeschicktheit Schickaneders als mit der
> > Willkuer Harnoncourts.
>
> Welche Ungeschicktheit?

Dass er Mozart nicht auf die Aporien aufmerksam machte, damit er
diese wenigstens in der Musik aufloesen konnte. z.B. die Koenigin
als boese darstellen durch das Orchester. Aber dann muss Pamina
auch zu Beginn boese sein...

Aber inzwischen fiel mir ein: Die Oper traegt ein Musikinstrument
im Titel, sie zeigt, dass die Musik das Unversoehnliche
versoehnt. Aber die Koenigin der Nacht bleibt am Schluss
draussen(?) - das geht auch nicht auf!

Gruss

Walter

Dieter Göbel

unread,
Oct 12, 1999, 3:00:00 AM10/12/99
to
Walter Schmid schrieb:

Hallo Walter,
gerade bei Schumann empfinde ich eine große Bannbreite von starken und
schwachen Werken. Das fängt bei den Sinfonien schon an, auch bei der
Kammermusik befinden sich nicht lauter Meisterwerke - am ehsten noch bei
den Klavierwerken.
Bei den "Szenen aus Goethes Faust" sind einige Stücke sehr anhörenswert.
Für mich war die Anschaffung für ein Schnäppchenpreis ein Risiko, aber
ich finde manches sehr packend und eindrucksvoll, ich habe es immer
wieder gehört. Ich kann dir gerne sagen, welche Teile ich meine. Es sind
aber auch ziemlich schwache Stellen dabei. Nun ja, kennen musst du das
Quasi-Oratorium nicht, wenn du nicht ein Schummann-Fan bist - aber wer
ist das schon?
MfG Dieter


Guntram Erbe

unread,
Oct 15, 1999, 3:00:00 AM10/15/99
to

Lieber Dieter Göbel!

Mit Erstaunen lese ich - Neuling in diesem Forum - die Urteile heutiger
renommierter Komponisten und Musiker über Schumann und seine "schwachen" Werke.
Dabei vermisse ich zur Gänze den Aspekt, dass R.Sch. lange genug sehr wohl
wusste, welche seiner Werke gültig waren. Dass Herausgeber jetzes Fetzelchen aus
dem Nachlass der großern Komponisten veröffentlichten und veröffentlichen und
spielen ließen und lassen, darf nicht den toten Komponisten angelastet werden.
Nun wünsche ich natürlich keinem der unbedachten Kritiker die schumannische
Syphilis an den Hals, aber es lässt sich leicht einsehen, dass die Rhetorik der
Kritiker unter syphilitischen Zuständen auch in Stereotypen enden würde.
Nun wage ich noch zu behaupten, dass so manche kompositorische Tat der Kritiker
kaum die handwerkliche Kunst der "schwachen" Schumannwerke aufzuweisen hat.
Gerne ernte ich Widerspruch.

Guntram Erbe

--
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Claus Huth

unread,
Oct 15, 1999, 3:00:00 AM10/15/99
to
Lieber Walter,

Walter Schmid schrieb:
>

> > Man denke nur an Mahler, dessen Werke
> > Anfang dieses Jahrhunderts sicherlich nicht zu den "Rennern" in der
> > Aufführungsstatistik gehörten. Heute gehören sie dazu.
>
> Das war rein technisch sehr schwierig.

Das war wohl nicht der einzige Grund. Es gab ja Aufführungen, auch
solche, mit denen Mahler trotz der technischen schwierigkeiten
offenkundig höchst zufrieden war. Kann man in seinen Briefen
nachlesen.

> > Und so
> > verhält es sich auch mit wesentlich älterem, etwa mit einem Teil von
> > Schumanns Schaffen. Überschattet von den "Hits" wie der "Rheinischen",
> > der Vierten (meistens in der späten Fassung etc liegt da eine Menge
> > brach - Musik, die ihre Qualitäten hat.
>
> Warum spielt man nicht einmal Ausschnitte?

Woraus?? Ich erinnere mich, daß Abbado mal eines dieser
medienwirksamen Silvesterkonzerte aus Berlin mit dem Schumannschen
Klavierkonzert und Ausschnitten eben aus "Genoveva" und den "Szenen
aus Goethes Faust" bestritten hat.

> Pollini hatte mit der ziemlich unbekannten Sonate op. 14 grossen
> Erfolg. Die ist unbekannt, weil sie sehr schwer zu spielen ist.
> Gilt das fuer den Faust auch?

Ich weis nicht, wie schwer der zu spielen ist. Aber die Besetzung ist
recht umfangreich.

> > Im übrigen setzten sich gerade in der letzten Zeit immer wieder auch
> > große Interpreten für dieses Stück ein - Britten wurde schon genannt -
> > so etwa Abbado (der für seine Schallplatteneinspielung des Stückes mit
> > Preisen geradezu überschüttet wurde) oder Herreweghe, jüngst eben auch
> > Frieder Bernius.
>
> dann muss ich wohl doch eine kaufen!

Darf ich zur Herreweghe-Aufnahme raten. Britten ist allerdings
günstiger und auch nicht schlecht....

> > > es klang so friedlich, nicht?
> >
> > Ist es das nicht auch?? An dieser Stelle??
>
> aber eine Andeutung waere noetig gewesen.

Warum??

[Mozart-Inszenierungen]


> > > > >
> > Ach, zeitlos. Ein gerne strapaziertes Wort. In diesem Zusammenhang
> > aber doch fehl am Platze. Wir spielen die Oper heute, hier und jetzt.
> > Wo ist da ein "zeitloser" Aspekt? Nirgends.
>
> Auch wenn es der Literaturgattung nach kein Maerchen ist: der
> Stimmung nach ist es doch eines.

Was?? Die Oper??

> Und es ist auch eine Oper fuer
> Kinder.

welche??

> > Denn das Publikum muss es
> > *heute* verstehen, nicht erst 2050 oder 2645. wenn es das heute nicht
> > rafft, dann nie.
>
> Muss das Publikum alles verstehen?

Es muss doch zumindest eine Ahnung haben, warum etwas heute noch
gespielt wird. Oder?

> Warum nimmt man dann immer wieder zeitlose Figuren, wie die
> Antigone, den Odysseus etc.?

Zwischen "zeitlosen" Figuren und zeitlosen Inszenierungen gibt es doch
einen Unterschied. Denke ich.

> > Ich bin mir ziemlich sicher, daß unsere Welt nicht ausschließlich aus
> > diesen beiden Aspekten besteht. Und selbst ein vermeintlich
> > altbackenes Stück wie der Titus bergen noch heute brisante Theman.
> > *Die* müssen wir deutlich machen!
>
> Aber die Wichtigkeit von Geschichtskenntnissen wuerdest Du nicht
> bestreiten?

Nein.

> Eine voellige Aktualisierung ist ja bei der Oper nie
> moeglich.

sicher nicht. Verlangt auch keiner.

> > Kennst du eigentlich die Mozart-Inszenierungen von Peter Sellars?
> > streitbar, ohne Frage. Aber: So geht#s.
>
> Fuer Kenner der Musik gewiss, aber Neulinge koennen die Musik
> nicht historisch einordnen.

Immrhin wird sie ihnen nahegebracht. das ist schon was.

[zu guter letzt: Harnoncourt]
> [...]

> > Er bezieht das ja auch nicht auf die Zauberflöte. Nochmal: Er erklärt
> > damit die Perspektivwechsel, seien es nun zwei oder drei oder mehr.
>
> nur das? Dann nehme ich alles zurueck!

Natürlich.

> Aber inzwischen fiel mir ein: Die Oper traegt ein Musikinstrument
> im Titel, sie zeigt, dass die Musik das Unversoehnliche
> versoehnt.

Tut sie das? Da sind wir ja schon wieder bei den guten Wirkungen von
Musik :-)))

> Aber die Koenigin der Nacht bleibt am Schluss
> draussen(?) - das geht auch nicht auf!

Muss ja auch nicht so sein.

Gruss

Claus


Claus Huth

unread,
Oct 18, 1999, 3:00:00 AM10/18/99
to
Lieber Dieter,

ich komme wirklich nur so langsam zum nacharbeiten :-(((

Dieter Göbel schrieb:
>
> Hallo Walter,

> gerade bei Schumann empfinde ich eine große Bannbreite von starken und
> schwachen Werken. Das fängt bei den Sinfonien schon an, auch bei der
> Kammermusik befinden sich nicht lauter Meisterwerke - am ehsten noch bei
> den Klavierwerken.

Ich denke, das "Problem" bei Schumann hat Gideon Kremer mal recht
treffend formuliert, und zwar in einem Interview zu seiner Aufnahme
des Violinkonzerts mit Harnoncourt. Die habe ich leider dauerentliehen
(allerdings wegen des Klavierkonzerts mit der Argerich), deshlab
sinngemäß und ohne Anspruch auf völlige Richtigkeit aus dem
Gedächtnis. Schumann habe, so Kremer, quasi die Idee in Reinfom zu
Papier gehabt, so daß seine Musik - bildlcih gesprochen - mehr aus
Nerven als aus Fleisch zu bestehen scheint. Deshalb wirkt mancher
geniale Einfall bei oberflächlicher Betrachtung schwach, obwohl er es,
bei Lichte betrachtet, nciht ist. Er ist halt nur nicht immer schön
verpackt.
Direkt nachvollziehen kann man das etwa bei den beiden Fassungen der
d-moll-Sinfonie: Die Fassung von 1841 ist wesntlich drahitger,
nerviger, als die "revidierte", eher ausgearbeitete FAssung von 1851.
Beide haben allerdings so ihre Meriten......


> Bei den "Szenen aus Goethes Faust" sind einige Stücke sehr anhörenswert.
> Für mich war die Anschaffung für ein Schnäppchenpreis ein Risiko, aber
> ich finde manches sehr packend und eindrucksvoll, ich habe es immer
> wieder gehört. Ich kann dir gerne sagen, welche Teile ich meine.

Gerne....

> Es sind
> aber auch ziemlich schwache Stellen dabei.

Nämlich??

Gruss

Claus


Dieter Göbel

unread,
Oct 19, 1999, 3:00:00 AM10/19/99
to
Claus Huth schrieb:

Hallo Claus,
dazu müsste ich aber wissen, ob du das Werk genau kennst; manche haben
offenbar nur in die ARTE-Sendung mal hineingeschaut(gehört?), die ich
nicht gesehen habe.

>
> > Es sind
> > aber auch ziemlich schwache Stellen dabei.
>
> Nämlich??
>

Das werde ich dich nochmals mehrmaligen Hören wissen lassen, wobei ich
sagen muss, dass meine Wertung laieinhaft subjektiv ist.
MfG Dieter

Walter Schmid

unread,
Oct 20, 1999, 3:00:00 AM10/20/99
to
Lieber Claus

nur ein Bisschen...

Claus Huth schrieb:
>

> [Mozart-Inszenierungen]


> > > > > >
> > > Ach, zeitlos. Ein gerne strapaziertes Wort. In diesem Zusammenhang
> > > aber doch fehl am Platze. Wir spielen die Oper heute, hier und jetzt.
> > > Wo ist da ein "zeitloser" Aspekt? Nirgends.
> >
> > Auch wenn es der Literaturgattung nach kein Maerchen ist: der
> > Stimmung nach ist es doch eines.
>

> Was?? Die Oper??

ja.

>
> > Und es ist auch eine Oper fuer
> > Kinder.
>

> welche??

die Zauberfloete.

Es ist ja (am Schluss) so klar, wer gut und wer boese ist. ;-)
Das ist doch genau das, was die Trickfilme am TV erzaehlen. Nur
sind dort die Mystifikationen kuerzer. Aber das Unverstaendliche
gehoert gerade fuer das Kind dazu. Es ist der Normalfall, - nicht
der Verzweiflungsfall, der es fuer (un)faustische
Alleswissenwoller ist...

>
> > > Denn das Publikum muss es
> > > *heute* verstehen, nicht erst 2050 oder 2645. wenn es das heute nicht
> > > rafft, dann nie.
> >
> > Muss das Publikum alles verstehen?
>

> Es muss doch zumindest eine Ahnung haben, warum etwas heute noch
> gespielt wird. Oder?

ist das hier nur *ein* Grund? (ich versuche mal Deinen
Diskussions-Stil zu imitieren... :-)

>
> > Warum nimmt man dann immer wieder zeitlose Figuren, wie die
> > Antigone, den Odysseus etc.?
>

> Zwischen "zeitlosen" Figuren und zeitlosen Inszenierungen gibt es doch
> einen Unterschied. Denke ich.

nur sollte man diesen Unterschied nicht ueberbetonen. Der
Regisseur ist zwar ein Kuenstler, aber das ist der Geigenbauer
auch: Er hat sich einem Groesseren unterzuordnen.

Gruss

Walter


Claus Huth

unread,
Oct 21, 1999, 3:00:00 AM10/21/99
to
Lieber Dieter,

Dieter Göbel schrieb:


>
> > > ich finde manches sehr packend und eindrucksvoll, ich habe es immer
> > > wieder gehört. Ich kann dir gerne sagen, welche Teile ich meine.
> >
> > Gerne....
>
> Hallo Claus,
> dazu müsste ich aber wissen, ob du das Werk genau kennst;

Wenn du die Kenntnis der Aufnahmen von Britten, Abbado und Herreweghe
als ausreichend erachtest, denke ich, daß ich das Stück ziemlich gut
kenne.....

> manche haben
> offenbar nur in die ARTE-Sendung mal hineingeschaut(gehört?), die ich
> nicht gesehen habe.

Die habe ich auch gesehen.

> > > Es sind
> > > aber auch ziemlich schwache Stellen dabei.
> >
> > Nämlich??
> >
> Das werde ich dich nochmals mehrmaligen Hören wissen lassen, wobei ich
> sagen muss, dass meine Wertung laieinhaft subjektiv ist.

Das hast Du ja schon mhermals gesagt, macht mir auch nichts. Es
interessiert mich nur, wie das Stück bei anderen ankommt. Ich muss
eingestehen, daß ich es sehr hoch achte....

Gruss

Claus

Dieter Göbel

unread,
Oct 21, 1999, 3:00:00 AM10/21/99
to
Claus Huth schrieb:

>
> Lieber Dieter,
>
> Dieter Göbel schrieb:
> >
> > > > ich finde manches sehr packend und eindrucksvoll, ich habe es immer
> > > > wieder gehört. Ich kann dir gerne sagen, welche Teile ich meine.
> > >
> > > Gerne....
> >
> > Hallo Claus,
> > dazu müsste ich aber wissen, ob du das Werk genau kennst;
>
> Wenn du die Kenntnis der Aufnahmen von Britten, Abbado und Herreweghe
> als ausreichend erachtest, denke ich, daß ich das Stück ziemlich gut
> kenne.....

Hallo Claus,
ich habe nur Britten, der mich sehr überzeugt. Also, ich werde dir
demnächst die einzelnen Teile nennen. Du gehörst offenbar zu den
seltenen Examplaren, die das "Oratorium" oder "Kantate" ernst nehmen,
das meistens sehr stiefmütterlich behandelt wird;-).

>
> > manche haben
> > offenbar nur in die ARTE-Sendung mal hineingeschaut(gehört?), die ich
> > nicht gesehen habe.
>
> Die habe ich auch gesehen.
>
> > > > Es sind
> > > > aber auch ziemlich schwache Stellen dabei.
> > >
> > > Nämlich??
> > >
> > Das werde ich dich nochmals mehrmaligen Hören wissen lassen, wobei ich
> > sagen muss, dass meine Wertung laieinhaft subjektiv ist.
>
> Das hast Du ja schon mhermals gesagt, macht mir auch nichts. Es
> interessiert mich nur, wie das Stück bei anderen ankommt. Ich muss
> eingestehen, daß ich es sehr hoch achte....

Deine Meinung ist für mich sehr wichtig, ich kenne zwar Noten und
Partituren, habe diese aber von Schumanns "Szenen aus Goethes Faust"
nicht zur Hand. Ich muss sagen, du hast mich dazu angeregt, das Werk
immer wieder noch intensiver (mit Goethes Text zur Hand-muss ich mir aus
meiner Faust-Ausgabe zusammensuchen)anzuhören. Und es gewinnt bei mir
immer mehr.
Demnächst mehr;-)
MfG Dieter


Claus Huth

unread,
Oct 23, 1999, 3:00:00 AM10/23/99
to
Lieber Walter,

Walter Schmid schrieb:
>
> nur ein Bisschen...

aus Zeitgründen ebenso....

> > [Mozart-Inszenierungen]


> > >
> > > Auch wenn es der Literaturgattung nach kein Maerchen ist: der
> > > Stimmung nach ist es doch eines.
> >

> > Was?? Die Oper??
>
> ja.

Ich sehe im Fidelio jetzt keine Märchenstimmung. In der Zauberflöte
fällt mir das etwas leichter, sowas zu finden, im Figaro sehe ich
wieder nichts märchenhaftes. Also? Meintest Du eine bestimmte Oper??

> > > Und es ist auch eine Oper fuer
> > > Kinder.
>

> die Zauberfloete.
>
> Es ist ja (am Schluss) so klar, wer gut und wer boese ist. ;-)

Na, na! Klar??

> > > Muss das Publikum alles verstehen?
> >

> > Es muss doch zumindest eine Ahnung haben, warum etwas heute noch
> > gespielt wird. Oder?
>
> ist das hier nur *ein* Grund?

Natürlich ist das nur ein Grund, warum man Mozart heute so inszeniert,
wie man ihn inszeniert. Aber es ist wohl ein ausschlaggebender Grund.

> > Zwischen "zeitlosen" Figuren und zeitlosen Inszenierungen gibt es doch
> > einen Unterschied. Denke ich.
>
> nur sollte man diesen Unterschied nicht ueberbetonen.

Moment! Der Unterschied ist absolut entscheidend. Die Figur mag
zeitlos sein, die Inszenierung kann es gar nicht. Wie auch? Egal, in
welcher Epoche und in welchem Milieu ich etwas anlege, es ist immer
ein Zeitbezug da, und die Inszenierung entspringt auch immer der Sicht
und dem Verständnis einer Zeit. Insofern kann man die beiden Aspekte
auch nicht gegeneinander ausspielen, indem man einen über- oder
unterbetont.

> Der
> Regisseur ist zwar ein Kuenstler, aber das ist der Geigenbauer
> auch: Er hat sich einem Groesseren unterzuordnen.

Ein ewiger Streitpunkt hier, wie Du weißt. Sollen wir das wirklich
wieder aufwärmen??

Gruss

Claus

Hans-Hagen Haertel

unread,
Oct 31, 1999, 2:00:00 AM10/31/99
to
Lieber Peter,
ehe der von dir so furios eingeleitete Thread monothematisch ausklingt,
mache ich den Versuch, ihm dadurch neuen Schwung zu geben, dass ich zu
dem von dir exponierten Thema einen Kontrapunkt setze. Allerdings ist
der Text wider Willen unziemlich lang geworden. (Offensichtlich hat sich
waehrend der langen Zeit der nur passiven Teilnahme in diesem Forum
zuviel in mir aufgestaut.) Ich habe ihn deswegen in drei Portionen
zerlegt, die ich sukzessive abschicke.

Ich gebe zu, dass deine Interpretation der Zauberfloete fuer mich viel
Charme hat. Ich vermisse aber die Anleitung, wie das von dir erzaehlte
Ende der Oper mit Schikaneders Text und mit Mozarts Musik zusammenpasst.

Peter Brixius schrieb am 2.10.99 u.a.:
> Das umjubelte Ende zeigt die
> gleichberechtigte Gemeinschaft von Frau und Mann, zeigt wie Tamino und
> Pamina eine neue Ebene erreicht haben, die sowohl die Welt der Koenigin
> der Nacht, aber auch die reine Maennergesellschaft negiert. Denn: es geht
> nicht um eine Scheidungsgeschichte, es ist eine Liebesgeschichte, die mit
> der Vereinigung der beiden Liebenden endet, nicht die Parteien bestimmen
> das Ende der Oper, sondern am Ende der Oper wird die Parteiung
> aufgehoben.

Wie laesst aber Schikaneder die Oper enden? Zunaechst erweckt er den
Eindruck, als strebe die Story mit der gluecklichen Vereinigung der
beiden jungen Paare, Tamino und Pamina sowie Papageno und Papagena,
ihrem Happy End entgegen. Doch dann ficht das dritte, verfeindete, Paar
seinen Kampf um die Vorherrschaft bis zu seinem unversoehnlichen Ende
aus. Die Koenigin wird mit ihrem (weiblichen) Gefolge und dem Mohren
nicht lediglich "ver"nichtet, sondern regelrecht "zer"nichtet. Ihr
Untergang und der anschliessende Triumph Sarastros zeigen eben nicht
Aufhebung, sondern Fortdauer der Parteiung.

>Was der Naturmensch vormacht,

?? Meinst du Papageno? In der Oper kriegt er seine Papagena doch erst
nach Taminos Vereinigung mit Pamina!

> scheint mir das Ziel der Oper:
> in der Wiedervereinigung des maennlichen und weiblichen Prinzips die
> Moeglichkeit wirklich menschlichen Lebens zu finden. Der erste Teil
> scheint mir vom weiblichen Prinzip bestimmt, der zweite vom maennlichen -
> aber die Oper ergreift nicht die Partei des einen oder des anderen - sie
> zeigt, wie wenig es menschliches Leben unter der Vorherrschaft der einen
> oder der anderen Seite geben kann, sei es das Reich der Emotion, wo
Liebe
> in Hass umschlaegt, sei es das Reich der Vernunft, die den Menschen
herbe
> Verletzungen zufuegt (Paminas Wahnsinn), eine strenge Hierarchie
> voraussetzt und eine Ideologie, die den verurteilt, der sie nicht teilt

Finde ich sehr schoen gesagt! Aber: Wenn dies das Ziel der Oper sein
sollte und wenn Saratstro tatsaechlich das Scheusal ist, als das du es
beschreibst, dann duerfte er nicht mit seinem Triumph das letzte Wort
behalten. Dann muesste er entweder zusammen mit der Koenigin der Nacht
im Orkus landen oder haette als gelaeuterter Mensch die Aussoehnung mit
Paminas Mutter zu verkuenden. In diesem Fall wuerde die Zauberfloete wie
eine opera buffa mit der Vereinigung aller Personen enden, also
einschliesslich der Koenigin, der drei Damen, der Naturmenschen und
einschliesslich des Mohren. Alle wuerden stellvertretend fuer die ganze
Menschheit gemeinsam den Chor der Versoehnung anstimmen. Schikaneder
reserviert aber das Ende der Geschichte der Elite: Sarastro mit seinen
Priestern, Tamino und Pamina sowie den drei Knaben. Und der
abschliessende Priesterchor preist nicht nur das Paar Tamino und Pamina,
sondern auch Sarastsro fuer - nein, nicht fuer ihre Liebe, sondern fuer
- ihre Staerke. Und diese Staerke strebt auch nicht nach Versoehnung
oder Menschenglueck, sondern - so lesen wir im Text - nach Schoenheit
und Weisheit.

> "Wen diese Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Mensch zu sein."

Du bist nicht der einzige, der an dieser Verszeile Anstoss nimmt und
meint, dass hier unter der Maske des Menschenfreunds das Gesicht des
Eiferers durchscheint, der jeden gnadenlos auszumerzen trachtet, der
seine Dogmen nicht anerkennt. Aber um welche Lehren geht es denn hier?
Auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt als Philister enttarnst, behaupte
ich: Die Botschaft, die Schikaneder Sarastro verkuenden laesst, mag zwar
gar altvaeterlich daherkommen, ist aber dennoch richtig. In meinen
Worten: Wer in sich nicht das Beduerfnis verspuert, auf Rache zu
verzichten und sich mit seinem Feind auszusoehnen, hat in der Tat die
Probe auf das (wahre) Menschsein nicht bestanden. Was hier gefordert
wird und etwas grossspurig als "Lehre" aufgeblasen wird, ist ethischer
Minimalststandard. Er ist Bestandteil in allen Religionen und wird - im
Binnenverhaeltnis - auch von Raeuberbanden und SS-Korps gefordert.

Irritierend ist es freilich, dass Sarastro seinen feierlichen Apell, das
Trennende zu ueberwinden, selbst dementiert. In seinen Hallen lauert
eben doch ein Verraeter, dem Vergebung versagt wird. Dies kann man als
Heuchelei brandmarken, muss es aber nicht. Man kann darin auch die
realistische Einschaetzung erblicken, daß die Hoffnung, mit der
klassenlosen Gesellschaft werde das Leiden und das Unrecht aus dieser
Welt verschwinden, eine Chimaere ist, dass es auch nach der Ueberwindung
aller sozialen Schranken keine Gesellschaft von Bruedern geben wird;
auch dann noch verbleibt die Unterscheidung in Wissende und Unwissende
und die in Gute und Boese. Blicken wir kurz einmal auf Beethoven, der
dem Traum von einer bruederlichen Welt weit staerker als Mozart Ausdruck
verliehen hat. In seinem Fidelio tritt der Minister Fernando aehnlich
feierlich wie Saratsro auf: Es sucht der Bruder seine Brueder und kann
er helfen, hilft er gern. Dann aber schliesst er den Menschenfeind
Pizarro aus dem Kreis der Brueder aus und laesst ihn abfuehren, nicht in
eine Heil- und Besserungsanstalt, sondern zum "der Rache Schwert".

Bevor wir voellig ins Philosophische abschweifen, sollten, wir uns
fragen: Wie sah Mozart Sarastros Rolle oder bescheidener: wie sehen wir
sie, wennwir Mozarts Musik hoeren? Halten wir die Hallenarie wie
Hildesheimer fuer missraten, voller unfreiwilliger Komik, oder wie Wolf
Rosenberg fuer eine lustlos komponierte Rache Mozarts an Schikaneder
oder wie Attila Csampai für einen verfremdeten Ausdruck eines, an Pamina
gerichteten, erotischen Begehrens? Bei der Beanwortung dieser Frage
ueberlasse ich gerne dir den Vortritt ;-).

In deinem Posting vom 8.10.99 schriebst du u.a.


> Ueber die Jahrzehnte wurde in dem Reich Sarastros die echte Humanitaet
> angesiedelt. Ivan Nagel erinnert sich: "Wer als Kind bei fast jedem
> Wunschkonzert, das einer moerderisch mordenden Wehrmacht Kraft durch
> Freude gab, die 'Hallenarie' mit den Reichsbaessen Strienz, Hann, Weber
> hoerte aus unheiligen Ehrenhallen - der wird die Worte

> ordensmonopolisierter Schlichtheit nie ohne Furcht und Scham mehr


> vernehmen." (Nagel, Autonomie und Gnade. Muenchen Wien 1985, S. 35f.)

Warum hat dir der Missbrauch durch die Nazis zwar die Hallenarie
verleidet, nicht dagegen die ebenfalls missbrauchten Motive oder Stuecke
Beethovens, Bruckners oder Wagners? (Diese Frage meine ich nicht
ironisch!)

> Diese Humanitaet ist kritisch in der Zauberfloete, sie wird hellsichtig


> befragt von dem grossartigen Textdichter und von dem genialen

> Komponisten: Es ist eine geschichtlich einzigartige Stunde in der


> Vorahnung der Grossen Franzoesischen Revolution -

Vorahnung? Als die Zauberfloete entstand, war die Revolution doch schon
zwei Jahre alt!



> noch sind alle Antworten moeglich, bevor die Realitaet des Tugendterrors die Worte

> Sarastros blutig aufleuchten laesst.

Der "Tugendterror" ist doch schon im Schikaneders Textbuch Realitaet.
Zur Erinnerung: Im zweiten Akt ging es um Taminos Pruefung, vor allem um
die Pruefung auf sittliche Reife. Darunter ist - so haben wir gelernt -
nicht zuletzt Selbstbeherrschung zu verstehen, der notfalls auch die
Liebe unterzuordnen ist. Somit gilt auch der Dank und der Lobpreis des
Schlusschores dem in Theorie und Praxis bestandenen Examen. (Beachte:
ich spreche die ganze Zeit nur ueber Schikaneder, noch nicht ueber
Mozart).

Ich hoffe, du siehst mir die Schonungslosigkeit nach, mit der ich deine
Aussagen mit dem Libretto konfrontiert habe; ich will dich damit
herauszufordern, uns den Code zu verraten, der uns die Zauberfloete in
deinem Sinne erschliesst. Die Konfrontation beschreibt aber auch das
Dilemma, in dem ich mich selbst befinde, seitdem ich hier deine Gedanken
zur Zauberfloete gelesen habe und mir klazumachen suche, welche
Botschaft ich aus der Zauberfloete heraushoere. Diese Oper hat zwar seit
der Jugend mein Leben begleitet, doch habe ich mich bislang tunlichst
davor gedrueckt, meine durch naiv-emotionale Hingabe gepraegte Rezeption
allzu kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. So bevorzuge ich
z.B. - um micht dem verklaerenden Zauber der Musk ungestoert aussetzen
zu koennen - in meiner Heimoper Aufnahmen, in denen der gesprochene Text
ausgelassen ist (frueher Klemperer, heute Davis).

Es kostete mich deshalb grosse Ueberwindung, meine Karriere als
aktiver Nutzer des Usernet ausgerechnet mit einem Posting ueber die
Zauberfloete zu beginnen. Um die Art meiner Skrupel verstaendlich zu
machen, erlaube ich mit, einen Exkurs einzufuegen, in dem ich meine
Sicht zu einem Punkt darzulegen, der ausgesprochen oder unausgesprochen
das Kardinaltheme dieser Netzgruppe ist, zu den Schwierigkeiten, ueber
Musikerlebnisse zu kommunizieren.

An dieser Zaesur unterbreche ich mein Posting. Bis zur Fortsetzung
gruesst dich Hans-Hagen

Claus Huth

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Hans-Hagen. lieber Peter, liebe anderen,

ohne jetzt noch auf das Posting eingehen zu können, glaube ich, daß es
nun an der Zeit ist, den Carsens-Text, den ich vor längerer Zeit schon
mal hier in der NG hatte, wiederzubringen. Immerhin ist hier ein neuer
Anlauf zum lange gehegten Wunschthread über die Zauberflöte gelegt,
und der Carsens-Text beantwortet vielleicht auch die ein oder andere
Frage.

Wie auch immer:

Ein Mysterium wird zelebriert... Gedanken zu einer Opernproduktion

Die "Zauberflöte", ein Kunstwerk, daß der Welt des Wunderbaren
angehört, baut auf dem Prinzip der Gegensätze auf: Gegensatz zwischen
Gut und Böse, Licht und Finsternis, Mann und Weib, Komödie und
Tragödie, Rede und Gesang, Feuer und Wasser, jung und alt... Doch was
immer auch im Text geschehen mag: in der Musik - und darin liegt das
Wesentliche - sind alle diese Gegensätze aufgehoben. Mozarts ureigene
Natur und seine Menschheitsliebe haben das Wunder vollbracht, aus dem
Singspiel ein konzentriertes Elixier menschlicher Daseinsbedingungen
herauszudestillieren. Wenn wir uns in jene Welt hineinversetzen, haben
wir das erregende Gefühl, wenigstens dieses eine Mal die
überwältigende Bedeutung der Wanderschaft des Lebens, eines jeden
Lebens Wanderschaft, zu begreifen. Ein Publikum, das gewillt ist,
Tamino und Pamina auf ihrer symbolischen Initiationsreise zu
begleiten, wird des Glücks teilhaftig, sieghaft mit ihnen von
Unverständnis und Zweifel zu Einsicht und Bejahung zu schreiten. Wenn
Kunst ein Ziel hat, ist es nicht eben dieses?
Wie aber kann solches im Theater Ereignis werden? Von Anfang an hatten
der Bühnenbildner Patrick Kinmonth und ich vereinbart, unsere
Produktion so anzulegen, daß sie unausweichlich zu dem führen mußte,
was am Ende der Partitur zum Ausdruck kommt: die allumfassende
Verherrlichung der Menschlichkeit. Doch viele Fragen galt es zu
beantworten, ehe überhaupt daran gedacht werden konnte, eine kohärente
Lesart des Werkes zu erarbeiten. Überdies bestand die Gefahr - und das
war uns bewußt - daß diese Produktion auf nichts als eine trockene
Collage der möglichen Antworten hinauslaufen würde. Es erschien uns
daher unerläßlich, daß unsere Produktion, indem sie das Mysterium zu
durchdringen suchte, dieses auch verherrlichte.
An dieser Stelle wäre es sinnvoll, einige der Fragen noch einmal zu
präzisieren: Wer sind Tamino und Pamina? Sind sie Jedermann und jede
Frau? Und wenn, wer sind dann Papageno und Papagena? Sind sie jeder
"andere" Mann und jede "andere" Frau? Wer sind die Priester, der
Sprecher, Sarastro? Was ist das eigentliche Anliegen dieser
Brüderschaft? Warum äußern sie so anfechtbare Ansichten zu Rasse und
Geschlecht? Wer ist die Königin der Nacht, wer sind die drei Damen,
die drei Knaben? Warum scheinen Sarastro und die Königin der Nacht
miteinander in Feindschaft zu liegen? Warum ist die Königin der Nacht
im ersten Akt die Urheberin alles Guten (das Portrait Paminas, die
Zauberflöte, das Glockenspiel, die drei Knaben), und im zweiten Akt
offenbar die Quelle alles Bösen? Was symbolisieren die Prüfungen durch
Feuer und Wasser? Ist das Verständnis der Freimaurerei wesentlich für
das Verständnis der Oper? Fragen ohne Ende...
Eine der wichtigsten Erfahrungen, die Tamino und Pamina auf ihrer
Wanderschaft machen, war unseres Erachtens die Erkenntnis, daß Dinge
und Menschen nicht unbedingt das sind, was sie scheinen. Diese
Überlegung könnte der Schlüssel zu einer möglichen Lesart der
"Zauberflöte" sein. Wenn - wie dies der Fall ist - Tamino und Pamina
begreifen lernen, daß Sarastro keineswegs ein Bösewicht ist, warum
kann dann nicht eine ähnliche Auffassung sich einstellen in Hinblick
auf die Gestalt der Königin der Nacht? Vielleicht ließe sich die
berühmte Zwiespältigkeit ihres Charakters (gut im I., böse im II. Akt)
ganz leicht aufheben, indem man dem Publikum nahelegt, daß die Königin
der Nacht und Sarastro beide ein und dasselbe Ziel verfolgen: Tamino
und Pamina zu Weisheit und Erleuchtung zu führen und in den Tempel
aufzunehmen?
Deswegen sah das Publikum im II.Akt unserer Inszenierung nicht nur
Sarastro, den Sprecher und die Priester, sondern auch die Königin der
Nacht, die drei Damen, die drei Knaben und Papagena an einem langen
Tisch einträchtig beieinandersitzen. Das vereinfachende und trennende
Konzept einer Welt, in der die Menschen entweder gut (und daher
initiationswürdig) oder böse sind (in welchem Falle sie verworfen
werden müssen), machte einem versöhnlicheren, großmütigeren
Weltverständnis Platz, nach dem kraft einer allumfassenden Humanität
jedermann ein potentieller Eingeweihter ist, wenn ihm auch seine
eigenen Prüfungen auferlegt werden und er auf einer anderen Stufe der
Erkenntnis steht.
Dieser Einfall war weit mehr als ein "Theatereffekt", denn hierauf
aufbauend konnte der Sinngehalt eines großen Teils der Handlung im
II.Akt neu durchdacht werden. So gesehen scheint das Bühnengeschehen
auch weitaus mehr Prüfungen zu erhalten als nur die des Feuers und des
Wassers. Zum Beispiel ist Pamina einer Prüfung unterworfen, wenn die
Königin der Nacht ihr einflüstert, Sarastro zu erdolchen. Wird die
Tochter ihrer Mutter blindlings gehorchen, oder wird sie ihrer immer
vernehmbarer werdenden inneren Stimme folgen? In diesem Zusammenhang
ist es auch für die Königin der Nacht eine Prüfung, Zeugin sein zu
müssen vom Kummer ihrer Tochter, als sie ihr droht, sich von ihr
loszusagen. Und das Publikum ist sich vollkommen darüber in klaren,
daß die übrigen handelnden Personen das den drei Novizen auferlegte
Sprechverbot mittragen. So wird auch dieses zu einer signifikanten
Prüfung, wobei das Ergebnis weit weniger von Belang ist als die Art
und Weise, in der Tamino, Pamina und Papageno sich der Versuchung
stellen, und damit zu einem bessern Verständnis ihrer selbst gelangen.
Bei unserer Neubewertung von Schein und Sein hielten wir es für
angemessen, am Schluß, gemeinsam mit Pamina und Tamino auch Papageno
und Monostatos in den Kreis der Eingeweihten aufzunehmen. Papageno
mag, wie mancher von uns, seine Wanderschaft widerwillig angetreten
haben, doch er strebt jetzt danach, sein Lebensziel zu verwirklichen,
nämlich eine Papagena zu finden. Monostatos aber wird kraft der
höchsten und schönsten aller Tugenden aufgenommen, kraft der
Vergebung. Und als am Ende der Oper alle zusammen symbolisch gekrönt
wurden, erschien es uns gut und richtig, daß Sarastros Schlußhandlung
die Krönung des Monostatos war. An diesem Punkt des Geschehens
angelangt streiften alle Darsteller Kronen und Kostüme - d.h. ihre
rollen - ab und zeigten sich in ihrer gewöhnliche Straßenkleidung.
Sie verließen die Bühne und mischten sich unter das Publikum, um so
die große Feier der Menschlichkeit und des Lebens zu beschließen.
[...]
Aber auch durch seine ungewöhnliche Lage hat das Théatre de
l'Archevêché maßgeblich unsere Produktion beeinflußt. Es ergab sich
nämlich die seltsame Koinzidenz, daß eine Oper, die sich weitgehend
mit Priesterschaft, Tempeln und sakralen Ritualen befaßt, im Innenhof
eines erzbischöflichen Palastes und neben einer Kathedrale aufgeführt
werden sollte. In anderen Worten, wir hatten es fast mit einem
"Theater in der Kirche" zu tun. Dies war unseres Erachtens eine
treffende Metapher für die "Zauberflöte": die Welt als ein Ort der
Verehrung. Darüber hinaus schien uns die christliche Bilderwelt ganz
dazu angetan, die Mysterien der Freimaurerei gewissermaßen visuell in
eine Sprache zu übersetzten, die auch einem breiteren Publikum
vertraut ist.
Ein besonderes Vergnügen, aber auch eine der größten Herausforderungen
bei der Inszenierung der Zauberflöte stellt das Nebeneinander von
gesprochenem und gesungenem Wort dar. Will eine Aufführung oder eine
Schallplattenproduktion ihre Wirkung nicht verfehlen, so hat die
Annäherung des einen an das andere nahtlos vonstatten zu gehen,
während Spannung und Intensität des Ganzen ständig gesteigert werden
muß. Die Notwendigkeit des Singens als eine geradlinige aus dem
ursprünglichen Bedürfnis des Sprechens heraus muß in jedem Augenblick
einsichtig gemacht und gestaltet werden.. In der "Zauberflöte" kann
die Ausgewogenheit von Gedanken und Gefühl der Balance zwischen Wort
und Musik gleichgesetzt werden. Dieses Singspiel besitzt die
bemerkenswerte Eigenschaft, daß jedesmal, wenn die Personen sprechen,
wir uns der nahe bevorstehenden Möglichkeit des Singens bewußt sind,
und umgekehrt. Hier ist kein Platz für "prima la musica, dopo le
parole"; hier gilt allein das harmonische Miteinander aller
menschlichen Ausdrucksweisen.

Zitiert nach dem Beiheft zur Aufnahme der "Zauberflöte"
durch den Dirigenten William Christie (Erato), S.36 ff


Vielleicht bringt das ja was - auf andere Fragen Deines
hochinteressanten Postings, lieber Hans-Hagen, gehe ich denn auch noch
ein.

Bis dann grüßt herzlich

Claus


Claus Huth

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Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Hans-Hagen,

jetzt zu dem ein oder anderen Aspekt Deines Postings.....

Hans-Hagen Haertel schrieb:


>
> Lieber Peter,
> ehe der von dir so furios eingeleitete Thread monothematisch ausklingt,
> mache ich den Versuch, ihm dadurch neuen Schwung zu geben, dass ich zu
> dem von dir exponierten Thema einen Kontrapunkt setze.

Das finde ich ausgesporchen schön, denn der Thread war leider wirklich
viel zu früh am Einschlafen.....

> Peter Brixius schrieb am 2.10.99 u.a.:
>

> Wie laesst aber Schikaneder die Oper enden? Zunaechst erweckt er den
> Eindruck, als strebe die Story mit der gluecklichen Vereinigung der
> beiden jungen Paare, Tamino und Pamina sowie Papageno und Papagena,
> ihrem Happy End entgegen. Doch dann ficht das dritte, verfeindete, Paar
> seinen Kampf um die Vorherrschaft bis zu seinem unversoehnlichen Ende
> aus. Die Koenigin wird mit ihrem (weiblichen) Gefolge und dem Mohren
> nicht lediglich "ver"nichtet, sondern regelrecht "zer"nichtet. Ihr
> Untergang und der anschliessende Triumph Sarastros zeigen eben nicht
> Aufhebung, sondern Fortdauer der Parteiung.

In einem gewissen Sinne hast Du recht. Aber: In der ganzen Oper stehen
sich stets konträr zwei Prinzipien gegenüber. Sonne und Nacht, Licht
und Schatten, Güte und Hass, und schließlich Mann und Weib. Sarastros
Männerwelt steht die Welt der Königin der Nacht und Ihrer drei Damen
gegenüber. Schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt in der Oper,
nämlich dem Duett "Bei Männeren, welche Liebe fühlen" wird dieses
konträre Prinzip, fast als utopischer Moment, angezweifelt: "Mann und
Weib, und Weib und Mann reichen an die Gottheit an." Das Prinzip der
Parteiung wird so keine Zukunft haben.
Und jetzt kommt der Carsens ins Spiel, der meiner Meinung nach zu
Recht feststellt, daß es in dieser Oper wesentlich mehr Prüfungen
gibt, als die, die Tamino auferlegt sind. Denn beide gegensätzliche
Welten stehen doch von Anfang an in Frage. Ist es nicht eine Prüfung
auch für Sarastro, seine Zuneigung zu Pamina zurückzuhalten zugunsten
eines "höheren" Prinzips, ist es nicht eine Prüfung für Pamina, den
Rachegelüsten ihrer Mutter zu widerstehen?? Wenn man die Oper so herum
aufrollt, kann man wohl noch eine ganze Menge solcher Prüfungen sehen.
Dann sind da einige höchst seltsamen, rätselhafte Szenen im ersten
Akt: Zum Beispiel der drei Knaben Gesang "Zum Ziele führt dich diese
Bahn": zu welchem Ziele? Für wen sprechen die drei hier? Für die Nacht
oder das Licht? Was genau weis der Sprecher im anschließenden
Rezitativ? Da scheint unter der Oberfläche mehr zu liegen, als der
Text es beim Lesen vielleicht hergibt.

> > scheint mir das Ziel der Oper:
> > in der Wiedervereinigung des maennlichen und weiblichen Prinzips die
> > Moeglichkeit wirklich menschlichen Lebens zu finden. Der erste Teil
> > scheint mir vom weiblichen Prinzip bestimmt, der zweite vom maennlichen -
> > aber die Oper ergreift nicht die Partei des einen oder des anderen - sie
> > zeigt, wie wenig es menschliches Leben unter der Vorherrschaft der einen
> > oder der anderen Seite geben kann, sei es das Reich der Emotion, wo
> Liebe
> > in Hass umschlaegt, sei es das Reich der Vernunft, die den Menschen
> herbe
> > Verletzungen zufuegt (Paminas Wahnsinn), eine strenge Hierarchie
> > voraussetzt und eine Ideologie, die den verurteilt, der sie nicht teilt
>
> Finde ich sehr schoen gesagt! Aber: Wenn dies das Ziel der Oper sein
> sollte und wenn Saratstro tatsaechlich das Scheusal ist, als das du es
> beschreibst,

Ich habe wohl übersehen, wo Peter Sarastro als "Scheusal" beschriebt.
Sagte er nicht, daß die Oper weder die Partei des einen noch des
anderen Prinzips ergreife??

> dann duerfte er nicht mit seinem Triumph das letzte Wort
> behalten. Dann muesste er entweder zusammen mit der Koenigin der Nacht
> im Orkus landen oder haette als gelaeuterter Mensch die Aussoehnung mit
> Paminas Mutter zu verkuenden. In diesem Fall wuerde die Zauberfloete wie
> eine opera buffa mit der Vereinigung aller Personen enden, also
> einschliesslich der Koenigin, der drei Damen, der Naturmenschen und
> einschliesslich des Mohren. Alle wuerden stellvertretend fuer die ganze
> Menschheit gemeinsam den Chor der Versoehnung anstimmen.

Das ist richtig gedacht, und erstunlicherweise endete die Inszenierung
von Carsens sogar so. Ich finde das auch absolut nicht abwegig, auch
wenn der TExt für sich das nicht hergibt, die Musik verkündet -
offensichtlich nicht nur für meine Ohren - mehr.

> Schikaneder
> reserviert aber das Ende der Geschichte der Elite: Sarastro mit seinen
> Priestern, Tamino und Pamina sowie den drei Knaben.

Wobei diese drei Knaben eines der größten Rätsel in der Zauberflöte
sind - und mE eines der signifikantesten Merkmale für eine solche
"allumfassende" Deutung. Denn die passen sonst in kein Konzept:
Eingeführt als Diener der Königin der Nacht wechseln sie alsbald - und
mE schon vor dem zweiten Akt - scheinbar ins LAger Sarastros. Oder
stehen sie doch, wie Glockenspiel und Zauberflöte, für ein
allumfassendes Prinzip?

> Und der
> abschliessende Priesterchor preist nicht nur das Paar Tamino und Pamina,
> sondern auch Sarastsro fuer - nein, nicht fuer ihre Liebe, sondern fuer
> - ihre Staerke. Und diese Staerke strebt auch nicht nach Versoehnung
> oder Menschenglueck, sondern - so lesen wir im Text - nach Schoenheit
> und Weisheit.

"heil sei Euch geweihten" - damit ist wohl zum ersten Mal in der
Geschichte von Sarastros Priesterschaft auch eine Frau (man denke an
den Ausbruch des Sprechers in der bereites genannten Szene: "Ein Weib
tut wenig, plaudert viel!") gemeint. Das ist doch tatsächlich
revolutionär, oder??

> Irritierend ist es freilich, dass Sarastro seinen feierlichen Apell, das
> Trennende zu ueberwinden, selbst dementiert. In seinen Hallen lauert
> eben doch ein Verraeter, dem Vergebung versagt wird.

Im Text wird sie das, richtig. Aber in der Musik? Ich kann mit dem
Verräter fühlen, wenn er "Alles fühlt der Liebe Freude" singt. Es ist
eben so, daß man in der ZAuberflöte letztlich mit beiden Seiten fühlen
kann, ohne daß man sagen könnte, welche die richtigere ist. Und
Monostatos ist ja nicht ein Verräter von Anbeginn an, er wird das erst
ziemlich spät. Ich denke, daß die Musik letztlich auch ihm vergibt.

> Blicken wir kurz einmal auf Beethoven, der
> dem Traum von einer bruederlichen Welt weit staerker als Mozart Ausdruck
> verliehen hat. In seinem Fidelio tritt der Minister Fernando aehnlich
> feierlich wie Saratsro auf: Es sucht der Bruder seine Brueder und kann
> er helfen, hilft er gern. Dann aber schliesst er den Menschenfeind
> Pizarro aus dem Kreis der Brueder aus und laesst ihn abfuehren, nicht in
> eine Heil- und Besserungsanstalt, sondern zum "der Rache Schwert".

Dazu schickt in allerdings nur der Chor. aber lassen wir das, das ist
ein weites Feld.....

> Der "Tugendterror" ist doch schon im Schikaneders Textbuch Realitaet.
> Zur Erinnerung: Im zweiten Akt ging es um Taminos Pruefung, vor allem um
> die Pruefung auf sittliche Reife. Darunter ist - so haben wir gelernt -
> nicht zuletzt Selbstbeherrschung zu verstehen, der notfalls auch die
> Liebe unterzuordnen ist.

Und so wird in dieser Oper eben nicht bloß Tamino geprüft.....

> Somit gilt auch der Dank und der Lobpreis des
> Schlusschores dem in Theorie und Praxis bestandenen Examen. (Beachte:
> ich spreche die ganze Zeit nur ueber Schikaneder, noch nicht ueber
> Mozart).

Richtig. Wenn man aber Mozart dazunimmt.....

> Ich hoffe, du siehst mir die Schonungslosigkeit nach, mit der ich deine
> Aussagen mit dem Libretto konfrontiert habe; ich will dich damit
> herauszufordern, uns den Code zu verraten, der uns die Zauberfloete in
> deinem Sinne erschliesst.

Ein Parr Ansatzpunkte aus meiner sicht und zu meiner Sicht, die der
Peters recht nahesteht (denke ich) habe ich bescheiden versucht zu
geben. Mit Blick auf die Gesamtlänge habe ich allerdings auch einige
Aspekte weggelassen, ich bittew, das nachzusehen.

> So bevorzuge ich
> z.B. - um micht dem verklaerenden Zauber der Musk ungestoert aussetzen
> zu koennen - in meiner Heimoper Aufnahmen, in denen der gesprochene Text
> ausgelassen ist (frueher Klemperer, heute Davis).

Ausgerechtnet die bevorzuge ich nicht - ein Weglassen des Dialogs
verkürzt das stück mE völlig. Dialog und Musik scheinen mir gerade in
der Zauberflöte tatsächlich gleichberechtigte Partner zu sein.

> Es kostete mich deshalb grosse Ueberwindung, meine Karriere als
> aktiver Nutzer des Usernet ausgerechnet mit einem Posting ueber die
> Zauberfloete zu beginnen.

Ein sehr interessanter Start übrigens. Mein Kompliment.

Bis demnächst grüßt herzlich

Claus


Peter Brixius

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Claus, lieber Hans-Hagen,

bevor ich weiter "unten" im Thread auf die neuen "Triebe" eingehe,
moechte ich hier noch einmal am Anfang anknuepfen. Harnoncourt meinte:

> In dieses Familiendrama platzt Tamino, und da er die Geschichte aus dem
> Mund der Koenigin hoert, wird er vorerst zu ihrem gluehenden
> Parteigaenger und Gegner Sarastros.

... und da sind wir am Anfag der Oper und bei der Frage (die schon
anderswo gestellt wurde): Wer sind denn die "Helden" dieser Oper. Dass
wir keine ungebrochenen Helden mehr erleben, wie sie in Maerchen oder
mittelalterlichen Epen auftauchen moegen, sollte vorangeschickt werden.
Da muss schon so ein Fossil aus der Vergangenheit auftauchen wie Tito -
aber selbst in dessen makelloses Faltengewand zaubert Mozart Schatten. Im
modernen Sinne sind Belmonte und Tamino selbstverstaendlich Helden, i.S.
von Hauptpersonen einer Handlung. Sie sind es auch in einem anderen
Sinne, worueber ich hier bei Tamino nachdenken moechte (es gerne aber
auch fuer Belmonte nachhole).

Wenn man Csampais Essai "Das Geheimnis der Zauberfloete oder Die Folgen
der Aufklaerung" liest, so sollte der Titel der Oper mit "Pamina und
Monostratos" wohl besser gewaehlt sein, denn diesen (vorgeblich)
Unterdrueckten gilt die besondere Liebe des Autoren. Und wenn Csampai
sich dabei auf Mozart und Schikaneder beruft, so stimme ich mit ihm
ueberein, dass diese beiden befragt werden sollten, wenn ich auch glaube,
dass ihre Antworten anders ausfallen, als Csampai es meint.

Ein kurzes Wort zu Schikaneder - mehr werden wohl im Laufe des Threads
noch folgen: Mit dem Libretto zur Zauberfloete hat Schikaneder ein
Meisterwerk abgeliefert, das vom (stets kritischen) Komponisten geachtet
und durchaus im Einvernehmen komponiert wurde. Wer sich an der einen oder
anderen kruden Einzelheit aufhaelt, darf nicht vergessen, dass dies kein
Werk der literarischen Klassik mit ihrer Oekonomie ist, sondern ein
Spross des barocken Theaters, der in der volkstuemlichen Tradition wohl
gedieh und in dem Genie Raimunds und Nestroy noch eine ausserordentliche
Hoehe gewinnen sollte. Das Stueck bietet Raum fuer uebliches a parte
Sprechen, Improvisationen - vor allem natuerlich fuer Papageno, aber
durchaus auch fuer die anderen Personen dieses Stueckes. Dass die These
eines Sinneswandels (Giesecke-Hypothese, heute eher Giesecke-Legende
genannt) waehrend der Niederschrift inzwischen widerlegt ist, sollte seit
1952 bekannt sein (Rommel: Die Entstehung der Zauberfloete und die
Giesecke-Legende; Komorzynski 1901!, 1948, 1951, 1955). Goethes Wort, es
gehoere mehr Bildung dazu, den Wert dieses Opernbuches zu erkennen als
abzuleugnen, gilt erstaunlicherweise noch heute. "Nicht mit einem
pfuscherhaften, eilig zusammengestoppelten Flickwerk haben wir es in der
'Zauberfloete' zu tun, sondern mit einer Theaterdichtung, die aus zwei
vollen Herzen kam." (Rommel, 1952 in Csampai u.a., S. 178)

Nun zu Tamino. Csampai meint: "Die Koenigin haette aber auch wissen
koennen, dass Mut und Widerstandskraft nicht zu den Staerken Taminos
zaehlen. Sie musste ihn ja gleich zu Beginn der Oper, da er seinen Pfeil
zu Hause liess, vor der Schlange be-//wahren. Wie wenig gereift dieser
'javonische' Prinz in Wirklichkeit ist, sieht man daran, dass seine
eigene Projektionen auf Pamina - in deren /Bildnis/ er sich verliebt -
ihn emotional mehr beschaeftigen, als (spaeter) das reale Leid Paminas.
Der dummen Pruefungen wegen nimmt er sogar im [!] Kauf, dass Pamina sich
beinahe umbringt. Die ganze Prueferei ist ohnehin ein [!] Farce, Ritual,
Publicity Sarastros, um seinen elitaeren Machtanspruch zu rechtfertigen,
und nebenbei noch eine nuetzliche Schulung zum Kadavergehorsam." (Csampai
u.a., a.a.O S. 22f)

Wie gut wir doch unsere Gedanken auf vergangene Zeiten uebertragen
koennen :-)) Da reagiert Tamino am Beginn der Oper recht menschlich und
laesst den Glanz des Drachentoeters vermissen, da braucht es der drei
Damen mit ihrer Zaubermacht, um das Ungeheuer zu toeten, da faehrt es
Papageno, der ja mit dem Land und seinem Getier vertraut ist, in die
Beine, wenn er die tote Schlange sieht - fuer Csampai ist das Mangel an
Mut und Widerstandskraft. Ich finde es eher nachvollziehbar gezeichnet,
wenn der Prinz (ein Mensch!) Angst hat, diese Angst aber ueberwindet,
wenn es um ein emotionales Ziel geht, also bereit ist, ein gefaehrliches
Abenteuer auf sich zu nehmen, nachdem er das Bild Paminas gesehen hat.
Und waehrend der Oper waechst seine Tapferkeit und seine Widerstandskraft
- eben gerade nach der Begegnung mit Pamina - um dann auch bereit zu
sein, die Gefahr mit der Geliebten bei den letzten Pruefungen zu teilen,
sich von der Geliebten leiten zu lassen. Das wuerde dem Vorstadt-Macho
unserer Zeit wohl nicht einfallen, der vor Mut und Widerstandskraft
protzt.

Das Verlieben in ein Bild ist ein zeitgemaesses Topos - in einer
bilderarmen Zeit aber durchaus nachzuvollziehen. Dass man sich auch heute
erst einmal in eine Projektion verliebt, bevor man lernt, den Menschen zu
lieben, dass aber eben diese Projektion einem den Mut und die
Widerstandskraft gibt, den wirklichen Anderen zu erleben, braucht man
eigentlich heute nicht noch einmal zu erwaehnen, dachte ich ...

Was die "dummen" Pruefungen angeht, deren Symbolgehalt Csampai nicht
durchschaut, laesst sich am besten an dem Text eroertern, den Du, lieber
Claus, jetzt wieder in die NG gestellt hast.

Es gruesst bis dann Peter


--
Ueber nichts wird fluechtiger geurteilt, als ueber die Charaktere der
Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein
(Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Hans-Hagen,

vielen Dank fuer Deinen inhaltsreichen Beitrag, der mich auch wieder
prompt zu Beitraegen bringt :-)

Es ist immer kritisch, wenn man von einer Deutung des Schlusses gleich zu
einer Gesamtdeutung kommt, wie ich es - provoziert durch Harnoncourts
Ueberlegungen - getan habe. Ueberzeugender ist es, wenn man erst einmal
die Konstituenten dieses Schlusses genauer ansieht, d.h. die
Handlungsstraenge im Stueck verfolgt und sieht, ob und wie sie auf diesen
Schluss zulaufen.

In article <381C787B...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...

> Ehe der von dir so furios eingeleitete Thread monothematisch ausklingt,


> mache ich den Versuch, ihm dadurch neuen Schwung zu geben, dass ich zu
> dem von dir exponierten Thema einen Kontrapunkt setze. Allerdings ist
> der Text wider Willen unziemlich lang geworden. (Offensichtlich hat sich
> waehrend der langen Zeit der nur passiven Teilnahme in diesem Forum
> zuviel in mir aufgestaut.) Ich habe ihn deswegen in drei Portionen
> zerlegt, die ich sukzessive abschicke.
>

Es spricht ja auch fuer diese Oper, dass sie nicht so kurz abzuhandeln
ist ...


> Ich gebe zu, dass deine Interpretation der Zauberfloete fuer mich viel
> Charme hat. Ich vermisse aber die Anleitung, wie das von dir erzaehlte
> Ende der Oper mit Schikaneders Text und mit Mozarts Musik zusammenpasst.

Das ist auch noch zu leisten (und war leider durch einen etwas
unerwarteten Arbeitsanfall in Verzug geraten. Auch hoerte ich mich in
aller Bequemlichkeit noch einmal, bzw. zum ersten Mal durch einige
Zauberfloeten-Einspielungen durch).

>
> Wie laesst aber Schikaneder die Oper enden? Zunaechst erweckt er den
> Eindruck, als strebe die Story mit der gluecklichen Vereinigung der
> beiden jungen Paare, Tamino und Pamina sowie Papageno und Papagena,
> ihrem Happy End entgegen. Doch dann ficht das dritte, verfeindete, Paar
> seinen Kampf um die Vorherrschaft bis zu seinem unversoehnlichen Ende
> aus. Die Koenigin wird mit ihrem (weiblichen) Gefolge und dem Mohren
> nicht lediglich "ver"nichtet, sondern regelrecht "zer"nichtet. Ihr
> Untergang und der anschliessende Triumph Sarastros zeigen eben nicht
> Aufhebung, sondern Fortdauer der Parteiung.
>

Zunaechst wird nicht die Koenigin und ihr Gefolge samt Mohr "zernichtet"
(fuer diese Zeit keine wesentliche semantische Differenz), sondern ihre
*Macht* - das ist ein entscheidender Unterschied. Waehrend die "Partei
der Koenigin" mit dem erklaerten Ziel der physischen Vernichtung
angetreten ist ("Dort wollen wir sie ueberfallen- / Die Froemmler tilgen
von der Erd' / Mit Feuersglut und maecht'gem Schwert."), singen die
Usurpatoren selbst: "Zerschmettert, zernichtet ist unsere Macht, / Wir
alle gestuerzt in ewige Nacht.") Und Sarastro verkuendet: "Die Strahlen
der Sonne vertreiben die Nacht, / Zernichten der Heuchler erschlichene
Macht."

Die Machtfrage, gestellt zwischen "Heuchlern" und "Froemmlern",
entscheidet das Licht, Symbol der Aufklaerung. Waehrend Sarastro in der
Prinzessin und im Prinzen seine Nachfolger sieht, die fuer die Menschheit
wirken sollen, haben die Maechte der Finsternis ihre Kraft verloren. Die
(zeitgemaesse) Hoffnung ist, dass auch diese sich zum Licht bekehren.

Der Anspruch von Sarastro ist der, fuer alle Menschen zu sprechen, das
umfasst eben auch diejenigen, die (noch) nicht auf der Hoehe der Zeit
sind, deren Besseres er aber zu kennen glaubt. Insofern ist die Parteiung
zwischen den Menschen aufgehoben, bzw. aus dem Ringen zwischen dem
(weiblichen) Reich der Koenigin und dem (maennlichen) Reich Sarastros ist
der Kampf zwischen Licht und Nacht, Gut und Boese geworden.

Insofern zeigt sich auch eine (negative) Entwicklung bei der Koenigin der
Nacht, von der trauernden Mutter, die zwar zornig aufbegehrt, aber doch
den Prinzen zur Rettung aussendet, also auf eine persoenliche Loesung
setzt - ueber die Rasende, die Sarastros Tod fordert, bis zu der hart
gewordenen, der es nicht mehr um ihre Tochter geht, die sie wider deren
Willen dem Mohren geben (!) will.

> >Was der Naturmensch vormacht,
>
> ?? Meinst du Papageno? In der Oper kriegt er seine Papagena doch erst
> nach Taminos Vereinigung mit Pamina!
>

Richtig, das war ein Gedaechtnisfehler ... also, was der Naturmensch
nachmacht :-))



> > scheint mir das Ziel der Oper:
> > in der Wiedervereinigung des maennlichen und weiblichen Prinzips die
> > Moeglichkeit wirklich menschlichen Lebens zu finden. Der erste Teil
> > scheint mir vom weiblichen Prinzip bestimmt, der zweite vom maennlichen -
> > aber die Oper ergreift nicht die Partei des einen oder des anderen - sie
> > zeigt, wie wenig es menschliches Leben unter der Vorherrschaft der einen
> > oder der anderen Seite geben kann, sei es das Reich der Emotion, wo
> Liebe
> > in Hass umschlaegt, sei es das Reich der Vernunft, die den Menschen
> herbe
> > Verletzungen zufuegt (Paminas Wahnsinn), eine strenge Hierarchie
> > voraussetzt und eine Ideologie, die den verurteilt, der sie nicht teilt
>
> Finde ich sehr schoen gesagt! Aber: Wenn dies das Ziel der Oper sein
> sollte und wenn Saratstro tatsaechlich das Scheusal ist, als das du es
> beschreibst, dann duerfte er nicht mit seinem Triumph das letzte Wort
> behalten.

Ich glaube nicht, dass Sarastro das Scheusal ist, das Csampai aus ihm
macht - aber dazu wuerde ich gerne noch einmal spaeter im Thread etwas
sagen. Fuer Mozart und Schikaneder gleichermassen stehen am Ende der Oper
Sarastro und sein Volk, die den Sieg der Vernunft ueber den Aberglauben,
der Menschlichkeit ueber den Hass feiern. Sie sind die Repraesentanten
des Lichtes - und offensichtlich positiv gesehen. (Ich habe mich da
uebrigens vom Libretto irritieren lassen, das bei Csampai abgedruckt ist:
dort singen die Priester den Schlusschor, gesungen wird er aber
offensichtlich nicht nur von den Priestern - vgl. vorher Tenor/Bass, also
Maennerstimmen, sondern vom vollen Chor - unter Einschluss der
Frauenstimmen!) Deshalb braucht man aber die Gefaehrdungen nicht zu
vergessen, die die Herrschaft der Vernunft mit sich bringt.

> Dann muesste er entweder zusammen mit der Koenigin der Nacht
> im Orkus landen oder haette als gelaeuterter Mensch die Aussoehnung mit
> Paminas Mutter zu verkuenden. In diesem Fall wuerde die Zauberfloete wie
> eine opera buffa mit der Vereinigung aller Personen enden, also
> einschliesslich der Koenigin, der drei Damen, der Naturmenschen und
> einschliesslich des Mohren. Alle wuerden stellvertretend fuer die ganze
> Menschheit gemeinsam den Chor der Versoehnung anstimmen. Schikaneder
> reserviert aber das Ende der Geschichte der Elite: Sarastro mit seinen
> Priestern, Tamino und Pamina sowie den drei Knaben. Und der
> abschliessende Priesterchor preist nicht nur das Paar Tamino und Pamina,
> sondern auch Sarastsro fuer - nein, nicht fuer ihre Liebe, sondern fuer
> - ihre Staerke. Und diese Staerke strebt auch nicht nach Versoehnung
> oder Menschenglueck, sondern - so lesen wir im Text - nach Schoenheit
> und Weisheit.
>

Die Hand ist, nimmt man Sarastros Arie ernst, ausgestreckt, doch im
Moment scheint die Gegenpartei nicht unbedingt das Beduerfnis zu haben,
sie anzunehmen. Ansonsten: Weisheit will Versoehnung, Schoenheit meint
eben auch das Menschenglueck - da sehe ich keinen Widerspruch. Es bedarf
aber der Staerke, um die Rechte der Menschen zu beschuetzen, sonst hiesse
die Oper am Ende doch "Pamina und Monostratos" :-)



> > "Wen diese Lehren nicht erfreuen, verdienet nicht ein Mensch zu sein."
>
> Du bist nicht der einzige, der an dieser Verszeile Anstoss nimmt und
> meint, dass hier unter der Maske des Menschenfreunds das Gesicht des
> Eiferers durchscheint, der jeden gnadenlos auszumerzen trachtet, der
> seine Dogmen nicht anerkennt. Aber um welche Lehren geht es denn hier?
> Auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt als Philister enttarnst, behaupte
> ich: Die Botschaft, die Schikaneder Sarastro verkuenden laesst, mag zwar
> gar altvaeterlich daherkommen, ist aber dennoch richtig. In meinen
> Worten: Wer in sich nicht das Beduerfnis verspuert, auf Rache zu
> verzichten und sich mit seinem Feind auszusoehnen, hat in der Tat die
> Probe auf das (wahre) Menschsein nicht bestanden. Was hier gefordert
> wird und etwas grossspurig als "Lehre" aufgeblasen wird, ist ethischer
> Minimalststandard. Er ist Bestandteil in allen Religionen und wird - im
> Binnenverhaeltnis - auch von Raeuberbanden und SS-Korps gefordert.
>

Das ist auch so ein Punkt, auf den ich gerne noch ausfuehrlicher eingehe.
Es ist ein Zeichen unserer Zeit-Erfahrung, dass uns diese Worte eher
bedrohlich als weise vorkommen, aber daran ist sicher nicht der
Librettist schuld - und auch Mozart komponiert diese Worte in vollem
Ernst. Es wird hier mit dem "Menschsein" sicher nicht (im modernen Sinne
der von Dir angesprochenen Moerderbanden) die Existenzberechtigung
abgesprochen, sondern eher die Reife, die Faehigkeit der
Selbstbestimmung. Vorbild der deutschen Aufklaerung (und auch der
Freimaurerei) ist die aufgeklaerte Monarchie. Es braucht der Staatsgewalt
des Monarchen, um Sicherheit zu garantieren, die Ordnung herzustellen,
die Erziehung des Menschengeschlechtes zu ermoeglichen. In dieser
paternalistischen Vor-Sorge wird zwischen den aufgeklaerten Buergern
unterschieden und den anderen, die nicht faehig sind, ihre Vernunft zu
gebrauchen. Was Sklaven zu Sklaven macht, ist in dieser Anschauung nicht
der Zwang, der von anderen auf sie ausgeuebt wird, sondern ihre
Unfaehigkeit, ohne diesen Zwang vernunftgemaess zu handeln.

Das sehen wir alles etwas anders inzwischen - und so sehen wir eben auch
die Schatten hinter der lichtdurchfluteten Buehne lauern. Es bleibt aber
dabei, dass in dieser Utopie der Zauberfloete im Schlusschor Frauen und
Maenner den Triumph der Vernunft feiern - und in der Zukunft durch das
Paar Pamina-Tamino eben auch die Frauen an der durch Selbstbestimmung
gekennzeichneten Herrschaft der Vernunft teilnehmen.

> Irritierend ist es freilich, dass Sarastro seinen feierlichen Apell, das
> Trennende zu ueberwinden, selbst dementiert. In seinen Hallen lauert
> eben doch ein Verraeter, dem Vergebung versagt wird.

Nun, das zeigt eben auch, dass er nicht allwissend ist, denn schon das
erste Auftreten Monostratos zeigt dem Zuschauer, dass er kein redlicher
Diener der Weisheit ist - und das seinen Mitsklaven durchaus bekannt ist.

> Dies kann man als
> Heuchelei brandmarken, muss es aber nicht. Man kann darin auch die
> realistische Einschaetzung erblicken, daß die Hoffnung, mit der
> klassenlosen Gesellschaft werde das Leiden und das Unrecht aus dieser
> Welt verschwinden, eine Chimaere ist, dass es auch nach der Ueberwindung
> aller sozialen Schranken keine Gesellschaft von Bruedern geben wird;
> auch dann noch verbleibt die Unterscheidung in Wissende und Unwissende
> und die in Gute und Boese.

Eine klassenlose Gesellschaft meint die Utopie der Zauberfloete nicht.
Der Priesterstaat zeigt Hierarchien, die dem Naturkind Papageno nicht
vertraut sind. Dass Tamino Prinz *und* Mensch ist, macht ihn so wichtig
fuer Sarastro. Waehrend Papageno zwar den Weg zur (hoeheren) Erkenntnis
verfehlt, faellt er dennoch nicht in Sklaverei - und sei es, dass die
Liebe ihn den fuer ihn richtigen Weg leitet, wie es auf einer anderen
Ebene auch Pamina geht. In beiden Faellen greifen die "drei Knaben" ein.
Wie Du richtig sagst: Die Unterscheidung in Wissende und Unwissende, in
Gute und Boese bleibt - und eben in Muendige (zu denen Papageno zaehlt)
und Unmuendige.

> Blicken wir kurz einmal auf Beethoven, der
> dem Traum von einer bruederlichen Welt weit staerker als Mozart Ausdruck
> verliehen hat. In seinem Fidelio tritt der Minister Fernando aehnlich
> feierlich wie Saratsro auf: Es sucht der Bruder seine Brueder und kann
> er helfen, hilft er gern. Dann aber schliesst er den Menschenfeind
> Pizarro aus dem Kreis der Brueder aus und laesst ihn abfuehren, nicht in
> eine Heil- und Besserungsanstalt, sondern zum "der Rache Schwert".
>

Es ist darin die inzwischen (bedauerlicherweise) gemachte Erfahrung, dass
die Schurken die Gnade nicht zur Besserung benutzen, sondern eben zum
Verbrechen. Denn Don Pizarro hat den Freiraum, den ihm der Koenig gab,
genutzt, um Florestan widerrechtlich gefangen zu halten - und haette ihn
auch ermordet, wenn man ihn gelassen haette. An die Resozialisierung von
Verbrechern glaubte Beethoven wohl nicht.

> Bevor wir voellig ins Philosophische abschweifen, sollten, wir uns
> fragen: Wie sah Mozart Sarastros Rolle oder bescheidener: wie sehen wir
> sie, wennwir Mozarts Musik hoeren? Halten wir die Hallenarie wie
> Hildesheimer fuer missraten, voller unfreiwilliger Komik, oder wie Wolf
> Rosenberg fuer eine lustlos komponierte Rache Mozarts an Schikaneder
> oder wie Attila Csampai für einen verfremdeten Ausdruck eines, an Pamina
> gerichteten, erotischen Begehrens? Bei der Beanwortung dieser Frage
> ueberlasse ich gerne dir den Vortritt ;-).
>

Wie schon oben gemeint, halte ich sie von Mozart in vollem Ernst
geschrieben - dafuer sprechen auch die Sarastro-Anklaenge in der Jupiter-
Sinfonie.



> In deinem Posting vom 8.10.99 schriebst du u.a.
> > Ueber die Jahrzehnte wurde in dem Reich Sarastros die echte Humanitaet
> > angesiedelt. Ivan Nagel erinnert sich: "Wer als Kind bei fast jedem
> > Wunschkonzert, das einer moerderisch mordenden Wehrmacht Kraft durch
> > Freude gab, die 'Hallenarie' mit den Reichsbaessen Strienz, Hann, Weber
> > hoerte aus unheiligen Ehrenhallen - der wird die Worte
> > ordensmonopolisierter Schlichtheit nie ohne Furcht und Scham mehr
> > vernehmen." (Nagel, Autonomie und Gnade. Muenchen Wien 1985, S. 35f.)
>
> Warum hat dir der Missbrauch durch die Nazis zwar die Hallenarie
> verleidet, nicht dagegen die ebenfalls missbrauchten Motive oder Stuecke
> Beethovens, Bruckners oder Wagners? (Diese Frage meine ich nicht
> ironisch!)
>

Nicht mir hat der Missbrauch durch die Nazis etwas verleidet, sondern
Ivan Nagel und anderen - biografisch sicher nachzuvollziehen, wenn auch
nicht gerecht IMHO. Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass ich das
Humane, fuer das Mozart, Beethoven und Bruckner stehen, gegen diese
Vereinnahmung verteidigen muss. Es ist eben nicht die Schwaeche der
Kunst, sondern die zynische Unmenschlichkeit der Nazischergen, wenn sie
klassische Musik in KZ auffuehrten und auffuehren liessen. Nein - mich
erinnern diese Konnotationen nur an die Gefaehrdungen dessen, was wir
lieben - und erhoehen die Bereitschaft, es zu verteidigen. Dazu gehoert
eben auch, dass man diese pseudolinke Bereitschaft Csampais, Sarastros
Reich als Vorstufe der Tyrannei zu sehen, auf die historisch und
werkaesthetisch richtigen Fuesse stellt. Dass Csampai das (mE
zutreffende) Engelszitat gegen Sarastro wendet, um ihn als Sklavenhalter
zu entlarven, waehrend es Engels um den Unterschied von citoyen und
bourgeois geht, dann verfaellt der der gleichen (undialektischen)
Haltung, die die Philosophie der Aufklaerung bedrohte.



> > Diese Humanitaet ist kritisch in der Zauberfloete, sie wird hellsichtig
> > befragt von dem grossartigen Textdichter und von dem genialen
> > Komponisten: Es ist eine geschichtlich einzigartige Stunde in der
> > Vorahnung der Grossen Franzoesischen Revolution -
>
> Vorahnung? Als die Zauberfloete entstand, war die Revolution doch schon
> zwei Jahre alt!
>

Nun ja, "Vorahnung" war das falsche Wort, sorry. Da habe ich mich von
einem unklaren Gedanken, der mir durch den Kopf schoss, verleiten lassen
:-(


> > noch sind alle Antworten moeglich, bevor die Realitaet des Tugendterrors die Worte
> > Sarastros blutig aufleuchten laesst.
>
> Der "Tugendterror" ist doch schon im Schikaneders Textbuch Realitaet.
> Zur Erinnerung: Im zweiten Akt ging es um Taminos Pruefung, vor allem um
> die Pruefung auf sittliche Reife. Darunter ist - so haben wir gelernt -
> nicht zuletzt Selbstbeherrschung zu verstehen, der notfalls auch die
> Liebe unterzuordnen ist. Somit gilt auch der Dank und der Lobpreis des
> Schlusschores dem in Theorie und Praxis bestandenen Examen. (Beachte:
> ich spreche die ganze Zeit nur ueber Schikaneder, noch nicht ueber
> Mozart).
>

Da widerspreche ich Dir aber trotzdem. Zwischen dem von mir
angesprochenen "terreur" und dem (zeitgemaess ueblichen) Tugendbegriff,
wie er in der Zauberfloete auftaucht, liegen doch schon Welten. Darueber
dass im zweiten Akt nicht nur Tamino geprueft wird, sind wir uns wohl
einig - wer alles sich Pruefungen unterwerfen muss, dazu an anderer
Stelle des Threads. Die Tugendhaftigkeit Sarastros bedeutet eben nur
Entmachtung, nicht Eliminierung der Boesen. Mit der Selbstbeherrschung
und der Liebe ist es noch so ein Stueck - das bedarf noch weiterer
Eroerterung (v.a. wenn man Csampai folgt). Dass dies eine Probe ist -
allerdings nicht nur eine Probe Taminos - auch da sind wir uns einig, nur
bedarf die (erwachsene) Liebe eben gerade der Selbstbeherrschung und der
Selbsterkenntnis. Man koennte die Proben eben auch als Liebesproben
nehmen. Und vergiss nicht - *beide* haben am Ende die Pruefung bestanden.



> Ich hoffe, du siehst mir die Schonungslosigkeit nach, mit der ich deine
> Aussagen mit dem Libretto konfrontiert habe; ich will dich damit
> herauszufordern, uns den Code zu verraten, der uns die Zauberfloete in
> deinem Sinne erschliesst.

Aber gerne, das ist mir sehr willkommen, auch wenn ich meine, dass wir
(wie oben gesagt) dem Lauf der Oper folgen sollten und ihren Personen, um
ein abgewogenes Urteil zu finden. Ich habe vieles in der unmittelbaren
Verarbeitung von Csampai geschrieben, dessen Deutung mir eben immer
weniger einleuchtet. Insofern ist meine Deutung des Schlusses auch erst
einmal ein Hypothese, die es zu validieren gilt. Festhalten moechte ich
aber schon einmal, dass Mozart/Schikaneder Sarastros Reich viel positiver
gesehen haben als Csampai. Was die Charakterisierung Taminos angeht, dazu
an anderer Stelle im Thread.

> Die Konfrontation beschreibt aber auch das
> Dilemma, in dem ich mich selbst befinde, seitdem ich hier deine Gedanken
> zur Zauberfloete gelesen habe und mir klazumachen suche, welche
> Botschaft ich aus der Zauberfloete heraushoere. Diese Oper hat zwar seit
> der Jugend mein Leben begleitet, doch habe ich mich bislang tunlichst
> davor gedrueckt, meine durch naiv-emotionale Hingabe gepraegte Rezeption
> allzu kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. So bevorzuge ich
> z.B. - um micht dem verklaerenden Zauber der Musk ungestoert aussetzen
> zu koennen - in meiner Heimoper Aufnahmen, in denen der gesprochene Text
> ausgelassen ist (frueher Klemperer, heute Davis).
>

Da machst Du es Dir unnoetig schwer. Der gesprochene Text ist fuer mich
unverzichtbar, je ausfuehrlicher (fuer mich!), desto besser. Mozart hat
ja diesen Text gekannt und akzeptiert. Viele Hilfen zum Verstaendnis
finden sich eben hier - und so manche Verkuerzungen in der Interpretation
verdanken sich eben einer mangelnden Beruecksichtigung des Textes. Es
handelt sich ja bei der Zauberfloete um ein *Singspiel*, nicht um eine
Oper i.e.S. - und da gehoert der Text notwendigerweise dazu.

> Es kostete mich deshalb grosse Ueberwindung, meine Karriere als
> aktiver Nutzer des Usernet ausgerechnet mit einem Posting ueber die
> Zauberfloete zu beginnen. Um die Art meiner Skrupel verstaendlich zu
> machen, erlaube ich mit, einen Exkurs einzufuegen, in dem ich meine
> Sicht zu einem Punkt darzulegen, der ausgesprochen oder unausgesprochen
> das Kardinaltheme dieser Netzgruppe ist, zu den Schwierigkeiten, ueber
> Musikerlebnisse zu kommunizieren.
>

Vielen Dank fuer Deinen Beitrag (und die Korrekturen meines Zeilen) - Es
gruesst herzlich Peter

Claus Huth

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Peter, lieber Hans-Hagen,

Peter Brixius schrieb:


>
> vielen Dank fuer Deinen inhaltsreichen Beitrag, der mich auch wieder
> prompt zu Beitraegen bringt :-)

Ist doch auch was Schönes, oder??

> In article <381C787B...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...
>

> Es spricht ja auch fuer diese Oper, dass sie nicht so kurz abzuhandeln
> ist ...

Man kann gar nicht alles in Worte fassen, was man gerne dazu noch
gesagt hätte, ohne alle Grenzen zu sprengen. Deshalb werde ich auch
hier vieles snippen....

> Zunaechst wird nicht die Koenigin und ihr Gefolge samt Mohr "zernichtet"
> (fuer diese Zeit keine wesentliche semantische Differenz), sondern ihre
> *Macht* - das ist ein entscheidender Unterschied.

Sieh an - das ist mir bis dato tatsächlich entgangen. Aber siehe: Du
hats völlig Recht. Und ich ein Problem weniger ;-))

> Die Machtfrage, gestellt zwischen "Heuchlern" und "Froemmlern",
> entscheidet das Licht, Symbol der Aufklaerung.

Das dürfte ganz unumstritten sein.

> Waehrend Sarastro in der
> Prinzessin und im Prinzen seine Nachfolger sieht, die fuer die Menschheit
> wirken sollen, haben die Maechte der Finsternis ihre Kraft verloren. Die
> (zeitgemaesse) Hoffnung ist, dass auch diese sich zum Licht bekehren.

Eine Hoffnung, deren Verwirklichung ich auch nicht für sehr abwegig
halte...

> Ich glaube nicht, dass Sarastro das Scheusal ist, das Csampai aus ihm
> macht - aber dazu wuerde ich gerne noch einmal spaeter im Thread etwas
> sagen.

Aber gerne. Er ist wohl weder das reine Scheusal noch die reine
Ausgeburt an Güte - wie man in der Zauberflöte überhaupt einer
unglaublichen Reihe höchst "menschlicher" Figuren begegnet - und die
sind eben alle nicht bis ins letzte perfekt.

> Fuer Mozart und Schikaneder gleichermassen stehen am Ende der Oper
> Sarastro und sein Volk, die den Sieg der Vernunft ueber den Aberglauben,
> der Menschlichkeit ueber den Hass feiern. Sie sind die Repraesentanten
> des Lichtes - und offensichtlich positiv gesehen. (Ich habe mich da
> uebrigens vom Libretto irritieren lassen, das bei Csampai abgedruckt ist:
> dort singen die Priester den Schlusschor, gesungen wird er aber
> offensichtlich nicht nur von den Priestern - vgl. vorher Tenor/Bass, also
> Maennerstimmen, sondern vom vollen Chor - unter Einschluss der
> Frauenstimmen!)

Tatsächlich scheint im Libretto der Priesterchor gemeint zu sein - ich
habe mehrfach nachgeschaut, da steht immer "Priester". Aber eben mit
Frauenstimmen.

> Das ist auch so ein Punkt, auf den ich gerne noch ausfuehrlicher eingehe.
> Es ist ein Zeichen unserer Zeit-Erfahrung, dass uns diese Worte eher
> bedrohlich als weise vorkommen, aber daran ist sicher nicht der
> Librettist schuld - und auch Mozart komponiert diese Worte in vollem
> Ernst. Es wird hier mit dem "Menschsein" sicher nicht (im modernen Sinne
> der von Dir angesprochenen Moerderbanden) die Existenzberechtigung
> abgesprochen, sondern eher die Reife, die Faehigkeit der
> Selbstbestimmung.

Aus der Sicht der Entstehungszeit ist das - wie das folgende - völlig
korrekt. Allerdings höre ich den Satz stets mit der besagten
"Zeit-Erfahrung".

> Das sehen wir alles etwas anders inzwischen - und so sehen wir eben auch
> die Schatten hinter der lichtdurchfluteten Buehne lauern.

Eben.

> Es bleibt aber
> dabei, dass in dieser Utopie der Zauberfloete im Schlusschor Frauen und
> Maenner den Triumph der Vernunft feiern - und in der Zukunft durch das
> Paar Pamina-Tamino eben auch die Frauen an der durch Selbstbestimmung
> gekennzeichneten Herrschaft der Vernunft teilnehmen.

Das steht wieder uaßer Zweifel - und mE auch nihct im Gegensatz zu der
vorherigen Argumentation.

> Nun, das zeigt eben auch, dass er nicht allwissend ist, denn schon das
> erste Auftreten Monostratos zeigt dem Zuschauer, dass er kein redlicher
> Diener der Weisheit ist - und das seinen Mitsklaven durchaus bekannt ist.

Allerdings ist er beim ersten Auftritt auch noch kein Verräter - und,
wie gesagt, auch er hat durchaus menschliche Züge, auch wenn es öfter
eher negative Seiten des menschlichen Charakters sind (der
oportunistische Schleicher und Heuchler im Finale ersten Akt wirft
mich immer wieder um, so treffend ist das charakterisiert, so
"zeitlos" ist das).

> Eine klassenlose Gesellschaft meint die Utopie der Zauberfloete nicht.
> Der Priesterstaat zeigt Hierarchien, die dem Naturkind Papageno nicht
> vertraut sind. Dass Tamino Prinz *und* Mensch ist, macht ihn so wichtig
> fuer Sarastro.

Er betont das ja auch allerhöchstnachdrücklich.

> Und vergiss nicht - *beide* haben am Ende die Pruefung bestanden.

Eben.

War zwar nicht viel - macht aber auch nichts.

Herzliche Grüße

Claus


Claus Huth

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Peter, lieber Hans-Hagen,

da braucht man eigentlich nicht auf viel einzugehen - es artet doch
meistens bloß in Zustimmung aus. Deshalb vieles gesnippt.

Peter Brixius schrieb:



> ... und da sind wir am Anfag der Oper und bei der Frage (die schon
> anderswo gestellt wurde): Wer sind denn die "Helden" dieser Oper. Dass
> wir keine ungebrochenen Helden mehr erleben, wie sie in Maerchen oder
> mittelalterlichen Epen auftauchen moegen, sollte vorangeschickt werden.
> Da muss schon so ein Fossil aus der Vergangenheit auftauchen wie Tito -
> aber selbst in dessen makelloses Faltengewand zaubert Mozart Schatten.

Grandios übrigens, das Stück. Leider (Wie der Idomeneo) viel zu oft
unterschätzt.....

> Wenn man Csampais Essai "Das Geheimnis der Zauberfloete oder Die Folgen
> der Aufklaerung" liest, so sollte der Titel der Oper mit "Pamina und
> Monostratos" wohl besser gewaehlt sein, denn diesen (vorgeblich)
> Unterdrueckten gilt die besondere Liebe des Autoren. Und wenn Csampai
> sich dabei auf Mozart und Schikaneder beruft, so stimme ich mit ihm
> ueberein, dass diese beiden befragt werden sollten, wenn ich auch glaube,
> dass ihre Antworten anders ausfallen, als Csampai es meint.

Das sehe ich auch so. Mit der Interpretation Csampais konnte ich mich
von Anfang an nicht richtig anfreunden. Ich muss sie jetzt allerdings
doch mal wieder lesen....

> Ein kurzes Wort zu Schikaneder - mehr werden wohl im Laufe des Threads
> noch folgen: Mit dem Libretto zur Zauberfloete hat Schikaneder ein
> Meisterwerk abgeliefert, das vom (stets kritischen) Komponisten geachtet
> und durchaus im Einvernehmen komponiert wurde.

Ganz zweifellos.

> Goethes Wort, es
> gehoere mehr Bildung dazu, den Wert dieses Opernbuches zu erkennen als
> abzuleugnen, gilt erstaunlicherweise noch heute. "Nicht mit einem
> pfuscherhaften, eilig zusammengestoppelten Flickwerk haben wir es in der
> 'Zauberfloete' zu tun, sondern mit einer Theaterdichtung, die aus zwei
> vollen Herzen kam." (Rommel, 1952 in Csampai u.a., S. 178)

Nicht umsonst hatte der Herr Geheimrat da ja seine Projekte....

[Csampai-Zitat gesnippt]

Beängstigende REchtschreibfehler - als wenn sich da jemand für das
schnell hingeworfene "dumme Prüfungen" des Herrn Csampai gerächt hätte
;-)

> Wie gut wir doch unsere Gedanken auf vergangene Zeiten uebertragen
> koennen :-)) Da reagiert Tamino am Beginn der Oper recht menschlich und
> laesst den Glanz des Drachentoeters vermissen, da braucht es der drei
> Damen mit ihrer Zaubermacht, um das Ungeheuer zu toeten, da faehrt es
> Papageno, der ja mit dem Land und seinem Getier vertraut ist, in die
> Beine, wenn er die tote Schlange sieht - fuer Csampai ist das Mangel an
> Mut und Widerstandskraft. Ich finde es eher nachvollziehbar gezeichnet,
> wenn der Prinz (ein Mensch!) Angst hat, diese Angst aber ueberwindet,
> wenn es um ein emotionales Ziel geht, also bereit ist, ein gefaehrliches
> Abenteuer auf sich zu nehmen, nachdem er das Bild Paminas gesehen hat.

Ich denke auch. Hier einen Mangel an Mut und Widerstandskraft
anzunehmen, ist zu voreilig - und wird ja im weiteren Verlauf der
Handlung auch aufs heftigste widerlegt.
Interessant an diesem Anfang ist ja auch noch, daß der Vorhang
aufgeht, und Tamino Gott-weis-woher vor dieser Schlange fliehend
hereinstürzt - er muss ja schon eine Weile geflohen sein: wo kommt er
her? Warum läuft er geradewegs den drei Damen in die Arme? Meister
Zufall oder doch eine höhere Fügung. hier ist auch interessant, daß
Mozart die Ouvertüre entgegen seiner ursprünglichen Gewohnheit
mitnummerierte oder zumindest die erste Vokalnummer anscheinend mit
der Nummer zwei betitelte.

Dazu Nicolas McNair im Artikel "Es treten auf, gefolgt von einem
Löwen... - Hermetisches in der Zauberflöte" im Beiheft der John Eliot
Gardiner-Aufnahme:

"Üblicherweise begann Mozart seine Opern stets mit der ersten
Vokalnummer (im weiteren Verlauf der Vertonung kannte er, die immer
als letztes komponierte Ouvertüre ausgenommen, keine so strengen
Regeln), und die Zauberflöte macht in dieser Hinsicht scheinbar keine
Ausnahme. Die erste Seite von Mozarts handschriftlicher Partitur
bietet uns jedoch Überraschungen: So trägt die erste Vokalnummer - im
Gegensatz zu seinen anderen Opern - die Nummer 2, was der Ouvertüre
den ungewöhnlichen Rang der Nummer 1 verleiht...." (McNair zieht
daraus im weiteren u.a. Schlüsse über die Zahlensymbolik in der
Zauberflöte, darauf können wir auch gerne irgednwann mal eingehen.)

Immerhin kommt in der Ouvertüre u.a. auch eine "fuga" vor - in
Verbindung mit der Weihevollen Welt Sarastros. Sollte man drüber
nachdenken....

Und nochwas zum Thema "Schlange" (wo wir schon bei Gardiner und McNair
sind ;-)): Ursprünglich war das ein Löwe (anscheinend schien es
Schikaneder politisch ungeschickt, auf der Bühne mit einem
erschlagenen Löwen zu beginnen, da Kaiser Leopold II. eine strenge
Verfügung gegen eine Satire mit dem Titel "Biographie des Löwen RRRR"
erlassen hatte, da er - wohl nicht zu unrecht - argwöhnte, er (Leo)
sei mit dem Löwen gemeint) - und wird nicht später Sarastro eben von
Löwen begleitet??

> Und waehrend der Oper waechst seine Tapferkeit und seine Widerstandskraft
> - eben gerade nach der Begegnung mit Pamina - um dann auch bereit zu
> sein, die Gefahr mit der Geliebten bei den letzten Pruefungen zu teilen,
> sich von der Geliebten leiten zu lassen. Das wuerde dem Vorstadt-Macho
> unserer Zeit wohl nicht einfallen, der vor Mut und Widerstandskraft
> protzt.

:-)) sicherlich nicht.

Bis später grüsst, gerade verfolgt von einem Löwen ;-))

Herzlich

Claus

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 1, 1999, 3:00:00 AM11/1/99
to
Lieber Peter,

das ist ja atemberaubend, wie rasch, ausfuehrlich und nuancierend du die
erste Portion meines Postings beantwortet hast. Aber ich tue wohl am
besten, wenn ich meinen Anlauf erst einmal planmaessig beende.
Vielleicht wird da auch das eine oder andere von deinen weiterfuehrenden
Gedanken aufgenommen.

Lieber Claus,

vielen Dank fuer deine aufmunternde Antwort. Es war nicht zuletzt die
Recherche bei deja news, die mir dein einsam gebliebenes Posting vom Mai
zu Gesicht brachte, was mir den letzten Antrieb gegeben hat, mich in die
Diskussion einzuklinken. Auf den Text von Carsens gehe ich in der
letzten Portion meines Postings ein. Es ist deshalb hilfreich, dass du
ihn jetzt wieder eingebracht hast.

Nun aber zu Exkurs, der mein erstes Posting unterbricht und zunaechst
etwas vom Thema wegfuehrt. Wenn ich in diesem Exkurs in stilisierter
Form meinen musikalischen Bildungsgang referiere, dann nicht, um privat
zu werden, sondern um zu demonstrieren, fuer wie lebensnah ich die
Zauberfloete auch heute noxh halte und welchen Aspekt dieses
vielschichtigen Werks ich fuer besonders bedeutsam ansehe und deshalb
zur Grundlage meines Interpretationsversuches mache. Es ist der
Gegensatz zwischen dem spontanen Naturmenschen Papageno und dem rational
beherrschten Tamino, zwischen dem Schueler Tamino und dem Meister
Sarastro.

Ich beginne mit der Feststellung, dass ich die Musik Mozarts, wie Musik
ueberhaupt,unmittelbar wie der Naturmensch aufnehmen und am liebsten
auch in diesem Zustand verharren moechte. Auf dieser Stufe der
Wahrnehmung von Musik aeussere ich mich allenfalls spontane
Geschmacksurteile: Diese Musik finde ich geil, jene aber aetzend. Der
erste Schritt aus diesem Naturzustand ist die distanzierende Neugier,
die mich fragt: Warum findest du denn dieses geil, jenes aber aetzend.
Bevor aus dieser Frage ein antwortsuchender Selbstdialog wird, muessen
aber einige psychische Schwellen ueberwunden werden: der Hang zur
Bequemlichkeit, der Frust bei der Suche nach einem geeigneten Vokabular
und nicht zuletzt die Angst, dass die Distanz der geistigen Reflexion
das emotionale Musikerleben verarmen und die Liebe zu meinen Favoriten
verkuemmern laesst. Und bevor aus dem inneren ein echter Dialog mit
anderen wird, muessen weitere psychische Barrieren ueberwunden werden.
So macht mich das Befremden, dass viele die Begeisterung ueber meine
Favoriten mitnichten teilen und statt dessen Werke lieben, die mich
gleichgueltig lassen oder die ich widerwaertig finde, einerseits
neugierig, andererseits aber auch angst, dass ich beim Versuch, anderen
von meinem Geschmack zu ueberzeugen, am Ende selbst als Depp und Banause
dastehe.

Die Erkenntnis, dass unser Geschmack uns nicht in der Wiege mitgegeben
wurde, sondern wesentlich durch unsere Sozialisation gepraegt worden ist
und dass - woran du, Peter, uns mit Recht gelegentlich erinnerst - wir
die Aufgabe haben, unsern Geschmack zu bilden, war fuer mich waehrend
meiner musikalischen Sozialisation kein Thema. In den sechziger Jahren
galt in der literarischen Welt Brechts Verdikt gegen das "kulinarische"
Theater und in der Musik wetterte Adorno unentwegt gegen geniesserischen
Konsum und liess allein das - mit Anstrengungen verbundene - "bewusste"
Hoeren gelten. In dieser Phase widmete ich ausserhalb meines
Brotstudiums die meiste Zeit der Lektuere von Musikliteratur und der
Erweiterung meines Repertoires bis hin zur - damaligen - Moderne. Ich
kann nicht sagen, dass das fuer mich reines Freizeitvergnuegen war. Da
gab es auch viel Frust und Plackerei. Vieles verstand ich nicht, und zu
vielem, insbesondere zur Adornos ideologischer Einstellung, stand ich
quer. Aber als Oekonom hatte ich gelernt, dass Bildung Investition in
die Zukunft ist, deren Ertrag in der Gegenwart unbekannt und unsicher
ist. Und so war ich bereit, Adornos Autoritaet zunaechst mehr oder
weniger blind zu vertrauen. Ich empfand mich - und nun komme ich endlich
auf unser Thema zurueck - als Tamino, der sich Sarastros "Tugendterror"
freiwillig unterwarf.

Ich verwende diesen Begriff bewusst, obwohl mir klar ist, dass du,
Peter, ihn anders verstehst. Ich will damit verdeutlichen, dass auch mit
der freiwilligen Annahme eines Vorbildes als Lehrmeister voruebergehend
ein partielles Aufgeben von Autonomie verbunden ist, das auch die
Unterdrueckung von spontanen Zweifeln und Widerspruechen einschliesst.
Meine Bereitschaft hierzu war sicherlich durch das hohe Prestige
mitbestimmt, das damals Adorno in Frankfurt trotz aller Anfeindungen
besass. Ich verstehe bis heute nicht, dass sich so viele Intellektuelle
ueber den Konsumterror der Kulturindustrie beschweren. Unter dem habe
ich kaum gelitten, wohl aber unter dem "Tugendterror" meiner Vorbilder.
Wie sehr Adornos Autoritaet von seinen Anhaengern auch als Zwang erlebt
wurde, wird daran deutlich, dass sich aus der Bewunderung so etwas wie
Hassliebe mit ihren typischen infantilen Reaktionen entwickelte: man
begann das strahlende Vorbild anzuschwaerzen, in dem man sich ueber
Adornos Eitelkeit oder seine manierierte Ausdrucksweise mokierte.

Eines Tages hoerte ich im Rundfunk einen Vortrag, in dem Adorno mit dem
Publikum ueber "Schoene Stellen in der Musik" plauderte. Er waere nicht
Adorno gewesen, haette er nicht zuvor darueber raesonnniert, ob es
legitim sei, sich an einzelnen Ausschnitten eines Musikstueckes ohne
Beruecksichtigung des Gesamtzusammenhanges einfach nur der Schoenheit
wegen zu erbauen. In aller Strenge stellt er klar, dass das, was er mit
uns Hoerern praktizieren werde, nichts, aber auch gar nichts, mit dem
Abfackeln von Highlights in der Massenkultur zu tun habe. Er beendete
die Einleitung mit der Feststellung, dass nur "bewusste" Hoerer
berechtigt seien, sich an "schoenen Stellen" zu delektieren. Ich weiss
nicht mehr, ob er in dieser Einleitung auch den Komponisten Adrian
Leverkuehn zitierte, den Thomas Manns in seinem - von Adorno massgeblich
inspirierten - Roman "Doktor Faustus" sagen liess, dass nur derjenige,
der die aeusserste Kaelte einer voellig abstrakten und vergeistigten
Musik zu ertragen gelernt habe, befugt sei, sich auch der "animalischen
Waerme" der Musik hinzugeben. Nach dieser Einleitung folgte eine meiner
schoensten musikalischen Bildungserlebnisse. Adorno demonstrierte und
erlaeuterte uns anhand zahlreicher Beispiele in einer fuer ihn ganz
ungewohnt unpraetentioesen und einfachen Sprache die Schoenheit von
musikalischen Augenblicken und uebertrug seine Begeisterung ueber die
"schoenen Stellen" ganz anstrengungslos auf uns Hoerer.

Das Fazit, das ich aus meinem musikalischen Bildungsweg, dessen
Strapazen ich uebrigens nicht im geringsten bereue, war zwiespaeltig.
Auf der einen Seite stand die ernuechternde Erkenntnis: So wie Adorno
ueber Musik zu sprechen, das schaffst du nie. Aus dir wird nie ein
Kenner, du wirst stets ein Laie bleiben. Andererseits machte ich mich
auch von Adornos elitaerem Gestus frei. Ich hatte ja gelernt, dass wir
selbst bei bewusstestem Hoeren Musik stets sinnlich wahrnehmen. Die
Selbst-Erziehung zu bewusstem Hoeren soll uns doch nicht die Freude an
der Musik vermiesen und auch nicht dazu dienen, uns vom Poebel abheben
zu koennen, sondern soll unsere sinnliche Wahrnehmung bereichern. Es
bereitete mir von da an auch kein schlechtes Gewissen mehr, gelegentlich
in den Zustand des unbewusstem Hoeren zu verfallen, z.B. mich an meinen
Lieblingen immer wieder und in der gleichen Aufnahme zu unterhalten, zu
troesten oder zu berauschen, bei der Arbeit oder beim Spiel den Don
Giovanni als Hintergrundmusik aufzulegen oder mir beim Joggen das
Requiem vorzusingen.

Hierzu passt auch eine Bemerkung Mozarts in einem Brief an seinen Vater,
die ich kuerzlich gelesen habe. Darin wird der Anspruch formuliert den
Mozart selbst an seine Kompositionen stellt. Ich zitiere aus der
Erinnerung: Seine Werke - es ging um Instrumentalkonzerte - muessten
nicht nur die Kenner ueberzeugen, sondern auch vom Nichtkenner
verstanden werden, ohne zu wissen warum. Ich fand beeindruckend, wie
sehr Mozart sich zur Ruecksichtnahme auf die Aufnahmefaehigkeit des
Publikums verpflichtet fuehlte und sich in der Bringschuld sah. An
anderer Stelle las ich, dass solche Bemerkungen auch dazu dienten den
Vater zu beruhigen. Denn Leopold hegte den keineswegs abwegigen
Verdacht, der Sohn neige dazu, ausgekluegelte Musik zu schreiben, mit
der sich kein Geld verdienen laesst. Wenn dies so ist, dann zeigt sich
in diesen Stellen, wie sehr der Sohn auch nach der Emanzipation vom
Vater, dessen kuenstlerische und moralische Autoritaet weiterhin
respektierte. Ich glaube, dass das ambivalente Verhaeltnis zum Vater
auch in der Zauberfloete seinen Niederschlag findet und halte den
Gedanken nicht von vornherein abwegig, dass Mozart in der musikalischen
Figur des Sarastro seinem Vater Leopold ein Denkmal gesetzt hat.

Um noch einmal kurz auf meinen Bildungsgang zurueckzukommen. Natuerlich
habe ich auch in der kargen Freizeit eines Brotverdiener meinem
Freizeithobby nicht nur emotional, sondern auch intellektuell gewidmet.
Eingeschuechtert von Adornos hohem Anspruch, war ich allerdings mit
eigenen Urteilen sehr zurueckhaltend geworden, und nahm statt dessen
wahr, wie sich andere ihren Kopf zerbrechen. Dies gilt selbst fuer das
Gebiet der Oper, wo einem das Textbuch den Einstieg scheinbar
erleichtert. Aber es verleitet einen auch dazu, den Gehalt der Oper im
Libretto, statt in der Partitur zu suchen. Als Mozartfan habe ich in den
letzten zehn Jahren mir immerhin die Entfuehrung und die Da-Ponte-Opern
erschlossen, wobei fuer mich insbesondere die filmischen Inszenierungen
von Peter Sellars die Lebensnaehe von Mozarts Musik deutlich machten.

Nach deiner spannenden Praesentation und Kommentierung der
Harnoncourtthesen und der Auseinandersetzung mit deinem
Interpretationsversuch glaube ich genuegend Mosaiksteine beisammen zu
haben, um endlich auch fuer die Zauberfloete einen
Interpretationsversuch zu wagen. Das Ergebnis meines Nachdenkens folgt
demnaechst. Bis dahin gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 3, 1999, 3:00:00 AM11/3/99
to
Lieber Peter, lieber Claus, liebe Ng-ler

jetzt muss ich mich aber sputen, um zum Ende zukommen, aber gleichzeitig
lauft es mir davon. Sorry, ich muss den Rest meines Postings nich einmal
teilen, damit die Portionen von der Laenge her verdaulich bleiben. Ich
bitte auch um Nachsicht, dass ich auch die Antwort auf eure Postings
noch hinausschiebe.

Ich beginne den dritten Teil meines Beitrags mit der Kommentierung
einiger Thesen aus dem Text von Carsens und trage damit dem instaendigen
Draengen von Claus Rechnung.

> Ein Mysterium wird zelebriert... Gedanken zu einer Opernproduktion
>

> Die "Zauberfloete", ein Kunstwerk, das der Welt des Wunderbaren
> angehoert, baut auf dem Prinzip der Gegensaetze auf: Gegensatz zwischen
> Gut und Boese, Licht und Finsternis, Mann und Weib, Komoedie und
> Tragoedie, Rede und Gesang, Feuer und Wasser, jung und alt... Doch was


> immer auch im Text geschehen mag: in der Musik - und darin liegt das

> Wesentliche - sind alle diese Gegensaetze aufgehoben.

Das halte ich fuer einen gelungenen Einstieg, der bei mir Zustimmung,
aber auch Nachdenklichkeit ausloest. Einerseits: Die geradezu explosive
Vielfalt von Gegensaetzen und ihre Aufhebung durch Mozarts Musik, das
ist eine zutreffende Charakterisierung der Oper. Andererseits draengt
sich die Frage auf: Wie fundamental unterscheidet sich die Zauberfloete
von Mozarts anderen Opern? Was genau ist ihr Spezifikum? Ich versuche
eine Antwort durch Vergleich mit der Entfuehrung aus dem Serail und den
drei Da-Ponte-Opern. (Die Seria-Opern Idomeneo und La clemenza di Tito
spare ich nicht nur aus Gruenden der Oekonomie aus, sondern auch
deshalb, weil ich sie noch nicht genuegend begriffen habe.) Auch in den
vier Vorgaengern der Zauberfloete gibt es eine Vielfalt von
Gegensaetzen, doch ist sie m.E. auf folgende vier Grundkonflikte
reduziert: den sozialen Konflikt - oben und unten; den
Geschlechterkonflikt - Mann und Frau; den kulturellen Konflikt - Natur
und Zivilisation und den intrapersonalen Konflikt zwischen dem Menschen
als Einzelwesen und als geselliges Wesen. Neben der Reduktion der
Konfliktvielfalt gibt es auch eine Reduktion der Vielfalt von
menschlichen Beziehungen auf die Erotik.

Diese doppelte Reduktion befaehigte Mozart zu etwas, was - hier vertraue
ich den von mir konsultierten Kennern - in der Operngeschichte
einzigartig geblieben ist. Zum einen ist in diesen Opern die Musik nicht
lediglich Hintergrund, Untergrund oder Ueberbau , sondern die Basis des
dramatischen Geschehens. Zum anderen vermag Mozart, indem er das
dramatische Geschehen als einen sich stets fortzeugenden Wechsel von
intra- und interpersonalen Konflikten und Versoehnungen organisiert,
sichtbar zu machen, dass der Ausgang des Dramas - so unerwartet er fuer
die handelnden Personen auch ist - das Ergebnis ihres Handelns ist.
Keine dieser Opern endet in vollkommener Harmonie. Dort, wo Versoehnung
stattfindet (Entfuehrung 2. Akt, Figaro, Cosi fan tutte), geschieht sie
im Bewusstsein, dass man vor dem Abgrund gestanden hatte und die
Geschichte auch ganz anders haette ausgehen koennen. Im Don Giovanni
weiten sich dann die Konflikte zum unueberbrueckbaren Abgrund. Und in
der Entfuehrung 3. Akt wird Osmin von der Versoehnung ausgeschlossen
(oder schliesst sich selbst aus), weil er im Gegensatz zum Bassa nicht
zur Vergebung bereit ist. uebrigens: Ist es nicht frappant, wie Mozart
hier das Ende der Hallenarie (wen solche Lehren nicht erfreuen,
verdienet nicht ein Mensch zu sein) geradezu vorwegnimmt?

In der Zauberfloete ist die Zahl der Gegensaetze nicht reduziert.
sondern ins Unuebersehbare gesteigert. Zu den von Carnens genannten
moechte ich hinzufuegen: Muetterliches-Vaeterliches, Schueler-Meister,
Profan-Sakral und - um den "Bruch" in der Handlung nicht zu vergessen,
in zeitlicher Dimension: damals-heute sowie Gegenwart- Zukunft. Diese
Vielfalt war nicht mehr zu einer dramatische Handlung zu integrieren.
Die Verdichtung zu Ensembleszenen, die Mozart in den frueheren Opern so
virtuos und unnachahmlich praktiziert hatte, wird in der Zauberfloete
nur noch sparsam verwendet Die Figuren und die Welten, welche die
Gegensaetze repraesentieren, bleiben relativ unberuehrt. Beim
Zusammentreffen haben die Figuren haeufig den Eindruck, als lebe der
jeweils andere in einer Maerchenwelt. Auch die Vielfalt der Beziehungen
ist nicht mehr auf die Erotik reduziert. Ich finde es sogar auffaellig,
dass der erotisch bestimmte Konflikt zwischen Mann und Frau in der
Zauberfloete ziemlich an den Rand gedraengt ist. Auch in der Musik ist
die Erotik nicht mehr dominant, allenfalls stark sublimiert.

Wollen wir hinter das Geheimnis der Zauberfloete kommen, muessen wir aus
dem Libretto oder der Partitur die Idee entwickeln, die uns die
szenische Abfolge als stimmig erscheinen laesst. Ich finde an Carnens
sympathisch, dass er nicht einfach drauf los interpretiert, sondern erst
einmal die Fragen stellt, die in der Rezeptionsgeschichte für ihn noch
keine angemessene Anwort erhalten haben

> An dieser Stelle waere es sinnvoll, einige der Fragen noch einmal zu
> praezisieren: Wer sind Tamino und Pamina? Sind sie Jedermann und jede


> Frau? Und wenn, wer sind dann Papageno und Papagena? Sind sie jeder
> "andere" Mann und jede "andere" Frau? Wer sind die Priester, der
> Sprecher, Sarastro? Was ist das eigentliche Anliegen dieser

> Bruederschaft? Warum aeussern sie so anfechtbare Ansichten zu Rasse und
> Geschlecht? Wer ist die Koenigin der Nacht, wer sind die drei Damen,
> die drei Knaben? Warum scheinen Sarastro und die Koenigin der Nacht
> miteinander in Feindschaft zu liegen? Warum ist die Koenigin der Nacht


> im ersten Akt die Urheberin alles Guten (das Portrait Paminas, die

> Zauberfloete, das Glockenspiel, die drei Knaben), und im zweiten Akt
> offenbar die Quelle alles Boesen? Was symbolisieren die Pruefungen durch
> Feuer und Wasser? Ist das Verstaendnis der Freimaurerei wesentlich fuer
> das Verstaendnis der Oper? Fragen ohne Ende...

Fuer mich bilden vier - vor allem das Ende betreffende - Fragen
sozusagen den Lackmus-Test auf die Stimmigkeit der Interpretation.
Erstens: Warum setzt Schikaneder das Ende der Oper mit dem Ende des
Machtkampfes gleich, in dem Sarstros Macht ueber die Macht des
weiblichen Geschlechts, ausgenommen die unter maennlicher Aufsicht
stehenden Ehefrauen, und ueber die angemasste Macht des Mohren
triumphiert? Wir sollten uns die Antwort nicht zu leicht machen, wenn
wir auch die Zeitgenossen ueberzeugen wollen, die mit Schikaneders
Opernschluss sexistische und rassistische Assozationen verbinden.
Zweitens: Warum feiert Schikaneder am Schluss zwar das Paar
Tamino-Pamina, nicht aber das Paar Papageno-Papageno? Akzeptieren wir
die damit implizierte Loesung des kulturellen Gegensatzes zwischen Natur
und Zivilisation, in dem Sinne, dass der zivilisierte Mensch Vorrang
gegenueber dem Naturmenschen hat? Drittens: Wie vertraegt sich eine im
Grundsatz positive Wertung Saratros mit dem Umstand, dass dessen rigide
Pruefungen Pamina fast in den Tod und in den Wahnsinn treiben? Atilla
Csampai hat im rororo-Opernfuehrer anhand einer tiefsinnigen Analyse der
musikalischen Struktur der Todesarie den Nachweis versucht, Pamina sei
psychisch bereits vernichtet. Viertens: Wer sind die drei Knaben, die
Schikaneder im Schlussbild Blumen halten laesst? Ohne ihr Eingreifen
haette das Unternehmen Sarastros ja in einem Desaster geendet.

Fuer die Loesung dieser Fragen gibt es zwei radikale Antworten, die von
Csampai und die von Carnens.

Csampai hat das Dilemma dadurch geloest, dass er die traditionelle Sicht
auf den Kopf bzw. -aus seiner Sicht - auf die Fuesse stellt. Er vertritt
die Hypothese, dass sich Mozart in der Zeitspanne vom Figaro bis zur
Zauberfloete von einem hoffnungsvollen Vorrevolutionaer zu einem
desillusionierten Nachrevolutionaer gewandelt habe. In der Zauberfloete
werde demonstriert, wie die buergerliche Gesellschaft nach ihrem Sieg
ueber den Feudalismus die Ideale der Revolution verraten habe. Das Ende
der Oper sei somit auch kein Happy End. Csampais Argumentation ist sehr
lesenswert, weil origienell und mit einfallsreichen musikalischen
Analysen untermauert. Ich meine aber, dass er - getrieben von der
Obsession, hinter jeder Note Mozarts revolutionaeren Geist aufzuspueren
- das Kind mit dem Bade ausschuettet. Ich halte es nebenbei bemerkt auch
fuer verfehlt den Figaro zu eng an die franzoesische Revolution
anzubinden (Dazu vielleicht spaeter ein eigener Thread). Damit will ich
das subversive Element in Mozarts Musik nicht abstreiten, doch ich finde
es bei Charles Rosen (Der klassische Stil) viel eindrucksvoller und
allgemeingueltiger beschrieben als bei Csampai. (An dieser Stelle
moechte Johannes Roehl Dank sagen, dass er mir durch seine staendig
wiederkehrenden Hinweise auf dieses Buch zum Kauf und zu aeusserst
anregender Lektuere verholfen hat).

Mein wesentlicher Einwand gegen Csampai besteht darin, dass er das
Freimaurerische - ich wuerde allgemeiner sagen: das Sakrale - in der
Zauberfloete sozusagen als ideologischen Ueberbau der buergerlichen
Gesellschaft abtut. Damit wird man Mozart in keiner Weise gerecht, der
in der Schlussphase seines Lebens gleichsam zu seiner Salzburger
Vergangenheit als Kirchenmusiker zurueckgekehrt ist. Dafuer zeugen nicht
nur ausgesprochen religioese Werke, wie das Requiem, das Ave verum oder
die Freimaurerkantaten, sondern auch die intensive Beschaeftigung mit
Haendel und Bach, deren Frucht eine neue Synthese von homophonem und
polyphonem Stil war. Dafuer zeugen aber auch die beiden letzten Nummern,
die Mozart fuer die Zauberfloete geschrieben hat, der Priestermarsch,
der den zweiten Akt eroeffnet, und die Ouvertuere, die durch den
feierlichen Gestus und durch den Wechsel und die gegenseitige
Durchdringung von polyphonem und klassischem Stil auf das Thema der Oper
- Vielfalt und Einheit - einstimmt.

Dieses Sakrale in Mozarts Musik stellt Carsens in das Zentrum seiner
Deutung, wenn er mit seiner Inszenierung ein "Mysterium" zelebriert und
damit sozusagen den Gegenpol zu Csampai markiert. Weil Carsens am Ende
der Partitur in Mozarts Musik "die allumfassende Verherrlichung der
Menschlichkeit" heraushoert, fuehlt er sich berechtigt, in die
Schlussszene auch die zuvor verabschiedeten oder untergegangenen
Personen einzubeziehen. Dies ist eine diskussionswuerdige Loesung. Aber
empfinden wir sie als ueberzeugend, als stimmig? Ich habe da meine
Zweifel und das Gefuehl, dass Carsens in die entgegengesetzte Richtung
wie Csampai das Kind mit dem Bade ausschuettet. Ziemlich am Anfang
seines Textes ist mir ein Satz aufgestossen:

>Mozarts ureigene Natur und seine Menschheitsliebe haben das Wunder >vollbracht, aus dem Singspiel ein konzentriertes Elixier menschlicher >Daseinsbedingungen herauszudestillieren.

Es ist fuer mich intellektull wenig befriediegend, Eigenart und
Qualitaet der Zauberfloetenmusik auf die persoenlichen Eigenschaften des
Komponisten zurueckzufuehren. Mir ist Carnens Loesung zu glatt, und dass
Sarastro am Schluss Monostatos kroent, empfinde ich als blanke Ironie,
die eher zu Csampais Sichtweise passt. Carnens befriedigt zwar mein
Harmoniebeduerfnis, aber ich kann nicht glauben, dass Mozart in der
Zauberfloete darauf verzichtet hat, in die Versoehnung auch die
Erinnerung an die vorausgangenen Dissonanzen (die Erfahrung von
Ohnmacht, Verlassensein, Scham) einzukomponieren. Wenn ich auch einmal
philosophisch werden darf: Mozart war zu sehr Katholik, als dass er an
eine Erloesung aus unseren Konflikten glaubte, jedenfalls nicht in
dieser Welt. Fuer ihn bedeutete Leben die unaufhoerliche Suche nach der
Loesung von Konflikten, eine Suche, die auch das Risiko des Scheiterns
einschliesst.

Ende der dritten Portieon. Es kommt - garantiert! - nur noch eine.

Peter Brixius

unread,
Nov 3, 1999, 3:00:00 AM11/3/99
to
Lieber Claus, lieber Hans-Hagen, liebe andere,

da kann ich mich ja nicht mehr vor dem Carsens-Text druecken :-)

In article <381CD588...@stud.uni-sb.de>, clhu...@stud.uni-sb.de
says...


>
>
> Ein Mysterium wird zelebriert... Gedanken zu einer Opernproduktion
>
> Die "Zauberflöte", ein Kunstwerk, daß der Welt des Wunderbaren
> angehört, baut auf dem Prinzip der Gegensätze auf: Gegensatz zwischen
> Gut und Böse, Licht und Finsternis, Mann und Weib, Komödie und
> Tragödie, Rede und Gesang, Feuer und Wasser, jung und alt... Doch was
> immer auch im Text geschehen mag: in der Musik - und darin liegt das
> Wesentliche - sind alle diese Gegensätze aufgehoben. Mozarts ureigene
> Natur und seine Menschheitsliebe haben das Wunder vollbracht, aus dem
> Singspiel ein konzentriertes Elixier menschlicher Daseinsbedingungen
> herauszudestillieren.

Viel Schaum ... Dass in der "Zauberfloete" Gegensaetze vorhanden sind,
dass mit ihnen auch genial gespielt wird, heisst nicht, dass die Oper auf
dem *Prinzip* der Gegensaetze aufgebaut ist, deutlicher werden
Entwicklungslinien, Grenzueberschreitungen, *Vereinigung von
Gegensaetzen*. Dass Musik nur schlecht ohne Gegensaetze existieren kann,
scheint mir trivial - zu bezweifeln ist, dass es um ein konzentriertes
Elixier menschlicher Daseinsbedingungen geht - ein Heil-, ein Zaubertrank
von (Daseins-)Bedingungen, das scheint mir zumindest schon sprachlich
schief, dass Liebe und Hass, Leben und Tod darin vorkommen, die Elemente
menschlichen Lebens ist nichts Besonderes. Ich habe - meiner menschlichen
Neugier folgend - den "Stein der Weisen" gekauft und gestern immerhin
zweimal angehoert - auf dieses Werk (nehmen wir nur das Libretto) traefe
das Gesagte ebenfalls zu - und doch sehe ich einen Riesenabstand zwischen
den beiden Schikaneder-Werken - und nicht nur in der Musik.


> Wenn wir uns in jene Welt hineinversetzen, haben
> wir das erregende Gefühl, wenigstens dieses eine Mal die
> überwältigende Bedeutung der Wanderschaft des Lebens, eines jeden
> Lebens Wanderschaft, zu begreifen. Ein Publikum, das gewillt ist,
> Tamino und Pamina auf ihrer symbolischen Initiationsreise zu
> begleiten, wird des Glücks teilhaftig, sieghaft mit ihnen von
> Unverständnis und Zweifel zu Einsicht und Bejahung zu schreiten. Wenn
> Kunst ein Ziel hat, ist es nicht eben dieses?
> Wie aber kann solches im Theater Ereignis werden? Von Anfang an hatten
> der Bühnenbildner Patrick Kinmonth und ich vereinbart, unsere
> Produktion so anzulegen, daß sie unausweichlich zu dem führen mußte,
> was am Ende der Partitur zum Ausdruck kommt: die allumfassende
> Verherrlichung der Menschlichkeit. Doch viele Fragen galt es zu
> beantworten, ehe überhaupt daran gedacht werden konnte, eine kohärente
> Lesart des Werkes zu erarbeiten. Überdies bestand die Gefahr - und das
> war uns bewußt - daß diese Produktion auf nichts als eine trockene
> Collage der möglichen Antworten hinauslaufen würde. Es erschien uns
> daher unerläßlich, daß unsere Produktion, indem sie das Mysterium zu
> durchdringen suchte, dieses auch verherrlichte.

?

> An dieser Stelle wäre es sinnvoll, einige der Fragen noch einmal zu
> präzisieren: Wer sind Tamino und Pamina? Sind sie Jedermann und jede
> Frau? Und wenn, wer sind dann Papageno und Papagena? Sind sie jeder
> "andere" Mann und jede "andere" Frau? Wer sind die Priester, der
> Sprecher, Sarastro? Was ist das eigentliche Anliegen dieser
> Brüderschaft? Warum äußern sie so anfechtbare Ansichten zu Rasse und
> Geschlecht? Wer ist die Königin der Nacht, wer sind die drei Damen,
> die drei Knaben?

Nun ist die Beantwortung dieser Fragen aus dem Text zunaechst kein
Mysterium, Tamino als javonischer Prinz, Pamina als Tochter der Koenigin
der Nacht - beide also aus dem Hochadel der Herkunft nach - aber bereit
und faehig ueber ihren Stand hinaus sich als Menschen zu verstehen: Sie
sind nicht Jedermann und jede Frau, sie sind "Erwaehlte". Jedermann und
jede Frau sind eher Papageno und Papageno, mit ihrem an der Wirklichkeit
geschultem Witz. (Im Stein der Weisen werden sie durch Lubano und
Lubanara repraesentiert, ein junges Foersterehepaar [auch hier spielte
Schikaneder den Lubano] bei dem schon eine Art postmaritaler
Ernuechterung eingetreten zu sein scheint - das Paar allerdings, das
Tamino/Pamina entspricht, ist auch hier hochadlig, Tochter des
Priester-Herrschers ueber ein arkadisches Land und [wie sich am Ende der
Oper herausstellt] Sohn der gutwollenden Gottheit.

Sarastro und seine Priester sind Weise, die sich einer Askese unterzogen
haben und von ihrem Weisheitstempel aus ihr Land beherrschen. Die Suche
nach Weisheit (auch der praktischen Weisheit des Regierens) ist ihr
"Anliegen". Die anfechtbaren Ansichten zu Rasse und Geschlecht werden in
der Zeit Mozarts nicht als anfechtbar gesehen, sie sind Allgemeingut,
erst langsam dringen dazu modernere Ansichten vor - die volkstuemliche
Buehne nuanciert wenig diese Vorurteile (bei Mozart allerdings ist die
Parteinahme fuer die Frauen nicht zu ueberhoeren), es zeigen sich aber
schon deutliche Gegengewichte, sei es in der Achtung vor dem christlichen
Erbfeind in der "Entfuehrung", sei es bei dem "Naturmenschen" a la
Rousseau, wie er uns hier in dem Paar Papageno/Papagena (in der
Reihenfolge ihres Auftritts) entgegentritt.

Die Koenigin der Nacht ist offensichtlich verwitwete Mutter und
Herrscherin ueber das Land, in dem Papageno wohnt - eine groessere
Bevoelkerungsdichte scheint es weder im Reiche Sarastros noch in dem der
Koenigin der Nacht zu geben. Die drei Damen sind das Gefolge der Koenigin
und die drei Knaben - sind nun wirklich ein Raetsel, das ich nicht in
einem Satz hier loesen moechte (und kann).

> Warum scheinen Sarastro und die Königin der Nacht
> miteinander in Feindschaft zu liegen? Warum ist die Königin der Nacht
> im ersten Akt die Urheberin alles Guten (das Portrait Paminas, die
> Zauberflöte, das Glockenspiel, die drei Knaben), und im zweiten Akt
> offenbar die Quelle alles Bösen? Was symbolisieren die Prüfungen durch
> Feuer und Wasser? Ist das Verständnis der Freimaurerei wesentlich für
> das Verständnis der Oper? Fragen ohne Ende...

Ob die Koenigin der Nacht im ersten Akt die Urheberin alles Guten ist,
moechte ich erst einmal in Zweifel stellen. Sie sucht einen Raecher,
motiviert ihn (das Portrait Paminas), bewaffnet ihn (die Zauberfloete)
und seinen ihm gegen seinen Willen beigesellten Begleiter (das
Glockenspiel) und weist sie auf eine (offensichtlich von ihrer Macht
unabhaengige) helfende Instanz hin (die drei Knaben). Ansonsten zwiegen
sich die drei Damen zwar schnell verliebt, aber gleich auch schnell
eifersuechtig und zerstritten, recht eitel und zu barbarischen Strafen
bereit (Schloss am Mund, keine Nahrung noch nicht einmal Brot, nur Wasser
fuer Papageno) fuer eine doch nur halb ernst gemeinte Prahlerei, die sich
eher aus der Angst vor Tamino erklaerte. Auch ist die Koenigin gerne
bereit, ohne Rueckfrage bei ihrer Tochter deren Hand zu versprechen (wie
sie auch keine Skrupel kennt, das gleiche im 2. Akt bei dem naechsten
Praetendenten zu machen). Sie herrscht durch Furcht und Schrecken, ist
ihren Untertanen noch nicht einmal persoenlich bekannt. Urheberin alles
Guten? Zu den Pruefungen kommen wir ja noch ...

Ich teile das Posting hier, doch Fortsetzung folgt umgehend :-)

Es gruesst Peter


--
Ich habe immer gefunden, die so genannten schlechten Leute gewinnen,
wenn man sie genauer kennen lernt, und die guten verlieren.
(Lichtenberg)

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 4, 1999, 3:00:00 AM11/4/99
to
Lieber Peter, lieber Claus, liebe NG-ler.

Nun ist's geschafft.

Die Zauberfloete: Ein Initiationsdrama - vierte und letzte Portion

Auf der Suche nach meiner eigenen Loesung des Problems "Zauberfloete"
habe ich mich gezwungen, die Musik der Schlussszene sinfonisch, also
ohne Beachtung des im Text beschriebenen szenischen Vorgangs zu hoeren.
Mein - rein subjektives - Erlebnis war: erleichtertes Erwachen aus einem
beklemmenden Alptraum: Dunkle Wolken ziehen sich drohend zusammen und
mit einem Mal entlaedt sich ein schreckliches Gewitter. Mit dem Erwachen
ist der Spuk vorbei. Waehrend Sonnenstrahlen noch die letzten Wolken-
und Traumfetzen verscheuchen, beseitigt mit einem Male die Macht des
Tages mit einem doppelten kraftspendenden Dreiklang die Ohnmacht der
Nacht. Dann laesst eine ruhige und feste Stimme erleichtert aufatmen.
Und waehrend im Text ueber die Vernichtung der Heuchler triumphiert
wird, kadenziert die Musik zum Dankgebet des Chores. Mit dem
abschliessenden Kehraus stuerze ich mich freudig in den Tag hinein und
animiere das Publikum zu stuermischem Applaus :-)

Ich habe diese "sinfonische Dichtung" mitgeteilt, weil sie es erlaubt,
einen Bogen von Ende zu Anfang der Oper zu schlagen. Auch dort erwacht
Tamino aus der Ohnmacht, in die er aus Todespanik gefallen war, und
kommt in der Welt der Koenigin wieder zu Kraeften. Dies bringt mich auf
die Idee, was der rote Faden bei der Rezeption der Zauberfloete sein
koennte: Die Oper erzaehlt, was mit Tamino geschieht und wir verfolgen
das Geschehen, indem wir es aus Taminos Sicht wahrnehmen. Damit wird
auch der von Peter bei der Diskussion der Harnoncourtthesen in die
Diskussion gebrachte Wechsel der Perspektive praezisiert. Es geht nicht
um die verschiedenen Perspektive mehrerer Figuren, sondern nur um die
Sicht Taminos und damit auch um unsere Sicht. Tamino und wir mit ihm
nehmen die an uns vorbeiziehenden Szenen aus wechselnder Perspektive
wahr. Noch einmal nehme ich aus Carsens Text zwei Bausteine auf, die ich
zunaechst kopfschuettelnd verworfen hatte, die inzwischen aber zum
Eckstein meiner Rekonstruktion der Zauberfloete geworden sind:

>Ein Publikum, das gewillt ist, Tamino und Pamina auf ihrer symbolischen >Initiationsreise zu begleiten, wird des Gluecks teilhaftig, sieghaft >mit ihnen von Unverstaendnis und Zweifel zu Einsicht und Bejahung zu >schreiten
und:
>Wenn - wie dies der Fall ist - Tamino und Pamina begreifen lernen, dass >Sarastro keineswegs ein Boesewicht ist, warum kann dann nicht eine >aehnliche Auffassung sich einstellen in Hinblick auf die Gestalt der >Koenigin der Nacht? Vielleicht liesse sich die beruehmte >Zwiespaeltigkeit ihres Charakters (gut im I., boese im II. Akt) ganz >leicht aufheben, indem man dem Publikum nahelegt, dass die Koenigin der >Nacht und Sarastro beide ein und >dasselbe Ziel verfolgen: Tamino und >Pamina zu Weisheit und Erleuchtung zu fuehren und in den Tempel >aufzunehmen?

Der eine Eckstein ist: Tamino unternimmt eine Initiationsreise. Wenn ich
meine sporadischen Ausfluege in die Ethnologie korrekt erinnere,
symbolisieren Initationsriten vieler Naturvoelker so etwas wie die
zweite Geburt. Diesmal wird der Knabe nicht aus dem Mutterleib genommen
und der Haerte des Lebens ausgesetzt, sondern aus dem muetterlichen
haeuslichen Bereich in das Erwachsensein getrieben. Diese zweite Geburt
ist wie die erste mit traumatischen Erfahrungen verbunden. Zu Tamino
gehoert schon sehr fruehzeitig Pamina. Sie nimmt teils getrennt, teils
zusammen mit Tamino an der Initationsreise teil. Kuerzlich befasste ich
mich mit der Ehe im alten Rom und schlug im Lexikon der Antike auch das
Stichwort "Heirat" auf. Zu meiner grossen Ueberraschung stand da ein
Hochzeitsritus, der Schikaneders Feuer- und Wasserprobe Pate gestanden
haben mag: Der Ehegatte empfing seine Angetraute beim ersten Betreten
des gemeinsamen Hauses mit Feuer und Wasser, und die Braut hatte beides
zu beruehren. Mir wurde dann klar, dass die Hochzeit sozusagen die
weibliche Form der Initiation symbolisiert, den Uebergang von der
elterlichen in die eheliche Welt.

Der zweite Eckstein: Beim Konflikt zwischen Koenigin und Sarastro geht
es nicht um das Verhaeltnis zwischen Mann und Frau, sondern um den im
Kind ausgetragenen Konflikt zwischen muetterlicher und vaeterlicher
Sphaere. Dabei sind Mutter und Vater keine biologischen Begriffe,
sondern stellen soziale Funktionen dar: die Mutter steht fuer den Schutz
und die Vermittlung von Primaererfahrungen, der Vater fuer die Erziehung
und die Vermittlung von geistigen und technischen Fertigkeiten. In
diesem Sinne laesst sich auch die Beziehung zwischen Lehrling und
Meister oder die Wahl eines Vorbilds als Sohn-Vater-Verhaeltnis sehen;
nicht zufaellig wird in der akademischen Welt der Doktorand von einem
Doktor"vater" betreut.

Nachdem mir diese Idee fuer einen roten Faden eingefallen war,
ueberraschte es mich dann doch, wie leicht ich damit die Oper aufrollen
konnte. Machen wir einen kurzen Testlauf durch die Oper. Zu Beginn
befindet sich Tamino in der muetterlichen Welt. Tamino erlebt dort
Todesgefahr und Ohnmacht, erfaehrt aber auch, dass er beschuetzt ist,
dass sich die ihn umgebenden Frauen sogar darum streiten, ihn
beschuetzen zu duerfen. In Papageno lernt er Spontaneitaet und
Natuerlichkeit, aber auch die Lust am Spiel und am Komoediantentum
kennen, erfaehrt aber auch, dass Verstellung nicht in Luege ausarten
darf. Vor allem aber sieht sich Tamino mit dem Phaenomen der Liebe
konfrontiert, und zwar bei sich in Form des erwachenden erotischen
Triebs und bei der Koenigin in Form besitzergreifender Mutterliebe. Man
darf deren Arie nicht, wie das oft geschieht, als Selbstdarstellung
hoeren. Die Arie ist ja ausdruecklich an Tamino gerichtet, sie soll
diesen zur Handlung motivieren. Wir gehen deshalb fehl, wenn wir nur
danach fragen, welche Gefuehle die Koenigin ausdrueckt. Mozart
komponiert m.E. nicht so sehr, was die Koenigin fuehlt, sondern das, was
ihre Rede in Tamino bewegt.

Hoeren wir also die Arie so, wie Tamino sie hoert: Nach dem
majestaetischen Auftritt, der jeden zunaechst einmal ganz klein macht,
wird Tamino durch die Anrede "O, zittre nicht, mein lieber Sohn"
beruhigt und als Sohn adoptiert. Dann wird er durch Schmeicheln
aufgerichtet. Darauf erregt die Koenigin sein Mitleid und stimmt
schliesslich Tamino auf den bevorstehenden Krieg ein und entfacht, indem
sie den Sieg und die mit ihm verbundene Beute ausmalt,Taminos
Kampfeseifer und Leidenschaft. Darin, dass Mozart die Arie im Geist der
opera seria schreibt, die im Singspiel wie ein gekuenstelter
Fremdkoerper wirkt, kommt m.E. zum Ausdruck, dass die Koenigin - so echt
ihre Gefuehle auch sind - sich nicht spontan, sondern berechnend
aeussert. So bedeutet die Adoption als Sohn nicht nur den Anspruch auf
muetterliche Zuwendung, sondern begruendet auch Sohnespflichten. In dem
Stadium, in dem sich die Koenigin und Tamino befinden, ueberwiegt
letzteres. Denn fuer Tamino ist die Koenigin nicht (mehr) die
beschuetzende Mutter, sondern die Frau, die sich den Sohn als
Bundesgenossen fuer ihre eigenen Zwcke zu verpflichten sucht.

Tamino fuehlt sich zum ersten Mal als Erwachsener angesprochen und da er
sich mit dem Erwachen erotischer Liebe nun auch als Mann fuehlt und
scheinbar das gleiche Ziel wie die Koenigin verfolgt, geht er auf den
Deal ein. Dass zwischen den beiden Buendnispartnern ein unloesbarer
latenter Zielkonflikt besteht - die Mutter erwartet, dass der
Schwiegersohn die Tochter zurueckbringt, Tamino dagegen will Pamina fuer
sich - ahnt Tamino noch nicht und so zieht er im Einklang mit der
Koenigin seines Wegs. Er hat auch gar kein Grund sich ueber sie zu
beklagen. Er verlaesst ihre Welt ja reich an Erfahrung, physisch und
moralisch erstarkt, mit einem klaren Ziel vor Augen und ausgestattet
mit einem Bundesgenossen, mit drei Schutzengeln und - nicht zu vergessen
- mit Musikinstrumenten, mit der Faehigkeit, Musik zu machen.

Nach dem Eintritt in Sarastros Reich erlebt der junge Held jedoch
zunaechst eine totale Niederlage. Sein Versuch, alle Hindernisse mit
kuehnem jugendlichem Elan zu nehmen, prallen an Sarastros Mauern ab. Er
haette den Kampf auch schon aufgegeben, haette Sarastros Sprecher ihn
nicht darauf aufmerksam gemacht, dass es noch einen anderen Weg zum
Ziele gibt. Und so unterstellt sich Tamino Sarastros Autoritaet. Diese
Unterwerfung ist nicht taktischer Natur, dient nicht lediglich dem
Zweck, an Pamina heranzukommen. Tamino erkennt naemlich, dass er von
seinem Ziel, ein vollstaendiger Mensch zu sein, noch weit entfernt ist
und seine Defizite durch die Lehre bei Sarastro ausgleichen kann.

Wenn wir uns mit Sarastro befassen, dann duerfen wir auch hier nicht
danach fragen, wer dieser Oberpriester tatsaechlich ist. Seine
Aeusserungen sind nicht Selbstrepraesentation, sondern sind Wahrnehmung
Sarastros durch Tamino. Hier muss ich einen kurzen Ausflug in die
Psychologie machen, der bei Mozart nie verkehrt ist. Wer als Sohn seinem
Vater oder als Schueler seinem Meister gegenuebersteht, spuert am Anfang
grosse Unterlegenheit. Er erlebt das Autoritaetsverhaeltnis nicht nur
als aeusseres, sondern auch als inneres Machtverhaeltnis. Der
Unterlegene pflegt sein Ohnmachtsgefuehl dadurch zu kompensieren, dass
er sich durch Bewunderung mit dem Maechtigen identifiziert. In der Oper
wird dies durch Sarastros Herrschaftsattribute symbolisiert. Die
Bewunderung des Vorbilds wird begleitet von der Abwertung derjenigen,
die dem Vorbild nicht entsprechen. In der Oper wird dies durch eine Art
von Weiberfeindschaft symbolisiert, die eng an die Verachtung des
ungebildeten und aberglaeubischen Poebels geknuepft ist. Diese
Abgrenzung zur Aussenwelt wird noch durch Zuechtung des elitaeren
Duenkels verstaerkt, zu einem auserwaehlten Zirkel zu gehoeren.(Seien
wir ehrlich: Auch wir, die wir uns in dieser NG gegenseitig in unserer
musikalischen Bildung voranzubringen suchen, versuessen und die damit
verbundenen Entbehrungen gelegentlich mit der Vorstellung, wir stuenden
weit ueber Lieschen Mueller oder Hinz und Kunz. Auch die in Sarastros
Reich herrschende Sklaverei wird, stimmig, wenn man sich in Erinnerung
ruft, dass Erziehung und Lehre auch voruebergehnder Sklavendienst sind.
In der Ausbildung ist es - mit Recht! - verpoent, die gelehrten
Standards in Frage zu stellen; Abweichungen von den ueberlieferten
Regeln des Handwerks werden als Fehler gebrandmarkt und geahndet.

Auch das Verhaeltnis Sarastros zu Pamina laesst sich stimmig deuten,
wenn man es nicht von Sarastro, sondern von Pamina her sieht. Csampai
war mit dem Hinweis auf die beiden erotisch aufgeladenen Stellen auf dem
richtigen Weg, ehe er sich aufgrund seiner ideologischen Fixierung in
die Sackgasse verirrte. Wenn Sarastro im Finale des ersten Aktes die vor
ihm knieende Pamina zaertlich anspricht:

>Steh auf, erheitre dich, o Liebe!
>Denn ohne erst in dich zu dringen, weiss ich von deinem Herzen mehr:
>Du liebest einen anderen sehr.
>Zur Liebe will ich dich nicht zwingen, doch geb ich dir die Freiheit >nicht.

dann aeussert sich hier nicht Csampais "verliebter Despot". Vielmehr
spuert Pamina durch den zarten Appell an die auch in ihre erwachten
erotischen Gefuehle, dass sie vom Maedchen zur Frau aufgerichtet wird.
Das ist das Gegenteil von Sexismus. Mozarts Sarastro weiss sehr wohl
zwischen "Frauen"feindschaft und "Weiber"feindschft zu unterscheiden.
Und dass er ihr die Freiheit (noch) vorenthaelt, ist auch keine
Freiheitsberaubung, sondern wird dadurch legitimiert, dass sich Pamina
wie Tamino freiwillig der Lehrautoritaet Sarastros unterwirft. Dieser
Vorgang wird noch dramatischer in der Hallenarie wiederholt, die auf die
Hoellenarie folgt, in der die Koenigin von ihrer Tochter unter Androhung
der Verstossung den Mord an Sarastro fordert. Die ganze Szene
beschreibt, wie Pamina zwischen ihrer Bindung an die Mutter - hinter der
sich der letztlich der infantile Wunsch nach Rueckkehr in den
Mutterschoss verbirgt - und ihrer Loyalitaet zu Sarastro schwankt, von
dessen Lehre sie sich die Heranfuehrung zur reifen Frau und zur reifen
Liebe verspricht. Ihre Entscheidung fuer Sarastro wird erleichtert, wenn
sie bemerkt, dass Sarastro ihr die Lehren nicht nur mit Strenge, sondern
auch mit Liebe beibringt. Auch hier bringt die Musik durch die
Erotisierung zum Ausdruck, dass sich Pamina entschieden hat, von der
Tochter zur Frau aufzusteigen.

Zum Schluss komme ich zu meinem Lackmustest. Die erste Frage betrifft
den Untergang der Koenigin mit den drei Gouvernanten und des
Sklavenaufsahers. Sehen wir genau hin, dann geht die muetterliche Welt
nicht vollstaendig unter. Es bleiben Papageno, die drei Schutzengel und
die Musikinstrumente. Vernichtet wird nur die besitzergreifende Mutter,
die ihre Tochter nicht freigeben will. Wichtiger noch: Auch Tamino und
Pamina muessen sich mit dem Abschied von ihrer Kindheit von der inneren
Fixierung an die Mutter loesen, sich von ihr endgueltig abnabeln. Geht
also die muetterliche Welt nicht vollstaendig unter, so bleibt auch die
vaeterliche Welt nicht mehr die, die sie in der Phase der Erziehung war.
Mit dem Untergang des Sklavenaufsehers entlaesst Sarastro seine
Zoeglinge nach bestandener Pruefung in die Freiheit.

Dass der lustige Papageno mit seiner Suessen im Schlussbild nicht
erscheinen darf, hat seine Logik darin, dass die Oper die Geschichte
Taminos und Paminas erzaehlt. Die Abwesenheit des naturwuechsigen Paar
ist nicht als Abwertung die "niederen" Paars gegenueber dem "edlen" Paar
zu bewerten. Sie weist vielmehr auf etwas hin, was Freud als "Unbehagen"
in der Kultur" beschrieben hat: "Schoenheit und Weisheit" haben ihren
Preis, naemlich den Verlust an unmittelbarer Lust und Naivitaet.

In diesem Sinne ist auch Paminas Todesarie zu deuten. Tamino und Pamina
wissen, dass es in der Liebe nicht das reine Glueck gibt. Mozart
wiederholt in dieser Musik die auch in den anderen Opern enthaltene
Botschaft: Niemand wird der Liebe teilhaftig, der nicht auch ihre Leiden
kennt und ertragen gelernt hat, deren extremstes das auswegslose Gefuehl
von Verlassenheit ist.

Und die drei Knaben? Sie stammen aus der muetterlichen Welt und sind die
Schutzengel, die bei Abwesenheit der Mutter und ihrer Gouvernanten auf
die Kinder aufpassen. Dass ohne sie die Oper als Tragoedie geendet
haette, weist wiederum auf eine bei Mozart immer wiederkehrende
Botschaft hin: dass Leben unter dem Risiko des Scheiterns steht. Die
wunderbare Musik, mit der Mozart diese Figuren versehen hat, drueckt die
Hoffnung aus, dass auch nach dem Abschied aus der Kindheit jemand uber
uns sein moege, der auf uns aufpasst.

Zum allerletzten Schluss noch eine doch sehr naheliegende Frage: Warum
schildern Schikaneder und Mozart den symbolischen Muttermord, nicht aber
den Vatermord, den hundert Jahre spaeter Freud allein in den Blick
nimmt? Mozarts Asymmetrie korrespondiert auffaellig mit seiner
Biografie. Die Mutter starb auf der Reise, auf der sie den 21-jaehrigen
Sohn - anstelle des in Salzburg gebundenen Vaters - ueber Mannheim nach
Paris begleitete, wo Mozart vergeblich zu reuessieren suchte. Aus der
Korrespondenz laesst sich schliessen, dass Mozart kein tiefes
Verhaeltnis mehr zur Mutter hatte und diese als stoerend empfand, zumal
er auf dieser Reise auch Liebesabenteuer suchte. Dagegen war er bis zu
Leopolds Tod bestrebt, als Kuenstler vor den Augen des Vaters bestehen
zu koennen.

Die spezifische Vater-Mutter-Sohn-Beziehung ist sicherlich nicht allein
biografisch, sondern auch historisch bedingt. In den Zeiten, in denen
dem Vater nicht nur fuer die Erziehung, sondern auch fuer die berufliche
Ausbildung zustaendig war, waren Vater und Sohn laenger als heute
aneinander gebunden. Da Ausbildung ja darauf zielt, aus dem Schueler
einen ebenbuertigen Meister, womoeglich auch einen Nachfolger zu machen,
war die Umwandlung des Autoritaetsverhaeltnisses in ein Verhaeltnis von
Gleichen in der maennlichen Linie gleichsam programmiert. Sarastro will
ja Tamino zu seinem Nachfolger heranzubilden. Fuer eine entsprechende
Entwicklung des Mutter-Sohn-Verhaeltnisses bot die damalige Gesellschaft
keine Modelle.

Je mehr die durch industrielle Revolution beschleunigte Herausbildung
einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Rolle des Vaters schwaechte,
desto rascher erodierte die Autoritaet des Vaters, desto draengender
wurde bei den heranwachsenden Soehnen das Beduerfnis, die Macht des
Vaters frueh zu brechen. Wegen der Heftigkeit dieses Generationkonflikts
rueckte Freud den symbolischen Vatermord derart stark in das Zentrum
seiner Neugier, dass er den vorangegangenen Muttermord ausblendete.

Dies sehe ich auch als eine Erklaerung dafuer, dass die Rezeption der
Zauberfloete mit den Jahren vielfach eine sarastrofeindliche Schlagseite
bekam. Sicherlich ist Euch schon laengst klar geworden, dass mein Text
unter anderem auf die Rehabilitierung Sarastros zielt. Ich hoffe, dass
ich dadurch nicht einer Schlagseite zu Lasten der Koenigin verfallen
bin. Ich liebe ihre Auftritte, denn ohne sie geriete die Zauberfloete
ausser Balance. Mir sind deshalb alle Inszenierungen sympathisch, die -
wie die von Carsens - die Dichotomie Gut-Boese von vornherein verbannt,
um nicht die unglaubliche Balance und Lebensnaehe der Zauberfloetenmusik
zu kippen.

Nun bin ich endlich zum Schluss gekommen. Fuer die Strapazierung Eurer
Geduld bitte ich um Nachsicht, fuer Eure Anregungen bin ich zu Dank
verpflichtet. Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 5, 1999, 3:00:00 AM11/5/99
to
Lieber Peter,
ich komme mir vor wie der Hase, der meint, im Wettlauf mit dem Igel die
Nase ganz weit vorn zu haben, um dann am Ziel vom Igel mit
ausgebreiteten Armen in Empfang genommen zu werden: Ich bin schon da!
:-) :-( Da habe ich mich von deinem Einstieg in diesen Thread dazu
herausfordern lassen, mein reichlich diffuses Bild von der Zauberfloete
in zaeher Arbeit so zu konkretisieren, dass es diskussionsfaehig wird,
da finde ich - noch bevor ich damit fertig bin - bereits eine vertiefte
und modifizierte Version deiner Interpretation vor.

Peter Brixius schrieb am 31.10.


>
> Lieber Hans-Hagen,
>
> vielen Dank fuer Deinen inhaltsreichen Beitrag, der mich auch wieder
> prompt zu Beitraegen bringt :-)
>

Der Dank geht in gleicher Intensitaet zurueck und was die Promptheit
betrifft, bemuehe ich mich, nicht allzuweit hinter dir zurueckzubleiben


:-)
> Es ist immer kritisch, wenn man von einer Deutung des Schlusses gleich zu
> einer Gesamtdeutung kommt, wie ich es - provoziert durch Harnoncourts
> Ueberlegungen - getan habe. Ueberzeugender ist es, wenn man erst einmal
> die Konstituenten dieses Schlusses genauer ansieht, d.h. die
> Handlungsstraenge im Stueck verfolgt und sieht, ob und wie sie auf diesen
> Schluss zulaufen.

So ist es. Dies schliesst natuerlich nicht aus, dass zwei Interpreten,
die verschiedene Handlungsstraenge verfolgen, auch den Schluss
unterschiedlich deuten. Im folgenden soll es nicht um mein, sondern um
dein Bild von der Oper gehen. Wenn ich dennoch auch meine Interpretation
heranziehe, dann deshalb, weil ich Unterschiede herausarbeiten moechte,
die mir die Analyse deiner Interpretation erleichtern. Ich lasse jetzt
die Praeliminarien beiseite und komme zum Kern:


>
> Zunaechst wird nicht die Koenigin und ihr Gefolge samt Mohr "zernichtet"
> (fuer diese Zeit keine wesentliche semantische Differenz), sondern ihre
> *Macht* - das ist ein entscheidender Unterschied.

Das sehe ich inzwischen auch so: Die Schlussszene schildert nicht eine
physische Liquidierung, sondern die symbolische Vernichtung von Macht.
Die Art der vernichteten Macht habe ich durch das Bild des "Abnabelns"
zu kennzeichnen versucht: Die Mutter muss ihren Besitzanspruch auf die
Tochter aufgeben und die Tochter muss sich aus der Fixierung an die
Mutter loesen, d.h. sie muss zugunsten ihrer Autonomie auf die Behuetung
durch die Mutter verzichten.

>Waehrend die "Partei
> der Koenigin" mit dem erklaerten Ziel der physischen Vernichtung
> angetreten ist ("Dort wollen wir sie ueberfallen- / Die Froemmler tilgen
> von der Erd' / Mit Feuersglut und maecht'gem Schwert."), singen die
> Usurpatoren selbst: "Zerschmettert, zernichtet ist unsere Macht, / Wir
> alle gestuerzt in ewige Nacht.") Und Sarastro verkuendet: "Die Strahlen
> der Sonne vertreiben die Nacht, / Zernichten der Heuchler erschlichene
> Macht."

Hier scheinen wir auseinander zu gehen. Waehrend ich den Konflikt
zwischen der Koenigin und Sarastro in Tamino und Pamina verlege, die
diesen Konflikt als Loyalitaetskonflikt zwischen Mutter und Vater
austragen, siehst du ihn als direkten Kampf zwischen zwei negativ
konnotierten Parteien. Eine Frage am Rande: Was ist der Unterschied
zwischen Heuchlern und Froemmlern? :-) Im Libretto sind das ideologische
Kampfbegriffe, mit denen die Parteien ihren Gegner abzuwerten versuchen.

> Die Machtfrage, gestellt zwischen "Heuchlern" und "Froemmlern",
> entscheidet das Licht, Symbol der Aufklaerung. Waehrend Sarastro in der
> Prinzessin und im Prinzen seine Nachfolger sieht, die fuer die Menschheit
> wirken sollen, haben die Maechte der Finsternis ihre Kraft verloren. Die
> (zeitgemaesse) Hoffnung ist, dass auch diese sich zum Licht bekehren.
>

Ich weiss nicht, ob ich dir richtig folge, doch ich habe den Eindruck,
dass wir uns wieder annaehern: Der "Froemmler" ist der "Heuchlerin"
ueberlegen, weil er die Fackel der Aufklaerung traegt und deshalb fuer
die nachfolgende Generation groessere Anziehungskraft ausuebt. Ich
behaupte allerdings keine prinzipielle Ueberlegenheit (des vaeterlichen
ueber die muetterlichen Autoritaet), sondern lokalisiere sie auf
bestimmte Erziehungsphasen. Auch Sarastro muss, wenn die Lehrzeit
erfolgreich beendet ist, das Licht mit seinen ehemaligen Zoeglingen
teilen. Tut er das nicht, dann gebuehrt ihm die gleiche Vernichtung, wie
sie an der Koenigin vollzogen wird.

> Der Anspruch von Sarastro ist der, fuer alle Menschen zu sprechen, das
> umfasst eben auch diejenigen, die (noch) nicht auf der Hoehe der Zeit
> sind, deren Besseres er aber zu kennen glaubt.
> Insofern ist die Parteiung zwischen den Menschen aufgehoben,

Jetzt wird es schwierig, dir zu folgen. Plaedierst du fuer eine
Erziehungsdiktatur, fuer eine Tyrannis der Philosophen? In meinen Augen
darf Sarastro seine Herrscherrolle nur befristet ausueben und das auch
nur, wenn ihm kraft Uebereinkunft oder kraft gesellschaftlicher
Konvention die Erziehungsgewalt uebertragen worden ist.

> bzw. aus dem Ringen zwischen dem
> (weiblichen) Reich der Koenigin und dem (maennlichen) Reich Sarastros ist
> der Kampf zwischen Licht und Nacht, Gut und Boese geworden.

Frage: Hier also keine Aufhebung der Entzweiung? Zweifel: Ist der
Konflikt zwischen Licht und Nacht, d.h. zwischen Wissen und Nichtwissen,
identisch mit dem Konflikt zwischen Gut und Boese? Liegt dazwischen
nicht die "Dialektik der Aufklaerung"?. Heftiger Widerspruch: der
Gegensatz zwischen Wissen und Nichtwissen und zwischen Gut und Boese hat
prinzipiell nichts mit dem Gegensatz zwischen Maennlich-Weiblich zu tun.

> Insofern zeigt sich auch eine (negative) Entwicklung bei der Koenigin der
> Nacht, von der trauernden Mutter, die zwar zornig aufbegehrt, aber doch
> den Prinzen zur Rettung aussendet, also auf eine persoenliche Loesung
> setzt - ueber die Rasende, die Sarastros Tod fordert, bis zu der hart
> gewordenen, der es nicht mehr um ihre Tochter geht, die sie wider deren
> Willen dem Mohren geben (!) will.
>

Also doch: Die Frau als Inkarnation des Boesen? und das aus deinem
Munde? Da muss ich erst einmal Atem holen und darueber nachdenken, ob
ich dich richtig verstehe. Zunaechst einmal: Ich moechte darauf
beharren, dass zwischen der Koenigin und Sarastro nicht ein
Frau-Mann-Konflikt, sondern einen Mutter-Vater-Konflikt ausgetragen
wird. Die beiden streiten sich ausschliesslich um die Tochter, und der
Kampf um das Licht ist in diesem Kontext als Kampf um das Wissensmonopol
zu sehen, also um die Macht, dem Kind die Welt zu deuten. Was der
Koenigin widerfaehrt, ist die Tragik einer jeden Mutter. Solange das
Kind schutzbeduerftig ist, darf und muss sie es wie einen Besitz
behueten und sich gegen Uebergriffe wehren, auch gegen gut gemeinte und
in Gesellschaften mit strikter Aufgabenteilung zwischen den Eltern auch
gegen Uebergriffe des Vaters, z.B. gegen verfruehte
Sozilisationsversuche. Jede Mutter weiss aber auch, dass sie als
Schutzmacht zur rechten Zeit abdanken muss, weil Behueten sich nicht mit
Muendigkeit vertraegt. Und wenn sie den richtigen Zeitpunkt verpasst,
wird sie entthront, sei es, dass das Kind sich ihr entzieht, oder sei
es, dass der Vater es in seine Erziehungsgewalt nimmt. In der
Zauberfloete wird das Problem des richtigen Zeitpunkts am Recht der
Gattenwahl konkretisiert: Erhaelt Tamino die Tochter durch Hoheitsakt
der Mutter oder kraft eigenen Rechts, weil er sie liebt und Pamina seine
Liebe erwidert? Wenn die Koenigin zur Aufgabe ihrer Mutterrolle nicht
bereit ist und damit auf Paminas Unmuendigkeit besteht, dann genuegt es
allerdings nicht, die Mutter nur symbolisch zu vernichten. Man wird sie
zwar nicht toeten oder einsperren, aber doch physisch von sich
fernhalten, z B. indem man sie nicht zur Examensfeier einlaedt.

Um der Versuchung zu widerstehen, deine Sicht einfach durch meine Sicht
verdraengen zu wollen, ueberlege ich, ob und wie unsere Sichtweisen
ueberbrueckt werden koennen. Laesst sich z.B. meine Konkretiserung so
verallgemeinern, dass sie deine einschliesst, ohne dass dadurch die
Parabel inhaltsleer wird? Mit meinem Exkurs ueber meinen musikalischen
Bildungsweg habe ich zu zeigen versucht, dass sich die Zauberfloete
nicht lediglich an Pubertierende, sondern an alle Altersgruppen richtet.
Es gibt ja nicht nur leibliche, sondern auch adoptierte Elternschaft und
Kindschaft - Sarastro ist nicht der leibliche Vater Paminas. Autoritaet
anerkennen oder ausueben, das tun wir unser Leben lang.

Du gehst mit der Verallgemeinerung noch einen Schritt weiter:

> Die Vorgschichte geloescht

> Ich glaube nicht, dass Sarastro das Scheusal ist, das Csampai aus ihm
> macht

Das habe ich mir doch gleich gedacht, dass auch du bei Csampai in die
Schule gegangen bist :-)

>- aber dazu wuerde ich gerne noch einmal spaeter im Thread etwas
> sagen. Fuer Mozart und Schikaneder gleichermassen stehen am Ende der Oper
> Sarastro und sein Volk, die den Sieg der Vernunft ueber den Aberglauben,
> der Menschlichkeit ueber den Hass feiern. Sie sind die Repraesentanten
> des Lichtes - und offensichtlich positiv gesehen. (Ich habe mich da
> uebrigens vom Libretto irritieren lassen, das bei Csampai abgedruckt ist:
> dort singen die Priester den Schlusschor, gesungen wird er aber
> offensichtlich nicht nur von den Priestern - vgl. vorher Tenor/Bass, also
> Maennerstimmen, sondern vom vollen Chor - unter Einschluss der
> Frauenstimmen!)

Wie Claus sehe ich in meinem, auf der Urfassung basierenden,
Klavierauszug den Chor als Priesterchor gekennzeichnet. Und was die
Frauenstimmen angeht, hast du inzwischen lesen koennen, dass m.E.
Sarastro sehr wohl zwischen Frauen- und Weiberfeindschaft unterscheidet.

>Deshalb braucht man aber die Gefaehrdungen nicht zu
> vergessen, die die Herrschaft der Vernunft mit sich bringt.

Du erweiterst die in der Oper erzaehlte Familiengschichte zu einer
allgemeinen Parabel ueber den Konflikt zwischen Vernunft und Aberglauben
und ueber die Gefahr, dass legitime Autoritaet zu blosser Macht
missbraucht wird. Damit kann ich gut leben. Es bleibt aber noch meine
Verwirrung wegen der "boesen"- Mutter. In meiner eigenen Interpretation
habe ich die Komplexitaet der Oper, die auf der grossen Vielfalt der
Gegensaetze beruht, dadurch reduziert, dass ich Tamino und Pamina als
handelnde Personen ins Zentrum ruecke und die anderen Figuren eher als
symbolische Repraesentanten kennzeichne. Dies geschah deshalb, weil mich
die Versuche, der Zauberfloete wie in den Mozarts frueheren Opern eine
realistische Handlung mit Personen von Fleisch und Blut unterzulegen,
nicht überzeugen. Wie du vorhin demonstrierst hast, mag das bei der
Koenigin noch gelingen. Bei Sarastro aber fuehrt der Versuch, ihn sich
als Mann von Fleisch und Blut zu malen, zu einer ziemlich seelenlosen
Figur, die Mozart als reale Personen so nie komponiert haette. Sarastro
als realistisches Abbild eines Menschen, das kommt wohl Csampai sehr
entgegen, mir und wohl auch dir erscheint das nicht stimmig.

Der Charme, den meine Interpretation fuer mich hat, besteht darin, dass
sie der Gefahr entgeht, die Koenigin oder Sarastro Zum "Guten" oder zum
"Boesen" zu stilisieren. Ich bestreite ja nicht, dass es in der
Zauberfloete auch um den Gegensatz Gut-Boese geht, aber Mozart hat es
stets tunlichst vermieden, eine reale Figur als absolut boesen
Menschenfeind darzustellen. Fuer ihn ist das "Boese" keine absolute
Kategorie, sondern - und da verlaesst er seinen Katholizismus und
springt ueber die Romantik hinweg mitten in unsere Zeit - eine soziale
Kategorie. Don Giovanni kommt in die Hoelle nicht wegen seiner Bosheit,
sondern deswegen, weil er als Libertin, dessen Lebensinhalt nicht einmal
auf sexuelle Lust, sondern auf den Genuss der erfolgreichen Verfuehrung
reduziert ist, zwar die geheimen erotischen Wuensche von Mann und Frau
anspricht, aber als soziale Existenz absolut unvertraeglich ist. Wenn
Csampai sich in seinem Ekel gegenueber der buergerlichen Gesellschaft
geradezu in romantische Verehrung des Feudalismus fluechtet, dann
uebersieht er, dass die Koenigin der Nacht - als reale Person gesehen -
in jeder aufgeklaerten Gesellschaft absolut unvertraeglich waere, weil
sie die Mutterschaft pervertiert. Und um auf dich zurueckzukommen: ich
kann nicht glauben, dass Mozart in der Zauberfloete nicht lediglich die
Gefahr, sondern auch den Vollzug dieser Perversion komponiert hat.

Zur Hallenarie


>
> Die Hand ist, nimmt man Sarastros Arie ernst, ausgestreckt, doch im
> Moment scheint die Gegenpartei nicht unbedingt das Beduerfnis zu haben,
> sie anzunehmen.

Das sehe ich, wie du inzwischen lesen konntest, anders. Pamina schlaegt
in Sarastros Hand ein, sie sucht in ihrer Not foermlich diese Hand.

> Ansonsten: Weisheit will Versoehnung, Schoenheit meint
> eben auch das Menschenglueck - da sehe ich keinen Widerspruch. Es bedarf
> aber der Staerke, um die Rechte der Menschen zu beschuetzen, sonst hiesse
> die Oper am Ende doch "Pamina und Monostratos" :-)

:-) "Ein Mann muss eure Herzen leiten"? :-) Da ueberlasse ich den
Feministen und Huetern der political correctness den Kommentar.

- snip -

> Vorbild der deutschen Aufklaerung (und auch der > Freimaurerei) ist > die aufgeklaerte Monarchie. Es braucht der Staatsgewalt
> des Monarchen, um Sicherheit zu garantieren, die Ordnung herzustellen,
> die Erziehung des Menschengeschlechtes zu ermoeglichen.

Und deswegen finde ich die Konnotation der Zauberfloete und auch des
Figaro mit der franzoesischen Revolution nicht angemessen

> In dieser
> paternalistischen Vor-Sorge wird zwischen den aufgeklaerten Buergern
> unterschieden und den anderen, die nicht faehig sind, ihre Vernunft zu
> gebrauchen. Was Sklaven zu Sklaven macht, ist in dieser Anschauung nicht
> der Zwang, der von anderen auf sie ausgeuebt wird, sondern ihre
> Unfaehigkeit, ohne diesen Zwang vernunftgemaess zu handeln.
>
> Das sehen wir alles etwas anders

und deswegen toernen historisierende Auffuehrungen auch so viele
Zeitgenossen ab!

> grosse Teile geloescht. Es liesse sich so manches dazu sagen, aber wir muessen ja nicht alles ausdiskutieren.

> Da widerspreche ich Dir aber trotzdem. Zwischen dem von mir
> angesprochenen "terreur" und dem (zeitgemaess ueblichen) Tugendbegriff,
> wie er in der Zauberfloete auftaucht, liegen doch schon Welten.

Ohne Zweifel.

> Den Rest geloescht bis auf:

> Da machst Du es Dir unnoetig schwer. Der gesprochene Text ist fuer mich
> unverzichtbar, je ausfuehrlicher (fuer mich!), desto besser. Mozart hat
> ja diesen Text gekannt und akzeptiert. Viele Hilfen zum Verstaendnis
> finden sich eben hier - und so manche Verkuerzungen in der Interpretation
> verdanken sich eben einer mangelnden Beruecksichtigung des Textes. Es
> handelt sich ja bei der Zauberfloete um ein *Singspiel*, nicht um eine
> Oper i.e.S. - und da gehoert der Text notwendigerweise dazu.
>

Da will ich dir auch gar nichts ausreden :-) Ich halte deine Art der
Rezeption auch fuer reifer. Carnens sieht den Gegensatz Singen-Sprechen
mit Recht als tragendes Element gerade der Zauberfloete. Ich raeume ein,
dass ich auf diesem Gebiet weniger gebildet bin als du. Nur mit
Beschaemung beichte ich, dass ich bei Cosi fan tutte haeufig sogar die
Rezitative ueberspringe. Zu meiner Rechtfertigung kann ich nur
vorbringen, dass ich beim Hoeren dieser Opern als "sinfonische Dichtung"
gelegentlich die besten Ideen habe. Dass bei der Rezeption die Kenntnis
und Analyse des Librettos dazugehoert, ist für mich aber
selbstverstaendlich.

> Vielen Dank fuer Deinen Beitrag

Freut mich, allerdings: ich habe zu danken!

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 6, 1999, 3:00:00 AM11/6/99
to
Lieber Claus,
endlich bin ich fuer die ueberfaellige Antwort frei. Meine Befuerchtung,
dass sich deine Bemerkungen zum ersten Teil meines Diskussionsbeitrags
durch den nachfolgenden Text sozusagen erledigt haben, finde ich nicht
bestaetigt, denn du hast hier auch erstmals deine Meinung zu Carsens
Text geaeussert. Ich habe im dritten Teil meines Beitrags zwar auch dazu
Stellung genommen, doch las ich den Text, damals, als ich noch mit der
Zubereitung meiner eigenen Saltsauce beschaeftigt war, unter dem Aspekt:
wo kann ich aus dem Text noch Honig saugen, damit die Sauce nicht mehr
gar zu saeuerlich schmeckt.

Claus Huth schrieb am 31.10.:


>
> Lieber Hans-Hagen,
>
> jetzt zu dem ein oder anderen Aspekt Deines Postings.....
>

Ich lasse hier und da einiges Redundantes weg

> > Wie laesst aber Schikaneder die Oper enden? Zunaechst erweckt er den
> > Eindruck, als strebe die Story mit der gluecklichen Vereinigung der
> > beiden jungen Paare, Tamino und Pamina sowie Papageno und Papagena,
> > ihrem Happy End entgegen. Doch dann ficht das dritte, verfeindete, Paar
> > seinen Kampf um die Vorherrschaft bis zu seinem unversoehnlichen Ende
> > aus. Die Koenigin wird mit ihrem (weiblichen) Gefolge und dem Mohren
> > nicht lediglich "ver"nichtet, sondern regelrecht "zer"nichtet. Ihr
> > Untergang und der anschliessende Triumph Sarastros zeigen eben nicht
> > Aufhebung, sondern Fortdauer der Parteiung.
>
> In einem gewissen Sinne hast Du recht. Aber: In der ganzen Oper stehen

> sich stets kontraer zwei Prinzipien gegenueber. Sonne und Nacht, Licht
> und Schatten, Guete und Hass, und schliesslich Mann und Weib. Sarastros
> Maennerwelt steht die Welt der Koenigin der Nacht und Ihrer drei Damen
> gegenueber.
>
Dass sich die Zauberfloete durch eine Vielfalt von Gegensaetzen
charakterisieren laesst, finde ich zutreffend, doch halte ich diesen
Befund, fuer sich genommen, nicht fuer eine Auszeichnung, sondern fuer
ein Problem. Da Mozart in seinen Opern die behandelten Themen niemals
willkuerlich auswaehlt und die Szenen nicht zufaellig aneinanderreiht,
stelle ich bei einer zunaechst verwirrenden Vielfalt zuerst einmal die
Frage, in welcher inneren Ordnung diese Vielfalt steht. Gegensaetze sind
bei Mozart zumeist menschliche Konflikte, Gefuehlskonflikte innerhalb
von Personen oder Konflikte zwischen Personen, die unterschiedliche
Ursachen haben und unterschiedliche Formen annehmen koennen. Von einer
Interpretation oder einer Inszenierung erwarte ich gehaltvolle und
stimmige Antworten auf die Frage, um welche Art von Konflikten es geht,
wie die Personen mit den Konflikten umgehen, welche Konsequenzen sich
aus ihrem Handeln ergeben, ob die Konflikte eskalieren oder einer
Loesung zugefuehrt werden. Und wenn ein Happy End angekuendigt wird,
will ich schon wissen, ob dieses nur vorgegaukelt wird, ob es als eine -
unter welchen Voraussetzungen? - realisierbare Utopie oder gar als real
gelungene Versoehnung dargestellt wird. Ferner interessiert es mich,
welcher Art die Versoehnung ist, ob dabei jemand auf der Strecke bleibt,
ob sie wie die Genesung nach einer Krankheit die Konflikte verschwinden
laesst oder einen Friedensschluss bedeutet, bei der man die Waffen
wegwirft und sich mit den Gegensaetzen mehr oder weniger abfindet.

In Carsens Text finde ich zu wenig Erhellendes. Er enthaelt sinnvolle
Fragen und einige anregende Ideen, die ich mir auch angeeignet habe. Als
Essenz des Werkes formuliert Carsens aber die wenig aufregende
Botschaft, dass sich dank Mozarts Musik alle Probleme in Harmonie und in
Wohlgefallen aufloesen werden. Das ist mir zu wenig, als dass es mich
zum Besuch der Auffuehrung animieren wuerde. Und ich fuerchte, dass ich
bei meinen Freunden und Bekannten, die meinen Enthusiasmus fuer die
Zauberfloete nicht teilen, mit diesem Text die Vorbehalte eher
bestaerke: Mein Gott, fuer so einen Kitsch kannst du dich begeistern?

> Schon zu einem relativ fruehen Zeitpunkt in der Oper,
> naemlich dem Duett "Bei Maennern, welche Liebe fuehlen" wird dieses
> kontraere Prinzip, fast als utopischer Moment, angezweifelt: "Mann und


> Weib, und Weib und Mann reichen an die Gottheit an." Das Prinzip der
> Parteiung wird so keine Zukunft haben.

Es tut mir fast schon weh, aber hier bin ich ganz entschieden anderer
Auffassung und bin zuversichtlich, auch Peter Brixius noch davon
ueberzeugen zu koennen, dass in der Zauberfloete die Parteiungen nicht
aufgehoben werden :-) Nicht einmal im frisch vermaehlen Parr hat sich
die temporaere Entzweiung in reine Harmonie aufgeloest. Sicher, das Ende
ist versoehnlich, und gewiss ist Teil dieser Versoehnung auch die
Erfahrung, Gefahren gemeinsam uebestanden zu haben. Aber glaubst du,
dass die beiden jemals die Szene vergessen werden, als sich Pamina in
Ihrer Not an den Verlobten wandte und Tamino ihr seinen Beistand
verweigerte, weil er gerade mit den vorgeschriebenen Yoga-Uebungen
beschaeftigt war? Auch wenn sie die damals geschlagenen Wunde inzwischen
vernarbt ist, sie ist noch da. Glaubst du nicht auch, dass Pamina nicht
fuer immer davon gezeichnet sein wird, dass sie am Abgrund stand und nur
durch ein Wunder gerettet wurde, und dass Tamino nicht fuer immer Scham
darueber empfinden wird, dass seine Gattin durch sein Verhalten an den
Abgrund getrieben wurde und nicht er, sondern fremde Schutzengel sie vor
dem Absturz bewahrt haben? Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
sogar foedern. Womoeglich werden sie das von dir zitierte Duett
auch gerne noch hoeren, aber nicht mit der Hoffnung auf reine Harmonie,
sondern mit dem Seufzer: Ja, so fuehlten wir einmal, als wir uns noch
nicht kannten.

> Und jetzt kommt der Carsens ins Spiel, der meiner Meinung nach zu

> Recht feststellt, dass es in dieser Oper wesentlich mehr Pruefungen
> gibt, als die, die Tamino auferlegt sind. Denn beide gegensaetzliche
> Welten stehen doch von Anfang an in Frage. Ist es nicht eine Pruefung
> auch fuer Sarastro, seine Zuneigung zu Pamina zurueckzuhalten > zugunsten eines "hoeheren" Prinzips,

Zum Vehaeltnis Sarastro-Pamina habe ich im letzten Teil meines Postings
und in meiner Antwort an Peter meine Vorstellungen entwickelt. M.E.
kommt ausser Tamino und Pamina nur noch Papageno als Pruefungskandidat
in Erwaegung. Tatsaechlich erhaelt er seine Frau aber ohne
Pruefungszeugnis. Zwar reisst er sich endlich zusammen und haelt den
Mund, aber sein Gehorsam entspringt noch dem gleichen Motiv wie bei der
Koenigin: Angst vor Strafe. Carsens meint, dass auch die Koenigin in die
Reihe der Prueflinge gehoert, weil sie den Kummer ihrer Tochter mit
ansehen muesse. Ich habe aber ganz und gar nicht den Eindruck, dass sie
das Schicksal der Tochter ueberhaupt noch interessiert. Ich sehe nur,
welchen Kummer sie bei Pamina anrichtet.

> ist es nicht eine Pruefung fuer Pamina, den Rachegeluesten ihrer > Mutter zu widerstehen??

Da muss sie sich nicht pruefen: Es steht fuer sie ausser Frage, dass sie
Sarastro nicht umbringt und Tamino nicht verraet. Was auf die Probe
gestellt wird, ist ihr Vertrauen in die beiden Herren.

> Dann sind da einige hoechst seltsamen, raetselhafte Szenen im ersten
> Akt: Zum Beispiel der drei Knaben Gesang "Zum Ziele fuehrt dich diese
> Bahn": zu welchem Ziele? Fuer wen sprechen die drei hier? Fuer die > Nacht oder das Licht?

Ich denke: fuer ihre Schutzbefohlenen

> Was genau weiss der Sprecher im anschliessenden Rezitativ? Da scheint > der Oberflaeche mehr zu liegen, als der Text es beim Lesen vielleicht > hergibt.

Ich glaube, das werden wir nie erfahren. Der Sprecher will Tamino von
seinen Vorurteilen befreien und ihn fuer Sarastro gewinnen. In der Musik
hoeren wir, wie der Sprecher Tamino in heftige Gefuehlsschwankungen
versetzt, auf ihn aber auch eine einnehmende Wuerde ausstrahlt.

> Ich habe wohl uebersehen, wo Peter Sarastro als "Scheusal" beschriebt.
> Sagte er nicht, dass die Oper weder die Partei des einen noch des
> anderen Prinzips ergreife??

Nein, du hast nichts uebersehen. Einige von Peters Ausfuehrungen weckten
bei mir Assoziation an Csampai. Inzwischen hat er bei seiner Antwort auf
mein Posting seine Bewertung Sarastros auch fuer mich klargestellt.
>
> Wobei diese drei Knaben eines der groessten Raetsel in der Zauberfloete
> sind - und mE eines der signifikantesten Merkmale fuer eine solche


> "allumfassende" Deutung. Denn die passen sonst in kein Konzept:

> Eingefuehrt als Diener der Koenigin der Nacht wechseln sie alsbald - und
> mE schon vor dem zweiten Akt - scheinbar ins Lager Sarastros. Oder
> stehen sie doch, wie Glockenspiel und Zauberfloete, fuer ein
> allumfassendes Prinzip?

Was haeltst du von meinem Vorschlag: Sie ersetzen als Schutzengel den
abwesenden und unwiederbringlichen Schutz der Mutter

> "heil sei Euch geweihten" - damit ist wohl zum ersten Mal in der
> Geschichte von Sarastros Priesterschaft auch eine Frau (man denke an
> den Ausbruch des Sprechers in der bereites genannten Szene: "Ein Weib

> tut wenig, plaudert viel!") gemeint. Das ist doch tatsaechlich
> revolutionaer, oder??

Dann begann die Revolution aber schon, als Sarastro Pamina raubte ;-)

Zu Monostatos

> Ich kann mit dem Verraeter fuehlen, wenn er "Alles fuehlt der Liebe
> Freude" singt. Es ist eben so, dass man in der Zauberfloete letztlich > mit beiden Seiten fuehlen kann, ohne dass man sagen koennte, welche > > die richtigere ist. Und Monostatos ist ja nicht ein Verraeter von
> Anbeginn an, er wird das erst ziemlich spaet. Ich denke, dass die > Musik letztlich auch ihm vergibt.

Da betrittst du ein weites Feld in dem auch ein paar Minen verborgen
sind. Mein Kommentar dazu ist noch so unfertig, dass ich ihn mir noch
aufheben muss.

> > So bevorzuge ich z.B. - um mich dem verklaerenden Zauber der Musik > > ungestoert aussetzen zu koennen - in meiner Heimoper Aufnahmen, in > > > denen der gesprochene Text ausgelassen ist (frueher Klemperer, heute > > Davis).
>
> Ausgerechnet die bevorzuge ich nicht - ein Weglassen des Dialogs
> verkuerzt das Stueck mE voellig. Dialog und Musik scheinen mir gerade > in der Zauberfloete tatsaechlich gleichberechtigte Partner zu sein.

Vgl. meine entsprechende Antwort auf Peter

> > Ein sehr interessanter Start uebrigens. Mein Kompliment.

Diese Aufmunterung konnte ich gut gebrauchen, als mir die Sache ueber
den Kopf zu wachsen drohte.

Es gruesst Hans-Hagen

Claus Huth

unread,
Nov 7, 1999, 3:00:00 AM11/7/99
to
Lieber Peter,

nehmen wir nun also die Zauberflöte mal wieder in Angriff.....

Peter Brixius schrieb:


>
> Viel Schaum ... Dass in der "Zauberfloete" Gegensaetze vorhanden sind,
> dass mit ihnen auch genial gespielt wird, heisst nicht, dass die Oper auf
> dem *Prinzip* der Gegensaetze aufgebaut ist, deutlicher werden
> Entwicklungslinien, Grenzueberschreitungen, *Vereinigung von
> Gegensaetzen*.

In der Zauberflöte gibt es allerdings eine Ganze Vielzahl von
Gegensätzen, die - und das scheint mir das Besondere zu sein -
tatsächlich im Laufe des Stückes vereinigt werden. Gleich von einem
"Prinzip" zu sprechen ist wohl übertrieben.

> Dass Musik nur schlecht ohne Gegensaetze existieren kann,
> scheint mir trivial

Sagt Carsens ja auch nicht.

> - zu bezweifeln ist, dass es um ein konzentriertes
> Elixier menschlicher Daseinsbedingungen geht - ein Heil-, ein Zaubertrank
> von (Daseins-)Bedingungen, das scheint mir zumindest schon sprachlich
> schief,

Stimmt, doch.....

> dass Liebe und Hass, Leben und Tod darin vorkommen, die Elemente
> menschlichen Lebens ist nichts Besonderes.

Carsens meint wohl, daß diese Elemente menschlichen Lebens in der
Zauberflöte besonders intensiv, gleichsam in destillierter Form (daher
wohl die unglückliche Wahl von "Elixier") dargestellt werden. Und da
hat er recht, das ist in dieser Fülle und dieser Stärke mW in der
Operngeschichte bis dahin nicht vorgekommen, auch bei Mozart nicht
(Hans-Hagen hat treffend auf die Unterschiede etwa zu den da
Ponte-Opern hingewiesen).
Und das ist vielleicht auch mit ein Grund, warum uns die Zauberflöte
so berührt: Wir finden hier eine Fülle von Seelenzuständen, die
absolut glaubhaft sind, die wir, wohl auch aus eigener Erfahrung,
nachvollziehen können. Ich habe schon mehrmals erwähnt, daß ich in der
Zauberflöte die Regungen der Figuren auch dann verstehen kann und mit
den Personen fühle, wenn diese scheinbar "Böse" sind wie Monostatos
und die Königin der Nacht. Das "menschliche" (ich will es einfach mal
so nennen, weil mir nichts besseres eingefallen ist) ist wohl der
Aspekt, der die "Zauberflöte" über andere Werke hebt.

> Ich habe - meiner menschlichen
> Neugier folgend - den "Stein der Weisen" gekauft und gestern immerhin
> zweimal angehoert - auf dieses Werk (nehmen wir nur das Libretto) traefe
> das Gesagte ebenfalls zu - und doch sehe ich einen Riesenabstand zwischen
> den beiden Schikaneder-Werken - und nicht nur in der Musik.

Du hast sicherlich Recht, ich kenne den "Stein der Weisen" nicht, aber
das glaube ich dir. Carsens ist vielleicht etwas zu allgemein
eingestiegen, das hätte man präziser fassen können.

> > Überdies bestand die Gefahr - und das
> > war uns bewußt - daß diese Produktion auf nichts als eine trockene
> > Collage der möglichen Antworten hinauslaufen würde. Es erschien uns
> > daher unerläßlich, daß unsere Produktion, indem sie das Mysterium zu
> > durchdringen suchte, dieses auch verherrlichte.
>
> ?

Naja, das ist auch eine Allgemeinheit, oder?? Alle Fragen an der
Zauberflöte zu klären, wird wohl nie gelingen. Will man das
"Mysterium" Zauberflöte nun durchdringen, sich erarbeiten, dann hat
man wohl zwei extreme Möglichkeiten: Das Mysterium zu entzaubern
(vielleicht das, was Csampai macht) oder zu verherrlichen, sich ihm
hinzugeben - und das macht Carsens.

> > An dieser Stelle wäre es sinnvoll, einige der Fragen noch einmal zu
> > präzisieren: Wer sind Tamino und Pamina? Sind sie Jedermann und jede
> > Frau? Und wenn, wer sind dann Papageno und Papagena? Sind sie jeder
> > "andere" Mann und jede "andere" Frau? Wer sind die Priester, der
> > Sprecher, Sarastro? Was ist das eigentliche Anliegen dieser
> > Brüderschaft? Warum äußern sie so anfechtbare Ansichten zu Rasse und
> > Geschlecht? Wer ist die Königin der Nacht, wer sind die drei Damen,
> > die drei Knaben?
>
> Nun ist die Beantwortung dieser Fragen aus dem Text zunaechst kein
> Mysterium,

Aus dem Text nicht, ja. Carsens scheint es aber doch eher um eine
Bedeutung zu gehen als um die reine Nennung des Librettos (die ja auch
noch Fragen offenlässt)

> Tamino als javonischer Prinz, Pamina als Tochter der Koenigin
> der Nacht - beide also aus dem Hochadel der Herkunft nach - aber bereit
> und faehig ueber ihren Stand hinaus sich als Menschen zu verstehen: Sie
> sind nicht Jedermann und jede Frau, sie sind "Erwaehlte". Jedermann und
> jede Frau sind eher Papageno und Papageno, mit ihrem an der Wirklichkeit
> geschultem Witz.

Sicher hast du auch hier recht - und wir stehen vor demselben Problem,
daß wir ja bei der Fidelio-Diskussion hatten: Du argumentierst völlig
richtig aus der Entstehungszeit, ich suche, vielleicht zu voreilig,
schon das, was uns das Stück heute noch sagen kann oder wie uns das
Stück heute erscheint. Aber, mal sehen, wir treffen uns ja hier und
da....

> Sarastro und seine Priester sind Weise, die sich einer Askese unterzogen
> haben und von ihrem Weisheitstempel aus ihr Land beherrschen.

Weisheitstempel?? "Ihr" Land?? wer bemächtigt sie dazu? Warum tun sie
eben so? Warum hat ausgerechnet Sarastro diese Stellung als
"absoluter" Herrscher (ich brauche wohl nicht nochmal an seinen
Auftrittschor zu erinnern)?? Warum liegen ihm alle zu Füßen??

> Die Suche
> nach Weisheit (auch der praktischen Weisheit des Regierens) ist ihr
> "Anliegen".

Sicher.

> Die Koenigin der Nacht ist offensichtlich verwitwete Mutter und
> Herrscherin ueber das Land, in dem Papageno wohnt - eine groessere
> Bevoelkerungsdichte scheint es weder im Reiche Sarastros noch in dem der
> Koenigin der Nacht zu geben.

Noch so eine Frage: Königin "der Nacht"?? Warum "Nacht"?? Ich dachte,
sie herrsche über ein Land....

> Die drei Damen sind das Gefolge der Koenigin
> und die drei Knaben - sind nun wirklich ein Raetsel, das ich nicht in
> einem Satz hier loesen moechte (und kann).

Da kommen wir sicher noch drauf...

> Ob die Koenigin der Nacht im ersten Akt die Urheberin alles Guten ist,
> moechte ich erst einmal in Zweifel stellen. Sie sucht einen Raecher,
> motiviert ihn (das Portrait Paminas), bewaffnet ihn (die Zauberfloete)
> und seinen ihm gegen seinen Willen beigesellten Begleiter (das
> Glockenspiel) und weist sie auf eine (offensichtlich von ihrer Macht
> unabhaengige) helfende Instanz hin (die drei Knaben).

Sicher Es kommt allerdings darauf an, aus welcher Richtung man das
sieht - und da sind wir bei der Nachvollziehbarkeit der Gefühle: Denn
die Rachemotive, die sie hat, sind im ersten Akt durchaus
nachvollziehbar, und ob man die Zauberflöte und das Glockenspiel so
mir nichts dir nichts als "Bewaffnung" bezeichnen will, sei
dahingestellt. Ansonsten zeigt die Königin doch an sich die selben
"Herrschermerkmale" wie Sarastro: Sie bestimmt, die anderen machen.

> Ansonsten zwiegen
> sich die drei Damen zwar schnell verliebt, aber gleich auch schnell
> eifersuechtig und zerstritten, recht eitel

eigentlich doch ziemlich menschlich, oder?? Ich finde die Szene auf
jeden Fall jedesmal köstlich - ein gelungenes Entrée - v.a., weil sie
sich ja am Ende des Terzettes genauso schnell, wie sie sich
zerstritten haben, wieder zusammenraffen (was, wenn jemand sie mal
aufführt, ganz vorzüglich in der "cadenza" zum Ausdruck kommt).

> und zu barbarischen Strafen
> bereit (Schloss am Mund, keine Nahrung noch nicht einmal Brot, nur Wasser
> fuer Papageno) fuer eine doch nur halb ernst gemeinte Prahlerei, die sich
> eher aus der Angst vor Tamino erklaerte.

Die Strafen sind doch durch die Königin bestimmt, oder?? Die drei
Damen sind genauso bloß Ausführende, wie diejenigen, die Sarastros
Strafe an Monostatos ausführen.

> Auch ist die Koenigin gerne
> bereit, ohne Rueckfrage bei ihrer Tochter deren Hand zu versprechen (wie
> sie auch keine Skrupel kennt, das gleiche im 2. Akt bei dem naechsten
> Praetendenten zu machen).

Mit dem einzigen Unterschied, daß die Tochter im ersten Falle
tatsächlich Zuneigung entwickelt.....

Liebe Grüße

Claus

Claus Huth

unread,
Nov 7, 1999, 3:00:00 AM11/7/99
to
Lieber Hans-Hagen,

die Zeit eilt dahin, und man kommt doch zu nichts......

Hans-Hagen Haertel schrieb:


>
> Lieber Claus,
> endlich bin ich fuer die ueberfaellige Antwort frei.

Ich nun auch - endlich.

> Claus Huth schrieb am 31.10.:
> >

> Dass sich die Zauberfloete durch eine Vielfalt von Gegensaetzen
> charakterisieren laesst, finde ich zutreffend, doch halte ich diesen
> Befund, fuer sich genommen, nicht fuer eine Auszeichnung, sondern fuer
> ein Problem.

Peter hat schon irgendwo recht, wenn er bemerkt, daß diese Befund an
sich trivial ist. Interessant ist nicht, daß diese Gegensätze da sind,
sondern wie sie verarbeitet sind, mit welcher - ich sagte es an andere
Stelle schon - Menschlichkeit....

> Da Mozart in seinen Opern die behandelten Themen niemals
> willkuerlich auswaehlt und die Szenen nicht zufaellig aneinanderreiht,
> stelle ich bei einer zunaechst verwirrenden Vielfalt zuerst einmal die
> Frage, in welcher inneren Ordnung diese Vielfalt steht.

Da hast du wohl Recht, und diese Frage spielt ja nun bei jedweder
Interpretation auch eine entscheidende Rolle....

[Deine Fragen zustimmend gesnippt]


>
> In Carsens Text finde ich zu wenig Erhellendes.

Sicher - er ersetzt halt die Inszenierung in Aix nicht, und er ist nun
auch nicht wie der Csampai als vollständige Interpretation gedacht,
dafür bleiben zu viele Fragen offen. Ein Anreger ist er allerdings
allemal - und eine schöne Erinnerung, wenn man die Inszenierung
gesehen hat....

> Er enthaelt sinnvolle
> Fragen und einige anregende Ideen, die ich mir auch angeeignet habe.

Eben. Mehr sollte er wohl in dem Zusammenhang einer Gesamtaufnahme,
die auf Carsens Inszenierung basiert (er "inszenierte" für die
Aufnahme ja auch die Dialoge), wohl auch nicht sein.

> Als
> Essenz des Werkes formuliert Carsens aber die wenig aufregende
> Botschaft, dass sich dank Mozarts Musik alle Probleme in Harmonie und in
> Wohlgefallen aufloesen werden.

Das ist nun so gesagt, dass es tatsächlich nicht aufregend klingt -
und es ist nicht so: Es lösen sich nicht alle Probleme in Wohlgefallen
auf, es gibt eher am Ende einen unglaublichen, utopischen Moment (den
Carsens vielleicht etwas überschätzt), etwas nie dagewesenes - und das
wäre sicherlich ohne die Musik Mozarts nur schwer vorstellbar.

> Es tut mir fast schon weh, aber hier bin ich ganz entschieden anderer
> Auffassung und bin zuversichtlich, auch Peter Brixius noch davon
> ueberzeugen zu koennen, dass in der Zauberfloete die Parteiungen nicht
> aufgehoben werden :-)

An anderer Stelle dazu....

> Nicht einmal im frisch vermaehlen Parr hat sich
> die temporaere Entzweiung in reine Harmonie aufgeloest. Sicher, das Ende
> ist versoehnlich, und gewiss ist Teil dieser Versoehnung auch die
> Erfahrung, Gefahren gemeinsam uebestanden zu haben.

Zweifellos - wirft das einen Schatten auf die Versöhnung?? Im
Gegenteil: Das verstärkt sie doch noch!

> Aber glaubst du,
> dass die beiden jemals die Szene vergessen werden, als sich Pamina in
> Ihrer Not an den Verlobten wandte und Tamino ihr seinen Beistand
> verweigerte, weil er gerade mit den vorgeschriebenen Yoga-Uebungen
> beschaeftigt war? Auch wenn sie die damals geschlagenen Wunde inzwischen
> vernarbt ist, sie ist noch da.

Sicher - und sie wird die beiden immer bestärken in ihrem Vertrauen
ineinander....

> Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
> Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
> sogar foedern.

Ich plädiere sehr stark für die zweite Alternative.

[Zu dem Problem mit den Prüfungen, wenn ich mehr Zeit habe - deshalb
jetzt gesnippt]

> > ist es nicht eine Pruefung fuer Pamina, den Rachegeluesten ihrer > Mutter zu widerstehen??
>
> Da muss sie sich nicht pruefen: Es steht fuer sie ausser Frage, dass sie
> Sarastro nicht umbringt und Tamino nicht verraet.

Wirklich?? "Morden - morden soll ich??" sie ringt zwar um einen
Ausweg, aber an sich hat sie der fulminante Auftritt ihrer Mutter
emotional doch ziemlich mitgenommen. Stünde für die von Vornherein
ausser Frage, daß sie Sarastro nicht umbringt, wäre diese Konflikt
nach der Arie der Königin nicht erklärbar. Und vielleicht - wer weis??
- würde ein Mord an Sarastro sie ja auch schneller mit Tamino
vereinen??

> Was auf die Probe
> gestellt wird, ist ihr Vertrauen in die beiden Herren.

Somit auch.

> > Dann sind da einige hoechst seltsamen, raetselhafte Szenen im ersten
> > Akt: Zum Beispiel der drei Knaben Gesang "Zum Ziele fuehrt dich diese
> > Bahn": zu welchem Ziele? Fuer wen sprechen die drei hier? Fuer die > Nacht oder das Licht?
>
> Ich denke: fuer ihre Schutzbefohlenen

Aber: welches Ziel?? Welche Bahn? Das meinte ich.

> > Was genau weiss der Sprecher im anschliessenden Rezitativ? Da scheint > der Oberflaeche mehr zu liegen, als der Text es beim Lesen vielleicht > hergibt.
>
> Ich glaube, das werden wir nie erfahren.

Eben.

> Der Sprecher will Tamino von
> seinen Vorurteilen befreien und ihn fuer Sarastro gewinnen.

Und äußert dabei *seine* Vorurteile.

> > Wobei diese drei Knaben eines der groessten Raetsel in der Zauberfloete
> > sind - und mE eines der signifikantesten Merkmale fuer eine solche
> > "allumfassende" Deutung. Denn die passen sonst in kein Konzept:
> > Eingefuehrt als Diener der Koenigin der Nacht wechseln sie alsbald - und
> > mE schon vor dem zweiten Akt - scheinbar ins Lager Sarastros. Oder
> > stehen sie doch, wie Glockenspiel und Zauberfloete, fuer ein
> > allumfassendes Prinzip?
>
> Was haeltst du von meinem Vorschlag: Sie ersetzen als Schutzengel den
> abwesenden und unwiederbringlichen Schutz der Mutter

Und stehen doch auf Sarastros Seite, zumindest im zweiten Akt??

> > "heil sei Euch geweihten" - damit ist wohl zum ersten Mal in der
> > Geschichte von Sarastros Priesterschaft auch eine Frau (man denke an
> > den Ausbruch des Sprechers in der bereites genannten Szene: "Ein Weib
> > tut wenig, plaudert viel!") gemeint. Das ist doch tatsaechlich
> > revolutionaer, oder??
>
> Dann begann die Revolution aber schon, als Sarastro Pamina raubte ;-)

Vielleicht.....

> Zu Monostatos


>
> Da betrittst du ein weites Feld in dem auch ein paar Minen verborgen
> sind.

Ich weis ;-))

> Mein Kommentar dazu ist noch so unfertig, dass ich ihn mir noch
> aufheben muss.

Wir habe ja Zeit....

Liebe Grüsse

Claus

Peter Brixius

unread,
Nov 8, 1999, 3:00:00 AM11/8/99
to
Lieber Claus, lieber Hans-Hagen,

ich nehme mal wieder den Faden auf (leider war mein Wochenende mit allem
anderen vollgestopft - da kam ich nicht zur Zauberfloete).

Eine Vorbemerkung: Man darf von Schikaneder nicht die geistige Hoehe
erwarten, die wir am Ende des 20. Jahrhundert in Sachen political
correctness erreicht haben, sowohl was die Einschaetzung von Frauen, wie
die von Vertretern der Dritten Welt angeht. Wenn ich Deutungsversuche
mache, so gehen sie von der unterentwickelten Sensibilitaet eines Emanuel
Schikaneders aus und seiner Zeitgenossen. Nur: Dass Mozart schon die
glaenzenden Einsichten geteilt - oder wenigstens antizipiert - habe, die
Csampai aeussert, ist wenig wahrscheinlich. Auch ich muss mich schuldig
bekennen, dass meine Vertrautheit mit der Welt mich zunehmend unfaehig
macht, all die edlen Ueberzeugungen zu teilen, die ich als guter Mensch
eigentlich haben sollte - oder hat man mich zu Recht doch als schlechten
Menschen erkannt?

In article <381E03E5...@stud.uni-sb.de>, clhu...@stud.uni-sb.de
says...


>
> Ich denke auch. Hier einen Mangel an Mut und Widerstandskraft
> anzunehmen, ist zu voreilig - und wird ja im weiteren Verlauf der
> Handlung auch aufs heftigste widerlegt.
> Interessant an diesem Anfang ist ja auch noch, daß der Vorhang
> aufgeht, und Tamino Gott-weis-woher vor dieser Schlange fliehend
> hereinstürzt - er muss ja schon eine Weile geflohen sein: wo kommt er
> her?

Es ist schon richtig, einmal beim Anfang zu beginnen. Zunaechst die
Landschaft, eine felsige Gegend, hie und da von Baeumen ueberwachsen,
offensichtlich von Untieren bewohnt (dieser "Loewen"schlange). Tamino war
auf der Jagd mit Pfeil und Bogen, hat sich in diese Gegen verirrt, seine
Pfeile verschossen, da macht ihn hilflos gegenueber dem Ungeheuer.

Es ist nicht die arkadische Landschaft, in der z.B. "Der Stein des
Weisen" beginnt ("Eine arkadische Gegend, im Hintergrund eine Laubhuette
mit fuenf Oeffnungen, ebenso viele Luster haengen in der Laube, mit
Blumen und Baendern geziert. In der Mitte steht eine Pyramide", Booklet
S. 28).

Fuer das Verstaendnis der Zeit Mozarts ist es eine wilde, unkultivierte
Gegend, in die sich der Mensch nur mit Vorsicht (und mit Waffen) wagen
kann - das Reich der Koenigin der Nacht. Der runde Tempel auf einem der
Berge, auch in der szenischen Anweisung, betont auch eher Ungenuegen
gegenueber einer Pyramide (oder der Tempelanlage Sarastros).

Aus diesem Tempel kommen (erst nachdem Tamino in Ohnmacht gefallen ist)
die drei verschleierten Damen, jede mit einem silbernen Wurfspiess.
Dieser Wurfspiess ist wohl eher eine Jagdwaffe. Ein Grund fuer die
Verschleierung wird uns nicht gegeben, es gibt der Szene ein
orientalisches Ambiente (das Bildnis Paminas ist allerdings
unverschleiert). Das Untier stirbt also unter den Wurfspiessen der Damen,
was von diesen auch gleich als Heldentat gefeiert wird, als ihres Armes
Tapferkeit.

> Warum läuft er geradewegs den drei Damen in die Arme? Meister
> Zufall oder doch eine höhere Fügung.

beides :-))

> hier ist auch interessant, daß
> Mozart die Ouvertüre entgegen seiner ursprünglichen Gewohnheit
> mitnummerierte oder zumindest die erste Vokalnummer anscheinend mit
> der Nummer zwei betitelte.
>

(was die NMA auch gleich wieder korrigiert ...)

>
> Immerhin kommt in der Ouvertüre u.a. auch eine "fuga" vor - in
> Verbindung mit der Weihevollen Welt Sarastros. Sollte man drüber
> nachdenken....
>

... ebenso wie die Akkorde. Deutet man nun die Fuge als Taminos Flucht
oder als Ausweis einer hoeheren Kenntnis?



> Und nochwas zum Thema "Schlange" (wo wir schon bei Gardiner und McNair
> sind ;-)): Ursprünglich war das ein Löwe (anscheinend schien es
> Schikaneder politisch ungeschickt, auf der Bühne mit einem
> erschlagenen Löwen zu beginnen, da Kaiser Leopold II. eine strenge
> Verfügung gegen eine Satire mit dem Titel "Biographie des Löwen RRRR"
> erlassen hatte, da er - wohl nicht zu unrecht - argwöhnte, er (Leo)
> sei mit dem Löwen gemeint) - und wird nicht später Sarastro eben von
> Löwen begleitet??
>

Der Loewe ist sicher Symbol der (koeniglichen) Macht.

Wenn Csampai (S. 21) in seiner Verherrlichung der Koenigin der Nacht von
"drei lebenslustigen Damen" spricht, so trifft das wohl nicht so am
Textbestand zu. Im Konditional singen sie: "Wuerd ich mein Herz der Liebe
weihn ..." - ihr Herz ist eben nicht der Liebe geweiht, sondern dem
Dienst - und dann haette man einen Grund fuer ihre Verschleierung: Sie
haben der Liebe entsagt (entsagen muessen). So kontrollieren sie sich
auch untereinander, lassen nicht etwa eine als Wache zurueck, sondern
entfernen sich wieder in den Tempel, der sich hinter ihnen schliesst.

Doch nun tritt ein Bewohner dieses wilden Landes auf ...

Bis dann gruesst Peter


--
Wenn die Menschen sagen, sie wollen nichts geschenkt haben,
so ist es gemeiniglich ein Zeichen, dass sie etwas geschenkt
haben wollen. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 8, 1999, 3:00:00 AM11/8/99
to
Lieber Claus, lieber Hans-Hagen,

zunaechst einmal zum Carsen (2. Teil) ...

> Eine der wichtigsten Erfahrungen, die Tamino und Pamina auf ihrer


> Wanderschaft machen, war unseres Erachtens die Erkenntnis, daß Dinge
> und Menschen nicht unbedingt das sind, was sie scheinen. Diese
> Überlegung könnte der Schlüssel zu einer möglichen Lesart der
> "Zauberflöte" sein. Wenn - wie dies der Fall ist - Tamino und Pamina
> begreifen lernen, daß Sarastro keineswegs ein Bösewicht ist, warum
> kann dann nicht eine ähnliche Auffassung sich einstellen in Hinblick
> auf die Gestalt der Königin der Nacht? Vielleicht ließe sich die
> berühmte Zwiespältigkeit ihres Charakters (gut im I., böse im II. Akt)
> ganz leicht aufheben, indem man dem Publikum nahelegt, daß die Königin
> der Nacht und Sarastro beide ein und dasselbe Ziel verfolgen: Tamino
> und Pamina zu Weisheit und Erleuchtung zu führen und in den Tempel
> aufzunehmen?

Ich stimme mit Carsen ueberein, dass Die Zauberfloete ein Singspiel der
Aufklaerung ist. Gegen den Aberglauben (und dazu zaehlt eben auch die
maechtige Kirche, die Menschenliebe heuchelt, aber mit Hass auf die
Menschen reagiert, die ihr nicht folgen wollen, oder gar wahre
Erkenntnis da zu finden suchen, so sie versucht, die Wahrheit zu
verstellen und zu verschleiern) setzt sie die Erkenntnis der Wahrheit aus
der Natur, der taetigen Praxis und dem angestrengten Nachdenken. Um ein
Gleichgewicht an Autoritaet zu gewinnen, beruft sie sich auf die
(vorchristlichen) aegyptischen Weisheitslehre. Weisheit zu erlangen,
bedeutete immer hinter den Schein der Dinge zu sehen, wie sie uns Sinne
und tradierte Erfahrung vorgaukeln. Insofern deckt sich Carsens Ansicht
mit der meinigen, dass Sarastro im 1. Teil als Boesewicht angesehen wird,
weil dies heuchlerische Zungen vorluegen. Die Erkenntnis der Wahrheit
heisst auch die Erkenntnis, dass Sarastro ein Weiser (wenn auch kein
Allwissender) ist, der das Gute foerdert, die sich auf Emotionen
berufende Koenigin der Nacht, auf deren Seite das Recht zu sein scheint
wie die "Kindespflicht", sich als mordduerstende Frau entpuppt, der es
gar nicht um die Befreiung ihrer Tochter geht, sondern um die
unumschraenkte Macht. Diese beiden, Sarastro und die Koenigin der Nacht,
verfolgen keineswegs das selbe Ziel.

> Deswegen sah das Publikum im II.Akt unserer Inszenierung nicht nur
> Sarastro, den Sprecher und die Priester, sondern auch die Königin der
> Nacht, die drei Damen, die drei Knaben und Papagena an einem langen
> Tisch einträchtig beieinandersitzen. Das vereinfachende und trennende
> Konzept einer Welt, in der die Menschen entweder gut (und daher
> initiationswürdig) oder böse sind (in welchem Falle sie verworfen
> werden müssen), machte einem versöhnlicheren, großmütigeren
> Weltverständnis Platz, nach dem kraft einer allumfassenden Humanität
> jedermann ein potentieller Eingeweihter ist, wenn ihm auch seine
> eigenen Prüfungen auferlegt werden und er auf einer anderen Stufe der
> Erkenntnis steht.

Nett und versoehnlich, aber nicht von dieser Welt (und erst recht nicht
von der Welt des 18. Jahrhunderts), sozusagen die Hippie-Variante der
Zauberfloete (aus der dann am Ende geraucht wird???) :-)

> Dieser Einfall war weit mehr als ein "Theatereffekt", denn hierauf
> aufbauend konnte der Sinngehalt eines großen Teils der Handlung im
> II.Akt neu durchdacht werden.

Konnte :-)) ? Musste neu geschrieben werden!

> So gesehen scheint das Bühnengeschehen
> auch weitaus mehr Prüfungen zu erhalten als nur die des Feuers und des
> Wassers. Zum Beispiel ist Pamina einer Prüfung unterworfen, wenn die
> Königin der Nacht ihr einflüstert, Sarastro zu erdolchen. Wird die
> Tochter ihrer Mutter blindlings gehorchen, oder wird sie ihrer immer
> vernehmbarer werdenden inneren Stimme folgen?

Da stimme ich wieder mit Carsen: Pamina wird auch Pruefungen unterzogen,
die sie (von ihrer geplanten und von den Knaben verhinderten
Verzweiflungstat gegen sich mal abgesehen) auch besteht. Der
eindrucksvolle Einstieg ist am Ende des 1. Aktes: Papageno: "Mein Kind,
was sollen wir nun sprechen?" Pamina: "Die Wahrheit! Die Wahrheit! Waer
sie auch Verbrechen!" Hat man deutlicher wohl das Postulat der
Aufklaerung gehoert? (Verbrechen heisst nun doch wohl: Verstoss gegen
eine geltende Ordnung.)

> In diesem Zusammenhang
> ist es auch für die Königin der Nacht eine Prüfung, Zeugin sein zu
> müssen vom Kummer ihrer Tochter, als sie ihr droht, sich von ihr
> loszusagen.

Was fuer eine Pruefung ist denn das? Und wenn man dies nun so eine nennen
wollte, wie reagiert denn das "tiefbetruebte Mutterherz"?


> Und das Publikum ist sich vollkommen darüber in klaren,
> daß die übrigen handelnden Personen das den drei Novizen auferlegte
> Sprechverbot mittragen. So wird auch dieses zu einer signifikanten
> Prüfung, wobei das Ergebnis weit weniger von Belang ist als die Art
> und Weise, in der Tamino, Pamina und Papageno sich der Versuchung
> stellen, und damit zu einem bessern Verständnis ihrer selbst gelangen.
> Bei unserer Neubewertung von Schein und Sein hielten wir es für
> angemessen, am Schluß, gemeinsam mit Pamina und Tamino auch Papageno
> und Monostatos in den Kreis der Eingeweihten aufzunehmen. Papageno
> mag, wie mancher von uns, seine Wanderschaft widerwillig angetreten
> haben, doch er strebt jetzt danach, sein Lebensziel zu verwirklichen,
> nämlich eine Papagena zu finden.

Zu Papageno ein Hinweis: Die Vorstellungen von Mozart/Schikaneder waren
beeinflusst u.a. von einem Roman "Sethos" von Terrasson (1731) "In Sethos
wird beschrieben, wie die Eingeweihten durch Feuer und Wasser gereinigt
werden; aber auch von solchen Prueflingen ist die Rede, die bei der
Pruefung versagt haben und nun, damit sie der Aussenwelt nichts von den
Mysterien der Weisheitstempel verraten, innerhalb der Gemeinschaft der
Eingeweihten heiraten." (William Mann: Schikaneders Genietat und ihre
literarischen Quellen)


> Monostatos aber wird kraft der
> höchsten und schönsten aller Tugenden aufgenommen, kraft der
> Vergebung.

Auf dass er gleich wieder Pamina nachstellen kann und sie ihre
Standfestigkeit beweisen darf ... <Kopfschuettel>

> Und als am Ende der Oper alle zusammen symbolisch gekrönt
> wurden, erschien es uns gut und richtig, daß Sarastros Schlußhandlung
> die Krönung des Monostatos war.

?

> An diesem Punkt des Geschehens
> angelangt streiften alle Darsteller Kronen und Kostüme - d.h. ihre
> rollen - ab und zeigten sich in ihrer gewöhnliche Straßenkleidung.
> Sie verließen die Bühne und mischten sich unter das Publikum, um so
> die große Feier der Menschlichkeit und des Lebens zu beschließen.
> [...]

So erhebend wie falsch ... (In einer Neuinszenierung lassen wir dann auch
Handke als Sarastro Novislac Djajic kroenen) Die Menschen der Aufklaerung
moegen so vieles nicht gewusst haben, was einige von uns ihnen nun voraus
haben, aber naiv waren sie nicht (dafuer war das Leben damals hart
genug.)


Es gruesst Peter

Peter Brixius

unread,
Nov 8, 1999, 3:00:00 AM11/8/99
to
Lieber Claus,

so langsam arbeite ich mich auf die Postings von Hans-Hagen vor ...

In article <3825BDCA...@stud.uni-sb.de>, clhu...@stud.uni-sb.de
says...


>
> nehmen wir nun also die Zauberflöte mal wieder in Angriff.....
>

Also zunaechst einmal wieder Carsens (dem ich BTW hin und wieder das "s"
klaute ...)



> > Viel Schaum ... Dass in der "Zauberfloete" Gegensaetze vorhanden sind,
> > dass mit ihnen auch genial gespielt wird, heisst nicht, dass die Oper auf
> > dem *Prinzip* der Gegensaetze aufgebaut ist, deutlicher werden
> > Entwicklungslinien, Grenzueberschreitungen, *Vereinigung von
> > Gegensaetzen*.
>
> In der Zauberflöte gibt es allerdings eine Ganze Vielzahl von
> Gegensätzen, die - und das scheint mir das Besondere zu sein -
> tatsächlich im Laufe des Stückes vereinigt werden. Gleich von einem
> "Prinzip" zu sprechen ist wohl übertrieben.
>

Um es deutlicher zu sagen: sobald ich es mit einer Vielzahl von Personen
und Handlungen zu tun habe, habe ich es auch mit vielen Gegensaetzen zu
tun. Nicht *dass* Gegensaetze da sind, *wie* mit den Gegensaetzen
verfahren wird, *welche* Gegensaetze das sind, macht das Interesse aus.
In diesen das Barocktheater mit seiner Antithetik nachahmenden Wiener
Stuecken *findet* man eben haeufig deutliche Gegensaetze, die auch noch
stichomythische Rede ermoeglichen (so im Dialog Pamina/Sarastro Ende des
1. Aktes) [mir liegt da der hier sicherlich nicht so bekannte Lohenstein
nahe, aber auch in Monteverdis Poppaea wird man genug Material finden].
Dazu kommt noch das Volkstheater mit ihren typisierenden Tendenzen.


>
> > - zu bezweifeln ist, dass es um ein konzentriertes
> > Elixier menschlicher Daseinsbedingungen geht - ein Heil-, ein Zaubertrank
> > von (Daseins-)Bedingungen, das scheint mir zumindest schon sprachlich
> > schief,
>
> Stimmt, doch.....
>
> > dass Liebe und Hass, Leben und Tod darin vorkommen, die Elemente
> > menschlichen Lebens ist nichts Besonderes.
>
> Carsens meint wohl, daß diese Elemente menschlichen Lebens in der
> Zauberflöte besonders intensiv, gleichsam in destillierter Form (daher
> wohl die unglückliche Wahl von "Elixier") dargestellt werden. Und da
> hat er recht, das ist in dieser Fülle und dieser Stärke mW in der
> Operngeschichte bis dahin nicht vorgekommen, auch bei Mozart nicht
> (Hans-Hagen hat treffend auf die Unterschiede etwa zu den da
> Ponte-Opern hingewiesen).

Da darf ich nun doch auf die Barock-Oper verweisen, aus dem dieses
"Elixier" stammt - dass es hier nun gerade rationalistische Strategeme
gibt, macht den Unterschied - und dass eben diese Gegensaetze
ausgeglichen werden, dass etwas Neues auf einer neuen Ebene gesucht wird,
dass die Gegensaetze dialektisch verstanden werden, dass sie sich nicht
nur bedingen, dass sie auch Entwicklungen in Gang setzen.

> Und das ist vielleicht auch mit ein Grund, warum uns die Zauberflöte
> so berührt: Wir finden hier eine Fülle von Seelenzuständen, die
> absolut glaubhaft sind, die wir, wohl auch aus eigener Erfahrung,
> nachvollziehen können.

Dass sie uns glaubhaft erscheinen, liegt eben in ihrer wienerischen
Auspraegung, wo Komik und Tragik nahe beeinanderliegen, aber auch ein
hoher Realitaetssinn die Gegensaetze aushaelt, nicht eindaemmt, sondern
eben vermenschlicht.

> Ich habe schon mehrmals erwähnt, daß ich in der
> Zauberflöte die Regungen der Figuren auch dann verstehen kann und mit
> den Personen fühle, wenn diese scheinbar "Böse" sind wie Monostatos
> und die Königin der Nacht. Das "menschliche" (ich will es einfach mal
> so nennen, weil mir nichts besseres eingefallen ist) ist wohl der
> Aspekt, der die "Zauberflöte" über andere Werke hebt.
>

einverstanden

>
> Naja, das ist auch eine Allgemeinheit, oder?? Alle Fragen an der
> Zauberflöte zu klären, wird wohl nie gelingen. Will man das
> "Mysterium" Zauberflöte nun durchdringen, sich erarbeiten, dann hat
> man wohl zwei extreme Möglichkeiten: Das Mysterium zu entzaubern
> (vielleicht das, was Csampai macht) oder zu verherrlichen, sich ihm
> hinzugeben - und das macht Carsens.
>

Je nun, das mit dem Mysterium ist ja so eine Sache. Zunaechst ist das
Mysterium Schutz der Eingeweihten und ihrer Wahrheiten, die sie durch die
dunklen Zeiten bringen muessen. Selbst wenn man das freimaurerische
Element im engeren Sinne als nicht so bestimmend sieht, sondern mehr die
allgemeinen Humanitaetslehren, die eben *auch* freimaurerisch sind, so
gilt fuer beide, dass sie ueber lange Zeit verfolgt und erst mit dem
Aufkommen des liberalen Buergertums fuer eine Zeit bestimmenden Einfluss
gewinnen konnten. Und wie schnell man auf dem Hohen Aspach sitzen konnte,
wenn man die Wahrheit sagte - oder in die Faenge der Inquisition geraten
konnte (die bewunderte Heldentat Casanovas war ja nun seine Flucht aus
den Bleichdaechern). Das Mysterium soll fuer die Naiven und
Aberglaeubigen das Brimborium bieten, dass sie aengstlich von
Nachforschungen abhaelt - ansonsten sind es Rituale einer Gemeinschaft,
die sich in den Ritualen und ihren Zeichen wiedererkennt.

Wie mysterioes ist denn die Zauberfloete? Oder besser: *Wo* liegt das
Mysterium? Wie immer in der Liebesgeschichte von Tamino und Pamina, die
sich beide bewaehren (als komische Parodie laeuft daneben die
Liebesgeschichte von Papagena und Papageno), die ueber die Verliebtheit
zur gegenseitigen Erkenntnis kommen muessen. Und da sind eben ihre Gegner
die Koenigin der Nacht, die Tamino nur zu den eigenen Zwecken benutzen
wollte, und Monostratos, ihre nachtfarbene Kopie.

>
> Sicher hast du auch hier recht - und wir stehen vor demselben Problem,
> daß wir ja bei der Fidelio-Diskussion hatten: Du argumentierst völlig
> richtig aus der Entstehungszeit, ich suche, vielleicht zu voreilig,
> schon das, was uns das Stück heute noch sagen kann oder wie uns das
> Stück heute erscheint. Aber, mal sehen, wir treffen uns ja hier und
> da....
>

Das denke ich auch.


> > Sarastro und seine Priester sind Weise, die sich einer Askese unterzogen
> > haben und von ihrem Weisheitstempel aus ihr Land beherrschen.
>
> Weisheitstempel?? "Ihr" Land?? wer bemächtigt sie dazu? Warum tun sie
> eben so? Warum hat ausgerechnet Sarastro diese Stellung als
> "absoluter" Herrscher (ich brauche wohl nicht nochmal an seinen
> Auftrittschor zu erinnern)?? Warum liegen ihm alle zu Füßen??
>

Wie gross nun das Land Sarastros ist, sagt uns der Text nicht. Die drei
Damen erzaehlen von einem anmutigen Tal (! vgl. die Landschaft der
Koenigin der Nacht), in dem er seine Burg hat (wir werden erkennen, dass
es keine Burg, sondern ein praechtiger Tempel ist). Soweit ich das
Libretto durchsehe, liegt ihm niemand zu Fuessen ausser unserem
Monostratos, aber da kannst Du mir ja noch mit der Szenenangabe helfen.
Im Gegenteil scheint er sogar mit einem Gremium zu beraten, das seine
Politik billigt. Die Macht, die er repraesentiert, erwaechst wohl mehr
aus dem ueberlegenen Wissen als aus dem Herkommen.

>
> Noch so eine Frage: Königin "der Nacht"?? Warum "Nacht"?? Ich dachte,
> sie herrsche über ein Land....
>

Ihre Stellung scheint mythisch (im Gegensatz zu Sarastro), darauf deuten
ja auch die jungfraeulichen verschleierten Damen. Sie repraesentiert die
alte Zeit, solange sie noch mit ihrem Mann, Traeger des maechtigen
Sonnenkreises, lebte, standen die beiden fuer die Natur in ihrem
harmonischen Ausgleich, aber auch mit ihrer unbezaehmbaren Macht. Mit dem
Hinscheiden ihres Mannes, der die Macht der Sonne an die Vernunft-Frommen
und ihren Weisheitstempel uebertraegt, hat die neue Zeit begonnen, der
die Koenigin der Nacht widersteht.


> > Die drei Damen sind das Gefolge der Koenigin
> > und die drei Knaben - sind nun wirklich ein Raetsel, das ich nicht in
> > einem Satz hier loesen moechte (und kann).
>
> Da kommen wir sicher noch drauf...
>

Die drei Knaben koennen ja dem Gefolge des verstorbenen Koenigs
entstammen - und sind so vertraut mit dem Reich der Koenigin der Nacht
wie mit dem neuen Traeger des Sonnenkreises.



>
> Sicher Es kommt allerdings darauf an, aus welcher Richtung man das
> sieht - und da sind wir bei der Nachvollziehbarkeit der Gefühle: Denn
> die Rachemotive, die sie hat, sind im ersten Akt durchaus
> nachvollziehbar, und ob man die Zauberflöte und das Glockenspiel so
> mir nichts dir nichts als "Bewaffnung" bezeichnen will,

Defensivwaffen :-)

> sei
> dahingestellt. Ansonsten zeigt die Königin doch an sich die selben
> "Herrschermerkmale" wie Sarastro: Sie bestimmt, die anderen machen.
>

> > Ansonsten zeigen


> > sich die drei Damen zwar schnell verliebt, aber gleich auch schnell
> > eifersuechtig und zerstritten, recht eitel
>
> eigentlich doch ziemlich menschlich, oder??

:-))

> Ich finde die Szene auf
> jeden Fall jedesmal köstlich - ein gelungenes Entrée - v.a., weil sie
> sich ja am Ende des Terzettes genauso schnell, wie sie sich
> zerstritten haben, wieder zusammenraffen (was, wenn jemand sie mal
> aufführt, ganz vorzüglich in der "cadenza" zum Ausdruck kommt).
>

musikalisch ist das koestlich

> > und zu barbarischen Strafen
> > bereit (Schloss am Mund, keine Nahrung noch nicht einmal Brot, nur Wasser
> > fuer Papageno) fuer eine doch nur halb ernst gemeinte Prahlerei, die sich
> > eher aus der Angst vor Tamino erklaerte.
>
> Die Strafen sind doch durch die Königin bestimmt, oder??

Wie war denn noch schnell das Verstaendigungsmittel, ein Handy? Die Damen
beobachten Papageno und Tamino, verstaendigen sich dann mit der Koenigin,
um nun die gewohnte Atzung auszutauschen? Sie *sagen* zwar, dass die
Koenigin dies befohlen habe, aber ...

> Die drei
> Damen sind genauso bloß Ausführende, wie diejenigen, die Sarastros
> Strafe an Monostatos ausführen.
>

Die er fuer seine Vergewaltigungsversuche (denn das ist ja, was Pamina
Sarastro mitteilt) nun ja auch verdient hat. Da hat es sich nicht um eine
harmlose und eigentlich fast wider Willen hervorgebrachte Prahlerei
gehandelt ...

> > Auch ist die Koenigin gerne
> > bereit, ohne Rueckfrage bei ihrer Tochter deren Hand zu versprechen (wie
> > sie auch keine Skrupel kennt, das gleiche im 2. Akt bei dem naechsten
> > Praetendenten zu machen).
>
> Mit dem einzigen Unterschied, daß die Tochter im ersten Falle
> tatsächlich Zuneigung entwickelt.....
>

Pech oder Glueck gehabt ???

Es gruesst herzlich Peter

--
Man muss keinem Menschen trauen, der bei seinen Versicherungen
die Hand aufs Herz legt. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 8, 1999, 3:00:00 AM11/8/99
to
Lieber Hans-Hagen,

einige Fragen moechte ich gleich hier abhandeln ...

In article <38240BAC...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...


> Dass sich die Zauberfloete durch eine Vielfalt von Gegensaetzen
> charakterisieren laesst, finde ich zutreffend, doch halte ich diesen
> Befund, fuer sich genommen, nicht fuer eine Auszeichnung, sondern fuer
> ein Problem. Da Mozart in seinen Opern die behandelten Themen niemals
> willkuerlich auswaehlt und die Szenen nicht zufaellig aneinanderreiht,
> stelle ich bei einer zunaechst verwirrenden Vielfalt zuerst einmal die
> Frage, in welcher inneren Ordnung diese Vielfalt steht.

Mozart hat zwar im Einzelnen Einfluss auf die Textbuecher genommen (bei
der Zauberfloete gibt es da keinen Nachweis, aber Hinweise [Abweichungen
vom gedruckten Textbuch und dem vollendeten Singspiel], wenn Aenderungen
auch z.T. auf Schikaneder zurueckgehen koennen. Es bestand wohl eine
grosse Einigkeit hinsichtlich des Librettos. Haeufig hat Mozart sich ja
die Libretti nicht aussuchen koennen, sondern fand sie mit dem Auftrag
schon vor. Seine Kunst bestand ueber seine Musik neue Dimensionen
aufzuschliessen - und dies gilt auch fuer dieses Singspiel.

> Gegensaetze sind
> bei Mozart zumeist menschliche Konflikte, Gefuehlskonflikte innerhalb
> von Personen oder Konflikte zwischen Personen, die unterschiedliche
> Ursachen haben und unterschiedliche Formen annehmen koennen.

wie gesagt: die gehen nicht auf Mozart zurueck, sondern auf die
Librettisten. Diese menschlichen Konflikte aber aus einer flaechigen
Darstellung zu (vom Textdichter wahrscheinlich) ungeahnten Tiefen zu
fuehren, ist das Werk Mozarts (man denke nur an die Elettra im Idomeneo -
oder was er in dem Text Metastasios durch seine Komposition in La
Clemenza di Tito auslotet).

> Von einer
> Interpretation oder einer Inszenierung erwarte ich gehaltvolle und
> stimmige Antworten auf die Frage, um welche Art von Konflikten es geht,
> wie die Personen mit den Konflikten umgehen, welche Konsequenzen sich
> aus ihrem Handeln ergeben, ob die Konflikte eskalieren oder einer
> Loesung zugefuehrt werden. Und wenn ein Happy End angekuendigt wird,
> will ich schon wissen, ob dieses nur vorgegaukelt wird, ob es als eine -
> unter welchen Voraussetzungen? - realisierbare Utopie oder gar als real
> gelungene Versoehnung dargestellt wird. Ferner interessiert es mich,
> welcher Art die Versoehnung ist, ob dabei jemand auf der Strecke bleibt,
> ob sie wie die Genesung nach einer Krankheit die Konflikte verschwinden
> laesst oder einen Friedensschluss bedeutet, bei der man die Waffen
> wegwirft und sich mit den Gegensaetzen mehr oder weniger abfindet.
>
> In Carsens Text finde ich zu wenig Erhellendes. Er enthaelt sinnvolle
> Fragen und einige anregende Ideen, die ich mir auch angeeignet habe. Als
> Essenz des Werkes formuliert Carsens aber die wenig aufregende
> Botschaft, dass sich dank Mozarts Musik alle Probleme in Harmonie und in
> Wohlgefallen aufloesen werden. Das ist mir zu wenig, als dass es mich
> zum Besuch der Auffuehrung animieren wuerde. Und ich fuerchte, dass ich
> bei meinen Freunden und Bekannten, die meinen Enthusiasmus fuer die
> Zauberfloete nicht teilen, mit diesem Text die Vorbehalte eher
> bestaerke: Mein Gott, fuer so einen Kitsch kannst du dich begeistern?
>

Da stimme ich Dir nachdruecklich zu, was Carsens angeht. Diese All-
Versoehnlichkeit am Ende kann man durchaus als Kitsch bezeichnen, halt
gut gemeint, aber ...

>
> Es tut mir fast schon weh, aber hier bin ich ganz entschieden anderer
> Auffassung und bin zuversichtlich, auch Peter Brixius noch davon
> ueberzeugen zu koennen, dass in der Zauberfloete die Parteiungen nicht
> aufgehoben werden :-)

Aufgehoben schon, aber sie bestehen auf einer anderen Ebene fort :-)

> Nicht einmal im frisch vermaehlen Parr hat sich
> die temporaere Entzweiung in reine Harmonie aufgeloest.

Sie haben sich am Ende gefunden, aber ihre gegensaetzliche Natur wird
Spannung genug fuer ein Leben bieten ... (Und dann ist ja noch die
Schwiegermama!)

> Sicher, das Ende
> ist versoehnlich, und gewiss ist Teil dieser Versoehnung auch die
> Erfahrung, Gefahren gemeinsam uebestanden zu haben. Aber glaubst du,
> dass die beiden jemals die Szene vergessen werden, als sich Pamina in
> Ihrer Not an den Verlobten wandte und Tamino ihr seinen Beistand
> verweigerte, weil er gerade mit den vorgeschriebenen Yoga-Uebungen
> beschaeftigt war? Auch wenn sie die damals geschlagenen Wunde inzwischen
> vernarbt ist, sie ist noch da.

Diese - von Csampai stammende - Interpretation teile ich nicht. Das
(falsche) Bild, das Pamina von Tamino hatte, mag da Risse bekommen haben,
mit der Teenagerschwaermerei ist es da aus - aber das bezeichnet ja nun
auch den Reife-Prozess Paminas. Und Reife heisst eben auch die
gegenseitigen Verletzungen, die es bei einer Naehe immer gibt (ausser im
Kitsch), produktiv zu verarbeiten. Es ist eine subtile Degradierung
Paminas, die Csampai da unter dem Mantel groessten Verstaendnisses
vornimmt.

> Glaubst du nicht auch, dass Pamina nicht
> fuer immer davon gezeichnet sein wird, dass sie am Abgrund stand und nur
> durch ein Wunder gerettet wurde, und dass Tamino nicht fuer immer Scham
> darueber empfinden wird, dass seine Gattin durch sein Verhalten an den
> Abgrund getrieben wurde und nicht er, sondern fremde Schutzengel sie vor
> dem Absturz bewahrt haben?

Nein, das glaube ich nicht. Pamina wird vielleicht schamrot daran denken,
welchen kindischen Aengsten sie sich hingab, wie sie sich von ihren
Aengsten zu unvernuenftigen Dingen hat treiben lassen, Tamino wird sich
an den Kopf packen, dass ihm nicht ein nonverbales Zeichen einfiel.
Deshalb geht doch aber die Welt nicht unter - und Liebe scheitert doch
nicht an diesen Kindereien. Diese leichtfertigen Alles-oder-Nichts-
Suizide sind bei Pubertaeren angesagt, die sich noch als Nabel der Welt
sehen, an ihrem Leid die ganze Welt kranken sehen - aber doch nicht bei
den erwachsenen Menschen, die weise regieren sollen, sich und ihre Triebe
wie dieses ferne Reich der Zauberfloete.


> Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
> Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
> sogar foedern. Womoeglich werden sie das von dir zitierte Duett
> auch gerne noch hoeren, aber nicht mit der Hoffnung auf reine Harmonie,
> sondern mit dem Seufzer: Ja, so fuehlten wir einmal, als wir uns noch
> nicht kannten.
>

eben als man noch sein eigenes Abbild im anderen liebte ...

>
> Zum Vehaeltnis Sarastro-Pamina habe ich im letzten Teil meines Postings
> und in meiner Antwort an Peter meine Vorstellungen entwickelt. M.E.
> kommt ausser Tamino und Pamina nur noch Papageno als Pruefungskandidat
> in Erwaegung. Tatsaechlich erhaelt er seine Frau aber ohne
> Pruefungszeugnis. Zwar reisst er sich endlich zusammen und haelt den
> Mund, aber sein Gehorsam entspringt noch dem gleichen Motiv wie bei der
> Koenigin: Angst vor Strafe.

Dazu dann konkret, wenn wir ueber Papageno sprechen ...

> Carsens meint, dass auch die Koenigin in die
> Reihe der Prueflinge gehoert, weil sie den Kummer ihrer Tochter mit
> ansehen muesse. Ich habe aber ganz und gar nicht den Eindruck, dass sie
> das Schicksal der Tochter ueberhaupt noch interessiert. Ich sehe nur,
> welchen Kummer sie bei Pamina anrichtet.
>

vollkommen Deiner Meinung!

>
> Da muss sie sich nicht pruefen: Es steht fuer sie ausser Frage, dass sie
> Sarastro nicht umbringt und Tamino nicht verraet. Was auf die Probe
> gestellt wird, ist ihr Vertrauen in die beiden Herren.
>

Obwohl: Das ist schon eine Pruefung - und eine, die sie besteht: Verraet
sie die Mordabsichten ihrer Mutter, ihre Mutter selbst an Sarastro oder
nicht? Wenn sie nichts sagt, gefaehrdet sie Sarastro, ermoeglicht aber
ein Verbrechen, sagt sie etwas, gefaehrdet sie ihre Mutter,
ueberantwortet sie einer harten Strafe. Deshalb ist die Hallenarie
Sarastros eine Antwort auf Paminas Aengste (nicht eine protzige
Selbstbeweihraeucherung, wie sie nun im Vollbewusstsein der Stimmgewalt
haeufiger zu hoeren ist)

>
> Ich denke: fuer ihre Schutzbefohlenen
>
> > Was genau weiss der Sprecher im anschliessenden Rezitativ? Da scheint > der Oberflaeche mehr zu liegen, als der Text es beim Lesen vielleicht > hergibt.
>
> Ich glaube, das werden wir nie erfahren. Der Sprecher will Tamino von
> seinen Vorurteilen befreien und ihn fuer Sarastro gewinnen. In der Musik
> hoeren wir, wie der Sprecher Tamino in heftige Gefuehlsschwankungen
> versetzt, auf ihn aber auch eine einnehmende Wuerde ausstrahlt.
>

Mit dem Sprecher kommen wir zu einer der verborgenen Quellen fuer meine
Beziehung zur Zauberfloete. Sehr beeindruckt hat mich die
Puppenspielszene in der "Stunde des Wolfs" von Bergman, wo dieses "Bald,
Juengling, oder nie" einem die Schauer den Ruecken herunterlaufen lassen
(anders als in seiner Trollfljoeten) - ich habe diesen Film immer wieder
gesehen und diese Szene ist eine Schluesselszene darin. Die bedrohlichen
Dimensionen, die Gefaehrdungen die sich in dem spielerisch gelungen
Scheinendem der Kunst Mozarts verbergen, wurden mir damals deutlich - und
ich habe Mozart bis heute nicht mehr anders hoeren koennen.

>
> Was haeltst du von meinem Vorschlag: Sie ersetzen als Schutzengel den
> abwesenden und unwiederbringlichen Schutz der Mutter
>

Dazu (und zu Monostratos) dann bei Deinen Beitraegen ...

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 9, 1999, 3:00:00 AM11/9/99
to
Lieber Peter,
waehrend der Lektuere deiner juengsten Postingfolge juckt es mir zwar
immer wieder mal in den Fingern, doch ich habe mich entschlossen, deine
spannende Deutung der Zauberfloete bis zum Ende abzuwarten und bis dahin
auf meinen Haenden sitzen zu bleiben. Nur falls ich den Eindruck habe,
dass ich missverstanden worden bin, schalte ich mich gleich ein, damit
sich ein falscher Eindruck nicht erst festtritt.

Peter Brixius schrieb:


>
> Lieber Claus, lieber Hans-Hagen,
>
> ich nehme mal wieder den Faden auf (leider war mein Wochenende mit
> allem anderen vollgestopft - da kam ich nicht zur Zauberfloete).

> Eine Vorbemerkung: Man darf von Schikaneder nicht die geistige Hoehe
> erwarten, die wir am Ende des 20. Jahrhundert in Sachen political
> correctness erreicht haben, sowohl was die Einschaetzung von Frauen,
> wie die von Vertretern der Dritten Welt angeht. Wenn ich
> Deutungsversuche mache, so gehen sie von der unterentwickelten
> Sensibilitaet eines Emanuel Schikaneders aus und seiner Zeitgenossen. > Nur: Dass Mozart schon die glaenzenden Einsichten geteilt - oder
> wenigstens antizipiert - habe, die Csampai aeussert, ist wenig
> wahrscheinlich. Auch ich muss mich schuldig bekennen, dass meine
> Vertrautheit mit der Welt mich zunehmend unfaehig macht, all die edlen > Ueberzeugungen zu teilen, die ich als guter Mensch eigentlich haben
> sollte - oder hat man mich zu Recht doch als schlechten Menschen
> erkannt?
>

Diese Vorbemerkung habe ich intellektuell nicht verstanden, doch spuere
ich emotional so etwas wie Verstimmung. Ich vermute, du spielst auf eine
Stelle in meiner Antwort an dich vom 5. November an:

Peter Brixius schrieb:


> > Ansonsten: Weisheit will Versoehnung, Schoenheit meint eben auch das > > Menschenglueck - da sehe ich keinen Widerspruch. Es bedarf aber der > > Staerke, um die Rechte der Menschen zu beschuetzen, sonst hiesse
> > die Oper am Ende doch "Pamina und Monostratos" :-)
>
> :-) "Ein Mann muss eure Herzen leiten"? :-) Da ueberlasse ich den
> Feministen und Huetern der political correctness den Kommentar.

Diese Bemerkung ist nicht - wie deine Verstimmung anzudeuten scheint -
eine Spitze gegen dich, sondern eine Herausforderung an die Feministen
und Hueter von p.c. Meine Pointe hat offensichtlich ihr Ziel verfehlt
und war deshalb nicht gut. Da ich sie nicht mehr aus dem Verkehr ziehen
kann, muss ich sie erlautern: Deine Pointe, die Oper heisse nicht
"Pamina und Monostatos" richtet sich gegen den Versuch, die beiden als
Opfer Saratros hinzustellen. Von den moeglichen Modellen eines positiven
Bildes von Sarastro ist deine "paternalistische" Interpretation eine
interessante, aber auch provokante Variante:

> > Der Anspruch von Sarastro ist der, fuer alle Menschen zu sprechen,
> > das umfasst eben auch diejenigen, die (noch) nicht auf der Hoehe der > > Zeit sind, deren Besseres er aber zu kennen glaubt.

Du weisst, dass ich - so verschieden wir auch die Zauberloete anzugehen
scheinen - in diesem Punkt aehnlich denke. Wenn man nun deiner und
meiner Deutung folgt, erhaelt die Belehrung Sarastros an Pamina: "Ein
Mann soll Eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem
Wirkungskreis zu schreiten", die ja zu einem Musterbeispiel für
Frauenfeindlichkeit geworden ist, einen neuen Sinn. Ich formuliere
diesen Satz aus meiner Sicht: Ich, dein Vater, muss dich, Pamina, aus
deiner bisherigen Welt, dem Wirkungskreis deiner Mutter, entziehen, um
dir das zu vermitteln, was dir auf dem Weg zu einer emanzipierten Frau
noch fehlt. Du wuerdest vielleicht formulieren: Ich Sarastro und meine
Brueder muessen - nicht weil wir Maenner sind, sondern weil wir Wissen
haben - dich Pamina und alle anderen noch bildungsfaehigen Frauen
unterweisen, denn sonst wuerde die Macht des Aberglaubens, den solche
unaufgeklaerten Weiber, wie deine Mutter, propagieren, euer ganzes Leben
beherrschen.

Diese Aussage ist fuer viele Zeitgenossen zweifellos starker Toback.
Meine Pointe wollte sagen: Ich habe mit deinem Sarastrobild relativ
wenig Probleme, aber warte mal ab, wie die Feministen und Hueter von
p.c. reagieren.

Es gruesst Hans-Hagen

Peter Brixius

unread,
Nov 9, 1999, 3:00:00 AM11/9/99
to
Lieber Hans-Hagen,

ich bin nicht verstimmt (von Dir schon gar nicht), sondern bei bester
Laune - und folge ansonsten auch weiter dem machmal schwer sichtbaren
Pfad durch wildes Land, der mich vielleicht zu den Weisheitstempeln
fuehrt. Wie Du aber richtig bemerkt hast, polemisiere ich schon mal gerne
gegen eine Verquickung von Wissenschaft und Moralisieren, erst recht
natuerlich, wenn andere einem etwas vorschreiben wollen, was sie selbst
nicht einzuhalten in der Lage oder willens sind - und das hast Du ja
nicht getan :-)

In article <38276F9C...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...

> waehrend der Lektuere deiner juengsten Postingfolge juckt es mir zwar
> immer wieder mal in den Fingern, doch ich habe mich entschlossen, deine
> spannende Deutung der Zauberfloete bis zum Ende abzuwarten und bis dahin
> auf meinen Haenden sitzen zu bleiben.

Das ist aber schade, Einspruch ist bei mir immer erwuenscht ...

> Nur falls ich den Eindruck habe,
> dass ich missverstanden worden bin, schalte ich mich gleich ein, damit
> sich ein falscher Eindruck nicht erst festtritt.
>

recht so!

> Peter Brixius schrieb:


> >
> > Lieber Claus, lieber Hans-Hagen,
> >
> > ich nehme mal wieder den Faden auf (leider war mein Wochenende mit
> > allem anderen vollgestopft - da kam ich nicht zur Zauberfloete).
>
> > Eine Vorbemerkung: Man darf von Schikaneder nicht die geistige Hoehe
> > erwarten, die wir am Ende des 20. Jahrhundert in Sachen political
> > correctness erreicht haben, sowohl was die Einschaetzung von Frauen,
> > wie die von Vertretern der Dritten Welt angeht. Wenn ich
> > Deutungsversuche mache, so gehen sie von der unterentwickelten
> > Sensibilitaet eines Emanuel Schikaneders aus und seiner Zeitgenossen. > Nur: Dass Mozart schon die glaenzenden Einsichten geteilt - oder
> > wenigstens antizipiert - habe, die Csampai aeussert, ist wenig
> > wahrscheinlich. Auch ich muss mich schuldig bekennen, dass meine
> > Vertrautheit mit der Welt mich zunehmend unfaehig macht, all die edlen > Ueberzeugungen zu teilen, die ich als guter Mensch eigentlich haben
> > sollte - oder hat man mich zu Recht doch als schlechten Menschen
> > erkannt?
> >

> Diese Vorbemerkung habe ich intellektuell nicht verstanden, doch spuere
> ich emotional so etwas wie Verstimmung.

Ich spiele da in erster Linie eben auf Csampai an, der so moralisierend
den Zeigefinger hebt - und das bei Mozart und Schikaneder. Es ist eben
alles ein wenig komplizierter, als dass es sich in moralischen Kategorien
der Jetztzeit abbilden laesst. Bevor man mit seinen Vermutungen die
Quellen zuschuettet, muss man sie ausreichend befragen. Da ist mir
Schlaeder (der mit grossen Teilen meiner Deutung uebereinstimmt, wie ich
gestern bei der Lektuere erfreulicherweise fand) lieber, der das Textbuch
als schlicht anti-aufklaererisch bezeichnet, welche Meinung ich zwar
nicht teile, die aber auch gegen die Idealisierung und Mystifizierung der
Zauberfloete zielt. Mozarts Haltung Frauen gegenueber war sicher
positiver als die Schikaneders (dessen Ehefrau mit einem Liebhaber
durchgegangen war und erst nach dessen Ableben zu ihm zurueckkehrte). Die
Person der Lubanara, die als frisch Vermaehlte nach anderen Maennern
Ausschau haelt und sich, als Lubano sie einsperrt, des boesen Geistes
Eutifronte bedient, der sie befreit und dem sie folgt (um am Ende zu
Lubano zurueckzukehren), ist ein deutliches Zeichen, wie Schikaneder, der
den Lubano auch spielte, seine private Situation abarbeitet.

Was ich also meine: Ich muss erst verstehen lernen, wie Schikaneder, wie
Mozart die Dinge verstanden, wie sie von den Zeitgenossen verstanden
wurde, fuer die dieses Singspiel geschrieben wurde, und dann erst kann
ich mit Wertungen und Deutungen ansetzen, nicht so wie Csampai von einer
vorgefassten Meinung ausgehend, Mozart und Schikaneder beurteilen, ob sie
ihre Hausaufgaben in political correctness auch gut gemacht haben. Und
bei alle Sympathie, die Mozart auch dem Monostratos nicht versagt, bleibt
Monostratos ein Boesling von Anfang an. Dass ihn das Begehren, das er auf
Pamina richtet, positiv beeinflusst, ist an keiner Stelle zu merken.
Schon vor seinem ersten Auftritt zeigen seine Mit-Sklaven deutliche
Schadenfreude, dass ihm Pamina entkommen ist - und zeigen damit eine
Reaktion darauf, wie er sich zu ihnen verhaelt. Mit seinem ersten
Auftritt kommt auch schon gleich wieder ein Versuch, Pamina fuer sich zu
ueberwaeltigen, statt sie zu Sarastro zu bringen, schickt er die anderen
Sklaven weg. Ich kann eben nichts Positives an Monostratos finden ...

> Ich vermute, du spielst auf eine
> Stelle in meiner Antwort an dich vom 5. November an:
>
> >

> > :-) "Ein Mann muss eure Herzen leiten"? :-) Da ueberlasse ich den
> > Feministen und Huetern der political correctness den Kommentar.
>
> Diese Bemerkung ist nicht - wie deine Verstimmung anzudeuten scheint -
> eine Spitze gegen dich, sondern eine Herausforderung an die Feministen
> und Hueter von p.c.

... und so habe ich sie auch verstanden ...

[Den einvernehmlichen Rest gesnippt]


>
> Diese Aussage ist fuer viele Zeitgenossen zweifellos starker Toback.
> Meine Pointe wollte sagen: Ich habe mit deinem Sarastrobild relativ
> wenig Probleme, aber warte mal ab, wie die Feministen und Hueter von
> p.c. reagieren.
>

Da sind wir wohl einer Meinung :-)

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 9, 1999, 3:00:00 AM11/9/99
to
Lieber Peter,

da bin ich aber erleichtert, dass nicht ich, sondern jemand anderes in
deiner Schusslinie steht.

Peter Brixius schrieb:


>
> Lieber Hans-Hagen,
>
> ich bin nicht verstimmt (von Dir schon gar nicht), sondern bei bester
> Laune - und folge ansonsten auch weiter dem machmal schwer sichtbaren
> Pfad durch wildes Land, der mich vielleicht zu den Weisheitstempeln
> fuehrt. Wie Du aber richtig bemerkt hast, polemisiere ich schon mal gerne
> gegen eine Verquickung von Wissenschaft und Moralisieren, erst recht
> natuerlich, wenn andere einem etwas vorschreiben wollen, was sie selbst
> nicht einzuhalten in der Lage oder willens sind - und das hast Du ja
> nicht getan :-)
>
> In article <38276F9C...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...
>
> > waehrend der Lektuere deiner juengsten Postingfolge juckt es mir zwar
> > immer wieder mal in den Fingern, doch ich habe mich entschlossen, deine
> > spannende Deutung der Zauberfloete bis zum Ende abzuwarten und bis dahin
> > auf meinen Haenden sitzen zu bleiben.
>
> Das ist aber schade, Einspruch ist bei mir immer erwuenscht ...
>

Meine Selbstdisziplinierung entspringt durchaus auch einer Portion
Egoismus, denn ich will dich nicht vom Pfad zu meinen frueheren Postings
abbringen, ausserdem: man soll sein Pulver nicht fruehzeitig
verschiessen :-) Ich werde mir heute Abend dennoch schon mal das eine
oder andere vornehmen, zumal es auch meine Diskussion mit Claus
betrifft.

Vorab noch eine Bemerkung:

> Ich spiele da in erster Linie eben auf Csampai an, der so moralisierend
> den Zeigefinger hebt - und das bei Mozart und Schikaneder.

Wir sind beide in der Phase, in der wir uns produktiv an Csampai reiben,
wobei der abreagierte Aerger sich auch darauf bezieht, dass wir zunächst
seiner Faszination erlegen waren. Ich sage das, damit in der NG nicht
der Eindruck entsteht, seine Lektuere lohne sich nicht. Das Gegenteil
ist der Fall, und ich bin sicher, dass wir beide - wenn wir im
Weisheitstempel angekommen sind - uns seiner mit Dankbarkeit erinnern.

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 10, 1999, 3:00:00 AM11/10/99
to
Lieber Peter, lieber Claus, liebe NG-ler

Es stimmt schon: Morgenstund hat Gold im Mund, oder: Die Strahlen der
Sonne vertreiben die Nacht. Nachdem gestern Peters Morgennachrichten die
naechtlichen Sorgen vor einer moeglichen Verstimmung vertrieben hatten,
konnte ich frohgemut daran gehen, den restlichen Teil seines Postings
abzuarbeiten, und dabei auch versuchen, das von Claus betretene
Minenfeld zu entschaerfen :-)

Peter Brixius schrieb:

> Erledigtes geloescht

> Mozarts Haltung Frauen gegenueber war sicher
> positiver als die Schikaneders (dessen Ehefrau mit einem Liebhaber
> durchgegangen war und erst nach dessen Ableben zu ihm zurueckkehrte). Die
> Person der Lubanara, die als frisch Vermaehlte nach anderen Maennern
> Ausschau haelt und sich, als Lubano sie einsperrt, des boesen Geistes
> Eutifronte bedient, der sie befreit und dem sie folgt (um am Ende zu
> Lubano zurueckzukehren), ist ein deutliches Zeichen, wie Schikaneder, der
> den Lubano auch spielte, seine private Situation abarbeitet.
>

Koestlich, koestlich! Wenn ich fuer die naechtlichen Sorgen mit solch
luzider Aufklaerung belohnt werde, dann mach ich mir diese Sorgen
gern :-))

> Und
bei aller Sympathie, die Mozart auch dem Monostratos nicht versagt,


bleibt
> Monostratos ein Boesling von Anfang an. Dass ihn das Begehren, das er auf
> Pamina richtet, positiv beeinflusst, ist an keiner Stelle zu merken.
> Schon vor seinem ersten Auftritt zeigen seine Mit-Sklaven deutliche
> Schadenfreude, dass ihm Pamina entkommen ist - und zeigen damit eine
> Reaktion darauf, wie er sich zu ihnen verhaelt. Mit seinem ersten
> Auftritt kommt auch schon gleich wieder ein Versuch, Pamina fuer sich zu
> ueberwaeltigen, statt sie zu Sarastro zu bringen, schickt er die anderen
> Sklaven weg. Ich kann eben nichts Positives an Monostratos finden ...

Hm! Hm! ......- nichtsPositives? ......- also, das seh ich ......- aber
beruecksichtige doch, dass ...... - muss man nicht andererseits auch ..
...- und ueberhaupt......-
Nein, ich gebe dir recht: Dein Urteil ueber Monostatos entspricht auch
meinem moralischen Empfinden. Es stoesst auch unter den Zeitgenossen auf
einen breiten Konsens, ob sie nun links oder rechts stehen. Groesser als
unsere Abscheu gegenueber einem zynischen, die Menschenrechte
verspottenden Gangsterboss ist unsere Verachtung des Subalternen, der -
wie Monostatos - nach oben buckelt und nach unten tritt. Mit solchen
Menschen wollen wir eigentlich nichts zu tun haben.

Was mich aber noch zoegern laesst, ist der Umstand, dass es auch
moralisch sensible Zeitgenossen, wie Carsens und Claus Huth, gibt,
die der Auffassung sind, dass wir dem Monostatos Vergebung schulden.
Eines ihrer Argumente ist, dass Mozart den Mohren mit menschlichen
Zuegen ausgestattet hat. Dies besagt aber nicht viel. Wenn Monostatos in
seiner Arie von Mozart weniger abstossend geschildert wird als z.B. mein
Namensvetter im Ring von Richard Wagner, dann entspringt dies - so
scheint es mir - einer unterschiedlichen kuenstlerischen Einstellung.
Mozart will seine Figuren realitaetsnah gestalten und versucht deshalb,
sich in sie hineinzuversetzen. Er stellt sich gewissermassen vor, wie
er, Mozart, fuehlen oder handeln wuerde, wenn er Monostatos waere.
Mozarts "Menschlichkeit" ist - von ihrer Motivation her gesehen - keine
moralische, sondern eine aesthetische Haltung.

Verstehen heisst aber nicht verzeihen. Wie Mozart ueber Monostatos
moralisch urteilt, sagt er uns nicht. Wir koennen das allenfalls
indirekt aus Indizien zu erschliessen versuchen, indem wir z.B. den
Sklavenaufseher Monostatos mit dem Sklavevaufseher Osmin vergleichen.
Der wesentliche Unterschied ist, dass Osmin mit seiner Umwelt
kommuniziert. Wer mit anderen sprechen kann, muss bei aller
Grobschlaechtigkeit Umgangsformen einhalten koennen.

Blondchen muss sich vor Osmin zwar in Acht nehmen, hat aber vor ihm
keine Angst, weil Osmin gegenueber seinem Herrn loyal ist und seine
phantasierten Greueltaten nur auf dessen ausdruecklichen Befehl
ausfuehren wuerde. Blondchen fuerchtet nicht Osmin, sondern den Bassa.
Hier sagt aber ihr weiblicher Instinkt, dass der Bassa klug genug sein
wird, sie ihn Ruhe zu lassen, solange er um Konstanze wirbt. Deswegen
traut sie sich auch, mit ihrem Aufseher erotische Spielchen zu treiben
und den verbal auftrumpfenden Osmin in die Schranken zu weisen.(So
aehnlich fängt auch Csampai seine Interpretation an). Da Osmin ihr
verbal nicht gewachsen ist, kann er seine Agressionen nur in seiner
Phantasie austoben. Nebenbeibemerkt: Wir Maenner luegen uns etwas vor,
wenn wir den Zank zwischen Blondchen und Osmin als Kampf zwischen der
klugen Vertreterin des Abendlandes und einem tumben Orientalen deuteten:
Was Mozarts psychologischer Tiefblick zu Tage foerdert, ist doch diese
simple Wahrheit: In der Erotik kehrt sich das gesellschaftliche
Machtverhaeltnis zwischen Mann und Frau um. Weil der Mann erotisch nur
auf seine Kosten kommt, wenn die Frau seine Liebe erwidert, nutzen ihm
seine physische Ueberlegenheit und seine gesellschaftlichen Privilegien
nichts, dann erweisen sich vielmehr die subtilen subversiven Techniken
als wirksamer, die die Frau im Geschlechterkampf erlernt hat und die der
Mann - weil er ihnen so ohnmaechtig gegenuebersteht - als spitze Zunge -
welch verraeterischer Ausdruck! - abwertet. So bleibt dem Mann nichts
uebrig, als der Frau zu Fuessen zu liegen und sich ueber diese
Demuetigung dadurch hinwegzuhelfen, dass er die freiwillige Erwiderung
seiner Liebe als Eroberung, als Hingabe oder als Unterwerfung der Frau
deutet. Diese maennliche Selbsttaeuschung findet ihren Gipfel in
"fortschrittlichen" Inszenierungen oder Interpretationen, in denen - und
hier muss der arme Csampai schon wieder als Pruegelknabe herhalten -
Mozart attestiert wird, er habe gesellschaftskritisch die Emanzipation
der Frau vorweggenommen. Nein, das was Mozart als Komoedie
Blondchen-Osmin und als Tragoedie Konstanze-Bassa vorfuehrt, ist ganz
normaler paternalistischer Alltag.

Dies ist in der Zauberfloete nicht das Thema. Pamina muss Monostatos
wirklich fuerchten. Der Unterschied zwischen dem Mohren und dem
Orientalen laesst sich an deren Ende demonstrieren. Fuer Monostatos ist
- wie auch fuer die Koenigin - in Sarastros Welt kein Platz, nicht weil
sie diskriminiert werden, sondern weil sie ihren Machtanspruch auf
Pamina nicht aufgeben wollen. Osmin dagegen - und hier gebe ich meiner
Deutung in einem frueheren Posting ein schaerferes Profil - wird nicht
sozial geaechtet, sondern schliesst sich selbst von der
Versoehnungsfeier aus, in der - azs seiner Sicht seine Niederlage
gefeiert wird. Dieser Versoehnung ging der Gnadenakt des Bassa voraus.
Waere Osmin auch hier seinem Herrn gefolgt oder haette dieser ihn dazu
gezwungen, dann waere das fuer Osmin ein Akt der Demuetigung gewesen,
der auch den Gnadenakt entwertet haette. Indem Mozart den Osmin fluchend
abziehen - und seine Wut verbal abreagieren - laesst, verschafft er ihm
einen Abgang in Wuerde. Dabei war fuer Mozart vermutlich nicht
Mitgefuehl fuer Osmin ausschlaggebend, sondern sein aesthetisches
Empfinden, dass nur so das Ende der Oper glaubwuerdig und damit stimmig
wurde. M.E. haette Mozart einen Schluss a la Carsens nicht goutiert,
wohl aber die Szene, die in der Hamburger Auffuehrung dem Finale
angefuegt ist: Waehrend die Freigelassenen in der Ferne abziehen, sitzen
der Bassa und Osmin wehmuetig beisammen und leisten Trauerarbeit fuer
ihre enttaeuschten Liebeshoffnungen.

Mein Gott, was ist mein Text wieder lang geworden!!! Und ich bin immer
noch nicht am Ende, weil ich auf das Anliegen von Claus noch nicht im
Kern eingegangen bin. Verzeiht Mozarts Musik dem Monostatos? Ich
versuche mich an eine Antwort anzunaehern, indem ich eine Vorfrage
stelle: Warum glauben wir, dass Monostatos unseres Mitleids bedarf, und
zwar in einem weitaus groesserem Masse als Osmin? Ich denke: wegen
seiner extremen Vereinsamung, die er uebrigens mit der Koenigin teilt,
und die die psychische Ursache dafuer ist, dass sie sich verzweifelt an
Pamina, wie an einen letzten verbliebenen Strohhalm klammern. Ihre
beiden aufeinanderfolgenden Arien bringen diese verzweifelte
Vereinsamung zum Ausdruck und erregen insoweit unser Mitgefuehl. Sie
loesen aber auch - jedenfalls bei mir - Erschrecken aus. Bei der
Koenigin ist es der destruktive, auch selbstzerstoererische, Hass.
Monostatos dagegen fuehrt vor, wie das menschliche Liebespotential auf
einen ganz kuemmerlichen Rest schrumpfen kann, naemlich auf den Wunsch,
Pamiana nur einmal anfassen, ihr ein Kuesschen geben zu duerfen.
Getrieben ist dieser Wunsch aus seinem Mindewertigkeitskomplex. Er
hofft, dass die Beruehrung der weissen Frau ihm hilft, sich mit seinem
als Makel empfundenen schwarzen Gesicht aussoehnen zu koennen. Die
Erfuellung dieses an sich harmlosen Wunsches wird nicht erst durch das
Erscheinen der Koenigin und dann Sarastros vereitelt, er versagt sie
sich selbst, wenn ich die Arie richtig hoere: Wie ein Irrwisch in einem
Kaefig hetzt Monostatos hin und her, eingezwaengt von seinem Verlangen,
seinem Gefuehl, nicht liebenswert zu sein, und von der Angst vor
Entdeckung. Waehrend sich die Liebespoesie den (Voll-)Mond als Zeugen
des Liebesgluecks hinzuzudichtet, fordert der Mohr den Mond auf,
wegzugucken.

Natuerlich ist das Verhalten der beiden Vereinsamten geselschaftlich
mitbestimmt. Die Koenigin praktiziert Heiratspolitik, um ihre Tochter
bei sich zu haben und den Bestand ihrer Dynastie zu sichern. Und wer als
Sklavenaufseher staendig unter dem doppelten Druck des Misstrauens von
oben und von unten steht, hat es sehr schwer, nicht boesartig zu werden.
Das schlechte Gewissen, dass uns die Existenz von Inhumanitaet in der
Welt bereitet, sollte uns veranlassen, soziale Verhaeltnisse zu aendern,
die inhumanes Verhallten beguenstigen. Aber muessen wir auch denjenigen
vergeben, die sich unter dem Einfluss schlechter Verhaeltnisse an den
Mitmenschen raechen? Noch einmal: Verzeiht Mozarts Musik? Mozart zeigt,
beides: dass Menschen verzeihen und dass Versoehnung gelingt, er zeigt
aber auch, dass Vergebung ausbleiben und Versoehnung misslingen kann.

Meine Schlussfolgerung: Vergebung ist als zweiseitiger Akt nur im
Konkreten moeglich. Mit der abstrakten Frage nach der Vergebung
gegenueber Menschen, die eine solche von mir gar nicht konkret erwarten,
will ich mich nicht befassen. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an, den
ueberlasse ich dem lieben Gott. Bei meiner ersten Lektuere von Carsens
Text war denn auch bei der Szene, in der Sarastro den Monostatos kroent,
mein Eindruck: Da masst sich einer die Rolle Gottes an.

Nach diesem Ausflug in die Welt hehrer Gedanken kehre ich zum Schluss in
unsere ganz profane Welt zurueck: Beim Lesen von Peters Posting kam
ploetzlich diese Stelle ohne Zeilenumbruch vor meine verdutzten Augen:

> > Sensibilitaet eines Emanuel Schikaneders aus und seiner Zeitgenossen. > Nur: Dass Mozart schon die glaenzenden Einsichten geteilt - oder

Wer hat bei diesem, aus meinem Posting stammenden, Zitat den
Zeilenumbruch vergeigt? Sollte etwa? In der Tat: Mit zunehmender
Schamesroete erblickte ich bei der Durchsicht meiner bisherigen Postings
gleich mehre solcher Schandflecken. Da hat mir mein Perfektionsdrang
doch einen Streich gespielt. Offensichtlich ist auf die Einstellung des
Zeilenumbruchs im Netscape-Newsreader allein kein Verlass. Ich
verspreche taetige Reue, weiss aber noch nicht wie. In meinem Archiv
sieht das alles noch ganz unschuldig aus.

Es gruesst Hans-Hagen

Peter Brixius

unread,
Nov 11, 1999, 3:00:00 AM11/11/99
to
Lieber Hans-Hagen,

mit steht leider im Moment die Arbeit bis zum Halse, ich hoffe ein
unvermutetes Luftloch zu finden, um endlich einmal den Zauberfloeten-
Thread weiterfuehren zu koennen, wenigstens mit dem, was ich noch so
alles beizutragen habe.

Ich versuche mal so zwischendurch das eine oder das andere zu posten ...

In article <3827D0B6...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...


> >
> Meine Selbstdisziplinierung entspringt durchaus auch einer Portion
> Egoismus, denn ich will dich nicht vom Pfad zu meinen frueheren Postings
> abbringen, ausserdem: man soll sein Pulver nicht fruehzeitig
> verschiessen :-) Ich werde mir heute Abend dennoch schon mal das eine
> oder andere vornehmen, zumal es auch meine Diskussion mit Claus
> betrifft.
>

Da steuere ich schon hin, aber benutze durchaus die "Ablenkungen" mit
Bedacht, da zum einen Deine umfangreichen Beitraege ohnedies viel Zeit
verlangen und da zum anderen noch einiges auf dem Wege durch die
Zauberfloete zu beachten ist, bevor ich zu umfangreicheren Wertungen
kommen will.

> Vorab noch eine Bemerkung:


>
> > Ich spiele da in erster Linie eben auf Csampai an, der so moralisierend
> > den Zeigefinger hebt - und das bei Mozart und Schikaneder.
>

> Wir sind beide in der Phase, in der wir uns produktiv an Csampai reiben,
> wobei der abreagierte Aerger sich auch darauf bezieht, dass wir zunächst
> seiner Faszination erlegen waren.

Er hat mich damals wirklich produktiv beeinflusst - und ich habe gelernt,
auf viel mehr zu achten, als ich es bis dato getan habe, aber ... die
zerbrochenen (eigentlich schon hingemordeten) Frauen, sei es in der
Entfuehrung (wo Belmontes Zweifel ja Konstanze ebenso seelisch
dahinstreckt wie Pamina in der Zauberfloete durch Taminos unzeitiges
Schweigen) oder in der Cosi oder wo sonst auch bei Mozart (in der Finta
giardiniera haben wir denn einen Doppelmord, denn sowohl Sandrina wie
Belfiore verfallen ja dem zeitweiligen Wahnsinn), die habe ich allerdings
Csampai nie abgenommen, das war mir schon damals deutlich mit der Wurst
nach der Speckseite geworfen :-)

> Ich sage das, damit in der NG nicht
> der Eindruck entsteht, seine Lektuere lohne sich nicht. Das Gegenteil
> ist der Fall, und ich bin sicher, dass wir beide - wenn wir im
> Weisheitstempel angekommen sind - uns seiner mit Dankbarkeit erinnern.
>

Ich weiss keine bessere Einfuehrung in die "Zauberfloete" als diese
Opernfuehrer, die man leider zu schnell eingestellt hat - vor allem weil
sie durch ihren Materialreichtum es einem auch ermoeglichen, sich seine
*eigene* Ansicht kritisch zu der des Herausgebers zu bilden - und was
koennte man Besseres ueber ein Materialienbaendchen sagen ...

Es gruesst herzlich Peter

--
Wie gluecklich wuerde mancher leben, wenn er sich um anderer
Leute Sachen so wenig bekuemmerte, als um die eigenen. (Lichtenberg)

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 12, 1999, 3:00:00 AM11/12/99
to
Lieber Peter,
deine freundliche Mahnung von heut nachmittag

> aber benutze durchaus die "Ablenkungen" mit
> Bedacht, da zum einen Deine umfangreichen Beitraege ohnedies viel Zeit
> verlangen und da zum anderen noch einiges auf dem Wege durch die
> Zauberfloete zu beachten ist, bevor ich zu umfangreicheren Wertungen
> kommen will.
werde ich - auch im eigenen Interesse - hinter meine Ohren schreiben;
deshalb wollte ich ja vorerst auch auf meinen Haenden sitzen bleiben :-)
Ich habe auch nichts dagegen, wenn du dich beim Durchgang meiner Texte
auf das fuer dich Wesentliche beschraenkst. Ich selbst werde die noch
strittigen Fragen daraufhin ueberpruefen, ob sie vom Thema ablenken und
wir sie entweder vorerst stehen lassen oder abschichten und unter einem
anderen Thread spaeter weiter behandeln. Im uebrigen kann ich auch
diesmal viel Text als einvernehmlich oder ausdiskutiert ins Archiv
schicken.

Peter Brixius schrieb:


>
> Lieber Hans-Hagen,
>
> einige Fragen moechte ich gleich hier abhandeln ...
>
> In article <38240BAC...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...

Mozart und das Libretto

Du tust recht daran, mich insoweit zu korrigieren, als mein Text den
Eindruck erwecken koennte, Mozart habe sich - wie Wagner - seine
Libretti sozusagen selbst geschrieben. Bei den von dir erwaehnten
Beispielen war dem Komponisten das Libretto vorgegeben. Es gibt aber
auch den Mozart, der gezielt nach seinem Text oder seinen Librettisten
suchte. Von ihm ist der Ausspruch ueberliefert, er habe mehr als 100
"Buecherl" durchstoebert, ohne etwas rechtes zu finden. Dies zeigt doch,
dass Mozart recht genaue Vorstellungen von einem fuer ihn geeigneten
Libretto hatte.

Von der "Entfuehrung" wissen wir, dass der Komponist seinen Librettisten
nahezu gestriezt hat. Sein wichtigster Eingriff war die Einfuegung des
Quartetts am Ende des zweiten Akts, die zur Folge hatte, dass die
urspruenglich durchgehende Handlung durch einen Aktschluss unterbrochen
werden musste. Das Quartett der beiden Paare Belmonte-Konstanze
und Pedrillo-Blondchen ist vom Text her gesehen eine einzige kurze
Szene. Mozart macht musikalisch daraus ein Finale, d.h. eine
durchkomponierte Sequenz von Szenen. Hier finde ich die These, Mozart
habe die Handlung selbst erfunden, sich also sein Libretto sozusagen
selbst geschrieben, keineswegs abwegig.

Und dann das Tandem Mozart-da Ponte. Was den "Figaro" angeht, berichtet
da Ponte in seinen Memoiren, dass Mozart an ihn herangetreten sei. Mit
dieser Oper wurde Mozart nicht beauftragt, vielmehr haben er und da
Ponte sich den Auftrag beim Kaiser beschafft, als die Komposition schon
weit fortgeschritten war. Bei diesem Tandem finde ich Nachforschungen,
an welchen Stellen Mozart Wuensche an da Ponte gerichtet hat, fuer
ziemlich muessig. Wichtiger ist die Feststellung, dass Mozart in da
Ponte einen Textdichter gefunden hatte, der ihm Textbuecher sozusagen
auf den Leib schreiben konnte.

Sollen diese Berichte ueber einen aktiv nach seinem Opernstoff suchenden
Komponisten mehr sein als nur Anekdoten, dann muss man sich fragen, ob
sich rekonstruieren laesst, welche Art von dramatischer Handlung Mozart
vorschwebte. Ich habe im dritten Teil meines Beitrags dazu etwas gesagt.
Bei Charles Rosen (Der klassische Stil) habe ich inzwischen
Weiterfuehrendes gelesen. Ich habe vor, demnaechst etwas ueber das
Quartett im 2. Akt der Entfuehrung in die NG zu posten. Dann kann ich
versuchen, dieses Thema wieder aufzugreifen.

> Erledigtes geloescht

Kontroverses und Nichtkontroverses ueber Versoehnung

> > .... und bin zuversichtlich, auch Peter Brixius noch davon


> > ueberzeugen zu koennen, dass in der Zauberfloete die Parteiungen nicht
> > aufgehoben werden :-)
>
> Aufgehoben schon, aber sie bestehen auf einer anderen Ebene fort :-)
>
> > Nicht einmal im frisch vermaehlen Parr hat sich
> > die temporaere Entzweiung in reine Harmonie aufgeloest.
>
> Sie haben sich am Ende gefunden, aber ihre gegensaetzliche Natur wird
> Spannung genug fuer ein Leben bieten ... (Und dann ist ja noch die
> Schwiegermama!)
>

:-)

> > Sicher, das Ende
> > ist versoehnlich, und gewiss ist Teil dieser Versoehnung auch die
> > Erfahrung, Gefahren gemeinsam uebestanden zu haben. Aber glaubst du,
> > dass die beiden jemals die Szene vergessen werden, als sich Pamina in
> > Ihrer Not an den Verlobten wandte und Tamino ihr seinen Beistand
> > verweigerte, weil er gerade mit den vorgeschriebenen Yoga-Uebungen
> > beschaeftigt war? Auch wenn sie die damals geschlagenen Wunde inzwischen
> > vernarbt ist, sie ist noch da.
>
> Diese - von Csampai stammende - Interpretation teile ich nicht. Das
> (falsche) Bild, das Pamina von Tamino hatte, mag da Risse bekommen haben,
> mit der Teenagerschwaermerei ist es da aus - aber das bezeichnet ja nun
> auch den Reife-Prozess Paminas. Und Reife heisst eben auch die
> gegenseitigen Verletzungen, die es bei einer Naehe immer gibt (ausser im
> Kitsch), produktiv zu verarbeiten. Es ist eine subtile Degradierung
> Paminas, die Csampai da unter dem Mantel groessten Verstaendnisses
> vornimmt.
>

Genau! Degradierung, weil Bevormundung. Mit der Zuweisung in die
Opferrolle macht man Pamina zum Objekt der Fuersorge, aber eben zum
Objekt, und uebersieht dabei, dass sie sich bereits dazu durchgerungen
hat, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es ist der gleiche
gutmeinende Geist, der aus dem lernenden und uebenden "Lehrling" das
"auszubildende" Passivum gemacht hat.

> > Glaubst du nicht auch, dass Pamina nicht
> > fuer immer davon gezeichnet sein wird, dass sie am Abgrund stand und nur
> > durch ein Wunder gerettet wurde, und dass Tamino nicht fuer immer Scham
> > darueber empfinden wird, dass seine Gattin durch sein Verhalten an den
> > Abgrund getrieben wurde und nicht er, sondern fremde Schutzengel sie vor
> > dem Absturz bewahrt haben?
>
> Nein, das glaube ich nicht. Pamina wird vielleicht schamrot daran denken,
> welchen kindischen Aengsten sie sich hingab, wie sie sich von ihren
> Aengsten zu unvernuenftigen Dingen hat treiben lassen, Tamino wird sich
> an den Kopf packen, dass ihm nicht ein nonverbales Zeichen einfiel.
> Deshalb geht doch aber die Welt nicht unter - und Liebe scheitert doch
> nicht an diesen Kindereien. Diese leichtfertigen Alles-oder-Nichts-
> Suizide sind bei Pubertaeren angesagt, die sich noch als Nabel der Welt
> sehen, an ihrem Leid die ganze Welt kranken sehen - aber doch nicht bei
> den erwachsenen Menschen, die weise regieren sollen, sich und ihre Triebe
> wie dieses ferne Reich der Zauberfloete.
>

Jetzt trennen uns nur noch Nuancen! Und ich frage mich, ob ich mich dir
oder du mich mir angenaehert hast. Die Wahrheit - aus meiner Sicht -
ist, dass sich mein urspruengliches Bild von deiner Interpretation an
das heutige Bild angenaehert hat. Als ich damals von deinem Jubel ueber
das Ende der Parteiung las, schien mir das nicht weit entfernt von
Carsens Mysterium der Versoehnung durch "Mozarts Menschlichkeit"
entfernt zu sein. Deshalb fuehlte ich mich herausgefordert, meine Sicht,
entgegenzusetzen, dass Versoehnung bei Mozart - und im RL - nicht als
Himmelsgeschenk von oben herabregnet und sich auch nicht automatisch
einstellt, wenn die aeusseren Widerstaende beseitigt sind; dabei bin ich
der Gefahr der Ueberpointierung wohl nicht entgangen. Wir sind uns wohl
einig, dass Versuehnung - soll sie tragfaehig sein - ein bewusster Akt
ist, ein Friedensschluss, bei dem die im "Krieg" gegenseitig zugefuegten
Wunden nicht einfach verschwinden, aber mit einem "Reden wir nicht mehr
darueber" ins Archiv abgelegt werden.

Es bleiben zu diesem Thema noch zwei Punkte. Erstens: Ich finde es
natuerlich gar nicht lustig, dass du mich oben in Csampais Ecke stellst
;-) Indem ich die Situation zwischen Tamino und Pamina mit dem Bild der
Yoga-Uebung verfremdete, wollte ich zum Ausdruck bringen, dass ich den
Konflikt als etwas normal Menschliches ansehe, der nicht verschwindet,
wenn der Mann endlich seine Hausaufgaben in Sachen Frauenemanzipation
gemacht hat. Deshalb ist es auch ganz in meinem Sinne, dass du die Szene
aus einem anderen Blickwinkel ins Gleichgewicht gebracht hast. Man
koennte aus anderen Mozart-Opern Beispiele anbringen, wo die Frau den
Mann kraenkt, etwa Zerlina, die billigend in Kauf nimmt, dass Don
Giovanni ihren Masetto demuetigt, oder Donna Anna, die Ottavio im Regen
stehen laesst, nachdem sie seine Liebe fuer ihren Rachefeldzug
instrumentaliert hatte.

Zweitens (Vielleicht ueberspitze ich hier wieder einmal): Hoeren wir
Paginas G-moll-Arie wie ein ueber den Dingen stehender Papa, der seiner
vor Liebesleid zergehende Teenager-Tochter beguetigend auf die Schulter
klopft: Nimms nicht so tragisch, du bist nicht der Nabel der Welt, es
kommen auch wieder bessere Zeiten? ;-) Gewiss schafft auch Mozart
Distanz zu Pamina, wenn er die tragische Selbstmordszene anschliessend
bei Papageno als Komoedie wiederholt. Er macht dies aber sicherlich in
der Annahme, dass die Zuhuerer zuvor mit Pamina gelitten haben, und zwar
nicht in nostalgischer Erinnerung an ihre Teenagerzeit, sondern weil sie
auch als Erwachsene nicht immer - ihre Triebe unter Kontrolle haltend -
ueber den Dingen stehen.

> > Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
> > Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
> > sogar foedern. Womoeglich werden sie das von dir zitierte Duett
> > auch gerne noch hoeren, aber nicht mit der Hoffnung auf reine Harmonie,
> > sondern mit dem Seufzer: Ja, so fuehlten wir einmal, als wir uns noch
> > nicht kannten.
> >
> eben als man noch sein eigenes Abbild im anderen liebte ...
>

Danke, das macht die Sache rund!


>
> Mit dem Sprecher kommen wir zu einer der verborgenen Quellen fuer meine
> Beziehung zur Zauberfloete. Sehr beeindruckt hat mich die
> Puppenspielszene in der "Stunde des Wolfs" von Bergman, wo dieses "Bald,
> Juengling, oder nie" einem die Schauer den Ruecken herunterlaufen lassen
> (anders als in seiner Trollfljoeten) - ich habe diesen Film immer wieder
> gesehen und diese Szene ist eine Schluesselszene darin. Die bedrohlichen
> Dimensionen, die Gefaehrdungen die sich in dem spielerisch gelungen
> Scheinendem der Kunst Mozarts verbergen, wurden mir damals deutlich - und
> ich habe Mozart bis heute nicht mehr anders hoeren koennen.
>

Diesen Film muss ich mir auch ansehen, danke fuer den Tip.
> --
Es gruesst Hans-Hagen


Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 12, 1999, 3:00:00 AM11/12/99
to
Lieber Claus,
du bist nicht vergessen, doch ich wollte vor dem Wochenende erst einmal
die schweren Brocken wegraeumen und habe dabei meine aufgeschobene
Antwort auf dein frueheres Posting in einer Replik an Peter
untergebracht.

Claus Huth schrieb am 7. Nov. 99:
>
> Hans-Hagen Haertel schrieb:


> > Dass sich die Zauberfloete durch eine Vielfalt von Gegensaetzen
> > charakterisieren laesst, finde ich zutreffend, doch halte ich diesen
> > Befund, fuer sich genommen, nicht fuer eine Auszeichnung, sondern fuer
> > ein Problem.
>
> Peter hat schon irgendwo recht, wenn er bemerkt, daß diese Befund an
> sich trivial ist. Interessant ist nicht, daß diese Gegensätze da sind,
> sondern wie sie verarbeitet sind, mit welcher - ich sagte es an andere
> Stelle schon - Menschlichkeit....

Menschlichkeit im Sinne von Lebensnaehe, ja!

> Erledigtes geloescht

Zu unserer Diskussion ueber Carsens auch drei abschliessende Bemerkungen
meinerseits. Erstens: Das Papier war mir trotz meines grundsaetzlichen
Widerwillens "harmonische" Loesungen eine grosse Hilfe bei der eigenen
Suche nach dem Weg zur Zauberfloete. Zweitens: Es ging Carsens wohl vor
allem darum, in seiner Aufführung die von Mozarts Zauberfloetenmusik
ausgehende geheimnisvolle Aura, ihr Fluidum, ihr feierlicher oder
sakraler Ton, kurzum ihr Zauber zum Ausdruck zu bringen und als
Mysterium zu feiern. Für eine kritische Aneignung reicht es aber nicht
aus, diesen Zauber zu beschwören, man muss das Spezifische dieser Musik
auch erkennen und verstehen. Ich selbst habe zwar das Problem benannt,
aber keine Losung anbieten können. Deshalb bin ich ja so gespannt auf
die Erleuchtung durch Peter ;-)) Drittens:Kritik an einem
Auffuehrungskonzept soll selbstverstaendlich nicht die schoene
Erinnerung der Zuschauer trueben, die ja auch von der besonderen
Umgebung der Freilichtauffuehrung gepraegt worden ist. Vor einigen
Jahren liess ich mir bei einem Zwischenaufenthalt in Verona die
Gelegenheit nicht nehmen, auf dem Schwarzmarkt zwei Eintrittskarten zum
dreifachen Preis zu erstehen, um in der Arena eine ganz konventionelle
Auffuehrung des Nabucco zu erleben. Das Erlebnis war grossartig, selbst
fuer meine Frau, die sonst einen grossen Bogen um die Oper des 19.
Jahrhunderts macht. Gestoert wurden wir aber durch das nahezu
ununterbrochene Blitzlichtgewitter in der Arena. Ich war wuetend ueber
die Ruecksichtslosigkeit der Fotografen und fassungslos, fuer wie viele
Zeitgenossen das Dabeigewesensein wichtiger als das Dabeisein ist.
Vielleicht war das aber auch ein Einfall des modernen Regietheaters und
ich habe das nicht gemerkt ;-)

Zum Thema Versoehnung:
(siehe auch mein heutiges Posting an Peter.)
> > Nicht einmal im frisch vermaehlen Paar hat sich


> > die temporaere Entzweiung in reine Harmonie aufgeloest. Sicher, das Ende
> > ist versoehnlich, und gewiss ist Teil dieser Versoehnung auch die
> > Erfahrung, Gefahren gemeinsam uebestanden zu haben.
>
> Zweifellos - wirft das einen Schatten auf die Versöhnung?? Im
> Gegenteil: Das verstärkt sie doch noch!
>
> > Aber glaubst du,
> > dass die beiden jemals die Szene vergessen werden, als sich Pamina in
> > Ihrer Not an den Verlobten wandte und Tamino ihr seinen Beistand
> > verweigerte, weil er gerade mit den vorgeschriebenen Yoga-Uebungen
> > beschaeftigt war? Auch wenn sie die damals geschlagenen Wunde inzwischen
> > vernarbt ist, sie ist noch da.
>
> Sicher - und sie wird die beiden immer bestärken in ihrem Vertrauen
> ineinander....
>
> > Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
> > Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
> > sogar foedern.
>
> Ich plädiere sehr stark für die zweite Alternative.

Ich bin ja nicht grundsaezlich anderer Auffassung, nur ist es meine
Erfahrung, dass bei einer gelungenen Versoehnung auch Traenen fliessen
oder aufkommen. Ueber die Bedeutung der Freudentraenen will ich mich im
angekuendigten Posting ueber das Quartett in der Entfuehrung auslassen.

zu Pamina:


> > > ist es nicht eine Pruefung fuer Pamina, den Rachegeluesten ihrer > Mutter zu widerstehen??
> >
> > Da muss sie sich nicht pruefen: Es steht fuer sie ausser Frage, dass sie
> > Sarastro nicht umbringt und Tamino nicht verraet.
>
> Wirklich?? "Morden - morden soll ich??" sie ringt zwar um einen
> Ausweg, aber an sich hat sie der fulminante Auftritt ihrer Mutter
> emotional doch ziemlich mitgenommen. Stünde für die von Vornherein
> ausser Frage, daß sie Sarastro nicht umbringt, wäre diese Konflikt
> nach der Arie der Königin nicht erklärbar. Und vielleicht - wer weis??
> - würde ein Mord an Sarastro sie ja auch schneller mit Tamino
> vereinen??

Auf "Morden soll ich?" folgt: " - Goetter! das kann ich nicht. - Das
kann ich nicht!" Ich sehe da die gleiche Entschlossenheit wie beim "Nie"
gegenueber dem Erpressungversuch des Monostatos. Ueberzeugend finde ich
aber Peters Hinweis, dass Paminas Konflikt darin besteht, ob sie den
Plan ihrer Mutter Sarastro preisgibt.

zu den drei Knaben:


> > > Dann sind da einige hoechst seltsamen, raetselhafte Szenen im ersten
> > > Akt: Zum Beispiel der drei Knaben Gesang "Zum Ziele fuehrt dich diese
> > > Bahn": zu welchem Ziele? Fuer wen sprechen die drei hier? Fuer die > Nacht oder das Licht?
> >
> > Ich denke: fuer ihre Schutzbefohlenen
>
> Aber: welches Ziel?? Welche Bahn? Das meinte ich.

Das Ziel, fuer das sich die Schutzbefohlenen entscheiden. Schutzengel
weisen nicht die Bahn , sondern passen auf, dass man nicht faellt.

> > > Wobei diese drei Knaben eines der groessten Raetsel in der Zauberfloete
> > > sind - und mE eines der signifikantesten Merkmale fuer eine solche
> > > "allumfassende" Deutung. Denn die passen sonst in kein Konzept:
> > > Eingefuehrt als Diener der Koenigin der Nacht wechseln sie alsbald - und
> > > mE schon vor dem zweiten Akt - scheinbar ins Lager Sarastros. Oder
> > > stehen sie doch, wie Glockenspiel und Zauberfloete, fuer ein
> > > allumfassendes Prinzip?
> >
> > Was haeltst du von meinem Vorschlag: Sie ersetzen als Schutzengel den
> > abwesenden und unwiederbringlichen Schutz der Mutter
>
> Und stehen doch auf Sarastros Seite, zumindest im zweiten Akt??

Eher: Sie sind auch Sarastros Schutzengel

zum Sprecher:


> > Der Sprecher will Tamino von
> > seinen Vorurteilen befreien und ihn fuer Sarastro gewinnen.
>
> Und äußert dabei *seine* Vorurteile.

Mag sein, aber die findet Tamino offensichtlich ueberzeugender als seine
eigenen.

Zu Monostatos:
> > Da betrittst du ein weites Feld in dem auch ein paar Minen verborgen
> > sind.
>
> Ich weis ;-))
>
> > Mein Kommentar dazu ist noch so unfertig, dass ich ihn mir noch
> > aufheben muss.
>
> Wir habe ja Zeit....
>

siehe oben :-)

Es gruesst Hans-Hagen

Claus Huth

unread,
Nov 14, 1999, 3:00:00 AM11/14/99
to
Lieber Peter,

ich sollte mich wohl auch mal wieder in richtung "Zauberflöte" melden.
Leider komme ich so über die Woche derzeit dazu nie.

Und weil es hier noch um den Anfang geht, habe ich halt beschlossen,
da wieder anzusetzen.

Peter Brixius schrieb:



> Eine Vorbemerkung: Man darf von Schikaneder nicht die geistige Hoehe
> erwarten, die wir am Ende des 20. Jahrhundert in Sachen political
> correctness erreicht haben, sowohl was die Einschaetzung von Frauen, wie
> die von Vertretern der Dritten Welt angeht. Wenn ich Deutungsversuche
> mache, so gehen sie von der unterentwickelten Sensibilitaet eines Emanuel
> Schikaneders aus und seiner Zeitgenossen.

Das ist sicher richtig, und vielleicht ist es ein Fehler, so wie ich
gleich aus meiner modernen Sicht an die Deutung gerade dieser PRobleme
zu gehen ;-)

> Nur: Dass Mozart schon die
> glaenzenden Einsichten geteilt - oder wenigstens antizipiert - habe, die
> Csampai aeussert, ist wenig wahrscheinlich.

Da hast du wohl sicher auch recht....

> Auch ich muss mich schuldig
> bekennen, dass meine Vertrautheit mit der Welt mich zunehmend unfaehig
> macht, all die edlen Ueberzeugungen zu teilen, die ich als guter Mensch
> eigentlich haben sollte - oder hat man mich zu Recht doch als schlechten
> Menschen erkannt?

Da habe ich nun länger drüber nachgedacht. Vorher hattest Du Recht,
und auch nach meinem NAchdenken kann ich noch zustimmen.

> > Wo kommt er her?


>
> Es ist schon richtig, einmal beim Anfang zu beginnen.

Eben darum mache ich auch erstmal da weiter um dann zu anderen
Problemen (wie den Monostatos) zu kommen....

> Zunaechst die
> Landschaft, eine felsige Gegend, hie und da von Baeumen ueberwachsen,
> offensichtlich von Untieren bewohnt (dieser "Loewen"schlange).

Übrigens auch ein hübsches Tier, so eine "Löwenschlange" :-)))

> Tamino war
> auf der Jagd mit Pfeil und Bogen, hat sich in diese Gegen verirrt, seine
> Pfeile verschossen, da macht ihn hilflos gegenueber dem Ungeheuer.

Und das alles zeugt auch nicht umbedingt von einer großen Umsicht in
seiner Situation, oder?
Und so fertig, wie der schon reinkommt, muss er ja auch schon eine
ganze Weile erfolgreich vor dem Untier weggerannt sein, schließlich
bricht er sicher nicht vor Schrecken vor dem Anblick der Schlange,
sondern vor Erschöpfung zusammen. Und dann....

> Fuer das Verstaendnis der Zeit Mozarts ist es eine wilde, unkultivierte
> Gegend, in die sich der Mensch nur mit Vorsicht (und mit Waffen) wagen
> kann - das Reich der Koenigin der Nacht.

Ich folge mal Deinem Gedanken: Dann war Tamino allerdings sicherlich
ziemlich leichtsinnig, oder??

> Der runde Tempel auf einem der
> Berge, auch in der szenischen Anweisung, betont auch eher Ungenuegen
> gegenueber einer Pyramide (oder der Tempelanlage Sarastros).

Ist das eine Pyramide?? Rund, Tempel, da sehe ich nicht umbedingt
etwas abwertendes....

> Aus diesem Tempel kommen (erst nachdem Tamino in Ohnmacht gefallen ist)
> die drei verschleierten Damen, jede mit einem silbernen Wurfspiess.
> Dieser Wurfspiess ist wohl eher eine Jagdwaffe.

Oder eine Waffe zur Verteidigung...
Auf der anderen Seite hätten die drei Damen sich auch mal hüten
sollen, aus dem Tempel zu treten, bevor den gute Tamino erstmal alle
guten Geister verlassen hatten, denn schließlich haben sie so die
Gelegenheit, den Prinzen erstmal ausgiebiger zu betrachten, um dann
beim nächsten Mal ein Bildnis Paminas mitzubringen - zwischenzeitlich
müssen sie dann wohl auch mit der Königin Rücksprache gehalten haben
und können das folgende also auch nicht beobachten, es sei denn, ihnen
sei von vornherein klar gewesen, daß sie Tamino das Bildnis zukommen
lassen würden.

> Ein Grund fuer die
> Verschleierung wird uns nicht gegeben, es gibt der Szene ein
> orientalisches Ambiente (das Bildnis Paminas ist allerdings
> unverschleiert). Das Untier stirbt also unter den Wurfspiessen der Damen,
> was von diesen auch gleich als Heldentat gefeiert wird, als ihres Armes
> Tapferkeit.

Ja, ja, ein wenig selbstbeweihräucherung schadet ja nie.....

> > Warum läuft er geradewegs den drei Damen in die Arme? Meister
> > Zufall oder doch eine höhere Fügung.
>
> beides :-))

Eben. Ziemlich ungewiss, das, oder??

> > Immerhin kommt in der Ouvertüre u.a. auch eine "fuga" vor - in
> > Verbindung mit der Weihevollen Welt Sarastros. Sollte man drüber
> > nachdenken....
> >
> ... ebenso wie die Akkorde. Deutet man nun die Fuge als Taminos Flucht
> oder als Ausweis einer hoeheren Kenntnis?

Vielleicht sollte ich auch sagen: beides? Es könnte doch tatsächlich
von beidem etwas drinstecken, oder??

> Der Loewe ist sicher Symbol der (koeniglichen) Macht.

Ich finde das in dem Zusammenhang deshalb interessant, weil der Löwe
dann nämlich mehrmals an Stellen vorkommt, die entscheidend für die
Handlung sind, und weil diese Momente damit immer mit Sarastro in
Verbindung gebracht werden können. Auch wenn die Königin nicht
dasselbe Zeil verfolgt wie Sarastro (da bin ich mir nun mittlerweile
doch sicher), Tamino gerät nicht durch Zufall an diese Frau.....

> Wenn Csampai (S. 21) in seiner Verherrlichung der Koenigin der Nacht von
> "drei lebenslustigen Damen" spricht, so trifft das wohl nicht so am
> Textbestand zu.

Ne, sicher nicht.

> Im Konditional singen sie: "Wuerd ich mein Herz der Liebe
> weihn ..." - ihr Herz ist eben nicht der Liebe geweiht, sondern dem
> Dienst - und dann haette man einen Grund fuer ihre Verschleierung: Sie
> haben der Liebe entsagt (entsagen muessen). So kontrollieren sie sich
> auch untereinander, lassen nicht etwa eine als Wache zurueck, sondern
> entfernen sich wieder in den Tempel, der sich hinter ihnen schliesst.

....um die Königin zu unterrichten, oder??

> Doch nun tritt ein Bewohner dieses wilden Landes auf ...

Zu dem kommen wir ja denn auch demnächst - und er steht irgendwie im
krassen Gegensatz zu dem Land, in dem er wohnt....

Herzliche Grüße

Claus

Claus Huth

unread,
Nov 14, 1999, 3:00:00 AM11/14/99
to
Lieber Hans-Hagen,

dann die zweite Portion "Zauberflöte" für heute. Stürzen wir uns also
auf Monostatos.....

Hans-Hagen Haertel schrieb:
>
> > Erledigtes geloescht

Sowieso....

> > Ich kann eben nichts Positives an Monostratos finden ...
>
> Hm! Hm! ......- nichtsPositives? ......- also, das seh ich ......- aber
> beruecksichtige doch, dass ...... - muss man nicht andererseits auch ..
> ...- und ueberhaupt......-

Soll das eine mögliche Antwort meinerseits darstellen?? Nein, nein,
keine Angst, ich halte den Monostatos nicht für einen heimlichen
Helden dieses Singspiels, sicherlich ist er kein angenehmer Mensch.

Aber eine Vorbemerkung vorab:
Ich bin, angeregt durch diese Diskussion, derzeit im großen Stile
dabei, meine Sicht auf die Zauberflöte, die, wie ich feststellen muss,
stark vom Eindruck der Carsens-Aufführung und von einer Deutung von
Andreas Baesler geprägt wurde, zu überdenken, anzuzweifeln, zu
ergründen. Daher ist es vielleicht hin und wieder unumgänglich und
produktiv, wenn ich an der ein oder anderen Stelle den advocatus
diaboli spiele, und ein klein wenig bestimmte Meinungen und Ansichten
vertrete, die ich nicht umbedingt teile. Das hilft mir, Gedankengänge
wie den von Carsens, der Momostatos am Ende tatsächlich durch Sarastro
krönen lies, nachzuvollziehen. Eure Reaktionen tun ja dann ein
übriges, um die Beständigkeit bestimmter Dinge zu überprüfen.
Insofern möge man es mir auch nachsehen, wenn ich mir slebst an der
ein oder anderen Stelle widerspreche oder zu widersprechen
scheine.....

> Nein, ich gebe dir recht: Dein Urteil ueber Monostatos entspricht auch
> meinem moralischen Empfinden. Es stoesst auch unter den Zeitgenossen auf
> einen breiten Konsens, ob sie nun links oder rechts stehen. Groesser als
> unsere Abscheu gegenueber einem zynischen, die Menschenrechte
> verspottenden Gangsterboss ist unsere Verachtung des Subalternen, der -
> wie Monostatos - nach oben buckelt und nach unten tritt.

Größer??

> Mit solchen
> Menschen wollen wir eigentlich nichts zu tun haben.

Wenn ich den Kerl und seine Komplexe nicht verstehen könnte. Bei
Monostatos haben wir einen ausgesprochen seltenen Fall: Da ist ein
Charakter, den ich auf der einen Seite nicht positiv finden kann,
andererseits aber seine Motivationen nachvollziehen und auch verstehen
kann. Das fasziniert daran so, ganz anders etwa als bei einem anderen
unsympatischen Zeitgenossen der Operngeschichte, Boitos und Verdis
Iago. Der fasziniert mich, weil ich seine Motivation nicht
nachvollziehen kann, weil diese ganze abartige Energie etwas
entspringt, wozu ich keinen Zugang habe.

> Was mich aber noch zoegern laesst, ist der Umstand, dass es auch
> moralisch sensible Zeitgenossen, wie Carsens und Claus Huth, gibt,
> die der Auffassung sind, dass wir dem Monostatos Vergebung schulden.

Ich sagte lediglich, daß ich das nicht abwegig fand.
Ich denke, Carsens ging es auch nicht um ein Vergebung "schulden",
sondern um ein "Vergeben" an sich, daß der Weisheit entspringen kann.
Natürlich ist das aus der Sicht Schikaneders etwa undenkbar, aber in
das Konzept der Zauberflöte als Feier oder meinetwegen Überhöhung der
Menschlichkeit und der Menschheit passt diese Geste wohl schon.
Trotzdem: Heute komme ich mit der Szene auch mehr und mehr weniger
zurecht....

> Eines ihrer Argumente ist, dass Mozart den Mohren mit menschlichen
> Zuegen ausgestattet hat.

Nee, nee. Das war kein Argument für diese Schlusshandlung Sarastros,
zumindest aus meiner Sicht nicht. Da ging es mir eher um das
Faszinierende an dieser Figur, eben das, was ich weiter oben schon mal
beschreiben habe.....

> Dies besagt aber nicht viel.

Nicht als Argument hierzu, ansonsten schon.....

> Wenn Monostatos in
> seiner Arie von Mozart weniger abstossend geschildert wird als z.B. mein
> Namensvetter im Ring von Richard Wagner, dann entspringt dies - so
> scheint es mir - einer unterschiedlichen kuenstlerischen Einstellung.
> Mozart will seine Figuren realitaetsnah gestalten und versucht deshalb,
> sich in sie hineinzuversetzen.

Gut, ich habe den Iago gewählt, aber Hagen geht durchaus auch ;-)) Ich
denke nicht, daß Verdi und Wagner da realitätsferne Figuren auf die
Bühne gestellt haben, im Gegenteil: Beide Charaktere sind leider schon
nahe an der Realität. Nur sind hier die Beweggründe abschreckend,
undurchsichtig oder schlicht verabscheuenswürdig, während im
Monostatos eine an sich gebrochene Gestalt vor uns steht, mit
Komplexen und inneren Zwiespälten, die wir vielleicht auch aus eigener
Erfahrung nachvollziehen können.

> Verstehen heisst aber nicht verzeihen. Wie Mozart ueber Monostatos
> moralisch urteilt, sagt er uns nicht.

Natürlich nicht.

> Wir koennen das allenfalls
> indirekt aus Indizien zu erschliessen versuchen, indem wir z.B. den
> Sklavenaufseher Monostatos mit dem Sklavevaufseher Osmin vergleichen.

Übrigens: Schönen Dank: Durch deine Vergleiche mit der Entführung hats
du mich dazu bewegt, mich mal mit der neuen Einspielung unter William
Christie auseinanderzusetzen, überhaupt mal wieder ein bißchen Zeit
diesem Stück zu widmen......

> Der wesentliche Unterschied ist, dass Osmin mit seiner Umwelt
> kommuniziert. Wer mit anderen sprechen kann, muss bei aller
> Grobschlaechtigkeit Umgangsformen einhalten koennen.

Nu ja, Monostatos kommuniziert wohl auch, aber auf eine ganz andere
Art.

> Blondchen muss sich vor Osmin zwar in Acht nehmen, hat aber vor ihm
> keine Angst, weil Osmin gegenueber seinem Herrn loyal ist und seine
> phantasierten Greueltaten nur auf dessen ausdruecklichen Befehl
> ausfuehren wuerde. Blondchen fuerchtet nicht Osmin, sondern den Bassa.

Monostatos ist insofern schon einen Schritt kranker, sowohl was seine
Phantasien als auch was seinen Realitätssinn angeht, sicher.....

[Vieles zur Entführung nickend gesnippt, wäre auch mal schön für eine
Diskussion.....]

> Dies ist in der Zauberfloete nicht das Thema. Pamina muss Monostatos
> wirklich fuerchten.

Sicher. Der hat wohl auch wesentlich mehr Probleme als der gute
Osmin....

> Mein Gott, was ist mein Text wieder lang geworden!!!

So geht das, manchmal.....

> Und ich bin immer
> noch nicht am Ende, weil ich auf das Anliegen von Claus noch nicht im
> Kern eingegangen bin. Verzeiht Mozarts Musik dem Monostatos? Ich
> versuche mich an eine Antwort anzunaehern, indem ich eine Vorfrage
> stelle: Warum glauben wir, dass Monostatos unseres Mitleids bedarf, und
> zwar in einem weitaus groesserem Masse als Osmin? Ich denke: wegen
> seiner extremen Vereinsamung, die er uebrigens mit der Koenigin teilt,
> und die die psychische Ursache dafuer ist, dass sie sich verzweifelt an
> Pamina, wie an einen letzten verbliebenen Strohhalm klammern. Ihre
> beiden aufeinanderfolgenden Arien bringen diese verzweifelte
> Vereinsamung zum Ausdruck und erregen insoweit unser Mitgefuehl.

Wobei die beiden auf sehr unterschiedlich Art und Weise vereinsamt
sind. Monostatos dürfte an sich ein simpel gestrickter Mensch sein,
der allerdings unter seiner Andersartigkeit extrem leidet, und der,
verständlich, seine Position , die ihm etwas Macht gibt, schamlos
überbewertet und ausnutzt. Letztlich ist er aber doch ein armse
Würstchen, während die Königin allein wegen ihres Machtstrebens
vereinsamen musste. Die beiden Arien, die du nennst, zeigen das ja
auch aufs schönste: Hier der kriecherische Monostatos, der fast um
sich selbst herumzuschleichen scheint, seinen Mangel verdammt und
ablegen will, da die Mutter, die mit Pomp und großem Aufwand ihre
Rachegelüste herausschleudert, die doch letztlich nur ihrem Hass
gegenüber Sarastro entspringen....

> Sie
> loesen aber auch - jedenfalls bei mir - Erschrecken aus. Bei der
> Koenigin ist es der destruktive, auch selbstzerstoererische, Hass.

dito.

> Monostatos dagegen fuehrt vor, wie das menschliche Liebespotential auf
> einen ganz kuemmerlichen Rest schrumpfen kann, naemlich auf den Wunsch,
> Pamiana nur einmal anfassen, ihr ein Kuesschen geben zu duerfen.
> Getrieben ist dieser Wunsch aus seinem Mindewertigkeitskomplex.

Ja, eben. Das macht ihn halt auch eher zum Objekt meines Mitleides
(genauso wie sein auftritt im Finale I, dieses Gestammel, diese
Unsicherheit, dieses sich Winden - übrigens wahrt er da auch eine
Form, immerhin erwidert er Sarastros befehl zu bestrafung - alles das,
was letztlich seinem Minderwertigkeitskomplex entspringt)....

> Wie ein Irrwisch in einem
> Kaefig hetzt Monostatos hin und her, eingezwaengt von seinem Verlangen,
> seinem Gefuehl, nicht liebenswert zu sein, und von der Angst vor
> Entdeckung. Waehrend sich die Liebespoesie den (Voll-)Mond als Zeugen
> des Liebesgluecks hinzuzudichtet, fordert der Mohr den Mond auf,
> wegzugucken.

Schön gesagt.

> Und wer als
> Sklavenaufseher staendig unter dem doppelten Druck des Misstrauens von
> oben und von unten steht, hat es sehr schwer, nicht boesartig zu werden.

Aha!!

> Meine Schlussfolgerung: Vergebung ist als zweiseitiger Akt nur im
> Konkreten moeglich.

Wieso zweiseitiger Akt?? Das verstehe ich nicht. Verzeihen kann immer
nur die eine Seite....

> Mit der abstrakten Frage nach der Vergebung
> gegenueber Menschen, die eine solche von mir gar nicht konkret erwarten,
> will ich mich nicht befassen. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an, den
> ueberlasse ich dem lieben Gott.

;-))
Allerdings ist es mir egal, ob jemand Verzeihung von mir erwartet,
oder??

> Bei meiner ersten Lektuere von Carsens
> Text war denn auch bei der Szene, in der Sarastro den Monostatos kroent,
> mein Eindruck: Da masst sich einer die Rolle Gottes an.

Das mag da vielleicht auch dahinterstecken.....

> Offensichtlich ist auf die Einstellung des
> Zeilenumbruchs im Netscape-Newsreader allein kein Verlass. Ich
> verspreche taetige Reue, weiss aber noch nicht wie. In meinem Archiv
> sieht das alles noch ganz unschuldig aus.

Ich kenne das Problem, spannenderweise macht Netscape bei mir diese
Sachen nicht mehr, zumindest derzeit nicht. Hast du noch eingestellt,
daß das Programm immer HTML-Nachrichten versendet?? NAchdem ich diese
Option ausgeschaltet habe, haben sich die Probleme nämlich gelegt...

Liebe Grüße

Claus

Claus Huth

unread,
Nov 14, 1999, 3:00:00 AM11/14/99
to
Lieber Hans-Hagen,

Teil 3.....

Hans-Hagen Haertel schrieb:


>
> > Peter hat schon irgendwo recht, wenn er bemerkt, daß diese Befund an
> > sich trivial ist. Interessant ist nicht, daß diese Gegensätze da sind,
> > sondern wie sie verarbeitet sind, mit welcher - ich sagte es an andere
> > Stelle schon - Menschlichkeit....
>
> Menschlichkeit im Sinne von Lebensnaehe, ja!

MEin ich ja....

> Zu unserer Diskussion ueber Carsens auch drei abschliessende Bemerkungen
> meinerseits. Erstens: Das Papier war mir trotz meines grundsaetzlichen
> Widerwillens "harmonische" Loesungen eine grosse Hilfe bei der eigenen
> Suche nach dem Weg zur Zauberfloete.

Mir auch, und wie ich an anderer Stelle erwähnte, hat mich die
Inszenierung auch schwer beeindruckt. Aber das soll uns ja nicht
hindern, diese Erinnerung kritisch zu hinterfragen und zu
durchleuchten. Ich halte auf jeden Fall fest: Im Moment der Aufführung
erschien mir das alles als eine runde Sache. Ob ich das nun als
dauernde Deutung behalten will, bezweifle ich. Immerhin kann ich mir
die Christie-Einspielung nicht ohne Erinnerungen an die Inszenierung
anhören....

> Zweitens: Es ging Carsens wohl vor
> allem darum, in seiner Aufführung die von Mozarts Zauberfloetenmusik
> ausgehende geheimnisvolle Aura, ihr Fluidum, ihr feierlicher oder
> sakraler Ton, kurzum ihr Zauber zum Ausdruck zu bringen und als
> Mysterium zu feiern.

Ja.

> Für eine kritische Aneignung reicht es aber nicht
> aus, diesen Zauber zu beschwören, man muss das Spezifische dieser Musik
> auch erkennen und verstehen. Ich selbst habe zwar das Problem benannt,
> aber keine Losung anbieten können. Deshalb bin ich ja so gespannt auf
> die Erleuchtung durch Peter ;-))

;-)) Dann sind wir das mal gemeinsam....

> Drittens:Kritik an einem
> Auffuehrungskonzept soll selbstverstaendlich nicht die schoene
> Erinnerung der Zuschauer trueben, die ja auch von der besonderen
> Umgebung der Freilichtauffuehrung gepraegt worden ist.

Schon klar....

> Vor einigen
> Jahren liess ich mir bei einem Zwischenaufenthalt in Verona die
> Gelegenheit nicht nehmen, auf dem Schwarzmarkt zwei Eintrittskarten zum
> dreifachen Preis zu erstehen, um in der Arena eine ganz konventionelle
> Auffuehrung des Nabucco zu erleben. Das Erlebnis war grossartig, selbst
> fuer meine Frau, die sonst einen grossen Bogen um die Oper des 19.
> Jahrhunderts macht.

Da hätte ich jetzt einiges zu kritisieren, aber lassen wir das mal.
ICh kenne ide Athmosphäre nicht, ich kenne allerdings die Inszenierung
vom Video. Naja.

> Gestoert wurden wir aber durch das nahezu
> ununterbrochene Blitzlichtgewitter in der Arena. Ich war wuetend ueber
> die Ruecksichtslosigkeit der Fotografen und fassungslos, fuer wie viele
> Zeitgenossen das Dabeigewesensein wichtiger als das Dabeisein ist.
> Vielleicht war das aber auch ein Einfall des modernen Regietheaters und
> ich habe das nicht gemerkt ;-)

In einer ganz ähnlichen Umgebung kann man übrigens im französischen
Orange Jahr für Jahr großartige Aufführung und teilweise auch wirklich
gelungen Inszenierungen sehen. Ohne Blitzlichter, meistens....

> Zum Thema Versoehnung:

> > > Damit wir uns recht verstehen: Die erlebte
> > > Entzweiung muss den Zusammenhalt des Paares nicht gefaehrden, kann ihn
> > > sogar foedern.
> >
> > Ich plädiere sehr stark für die zweite Alternative.
>
> Ich bin ja nicht grundsaezlich anderer Auffassung, nur ist es meine
> Erfahrung, dass bei einer gelungenen Versoehnung auch Traenen fliessen
> oder aufkommen. Ueber die Bedeutung der Freudentraenen will ich mich im
> angekuendigten Posting ueber das Quartett in der Entfuehrung auslassen.

Aber gerne, bis dahin bleibe ich bei meiner Sicht: Das Erlebte, und
gerade die erlebte Entzweiung dürfte die Beziehung sogar fördern....

> zu Pamina:

> Auf "Morden soll ich?" folgt: " - Goetter! das kann ich nicht. - Das
> kann ich nicht!"

Da sehe ich allerdings auch schauernde Ungewissheit....

> zu den drei Knaben:

> > > Ich denke: fuer ihre Schutzbefohlenen
> >
> > Aber: welches Ziel?? Welche Bahn? Das meinte ich.
>
> Das Ziel, fuer das sich die Schutzbefohlenen entscheiden. Schutzengel
> weisen nicht die Bahn , sondern passen auf, dass man nicht faellt.

Diese Schutzengel weisen aber: "Zum Ziele führt dich diese Bahn." Das
ist so eindeutig wie rätselhaft....

> zum Sprecher:


> > Und äußert dabei *seine* Vorurteile.
>
> Mag sein, aber die findet Tamino offensichtlich ueberzeugender als seine
> eigenen.

Ob sie aber besser sind??

Herzliche Grüße

Claus

Peter Brixius

unread,
Nov 18, 1999, 3:00:00 AM11/18/99
to
Lieber Hans-Hagen,

da bin ich wieder im "richtigen" Thread ...

In article <382BDF19...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...
>
> Mozart und das Libretto
>
>

> Du tust recht daran, mich insoweit zu korrigieren, als mein Text den
> Eindruck erwecken koennte, Mozart habe sich - wie Wagner - seine
> Libretti sozusagen selbst geschrieben. Bei den von dir erwaehnten
> Beispielen war dem Komponisten das Libretto vorgegeben. Es gibt aber
> auch den Mozart, der gezielt nach seinem Text oder seinen Librettisten
> suchte. Von ihm ist der Ausspruch ueberliefert, er habe mehr als 100
> "Buecherl" durchstoebert, ohne etwas rechtes zu finden. Dies zeigt doch,
> dass Mozart recht genaue Vorstellungen von einem fuer ihn geeigneten
> Libretto hatte.
>

Das wohl. Aber in der Regel war er eben von einem Auftraggeber abhaengig
und hatte entsprechend wenig Einfluss auf die Auswahl des Libretto, nahm
dann aber durchaus Einfluss auf Aenderungen etc.



> Von der "Entfuehrung" wissen wir, dass der Komponist seinen Librettisten
> nahezu gestriezt hat.

Die Entfuehrung war ja auch eine zumindest teilweise "persoenliche" Sache
fuer Mozart, der gerade auch seine Konstanze "entfuehrt" hatte ...

> Sein wichtigster Eingriff war die Einfuegung des
> Quartetts am Ende des zweiten Akts, die zur Folge hatte, dass die
> urspruenglich durchgehende Handlung durch einen Aktschluss unterbrochen
> werden musste. Das Quartett der beiden Paare Belmonte-Konstanze
> und Pedrillo-Blondchen ist vom Text her gesehen eine einzige kurze
> Szene. Mozart macht musikalisch daraus ein Finale, d.h. eine
> durchkomponierte Sequenz von Szenen. Hier finde ich die These, Mozart
> habe die Handlung selbst erfunden, sich also sein Libretto sozusagen
> selbst geschrieben, keineswegs abwegig.
>

Stimme ich ueberein.

> Und dann das Tandem Mozart-da Ponte. Was den "Figaro" angeht, berichtet
> da Ponte in seinen Memoiren, dass Mozart an ihn herangetreten sei. Mit
> dieser Oper wurde Mozart nicht beauftragt, vielmehr haben er und da
> Ponte sich den Auftrag beim Kaiser beschafft, als die Komposition schon
> weit fortgeschritten war. Bei diesem Tandem finde ich Nachforschungen,
> an welchen Stellen Mozart Wuensche an da Ponte gerichtet hat, fuer
> ziemlich muessig. Wichtiger ist die Feststellung, dass Mozart in da
> Ponte einen Textdichter gefunden hatte, der ihm Textbuecher sozusagen
> auf den Leib schreiben konnte.
>

Bei der Zauberfloete - um das vorwegzunehmen - gab es auch eine grosse
Uebereinstimmung zwischen Librettisten und Komponisten. Da das Textbuch
schon vorlag, bevor die Komposition beendet war, kann man die wenigen
(die Handlung ohnehin nicht betreffenden) Aenderungen an dem Text zur
Partitur feststellen. Nur - bei aller Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der
Textbuecher durch Mozart, Rueckschluesse auf Intentionen zu ziehen, halte
ich doch fuer schwierig. Komponisten (und da gehoert Mozart wohl dazu)
ging es vor allem darum, Texte zu finden, die hinreichend Anlass fuer
ihre musikalischen Ideen boten, je abwechslungsreicher, je schaerfer die
Charaktere gezeichnet sind, je deutlicher Widersprueche sind, umso
besser. Dass Mozart bei Sarastro z.B. an seinen Vater gedacht haben
koennte, halte ich fuer alles andere als abwegig, aber die textliche Idee
und die textliche Gestaltung der Figur ist eben von Schikaneder (und
ueber dessen Vater weiss ich nun nichts, aber Vaeter sind sich ja so
aehnlich ....)


> Sollen diese Berichte ueber einen aktiv nach seinem Opernstoff suchenden
> Komponisten mehr sein als nur Anekdoten, dann muss man sich fragen, ob
> sich rekonstruieren laesst, welche Art von dramatischer Handlung Mozart
> vorschwebte. Ich habe im dritten Teil meines Beitrags dazu etwas gesagt.
> Bei Charles Rosen (Der klassische Stil) habe ich inzwischen
> Weiterfuehrendes gelesen. Ich habe vor, demnaechst etwas ueber das
> Quartett im 2. Akt der Entfuehrung in die NG zu posten. Dann kann ich
> versuchen, dieses Thema wieder aufzugreifen.
>

Dazu dann vielleicht im Zusammenhang ...

>

[Einvernehmliches gesnippt]

> > Es ist eine subtile Degradierung
> > Paminas, die Csampai da unter dem Mantel groessten Verstaendnisses
> > vornimmt.
> >
> Genau! Degradierung, weil Bevormundung. Mit der Zuweisung in die
> Opferrolle macht man Pamina zum Objekt der Fuersorge, aber eben zum
> Objekt, und uebersieht dabei, dass sie sich bereits dazu durchgerungen
> hat, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Es ist der gleiche
> gutmeinende Geist, der aus dem lernenden und uebenden "Lehrling" das
> "auszubildende" Passivum gemacht hat.
>

da sind wir uns einig ...

> > Nein, das glaube ich nicht. Pamina wird vielleicht schamrot daran denken,
> > welchen kindischen Aengsten sie sich hingab, wie sie sich von ihren
> > Aengsten zu unvernuenftigen Dingen hat treiben lassen, Tamino wird sich
> > an den Kopf packen, dass ihm nicht ein nonverbales Zeichen einfiel.
> > Deshalb geht doch aber die Welt nicht unter - und Liebe scheitert doch
> > nicht an diesen Kindereien. Diese leichtfertigen Alles-oder-Nichts-
> > Suizide sind bei Pubertaeren angesagt, die sich noch als Nabel der Welt
> > sehen, an ihrem Leid die ganze Welt kranken sehen - aber doch nicht bei
> > den erwachsenen Menschen, die weise regieren sollen, sich und ihre Triebe
> > wie dieses ferne Reich der Zauberfloete.
> >
> Jetzt trennen uns nur noch Nuancen! Und ich frage mich, ob ich mich dir
> oder du mich mir angenaehert hast.

vielleicht habe ich mich da nicht ganz verstaendlich gemacht, aber die
Sicht Csampais von Pamina und von Monostratos hat mich von Anfang an am
meisten gestoert, nicht, weil sie grundsaetzlich falsch ist, sondern
gerade weil Richtiges und Ueberlegenswertes daran ist, dieses aber auf
monstroese Art verzerrt wird IMHO.

> Die Wahrheit - aus meiner Sicht -
> ist, dass sich mein urspruengliches Bild von deiner Interpretation an
> das heutige Bild angenaehert hat. Als ich damals von deinem Jubel ueber
> das Ende der Parteiung las, schien mir das nicht weit entfernt von
> Carsens Mysterium der Versoehnung durch "Mozarts Menschlichkeit"
> entfernt zu sein. Deshalb fuehlte ich mich herausgefordert, meine Sicht,
> entgegenzusetzen, dass Versoehnung bei Mozart - und im RL - nicht als
> Himmelsgeschenk von oben herabregnet und sich auch nicht automatisch
> einstellt, wenn die aeusseren Widerstaende beseitigt sind; dabei bin ich
> der Gefahr der Ueberpointierung wohl nicht entgangen.

Was nur zeigt: Missverstaendnisse, nicht Einverstaendnisse sind produktiv
- wenn man sie zu klaeren versucht selbstverstaendlich :-))

> Wir sind uns wohl
> einig, dass Versuehnung - soll sie tragfaehig sein - ein bewusster Akt
> ist, ein Friedensschluss, bei dem die im "Krieg" gegenseitig zugefuegten
> Wunden nicht einfach verschwinden, aber mit einem "Reden wir nicht mehr
> darueber" ins Archiv abgelegt werden.
>

Das sind wir ..

> Es bleiben zu diesem Thema noch zwei Punkte. Erstens: Ich finde es
> natuerlich gar nicht lustig, dass du mich oben in Csampais Ecke stellst
> ;-)

Auch das ist ein Missverstaendnis :-) (habe ich gar nicht dran gedacht!)

> Indem ich die Situation zwischen Tamino und Pamina mit dem Bild der
> Yoga-Uebung verfremdete, wollte ich zum Ausdruck bringen, dass ich den
> Konflikt als etwas normal Menschliches ansehe, der nicht verschwindet,
> wenn der Mann endlich seine Hausaufgaben in Sachen Frauenemanzipation
> gemacht hat. Deshalb ist es auch ganz in meinem Sinne, dass du die Szene
> aus einem anderen Blickwinkel ins Gleichgewicht gebracht hast. Man
> koennte aus anderen Mozart-Opern Beispiele anbringen, wo die Frau den
> Mann kraenkt, etwa Zerlina, die billigend in Kauf nimmt, dass Don
> Giovanni ihren Masetto demuetigt, oder Donna Anna, die Ottavio im Regen
> stehen laesst, nachdem sie seine Liebe fuer ihren Rachefeldzug
> instrumentaliert hatte.
>

Ich finde auch, dass Mozart seine Frauenrollen liebte und sehr nuanciert
gestaltete, sie aber nicht verklaerte (eine Form der umgekehrten
Diskriminierung).

> Zweitens (Vielleicht ueberspitze ich hier wieder einmal): Hoeren wir
> Paginas G-moll-Arie wie ein ueber den Dingen stehender Papa, der seiner
> vor Liebesleid zergehende Teenager-Tochter beguetigend auf die Schulter
> klopft: Nimms nicht so tragisch, du bist nicht der Nabel der Welt, es
> kommen auch wieder bessere Zeiten? ;-) Gewiss schafft auch Mozart
> Distanz zu Pamina, wenn er die tragische Selbstmordszene anschliessend
> bei Papageno als Komoedie wiederholt. Er macht dies aber sicherlich in
> der Annahme, dass die Zuhuerer zuvor mit Pamina gelitten haben, und zwar
> nicht in nostalgischer Erinnerung an ihre Teenagerzeit, sondern weil sie
> auch als Erwachsene nicht immer - ihre Triebe unter Kontrolle haltend -
> ueber den Dingen stehen.
>

Mozart leidet mit - deutlich! Aber der Wahnsinn ist (wie in der Finta
giardiniera) eher ein Vernebeln des Verstandes durch die widerstreitenden
Gefuehle, damit fehlt das Tragische (und von Zeitgenossen wurde das wohl
auch eher als komisch empfunden :-(), das eine gewisse Fallhoehe
voraussetzt.

>
Nach diesem Einstieg hoffe ich jetzt doch, etwas zuegiger auf Deine
schoenen Beitraege eingehen zu koennen.

Es gruesst herzlich Peter
>

--
Wir kennen nur uns selbst, oder vielmehr, wir koennten uns
kennen, wenn wir wollten; allein die anderen kennen wir nur
aus der Analogie. (Lichtenberg)

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 18, 1999, 3:00:00 AM11/18/99
to
Lieber Claus,
Ich empfinde das gegenwaertige Stadium unserer Diskussion, in dem wir
u.a. von unseren Bildungsfortschritten berichten, als ausgesprochen
relaxed :-)

Claus Huth schrieb:


>
> Lieber Hans-Hagen,
>
> dann die zweite Portion "Zauberflöte" für heute. Stürzen wir uns also
> auf Monostatos.....

> > Peter Brixius schrieb:


> > > Ich kann eben nichts Positives an Monostratos finden ...

> Hans-Hagen Haertel schrieb:


> > Hm! Hm! ......- nichtsPositives? ......- also, das seh ich ......- aber
> > beruecksichtige doch, dass ...... - muss man nicht andererseits auch ..
> > ...- und ueberhaupt......-
>

> Soll das eine moegliche Antwort meinerseits darstellen??

Nein, nein! Als ich das an Peter schrieb, war mir voruebergehend
entfallen, daß ich mich in eure Diskussion eingeschaltet hatte. Mit dem
von dir zitierten Gestottere wollte ich den Abschluß der Revision meines
eigenen Bildes von Monostatos veranschaulichen. Aus Gruenden, auf die
ich noch eingehen werde, hatte ich mich mit Csampais Stilisierung des
Mohren als Opfer angefreundet. Meine Abwendung von diesem Bild begann,
als ich zur Vorbereitung auf diesen Thread noch einmal das Libretto
studierte und in der ersten - geprochenen - Szene des zweiten Aktes
angelangt war, in der die Sklaven ausgiebig ihrer Schadenfreude über das
Missgeschick ihres Aufsehers Ausdruck geben, dem Pamina gerade entlaufen
war. Nun wurde ich mir wieder der Doppelrolle des Mohren bewußt:
Monostatos ist nicht nur gepeinigtes Opfer, sondern auch selbst
Peiniger. Den Tritt zum endgueltigen Schnitt meiner emotionalen
Nabelschnur zum Mohren gab mir Peters trockener Befund ;-) Die obige
Szene schildert mein letzten Audbaeumen, bevor ich meine Kapitulation
unterschrieb: Nein, ich gebe dir recht! :-)

Aber so unrecht hattest du ja nicht, als du diese Szene auf dich
bezogst, denn du bezeugst anschliessend einen aehnlichen
Abnabelungsprozess ;-) :

> Nein, nein,
> keine Angst, ich halte den Monostatos nicht für einen heimlichen
> Helden dieses Singspiels, sicherlich ist er kein angenehmer Mensch.
>
> Aber eine Vorbemerkung vorab:
> Ich bin, angeregt durch diese Diskussion, derzeit im großen Stile
> dabei, meine Sicht auf die Zauberflöte, die, wie ich feststellen muss,
> stark vom Eindruck der Carsens-Aufführung und von einer Deutung von
> Andreas Baesler geprägt wurde, zu überdenken, anzuzweifeln, zu
> ergründen. Daher ist es vielleicht hin und wieder unumgänglich und
> produktiv, wenn ich an der ein oder anderen Stelle den advocatus
> diaboli spiele,

Aber feste! Wir haben uns ja nicht aus reiner Verblendung von einer
bestimmten Lesart beeindrucken lassen.

> und ein klein wenig bestimmte Meinungen und Ansichten
> vertrete, die ich nicht umbedingt teile. Das hilft mir, Gedankengänge
> wie den von Carsens, der Momostatos am Ende tatsächlich durch Sarastro
> krönen lies, nachzuvollziehen. Eure Reaktionen tun ja dann ein
> übriges, um die Beständigkeit bestimmter Dinge zu überprüfen.

> Insofern möge man es mir auch nachsehen, wenn ich mir selbst an der


> ein oder anderen Stelle widerspreche oder zu widersprechen
> scheine.....
>

Du beschreibst sehr schoen auch mein eigenes Dilemma.

> > Nein, ich gebe dir recht: Dein Urteil ueber Monostatos entspricht auch
> > meinem moralischen Empfinden. Es stoesst auch unter den Zeitgenossen auf
> > einen breiten Konsens, ob sie nun links oder rechts stehen. Groesser als
> > unsere Abscheu gegenueber einem zynischen, die Menschenrechte
> > verspottenden Gangsterboss ist unsere Verachtung des Subalternen, der -
> > wie Monostatos - nach oben buckelt und nach unten tritt.
>
> Größer??

Das ist Einstellungssache und hier nicht kriegsentscheidend. Meine Wahl
des Komparativs ist u.a. von der aktuellen Aufarbeitung der
Naziverbrechen gepraegt, in der - wie z.B. in der Wehrmachtsausstellung
- die Kette der Verantwortung - Hitler als Urheber, die vielen ihm
entgegenarbeitenden Karrieristen, die abertausend subalternen willigen
Helfer - am hinteren Ende ausgeleuchtet wird.

>
> > Mit solchen
> > Menschen wollen wir eigentlich nichts zu tun haben.
>
> Wenn ich den Kerl und seine Komplexe nicht verstehen könnte. Bei
> Monostatos haben wir einen ausgesprochen seltenen Fall: Da ist ein
> Charakter, den ich auf der einen Seite nicht positiv finden kann,
> andererseits aber seine Motivationen nachvollziehen und auch verstehen
> kann. Das fasziniert daran so, ganz anders etwa als bei einem anderen
> unsympatischen Zeitgenossen der Operngeschichte, Boitos und Verdis
> Iago. Der fasziniert mich, weil ich seine Motivation nicht
> nachvollziehen kann, weil diese ganze abartige Energie etwas
> entspringt, wozu ich keinen Zugang habe.

Jetzt sind wir bei den Gruenden, die uns veranlassen koennen, uns mit
Theaterfiguren zu identifizieren. Die meisten Menschen leben in einem
Umfeld, in dem sie Herrschaft und die Herrscherklasse als bedrohlich
oder feindlich erleben. Deshalb faellt ihnen der emotionale Zugang zu
Opfern leichter als der zu Maechtigen. Ueberdies beruehren uns generell
Figuren in Außenseiterpositionen wohl mehr als Etablierte - jedenfalls
auf der Buehne und im Roman; im RL (realen Leben) gilt das nicht mehr so
generell.

Vorgezogenes Zitat


> > Und wer als
> > Sklavenaufseher staendig unter dem doppelten Druck des Misstrauens von
> > oben und von unten steht, hat es sehr schwer, nicht boesartig zu werden

> Aha!!

Genau! :-)
>
Es ist an dieser Stelle vielleicht hilfreich, zu unterscheiden zwischen
Identifikation in Form von verstehender Einfuehlung und Identifikation
in Form von bejahender Sympathie. Du sagst, du habest Mitleid mit
Monostatos. Ist das Einfuehlung oder Sympathie? Pruefe dich doch einmal,
ob deine Sympathie sich nicht auf die Opferrolle beschraenkt.
Beruecksichtigst du aber auch seine Taeterrolle und waerest du zudem
Vater einer heranwachsenden Tochter, ist es mit der Sympathie
moeglicherweise nicht mehr so doll. Wie Peter zu Recht ausfuehrt, straft
Saratsro den "armen" Mohren doch nicht aus Sadismus, sondern wegen
dessen Kompetenzueberschreitung gegenueber Pamina. Noch ein Wort zu den
Herrschern: Wenn ich bedenke, dass viele meiner ehemaligen Studien- und
Arbeitskollegen etwa die Aufgabe haben, Sparvorlagen für den
Finanzmister auszuarbeiten oder als Vostandsassistenten über
Rationalisierungsmaßnahmen nachzusinnen, dann koennte ich mir
vorstellen, dass man sich in auch in Herrscherfiguren verstehend
einfuehlen kann.

Identifikation - in welcher Form auch immer- ist aber nur moeglich, wenn
der Autor die Figur mit menschlichen Zuegen versehen hat. Schon fuer
Beethovens Pizarro gilt das nicht mehr. Du nanntest Verdis Jago, ich
Wagners Hagen. Hier bewegen wir uns auf einen anderen, nicht minder
spannenden Thread mit dem Thema "Die Rolle des Schurken in der Oper" zu.
Ich moechte von mir aus die Diskussion unterbrechen. Aus
nachvollziehbaren Gruenden habe ich mich vor einiger Zeit gruendlich mit
der Figur des Hagen beschaeftigt. Ich kann dir sagen, wenn du mal ueber
den Ring und die Lesebuecher hinausblickst, dann wird es aufregend, dann
kann man mit dieser Figur Kulturgeschichte schreiben. Die Ergebnisse
meiner Recherche und meines Nachdenkens werde ich vielleicht einmal bei
passender Gelegenheit posten.

Zur Frage, ob wir Monostatos Vergebung schulden

> Ich sagte lediglich, daß ich das nicht abwegig fand.
> Ich denke, Carsens ging es auch nicht um ein Vergebung "schulden",
> sondern um ein "Vergeben" an sich, daß der Weisheit entspringen kann.
> Natürlich ist das aus der Sicht Schikaneders etwa undenkbar, aber in
> das Konzept der Zauberflöte als Feier oder meinetwegen Überhöhung der
> Menschlichkeit und der Menschheit passt diese Geste wohl schon.
> Trotzdem: Heute komme ich mit der Szene auch mehr und mehr weniger
> zurecht....
>

Vielleicht hilft dir die Diskussion der folgenden Frage weiter.

> > Meine Schlussfolgerung: Vergebung ist als zweiseitiger Akt nur im
> > Konkreten moeglich.
>
> Wieso zweiseitiger Akt?? Das verstehe ich nicht. Verzeihen kann immer
> nur die eine Seite....
>
> > Mit der abstrakten Frage nach der Vergebung
> > gegenueber Menschen, die eine solche von mir gar nicht konkret erwarten,
> > will ich mich nicht befassen. Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an, den
> > ueberlasse ich dem lieben Gott.
>
> ;-))

> Allerdings ist es mir egal, ob jemand Verzeihung von mir erwartet,
> oder??

Mir ist das nicht egal. Ich spreche jetzt mal nicht von der Gewaehrung
von, sondern von der Bitte um Vergebung. Wenn ich der Vergebung bedarf,
dann doch deshalb, weil ich jemandem geschadet habe und mich ihm
gegenueber in der Schuld fuehle. Deshalb bitte ich ihn, mir zu vergeben
und dadurch mein Schuldkonto wieder auszugleichen. Erwarten kann ich
Vergebung aber nur, wenn ich die Schuld anerkenne und Bereitschaft
signalisiere, kuenftig Ruecksicht walten zu lassen. Umgekehrt bin ich
als Geschaedigter zur Vergebung nur bereit, wenn der andere mir zu
vestehen gibt, daß er meiner Vergebung bedarf, d.h. seine Schuld
anerkennt und in sich die Verpflichtung fuehlt, kuenftig auf mich
Ruecksicht zu nehmen. Das meinte ich mit meiner These, Vergebung sei ein
zweiseitiger Akt. Natuerlich kann ich auch jemandem, den ich mag oder
mit dem ich auskommen muß, auch ohne Bitte um Vergebung die Schuld
erlassen, weil der seine Schuld uberhaupt nicht einsieht. Oder ich lasse
gar nicht erst ein Schuldkonto ihm gegenueber entstehen, sondern nehme
seine Ruecksichtslosigkeit so hin, weil bei dem sowieso Hopfen und Malz
verloren ist. Ich arrangiere mich mit ihm oder schicke mich ins
Unvermeidliche. Aber vergeben? Was macht es fuer einen Sinn, jemaden zu
vergeben, der meiner Vergebung gar nicht bedarf? Ganz abwegig finde ich
aber, anderen, z.B. Monostatos für das zu vergeben, was er Pamina antut
und weiter anzutun gedenkt. Wem tue ich damit etwas Gutes, doch
allenfalls mir selbst :-).

Ich glaube, dass wir mit der Konzentration auf diesen Punkt den
restlichn Teil unserer anregenden Diskussion ins Archiv nehmen koennen.
Ich freue mich, dass die Entfuehrung weiteren Diskussionsstoff
verspricht. Was haeltst du denn von der Christie-Aufnahme. Bei mir hat
Gardiner die alte Friscay Aufnahme verdraengt.

Es gruesst Hans-Hagen

Peter Brixius

unread,
Nov 18, 1999, 3:00:00 AM11/18/99
to
Lieber Claus,

noch einige notwendige Ueberlegungen zu Tamino ...

In article <382EE1B7...@stud.uni-sb.de>, clhu...@stud.uni-sb.de
says...


>
>
> > Zunaechst die
> > Landschaft, eine felsige Gegend, hie und da von Baeumen ueberwachsen,
> > offensichtlich von Untieren bewohnt (dieser "Loewen"schlange).
>
> Übrigens auch ein hübsches Tier, so eine "Löwenschlange" :-)))
>

:-))


> > Tamino war
> > auf der Jagd mit Pfeil und Bogen, hat sich in diese Gegen verirrt, seine
> > Pfeile verschossen, da macht ihn hilflos gegenueber dem Ungeheuer.
>
> Und das alles zeugt auch nicht umbedingt von einer großen Umsicht in
> seiner Situation, oder?

Es kann immerhin von Abenteuerlust und Wagemut sprechen (also auch dies
gegen den ersten Eindruck). Denn er hat sich (bei der Verfolgung eines
Tieres?) vom Tross abgesetzt, hat sich im Walde verirrt - und muss, da
offensichtlich zu Fuss, schon einige Zeit unterwegs sein. Doch sagt ihm,
wie wir aus dem Gespraech mit Papageno erfahren, der Name der
sternflammenden Koenigin schon etwas: "Nun wird's klar; es ist eben die
naechtliche Koenigin, von der mein Vater so oft erzaehlte. - Aber zu
fassen, wie ich mich hierher verirrte, ist ausser meiner Macht." Was
erzaehlte Taminos Vater ihm wohl ueber die Koenigin der Nacht?

> Und so fertig, wie der schon reinkommt, muss er ja auch schon eine
> ganze Weile erfolgreich vor dem Untier weggerannt sein, schließlich
> bricht er sicher nicht vor Schrecken vor dem Anblick der Schlange,
> sondern vor Erschöpfung zusammen. Und dann....
>

Die Erschoepfung kommt zweifelsohne dazu, ganz meine Meinung. Aber lassen
wir die interessante Parallele nicht ausser Acht, dass auch Pamina in
ihrer ersten Szene in Ohnmacht faellt - der Prinz vor der giftigen
Schlange, die Prinzessin vor dem zu allem entschlossenen Mohren.

Beides erinnert mich wieder daran, die Frage nach dem Titel der Koenigin
aufzunehmen. Als Koenigin der Nacht ist sie eine mythische Gestalt, Teil
der Natur, zu der die Schlange eben auch gehoert - dem Menschen
gefaehrlich, wenn man sie gewaehren laesst, ihm nuetzlich, wenn man sie
unterwirft. Und koennte Monostratos nicht auch eigentlich eben ein Teil
dieser gefuerchteten Natur sein? (Unsere moderne Form der Naturliebe hat
sich ja auch nur deshalb entwickelt, weil sie uns nicht mehr so
gefaehrlich werden kann - und sie bezieht sich in der Regel ja auch nur
auf ihre domnestizierte Form.):



> > Fuer das Verstaendnis der Zeit Mozarts ist es eine wilde, unkultivierte
> > Gegend, in die sich der Mensch nur mit Vorsicht (und mit Waffen) wagen
> > kann - das Reich der Koenigin der Nacht.
>
> Ich folge mal Deinem Gedanken: Dann war Tamino allerdings sicherlich
> ziemlich leichtsinnig, oder??

Nur insoweit, dass er sich bei der Jagd absentierte - aber das ist ein so
selbstverstaendlicher Topos in dieser Zeit, dass man es eher jugendlichem
Uebermut zuschreiben kann, der zu so einen (unweisen) Prinzen ja zu
gehoeren scheint. Wie ich irgendwo spoettisch hoerte (jetzt weiss ich es
wieder, es war Klaus Geitel in Oper kurzgefasst): es verlaufen sich immer
die Prinzessinnen - und das groesste Wunder ist, dass sie immer auf
Prinzen treffen. Hier einmal umgekehrt zu erfahren :-))

>
> > Aus diesem Tempel kommen (erst nachdem Tamino in Ohnmacht gefallen ist)
> > die drei verschleierten Damen, jede mit einem silbernen Wurfspiess.
> > Dieser Wurfspiess ist wohl eher eine Jagdwaffe.
>
> Oder eine Waffe zur Verteidigung...

Zur Verteidigung ist so eine Waffe nicht eben geeignet :-)

> Auf der anderen Seite hätten die drei Damen sich auch mal hüten
> sollen, aus dem Tempel zu treten, bevor den gute Tamino erstmal alle
> guten Geister verlassen hatten, denn schließlich haben sie so die
> Gelegenheit, den Prinzen erstmal ausgiebiger zu betrachten, um dann
> beim nächsten Mal ein Bildnis Paminas mitzubringen - zwischenzeitlich
> müssen sie dann wohl auch mit der Königin Rücksprache gehalten haben
> und können das folgende also auch nicht beobachten, es sei denn, ihnen
> sei von vornherein klar gewesen, daß sie Tamino das Bildnis zukommen
> lassen würden.
>

Es ist schon etwas Wunderbares dabei ...



>
> > Der Loewe ist sicher Symbol der (koeniglichen) Macht.
>
> Ich finde das in dem Zusammenhang deshalb interessant, weil der Löwe
> dann nämlich mehrmals an Stellen vorkommt, die entscheidend für die
> Handlung sind, und weil diese Momente damit immer mit Sarastro in
> Verbindung gebracht werden können. Auch wenn die Königin nicht
> dasselbe Zeil verfolgt wie Sarastro (da bin ich mir nun mittlerweile
> doch sicher), Tamino gerät nicht durch Zufall an diese Frau.....
>

Mit Sicherheit nicht, wenn wir die Dialogstelle beruecksichtigen.
Vielleicht hat er ja auch die Jagd benutzt, um in verbotenes Gelaende
vorzudringen (war auch deshalb ungenuegend ausgestattet), ohne genau zu
wissen wohin - und wie lange ihn der Weg durch die Wildnis fuehrt ...

> > Wenn Csampai (S. 21) in seiner Verherrlichung der Koenigin der Nacht von
> > "drei lebenslustigen Damen" spricht, so trifft das wohl nicht so am
> > Textbestand zu.
>
> Ne, sicher nicht.
>
> > Im Konditional singen sie: "Wuerd ich mein Herz der Liebe
> > weihn ..." - ihr Herz ist eben nicht der Liebe geweiht, sondern dem
> > Dienst - und dann haette man einen Grund fuer ihre Verschleierung: Sie
> > haben der Liebe entsagt (entsagen muessen). So kontrollieren sie sich
> > auch untereinander, lassen nicht etwa eine als Wache zurueck, sondern
> > entfernen sich wieder in den Tempel, der sich hinter ihnen schliesst.
>
> ....um die Königin zu unterrichten, oder??
>

Erinnert an Star Trek, die beamen sich jetzt zur Koenigin :-)



> > Doch nun tritt ein Bewohner dieses wilden Landes auf ...
>
> Zu dem kommen wir ja denn auch demnächst - und er steht irgendwie im
> krassen Gegensatz zu dem Land, in dem er wohnt....
>

Steht er?

Manfred Russ

unread,
Nov 18, 1999, 3:00:00 AM11/18/99
to
Am Sun, 14 Nov 1999 18:18:24 +0100 schrieb Claus Huth:


> > zu den drei Knaben:



> > Das Ziel, fuer das sich die Schutzbefohlenen entscheiden. Schutzengel
> > weisen nicht die Bahn , sondern passen auf, dass man nicht faellt.
>

> Diese Schutzengel weisen aber: "Zum Ziele führt dich diese Bahn." Das
> ist so eindeutig wie rätselhaft....

Ich hab den Text momentan nur undeutlich im Hinterkopf, und vielleicht
lieg ich in meiner Naivität ja schwer daneben, aber:

ist damit nicht schlicht der Weg ("Bahn") zu Sarastros Tempel ("Ziel"),
den die 3 Knaben nun schonmal vorausfahren, gemeint? Ganz ohne irgendwas
Bedeutungsvoll-Metaphorisches drumherum?

Manfred

Manfred Russ

unread,
Nov 18, 1999, 3:00:00 AM11/18/99
to
Am Sun, 14 Nov 1999 17:22:15 +0100 schrieb Claus Huth:


> > Deutet man nun die Fuge als Taminos Flucht
> > oder als Ausweis einer hoeheren Kenntnis?
>
> Vielleicht sollte ich auch sagen: beides? Es könnte doch tatsächlich
> von beidem etwas drinstecken, oder??

Andererseits hat diese Fuge doch (imho - sonst müßt ich's analytisch
auseinandernehmen... :-)) ziemlichen Buffo-Charakter; was für keinen der
beiden Aspekte spräche.
Betrachtet man die Ouvertüre als gewissermaßen halbprogrammatisches
Vorspiel, das das Wesentliche auf den Punkt bringt, würde ich am ehesten
Sarastros Welt (weisheit, TUgend, was-weiß-ich-noch-alles) und den etwas
verwickelten Weg dahin* sehen wollen.

* im direkten wie im übertragenen Sinne

Manfred

Peter Brixius

unread,
Nov 19, 1999, 3:00:00 AM11/19/99
to
Lieber Manfred,

ein paar Zitate zur Ouvertuere ...

In article <MPG.129e794d9...@news.online.de>, cal...@online.de
says...

> > > Deutet man nun die Fuge als Taminos Flucht
> > > oder als Ausweis einer hoeheren Kenntnis?
> >
> > Vielleicht sollte ich auch sagen: beides? Es könnte doch tatsächlich
> > von beidem etwas drinstecken, oder??
>

> Andererseits hat diese Fuge doch (imho - sonst müßt ich's analytisch
> auseinandernehmen... :-)) ziemlichen Buffo-Charakter; was für keinen der
> beiden Aspekte spräche.

Drei Ansaetze zur Ouvertuere:
O. Schumann: "Die Ouvertuere beginnt mit drei feierlichen
Posaunenklaengen: die Welt der Weisheit ruft den Suchenden. Ein kurzes,
ruhiges Sinnen, dann hebt [...] ein Fugato an. Es ist ein Klopfen und
Haemmern, als werde lauteres Gold von fleissigen Haenden zu kostbaren
Geschmeide geschmiedet. Die fugierte Form des Haemmern deutet vielleicht
auf die innere Feierlichkeit und den heiligen Zweck: auch der Mensch ist
ein kostbarer Rohstoff, der behauen werden muss, will er ein Abbild
Gottes werden."

Csampai: "Die Ouvertuere zur /'Zauberfloete'/, die MOZART wenige Monate
vor seinem Tod komponierte, ist vielleicht die reifste, tiefsinnigste
Ausformung seiner Ouvertueren-Konzeption. In ihrer unentschiedenen
Haltung, einer seltsamen Mischung von Strenge, Verspieltheit, Trauer und
festlichem Glanz, ist sie nicht weniger geheimnisvoll und doppelboedig
wie die nachfolgende Oper selbst. Da es in dieser Oper um eines der
zentralen Probleme der Geschichte geht, naemlich die Entzauberung der
alten Welt und die kritische Durchleuchtung des neuen Menschenbildes,
wird in der Ouvertuere [...] tatsaechlich zunaechst die Welt erschaffen -
gleich dem Schoepfungsakt, in der Reihenfolge Gestirne - Natur - Mensch.
Man kann diese Vorgaenge im Detail nachweisen - wie etwa die drei
Dreiklaenge des Anfangs, die den Schoepfungsakt symbolisieren, in der
langsamen Einleitung zu einem dynamischen Dreiklangsmotiv
weiterverarbeitet werden, zu leben, aufzukeimen beginnen, und // nur in
wenigen Takten die ganze Naturgeschichte durchlaufen, wie dann ploetzlich
im schnellen Teil endlich der Mensch als selbstbewusstes, taetiges
Gattungswesen (Fuge!) in Erscheinung tritt und gleich zu agieren beginnt
und spaeter in der Durchfuehrung auch in widerspruch geraet, Schmerz und
Trauer empfindet doch die Musik MOZARTS stellt diese ungeheuerlichen
Vorgaenge viel eindringlicher und ueberzeugender dar, als Worte es
beschreiben koennen." (Csampai/Holland, S. 179 f.)

Renner: "Die *Ouvertuere zur 'Zauberfloete'* ist in mehr als einer
Hinsicht ein Ausnahmewerk. Sie steht am Ende einer Epoche und weist
zugleich weit voraus in die Zukunft. Wir haben in der Gegenueberstellung
der Gipfelformen des musikalischen Barock und der Klassik (Fuge und
Sonate) erkannt, dass die Fuge als Sinnbild in sich vollendeter
Einheitlichkeit, die Sonate demgegenueber als Ausdruck zielstrebiger
Zweiheitlichkeit aufzufassen ist. [...] Mozart hat nun in der
Zauberfloeten-Ouvertuere Fuge und Sonate innig miteinander verbunden
[...]. Es gelang ihm, der Fuge dramatische Zielstrebigkeit zu geben, sie
aus einer 'poetischen' Idee als 'freies Fugato' im Sinne Beethovens zur
Entfaltung zu bringen, ohne die Einheitlichkeit der Fugen/thematik/
aufzugeben: Eine Kunstleistung ersten Ranges! [...]
Drei erhabene Posaunenakkorde leiten die Ouvertuere feierlich ein. Es
sind die gleichen Akkorde, mit denen in der Oper die 'Pruefungen' der
Liebenden anheben, die sie bestehen muessen, bevor sie gelaeutert in den
Bund der Geweihten aufgenommen werden. Dann // beginnt mit dem Allegro
das 'Fugato'. Im Sinne der Sonate /und/ der Fuge wird nun an der
entsprechenden Stelle das zweite 'sangliche' Thema gewissermassen als
'Kontrapunkt' in der Oberstimme eingefuehrt. Seine Wirkung ist durchaus
weich, zaertlich, individuell (Pamina gesellt sich zu Tamino). Aber diese
melodische Oberstimme bleibt dem kontrapunktischen Geschehen zugehoerig.
Also: Gegensaetzlichkeit bei der Wahrung der Einheitlichkeit. Nach der
Themenaufstellung schliesst sich die 'Durchfuehrung' im Sinne der Sonate
an. Sie wird wiederum durch die drei feierlichen Blaeserakkorde
eingeleitet. Die 'Pruefungen' beginnen. Die 'poetische Idee' wirkt sich
aus. Die Durchfuehrung wird nur von dem Thema und seinem 'Kontrapunkt'
getragen, verlaeuft also im Sinne der Fuge und doch als
Sonatendurchfuehrung. In der anschliessenden Sonaten-Reprise zieht das
'Fugato' noch einmal vorueber: dramatische und absolute Musik in
vollendeter Verschmelzung!" (S. 106 f.)

Mir scheint die Deutung Renners die einleuchtendste ...

> Betrachtet man die Ouvertüre als gewissermaßen halbprogrammatisches
> Vorspiel, das das Wesentliche auf den Punkt bringt, würde ich am ehesten
> Sarastros Welt (weisheit, TUgend, was-weiß-ich-noch-alles) und den etwas
> verwickelten Weg dahin* sehen wollen.
>
> * im direkten wie im übertragenen Sinne
>
>
>
> Manfred
>

--
--
Die gesundesten und schoensten, regelmaessigst gebauten Leute
sind die, die sich alles gefallen lassen. sobald einer ein Gebrechen
hat, so hat er seine eigne Meinung. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 19, 1999, 3:00:00 AM11/19/99
to
Lieber Manfred,

man hat so seine Not mit den Knaben ... :-)

In article <MPG.129e75d26...@news.online.de>, cal...@online.de
says...


> Am Sun, 14 Nov 1999 18:18:24 +0100 schrieb Claus Huth:
>
>
> > > zu den drei Knaben:
>

Die Quelle der drei Knaben ist das gleichnamige Maerchen aus Wielands
Maerchensammlung "Dschinnistan". Die weisen und hilfreichen Knaben werden
von einem Hirten um Rat gefragt, dem ein maechtiger Zauberer seine
Geliebte geraubt hat. Sie versprechen ihm Erfolg und ihre Hilfe und
entlassen ihn mit folgenden Worten: "Sei standhaft, erdulde gelassen, was
dir begegnen wird, und huete dich, einen Laut von dir hoeren zu lassen."
(Quelle: Greither, 1977)

Ich halte es fuer durchaus wichtig, dass die drei Knaben *Knaben* sind
(und so sollten sie auch besetzt werden), um es mit Kaiser (1984) zu
sagen:

"Der eigentliche, schmerzversoehnende Sinn des Vorpubertaer-Unschuldigen
liegt im Zusammenstoss dieser vom Eros noch nicht gepeinigten Jungen mit
zwei Opfern von Liebesglut."

Auch ihre eigentuemliche Stellung, geachtet von der Koenigin und ihrem
Gefolge, aber wohl doch dem Reich Sarastros zugehoerig (musikalisch
eindeutig!), erklaert sich aus dem vorpubertaer Altklugen aber auch
Machtfreien (sie haben keine, sie ueben auch keine aus).

Schutzengel sind es nicht :-))

> > > Das Ziel, fuer das sich die Schutzbefohlenen entscheiden. Schutzengel
> > > weisen nicht die Bahn , sondern passen auf, dass man nicht faellt.
> >

> > Diese Schutzengel weisen aber: "Zum Ziele führt dich diese Bahn." Das
> > ist so eindeutig wie rätselhaft....
>
> Ich hab den Text momentan nur undeutlich im Hinterkopf, und vielleicht
> lieg ich in meiner Naivität ja schwer daneben, aber:
>
> ist damit nicht schlicht der Weg ("Bahn") zu Sarastros Tempel ("Ziel"),
> den die 3 Knaben nun schonmal vorausfahren, gemeint? Ganz ohne irgendwas
> Bedeutungsvoll-Metaphorisches drumherum?
>
>

Die eine Bedeutung schliesst alle anderen nicht aus (Sprueche der
Weisheit sind haeufig recht vieldeutig!), es ist zunaechst einfach eine
"Wegbeschreibung", darueber hinaus, weil dieser Weg ja auch einer der
inneren Reifung sein wird, deutet es schon auf Weiteres, es werden ja
schon "maennliche" Tugenden von Tamino gefordert ...

>
Es gruesst Peter

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 21, 1999, 3:00:00 AM11/21/99
to
Lieber Peter,
nachdem ich mir - mit der Machete das stoerende Gestruepp beiseite
schlagend - einen direkten Weg zu meinem Weisheitstempel geebnet habe,
beobachte ich mit einer Mischung aus Faszination, Widerstand und
Ratlosigkeit, wie du deinen Weisheitstempel auf verschlungenen Pfaden
suchst, auf denen du jede Pflanze und jeden Ast liebevoll danach fragst,
welche Wendung der Weg als naechstes nehmen soll ;-) Faszination, weil
ich eine Fuelle neuer Erkenntnisse gewinne, Widerstand, weil ich schon
spuere, dass du in einem anderen Weisheitstempel landen wirst und ich
nicht so ohne weiteres die Kosten eines Ortswechsels auf mich nehmen
will, Ratlosigkeit, weil ich unschluessig bin, ob, wann und wie ich dem
Pfadfinder meine Zweifel mitteilen soll ;-) Mir scheint, dass an der
Stelle, wo wir den drei Knaben begegnen, in denen ich drei Engel, du
drei Buben erkennst, sich unsere Wege kreuzen. Ich will jetzt nicht von
meiner Sicht reden, sondern zu deiner Deutung Kritisches anmerken.

Peter Brixius schrieb am 21. Nov. :


>
> man hat so seine Not mit den Knaben ... :-)
>

weiss Gott! :-)

> Die Quelle der drei Knaben ist das gleichnamige Maerchen aus Wielands
> Maerchensammlung "Dschinnistan". Die weisen und hilfreichen Knaben werden
> von einem Hirten um Rat gefragt, dem ein maechtiger Zauberer seine
> Geliebte geraubt hat. Sie versprechen ihm Erfolg und ihre Hilfe und
> entlassen ihn mit folgenden Worten: "Sei standhaft, erdulde gelassen, was
> dir begegnen wird, und huete dich, einen Laut von dir hoeren zu lassen."
> (Quelle: Greither, 1977)
>
> Ich halte es fuer durchaus wichtig, dass die drei Knaben *Knaben* sind
> (und so sollten sie auch besetzt werden), um es mit Kaiser (1984) zu
> sagen:
>
> "Der eigentliche, schmerzversoehnende Sinn des Vorpubertaer-Unschuldigen
> liegt im Zusammenstoss dieser vom Eros noch nicht gepeinigten Jungen mit
> zwei Opfern von Liebesglut."
>
> Auch ihre eigentuemliche Stellung, geachtet von der Koenigin und ihrem
> Gefolge, aber wohl doch dem Reich Sarastros zugehoerig (musikalisch
> eindeutig!), erklaert sich aus dem vorpubertaer Altklugen aber auch
> Machtfreien (sie haben keine, sie ueben auch keine aus).

Erst eine Informationsfrage: Wie waren diese Rollen in der
Urauffuehrung besetzt?

Die kritische Frage scheint mir zu sein: Sind die drei Knaben, wie
Wielands Hirt oder wie Tamino, realitätsnahe, aus dem RL (realem Leben)
entnommene Figuren oder sind es Kunstfiguren. Deine Version des
altklugen Kindes deutet auf die erste Antwort. In der Tat: Wenn ein
Erwachsener an drei im Sandkasten spielende Buben vorüber zieht und
diese - gefragt oder ungefragt - aufstehen und sagen: "Sei standhaft,
duldsam und verschwiegen", dann ist das altklug, man kann auch sagen
naseweis :-). Allerdings: Wir finden dieses Erwachsenseinwollen des
Kindes als komisch! Von Komik kann aber weder bei Wieland noch bei
Schikaneder/Mozart die Rede sein. Tatsächlich rufen w i r doch die Buben
aus dem Sandkasten, drücken ihnen Text und Noten in die Hand und fordern
sie auf, uns vorzusingen: "Sei standhaft, duldsam und verschwiegen."
Kaisers Blick auf den "Vorpubertären-Unschuldigen" und Peters
Beschwoerung des Machtfreien zeichnen den Knaben als Kunstfigur, die das
Wiederkindwerdenwollen des Erwachsenen symbolisiert, das wiederum die
Kinder komisch finden. Der Knabe - und auch das Mädchen!- im RL wissen
noch gar nicht, was Pubertät ist, und als unschuldig fühlen sie sich
auch nicht. Ihr Verhältnis zu den Geschwistern ist von einer Mischung
aus Solidarität und Rivalität bestimmt und in ihren Gefühlen zu den
Eltern mischen sich Bewunderung und Auflehnung. Die Macht haben sie
nicht, aber sie spüren genau, wer sie hat, und streben selbst nach
Macht, die sie sogleich an ihren Geschwistern - und als "ungezogenes"
Kind auch an den Eltern - ausprobieren.

Das Bild der "heilen" Welt des Kindes ist nicht Realität, sondern ein
Phantasieprodukt der Erwachsenen, mit dem sie sich zum einen mit ihrer
"unheilen" Welt auszusöhnen versuchen. Zum anderen suchen sie über die
"heile" Welt des Kindes den Weg zurück zur "heiligen" Natur und - zur
Gottheit. Damit sind wir wieder bei der Zauberflöte. Ich bestreite, daß
die Drei Knaben musikalisch in Sarastros Welt gehören. Ihr erster
Auftritt ist in der Welt der Königin, bei dem sie zwar selbst nicht
singen, bei dem ihr Ton aber bereits von den Drei Damen angeschlagen
wird. In der Folgezeit erscheinen die Drei Knaben stets dann, wenn es
kritisch wird und zwar - von oben!!! :-) In meinem Ohr bildet die Musik,
die Mozart diesen Figuren zugeschrieben hat, einen schwebenden Kosmos,
der sich eindeutlig ;-) von Sarastros Priesterwelt abhebt.

Ich halte es deshalb auch für richtig, dass nicht Knaben, sondern Frauen
versuchen, die von Erwachsenen erdachten Kinderrollen zu interpretieren.
Und wenn schon Kinder: Warum in unserer Zeit nicht auch einmal Mädchen
statt Buben oder - abwechselnd - zwei Mädchen und ein Bub oder zwei
Buben und ein Mädchen.Ich vermute, dass dann viele Leute nachdenklich
werden ;-)

>
> Schutzengel sind es nicht :-))

:-)) Das wohl noch nicht ausdiskutiert!

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 21, 1999, 3:00:00 AM11/21/99
to
Mein Gott, wie konnte mir das passieren:

Hans-Hagen Haertel schrieb:
>
> Lieber Claus,
>

> ... Aus Gruenden, auf die


> ich noch eingehen werde, hatte ich mich mit Csampais Stilisierung des
> Mohren als Opfer angefreundet. Meine Abwendung von diesem Bild begann,
> als ich zur Vorbereitung auf diesen Thread noch einmal das Libretto
> studierte und in der ersten - geprochenen - Szene des zweiten Aktes

> angelangt war ...

Als ich gestern abend Oestmans Zauberfloete hoerte, die ich auf Csampais
enthusiastische Empfehlung gekauft hatte, wurde ich auf meinen
peinlichen Fehler gestossen: Natuerlich handelt es sich um den neunten
Auftritt im ersten Akt. Der Umstand, dass ich schon wenige Woche nach
der Lektuere das Gelesene falsch erinnerte, liess mich schon das
Schlimmste fuer den Grad meiner Verkalkung befuerchten. Doch dann wurde
mir bewusst, dass die Fehlprogrammierung meines Kopfes, die mich den
Schluss des ersten Aktes vorverlegen liess, bereits bei meiner Lektuere
erfolgt war. Nach dem Abschiedsquintett sagte es in mir: Mit dem
Abschied aus der Welt der Koenigin endet das erste Kapitel. Und nun -
die Seite meines Klavierauszuges umschlagend - folgt rechts oben das
zweite kapitel, der Eintritt in Sarastros Welt. Sorry!

Uebrigens; Die Oestmann Aufnahmen ist wirklich diskussionswuerdig. So
ziehen die Dialoge in einem so atemlosen Tempo vorueber als seien es
Secco-Rezitative.

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 21, 1999, 3:00:00 AM11/21/99
to
Lieber Peter,
zu dieser Verzweigung unseres Threads nur etwas zu Paminas g-moll-Ariee

Peter Brixius schrieb:


> da bin ich wieder im "richtigen" Thread ...

:-))


>
> Mozart leidet mit - deutlich! Aber der Wahnsinn ist (wie in der Finta
> giardiniera) eher ein Vernebeln des Verstandes durch die widerstreitenden
> Gefuehle, damit fehlt das Tragische (und von Zeitgenossen wurde das wohl
> auch eher als komisch empfunden :-(), das eine gewisse Fallhoehe
> voraussetzt.
>

das erinnert mich an eine Runfunksendung laengst vergangener Zeiten, in
der ueber das Verhaeltnis von Komponisten zum Tode diskutiert wurde.
(Ja, solche weltbewegenden Themen waren damals - es muessen die
sechziger Jahre gewesen sein - in Musiksendungen Zeitgeist!). Mozart -
so die These - habe sich - wie seine Zeitgenossen - das Thema eher vom
Leibe gehalten und es nur mit den Fingerspitzen angefasst. Als zwei
Beispiele sind mir in Erinnerung: die deutlich abgesetzte und
wiederholte Schlusszeile im Prieserduett "Tod und Verzweiflung ward sein
Lohn" und in Konstanzes Marterarie "zuletzt befreit mich doch der Tod".
Ich weiss nicht mehr, was damals ueber Paminas Arie gesagt wurde. Nach
meinem heutigen Hoereindruck finde ich die These in Paminas "so wird Ruh
im Tode sein!" ebensowenig bestaetigt wie im "o mi lascia almen morir"
der Graefin.
Zum Schluss: Hilf mir Begriffsstutzigem auf die Spruenge: was genau
meinst du mit der "Fallhoehe"?

Es gruesst Hans-Hagen

Christian Aretz

unread,
Nov 22, 1999, 3:00:00 AM11/22/99
to
Meiner Meinung nach, bricht Tamino auf Grund der Erschöpfung und des
Schreckens zusammen. Viele Menschen haben versucht, diese Szene zu
interpretieren. Ich möchte mich hier Catherine Clément anschließe, de in
ihrem Buch "Die Frau in der Oper" folgendes schreibt: "... Tamino, seines
Zeichens Prinz und ausgesprochen unschuldig, kämpft vergebens gegen ein
Ungeheuer. Im Augenblick, da er fällt, wird er gerade noch rechtzeitig von
drei Frauen gerettet..." Es scheint also, als ob er nach dem Kampf und der
Verfolgung des Ungeheuers richtig müde ist. Und so wird es auch bei uns in
der Inszenierung dargestellt. Tamino rennt jeweils von den Bühnenseiten,
verfolgt von einem "schlangenähnlichen" Ungetüm. Hier ist, wie auch beim
Schwan in "Lohengrin" oder beim Wildschwein im "Freischütz", die Phantasie
des Bühnenbildners gefragt ;-) Wir haben dazu eine Person in ein
Drachenkostüm gequetscht. Sieht ähnlich aus, wie eine Schlange.
Kurz bevor die Schlange Tamino erreicht ("einholt"), treten die drei Damen
auf und "besiegen" die Schlange. Auch hier ist wieder die Phantasie gefragt.
Bei unserer Inszenierung benutzen die Damen keine Speere oder dergleichen.
Meist sinkt die Schlange bei dem Text "Stirb Ungeheuer durch unsre Macht!"
in sich zusammen.
Zu dem Rest kann ich nur sagen: Es könnte so sein, wie Ihr es schreibt. Ich
kann dazu nichts sagen, weil ich denke, daß zu viele Dinge Einfluß in die
Entstehung der Zauberflöte hatten. So waren Mozart und Schikaneder ja
Mitglieder in der Freimaurer(-sekte). Sehr viele Elemente aus der
Freimaurerei (z. B. die sich ständig wiederholenden "Drei Akkorde"). Mich
würde interessieren, wer hier mehr zu sagen kann. Ich denke fast, daß Löwe,
Schlange, Nacht und Tag (Königin der Nacht und Sarastro), schwarz und weiß
(Monostatos und Pamina), Standhaftigkeit und Irrsinn (Tamino und Papageno),
jung und alt (Papagena, die erst später als solche zu erkennen ist, nachdem
sie erst das "Alte Weib" ist) usw. usw. Elemente der Freimauerei sind.
Leider weiß ich über die Freimaurerei zu wenig und die Verbände slebst
halten sich mit Infos zurück, verständlich.
Ich persönlich, immer wenn ich bei den Aufführungen auf der Bühne stehe,
sehe die Zauberflöte als altes und neues Märchen, in das sich sowohl Kinder
als auch Erwachsene hineindenken können, weil es eben so einfach gestrickt
ist. Das war die Intention Schikaneders und auch Mozarts. Schikaneder hat
leichten Stoff geliefert, Mozart die ja fast schon volksliedartige Musik,
die aber trotzdem nichts an raffinität einbüßen muß. Sie entführt uns in
eine Märchenwelt, die wir in unserem Alltag nur zu selten erleben dürfen.
Für mich ist jede Zauberflöte ein Erlebnis der besonderen Art. Nicht zu
vergleichen mit den großartigen Opern von Verdi oder gar Wagner.

So, jetzt habe ich Euch alle die letzten 5 Minuten beschäftigt... vielleicht
bekomme ich ja ein feedback zu meiner Meinung!?

Viele herzliche Grüße

Christian

Christian Aretz

unread,
Nov 22, 1999, 3:00:00 AM11/22/99
to
Ach ja, hier noch meine Homepage: www.tamino.de

Peter Brixius

unread,
Nov 22, 1999, 3:00:00 AM11/22/99
to
Lieber Hans-Hagen,

ich habe natuerlich eine bestimmte Kartierung im Kopf, aber ich
ueberpruefe sie immer wieder anhand der Merkmale am Weg - und versuche
meine Schluesse zu ziehen, wenn ich sie aendern muss.

Ich gehe vom Personenbestand und von Verlaeufen aus, wie sie im Wiener
Zauberspiel ueblich waren, um von hier aus die Ueberhoehungen und
Vertiefungen beurteilen zu koennen, die nun spezifisch durch die
Vertonung Mozarts entstehen ...

In article <3837E428...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...

> nachdem ich mir - mit der Machete das stoerende Gestruepp beiseite
> schlagend - einen direkten Weg zu meinem Weisheitstempel geebnet habe,
> beobachte ich mit einer Mischung aus Faszination, Widerstand und
> Ratlosigkeit, wie du deinen Weisheitstempel auf verschlungenen Pfaden
> suchst, auf denen du jede Pflanze und jeden Ast liebevoll danach fragst,
> welche Wendung der Weg als naechstes nehmen soll ;-) Faszination, weil
> ich eine Fuelle neuer Erkenntnisse gewinne, Widerstand, weil ich schon
> spuere, dass du in einem anderen Weisheitstempel landen wirst und ich
> nicht so ohne weiteres die Kosten eines Ortswechsels auf mich nehmen
> will,

... das ist durchaus nicht gesagt. Ich halte das Stueck fuer
vielschichtig, warum kann Deine Deutung nicht eine andere Schicht
benennen? Zunaechst gilt es die Einheit in der Struktur der Details zu
erkennen - dann kann man sehen, welche Deutungen kompatibel sind und
welche nicht ...

> Ratlosigkeit, weil ich unschluessig bin, ob, wann und wie ich dem
> Pfadfinder meine Zweifel mitteilen soll ;-) Mir scheint, dass an der
> Stelle, wo wir den drei Knaben begegnen, in denen ich drei Engel, du
> drei Buben erkennst, sich unsere Wege kreuzen. Ich will jetzt nicht von
> meiner Sicht reden, sondern zu deiner Deutung Kritisches anmerken.
>

> > Ich halte es fuer durchaus wichtig, dass die drei Knaben *Knaben* sind
> > (und so sollten sie auch besetzt werden),
>

> Erst eine Informationsfrage: Wie waren diese Rollen in der
> Urauffuehrung besetzt?
>

Auf dem Theaterzettel sind die drei Knaben nicht aufgefuehrt :-( Aber ich
denke, dass auch aus musikalischen Gruenden ein deutlicher Kontrast
zwischen den drei Damen und den drei Knaben bestehen sollte, der waere
nicht gegeben, wenn beide Terzette mit Frauenstimmen besetzt waeren.

> Die kritische Frage scheint mir zu sein: Sind die drei Knaben, wie
> Wielands Hirt oder wie Tamino, realitätsnahe, aus dem RL (realem Leben)
> entnommene Figuren oder sind es Kunstfiguren. Deine Version des
> altklugen Kindes deutet auf die erste Antwort.

Eigentlich nicht unbedingt. Das Realleben gibt es ja nicht, es entsteht
nur durch unsere Deutung. Die Figur des "weisen Knaben" gibt es in der
Maerchenliteratur haeufiger (dazu auch Baechthold-Staeubli, ertragreicher
duerfte ein Fachlexikon zum Maerchen sein, das mir im Moment nicht zur
Verfuegung steht). Die Verdreifachung hat zahlensymbolischen Charakter -
und in einer Vorlage standen sie ja auch zu Dritt. (Die Vorlagen sind
uebrigens im Csampai abgedruckt). Zu den Kindern zugeschriebenen
Eigenschaften gehoert auch die Faehigkeit, Glueck zu bringen. Beides ist
in den "drei Knaben" der Zauberfloete aufgehoben.


> In der Tat: Wenn ein
> Erwachsener an drei im Sandkasten spielende Buben vorüber zieht und
> diese - gefragt oder ungefragt - aufstehen und sagen: "Sei standhaft,
> duldsam und verschwiegen", dann ist das altklug, man kann auch sagen
> naseweis :-). Allerdings: Wir finden dieses Erwachsenseinwollen des
> Kindes als komisch!

Wenn man viel mit Kindern zusammen ist, so werden einem immer wieder
solche Versatzstuecke von Weisheiten auffallen, die haeufig sehr
ueberraschend sind - und eigentlich nicht wirklich komisch. Das was Du
ansprichst, die Inadaequanz des Anlasses, taucht im Zusammenleben mit
Kindern immer wieder auf - und verliert doch schnell den Stachel des
Komischen. Wenn man beobachtet, mit welchem Ernst Kinder uns etwas sagen
wollen, kommen solche Reaktionen eigentlich nicht mehr auf (ich habe zwei
Buben im Alter von 4 und 6).

(BTW: Und das Erwachsenseinwollen ist halt das ernsthafte Einueben von
Rollen, die sie beherrschen muessen, wollen sie sich in ihrer Umwelt
behaupten.)

> Von Komik kann aber weder bei Wieland noch bei
> Schikaneder/Mozart die Rede sein. Tatsächlich rufen w i r doch die Buben
> aus dem Sandkasten, drücken ihnen Text und Noten in die Hand und fordern
> sie auf, uns vorzusingen: "Sei standhaft, duldsam und verschwiegen."
> Kaisers Blick auf den "Vorpubertären-Unschuldigen" und Peters
> Beschwoerung des Machtfreien zeichnen den Knaben als Kunstfigur, die das
> Wiederkindwerdenwollen des Erwachsenen symbolisiert, das wiederum die
> Kinder komisch finden. Der Knabe - und auch das Mädchen!- im RL wissen
> noch gar nicht, was Pubertät ist, und als unschuldig fühlen sie sich
> auch nicht.

... und sind es weiss Gott auch nicht, aber das ist eine andere
Geschichte ...

> Ihr Verhältnis zu den Geschwistern ist von einer Mischung
> aus Solidarität und Rivalität bestimmt und in ihren Gefühlen zu den
> Eltern mischen sich Bewunderung und Auflehnung. Die Macht haben sie
> nicht, aber sie spüren genau, wer sie hat, und streben selbst nach
> Macht, die sie sogleich an ihren Geschwistern - und als "ungezogenes"
> Kind auch an den Eltern - ausprobieren.
>

Nur sprichst Du hier aus der Sicht des 20. Jhs. Kinder werden im 17. und
im 18. Jh. ganz anders wahrgenommen, der eigene Charakter und eigene
Gesetzmaessigkeiten der Kinderzeit werden eben erst entdeckt, denn die
Erziehung des Menschengeschlechtes beginnt eben mit den Kindern. Hier
haben wir eher noch eine voraufklaererische, barocke Einstellung, die in
Kinder junge Erwachsene sieht, die eben noch nicht geschlechtsreif sind.

> Das Bild der "heilen" Welt des Kindes ist nicht Realität, sondern ein
> Phantasieprodukt der Erwachsenen, mit dem sie sich zum einen mit ihrer
> "unheilen" Welt auszusöhnen versuchen. Zum anderen suchen sie über die
> "heile" Welt des Kindes den Weg zurück zur "heiligen" Natur und - zur
> Gottheit.

Auch das moechte ich nicht bestreiten, wohl aber, dass es von den
Zeitgenossen Mozarts so verstanden wurde. Die Macht der drei Knaben
entsteht ueber ihr ueberraschendes Wissen - und durch die Flugmaschine,
die sie unangreifbar macht und ueber allen schweben laesst.



> Damit sind wir wieder bei der Zauberflöte. Ich bestreite, daß
> die Drei Knaben musikalisch in Sarastros Welt gehören.

Nun ja, es waren erst einmal unvorgreifliche Vorueberlegungen. Vom
Musikalischen sind sie schon einmal dadurch ausgezeichnet, dass sie nie
am gesprochenen Dialog teilnehmen. Ihr Auftreten zu Beginn des Finales
des 1. Aktes (Nr. 8 nach NMA) bringt zum ersten Mal die fuer die
Ouvertuere zentrale Tonart C-dur, dazu kommt das Feierlich-Getragene, das
wir mit der Welt Sarastros verbinden.

Kunze hat dazu eine Idee, die zu bedenken ist: "Sie schweben zwischen den
Sphaeren als freie Schutzgenien. In ihrer ebenso berueckenden wie
tiefsinnigen Anmut [...] geben sie die urspruengliche Verbundenheit
zwischen den Reichen Sarastros und der Koenigin der Nacht an die Zukunft
weiter. Die drei Knaben vermitteln zwischen der durch den Bund Paminas
mit Tamino wieder versoehnten Welt und jener alten vergangenen." (Kunze:
Mozarts Opern, S. 618)

Ohne der Gesamtdeutung vorgreifen zu wollen, kann ich mit dieser
Darstellung leben, die Deine "Schutzengel" ebenso einbegreift, wie die
Gedanken, die ich ansatzweise aeusserte.

> Ihr erster
> Auftritt ist in der Welt der Königin, bei dem sie zwar selbst nicht
> singen, bei dem ihr Ton aber bereits von den Drei Damen angeschlagen
> wird.

(Allerdings in Es)

> In der Folgezeit erscheinen die Drei Knaben stets dann, wenn es
> kritisch wird und zwar - von oben!!! :-) In meinem Ohr bildet die Musik,
> die Mozart diesen Figuren zugeschrieben hat, einen schwebenden Kosmos,
> der sich eindeutlig ;-) von Sarastros Priesterwelt abhebt.
>

Wieso? Der Kontrast zu der Koenigin der Nacht mit ihren seria-Arien ist
deutlich, aber zu Sarastro?

> Ich halte es deshalb auch für richtig, dass nicht Knaben, sondern Frauen
> versuchen, die von Erwachsenen erdachten Kinderrollen zu interpretieren.
> Und wenn schon Kinder: Warum in unserer Zeit nicht auch einmal Mädchen
> statt Buben oder - abwechselnd - zwei Mädchen und ein Bub oder zwei
> Buben und ein Mädchen.Ich vermute, dass dann viele Leute nachdenklich
> werden ;-)
> >
> > Schutzengel sind es nicht :-))
>
> :-)) Das wohl noch nicht ausdiskutiert!
>

Es gruesst bis zum Naechsten herzlich Peter


--
Ein grosses Genie wird selten seine /Entdeckungen/ auf der Bahn
anderer machen. Wenn es Sachen entdeckt, so entdeckt es auch
gewoehnlich die Mittel dazu. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 22, 1999, 3:00:00 AM11/22/99
to
Lieber Christian,

vielen Dank fuer Deinen Beitrag.

In article <NPTpqmPN$GA....@fnews1.vi-internet.de>, ar...@gmx.net says...


> Meiner Meinung nach, bricht Tamino auf Grund der Erschöpfung und des
> Schreckens zusammen.

Das ist auch meine Meinung.

> Viele Menschen haben versucht, diese Szene zu
> interpretieren. Ich möchte mich hier Catherine Clément anschließe, de in
> ihrem Buch "Die Frau in der Oper" folgendes schreibt: "... Tamino, seines
> Zeichens Prinz und ausgesprochen unschuldig, kämpft vergebens gegen ein
> Ungeheuer. Im Augenblick, da er fällt, wird er gerade noch rechtzeitig von
> drei Frauen gerettet..." Es scheint also, als ob er nach dem Kampf und der
> Verfolgung des Ungeheuers richtig müde ist.

Auch das waere eine Moeglichkeit, er haette seine Waffe etwa beim Kampfe
verloren und wuerde von der gereizten Schlange verfolgt.

> Und so wird es auch bei uns in
> der Inszenierung dargestellt. Tamino rennt jeweils von den Bühnenseiten,
> verfolgt von einem "schlangenähnlichen" Ungetüm. Hier ist, wie auch beim
> Schwan in "Lohengrin" oder beim Wildschwein im "Freischütz", die Phantasie
> des Bühnenbildners gefragt ;-) Wir haben dazu eine Person in ein
> Drachenkostüm gequetscht. Sieht ähnlich aus, wie eine Schlange.
> Kurz bevor die Schlange Tamino erreicht ("einholt"), treten die drei Damen
> auf und "besiegen" die Schlange. Auch hier ist wieder die Phantasie gefragt.
> Bei unserer Inszenierung benutzen die Damen keine Speere oder dergleichen.
> Meist sinkt die Schlange bei dem Text "Stirb Ungeheuer durch unsre Macht!"
> in sich zusammen.

Es hat ja dann auch etwas von der Zaubermacht der Damen an sich.

> Zu dem Rest kann ich nur sagen: Es könnte so sein, wie Ihr es schreibt. Ich
> kann dazu nichts sagen, weil ich denke, daß zu viele Dinge Einfluß in die
> Entstehung der Zauberflöte hatten. So waren Mozart und Schikaneder ja
> Mitglieder in der Freimaurer(-sekte). Sehr viele Elemente aus der
> Freimaurerei (z. B. die sich ständig wiederholenden "Drei Akkorde").

Man hat ja sogar Mozarts Tod damit in einen Zusammenhang gebracht, er
habe Logengeheimnisse verraten. Doch daran ist halt ebenso wenig wie an
Salieris Mitschuld :-) Die Parallelen zum Freimaurertum sind sind
natuerlich nicht zu uebersehen, v.a. im Zusammenhang mit Sarastro und
seinem Reich und in der von Dir angesprochenen Zahlensymbolik. Auch diese
Verbindung von Arbeit und Weisheitssuche gehoert dahin, die den Maennern
vorbehalten ist. Und halt auch noch dieser Verweis auf Aegypten (so auch
mit der Anrufung von Isis und Osiris).

> Mich
> würde interessieren, wer hier mehr zu sagen kann. Ich denke fast, daß Löwe,
> Schlange, Nacht und Tag (Königin der Nacht und Sarastro), schwarz und weiß
> (Monostatos und Pamina), Standhaftigkeit und Irrsinn (Tamino und Papageno),
> jung und alt (Papagena, die erst später als solche zu erkennen ist, nachdem
> sie erst das "Alte Weib" ist) usw. usw. Elemente der Freimauerei sind.
> Leider weiß ich über die Freimaurerei zu wenig und die Verbände slebst
> halten sich mit Infos zurück, verständlich.

Zumindest der Literatur entnehme ich, dass ueber die oben angefuehrten
Bezuege, die auch eher allgemeiner Art sind, keine direkteren zu finden
sind. Man hat versucht, eine geheime Symbolik zu finden, da aber die
genannten Gegenstaende meist aus Maerchen o.a. bekannt sind, ist dies
eher zweifelhaft. Loewe und Schlange (die ja eben erst auch ein Loewe
war) gibt es in vielen maerchenhaften Erzaehlungen, der Loewe als Koenig
im Tierreich symbolisiert eben die koenigliche Macht, die Schlange ist
als gefaehrliches Ungeheuer (noch schlimmer als gefluegelte Schlange =
Drachen) auch bekannt. Nacht und Tag (bzw.) Sonne ist eine gelauefige
Aufteilung der Welt wie eben auch schwarz und weiss. Elemente der
Freimaurerei sind dies alles mW nicht, sondern eher von (nicht nur)
maerchenhaften Erzaehlungen, Sagen u.ae.

> Ich persönlich, immer wenn ich bei den Aufführungen auf der Bühne stehe,
> sehe die Zauberflöte als altes und neues Märchen, in das sich sowohl Kinder
> als auch Erwachsene hineindenken können, weil es eben so einfach gestrickt
> ist. Das war die Intention Schikaneders und auch Mozarts. Schikaneder hat
> leichten Stoff geliefert, Mozart die ja fast schon volksliedartige Musik,
> die aber trotzdem nichts an raffinität einbüßen muß. Sie entführt uns in
> eine Märchenwelt, die wir in unserem Alltag nur zu selten erleben dürfen.

Die Zauberfloete hat eine maerchenhafte Handlung, maerchenhafte Elemente,
allerdings eben auch viele Elemente von volkstuemlichen Kommoedien. Die
groesste Anzahl an Auftritten wie an Wortbeitraegen hat ja Papageno.
Insoweit ist es eben auch ein Triumph jener wienerischen Zauberkommoedie,
die eine so einzigartige Integration verschiedenster Einfluesse ist.

> Für mich ist jede Zauberflöte ein Erlebnis der besonderen Art. Nicht zu
> vergleichen mit den großartigen Opern von Verdi oder gar Wagner.
>
> So, jetzt habe ich Euch alle die letzten 5 Minuten beschäftigt... vielleicht
> bekomme ich ja ein feedback zu meiner Meinung!?
>

Aber gerne :-))

Es gruesst herzlich Peter


--

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 22, 1999, 3:00:00 AM11/22/99
to
Lieber Christian, lieber Peter,
auch ich beschaeftige mich mit dem Posring gern laenger als 5 Minuten
und, da Peter mir zuvorgekommen ist, nutze ich die Gelegenheit, auch ihm
einen Gedanken mitzugeben.

Peter Brixius schrieb:


>
> Lieber Christian,
>
> vielen Dank fuer Deinen Beitrag.
>
> In article <NPTpqmPN$GA....@fnews1.vi-internet.de>, ar...@gmx.net says...
> > Meiner Meinung nach, bricht Tamino auf Grund der Erschöpfung und des
> > Schreckens zusammen.
>
> Das ist auch meine Meinung.
>
> > Viele Menschen haben versucht, diese Szene zu
> > interpretieren. Ich möchte mich hier Catherine Clément anschließe, de in
> > ihrem Buch "Die Frau in der Oper" folgendes schreibt: "... Tamino, seines
> > Zeichens Prinz und ausgesprochen unschuldig, kämpft vergebens gegen ein
> > Ungeheuer. Im Augenblick, da er fällt, wird er gerade noch rechtzeitig von
> > drei Frauen gerettet..." Es scheint also, als ob er nach dem Kampf und der
> > Verfolgung des Ungeheuers richtig müde ist.
>
> Auch das waere eine Moeglichkeit, er haette seine Waffe etwa beim Kampfe
> verloren und wuerde von der gereizten Schlange verfolgt.
>
> > Und so wird es auch bei uns in
> > der Inszenierung dargestellt.

zur Information: Um welche Inszenierung handelt es sich?

> >Tamino rennt jeweils von den Bühnenseiten,
> > verfolgt von einem "schlangenähnlichen" Ungetüm. Hier ist, wie auch beim
> > Schwan in "Lohengrin" oder beim Wildschwein im "Freischütz", die Phantasie
> > des Bühnenbildners gefragt ;-) Wir haben dazu eine Person in ein
> > Drachenkostüm gequetscht. Sieht ähnlich aus, wie eine Schlange.
> > Kurz bevor die Schlange Tamino erreicht ("einholt"), treten die drei Damen
> > auf und "besiegen" die Schlange. Auch hier ist wieder die Phantasie gefragt.
> > Bei unserer Inszenierung benutzen die Damen keine Speere oder dergleichen.
> > Meist sinkt die Schlange bei dem Text "Stirb Ungeheuer durch unsre Macht!"
> > in sich zusammen.
>

Hoere ich die Introduction, dann spuere ich nichts von Mattigkeit. Im
Gegenteil - wie Peter in einem frueheren Posting geschrieben hat -
Tamino schreit! Es ist ein Kampf in hoechster Erregung, in dem
schliesslich Tamino voller Angst den toedlichen Biss der auf ihn
zukriechenden Schlange erwartet und in Ohnmacht faellt. Damm hoeren wir
den toedlichen Streich, doch der kommt von den drei Damen, die dann
folgerichtig die unerwartete Wendung des Kampfes im Triumph auskosten.

Die Frage, ob Tamino schon von der Jagd ermattet war, stellt sich doch
nur, wenn wir Taminos Herkunft für das Verstaendnis der Zauberfloete als
bedeutsam ansehen. Ich muss gestehen, dass ich mir derueber nie Gedanken
gemacht habe, und spuere auch nach euren Erwaegungen dazu keine Neigung.
Fuer mich ist er ein leeres Blatt, das erst im Verlauf der Oper
beschrieben wird. Ich stimme mit dem ueberein, was Stefan Kunze (in:
Mozarts Opern) einleitend zu Tamino geschrieben hat: Tamino ist Tenor
und somit in seiner Rolle gekennzeichnet als der schwaermerische
Liebhaber. Er ist Prinz, also hochgestellt, und er kennt seine Herkunft,
er weiss auch vom Reich der Koenigin der Nacht. Wir freilich wissen
nicht, woher Tamono stammt. Es bleibt bis zum Ende im dunklen. Aber das
eine ist wichtig: Tamino hat sich verirrt, er ist in fremde Gegenden
geraten, er kehrt niemals dorthin zurueck, von wo er gekommen war. Er
faengt neu an. Das ist eine beachtenswerte Konstellation, und es waere
zu fragen, ob je in anderen Opern die Rolle des Liebhabers so angelegt
wurde. Tamino tritt seine Pruefungen ohne irgendeine gesellschftliche
Bindung an. Er ist in mehrfacher Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt.
...

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 23, 1999, 3:00:00 AM11/23/99
to
Lieber Peter,
ich habe das Gefuehl, dass wir von unseren lieben Kleinen nicht so
schnell loskommen.

Peter Brixius schrieb:


>
> ich habe natuerlich eine bestimmte Kartierung im Kopf, aber ich
> ueberpruefe sie immer wieder anhand der Merkmale am Weg - und versuche
> meine Schluesse zu ziehen, wenn ich sie aendern muss.
>
> Ich gehe vom Personenbestand und von Verlaeufen aus, wie sie im Wiener
> Zauberspiel ueblich waren, um von hier aus die Ueberhoehungen und
> Vertiefungen beurteilen zu koennen, die nun spezifisch durch die
> Vertonung Mozarts entstehen ...

Lass es mich einmal sagen: Die Faehigkeit, die Urspruenge aufzuspueren
und dann den Bogen in unsere Zeit zu schlagen, das zeichnet dich in der
NG aus, das bewundere ich und davon hoffe ich noch viel zu profitieren.

>
> In article <3837E428...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...
>

> > Die kritische Frage scheint mir zu sein: Sind die drei Knaben, wie
> > Wielands Hirt oder wie Tamino, realitätsnahe, aus dem RL (realem Leben)
> > entnommene Figuren oder sind es Kunstfiguren. Deine Version des
> > altklugen Kindes deutet auf die erste Antwort.
>
> Eigentlich nicht unbedingt. Das Realleben gibt es ja nicht, es entsteht
> nur durch unsere Deutung.

Richtig! Worauf ich hinaus wollte, ist dies: Im Theater gibt es Figuren,
die die Autoren als realitaetsnahes Abbild zeichnen, und es gibt
Figuren, die Symbolcharakter haben. In der Zauberfloete sehe ich
Tamino und Pamina als realitaetsnahe Figuren an, andere, wie die drei
Knaben, sind fuer mich symbolische Figuren.

> Die Figur des "weisen Knaben" gibt es in der
> Maerchenliteratur haeufiger (dazu auch Baechthold-Staeubli, ertragreicher
> duerfte ein Fachlexikon zum Maerchen sein, das mir im Moment nicht zur
> Verfuegung steht). Die Verdreifachung hat zahlensymbolischen Charakter -
> und in einer Vorlage standen sie ja auch zu Dritt. (Die Vorlagen sind
> uebrigens im Csampai abgedruckt). Zu den Kindern zugeschriebenen
> Eigenschaften gehoert auch die Faehigkeit, Glueck zu bringen. Beides ist
> in den "drei Knaben" der Zauberfloete aufgehoben.

Endlich gibt es mal einer zu: Als kinderloses Ehepaar wird uns von
Ein- oder Zwei-Kinderehepaaren stets vorgehalten, wie fuehrten auf deren
Kosten ein Schmarotzerdasein. Auf meinen bescheidenen Einwand, Kinder
braechten doch auch Glueck, ernte ich indignierte Hinweise, welche Last
Kinder doch bedeuten ;-)


>
> > In der Tat: Wenn ein
> > Erwachsener an drei im Sandkasten spielende Buben vorüber zieht und
> > diese - gefragt oder ungefragt - aufstehen und sagen: "Sei standhaft,
> > duldsam und verschwiegen", dann ist das altklug, man kann auch sagen
> > naseweis :-). Allerdings: Wir finden dieses Erwachsenseinwollen des
> > Kindes als komisch!
>
> Wenn man viel mit Kindern zusammen ist, so werden einem immer wieder
> solche Versatzstuecke von Weisheiten auffallen, die haeufig sehr
> ueberraschend sind - und eigentlich nicht wirklich komisch. Das was Du
> ansprichst, die Inadaequanz des Anlasses, taucht im Zusammenleben mit
> Kindern immer wieder auf - und verliert doch schnell den Stachel des
> Komischen. Wenn man beobachtet, mit welchem Ernst Kinder uns etwas sagen
> wollen, kommen solche Reaktionen eigentlich nicht mehr auf (ich habe zwei
> Buben im Alter von 4 und 6).
>
> (BTW: Und das Erwachsenseinwollen ist halt das ernsthafte Einueben von
> Rollen, die sie beherrschen muessen, wollen sie sich in ihrer Umwelt
> behaupten.)

Ich bin weit davon entfernt, das Erwachsenseinwollen der Kinder
ins Komische zu ziehen. Nur: Das Bild des altklugen Kindes, das nach
meinem Gefuehl die Komik des Anlasses markiert, habe nicht ich
eingebracht.

>
> Nur sprichst Du hier aus der Sicht des 20. Jhs. Kinder werden im 17. und
> im 18. Jh. ganz anders wahrgenommen, der eigene Charakter und eigene
> Gesetzmaessigkeiten der Kinderzeit werden eben erst entdeckt, denn die
> Erziehung des Menschengeschlechtes beginnt eben mit den Kindern. Hier
> haben wir eher noch eine voraufklaererische, barocke Einstellung, die in
> Kinder junge Erwachsene sieht, die eben noch nicht geschlechtsreif sind.

Und dafuer ist Mozarts Kindheit das beste Beispiel.
Nur: Gerade Kaisers vorpubertaere Unschuld und deine Beschwoerung der
Machtlosigkeit der Kinder sind Denkfiguren des 20. Jahrhundertes. Meine
Polemik gegen die im Sandkasten spielenden Kinder richten sich nicht
gegen die Kleinen, sondern gegen das Bild der Erwachsenen von einer
"heilen" Kindheit, die, wie du richtig bemerkst, nicht den Auffassungen
des 18. Jahrhunderts entspricht.

>
> > Das Bild der "heilen" Welt des Kindes ist nicht Realität, sondern ein
> > Phantasieprodukt der Erwachsenen, mit dem sie sich zum einen mit ihrer
> > "unheilen" Welt auszusöhnen versuchen. Zum anderen suchen sie über die
> > "heile" Welt des Kindes den Weg zurück zur "heiligen" Natur und - zur
> > Gottheit.
>
> Auch das moechte ich nicht bestreiten, wohl aber, dass es von den
> Zeitgenossen Mozarts so verstanden wurde. Die Macht der drei Knaben
> entsteht ueber ihr ueberraschendes Wissen - und durch die Flugmaschine,
> die sie unangreifbar macht und ueber allen schweben laesst.

nachdrueckliche Zustimmung!


>
> > Damit sind wir wieder bei der Zauberflöte. Ich bestreite, daß
> > die Drei Knaben musikalisch in Sarastros Welt gehören.
>
> Nun ja, es waren erst einmal unvorgreifliche Vorueberlegungen. Vom
> Musikalischen sind sie schon einmal dadurch ausgezeichnet, dass sie nie
> am gesprochenen Dialog teilnehmen.

aber sie kommunizieren in den Selbstmordsznen mit Pamina und Papageno.
Und auch Tamino fuehlt sich von ihnen direkt angesprochen.

> Ihr Auftreten zu Beginn des Finales
> des 1. Aktes (Nr. 8 nach NMA) bringt zum ersten Mal die fuer die
> Ouvertuere zentrale Tonart C-dur, dazu kommt das Feierlich-Getragene, das
> wir mit der Welt Sarastros verbinden.
>
> Kunze hat dazu eine Idee, die zu bedenken ist: "Sie schweben zwischen den
> Sphaeren als freie Schutzgenien. In ihrer ebenso berueckenden wie
> tiefsinnigen Anmut [...] geben sie die urspruengliche Verbundenheit
> zwischen den Reichen Sarastros und der Koenigin der Nacht an die Zukunft
> weiter. Die drei Knaben vermitteln zwischen der durch den Bund Paminas
> mit Tamino wieder versoehnten Welt und jener alten vergangenen." (Kunze:
> Mozarts Opern, S. 618)

Das unterschreibe ich hundertprozentig! Zwischen den Sphaeren, also auch
zwischen der Koenigin und Sarastro. Und was unterscheiden Kunzes
Schutzgenien von meinem Schutzengeln? Nebenbeibemerkt: Die Lektuere von
Kunzes Buch war ein Meilenstein auf dem Weg zu meinem "Weisheitstempel".

>
> Ohne der Gesamtdeutung vorgreifen zu wollen, kann ich mit dieser
> Darstellung leben, die Deine "Schutzengel" ebenso einbegreift, wie die
> Gedanken, die ich ansatzweise aeusserte.
>

Ich spuere, dass wir unsannaehern.

> > Ihr erster
> > Auftritt ist in der Welt der Königin, bei dem sie zwar selbst nicht
> > singen, bei dem ihr Ton aber bereits von den Drei Damen angeschlagen
> > wird.
>
> (Allerdings in Es)

Was besagt das?


>
> > In der Folgezeit erscheinen die Drei Knaben stets dann, wenn es
> > kritisch wird und zwar - von oben!!! :-) In meinem Ohr bildet die Musik,
> > die Mozart diesen Figuren zugeschrieben hat, einen schwebenden Kosmos,
> > der sich eindeutlig ;-) von Sarastros Priesterwelt abhebt.
> >
> Wieso? Der Kontrast zu der Koenigin der Nacht mit ihren seria-Arien ist
> deutlich, aber zu Sarastro?
>

Gegenueber den Seria-Arien besteht sicher eine spuerbare Distanz. Aber
gegenueber Papageno und den drei Damen? Und: Die feierliche Schwere
Sarastros und seiner Priester unterscheidet sich nach meinem Gefuehl
deutlich von der schwebenden Leichtigkeit der drei Knaben.


>
> --
> Ein grosses Genie wird selten seine /Entdeckungen/ auf der Bahn
> anderer machen. Wenn es Sachen entdeckt, so entdeckt es auch
> gewoehnlich die Mittel dazu. (Lichtenberg)

Da kann ich vor dem Genie nur demuetig meinen Hut ziehen. Ich jedenfalls
bin keins, ich brauche die Bahn anderer, z.B. die von Peter Brixius.

Es gruesst Hans-Hagen


Claus Huth

unread,
Nov 23, 1999, 3:00:00 AM11/23/99
to
Lieber Hans-Hagen,

noch eins:

Hans-Hagen Haertel schrieb:


>
> Uebrigens; Die Oestmann Aufnahmen ist wirklich diskussionswuerdig. So
> ziehen die Dialoge in einem so atemlosen Tempo vorueber als seien es
> Secco-Rezitative.

Mag sein, ich kann Csampais Vorliebe für diese Lesart des Stückes
dennoch nciht so recht nachvollziehen. Da hatten für meine Ohren
Norrington, Christie (den Csampai ja nicht so mag, zumindest in diesem
Fall)) und Gardiner (um nur mal bei HIP zu bleiben) doch mehr zu
bieten....

Herzliche Grüße

Claus


Claus Huth

unread,
Nov 23, 1999, 3:00:00 AM11/23/99
to
Lieber Hans-Hagen,

es geht zwar langsam, aber dafür stetig. Und es ist doch auch schön,
so einen Fixpunkt zu haben, zu dem man immer wieder gerne kommt, und
wo man sich immer wieder auf die Diskussionen freut :-))

Hans-Hagen Haertel schrieb:



> Lieber Claus,
> Ich empfinde das gegenwaertige Stadium unserer Diskussion, in dem wir
> u.a. von unseren Bildungsfortschritten berichten, als ausgesprochen
> relaxed :-)

Ich auch. Ist auch schön so, oder??

> Claus Huth schrieb:


> >
> > Hans-Hagen Haertel schrieb:
> > > Hm! Hm! ......- nichtsPositives? ......- also, das seh ich ......- aber
> > > beruecksichtige doch, dass ...... - muss man nicht andererseits auch ..
> > > ...- und ueberhaupt......-
> >
> > Soll das eine moegliche Antwort meinerseits darstellen??
>
> Nein, nein! Als ich das an Peter schrieb, war mir voruebergehend
> entfallen, daß ich mich in eure Diskussion eingeschaltet hatte.

Ist auch nicht weiter schlimm.

> Mit dem
> von dir zitierten Gestottere wollte ich den Abschluß der Revision meines
> eigenen Bildes von Monostatos veranschaulichen. Aus Gruenden, auf die
> ich noch eingehen werde, hatte ich mich mit Csampais Stilisierung des
> Mohren als Opfer angefreundet.

Wie es uns doch ähnlich geht.....

> Nun wurde ich mir wieder der Doppelrolle des Mohren bewußt:
> Monostatos ist nicht nur gepeinigtes Opfer, sondern auch selbst
> Peiniger.

Selbstredend. Es kommt jetzt halt darauf an, was man stärker sieht
oder sehen will...

[Vieles weggelassen, weil es sich erledigt hat]

> Das ist Einstellungssache und hier nicht kriegsentscheidend.

:-))

> Jetzt sind wir bei den Gruenden, die uns veranlassen koennen, uns mit
> Theaterfiguren zu identifizieren.

Oder sagen wir anders: Gründe, warum uns Theaterfiguren und bestimmte
Charaktere faszinieren. Identifizieren oder eben nicht kommt ja
meistens danach. Und Faszinierend finde ich auch Charaktere wie eben
Iago oder Hagen oder den Telramund - oft sogar faszinierender als
andere, aber das ist sicher von Person zu Person anders - nur würde
ich mich mit keinem von denen gerne identifizieren......

> Die meisten Menschen leben in einem
> Umfeld, in dem sie Herrschaft und die Herrscherklasse als bedrohlich
> oder feindlich erleben. Deshalb faellt ihnen der emotionale Zugang zu
> Opfern leichter als der zu Maechtigen. Ueberdies beruehren uns generell
> Figuren in Außenseiterpositionen wohl mehr als Etablierte

Sicher. Schließlci sehe wir im Theater ja auch allermeistens Figuren
in Außenseiterpositionen. ODer zumindets in Extremsituationen.

> Vorgezogenes Zitat
> > > Und wer als
> > > Sklavenaufseher staendig unter dem doppelten Druck des Misstrauens von
> > > oben und von unten steht, hat es sehr schwer, nicht boesartig zu werden
>
> > Aha!!
>
> Genau! :-)

Aber sicher. Wie gesagt, es kommt drauf an, was man nun als
überwiegend sieht.

> Es ist an dieser Stelle vielleicht hilfreich, zu unterscheiden zwischen
> Identifikation in Form von verstehender Einfuehlung und Identifikation
> in Form von bejahender Sympathie. Du sagst, du habest Mitleid mit
> Monostatos. Ist das Einfuehlung oder Sympathie? Pruefe dich doch einmal,
> ob deine Sympathie sich nicht auf die Opferrolle beschraenkt.

Sicher tut sie das, weil ich die mehr sehe als die Täterrolle. Das mag
weis ich woran liegen, aber ich finde diese Seite einfach stärker,
zumindest finde ich zu der direkt einen Zugang und eine Erklärung für
dieses Täterverhalten, das Monostatos an den Tag legt.

> Beruecksichtigst du aber auch seine Taeterrolle und waerest du zudem
> Vater einer heranwachsenden Tochter, ist es mit der Sympathie
> moeglicherweise nicht mehr so doll. Wie Peter zu Recht ausfuehrt, straft
> Saratsro den "armen" Mohren doch nicht aus Sadismus, sondern wegen
> dessen Kompetenzueberschreitung gegenueber Pamina.

Klar.

> Identifikation - in welcher Form auch immer- ist aber nur moeglich, wenn
> der Autor die Figur mit menschlichen Zuegen versehen hat. Schon fuer
> Beethovens Pizarro gilt das nicht mehr. Du nanntest Verdis Jago, ich
> Wagners Hagen. Hier bewegen wir uns auf einen anderen, nicht minder
> spannenden Thread mit dem Thema "Die Rolle des Schurken in der Oper" zu.

Schönes Thema. wie gesagt, einige der faszinierendsten Charaktere,
vielleicht auch gerade, weil man sich nicht so in sie einfühlen
kann....

> Ich moechte von mir aus die Diskussion unterbrechen.

Welche? Die Zauberflöte jetzt? Wir können uns das mit den Schurken
auch gerne noch ein wenig aufheben, über den Freischütz kommen wir ja
wieder an einen. Aber sicher ein interessantes Thema.....

> Aus
> nachvollziehbaren Gruenden habe ich mich vor einiger Zeit gruendlich mit
> der Figur des Hagen beschaeftigt.

:-))

Bei mir war das eben, aus weniger nachvollziehbaren Gründen, der
Iago...

> Ich kann dir sagen, wenn du mal ueber
> den Ring und die Lesebuecher hinausblickst, dann wird es aufregend, dann
> kann man mit dieser Figur Kulturgeschichte schreiben. Die Ergebnisse
> meiner Recherche und meines Nachdenkens werde ich vielleicht einmal bei
> passender Gelegenheit posten.

Gerne, gerne!!

> > Allerdings ist es mir egal, ob jemand Verzeihung von mir erwartet,
> > oder??
>
> Mir ist das nicht egal. Ich spreche jetzt mal nicht von der Gewaehrung
> von, sondern von der Bitte um Vergebung. Wenn ich der Vergebung bedarf,
> dann doch deshalb, weil ich jemandem geschadet habe und mich ihm
> gegenueber in der Schuld fuehle.

Sicher.

> Deshalb bitte ich ihn, mir zu vergeben
> und dadurch mein Schuldkonto wieder auszugleichen. Erwarten kann ich
> Vergebung aber nur, wenn ich die Schuld anerkenne und Bereitschaft
> signalisiere, kuenftig Ruecksicht walten zu lassen.

Wieso? Der Schluss scheint mir zumindest nicht logisch. "Anerkennen"
muss die Schuld doch in erster Linie derjenige, der vergibt. Natürlich
ist nicht jeder würdig, daß ihm vergeben wird, aber das ändert nichts
an der Tatsache, daß man erstmal jedem vergeben kann......

> Umgekehrt bin ich
> als Geschaedigter zur Vergebung nur bereit, wenn der andere mir zu
> vestehen gibt, daß er meiner Vergebung bedarf, d.h. seine Schuld
> anerkennt und in sich die Verpflichtung fuehlt, kuenftig auf mich
> Ruecksicht zu nehmen. Das meinte ich mit meiner These, Vergebung sei ein
> zweiseitiger Akt.

Wie auch immer, ich sehe das anders.....

> Was macht es fuer einen Sinn, jemaden zu
> vergeben, der meiner Vergebung gar nicht bedarf?

Zumindest für mich selbst einen großen, oder??

> Ganz abwegig finde ich
> aber, anderen, z.B. Monostatos für das zu vergeben, was er Pamina antut
> und weiter anzutun gedenkt.

Weis man das??

> Wem tue ich damit etwas Gutes, doch
> allenfalls mir selbst :-).

Ist doch auch schon was. Zudem tust du konkret auch dem Monostatos was
Gutes. Vielleicht löst ein solcher Akt bei dem ja einen Dankprozess
aus? Reine Utopie, aber wer weis??

> Ich freue mich, dass die Entfuehrung weiteren Diskussionsstoff
> verspricht. Was haeltst du denn von der Christie-Aufnahme.

ICh fand es eine etwas zweischneidige Angelegenheit. Das Orchester ist
wunderbar, und die Sänger wohl größtenteils auch, aber das Deutsch!!
Und dazu, aber das ist nicht bei der Aufnahme so, geht dem Osmin doch
etwas die Gefährlichkeit ab......

> Bei mir hat
> Gardiner die alte Friscay Aufnahme verdraengt.

Gardiner gefällt mir auch recht gut, bis auf Cornelius Hauptmann als
Osmin: Da ist einfach die geforderte Tiefe nicht da.....

Aber gerne mit etwas mehr Zeit ausführlicher auch zu den beiden
Aufnahmen der Entführung, OK?

Herzliche Grüße

Claus

Peter Brixius

unread,
Nov 24, 1999, 3:00:00 AM11/24/99
to
Hallo, liebe NGler

Eine kleine Bemerkung moechte ich noch zu Schikaneder machen. Wenn Pahlen
meint, dass bei Schikaneder die Genialitaet nur in einem einzigen
Augenblick zu ihm aufstieg (S. 133), so ist das sicherlich falsch. Er hat
eine Reihe erfolgreicher Theaterstuecke verfasst, sein erstes deutsches
Singspiel (er war auch der Komponist) "Die Lyranten oder das lustige
Elend" (1776) war ein Vorlaeufer von Nestroys Lumpazivagabundus, war noch
fuenf Jahre spaeter ein Zugstueck des Theaters in der Leopoldstadt. (1780
lernte Mozart das Stueck in Salzburg kennen, von diesem Jahre her datiert
auch die Freundschaft Mozarts mit Schikaneder. Die Familie Mozart war
Inhaber eines dauernden Freibillets, Schikaneder war haeufig zu Besuch im
Hause Mozarts)

Als Schikaneder und Mozart an der Zauberfloete arbeiteten, war er ein
durchaus erfolgreicher Theatermann, in Wien der erfahrenste, den es neben
Mozart gab. "Da Ponte kam nach einem durchgefallenen Libretto und als
dramatischer Anfaenger zu Mozart; Schikaneder im Vollbesitz seiner
dramatischen Erfahrung und seines Theaterkoennens." (Greither, 1977 [3.
Aufl.] S. 189)

Es gruesst Peter

--
Es wird immer Ansehen gebraucht, wo man Gruende brauchen sollte,
immer geschreckt, wo man belehren sollte, und Goetter werden zu
Huelfe genommen, wo Menschen hinreichend waeren. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Nov 24, 1999, 3:00:00 AM11/24/99
to
Lieber Hans-Hagen,

vielen Dank fuer Deine lobenden und ermutigenden Worte.

In article <3839F945...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...
>
[Vieles, weil einvernehmlich, gesnippt]



> > Eigentlich nicht unbedingt. Das Realleben gibt es ja nicht, es entsteht
> > nur durch unsere Deutung.
>
> Richtig! Worauf ich hinaus wollte, ist dies: Im Theater gibt es Figuren,
> die die Autoren als realitaetsnahes Abbild zeichnen, und es gibt
> Figuren, die Symbolcharakter haben. In der Zauberfloete sehe ich
> Tamino und Pamina als realitaetsnahe Figuren an, andere, wie die drei
> Knaben, sind fuer mich symbolische Figuren.
>

So verstanden, sind wir uns einig. Sie haben fuer mich mythischen
Charakter, der nicht unbedingt in unserem Sinne "religioes" bestimmt ist,
deshalb widerstrebte mir der Begriff "Schutzengel" (praezise der Wortteil
"Engel"). Sie sprechen allgemeine (Volks-)Weisheiten aus, die eher im
weitesten Sinne philosophischen, nicht aber theologischen Gehalt haben.
Als "Schutzengel" im uebertragenen Sinne agieren sie natuerlich bei
Pamina und Papageno.



> Nur: Das Bild des altklugen Kindes, das nach
> meinem Gefuehl die Komik des Anlasses markiert, habe nicht ich
> eingebracht.

Da haben wir uns gewissermassen missverstanden: "altklug" hat bei mir
nicht die Konnotation "komisch" (wahrscheinlich schon deshalb, weil mir
damals dieses Praedikat auch anhing ...), sondern eben erst einmal
neutral: das Kind aeussert Wahrheiten, die man von ihm (seines Alters
wegen) nicht erwartet.

Bei diesen mythischen Figuren *erwartet* man ja Kluges ... :-))

>
> Und dafuer ist Mozarts Kindheit das beste Beispiel.
> Nur: Gerade Kaisers vorpubertaere Unschuld und deine Beschwoerung der
> Machtlosigkeit der Kinder sind Denkfiguren des 20. Jahrhundertes.

Richtig bemerkt! Kaiser versucht den Mythos zu deuten, Du hast da Recht,
dies als inadaequat anzusehen. Die Machtlosigkeit der Kinder hat hier
auch keinen rechten Platz, es ist die Machtlosigkeit der Menschen - dem
sind eben Tamino, Pamina und Papageno deutlich ausgesetzt, die drei
Knaben offensichtlich ja nicht.

>
>
> > > Ihr erster
> > > Auftritt ist in der Welt der Königin, bei dem sie zwar selbst nicht
> > > singen, bei dem ihr Ton aber bereits von den Drei Damen angeschlagen
> > > wird.
> >
> > (Allerdings in Es)
>
> Was besagt das?

Wenn wir Kunze folgen in seiner Zuordnung der Tonarten schon etwas
(Rueckbezug auf den Tonartenplan der Ouvertuere). Sie werden musikalisch
zitiert, die Damen singen in "ihrer Art", das Orchester begleitet sie
entsprechend, die Differenz waere hier eben die Tonart.

Ich werde mir zusammen mit dem Kunze und der Partitur die Ouvertuere auf
jeden Fall noch einmal vornehmen ...

> >
> > > In der Folgezeit erscheinen die Drei Knaben stets dann, wenn es
> > > kritisch wird und zwar - von oben!!! :-) In meinem Ohr bildet die Musik,
> > > die Mozart diesen Figuren zugeschrieben hat, einen schwebenden Kosmos,
> > > der sich eindeutlig ;-) von Sarastros Priesterwelt abhebt.
> > >
> > Wieso? Der Kontrast zu der Koenigin der Nacht mit ihren seria-Arien ist
> > deutlich, aber zu Sarastro?
> >
> Gegenueber den Seria-Arien besteht sicher eine spuerbare Distanz. Aber
> gegenueber Papageno und den drei Damen? Und: Die feierliche Schwere
> Sarastros und seiner Priester unterscheidet sich nach meinem Gefuehl
> deutlich von der schwebenden Leichtigkeit der drei Knaben.

Die ist auch nur ihnen eigen. Aber der feierliche Ton, dieses
choralartige Singen, das ja nur in der Not aufgegeben wird, die
vorgetragenen Weisheiten - das alles gehoert doch eher in die Sarastro-
Welt.

>
>
Es gruesst herzlich Peter

Peter Brixius

unread,
Nov 24, 1999, 3:00:00 AM11/24/99
to
Lieber Hans-Hagen,

nur kurz noch ...

In article <3837FEC0...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...


> >
> das erinnert mich an eine Runfunksendung laengst vergangener Zeiten, in
> der ueber das Verhaeltnis von Komponisten zum Tode diskutiert wurde.
> (Ja, solche weltbewegenden Themen waren damals - es muessen die
> sechziger Jahre gewesen sein - in Musiksendungen Zeitgeist!). Mozart -
> so die These - habe sich - wie seine Zeitgenossen - das Thema eher vom
> Leibe gehalten und es nur mit den Fingerspitzen angefasst.

Seine Lebenseinstellung, soweit ich sie kenne, ist "philosophisch" im
Sinne dieser Zeit, hat also etwas Stoisches an sich. Da gibt es die
bewundernswerten Zeilen, die er an seinen Vater aus Paris anlaesslich des
Todes seiner Mutter sendet. Wieweit so ein Stoizismus nun eine
Verdraengung ist oder nicht, ist schwer zu entscheiden. Die Menschen
damals waren mit dem Sterben eher vertraut, als wir es heute sind. (Als
wirklicher Verdraenger ist mir eher Goethe bekannt!)

> Als zwei
> Beispiele sind mir in Erinnerung: die deutlich abgesetzte und
> wiederholte Schlusszeile im Prieserduett "Tod und Verzweiflung ward sein
> Lohn" und in Konstanzes Marterarie "zuletzt befreit mich doch der Tod".
> Ich weiss nicht mehr, was damals ueber Paminas Arie gesagt wurde. Nach
> meinem heutigen Hoereindruck finde ich die These in Paminas "so wird Ruh
> im Tode sein!" ebensowenig bestaetigt wie im "o mi lascia almen morir"
> der Graefin.

Ueber das Priesterduett werden wir sicher noch sprechen, ansonsten sehe
ich einen Entfuehrungs-Thread auf mich zukommen, was ich nicht
unerfreulich finde

> Zum Schluss: Hilf mir Begriffsstutzigem auf die Spruenge: was genau
> meinst du mit der "Fallhoehe"?
>

Damit ein den Menschen betreffendes Unglueck im Sinne der Tragoedie
kathartische Wirkung hat, gehoert die unbedingte Ausweglosigkeit
tragischen Geschehens, das tragische Bewusstsein ihrers Traegers und die
tragische Schuld zu den Bestimmungsmerkmalen. Die Fallhoehe bezeichnete
urspruenglich den Fall eines hoeher gestellten Menschen, der ja deshalb
umso tiefer geschieht, mit der Entwicklung der buergerlichen Tragoedie
aber eine "innere" Fallhoehe. Eine solche konsequente Auswegslosigkeit
kann ich in der Zauberfloete nicht erkennen, eine Schuld (auch im Sinne
des unschuldig Schuldigen) auch nicht.

Es gruesst herzlich Peter

--

Manfred Russ

unread,
Nov 26, 1999, 3:00:00 AM11/26/99
to
Danke für die hier vorgestellten Deutungen ('Interpretationen' wäre wohl
zuviel gesagt). Anfreunden kann ich mich mit keiner von ihnen; allzusehr
scheinen die Autoren meinem Eindruck nach ihrer Phantasie freien Lauf zu
lassen und sehen Dinge, die der Notentext objektiv nicht hergibt. Ich
zumindest bin in solchen Dingen etwas voesichtig. Und skeptisch.


Am Fri, 19 Nov 1999 13:23:22 +0100 schrieb Peter Brixius:

> Drei Ansaetze zur Ouvertuere:
> O. Schumann: "Die Ouvertuere beginnt mit drei feierlichen
> Posaunenklaengen: die Welt der Weisheit ruft den Suchenden. Ein kurzes,
> ruhiges Sinnen, dann hebt [...] ein Fugato an.

Richtig, ein Fugato (keine Fuge). Aber eben sehr unvermittelt hebt dies
Fugato an.

> Es ist ein Klopfen und
> Haemmern, als werde lauteres Gold von fleissigen Haenden zu kostbaren
> Geschmeide geschmiedet.

Huch, Nibelheim?

<snip>

>
> Csampai: "Die Ouvertuere zur /'Zauberfloete'/, die MOZART wenige Monate
> vor seinem Tod komponierte, ist vielleicht die reifste, tiefsinnigste
> Ausformung seiner Ouvertueren-Konzeption. In ihrer unentschiedenen
> Haltung, einer seltsamen Mischung von Strenge, Verspieltheit, Trauer

^^^^^^
Kann ich nicht erkennen. Auch nicht in der Durchführung.

> Da es in dieser Oper um eines der
> zentralen Probleme der Geschichte geht, naemlich die Entzauberung der
> alten Welt und die kritische Durchleuchtung des neuen Menschenbildes,
> wird in der Ouvertuere [...] tatsaechlich zunaechst die Welt erschaffen -

^^^^^^^^^^^^*


> gleich dem Schoepfungsakt, in der Reihenfolge Gestirne - Natur - Mensch.
> Man kann diese Vorgaenge im Detail nachweisen - wie etwa die drei

^^^^^^^^^^*

> Dreiklaenge des Anfangs, die den Schoepfungsakt symbolisieren, in der
> langsamen Einleitung zu einem dynamischen Dreiklangsmotiv
> weiterverarbeitet werden, zu leben, aufzukeimen beginnen, und // nur in
> wenigen Takten die ganze Naturgeschichte durchlaufen,

die Art, wie hier diese Begriffe (siehe *) eingestreut werden, erwckt in
mir zunächst mal tiefes Mißtrauen. Vor allem, wenn ein solcher Nachweis
ausbleibt. Und, wenn ich momentan nicht blind bin, bleibt er aus.
Woraus soll ich erkennen können, daß "die ganze Naturgeschichte
durchlaufen" wird? Mal davon abgesehen, daß man über das "dynamisch"
wohl geteilter Meinung sein kann.

> wie dann ploetzlich
> im schnellen Teil endlich der Mensch als selbstbewusstes, taetiges
> Gattungswesen (Fuge!) in Erscheinung tritt und gleich zu agieren beginnt

IMHO ist das eine Behauptung ihne Begründung, aber kein Nachweis.

> und spaeter in der Durchfuehrung auch in widerspruch geraet, Schmerz und
> Trauer empfindet

Das, wie gesagt, kann ich nicht erkennen. Abgesehen davon, daß es in der
Natur einer Durchführung liegt, Bewegung, meinethalben auch
"Widerspruch" in das zuvor Exponierte zu bringen, halte ich es für nicht
unbedingt sinnig, musikalische Gedanken (und deren Abwandlungen,
Verwicklungen, etc) zu personalisieren. Also z.B. im Hauptthema 'den
Menschen' und demnach, wenn's in der Durchführung rund geht, dessen
Verstrickungen in was auch immer zu sehen.

Ich sehe zunächst einmal zwei Bereiche, die sich gegenüber zu stehen
scheinen (Akkorde - Fugato). Zwar ist es formal nicht unüblich, daß zu
Beginn der Durchführung etwas aus Einleitung oder Exposition wieder
aufgegriffen wird, und auch nicht, daß das Expositionsmaterial nun
gewissen (durchführungstypischen) Veränderungen unterzogen wird
(Abspaltungen, Verkürzung, häufige Tonartwechsel, Moll, kurz:
Dramatisierung), jedoch *wie* das geschieht, macht (mich) stutzig: eben
wieder das unvermittelte Nebeneinander des Feierlich-Getragenen
(Dreiklangsmotiv bzw. Einleitung) und dem Fugatomotiv.

Der Wissende kann nun das Dreiklangsmotiv der Sarastro-Welt zuordnen und
das Fugatomotiv ... ja wem? Tamino?
Wenn man vom Charakter der Musik auf den Charakter der Person schließen
möchte, am ehesten Papageno. Das schiene mir nicht sinnvoll, denn eine
Konfrontation Sarastro - Papageno ist wohl nicht ein zentraler Aspekt
der Oper.
Natürlich kann m,an das jetzt eine Stufe höher stellen und das Ganze
nicht mehr an Personen der Handlung, sondern eher den dahinterstehenden
Prinzipien festmachen. Beispielsweise Weisheit (oder Welt) - Mensch.
Nur: wenn ich mir anschaue, was in dieser Oper so an Menschen rumläuft -
sollen die etwa alle 'gemeint' sein? (Womit ich wieder an einem der
Punkte bin, der mir bei Csampai nicht gefallen will.)

Mal davon abgesehen: gerade diese Verwicklungen der Durchführung sind es
doch, die nicht unerheblich dazu beitragen, daß dieses energiegeladene,
munter daherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht.


> Renner:
<snip>


> Wir haben in der Gegenueberstellung
> der Gipfelformen des musikalischen Barock und der Klassik (Fuge und
> Sonate) erkannt, dass die Fuge als Sinnbild in sich vollendeter
> Einheitlichkeit, die Sonate demgegenueber als Ausdruck zielstrebiger
> Zweiheitlichkeit aufzufassen ist.

Im Prinzip ja. Entscheidend halte ich in diesem Fall eher die
humoristische Intention Mozarts.

Oftmals läuft die Setzung des Themenmaterials in zwei (bzw. drei) Phasen
ab. Das Thema wird erst mal vorsichtig, piano (oft unisono) vorgestellt,
um nach einer mehr oder minder langen Überleitungsphase im forte (oft
tutti) präsentiert zu werden. Was oft wie eine Bestätigung des zuerst
eher zaghaft angesetzten Themas wirkt. (OT: der Schuß kann gelegentlich
auch nach hinten losgehen; etwa Schubert, a-moll-Sonate D 845 oder
Brucker, 3. Sinfonie)

Mozart setzt hier das Thema piano und unisono an und läßt es als Fugato
durch die verschiedenen Register wandern, bis es beim ff-Höhepunkt
anlangt. Und genau da kehrt er zur 'normalen' Satztechnik zurück. Ich
vermag leider nicht zu erkennen, warum "die Fuge als Sinnbild in sich
vollendeter Einheitlichkeit" hier von Bedeutung sein soll.
Genauso wenig die "Sonate [...] als Ausdruck zielstrebiger
Zweiheitlichkeit". Denn der Seitensatz ist hier eher von marginaler
Bedeutung und mündet recht schnell in die Schlußgruppe.


> Es gelang ihm, der Fuge dramatische Zielstrebigkeit zu geben, sie
> aus einer 'poetischen' Idee als 'freies Fugato' im Sinne Beethovens zur
> Entfaltung zu bringen, ohne die Einheitlichkeit der Fugen/thematik/
> aufzugeben: Eine Kunstleistung ersten Ranges! [...]

Ohne Zweifel. (Hat es doch seinen Grund, daß ich dabei immer an
Beethoven op. 12,2, Finale denken muß?)
<snip>

> Im Sinne der Sonate /und/ der Fuge wird nun an der
> entsprechenden Stelle das zweite 'sangliche' Thema gewissermassen als
> 'Kontrapunkt' in der Oberstimme eingefuehrt.

^^^^^^^^^^^
Das halte ich für gewagt. :-)
Ich kann zwar einen Seitensatz erkennen, jedoch kein Seitenthema.

> Seine Wirkung ist durchaus
> weich, zaertlich, individuell (Pamina gesellt sich zu Tamino).

Wie gesagt, ich tu mich schwer, mit dem C-Dur-Gerumpel Tamino zu
assoziieren.

> Die Durchfuehrung wird nur von dem Thema und seinem 'Kontrapunkt'
> getragen, verlaeuft also im Sinne der Fuge

Wenn man das absteigende Motive des Seitensatzes "gewissermaßen" als
Kontrapunkt auffaßt, kann man natürlich leicht behaupten, daß nun alles
"im Sinne der Fuge" verläuft, wiewohl von technischer Seite wirklich
nichts dafür spricht.

> Mir scheint die Deutung Renners die einleuchtendste ...

Mir auch, trotz der angemeckerten Punkte... :-)


Möglicherweise ist nun der Eindruck aufgekommen, ich wolle hier jeden
der vorgestellten Ansätze einfach nur niedermachen. Wenn dies so sein
sollte, tut es mir leid und ich möchte entschuldigend meine Grippe
vorschieben (die sicher auch gern verantwortlich zeichnet, sollte ich
hier manches sträflich verkürzt formuliert haben.)

Mir ging es einfach nur darum darzulegen, warum ich bei manchen
Deutungen, die ich anhand des Notentextes nicht nachvollziehen kann,
Bauchschmerzen bekomme.
Und daß ich mich aus eben diesem Grunde in meinem Posting zuvor so
vorsichtig-naiv geäußert habe.


Manfred

Hans-Hagen Haertel

unread,
Nov 29, 1999, 3:00:00 AM11/29/99
to
Lieber Manfred, lieber Peter,

erlaubt mir, dass ich mich in eure Diskussion einklinke. Nachdem Peter
uns die Deutungen von Schumann, Csampai und Renner gepostet hatte, war
ich schon drauf und dran, die 15-seitige Analyse von Stefan Kunze
einzuscannen und mir die Muehe zu machen, sie zu einem Exzerpt zu
verschlanken, eil ich sie fuer das beste halte, was ich bislang gelesen
habe. Da kam am Mittwoch zum Glueck Entwarnung, als Peter ankuendigte,
er werde auf diesen Text selbst eingehen. Ich will dem nicht vorgreifen
und gehe auf Gedanken ein, die relativ unabhaengig von Kunzes Analyse
sind.

Die Ouvertuere zur Zauberfloete gehoert fuer mich zu den am meisten
gehoerten Werken, nicht nur, weil ich sie mich immer wieder beeindruckt,
- da gibt es noch vieles andere - sondern weil sie mir so raetselhaft
ist. Jedesmal, wenn ich sie hoere, stelle ich fest: Das ist perfekte
Musik und zwar auch dann, wenn ich das Gefuehl habe: Fuer eine
Ouvertuere ist sie eigentlich zu lang! Doch wenn ich frage, warum sie
perfekt ist, versinke ich in Ratlosigkeit. Und bei der Konsultation von
mhr oder weniger bedeutenden Autoren, ging es mir bislang wie Manfred.
Aber es kann doch kein Zufall sein, dass sich selbst Csampai, der sich
sonst an die musikalischen Strukturen haelt, bemuessigt fuehlt, in die
Musik eine Story hineinzulesen, um sie anschliessend aus der Musik als
eindeutige Botschaft herauszuhoeren. Ich werde mich hueten, Manfred nun
meinerseits eine Geschichte aufzutischen, moechte aber einige Stellen
seines Postings aufgreifen und ein paar - hoffentlich -
weiterfueherenden Gedanken beisteuern. Man moege es dem Laien aber
nachsehen, wenn er die Fachbegriffe nicht immer "in the matter of art"
verwendet!

Manfred Russ schrieb:


>
> Danke für die hier vorgestellten Deutungen ('Interpretationen' wäre wohl
> zuviel gesagt). Anfreunden kann ich mich mit keiner von ihnen; allzusehr
> scheinen die Autoren meinem Eindruck nach ihrer Phantasie freien Lauf zu
> lassen und sehen Dinge, die der Notentext objektiv nicht hergibt. Ich
> zumindest bin in solchen Dingen etwas voesichtig. Und skeptisch.

Sehe ich auch so!

> Am Fri, 19 Nov 1999 13:23:22 +0100 schrieb Peter Brixius:
>
> > Drei Ansaetze zur Ouvertuere:
> > O. Schumann: "Die Ouvertuere beginnt mit drei feierlichen
> > Posaunenklaengen: die Welt der Weisheit ruft den Suchenden. Ein kurzes,
> > ruhiges Sinnen, dann hebt [...] ein Fugato an.
>
> Richtig, ein Fugato (keine Fuge). Aber eben sehr unvermittelt hebt dies
> Fugato an.
>
> > Es ist ein Klopfen und
> > Haemmern, als werde lauteres Gold von fleissigen Haenden zu kostbaren
> > Geschmeide geschmiedet.
>
> Huch, Nibelheim?

:-)) und Zustimmung!
> >
> > Zu Csampai: den Anfang zustimmend geloescht

> > wie dann ploetzlich
> > im schnellen Teil endlich der Mensch als selbstbewusstes, taetiges
> > Gattungswesen (Fuge!) in Erscheinung tritt und gleich zu agieren beginnt
>
> IMHO ist das eine Behauptung ihne Begründung, aber kein Nachweis.
>
> > und spaeter in der Durchfuehrung auch in widerspruch geraet, Schmerz und
> > Trauer empfindet
>
> Das, wie gesagt, kann ich nicht erkennen. Abgesehen davon, daß es in der
> Natur einer Durchführung liegt, Bewegung, meinethalben auch
> "Widerspruch" in das zuvor Exponierte zu bringen, halte ich es für nicht
> unbedingt sinnig, musikalische Gedanken (und deren Abwandlungen,
> Verwicklungen, etc) zu personalisieren. Also z.B. im Hauptthema 'den
> Menschen' und demnach, wenn's in der Durchführung rund geht, dessen
> Verstrickungen in was auch immer zu sehen.

Was die Personalisierung betrifft, stimme ich zu. Das andere: siehe
unten.

> Ich sehe zunächst einmal zwei Bereiche, die sich gegenüber zu stehen
> scheinen (Akkorde - Fugato). Zwar ist es formal nicht unüblich, daß zu
> Beginn der Durchführung etwas aus Einleitung oder Exposition wieder
> aufgegriffen wird, und auch nicht, daß das Expositionsmaterial nun
> gewissen (durchführungstypischen) Veränderungen unterzogen wird
> (Abspaltungen, Verkürzung, häufige Tonartwechsel, Moll, kurz:
> Dramatisierung), jedoch *wie* das geschieht, macht (mich) stutzig: eben
> wieder das unvermittelte Nebeneinander des Feierlich-Getragenen
> (Dreiklangsmotiv bzw. Einleitung) und dem Fugatomotiv.
>
> Der Wissende kann nun das Dreiklangsmotiv der Sarastro-Welt zuordnen und
> das Fugatomotiv ... ja wem? Tamino?
> Wenn man vom Charakter der Musik auf den Charakter der Person schließen
> möchte, am ehesten Papageno. Das schiene mir nicht sinnvoll, denn eine
> Konfrontation Sarastro - Papageno ist wohl nicht ein zentraler Aspekt
> der Oper.
> Natürlich kann m,an das jetzt eine Stufe höher stellen und das Ganze
> nicht mehr an Personen der Handlung, sondern eher den dahinterstehenden
> Prinzipien festmachen. Beispielsweise Weisheit (oder Welt) - Mensch.
> Nur: wenn ich mir anschaue, was in dieser Oper so an Menschen rumläuft -
> sollen die etwa alle 'gemeint' sein? (Womit ich wieder an einem der
> Punkte bin, der mir bei Csampai nicht gefallen will.)

mir auch nicht!

> Mal davon abgesehen: gerade diese Verwicklungen der Durchführung sind es
> doch, die nicht unerheblich dazu beitragen, daß dieses energiegeladene,
> munter daherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht.
>

:-) Wenn ich dich richtig interpretiere, ist fuer dich der Gegensatz
zwischen der "getragenen Feierlichkeit", die zu Beginn durch die drei
Akkorde plus Adagio repraesentiert wird, und dem Fugatothema der
Exposition massgebend. Im Durchfuehrungsteil tritt dieser Gegensatz als
Gegenueberstellung des Dreiklangs und der vom Fugatothema bestimmten
eigentlichen Durchfuehrung en miniature erneut auf, bis in der Reprise
das - wiederum vom Fugatothema gepraegte - "energieladene, munter
deherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht". Deiner Gedankenfuehrung
ist deutlich anzumerken, wie angestrengt du nach einem - mit der
"getragenen Feierlichkeit" korrespondierenden - Attribut fuer das
Fugatothema suchst.. Damit steckst du freilich in einem Dilemma, denn
das gesuchte Attribut darf ja - weil das Fugatothema anscheinend die
Oberhand behaelt - die positiv konnotierte "getragene Feierlichkeit"
nicht negieren, sondern muss sie auf einer hoeheren Ebene aufheben.
Ich hoffe, dass ich dir deine Suche insofern erleichtere, als du meinen
Ausfuehrungen entnehmen kannst, dass der Gegensatz, mit dem du dich
abplagst, nicht existiert. Das Fugato-Thema, das ist die Oevertuere
selbst, alles andere fuehrt - wie die Einleitun auf das Thema zu oder
ist Bestandteil der Entwicklung, der das Thema unterworfen ist und die
dieses Thema zugleich vorantreibt. Die endgueltige Erleuchtung wird dir
dann Peter bringen :-)

> > Renner:
> <snip>
> > Wir haben in der Gegenueberstellung
> > der Gipfelformen des musikalischen Barock und der Klassik (Fuge und
> > Sonate) erkannt, dass die Fuge als Sinnbild in sich vollendeter
> > Einheitlichkeit, die Sonate demgegenueber als Ausdruck zielstrebiger
> > Zweiheitlichkeit aufzufassen ist.

> Im Prinzip ja.

Im Prinzip nein ;-)

> Entscheidend halte ich in diesem Fall eher die
> humoristische Intention Mozarts.
>

Das haette ich gern erlaeutert! Ich ahne nur diffus, was du meinst.

> Oftmals läuft die Setzung des Themenmaterials in zwei (bzw. drei) Phasen
> ab. Das Thema wird erst mal vorsichtig, piano (oft unisono) vorgestellt,
> um nach einer mehr oder minder langen Überleitungsphase im forte (oft
> tutti) präsentiert zu werden. Was oft wie eine Bestätigung des zuerst
> eher zaghaft angesetzten Themas wirkt. (OT: der Schuß kann gelegentlich
> auch nach hinten losgehen; etwa Schubert, a-moll-Sonate D 845 oder
> Brucker, 3. Sinfonie)
>
> Mozart setzt hier das Thema piano

allerdings im Wechsel von piano (im ersten Taktteil) und forte (im
letzten Taktteil) - das Thema "rumpelt" oder spannt also schon von
Anfang an ;-)

> und unisono an und läßt es als Fugato
> durch die verschiedenen Register wandern,

und kontrapunktiert es mit mehreren Motiven - vor allem mit zweien, die
auch in der Folge mit dem Fugatothema, oder dessen Motivpartikeln,
kontrapunktiert werden: Der abwaertgerichtete Halbtonschritt aus einer
halben und viertel Note (zuerst in Takt 22ff ) und die aus einem Viertel
und sechs Achteln bestehende diatonische Abwaertsbewegung (zuerst in
Takt 26). Was ich damit sagen will. Das Thema ist schon von beginn an
aeusserst komplex.

> bis es beim ff-Höhepunkt
> anlangt. Und genau da kehrt er zur 'normalen' Satztechnik zurück.

Welche ff-Stelle meinst du? Laut Kunze gibt es nur eine in der ganzen
Ouvertuere, naemlich Takt 212ff. Ich vermute du hast den ersten
Hoehepunkt ab Takt 41 im Auge. Ich sehe aber nicht, dass Mozart von da
an seine Satztechnik aendert. Er kontrapunktiert weiterhin: bis zur
Schlussgruppe der Exposition, in der Durchfuehrung und in der Coda der
Reprise.

> Ich
> vermag leider nicht zu erkennen, warum "die Fuge als Sinnbild in sich
> vollendeter Einheitlichkeit" hier von Bedeutung sein soll.
> Genauso wenig die "Sonate [...] als Ausdruck zielstrebiger
> Zweiheitlichkeit".

Das kann ich auch nicht erkennen. Mozart schrieb keine Fuge , sondern
einen Sonatenkopfsatz, wobei er - wie schon in der Jupitersinfonie -
auch mit dem Mittel des Kontrapunkts arbeitete. Die "Fuge" bzw das
Fugato ist in diesem Kontext eine Form der Exposition des Hauptthemas.

> Denn der Seitensatz ist hier eher von marginaler
> Bedeutung und mündet recht schnell in die Schlußgruppe.

Einspruch! Begruendung siehe unten.

> > Es gelang ihm, der Fuge dramatische Zielstrebigkeit zu geben, sie
> > aus einer 'poetischen' Idee als 'freies Fugato' im Sinne Beethovens zur
> > Entfaltung zu bringen, ohne die Einheitlichkeit der Fugen/thematik/
> > aufzugeben: Eine Kunstleistung ersten Ranges! [...]
>
> Ohne Zweifel. (Hat es doch seinen Grund, daß ich dabei immer an
> Beethoven op. 12,2, Finale denken muß?)
> <snip>

Das ist mir recht dunkel. Vor allem wehre ich mich dagegen, wenn Federn,
die Mozart gebuehren, Beethoven an den Hut geheftet werden, nur weil er
diese Technik aufgenommen und weitergefuehrt hat und ihre aesthetische
Funktion besser als Mozart auf den Begriff bringen konnte.

> > Im Sinne der Sonate /und/ der Fuge

nur ersteres!

> >wird nun an der
> > entsprechenden Stelle das zweite 'sangliche' Thema gewissermassen als
> > 'Kontrapunkt' in der Oberstimme eingefuehrt.
> ^^^^^^^^^^^
> Das halte ich für gewagt. :-)
> Ich kann zwar einen Seitensatz erkennen, jedoch kein Seitenthema.
>
> > Seine Wirkung ist durchaus
> > weich, zaertlich, individuell (Pamina gesellt sich zu Tamino).
>
> Wie gesagt, ich tu mich schwer, mit dem C-Dur-Gerumpel Tamino zu
> assoziieren.

Ich halte den Seitensatz zwar auch fuer fuer beilaeufig, aber das besagt
nichts ueber seine Bedeutung. Noch in der Hauptgruppe beendet Mozart
zunaechst die kontrapunktische Arbeit und laesst das Fugatohema ab Takt
50 mit wuchtigen Akkorden abwechseln, deren Synkopen das Ganze schier
"aus den Fugen" zu bringen scheinen. Dann kontrastiert er das
Fugatothema mit einer neu eingefuehrten chromatischen Aufwaertbewegung,
die er zweimal erklingen laesst und beim dritten mal ihre schaerfe
abmildert und daraus diesen heiteren und spielerischen Folge vom "Ruf"
der Oboe und dem "Echo" der Floete spinnt. Diese Figur "gesellt" sich
mitnichten zum Fugatothema, sondern schwebt darueber, waehrend diese auf
Biegen und Brechen (in den vier synkopischen Takten) den Uebergang zum
Abschluss zu erzwingt. Und weil es so schoen ist und wir es in
Erinnerung behalten wiederholt er diese Sequenz, bevor in Schlussgruppe
die fast aus dem Gleichgewicht gebrachte Bewegung wieder aufgefangen
wird.

Wie bedeutsam der Seitensatz ist, ehellt sich in der Reprise: Dort
erscheint statt dem dritten Auftritt der chromatischen Aufwaertsbewegung
in Takt 184 ein neues, von Floete und Klarinette vorgetragenes Motiv.,
das mir aus der melodioesen Figur aus der Durchfuehrung (Takt 130; siehe
unten) abgeleitet zu sein scheint und mit dem Fugatothema nicht
kontrapunktiert, sondern sich anthitetisch mit ihm abwechselt. Seit ich
einst in jungen Jahren mir die Zauberfloetenmusik in einem Notenbuch mit
Opernpotpourris erklimperte, steckt dieses Motiv als Ohrwurm in meinem
Kopf und es erstaunt mich immer wieder, dass es noch keinem anderen
aufgefallen zu sein scheint, dass Mozart in der Reprise die Exposition
keineswegs woertlich zitiert, sondern sie mit der Durchfuehrung
verknueft. Auch Kunze beachtet zu meiner Enttaeuschung meinen Ohrwum mit
keiner Silbe. Die Verknuepfung gilt auch fuer die Hauptgruppe, die nicht
als Fugato neu erscheint, sondern aus der Kontrapunktik des letzten
Durchfuehungsteils unmerklich (als verdeckte Reprise?) fortgefuehrt
wird. An das Fugato erinnern nur noch ganz engvverwobene fugierte
Stellen, z.B. in Takt 149ff.

>
> > Die Durchfuehrung wird nur von dem Thema und seinem 'Kontrapunkt'
> > getragen, verlaeuft also im Sinne der Fuge
>
> Wenn man das absteigende Motive des Seitensatzes "gewissermaßen" als
> Kontrapunkt auffaßt, kann man natürlich leicht behaupten, daß nun alles
> "im Sinne der Fuge" verläuft, wiewohl von technischer Seite wirklich
> nichts dafür spricht.

?? Der Kontrapunkt der Durchfuehrung (z.B. Takt 104, 110 und mehr)
entspricht doch dem aus Takt 26!? Und mit Fuge hat die Durchfuehrung
m.E. nur wenig zu tun. Es handelt sich um Kontrapunktik mit fugierten
Stellen, die nach den wuchtigen Akkorden des Taktes 125f von einer
dreimal wiederholten Sequenz abgeloest wird, in der das in sich
kontrapunktierte Fugatothema anthitetisch mit einer melodioesen
zweitaktiken Auf- umd Abwaertsbewegung von Floete und Fagott
konfrontiert wird.

>
> > Mir scheint die Deutung Renners die einleuchtendste ...
>
> Mir auch, trotz der angemeckerten Punkte... :-)

Wenn ich schon von einem der drei Gerichte essen muss, dann von dem
Csampais :-)


>
> Möglicherweise ist nun der Eindruck aufgekommen, ich wolle hier jeden
> der vorgestellten Ansätze einfach nur niedermachen.

Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Mir fiel aber eines von Andersens
Maerchen ein: Des Kaisers (bzw. der drei Kaiser) neue Kleider -
(;-) wegduckend)

> Wenn dies so sein
> sollte, tut es mir leid und ich möchte entschuldigend meine Grippe
> vorschieben (die sicher auch gern verantwortlich zeichnet, sollte ich
> hier manches sträflich verkürzt formuliert haben.)

Wenn das so sein sollte, dann muessen wir dir noch viele solcher
Grippeanfaelle wuenschen :-)

> Mir ging es einfach nur darum darzulegen, warum ich bei manchen
> Deutungen, die ich anhand des Notentextes nicht nachvollziehen kann,
> Bauchschmerzen bekomme.
> Und daß ich mich aus eben diesem Grunde in meinem Posting zuvor so
> vorsichtig-naiv geäußert habe.
>

Du Schlingel, stellst dich dumm und fuehrst uns damit auf den Leim :-)

Auf die Gefahr hin, dass ich dir jetzt ungeniessbare Kost vorsetze, will
ich zum Abschluss doch versuchen, nach dem droegen Rumstoebern in der
Partitur auch etwas ueber mein subjektives Empfinden beim Hoeren der
Ouvertuere zu vermitteln. Vielleicht wird dir meine Sicht damit auch
klarer. Mein erster Eindruck ist aehnlich wie bei dir. Feierlichkeit!
Allerdings bezieht sich dieser Eindruck auf das ganze Werk, mit einem
Wechsel von "milder", "strenger" und "festlicher" Feierlichkeit;
"getragene" Feierlichkeit hoere ich freilich nicht heraus ;-) Die zweite
Assoziation ist: Energie! Das beginnt schon mit den Dreiklangs-Akkorden,
denen - wie Stefan Kunze zu Recht bemerkt, - bei allem ihres statischen
Charakter schon Bewegung innewohnt. Auf den feierlichen Auftakt folgt
tastendes, aber vorwaertsdraengendes Suchen, bis die Kadenz mit der
ehernen Logik, die sie in der Wiener Klassik hat, die Grundtonart des
Hauptsatzes herbeizwingt. Ich vermag hier, wie Csampai, durchaus so
etwas wie einen Schoepfungsakt zu sehen, doch beschraenkt sich das nicht
auf dieses sinfonische Werk. Von dieser Art von Einleitung gibt es in
der Wiener Klassik Dutzende bis hin zu Meister Haydns buchstaeblichem
Schoepfungsakt: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Liiiiicht.
Und Got sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied das Licht von
der Finsternis.

Auch im folgenden Allegro sind meine Assoziationen denen Csampais nicht
unaehnlich. Der "strenge" Fugenstil erinnert an Arbeit und Anstrengung,
an eine Werkstatt, in der sich die Materie reibt, in der gehobelt wird
und auch die Spaene fliegen. Auch Humor ist dabei, aber nicht die Musik
macht mich schmunzeln, sondern die Assoziationen, die sie bei mir
ausloest;-). Vor allem aber nehme ich Energie war, die - wie ich oben
beschrieben habe - das Geschehen fast aus der Balance bringen. Der
"beilaeufige" Seitensatz steuert der Strenge und Schwere voruebergehend
Witz und Leichtigkeit bei, bis die Schlussgruppe die Bewegung auffaengt
und in eine festliche Feierlichkeit muenden laesst. Die Enegie ist nicht
voellig entladen - wir befinden uns ja noch auf der Dominante - , aber
dennoch erwarte ich nun nicht wie im Konzertsaal die Duchfuehrung,
sondern dass sich im Theater der Vorhang hebt.

Der folgende feierliche Dreiklang befoerdert den Theatereffekt, denn
normalerweise pflegt die Exposition unmittelbar in die Durchfuehrung
ueberzugehen. Der von mir - und von Johannes Roehl - mehrfach zitierte
Charles Rosen (Der klassische Stil) bezeichnet Mozart als denjenigen
unter den drei Wiener Klassikern, dessen Instrumentalmusik Naehe zum
Theater hatc(vgl. z.B. den in der Regel theatralische Einsatz des
Solisten in Instrumentalkonzerten). Ich glaube, diesen Gedanken auch auf
diese Ouvertuere uebertragen zu koennen. In ihr vollzieht sich
Musiktheater. Das einleitende Adagio ist in diesem Theater die
Ouvertuere, die den Vorhang zur Handlung eines ersten Aktes oeffnet.
Wohlgmerkt: eines rein musikalischen Aktes, der mit dem ersten Akt der
Zauberfloete unmittelbar nichts zu tun hat und in dem auch keine
Personen aus der Oper auftreten. Die Durchfuehrung ist in diesem
Musiktheater die Orchestereinleitung zum zweiten musikalischen Akt.

Obwohl beide Akte aus dem gleichen musikalischen Material modelliert
sind, sind sie in ihrem Charakter doch verschieden. Das beginnt schon
mit dem Dreiklang zum Beginn der Durchfuehrung. Das jeweils zweimalige
Erklingen der Akkorde nimmt etwas von der Energie de ersten Aktes und
gibt psychischen Spielraum fuer den eher komtemplativen Charakter der
Durchfuehrung. In ihr herrscht auch ein anderer Ton als im Hauptsatz der
Exposition. Riecht es dort nach strenger und nuechtener Arbeit, so
spuere ich in der Durchfuehrung aehnliches wie Csampai: Es "menschelt",
es herrscht ein Hauch von klagender Einsamkeit. Dieser Eindruck wird
insbesondere durch die viermalige Sequenz hervorgerufen, in der das
erste und einzige Mal in diesem Werk zwei musikalische Gedanken
unvermittelt konfrontiert werden (vgl. oben). Dieser Stillstand wird
durch den jaehen Einbruch strengster Kontrapunktik abgebrochen, der
uebergangslos in die Reprise ueebergeht. Hier geht es nicht mehr nur um
Arbeit, sondern um schmerzhafte Pruefung. Die Bewegung ist wieder voller
Energie, bis im Seitenthema die Reminiszenz an die Sequenz aus der
Durchfuehrung die Spannung fuer einen Moment versoehnlich aufhebt. An
der festlichen Feierlichkeit, mit der die Coda ausklingt ist - anders
als in der Schlussgruppe der Exposition auch das Fugatothema beteiligt.

Ich habe einen der hoechsten Gipfel der Wiener Klassik hinter mir und
erlebe - wieder im Tal angekommen - noch eine letzte Ueberraschung: So
als seien sie in einem Zug komponiert worden, geht die Oevertuere
psychisch nahtlos in die Introduktion ueber. Und jetzt "menschelt" es
auch wirklich: Jetzt erscheint Tamino in unmittelbarer schmerzlicher
Aktion.

Aber jetzt will ich den Lauf meiner Phantasie beenden, sonst heist es
noch: der vier Kaiser neue Kleider ;-)

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Dec 2, 1999, 3:00:00 AM12/2/99
to
Peter Brixius schrieb:
> Drei Ansaetze zur Ouvertuere

Liebe NG-ler,
nach Rücksprache mit Peter habe ich mein Vorhaben aufgegriffen, neben
den Deutungen der Ouvertuere von Schumann, Csampai und Renner einen
Auszug der 15-seitigen Analyse von Sefan Kunze in die NG zu posten. Zu
beachten ist, dass sich diese Anlyse aus einem Buch von fast 700 Seiten
über Mozarts Opern an wissenschaftlich interessierte Leser richtet,
während die drei anderen Deutungen aus Opernführern stammen und sich an
interessierte Laien wenden. Der Text von Kunze macht aber auch die
Schwierigkeit und den spekulativen Charakter einer analytischen
Herangehensweise deutlich. Ich habe den Text verschlankt, in dem ich
nicht nur ganze Absätze fortgelassen, sondern auch innerhalb von
Absätzen Unterholz herausgeholt habe. Dabei ist mir aufgegangen, dass
dem Text eine redaktionelle Bearbeitung durch den Autor oder den Lektor
des Verlags sehr gutgetan hätte. Ich hoffe, dass die Auslassungen die
Lektuere erleichtern und das vom Autor Gemeinte nicht entstellen. Die
mit hhh markierten Zwischenüberschriften habe ich eingefügt.

hhh: Die Ouvertüre in der Musikgeschichte: Von der einleitenden Fanfare
bis zur sinfonischen Vorschau

Daß die Ouvertüre die folgende Oper wie in einem Brennspiegel
zusammenfassen könnte, ist ein Gedanke, der naheliegend scheint, aber
sich erst spät durchsetzte. Ursprünglich und lange Zeit war die
instrumentale Eröffnung einer dramatischen Vorstellung nur Zeichen,
Tusch zum Beginn, Beginn vor dem Beginn, ohne Anspruch auf
Selbständigkeit. Doch gerade deshalb, das heißt, weil das eröffnende
Instrumentalstück (Sinfonia, Ouvertüre) eben nicht in die folgende
dramatische Handlung einbezogen war, konnte sich die italienische
Sinfonia (mit ihren drei Sätzen Schnell-LangsamSchnell) um 1750 als
zyklisch angelegte Instrumentalkomposition verselbständigen. Die
Tendenzen, die instrumentale Einleitung in das Drama übergehen zu
lassen, eine ideelle oder materielle Verbindung mit der Handlung zu
suchen, knüpften sich zunächst an den Typus der französischen Ouvertüre
(langsam-feierliche Einleitung zu einem schnellen Fugatosatz), die sich
wegen ihrer Einsätzigkeit der Verselbständigung eher sperrte, und griff
erst spät - gegen Ende des Jahrhunderts -, als die Traditionen sich
mischten, auch auf den italienischen Typus der Opern-Sinfonia über.
Zwei Wege wurden (grob gesagt) beschnitten: 1. Vorbereitung der ersten
Szene mit fließendem Übergang von der Ouvertüre zur Oper; 2. Vorwegnahme
der Hauptmomente der Oper in der Ouvertüre. Selbstverständlich schloß
das eine Verfahren das andere nicht aus. Der ideelle Nachvollzug der
gesamten Handlung in ihren Kulminationspunkten war eine Möglichkeit, die
sich erst um 1800 abzeichnete und die Brücke schlug zur symphonischen
Dichtung, also zu einer erneuten Verselbständigung der Ouvertüre. Ein
konzentriertes Bild des gesamten Dramas bieten die Ouvertüren bzw.
Vorspiele zu Webers Freischütz, zu Wagners Fliegendem Holländer, zum
Tannhäuser und Lohengrin. Beethovens Ouvertüren, die zum Egmont und zum
Coriolan, vor allem aber die 3. Leonoren-Ouvertüre gaben Vorbilder ab.
...

hhh: Die Zauberflöten-Ouvertüre: Einerseits ein für sich
abgesschlossenes Instrumentalstück bereitet sie andererseits aber auch
das Kommende vor, indem sie Grundgedanken der Handlung als "poetische
Idee" aufgreift, ohne Momente der Handlung vorwegzunehmen

Mozarts Ouvertüren seit der Entführung beziehen sich auf das Drama, das
ihnen folgt. Sie sind nicht austauschbar, wie in der italienischen Oper
zu dieser Zeit noch vielfach üblich, bieten aber keine Anhaltspunkte für
irgendeine Art von >Programm<. Andererseits sind sie autonome, in sich
geschlossene Kompositionen - auch die Don Giovanni-Ouvertüre, die ja in
die Introduktion überleitet, aber einen Konzertschluß besitzt, der mit
Sicherheit von Mozart stammt. Mozart habe, so meinte Richard Wagner,
der Ouvertüre ihre eigentliche, vertiefte Bestimmung verliehen. ... Die
Ouvertüre zur Zauberflöte ist nach damaliger Gepflogenheit, von der
Mozart (soweit wir wissen) nur bei der Ouvertüre zur Entführung abwich,
zusammen mit dem Priestermarsch, der den 2. Akt eröffnet, als letzte
Komposition des Werks entstanden. Und mit dem Priestermarsch ist sie
ein Schlüsselstück der Zauberflöte geworden. Die bei den italienischen
Komponisten übliche Entstehungschronologie einer Oper, nach der die
Sinfonia an letzter Stelle stand, weil sie als der unwichtigste Teil der
Oper angesehen wurde, scheint Mozart mit anderer, neuer Absicht
aufgegriffen zu haben. Nachdem das Ganze durch die kompositorische
Einbildungskraft hindurchgegangen war, konnte Mozart in der Ouvertüre
Rück- und Überschau halten.

Die Summe zieht man am Schluß. Dies entspräche dem Entstehungszeitpunkt
der Ouvertüre. Sie erklingt jedoch zu Beginn. Damit erfüllt sie eine
doppelte Funktion: die einer Ankündigung und Vorbereitung und die eines
aus höherer Warte konzipierten Inbegriffs. Die Tatsache, daß die
Ouvertüre im Rahmen der Oper ein musikalischer Vollzug ist, der jenseits
des durch die Handlung repräsentierten zeitlichen Prozesses steht, wurde
von Mozart fruchtbar gemacht, indem das Ganze, die Grundfigur und der
Grundgehalt des Werkes, sich an und für sich, d. h. instrumental
bekundeten, ohne Momente der Handlung vorwegzunehmen. In zeitlichen
Kategorien ausgedrückt: das Futurum (Ankündigung einer Handlung) und das
Perfectum (die vollendete Handlung) sind ineinander verflochten. Es
entsteht ein neuer Modus, der offenbar nur der Musik erreichbar ist,
durch den als klingende Gegenwart das Kommende und ein ideell
Vergangenes zur Erscheinung kommen.

hhh: Die poetische Idee der Zauberfloeten-Ouvertüre: Analog zum
fugierten Beginn der Prüfungsszene im 2. Akt läßt sich die
kontrapunktische Verarbeitung des Hauptthemas des Allegro als
"Läuterungsprozess" begreifen

Mit der langsamen Adagio-Einleitung und dem folgenden Allegro-Satz
knüpft Mozart (wie schon in der Ouvertüre zum Don Giovanni) an die
Tradition der französischen Ouvertüre an. Daß über diese damals nicht
unübliche Anlage hinaus noch historisches Gedächtnis wirksam wird, zeigt
sich nicht nur in der feierlichen Haltung der Einleitung, die ein
bedeutendes Ereignis ankündigt, sondern vor allem im Allegro, das
bekanntlich zwar keine Fuge, aber ein Fugato-Satz ist. Er schlägt die
Brücke zur Prüfungs-Szene, der zentralen Szene in der Zauberflöte,
genauer gesagt: zur >Choralbearbeitung<. Beide Kompositionen sind aus
dem Geist des Kontrapunkts konzipiert. Und in beiden Fällen handelt es
sich vom Stand des kompositorischen Verfahrens zu Mozarts Zeit her
gesehen zwar um ein Zurückgreifen, um das Schöpfen aus dem Fundus einer
bereits vergangenen Musik, doch keineswegs um Archaismen oder um die
Restitution historischer Stile. Dies wäre der Fall, wenn Mozart sich in
den genannten Sätzen selbst verleugnen würde. Die Anverwandlung gelingt
im Sinne der vollständig eigenen Aussage, nicht etwa in der des fremden,
des historischen Stils. Beethovens Forderung, es müsse »heut zu Tage in
die alt hergebrachte Form [der Fuge] ein anderes, ein wirklich
poetisches Element kommen«, hatte schon Mozart, nicht zuletzt im Finale
der Jupiter-Sinfonie KV 551 erfüllt. Sie impliziert außerdem, daß das
»poetische Element« untrennbarer Bestandteil der Werkkonzeption, also
unauswechselbar zu sein hat.

Die »poetische Idee« des Fugenverfahrens stiftet im Allegro-Teil der
Ouvertüre die Beziehung zur Handlungsidee und läßt sich umschreiben als
die musikalisch-autonom entfaltete Manifestation eines Prüfungsgangs,
der eingebunden bleibt in eine prästabilierte höhere Ordnung. Die
verschlungenen Wege der Stimmen in einer Fuge und ihr unablässiges
Fortschreiten, durch das sie sich immer wieder einer kontrapunktischen
Bewährungsprobe unterziehen und, um ihre Identität und Einheit zu
bewahren, immer wieder auf dieselben thematischen Formungen zurückkommen
müssen, kann als die in musikalische Wirklichkeit übersetzte Idee eines
Läuterungsprozesses begriffen werden. ...

hhh: Entsprechend seiner Herkunft aus dem Geist der Komödie ist das
Hauptthema auch Träger der leichten und spielerischen Elemente in der
Zauberflöte

Das Prüfungsthema ist jedoch nur die eine Seite der Zauberflöte. Auch
die andere Seite, das selbstvergessen und zwanglos Spielerische
insbesondere Papagenos und seiner Späße, die szenischen Kontraste, die
lächelnde Anmut der drei Knaben, der drei Damen in der Introduktion (Nr.
1) und im ersten Quintett (Nr. 5): dies alles ist enthalten im
Fugenthema mit seinem federnden, leichten Staccato, der unerwartet gegen
den Takt eintretenden Doppelschlags-Figur im Forte, dem agilen Hin und
Her der fortsetzenden Achtel, die auf der Stelle treten, nachdem die
beiden ersten Takte mit Fanfaren-Elan das fundamentale Quintintervall
(es-b) von Es-dur exponierten, und in dem auch rhythmisch
kontrapunktierend eintretenden Gang mit dem Gegenakzent auf dem zweiten
Viertel des Taktes. Das Thema also enthält drei Grundbewegungen in
ebenso spielerischer wie sprühend und frei kombinierender Manier, die
das Komödienelement repräsentieren. Das eröffnende Hauptmotiv begegnet
übrigens nicht selten in der italienischen Buffa - ein Beleg dafür, daß
Mozarts Thema aus Komödien-Vorstellung geschöpft ist."

hhh: Zur Abwechslung eine Mozart kennzeichnende Anekdote:

Die unmittelbare Anregung mag indessen von dem Allegro con brio einer
Klaviersonate von Muzio Clementi ausgegangen sein, die Clementi bei dem
Wettspiel zwischen ihm und Mozart am 24. Dezember 1781 vorgetragen haben
soll. Das Motiv läuft sich im Oktav-Ouint-Rahmen tot und wird
unvermittelt zum Stehen gebracht. Möglicherweise hatte Abbé Vogler den
Mozart seinerzeit in Mannheim gehört hatte, eine Fuge über ein ähnliches
Thema improvisiert. Mozart äußerte sich damals über diese Produktion im
ganzen abfällig: »hiernach fieng er eine fuge an, wo Sechs noten auf
einen ton waren, und Presto. da gieng ich hinauf zu ihm. ich will ihm in
der that lieber zusehen, als zuhören.«lo Nebenbei bemerkt: welch
vernichtendes Urteil liegt in der kühlen Feststellung, dem Spiel lieber
zusehen als zuhören zu wollen. Das Elend ganzer Generationen von
komponierenden Virtuosen ist auf eine Formel gebracht, die da lautet:
Irrelevanz des erklingenden Resultats gegenüber der Fertigkeit. Aber
exakt mit sechs Noten Tonwiederholung beginnt das Allegro-Thema der
ZauberflötenOuvertüre - was nur beweist, daß partielle Motivgleichheit
nichtssagend ist, es sei denn, die Betrachtung zielte auf den Nachweis
der Ungleichheit ab.

hhh: Das einleitende Adagio: Statik und Dynamik der drei Akkorde

... Die drei Akkorden des Beginns setzen die Grundtonart, den tonalen
Raum Es-dur, den sie zugleich durchschreiten (aufsteigender Dreiklang
es-g-b der Violinen und Holzbläser). Sie kündigen an, daß sich
Bedeutendes zutragen wird, sind selbst durchtränkt von Würde und
Erhabenheit. Die Monumentalität der drei Akkorde rührt indessen nicht
so sehr von der Klangfülle des vollen Orchesters her, verbindet sich
auch nicht primär mit dem feierlichen Ton der Posaunen, sondern geht
daraus hervor, daß sie der Zeitmessung durch die Fermaten, die sie
trennen, somit Oberhaupt der Zeit entrückt sind. ...Doch entscheidend
ist, daß die drei Akkorde auch den bereits umschriebenen Gesamtcharakter
der Zauberflöte enthalten, und zwar, auch abgesehen vom feierlichen
Grundton, die Verschränkung von vorwärtstreibender Aktion und
Kontemplation. Dem aufsteigenden Es-dur-Dreiklang in den Oberstimmen,
d. h. der Einheit des Dreiklangs in der Horizontale, entspricht nämlich
keineswegs die Einheit des Klangs in der Vertikale. Der Klang bleibt
nicht statisch bei sich selbst. Denn schon im Zuge der gleichsam
spiegelbildlich zur Oberstimme absteigenden Baßtöne tritt zum zweiten
Takt die Vl. Stufe ein, ein Klang, dessen Funktion in der Wiener
klassischen Musik beschrieben werden kann als die Manifestation jenes
Augenblicks des Stillstands, des Schwebezustands zwischen Vergangenheit
und Zukunft, der Besinnung frei werden läßt. ... Im dritten Akkord des
Ouvertüren-Beginns kehrt der Es-dur-Dreiklang wieder, doch ein anderes
Es-dur als das des ersten Taktes. Der dritte Akkord ist durch die
Läuterung der Vl. Stufe hindurchgegangen. Sein Gefüge ist verändert.
Er ruht nicht mehr auf dem Grundton Es, sondern auf der labilen Terz,
ohne allerdings regelrecht Sextakkord zu sein, da Hörner, Trompeten und
Pauken das Es-dur-Gerüst beibehalten. Jeder Akkord also hat in den
ersten drei Takten der Ouvertüre sein eigenes Gefüge, verhält sich zum
jeweils benachbarten Klang verschieden.

hhh: .... tastende Suche nach der in das Allegro überleitenden Kadenz

Wie anders der Gang - zielstrebig und doch suchend -, der in Mozarts
Ouvertüre nach den drei Akkorden anhebt, aus der erfüllten, zeitleeren
Stille der Fermate heraus und mit der fallenden Auftaktfigur, die von
dem ungestützten Quintton b des Dreiklangs ausgeht. Dem Aufstieg von
schwebender, weil zeitentrückter Monumentalität der drei Akkorde
antwortet der behutsame, inständige und verinnerlichte Fall, der
zugleich durch die Auftaktigkeit von Aktivität erfüllt ist: Nach den
außerhalb jeglicher Zeitmessung stehenden Akkord-Säulen ein ungeahnt
neuer Aspekt, eine Verwandlung, wie sie einschneidender nicht gedacht
werden kann. Und sie vollzieht sich in nur einetn Takt und aus der
Stille. Mit einemmal greift das aktiv handelnde, empfindende Ich in die
objektive, doch durchgeistigte Welt der drei Akkorde ein. Vorher
dominieren die unnahbaren Bläserklänge, dann übernehmen die Streicher
die Initiative. Einbrechen des Subjekts: nichts anderes besagen die
durch die hinzugefügte Sext (f) geschärfte, labile IV. Stufe (As), in
die der Violinauftakt einmündet, die Synkopenbewegung, die jetzt
einsetzt, schließlich die nun eine große Wanderung einleitende
Dreiklangsfigur (T. 4), die den Dreiklang des Beginns in beseelter
Bewegung rhythmisch verkürzt wiederaufnimmt, ja ihn erst in Bewegung
versetzt. Jetzt setzt ein Gang ein, vom Baß getragen, zur Lösung
drängend (der dissonante, aber in der Zielrichtung mehrdeutige
Subdominantklang stellt das Thema), weiterführend, und doch, wie
bemerkt, ziellos suchend, aus verschränkter Rhythmik und durch die
Akzentuierung gegen die Taktgliederung (sf bzw. sfp jeweils erst im
zweiten Takt) seine Aktivität beziehend und zunächst die Subdominante As
umkreisend; schematisch dargestellt (T. 4-10): Der befreiende Durchbruch
erfolgt mit dem Eintreten des A statt des As (IV. Stufe), somit des
Quintsextakkords der Wechseldominante und (was am harmonischen Prozeß
das wesentliche Ereignis ist) des Leittons zum Dominant-Grundton B. Der
Weg liegt nunmehr frei für die Kadenz nach Es-dur, auf dessen jetzt
ausformulierter, mithin gesicherter Grundlage das Allegro beginnt.

hhh: Die drei Akkorde innerhalb des Allegro:

... In Mozarts Allegro ... erscheinen die drei Adagio-Akkorde noch
einmal in leibhaftiger, wenngleich verwandelter Gestalt, und zwar an der
kritischen Stelle des Gesamtverlaufs, nämlich zwischen dem exponierenden
ersten Teil des Allegro (T. 97-103) und dem zweiten Teil (durchführende
Auseinandersetzung und Wiederherstellung). Es ist die Stelle, an der
der tonale Gegenpol, die Dominante (B), erreicht ist; auch hier ein
Innehalten durch das Einsprengen eines im Allegro-Verlauf Disparaten.
Doch dadurch gerade wird Beziehung gestiftet, und zwar nicht nur durch
die Exposition des tonalen Gesamtraums somit zwischen langsamer
Einleitung, genauer gesagt den eröffnenden drei Akkorden, und dem
Allegro, sondern auch zwischen der Ouvertüre und den kommenden
Geschehnissen. Denn es handelt sich bei dem Fanfaren-Signal (hier darf
man von Signal sprechen) um die Vorwegnahme des dreimaligen Akkords aus
dem II. Akt, allerdings ohne die dort mitwirkenden Bassetthörner.
Dieser steht ebenfalls in B-dur. Ein Stück Bühnenrnusik, der Eingriff
von außen in den Ablauf autonomer Sinnbeziehungen verbindet sich als
Hinweis auf die Bühnenrealität mit der öffnenden Funktion der
Dominante. Von grundsätzlich verschiedener Oualität sind demnach,
obwohl sie sich tonal aufeinander beziehen, die drei Akkorde zu Beginn
und der dreimalige Akkord im Allegro. Er läßt, am Rande bemerkt, keinen
Zweifel daran, wie sehr Mozart alles, was vor dem II. Akt, also vor der
eigentlichen Bewährungsprobe geschieht, im Sinne dieses Ziels verstanden
hat.

hhh: Der Beginn des Allegro: Keine Fuge, sondern Sonatensatz

... Gewöhnlich stellt man die Frage, ob Mozart eine Fuge oder einen
Sonatensatz komponiert habe, um dann zum Schluß zu kommen, es handle
sich um eine Synthese, analog derjenigen im Finale der
Jupiter-Sinfonie. Diese Frage indessen führt in die Irre. Denn nicht
die eine oder andere Form und nicht die Kontamination zweier Formen
liegen vor, zumal Fuge und Sonatensatz ohnehin von verschiedener
formaler Qualität sind, die Fuge als Technik (Verfahren), der
Sonatensatz als das Resultat eines tektonischen Prinzips zu bezeichnen
ist. Mozart unterwirft vielmehr Charaktere der Fuge einem tektonischen
Prinzip, das dem Ethos der Fuge widerstreitet. Die Ouvertüre ist
durchwirkt von dem Antagonismus zwischen dem Ethos der Bindung an ein im
stimmigen Satz kontinuierlich ableitendes Verfahren und einem
kompositorisehen Prinzip, das die Gebilde frei und auf verschiedenen
Ebenen disponiert, den einheitlich-stimmigen Verlauf ausdrücklich
aufgibt. ... Auf welche Weise Mozart bereits im Thema die einheitliche
Verlaufsform aufbricht, wurde schon gezeigt. Ergänzend wäre noch zu
bemerken: entscheidend sind nicht so sehr die melodisch-rhythmischen und
dynamischen Brechungen als vielmehr die stete Bezogenheit auch der
Fugenexposition auf die als Bezugssystem für das Tektonisclie
übergeordnete Instanz der Takt- und Kadenzmetrik. Vor dieser Instanz
hat das Thema sich zu behaupten, und aus dieser steten Wechselbeziehung
geht die Konstruktion hervor. Daß sich etwa alles zuspitzt auf den
Moment, in dem zusammenraffend und markiert durch das Einsetzen der
Hörner die beiden Dominanttakte eintreten (T. 37-38), daß darauf in
umwerfendem Forte das Thema in neuer konzentrierter Gestalt,
überlebensgroß gleichsam, mit vollem Orchester losbricht (T. 39),
eingelassen in das Fundament von 1. und V. Stufe, hier also erstmals auf
festem Boden, ist durch den Sinn für tektonischen Zusammenhang, der das
ganze Werk umfaßt, so weit von Idee und Verfahren der Fuge entfernt wie
nur möglich. Was vorher war, erweist sich als Vorbereitung auf den
Forte-Einsatz, der das Thema auf seinen elementaren Kern reduziert. Der
fanfarenhafte Hauptgedanke und der Gang, der als Kontrapunkt schon
vorher (V. I, T. 27-29) aufgetreten war, erscheinen in der Verschränkung
des doppelten Kontrapunkts.

hhh: Seitensatz: "Ton von Glückseligkeit"

Kein neues Thema setzt mit der solistischen Flöten-Linie ein (T. 58
ff.), aber sie schafft neuen Raum (auch harmonisch), stellt dem agilen
Hauptmotiv, das den Prüfungsgang vorantreibt, indem es selbst der
Bewährungsprobe unterworfen wird, den Atem des Subjekts, den
empfindenden Gestus des Individuums entgegen, läßt den Ton von
Glückseligkeit im Spiel frei werden. In diesen Frieden bricht an der
Stelle der I. Stufe (hier Dominante B-dur) jäh und im Forte-Unisono der
Hauptgedanke wieder ein (T. 68 ff.), diesmal energisch die Kadenz
herbeizwingend. Daß dieser zehntaktige Abschnitt (T. 64-73) ein
tragendes Element der Architektur ist, wird durch seine Wiederaufnahme
bestätigt.

hhh: Durchführung: "Eigentlicher Prüfungsgang"

... Im Mittelteil der Ouvertüre (Durchführung) wird dem Hauptmotiv der
feste Boden entzogen, der eigentliche Prüfungsgang beginnt. Vorher
waren die Veränderungen des Motivs, seine jeweils neuen Beziehungen, die
es einging, tektonisch begründet. Aber die Umformulierung zum
Schlußwort wurde nicht vollzogen. In der Durchführung erscheinen Haupt-
und Gegenmotiv auf sich selbst gestellt. Schließlich wird das
Hauptmotiv (auch metrisch) aus seiner Bahn geworfen, der Satz gerät aus
den Fugen. Rigoroser hat auch Beethoven in den Durchführungen der
Eroica und der Achten Sinfonie die Technik metrischer Brechung nicht
gehandhabt.

hhh: Reprise. Ziel des Prüfungsgang

Mit der Einfädelung der Reprise (T. 144 ff .) ist der metrische
Auflösungsprozeß nicht beendet. ... Die Wiederherstellung in der
Reprise bezieht die Erfahrung der Durchführung ein. An der
entsprechenden Stelle wie in der Exposition erscheint das Hauptmotiv (T.
189-193) eingebaut in einen Es-dur-Gang, der das Ziel ins Auge faßt.
Doch wie schon vorher wird der Schluß des kadenzierenden Ansatzes
suspendiert. Der so mächtig vorbereitete Schluß der Exposition bleibt
episodisch. Dröhnende Halbtöne (des, h), die die Achse C, die bedeutsam
Vl. Stufe, umkreisen - erstmals und zum einzigen Mal in der Ouvertüre
ist Fortissimo vorgeschrieben -, eröffnen schlagartig das eigentliche
Ziel, sozusagen das Innere des Tempels, in den einzutreten an der
Schlüsselstelle des Finales Tamino und Pamina aufgefordert werden. Und
jetzt wird das Hauptthema einer letzten Veränderung unterzogen, der
weitere nicht folgen könnten: es erscheint als kompakt dreitaktiger
Es-dur-Schlußblock (T. 219-221), dem vier Takte monumentale Bestätigung
und ein Schlußtakt folgen, der die Dreitaktgruppe komplettiert. Das
Hauptthema, das stets neue Bahnen erschloß und somit auf ein Ende
abzielte, ist nun selbst zum Resultat, zum Ziel geworden.

hhh: Schlußbetrachtung

Die Zauberflöten-Ouvertüre gehört zur Oper, nicht weil sie buchstäblich
auf den Gang der Handlung Bezug nimmt, sondern weil sie das Niveau und
den Geist der Zallberflöte verkörpert. >Einstimmung< im Sinne der
romantischen Operndramaturgie wäre indessen gewiß das falscheste Wort
für das, was die Ouvertüre bewirken soll. Von den Opernsinfonien ihrer
Zeit trennt Mozarts Ouvertüre der Anspruch, von Anfang bis zum Ende
hörend und verstehend vollzogen zu werden, der Anspruch eines der
kunstvollsten Sätze der Wiener Klassik. Mozart dokumentierte mit dieser
Ouvertüre, wie er sein Werk verstanden wissen wollte, und er bewies, daß
er sich mit ihm identifizierte (entgegen Hildesheimers Vermutung), sonst
hätte er eine neutrale Ouvertüre komponiert. Noch bevor der Vorhang
sich öffnet, entscheidet sich, ob adäquat aufgenommen wird, was dann auf
der Bühne geschieht. Vom Standpunkt der Ouvertüre gehört, nehmen sich
auch die Späße Papagenos nicht mehr naiv aus, sie erscheinen vielmehr
als die Bekundung einer zweiten Naivität, von der Kleist im Aufsatz über
das Marionettentheater tiefsinnig bemerkte, sie stelle sich nach dem
Verlust der ersten Naivität durch das Bewußtsein ein, wenn dieses durch
eine Unendlichkeit hindurchgegangen sei.

Es gruesst Hans-Hagen

Manfred Russ

unread,
Dec 3, 1999, 3:00:00 AM12/3/99
to
Am Mon, 29 Nov 1999 22:18:47 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:


> Jedesmal, wenn ich sie hoere, stelle ich fest: Das ist perfekte
> Musik und zwar auch dann, wenn ich das Gefuehl habe: Fuer eine
> Ouvertuere ist sie eigentlich zu lang!

Und Don Giovanni? *g*

> :-) Wenn ich dich richtig interpretiere, ist fuer dich der Gegensatz
> zwischen der "getragenen Feierlichkeit", die zu Beginn durch die drei
> Akkorde plus Adagio repraesentiert wird, und dem Fugatothema der
> Exposition massgebend.

(Den Teil beantworte ich separat)

> > > Renner:
> > <snip>
> > > Wir haben in der Gegenueberstellung
> > > der Gipfelformen des musikalischen Barock und der Klassik (Fuge und
> > > Sonate) erkannt, dass die Fuge als Sinnbild in sich vollendeter
> > > Einheitlichkeit, die Sonate demgegenueber als Ausdruck zielstrebiger
> > > Zweiheitlichkeit aufzufassen ist.
>
> > Im Prinzip ja.
>
> Im Prinzip nein ;-)
>

Warum?


> > Oftmals läuft die Setzung des Themenmaterials in zwei (bzw. drei) Phasen
> > ab. Das Thema wird erst mal vorsichtig, piano (oft unisono) vorgestellt,
> > um nach einer mehr oder minder langen Überleitungsphase im forte (oft
> > tutti) präsentiert zu werden. Was oft wie eine Bestätigung des zuerst
> > eher zaghaft angesetzten Themas wirkt. (OT: der Schuß kann gelegentlich
> > auch nach hinten losgehen; etwa Schubert, a-moll-Sonate D 845 oder
> > Brucker, 3. Sinfonie)
> >
> > Mozart setzt hier das Thema piano
>
> allerdings im Wechsel von piano (im ersten Taktteil) und forte (im
> letzten Taktteil) - das Thema "rumpelt" oder spannt also schon von
> Anfang an ;-)

Nein. Das ist ein qualitativ anderes Forte. Hier liegt ein
"ausgeschriebenes" Sforzato vor - typischerweise auf einem unbetonten
Taktteil, also ein auf die ganze Zählzeit (wie sagt man dazu auf
musikwissenschaftlich?) sich erstreckender Akzent.

Kurzer Exkurs:
Schubert ist beispielsweise bekannt dafür, daß er nicht nur einzelnen
Noten mit Akzentzeichen versah (ähnlich dem '>'), sondern eben auch
ganze - nunja - Zählzeiten. Dabei haute er recht großdimensionierte
Haken ins papier, die für den unbedarften Betrachter aussahen wie sich
in die höhe reckende Diminuendo-Zeichen.
Mir ist da noch ein Konzertmittschnitt im Ohr, wo Harnoncourt die Neunte
dirigiert und dabei wohl den Akzent auf der Schlußnote als Diminuendo
verstand. Mir gruselte ... :-)

Diese per f-Zeichen "ausgeschriebene" Akzente ändern aber nichts am
Gesamtklang dieser Phrase (bin dankbar für bessere Formulierung) als
piano. Forte wird's erst, wenn das Orchester tutti einsetzt.

> > bis es beim ff-Höhepunkt
> > anlangt. Und genau da kehrt er zur 'normalen' Satztechnik zurück.
>
> Welche ff-Stelle meinst du?

Gar keine.
Als ich das schrieb, hatte ich die Musik nur im Kopf und nicht in Noten
vorliegen. Jetzt hab ich mir einen Klavierauszug ausgeliehen - leider
ohne Taktzahlen... :-(

> Ich vermute du hast den ersten
> Hoehepunkt ab Takt 41 im Auge. Ich sehe aber nicht, dass Mozart von da
> an seine Satztechnik aendert. Er kontrapunktiert weiterhin: bis zur
> Schlussgruppe der Exposition, in der Durchfuehrung und in der Coda der
> Reprise.

Aber nicht mehr im Stil eines Fugato. Zumindest an T 45 nicht mehr.

> (Hat es doch seinen Grund, daß ich dabei immer an
> > Beethoven op. 12,2, Finale denken muß?)
> > <snip>
>
> Das ist mir recht dunkel. Vor allem wehre ich mich dagegen, wenn Federn,
> die Mozart gebuehren, Beethoven an den Hut geheftet werden,

Halthalthalt. Das war ja auch alles andere als ernst gemeint.



> > >wird nun an der
> > > entsprechenden Stelle das zweite 'sangliche' Thema gewissermassen als
> > > 'Kontrapunkt' in der Oberstimme eingefuehrt.
> > ^^^^^^^^^^^
> > Das halte ich für gewagt. :-)
> > Ich kann zwar einen Seitensatz erkennen, jedoch kein Seitenthema.
> >
> > > Seine Wirkung ist durchaus
> > > weich, zaertlich, individuell (Pamina gesellt sich zu Tamino).
> >
> > Wie gesagt, ich tu mich schwer, mit dem C-Dur-Gerumpel Tamino zu
> > assoziieren.

(Warum ich da C-Dur anstelle von Es-Dur im Kopf hatte, wissen die
Götter...)

[Seitensatz]

> Diese Figur "gesellt" sich
> mitnichten zum Fugatothema, sondern schwebt darueber,

Nach meiner Lesart umgekehrt:
Selbst im Seitensatz poltert es unermüdlich weiter; Das Thema, bzw.
seine rythmische Ausprägung, ist eigentlich immer präsent.

> Und weil es so schoen ist und wir es in
> Erinnerung behalten wiederholt er diese Sequenz,

:-)

Ich sehe da eher profane Symmetriegründe.


> Wie bedeutsam der Seitensatz ist, ehellt sich in der Reprise: Dort
> erscheint statt dem dritten Auftritt der chromatischen Aufwaertsbewegung
> in Takt 184 ein neues, von Floete und Klarinette vorgetragenes Motiv.,
> das mir aus der melodioesen Figur aus der Durchfuehrung (Takt 130; siehe
> unten) abgeleitet zu sein scheint und mit dem Fugatothema nicht
> kontrapunktiert, sondern sich anthitetisch mit ihm abwechselt.

Das funktioniert aber nur unter der Prämisse, daß das modifizierte
Seitenthema aus dem Flöte-Fagott-unisono der Df. abgeleitet ist.
Da kann ich aber nun keine Abhängigkeiten erkennen.

Während in der Exposition ein Wechselspiel von linearer Melodik (Oboe)
und auf der Dominante antwortender Dreiklangsbrechung (Flöte)
stattfindet, bleibt dies in der Reprise auf Dreiklangbrechung reduziert.
Auch auf das Wechselspiel wird verzichtet.
Die Unisono-Stelle der Df. hat motivisch mehr mit einem der fugato-
Kontrapunkt gemein als mit dem Seitensatz. Das zeigt deutlich der
Übergang zur Reprise: Nach dreimaligem Wechsel mit dem Grundmotiv des
Hauptthemas erscheint diese Stelle in den Klarinetten, um sogleich von
den Flöten abgelöst zu werden. Bestandteile dieses unisono sind zum
einen das Durchlaufen einer Skala (über eine halbe bis eine ganze
oktave) und die dreihebige doppelschlagartige Figur (siehe z.B. die
ersten drei Achtel des Fl-Fg-unisono, deutlicher aber im Seitensatz der
Exposition: letzte drei Oboen-Achtel - aufspringende Wechselnote zu
einem Vorhalt mit nachfolgender Auflösung (e'' = Wechselnote, g'' =
Vorhalt zu f''). Dies ist übrigens die einzige Gestalt, die auch im
Seitensatz der Reprise wiederkehrt; in den Dreiklangsbrechungen zuvor
vermag ich kein Motiv zu erkennen.

Diese über die doppelschlagartige Dreiachelfigur anhebende Unisono-
"Thema" wird beim 4. Auftreten in Terzen geführt und mündet in die
Reprise. Wie ein Nachklang, ein Imitieren dieser letzten fallenden Skala
mutet da der schon früh einsetzende Kontrapunkt des Fagotts an. Drei
Takte später gewinnt dieses Motiv an Eigendynamik; Immer dichter werden
die Einsätze, auch durch Versetzung der Einsätze in die jeweils
nächsthöhere Oktave, bis Skalendurchläufe das Geschehen dominieren (ein
Takt vor tutti).
Dieses Fl-Fg-Thema der Durchführung könnte man also als aus dem
Kontrapunkt abgeleitetes Motiv betrachten - mit dem Seitensatzes der
Reprise hat es eher wenig zu tun.

Ich halte den Seitensatz weiterhin für beiläufig. und für nicht
sonderlich bedeutsam. Als Hauptgründe sehe ich nicht nur die Kürze,
sondern auch fehlende thematisch Prägnanz. Es entwickelt sich z.B keine
harmonische Forschreitung - nur einfache, eintaktige Tonika-Dominante-
Wechsel. Dabei bleibt das Fugatothema omnipräsent. Ich habe eher den
Eindruck einer viertaktigen Überleitung zur nächsten Forte-Stelle (die
das fugato-Motiv wieder aufgreift - es ist wirkklich überall). Daß das
ganze wiederholt wird, ändert nach meinem Dafürhalten nichts.

Nochmal zur Seitensatzreprise:

> das mir aus der melodioesen Figur aus der Durchfuehrung (Takt 130; siehe
> unten) abgeleitet zu sein scheint und mit dem Fugatothema nicht
> kontrapunktiert, sondern sich anthitetisch mit ihm abwechselt.

Da, wo sich in der Exposition die skalenartigen Holzbläserfiguren
abgewechselt haben, wechselt sich nun, oktavenversetzt, das Fugatomotiv
ab. Zu Lasten der Holzbläserskalen. Eine weitere Einschränkung der
Seitensatz-"Thematik" zugunsten der Hauptsatzthematik.

> Auch Kunze beachtet zu meiner Enttaeuschung meinen Ohrwum mit
> keiner Silbe. Die Verknuepfung gilt auch fuer die Hauptgruppe, die nicht
> als Fugato neu erscheint, sondern aus der Kontrapunktik des letzten
> Durchfuehungsteils unmerklich (als verdeckte Reprise?) fortgefuehrt
> wird.

Man muß die Welt nicht zweimal erschaffen. :-=)
Aber stimmt schon, zwar hat es zwei Takte lang den Anschein eines
Fugato, dann aber setzt Mozart alles daran, die Reprise noch als Df.
erscheinen zu lassen. (BTW: für meine Augen sehen die folgenden sechs
Takte irgendwie nach Streichquartettsatz aus). Erst beim Eintritt des
Tutti können wir sicher sein, daß es die Reprise ist.

> > [Renner, von mir ergänzt]
> > > Im Sinne der Sonate /und/ der Fuge wird nun an der

> > > entsprechenden Stelle das zweite 'sangliche' Thema
> > > gewissermassen als 'Kontrapunkt' in der Oberstimme eingefuehrt.

^^^^^^^^^^^^^^^ ^^^^^^^^^^^^


> > > Die Durchfuehrung wird nur von dem Thema und seinem 'Kontrapunkt'
> > > getragen, verlaeuft also im Sinne der Fuge
> >
> > Wenn man das absteigende Motive des Seitensatzes "gewissermaßen" als
> > Kontrapunkt auffaßt, kann man natürlich leicht behaupten, daß nun alles
> > "im Sinne der Fuge" verläuft, wiewohl von technischer Seite wirklich
> > nichts dafür spricht.
>
> ?? Der Kontrapunkt der Durchfuehrung (z.B. Takt 104, 110 und mehr)
> entspricht doch dem aus Takt 26!? Und mit Fuge hat die Durchfuehrung
> m.E. nur wenig zu tun.

Ich wollte nichts anderes behaupten. Was ich meinte war in etwa: je
nachdem wie man "gewissermaßen", "Kontrapunkt" und "im Sinne" definiert,
kann man viel behaupten.


> > Wenn dies so sein
> > sollte, tut es mir leid und ich möchte entschuldigend meine Grippe
> > vorschieben (die sicher auch gern verantwortlich zeichnet, sollte ich
> > hier manches sträflich verkürzt formuliert haben.)
>
> Wenn das so sein sollte, dann muessen wir dir noch viele solcher
> Grippeanfaelle wuenschen :-)

Na danke! Die ist nahtlos in einen Stimmbadentzüdung übergegangen. Seite
4 tagen bring ich keinen Ton hervor - jetzt muß ich das per Usenet
kompensieren ... :-)



> > Mir ging es einfach nur darum darzulegen, warum ich bei manchen
> > Deutungen, die ich anhand des Notentextes nicht nachvollziehen kann,
> > Bauchschmerzen bekomme.
> > Und daß ich mich aus eben diesem Grunde in meinem Posting zuvor so
> > vorsichtig-naiv geäußert habe.
> >
> Du Schlingel, stellst dich dumm und fuehrst uns damit auf den Leim :-)

Das Effektivste ich manchmal schon die Dampfmaschin-Methode (Wat is ne
Dampfmaschin? Da stelle mer ons ganz domm.")

Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.


Manfred

Manfred Russ

unread,
Dec 3, 1999, 3:00:00 AM12/3/99
to
Am Mon, 29 Nov 1999 22:18:47 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:

> Mein erster Eindruck ist aehnlich wie bei dir. Feierlichkeit!


> Allerdings bezieht sich dieser Eindruck auf das ganze Werk, mit einem
> Wechsel von "milder", "strenger" und "festlicher" Feierlichkeit;
> "getragene" Feierlichkeit hoere ich freilich nicht heraus ;-)

Attribut-Dart-Schießen ist nicht unbedingt meine Stärke.

> Die zweite
> Assoziation ist: Energie! Das beginnt schon mit den Dreiklangs-Akkorden,
> denen - wie Stefan Kunze zu Recht bemerkt, - bei allem ihres statischen
> Charakter schon Bewegung innewohnt.

Ja! Und zwar - wie gern übersehen wird - weil sie eine kadenzierende
Bewegung eröffnen.


> Auf den feierlichen Auftakt folgt
> tastendes, aber vorwaertsdraengendes Suchen,

Auch das läßt sich gut am Notentext festmachen. Mag aber jetzt nicht 150
Zeilen dazu schreiben... :)

> bis die Kadenz mit der ehernen Logik, die sie in der Wiener Klassik hat,
> die Grundtonart des Hauptsatzes herbeizwingt.

Etwas pathetisch. ;-)


> Auch im folgenden Allegro sind meine Assoziationen denen Csampais nicht
> unaehnlich. Der "strenge" Fugenstil erinnert an Arbeit und Anstrengung,
> an eine Werkstatt, in der sich die Materie reibt, in der gehobelt wird
> und auch die Spaene fliegen. Auch Humor ist dabei, aber nicht die Musik
> macht mich schmunzeln, sondern die Assoziationen, die sie bei mir
> ausloest;-).

Bei mir die Musik. Angefangen von dem unverschämt überrumpelnden Einsatz
bis hin zu den unverschämt trivialen Achtelrepetitionen mit der
quicken Doppelschlagfigur und schließlich der schiefen Taktmetrik
(ausgerechnet der Takt, der kontrapunktisch bedeutsam wird, ist
'überzählig').

> Die Enegie ist nicht
> voellig entladen - wir befinden uns ja noch auf der Dominante - , aber
> dennoch erwarte ich nun nicht wie im Konzertsaal die Duchfuehrung,
> sondern dass sich im Theater der Vorhang hebt.

Ja!


> Obwohl beide Akte aus dem gleichen musikalischen Material modelliert
> sind, sind sie in ihrem Charakter doch verschieden. Das beginnt schon
> mit dem Dreiklang zum Beginn der Durchfuehrung. Das jeweils zweimalige
> Erklingen der Akkorde nimmt etwas von der Energie de ersten Aktes und
> gibt psychischen Spielraum fuer den eher komtemplativen Charakter der
> Durchfuehrung. In ihr herrscht auch ein anderer Ton als im Hauptsatz der
> Exposition.

Ich finde, es ist verdammt schwer, die Eindrücke, die mir die
Durchführung vermittelt, angemessen in Worte zu fassen.
"Kontemplativ" würde ich es aber nicht nennen.

> Dieser Stillstand wird
> durch den jaehen Einbruch strengster Kontrapunktik abgebrochen, der
> uebergangslos in die Reprise ueebergeht.

Das kann ich jetzt nicht in den Noten wiederfinden. Wo setzt Du die
Reprise an, beim viertaktigen Fugato (piano) oder beim Orchestertutti?

> Ich habe einen der hoechsten Gipfel der Wiener Klassik hinter mir und
> erlebe - wieder im Tal angekommen - noch eine letzte Ueberraschung: So
> als seien sie in einem Zug komponiert worden, geht die Oevertuere
> psychisch nahtlos in die Introduktion ueber.

Wird ja auch gern attacca genommen. Nahtlos auch im Sinne des Tonraums
(oder wie immer man dazu sagen soll; also Es - c) Womöglich auch im
Tempo.

Noch eine Frage zum Takt:
Laut meines Klavierauszugs beginnt das ganze alla breve, adagio.
Und dabei bleibt es. Findet beim Allegro wirklich kein Wechsel zu 4/4
statt?


Manfred

Manfred Russ

unread,
Dec 3, 1999, 3:00:00 AM12/3/99
to
Am Mon, 29 Nov 1999 22:18:47 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:

> > Mal davon abgesehen: gerade diese Verwicklungen der Durchführung sind es
> > doch, die nicht unerheblich dazu beitragen, daß dieses energiegeladene,
> > munter daherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht.
> >
> :-) Wenn ich dich richtig interpretiere, ist fuer dich der Gegensatz
> zwischen der "getragenen Feierlichkeit", die zu Beginn durch die drei
> Akkorde plus Adagio repraesentiert wird, und dem Fugatothema der
> Exposition massgebend.

Nein. :-)
Ich habe versucht, das rein musikalisch-technisch zu betrachten: der
Gegensatz, besser Kontrast, Einleitung - Hauptsatz und auch Durchführung
- Hauptsatz hebt subjektiv die Qualität des Hauptsatzes (überschäumende
Energie, Rumpelhaftigkeit) noch mehr hervor. (Ergänze: als dies ohne
solche Kontraste der Fall wäre; jaja, ich weiß, eine Binsenweisheit...)

Erst die feierliche, aber doch dramatische Einleitung schafft die nötige
Fallhöhe für den Themeneintritt; all diese Kontraste verstärken die
Wirkung der fugato-Musik als <passendes Attribut einfügen>.

Von Gegensatz im dialektischen Sinne hab ich nichts gesagt - zumindest
nicht so gemeint. :)
(Ich seh auch keinen - auch nicht im Verhältnis Hauptsatz - Seitensatz.)

> Deiner Gedankenfuehrung
> ist deutlich anzumerken, wie angestrengt du nach einem - mit der
> "getragenen Feierlichkeit" korrespondierenden - Attribut fuer das
> Fugatothema suchst..

Es fällt mir lediglich schwerer, den Charakter des Fugato-Themas
angemessen wiederzugeben.


> Damit steckst du freilich in einem Dilemma, denn
> das gesuchte Attribut darf ja - weil das Fugatothema anscheinend die
> Oberhand behaelt - die positiv konnotierte "getragene Feierlichkeit"
> nicht negieren, sondern muss sie auf einer hoeheren Ebene aufheben.

S.o.

> Das Fugato-Thema, das ist die Oevertuere
> selbst, alles andere fuehrt - wie die Einleitun auf das Thema zu oder
> ist Bestandteil der Entwicklung, der das Thema unterworfen ist und die
> dieses Thema zugleich vorantreibt.

Richtig. Und sobald das Thema eingeführt ist, braucht's kein fugato
mehr. Daher die Überschneidung von Reprise und Durchführung (hörbar
eindeutig ist die Reprise eigentlich erst beim Orchester-Tutti).


> > Entscheidend halte ich in diesem Fall eher die
> > humoristische Intention Mozarts.
> >
> Das haette ich gern erlaeutert! Ich ahne nur diffus, was du meinst.

Im Prinzip das, was ich oben geschrieben habe. Die Hervorhebung dieser
für mich schwer in Worte zu fesselnden Merkale der Exposition. Vor allem
auf Grund der musikalischen Kontraste.


Manfred

Hans-Hagen Haertel

unread,
Dec 6, 1999, 3:00:00 AM12/6/99
to
Lieber Manfred,
obwohl ich das Gefuehl habe, dass unsere Diskussion zur Schlusscoda
zustrebt, ist meine Replik auf deine drei "Streiche" doch noch sehr
umfangreich. Ich hoffe, auch in deinem Sinne zu handeln, wenn ich
versucht habe, unsere gelegentlich verwickelte Diskussion thematisch zu
entzerren und die noch bestehenen Unterschiede transparent zu machen.
Ich habe also die mir relevant erscheinenden Teile aus deinen drei
Postings neu sortiert und sie in drei Postings geteilt, die ich an dein
erstes Posting anhaenge.

Teil 1: Allgemeines zur Ouvertuere

Manfred Russ schrieb:


>
> Am Mon, 29 Nov 1999 22:18:47 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:
>
> > Jedesmal, wenn ich sie hoere, stelle ich fest: Das ist perfekte
> > Musik und zwar auch dann, wenn ich das Gefuehl habe: Fuer eine
> > Ouvertuere ist sie eigentlich zu lang!
>
> Und Don Giovanni? *g*

Wenn du so gemein fragst, muss ich notgedrungen antworten: ja, auch!
Wobei beim Don Giovanni die Durchfuehrung unbedingt dazu gehoert, dieses
verzweifelte Ausweichen der Muecke vor der staendig auf sie
niedergehenden Fliegenklatsche, das weist doch auf das kommende
Buehengeschehen hin, in dem Don Giovanni gewissermassen die Luft zum
Atmen genommen wird ;-) "Zu lang" finde ich auch die Ouvertuere zum
Freischuetz mit ihrem aufgesetzten Happy End ;-) Und dennoch gehoeren
fuer mich die drei Ouevertueren zum Kostbarsten der gesamten
musikalischen Ueberlieferung.

Die Frage nach der Laenge einer Ouvertuere laesst sich nicht anhand der
Stoppuhr beantworten. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Form des
Sonatensatzes, die ja den Vollzug eines dramatischen Geschehens bis zur
engueltigen Loesung verlangt, nicht vom Theater, in das die Ouvertuere
einfuehren soll, ablenkt. Psychologisch gesehen: Die Ouvertuere baut in
der Exposition Spannung auf, die nicht in das Buehnengeschehen
ueberfuehrt wird, sondern erst einmal instrumental abgefuehrt wird, so
dass zu Beginn der Buehnenhandlung die Spannung wieder neu aufgebaut
werden muss. Nun hatte Mozart genug Theaterinstinkt, um dieses Problem
zu sehen. In der Zauberfloete ist die Enegie der Ouvertuere nach der
Coda keineswegs verpufft. Der Uebergang zur Introduktion ist psychisch
voellig stimmig, und - wie du in deiner Replik unterstrichen hast -
auch musikalisch stimmig. Im Don Giovanni haelt Mozart die Spannung
durch den offenen Uebergang in die erste Szene aufrecht. Auch hier halte
ich die Transformation von der abstrakten Idee des Sonantensatzes in die
konkrete Buehenenhandlung - psychisch gesehen - fuer vollkommen
gelungen. Gewiss hast du auch Argumente, die auch die musikalische
Stimmigkeit des Uebeganges belegen.

Schwerer tue ich mich mit dem Freischuetz. In der Ouvertuere bricht
Weber nach dem Eintritt der Reprise ab, aber nicht, um in die
spannungsgeadene erste Szene ueberzuleiten. Vielmehr nimmt er nach einer
langen Generalpause das Agathenthema auf und loest die Spannung im
befreienden Jubel auf, so dass ich nach dem Ausklang der Ouvertuere das
Gefuehl habe, wir koennten jetzt nach Hause gehen ;-) Da Weber ein
erfahrener Theatemann war, fuehle ich mich aufgerufen, nach der
dramatische Funktion dieses - wie ich finde - aufgesetzten Schlusses
zu fragen. Mir sind zwei Antworten eingefallen. Entweder: Weber wollte
uns beruhigend versichern: lieber Hoerer, die schlimme Tragoe, die du
jetzt sehen wirst, wird gut enden; immerhin hat ja bei der Wiener
Urauffuehrung die Zensur die Wolfsschluchtszene gestrichen, um das
zartbesaitete Nervenkostuem der vornehmen Damen zu schonen. Oder:
Lieber Hoerer, das Happy End, das du demnaechst auf der Buehne sehen
wirst, ist genauso aufgesetzt, wie ich das, das ich dir soeben in der
Ouvertuere vorgefuehrt habe ;-)

Das von mir gepostete Kunze-Exposé beantwortet die Frage nach der
"Ueberlaenge" so: Nein diese Ouvertueren sind nicht zu lang. Zu den
Kuerzungen, die ich an Kunzes Text vornahm, gehoerte auch die hier
einschlaegige Kritik des Theatermannes Wagners an Beethoven, von dem ich
bei Rosen neulich las, er sei als Sinfoniker schon zu sehr Dramatiker
gewesen, als dass er noch genuegend Sinn fuer das Theaterdrama
entwickeln konnte. Ich trage die Stelle aus dem Kunze hier nach:
"Beethovens Ouvertueren, die zum Egmont und zum Coriolan, vor allem aber
die 3. Leonoren-Ouvertuere gaben Vorbilder ab, doch - wie Wagners Tadel
der 3. gegenueber der 2. Leonoren-Ouvertuere zeigt - in wesentlichen
Punkten missverstandene. Der ideelle Handlungsgehalt der Oper zielte in
der 3. Leonoren-Ouvertuere auf autonome Konstruktion ab. Wagner stoerte
(aus seiner Sicht verstaendlich) der Reprisen-Teil, der ihm wie eine
widersinnige Wiederholung einer bereits ueberwundenen dramatischen
Handlungsphase vorkam. Fuer Wagner war primaer, was fuer Beethoven
offenkundig sekundaer gewesen war: der programmatische Vorwurf. Nach
Wagners Vorstellung haette die musikalische Konstruktion diesem folgen
muessen."

Da wird es wohl, lieber Manfred, nichts mit der kurzen Schlusscoda! Aber
das kommt davon, wenn man in scheinbarer Unschuld Steine in stilles
Wasser wirft ;-)

Ende von Teil 1

Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Dec 6, 1999, 3:00:00 AM12/6/99
to
Teil 3: Seitensatz, Durchfuehrung und Reprise

Zum Seitensatz in Exposition und Reprise

> > Diese Figur "gesellt" sich
> > mitnichten zum Fugatothema, sondern schwebt darueber,
>
> Nach meiner Lesart umgekehrt:

> Selbst im Seitensatz poltert es unermuedlich weiter; Das Thema, bzw.
> seine rythmische Auspraegung, ist eigentlich immer praesent.

Koennen wir uns so einigen: Auch im Seitensatz ist das Hauptthema der
Motor der Entwicklung und treibt mit Macht auf die Schlussgruppe (in der
Exposition) bzw auf die Coda (in der Reprise) zu. In diese Hauptbewegung
hat Mozart eine - in Exposition und Reprise unterschiedliche -
Seitenbewegung einkomponiert, die du richtig so beschreibst:

> Waehrend in der Exposition ein Wechselspiel von linearer Melodik (Oboe)
> und auf der Dominante antwortender Dreiklangsbrechung (Floete)


> stattfindet, bleibt dies in der Reprise auf Dreiklangbrechung reduziert.
> Auch auf das Wechselspiel wird verzichtet.

Und du bekraeftigst deinen Eindruck:

> Ich halte den Seitensatz weiterhin fuer beilaeufig. und für nicht
> sonderlich bedeutsam. Als Hauptgruende sehe ich nicht nur die Kuerze,
> sondern auch fehlende thematisch Praegnanz. Es entwickelt sich z.B keine


> harmonische Forschreitung - nur einfache, eintaktige Tonika-Dominante-
> Wechsel. Dabei bleibt das Fugatothema omnipräsent. Ich habe eher den

> Eindruck einer viertaktigen Ueberleitung zur naechsten Forte-Stelle (die
> das fugato-Motiv wieder aufgreift - es ist wirkklich ueberall).

Ich bestreite nicht die "Beilaeufigkeit", glaube aber, dass uns Mozart
nicht selten Wichtiges in "beilaefigem" Ton mitteilt. Ich sehe auch im
Seitensatz durchaus einen Wechsel der Kompositionstechnik. Zunaechst
wechselt Mozart von kontrapunktischer zu thematischer Arbeit (ich hoffe
dass mein Klavierauszug richtig notiert): Im Wechsel mit dem Hauptthema
hoeren wir zweimal einen aufwaertsgerichteter chromatischen Skalengang
der Floete, der in Takt 63 von der Oboe aufgenommen, umgebogen und in
einen abwaertsgerichteten linearen Skalengang ueberfuehrt wird, auf den
wiederum die Floete mit der Dreiklangsbrechnung antwortet. Und was mir
sehr wesentlich erscheint: Dieser Blaeserdialog ist nicht mehr wie die
anderen Motive mit dem Hauptthema kontrapunktisch verflochten, sondern
emanzipert sich und "schwebt" als eingenstaendiger "belebter" oder
"beseelter" (Kuntze) Seitengedanke ueber dem "rumpelnden"
Hauptgedanken.
In der Reprise, die ja nicht dem Aufbau, sondern dem Abbau von Spannung
dient, ersetzt Mozart den kontrastierenden Dialog durch einen sich
fortspinnenden Dialog. Den erst von der Klarinette und dann vom Fagott
vorgetragenen chromatischen Skalengang nimmt die Floete mit einem Motiv
auf, in dem in einem chromatischen Einstieg und Ausstieg eine
Dreiklangsbrechung mit Oktavsprung eingelassen ist. Auf dieses Motiv
antworten Floete und Klarinette mit einer erweiterten Dreiklangsbrechung
und diatonischem Ausstieg. Trotz der Unterschiede ist der Seitensatz in
Exposition und Reprise doch sehr aehnlich. In beiden Faellen wird in
einem Dialog Chromatik in Dreiklangsmelodik und Diatonik ueberfuehrt,
und beidesmal emanzipert sich das Seitenthema vom Hauptthema, in der
Exposiotion schwebt es ueber dem Hauptthema, in der Reprise wechselt es
sich mit dem Hauptthema ab.

Zum Floeten-Fagott-Unisono in der Durchfuehrung

Beim Seitenthema in der Reprise hoere ich Anklaenge an das
Floeten-Fagott-Unisono in der Durchfuehrung heraus. Du bestreitest das:

> Die Unisono-Stelle der Df. hat motivisch mehr mit einem der fugato-
> Kontrapunkt gemein als mit dem Seitensatz. Das zeigt deutlich der

> Uebergang zur Reprise: Nach dreimaligem Wechsel mit dem Grundmotiv des


> Hauptthemas erscheint diese Stelle in den Klarinetten, um sogleich von

> den Floeten abgeloest zu werden. Bestandteile dieses unisono sind zum
> einen das Durchlaufen einer Skala (ueber eine halbe bis eine ganze


> oktave) und die dreihebige doppelschlagartige Figur (siehe z.B. die
> ersten drei Achtel des Fl-Fg-unisono, deutlicher aber im Seitensatz der
> Exposition: letzte drei Oboen-Achtel - aufspringende Wechselnote zu

> einem Vorhalt mit nachfolgender Aufloesung (e'' = Wechselnote, g'' =
> Vorhalt zu f''). Dies ist uebrigens die einzige Gestalt, die auch im


> Seitensatz der Reprise wiederkehrt; in den Dreiklangsbrechungen zuvor
> vermag ich kein Motiv zu erkennen.

Aber im Unisono steht doch zwischen den ersten drei Achteln und dem
abwaertgerichteten Skalengang eine Moll-Dreiklangsbrechung!?

> Diese ueber die doppelschlagartige Dreiachelfigur anhebende Unisono-
> "Thema" wird beim 4. Auftreten in Terzen gefuehrt und muendet in die


> Reprise. Wie ein Nachklang, ein Imitieren dieser letzten fallenden Skala

> mutet da der schon frueh einsetzende Kontrapunkt des Fagotts an. Drei


> Takte später gewinnt dieses Motiv an Eigendynamik; Immer dichter werden

> die Einsaetze, auch durch Versetzung der Einsaetze in die jeweils
> naechsthoehere Oktave, bis Skalendurchlaeufe das Geschehen dominieren (ein
> Takt vor tutti).
> Dieses Fl-Fg-Thema der Durchfuehrung koennte man also als aus dem


> Kontrapunkt abgeleitetes Motiv betrachten - mit dem Seitensatzes der
> Reprise hat es eher wenig zu tun.
>

Trotz der thematischen Verwandtschaft unterscheidet sich das Unisono
doch von dem Kontrapunkt dadurch, dass es dem Hauptthema - genau gesagt
dem Kontrapunkt aus der ersten und zweiten Haelfte des Hauptthemas - als
Antithese entgegengesetzt ist. Beim Uebergang in die Reprise wird dem
Unisono die Eigenstaendigkeit genommen, es wird wieder zum dienenden
Kontrapunkt - ich sage es einmal so: - diszipliniert.

Mir ist erst in der Diskussion mit dir aufgegangen, was im Seitensatz
der Exposition und Reprise sowie an der Unisono-Stelle in der
Durchfuehrung passiert:. Das Hauptthema wird unmittelbar konfrontiert
mit dem feierlichen Dreiklangsakkorden zu Beginn des Adagios und der
Reprise. Anders ausgedrueckt: An diesen Stellen faellt Licht aus der
Adagio-Welt in den rastlosen Pruefungsgang (Kunze) des Allegro.

Zur Durchfuehrung und Ueberleitung zur Reprise

> Da, wo sich in der Exposition die skalenartigen Holzblaeserfiguren


> abgewechselt haben, wechselt sich nun, oktavenversetzt, das Fugatomotiv

> ab. Zu Lasten der Holzblaeserskalen. Eine weitere Einschraenkung der


> Seitensatz-"Thematik" zugunsten der Hauptsatzthematik.
>

Ich vermute, das bezieht sich auf den Durchfuehrungsteil zu Beginn nach
den drei Akkorden. Dieser Abschnitt rekurriert aber doch nicht auft den
Seitensatz, sondern auf dem Hauptsatz der Exposition. Hier herrscht
wieder der Kontrapunkt vor und zwar in hoechster Verdichtung.
Gleichzeitig wird aber das Dur des Hauptthemas mit Moll-Akkorden
konntrastiert, bis sich der ganze Satz in der Moll-Region befindet. Es
ist uebrigens dieses Moll, in dem Csampai und auch ich das Klagende
heraushoeren. Nach einer Ganztaktpause folgt schliesslich die erwaehnte
Sequenz mit dem in sich kontrapunktierten Hauptthema und dem
Fl-Fg-Unisono, zuerst in b-moll, dann ueber e-moll und a-moll nach
d-moll. Hier wird das auf d einsetzende Unisonothema mit der
Terzparellele, beginnend mit b, unterlegt, wodurch das d-moll in die
Dominanttonart B-dur umgedeutet wird und der terzparallele Skalengang in
die Haupttonart Es-dur muendet. Der Eintritt ist, wenn ich den
Klavierauszug zu Rate ziehe eindeutig im Takt 144 zu lokalisieren. Wenn
er dennoch verdeckt erscheint, dann deshalb, weil das Hauptthema nicht
vollstaendig erscheint, sondern, wie in der Durchfuehrung in zwei Teile
aufgespalten ist, die miteinender und mit den anderen beiden Motiven
kontrapunktiert sind. Erst mit dem forte-Einsatz sind wir - wie du
richtig betonst - sicher, dass wir uns in der Reprise befinden.

Zu deiner Grippe

> > Wenn das so sein sollte, dann muessen wir dir noch viele solcher
> > Grippeanfaelle wuenschen :-)
>

> Na danke! Die ist nahtlos in einen Stimmbadentzuendung uebergegangen. Seite
> 4 tagen bring ich keinen Ton hervor - jetzt muss ich das per Usenet
> kompensieren ... :-)

Da wuensche ich dir von Herzen, dass du inzwischen auf dem Wege der
Genesung bist. Um meinen "unfrommen" Wunsch ins Positive zu wenden:
Ich bin beeindruckt, wie du aus deinen Beschwernissen das - auch fuer -
uns das Beste machst :-)
>
Es gruesst Hans-Hagen

Hans-Hagen Haertel

unread,
Dec 6, 1999, 3:00:00 AM12/6/99
to
Teil 2: Einleitendes Adagio und Hauptthema

Richtigstellung:

> > > > Renner:
> > > <snip>
> > > > Wir haben in der Gegenueberstellung
> > > > der Gipfelformen des musikalischen Barock und der Klassik (Fuge und
> > > > Sonate) erkannt, dass die Fuge als Sinnbild in sich vollendeter
> > > > Einheitlichkeit, die Sonate demgegenueber als Ausdruck zielstrebiger
> > > > Zweiheitlichkeit aufzufassen ist.
> >
> > > Im Prinzip ja.
> >
> > Im Prinzip nein ;-)
> >
> Warum?
>

da war ich vorschnell. So, wie das da steht, als Gegenueberstellung von
Fuge und Sonate stimme ich auch zu. Meine Ablehnung bezog sich auf die
folgende Behauptung Renners, Mozart habe die Ideen der Fuge und Sonate
integriert. Sorry!

Zum einleitenden Adagio:

> > Die zweite
> > Assoziation - neben Feierlichkeit - ist: Energie! Das beginnt schon mit den Dreiklangs-Akkorden,


> > denen - wie Stefan Kunze zu Recht bemerkt, - bei allem ihres statischen
> > Charakter schon Bewegung innewohnt.
>

> Ja! Und zwar - wie gern uebersehen wird - weil sie eine kadenzierende
> Bewegung eroeffnen.

Ja! Da koennen wir bei Kunze einiges nachlesen.

> > Auf den feierlichen Auftakt folgt
> > tastendes, aber vorwaertsdraengendes Suchen,
>

> Auch das laesst sich gut am Notentext festmachen. Mag aber jetzt nicht 150
> Zeilen dazu schreiben... :)

kann ich verstehen. Ich habe bei Kunze den entsprechenden Teil sehr
verschlankt

Zum Charakter des Hauptthemas des Allegro:

> Noch eine Frage zum Takt:
> Laut meines Klavierauszugs beginnt das ganze alla breve, adagio.
> Und dabei bleibt es. Findet beim Allegro wirklich kein Wechsel zu 4/4
> statt?
>

das wuerde mich auch interessieren. Dafuer spricht vielleicht, dass der
forte- bzw sforzato-Akzent auf dem vierten Taktteil liegt??

> > :-) Wenn ich dich richtig interpretiere, ist fuer dich der Gegensatz
> > zwischen der "getragenen Feierlichkeit", die zu Beginn durch die drei
> > Akkorde plus Adagio repraesentiert wird, und dem Fugatothema der
> > Exposition massgebend.
>

> Nein. :-)
> Ich habe versucht, das rein musikalisch-technisch zu betrachten: der

> Gegensatz, besser Kontrast, Einleitung - Hauptsatz und auch Durchfuehrung
> - Hauptsatz hebt subjektiv die Qualitaet des Hauptsatzes (ueberschaeumende
> Energie, Rumpelhaftigkeit) noch mehr hervor. (Ergaenze: als dies ohne
> solche Kontraste der Fall waere; jaja, ich weiss, eine Binsenweisheit...)

> > Auch im folgenden Allegro sind meine Assoziationen denen Csampais nicht
> > unaehnlich. Der "strenge" Fugenstil erinnert an Arbeit und Anstrengung,
> > an eine Werkstatt, in der sich die Materie reibt, in der gehobelt wird
> > und auch die Spaene fliegen. Auch Humor ist dabei, aber nicht die Musik
> > macht mich schmunzeln, sondern die Assoziationen, die sie bei mir
> > ausloest;-).
>

> Bei mir die Musik. Angefangen von dem unverschaemt ueberrumpelnden Einsatz
> bis hin zu den unverschaemt trivialen Achtelrepetitionen mit der
> quicken Doppelschlagfigur und schliesslich der schiefen Taktmetrik


> (ausgerechnet der Takt, der kontrapunktisch bedeutsam wird, ist

> 'ueberzaehlig').

> Erst die feierliche, aber doch dramatische Einleitung schafft die noetige
> Fallhoehe fuer den Themeneintritt; all diese Kontraste verstaerken die
> Wirkung der fugato-Musik als <passendes Attribut einfuegen>.

:-) Das finde ich sehr gut beschrieben. Allerdings habe ich den
Eindruck, dass der Charakter des Hauptthemas zunehmend irrelevant wird,
weil es fuer Mozart im folgenden nur noch Steinbruch fuer die
kontrapunktische und motivische Arbeit wird. Dadurch wird es wesenlos
und seelenlos.

Zur Exposition des Hauptthemas:

> > > Oftmals laeuft die Setzung des Themenmaterials in zwei (bzw. drei) Phasen


> > > ab. Das Thema wird erst mal vorsichtig, piano (oft unisono) vorgestellt,

> > > um nach einer mehr oder minder langen Ueberleitungsphase im forte (oft
> > > tutti) praesentiert zu werden. Was oft wie eine Bestaetigung des zuerst


> > > eher zaghaft angesetzten Themas wirkt.

Du hoerst die Exposition des Hauptsatzes nach dem Muster, bei dem der
Komponist uns gewissenmassen beim Schoepfungsakt zusehen laesst, bis das
Hauptthema mit dem forte-Einsatz fertig dasteht (Ist das korrekt so?).
Fuer mich ist das Hautthema schon beim Beginn spannungsgeladen. Die
Spannung wird durch den Fugato-Stil und durch die kontrapunktische
Motive weiter aufgeladen und findet in der Forte-Stelle ihre erste
Entladung aber auch neue Nahrung: Das Haupthema erscheint ja nicht in
reiner Form, sondern in Reibung mit einem der Kontrapunkte.

> > > bis es beim forte-Hoehepunkt
> > > anlangt. Und genau da kehrt er zur 'normalen' Satztechnik zurueck.

> > Ich sehe nicht, dass Mozart von da


> > an seine Satztechnik aendert. Er kontrapunktiert weiterhin: bis zur
> > Schlussgruppe der Exposition, in der Durchfuehrung und in der Coda der
> > Reprise.
>
> Aber nicht mehr im Stil eines Fugato. Zumindest an T 45 nicht mehr.
>

Richtig! Wir haben in der Ouvertuere drei Stilelement: Den Fugatostil,
den Mozart ausser im 4. Satz der Jupiter Sinfonie sonst nicht verwendet
hat (richtig so?), die kontrapunktische Verarbeitung von Themen und
Motiven, die bei Mozart seit (?) den Haydn-Quartetten nicht selten ist,
und die "normale" motivisch-thematische Arbeit. Hier sehe ich keinen
Dissens zwischen uns. Vielmehr glaube ich, dass Folgendes auch auf deine
Zustimmung stoesst: Ungewoehnlich in der Zauberfloeten-Ouvertuere
scheint mir die auf Beethoven hinausweisende Technik zu sein, das
Hauptthema zum Traeger des gesamten Satzes zu machen. Gibt es das sonst
noch bei Mozart?

Ende von Teil 2

Es gruesst Hans-Hagen

Johannes Roehl

unread,
Dec 6, 1999, 3:00:00 AM12/6/99
to
---Ouverture----

Nur eine kurze Anmerkung: im ersten Satz der Sinfonie KV 504 finden sich
sowohl fugato-Elemente als auch ein sehr aehnliches Thema (Achtel und
Doppelschlag oder wie das Ding heisst).
Weitere Beispiele (ausser in Quartetten und Kirchenmusik) fuer
ausgepraegte Kontrapunktik sind die Konzerte KV 449 und 459

Johannes

--
IDIOT,n.
A member of a large and powerful tribe whose influence in human
affairs has always been dominant and controlling.


Peter Brixius

unread,
Dec 6, 1999, 3:00:00 AM12/6/99
to
Lieber Hans-Hagen,

leider komme ich erst jetzt dazu, auch meine Beitrag zu leisten. Aber
besser spaet als nie ... (Einvernehmliches gesnippt)

In article <3842EDB7...@gmx.net>, hhha...@gmx.net says...


>
> erlaubt mir, dass ich mich in eure Diskussion einklinke. Nachdem Peter
> uns die Deutungen von Schumann, Csampai und Renner gepostet hatte, war
> ich schon drauf und dran, die 15-seitige Analyse von Stefan Kunze
> einzuscannen und mir die Muehe zu machen, sie zu einem Exzerpt zu
> verschlanken, eil ich sie fuer das beste halte, was ich bislang gelesen
> habe. Da kam am Mittwoch zum Glueck Entwarnung, als Peter ankuendigte,
> er werde auf diesen Text selbst eingehen. Ich will dem nicht vorgreifen
> und gehe auf Gedanken ein, die relativ unabhaengig von Kunzes Analyse
> sind.
>

Auf die Interpretation von Kunze komme ich gerne im Zusammenhang mit der
von Dir dankenswerterweise hergestellten Zusammenfassung. Ich finde die
Analyse hoechst interessant - aber die Interpretation scheint mir nicht
zwingend aus dem Analysierten hervorzugehen. Zum Weiteren siehe dort ...



> Die Ouvertuere zur Zauberfloete gehoert fuer mich zu den am meisten
> gehoerten Werken, nicht nur, weil ich sie mich immer wieder beeindruckt,
> - da gibt es noch vieles andere - sondern weil sie mir so raetselhaft
> ist. Jedesmal, wenn ich sie hoere, stelle ich fest: Das ist perfekte
> Musik und zwar auch dann, wenn ich das Gefuehl habe: Fuer eine
> Ouvertuere ist sie eigentlich zu lang!

Von der Anzahl der Takte sind ja z.B. Cosi (261) und Don Giovanni (298)
deutlich laenger als die Zauberfloete (226), von der durchschnittlichen
Dauer her ist die Zauberfloeten-Ouvertuere zwar die laengste im Vergleich
der letzten Mozart-Ouvertueren (Toscanini 1937: 6:26, Karajan 1950: 7:04,
Furtwaengler 1951: 7:16, Gardiner 5:55), doch es gibt durchaus laengere
Ouvertueren (etwa zu Zaide oder zu Lucio Silla). Was sie so lang
erscheinen laesst, ist das gewaehlte Tempo und die Bedeutsamkeit ihres
mueikalischen Ablaufes. Und da ist sie wahrlich nicht einfach eine
"frohgemute" Einstimmung auf das folgende Musikdrama.

> Doch wenn ich frage, warum sie
> perfekt ist, versinke ich in Ratlosigkeit.

(BTW: So geht es mir immer, wenn mir etwas perfekt erscheint.)

> Und bei der Konsultation von
> mhr oder weniger bedeutenden Autoren, ging es mir bislang wie Manfred.
> Aber es kann doch kein Zufall sein, dass sich selbst Csampai, der sich
> sonst an die musikalischen Strukturen haelt, bemuessigt fuehlt, in die
> Musik eine Story hineinzulesen, um sie anschliessend aus der Musik als
> eindeutige Botschaft herauszuhoeren. Ich werde mich hueten, Manfred nun
> meinerseits eine Geschichte aufzutischen, moechte aber einige Stellen
> seines Postings aufgreifen und ein paar - hoffentlich -
> weiterfueherenden Gedanken beisteuern. Man moege es dem Laien aber
> nachsehen, wenn er die Fachbegriffe nicht immer "in the matter of art"
> verwendet!
>

[snip]

>
> > Mal davon abgesehen: gerade diese Verwicklungen der Durchführung sind es
> > doch, die nicht unerheblich dazu beitragen, daß dieses energiegeladene,
> > munter daherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht.
> >
> :-) Wenn ich dich richtig interpretiere, ist fuer dich der Gegensatz
> zwischen der "getragenen Feierlichkeit", die zu Beginn durch die drei
> Akkorde plus Adagio repraesentiert wird, und dem Fugatothema der
> Exposition massgebend. Im Durchfuehrungsteil tritt dieser Gegensatz als
> Gegenueberstellung des Dreiklangs und der vom Fugatothema bestimmten
> eigentlichen Durchfuehrung en miniature erneut auf, bis in der Reprise
> das - wiederum vom Fugatothema gepraegte - "energieladene, munter
> deherrumpelnde Es-Dur als ebensolches dasteht". Deiner Gedankenfuehrung
> ist deutlich anzumerken, wie angestrengt du nach einem - mit der
> "getragenen Feierlichkeit" korrespondierenden - Attribut fuer das
> Fugatothema suchst.. Damit steckst du freilich in einem Dilemma, denn
> das gesuchte Attribut darf ja - weil das Fugatothema anscheinend die
> Oberhand behaelt - die positiv konnotierte "getragene Feierlichkeit"
> nicht negieren, sondern muss sie auf einer hoeheren Ebene aufheben.
> Ich hoffe, dass ich dir deine Suche insofern erleichtere, als du meinen
> Ausfuehrungen entnehmen kannst, dass der Gegensatz, mit dem du dich
> abplagst, nicht existiert. Das Fugato-Thema, das ist die Oevertuere
> selbst, alles andere fuehrt - wie die Einleitun auf das Thema zu oder
> ist Bestandteil der Entwicklung, der das Thema unterworfen ist und die
> dieses Thema zugleich vorantreibt. Die endgueltige Erleuchtung wird dir
> dann Peter bringen :-)
>

bzw. der zitierte Kunze :-))

[snip]

> > Mozart setzt hier das Thema piano
>
> allerdings im Wechsel von piano (im ersten Taktteil) und forte (im
> letzten Taktteil) - das Thema "rumpelt" oder spannt also schon von
> Anfang an ;-)
>
> > und unisono an und läßt es als Fugato
> > durch die verschiedenen Register wandern,
>
> und kontrapunktiert es mit mehreren Motiven - vor allem mit zweien, die
> auch in der Folge mit dem Fugatothema, oder dessen Motivpartikeln,
> kontrapunktiert werden: Der abwaertgerichtete Halbtonschritt aus einer
> halben und viertel Note (zuerst in Takt 22ff ) und die aus einem Viertel
> und sechs Achteln bestehende diatonische Abwaertsbewegung (zuerst in
> Takt 26). Was ich damit sagen will. Das Thema ist schon von beginn an
> aeusserst komplex.
>

Und das ist ein Kennzeichen eines guten Fugenthemas - und auch ein im
fugato gefuehrtes Thema braucht seine Charakteristika.

[snip]


>
> > > Mir scheint die Deutung Renners die einleuchtendste ...
> >
> > Mir auch, trotz der angemeckerten Punkte... :-)
>
> Wenn ich schon von einem der drei Gerichte essen muss, dann von dem
> Csampais :-)

Das Problem scheint mir die kuehne Semantisierung zu sein, die Csampai
vornimmt.

> Auf die Gefahr hin, dass ich dir jetzt ungeniessbare Kost vorsetze, will
> ich zum Abschluss doch versuchen, nach dem droegen Rumstoebern in der
> Partitur auch etwas ueber mein subjektives Empfinden beim Hoeren der
> Ouvertuere zu vermitteln. Vielleicht wird dir meine Sicht damit auch
> klarer. Mein erster Eindruck ist aehnlich wie bei dir. Feierlichkeit!
> Allerdings bezieht sich dieser Eindruck auf das ganze Werk, mit einem
> Wechsel von "milder", "strenger" und "festlicher" Feierlichkeit;
> "getragene" Feierlichkeit hoere ich freilich nicht heraus ;-)

Das kommt auf den Interpreten an, bei Furtwaengler laesst sich das schon
hoeren - und ist auch so gemeint.

> Die zweite
> Assoziation ist: Energie! Das beginnt schon mit den Dreiklangs-Akkorden,
> denen - wie Stefan Kunze zu Recht bemerkt, - bei allem ihres statischen
> Charakter schon Bewegung innewohnt. Auf den feierlichen Auftakt folgt
> tastendes, aber vorwaertsdraengendes Suchen, bis die Kadenz mit der
> ehernen Logik, die sie in der Wiener Klassik hat, die Grundtonart des
> Hauptsatzes herbeizwingt.

Ich denke, dass dieser Eindrueck des energischen Draengens auch von den
dynamischen Akzenten herkommt (die "sf", "mfp" und "fp").

> Ich vermag hier, wie Csampai, durchaus so
> etwas wie einen Schoepfungsakt zu sehen, doch beschraenkt sich das nicht
> auf dieses sinfonische Werk. Von dieser Art von Einleitung gibt es in
> der Wiener Klassik Dutzende bis hin zu Meister Haydns buchstaeblichem
> Schoepfungsakt: Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Liiiiicht.
> Und Got sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied das Licht von
> der Finsternis.
>

... aber doch nicht die kosmische Ausweitung bis auf das zitierte Gewuerm
und die Baeren ...

> Auch im folgenden Allegro sind meine Assoziationen denen Csampais nicht
> unaehnlich. Der "strenge" Fugenstil erinnert an Arbeit und Anstrengung,
> an eine Werkstatt, in der sich die Materie reibt, in der gehobelt wird
> und auch die Spaene fliegen. Auch Humor ist dabei, aber nicht die Musik
> macht mich schmunzeln, sondern die Assoziationen, die sie bei mir
> ausloest;-). Vor allem aber nehme ich Energie war, die - wie ich oben
> beschrieben habe - das Geschehen fast aus der Balance bringen.

... und da ist es vor allem Toscanini, der dies hoerbar macht ... (Obwohl
bei ihm das Fugato nicht so gedankenschwer erscheint - auch eher
konsequent in seinem Vorwaertsstuermen als etwa streng)

> Der
> "beilaeufige" Seitensatz steuert der Strenge und Schwere voruebergehend
> Witz und Leichtigkeit bei, bis die Schlussgruppe die Bewegung auffaengt
> und in eine festliche Feierlichkeit muenden laesst. Die Enegie ist nicht
> voellig entladen - wir befinden uns ja noch auf der Dominante - , aber
> dennoch erwarte ich nun nicht wie im Konzertsaal die Duchfuehrung,
> sondern dass sich im Theater der Vorhang hebt.
>
> Der folgende feierliche Dreiklang befoerdert den Theatereffekt, denn
> normalerweise pflegt die Exposition unmittelbar in die Durchfuehrung
> ueberzugehen. Der von mir - und von Johannes Roehl - mehrfach zitierte
> Charles Rosen (Der klassische Stil) bezeichnet Mozart als denjenigen
> unter den drei Wiener Klassikern, dessen Instrumentalmusik Naehe zum
> Theater hatc(vgl. z.B. den in der Regel theatralische Einsatz des
> Solisten in Instrumentalkonzerten). Ich glaube, diesen Gedanken auch auf
> diese Ouvertuere uebertragen zu koennen. In ihr vollzieht sich
> Musiktheater. Das einleitende Adagio ist in diesem Theater die
> Ouvertuere, die den Vorhang zur Handlung eines ersten Aktes oeffnet.
> Wohlgmerkt: eines rein musikalischen Aktes, der mit dem ersten Akt der
> Zauberfloete unmittelbar nichts zu tun hat und in dem auch keine
> Personen aus der Oper auftreten. Die Durchfuehrung ist in diesem
> Musiktheater die Orchestereinleitung zum zweiten musikalischen Akt.
>

das sind wir uns einig

> Obwohl beide Akte aus dem gleichen musikalischen Material modelliert
> sind, sind sie in ihrem Charakter doch verschieden. Das beginnt schon
> mit dem Dreiklang zum Beginn der Durchfuehrung. Das jeweils zweimalige
> Erklingen der Akkorde nimmt etwas von der Energie de ersten Aktes und
> gibt psychischen Spielraum fuer den eher komtemplativen Charakter der
> Durchfuehrung. In ihr herrscht auch ein anderer Ton als im Hauptsatz der
> Exposition. Riecht es dort nach strenger und nuechtener Arbeit, so
> spuere ich in der Durchfuehrung aehnliches wie Csampai: Es "menschelt",
> es herrscht ein Hauch von klagender Einsamkeit. Dieser Eindruck wird
> insbesondere durch die viermalige Sequenz hervorgerufen, in der das
> erste und einzige Mal in diesem Werk zwei musikalische Gedanken
> unvermittelt konfrontiert werden (vgl. oben). Dieser Stillstand wird
> durch den jaehen Einbruch strengster Kontrapunktik abgebrochen, der
> uebergangslos in die Reprise ueebergeht. Hier geht es nicht mehr nur um
> Arbeit, sondern um schmerzhafte Pruefung. Die Bewegung ist wieder voller
> Energie, bis im Seitenthema die Reminiszenz an die Sequenz aus der
> Durchfuehrung die Spannung fuer einen Moment versoehnlich aufhebt. An
> der festlichen Feierlichkeit, mit der die Coda ausklingt ist - anders
> als in der Schlussgruppe der Exposition auch das Fugatothema beteiligt.
>

zu der Pruefungsthematik dann bei Kunze ...



> Ich habe einen der hoechsten Gipfel der Wiener Klassik hinter mir und
> erlebe - wieder im Tal angekommen - noch eine letzte Ueberraschung: So
> als seien sie in einem Zug komponiert worden, geht die Oevertuere
> psychisch nahtlos in die Introduktion ueber. Und jetzt "menschelt" es
> auch wirklich: Jetzt erscheint Tamino in unmittelbarer schmerzlicher
> Aktion.
>

Ich kann Deine vom Musikalischen bewegte Eindruecke durchaus
nachvollziehen, es sind durchaus verstaendliche gedanklich-
emotionale Zuordnungen - nur halte ich sie nicht fuer intersubjektiv
zwingend (v.a. die Begriffe "Arbeit" und "schmerzhafte Pruefung")

Bis spaeter gruesst Peter

--
Wenn einem die Meinungen der Besten ueber eine Sache alle bekannt
geworden sind, so laesst sich mit blosser Schlauigkeit oder wenigstens
sehr geringer Faehigkeit noch etwas darueber sagen, was die Welt in
Erstaunen setzt. (Lichtenberg)

Peter Brixius

unread,
Dec 7, 1999, 3:00:00 AM12/7/99
to
Liebe NGler,

ich habe mich ja schon an und ab ueber Rezensionen im Fono Forum
beschwert, jetzt moechte ich eine mit Nachdruck loben, diejenige von
Andreas Friesenhagen zu Mozart? u.a.: Der Stein der Weisen. Ausfuehrlich
und nachvollziehbar wird der Stand der Dinge mitgeteilt. Waehrend der
Artikel im Rondo 5/99 (Autor Oliver Buslau) noch unter falscher Flagge
segelt (A bisserl Mozart), macht Friesenhagen klar: "Es gibt keine
stichhaltigen Beweise dafuer, dass auch nur eine Note von Mozart
komponiert wurde." Die Komponisten (Henneberg, Schack, Gerl und
Schikaneder) bieten "durchschnittliche Kost".

Buslau setzt deutlich mehr auf Buchs Ansicht (David Buch hatte 1996 die
Notenmanuskripte wiederentdeckt), von der sich die Editionsleitung der
NMA auf der Tagung des Zentralinstituts der Mozartforschung 1999
distanzierte, "bei einhelliger Zustimmung der Gelehrtenschar"
(Friesenhagen). Und so steht einiges Schiefe im Rondo-Artikel.
Schikaneder wird charakterisiert als "Impresario des Wiener Theaters an
der Wieden und Autor populaerer Libretti, aus denen so genannte
'Volksopern' wurden." (Der Begriff Volksoper scheint mir in diesem
Zusammenhang fragwuerdig) Schikaneder habe sich der Mitarbeit Mozarts
versichert, dass Mozart mitgemacht habe, habe seinen Grund in dessen
notorischer Geldnot gehabt usw. Buslau hoert denn auch viele Anklaenge an
die Zauberfloete.

Ueber die Einspielung sind sich beide Rezensenten weitgehend einig:
Farblosigkeit in der Interpretation, saengerische Maengel, laecherlicher
amerikanischer Akzent in den Dialogen (Buslau). Dem Orchester attestiert
Friesenhagen noch farbige, transparente Diktion.

Interessant ist diese Produktion eigentlich nur fuer hardcore-
Zauberfloeten-Fans. Die angeblich zu findende Wasser- und Feuerprobe wird
man vergeblich suchen. Bis in die 50er war das Libretto nicht bekannt -
in ihm kommt so etwas nicht vor ... Aber dafuer wieder eine Schikaneder
auf den Leib geschriebene Kasperl-Rolle als verlassener Ehemann, dessen
Frau Abenteuer bei einem boesen Zauberer sucht - aber am Ende
zurueckkehrt, wie im richtigen Leben :-)

Es gruesst Peter

--
Es ist jeder Zeit eine sehr traurige Betrachtung fuer mich gewesen,
dass in den meisten Wissenschaften auf Universitaeten so vieles vor-
getragen wird, das zu nichts dient, als junge Leute dahin zu bringen,
dass sie es wieder lehren koennen. (Lichtenberg)

Manfred Russ

unread,
Dec 8, 1999, 3:00:00 AM12/8/99
to
Am Mon, 06 Dec 1999 01:10:18 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:

> Teil 2: Einleitendes Adagio und Hauptthema

> Zum einleitenden Adagio:


>
> > > Die zweite
> > > Assoziation - neben Feierlichkeit - ist: Energie! Das beginnt schon mit
> > > den Dreiklangs-Akkorden, denen - wie Stefan Kunze zu Recht bemerkt, - bei
> > > allem ihres statischen Charakter schon Bewegung innewohnt.
> >
> > Ja! Und zwar - wie gern uebersehen wird - weil sie eine kadenzierende
> > Bewegung eroeffnen.
>
> Ja! Da koennen wir bei Kunze einiges nachlesen.

Oder bei Mozart. :)

Jetzt komm ich auch wieder darauf, was mich bei den 'Original'-
Dreiklangs-Akkorden (Beginn der Df.) so dermaßen nervt: das indifferente
Klangbild, genauer: ich kann den Dreiklangsaufstieg nicht wahrnehmen.
Weil das Blech immer stur die gleichen Töne tutet und die Holzbläser
darin untergehen. Die Kontur der Oberstimme verschwimmt völlig. (Wie ist
das bei historischen Aufnahmen?) Mich stört es, weil es sich anhört, als
ändere sich der Akkord nur hinsichlich der Obertöne - wie bei
verschieden starker Mixtur der Orgel. (Diese Aversion ist ganz
unabhängig davon, ob diese Klanggestalt Mozarts Intention ist oder
nicht; zuweilen stellt sich der Eindruck ein, diese Sarastrowelt, das
muß ja sowas von tranig sein...)


> Zum Charakter des Hauptthemas des Allegro:
>
> > Noch eine Frage zum Takt:
> > Laut meines Klavierauszugs beginnt das ganze alla breve, adagio.
> > Und dabei bleibt es. Findet beim Allegro wirklich kein Wechsel zu 4/4
> > statt?
> >
> das wuerde mich auch interessieren. Dafuer spricht vielleicht, dass der
> forte- bzw sforzato-Akzent auf dem vierten Taktteil liegt??

Wie ist das gemeint? Du sprichst hier eigentlich im Konjunktiv?


<heftig gekürzt>


> > > Der "strenge" Fugenstil erinnert an Arbeit und Anstrengung,
> > > an eine Werkstatt, in der sich die Materie reibt, in der gehobelt wird
> > > und auch die Spaene fliegen. Auch Humor ist dabei, aber nicht die Musik
> > > macht mich schmunzeln, sondern die Assoziationen, die sie bei mir
> > > ausloest;-).
> >
> > Bei mir die Musik. Angefangen von dem unverschaemt ueberrumpelnden Einsatz
> > bis hin zu den unverschaemt trivialen Achtelrepetitionen mit der
> > quicken Doppelschlagfigur und schliesslich der schiefen Taktmetrik
> > (ausgerechnet der Takt, der kontrapunktisch bedeutsam wird, ist
> > 'ueberzaehlig').
>
> > Erst die feierliche, aber doch dramatische Einleitung schafft die noetige
> > Fallhoehe fuer den Themeneintritt; all diese Kontraste verstaerken die
> > Wirkung der fugato-Musik als <passendes Attribut einfuegen>.
>
> :-) Das finde ich sehr gut beschrieben. Allerdings habe ich den
> Eindruck, dass der Charakter des Hauptthemas zunehmend irrelevant wird,
> weil es fuer Mozart im folgenden nur noch Steinbruch fuer die
> kontrapunktische und motivische Arbeit wird. Dadurch wird es wesenlos
> und seelenlos.

Ich habe lang darüber nachgedacht. (Auch über evtl. ähnlich gelagerte
Fälle.) Aber das erschließt sich mir nicht.
Weder in Hinsicht auf einer Änderung des Themencharakters (à la 'das
Thema wirkt abgenutzt, wird langweilig') noch analytisch ('das Thema
vermag nicht mehr, die im innewohnende Spannung, Energie, <was-auch-
immer> zu transportieren'; 'das Thema ist derartigen Prozessen
unterworfen worden, daß eine (affirmativ angelegte) Reprise scheitern
muß').

> Zur Exposition des Hauptthemas:
>
> > > > Oftmals laeuft die Setzung des Themenmaterials in zwei (bzw. drei) Phasen
> > > > ab. Das Thema wird erst mal vorsichtig, piano (oft unisono) vorgestellt,
> > > > um nach einer mehr oder minder langen Ueberleitungsphase im forte (oft
> > > > tutti) praesentiert zu werden. Was oft wie eine Bestaetigung des zuerst
> > > > eher zaghaft angesetzten Themas wirkt.
>
> Du hoerst die Exposition des Hauptsatzes nach dem Muster, bei dem der
> Komponist uns gewissenmassen beim Schoepfungsakt zusehen laesst, bis das
> Hauptthema mit dem forte-Einsatz fertig dasteht (Ist das korrekt so?).

nicht ganz. (Schöpfungsakt ist für meine Begriffe schon zuviel gesagt.)
"Fertig dastehen" tut es nicht erst bei der forte-Stelle - es wird eben
bestätigt.
Ich erkenne nur ganz allgemein das Muster wieder, daß etwas piano
vorgestellt wird, um alsbald forte loszulegen, 'die Sau rauszulassen'.
Der Effekt ist einfach ein anderer, als wenn gleich forte begonnen
würde.

> Fuer mich ist das Hautthema schon beim Beginn spannungsgeladen.

Ja.

> Die
> Spannung wird durch den Fugato-Stil und durch die kontrapunktische
> Motive weiter aufgeladen

Hm. Ohne kontrapunktische Motive kein fugato-Stil. Oder sehe ich das
falsch? :-)

> und findet in der Forte-Stelle ihre erste
> Entladung aber auch neue Nahrung: Das Haupthema erscheint ja nicht in
> reiner Form, sondern in Reibung mit einem der Kontrapunkte.

Reibung? Nicht mehr als zuvor auch.
Aber so, wie Mozart das handhabt, würde ich das unter thematisch-
motivische Arbeit im weiteren Sinne einordnen (und nicht etwa nur einen
doppelten Kontrapunkt konstatieren, T. 39/41 und 43/47 - wenn ich
richtig gezählt habe, ist T.39 Orchestertutti).



> > > > bis es beim forte-Hoehepunkt
> > > > anlangt. Und genau da kehrt er zur 'normalen' Satztechnik zurueck.
>
> > > Ich sehe nicht, dass Mozart von da
> > > an seine Satztechnik aendert. Er kontrapunktiert weiterhin: bis zur
> > > Schlussgruppe der Exposition, in der Durchfuehrung und in der Coda der
> > > Reprise.
> >
> > Aber nicht mehr im Stil eines Fugato. Zumindest an T 45 nicht mehr.
> >
> Richtig! Wir haben in der Ouvertuere drei Stilelement: Den Fugatostil,
> den Mozart ausser im 4. Satz der Jupiter Sinfonie sonst nicht verwendet
> hat (richtig so?),

Sinfonische Musik? Bin ich überfragt.

> die kontrapunktische Verarbeitung von Themen und
> Motiven, die bei Mozart seit (?) den Haydn-Quartetten nicht selten ist,
>

da erinnere ich mich an eine Fuge im Finale des G-Dur-Quartetts. Ich
hoffe, ich erinnere mich richtig...


> und die "normale" motivisch-thematische Arbeit. Hier sehe ich keinen
> Dissens zwischen uns. Vielmehr glaube ich, dass Folgendes auch auf deine
> Zustimmung stoesst: Ungewoehnlich in der Zauberfloeten-Ouvertuere
> scheint mir die auf Beethoven hinausweisende Technik zu sein, das
> Hauptthema zum Traeger des gesamten Satzes zu machen. Gibt es das sonst
> noch bei Mozart?

Dazu kenne ich zu wenig.


Manfred

Manfred Russ

unread,
Dec 8, 1999, 3:00:00 AM12/8/99
to
Am Mon, 06 Dec 1999 01:09:55 +0100 schrieb Hans-Hagen Haertel:

> Ich hoffe, auch in deinem Sinne zu handeln, wenn ich
> versucht habe, unsere gelegentlich verwickelte Diskussion thematisch zu
> entzerren und die noch bestehenen Unterschiede transparent zu machen.

Sehr. :-)
Die 800-Zeilen-Brocken sind zwar recht imposant, aber (für meine
Begriffe) etwas unhandlich. Um den Faden nicht zu verlieren, müßte ich
sie ausdrucken, bekritzelnd bearbeiten und dann alles wieder
einarbeiten.

> Teil 1: Allgemeines zur Ouvertuere

[Ouverture zu lang?]

> > Und Don Giovanni? *g*
>
> Wenn du so gemein fragst, muss ich notgedrungen antworten: ja, auch!
> Wobei beim Don Giovanni die Durchfuehrung unbedingt dazu gehoert, dieses
> verzweifelte Ausweichen der Muecke vor der staendig auf sie
> niedergehenden Fliegenklatsche, das weist doch auf das kommende
> Buehengeschehen hin, in dem Don Giovanni gewissermassen die Luft zum
> Atmen genommen wird ;-)

Ähm - naja. Das Ding heißt immerhin dramma _giocoso_.
(Auf 'zu lang' gehe ich später ein.)

--
Exkurs:
ich nehme an, Deine Assoziation 'Fliegenklatsche' hat ihren
Ursprungnicht so sehr in einer Analyse des Notentextes, sondern spiegelt
eher ein indifferentes Gefühl beim Hören dieser Musik wider. An die Df.
kann ich mich im Augenblick nicht erinnern, möchte aber in dieser
Richtung beisteuern, daß auch ich - trotz allem heiteren D-Dur - mich
während des Allegro-Teils immer sehr unbehaglich fühle. Der Notentext
gibt nur wenig her, woran ich das festmachen könnte. Zu wenig, um die
Ambivalenz, die ich hörend wahrnehme, dingfest zu machen. Daran, daß
diese ungeheure Introduktion vorausgeht und das Allegro "irgendwie" in
dessen Schatten stünde, liegt's nicht.
--

> "Zu lang" finde ich auch die Ouvertuere zum
> Freischuetz mit ihrem aufgesetzten Happy End ;-)

Das hat mich auch immer etwas befremdet.
Weiß jemand, ob manche Zeitgenossen dies auch so gesehen haben?


> Die Frage nach der Laenge einer Ouvertuere laesst sich nicht anhand der
> Stoppuhr beantworten. Es geht vielmehr um die Frage, ob die Form des
> Sonatensatzes, die ja den Vollzug eines dramatischen Geschehens bis zur
> engueltigen Loesung verlangt, nicht vom Theater, in das die Ouvertuere
> einfuehren soll, ablenkt.

Die Form des Sonatensatzes an sich nicht. Man müßte unterscheiden
zwischen Ouvertüren, die dem Hörer das Handlungsgeschehen in kompakter
Form verabreichen, bzw. zentrale Punkte der Handlung zusammenfassen, und
solche, die eigentlich nichts weiter sind als eine sinfonia.

Die der ersten Kategorie müssen dabei nicht unbedingt der Sonatenform
folgen. (Auf Anhieb fallen mir da ein: Leonore 2, Freischütz, Holländer,
Rienzi, Parsifal)


> Psychologisch gesehen: Die Ouvertuere baut in
> der Exposition Spannung auf, die nicht in das Buehnengeschehen
> ueberfuehrt wird, sondern erst einmal instrumental abgefuehrt wird, so
> dass zu Beginn der Buehnenhandlung die Spannung wieder neu aufgebaut
> werden muss.

Sehe ich nicht ganz so. Es wird dem Publikum erst mal hane gebracht,
worum's denn im Groben so geht. Das kann auf ganz unterschiedliche Weise
geschehen, etwa daß die Handlung zu einer Art sinfonischer Dichtung
komprimiert wird (daher der Begriff 'Dichtung' :-)) wie im Freischütz
oder der Leonore, oder daß gewisse zentrale punkte der Handlung
abgebildet werden und dabei ein musikalisches Stimmiges bilden (Hänsel
und Gretel, Rienzi (?), die lustigen Weiber von Windsor) oder eher
ein Potpourri (Macht des Schicksals, Nabucco, diebische Elster; das ist
übrigens nicht abwertend gemeint).

Ich sehe es verleichbar dem, was oft hinten auf Büchern als kurzer
Abriss zu lesen ist.

Daß die Spannung weg sein kann, liegt in der Natur der Sache (sprich
Reprise/Coda) und kann durch geschickte Überleitung (wie im Don
Giovanni), aber auch durch Abbruch und nahtloser Überleitung in die
Handlung umgangen werden (wie z.B. Entführung, ähnlich Tannhäuser).


> Nun hatte Mozart genug Theaterinstinkt, um dieses Problem
> zu sehen. In der Zauberfloete ist die Enegie der Ouvertuere nach der
> Coda keineswegs verpufft.

Das ist sie schon (ungeachtet dessen, das ich das selbst etwas anders
sehe - ich versuche nur, Deinen Blickwinkel beizubehalten), nur ist
diese "Energie der Ouvertüre" sofort wieder präsent, sobald die
Introduktion zur ersten Szene einsetzt. (Ähnlich: Holländer, AFAIR auch
Freischütz)

> Der Uebergang zur Introduktion ist psychisch
> voellig stimmig, und - wie du in deiner Replik unterstrichen hast -
> auch musikalisch stimmig. Im Don Giovanni haelt Mozart die Spannung
> durch den offenen Uebergang in die erste Szene aufrecht.

(inwieweit war das zu Mozarts Zeiten eigentlich üblich?)

<Rest einvernehmlich gesnippt>

> Schwerer tue ich mich mit dem Freischuetz.

Ohja. *seufz*

[...]

> Da Weber ein
> erfahrener Theatemann war, fuehle ich mich aufgerufen, nach der
> dramatische Funktion dieses - wie ich finde - aufgesetzten Schlusses
> zu fragen.

Me too.

Ich habe so das dumpfe gefühl, man kommt dem näher, wenn man die Oper
selbst zerpflückt. Ich habe zwar eine ungefähre Vorstellung davon, was
mit dieser Ouvertüre los ist, finde aber - zumindest momentan - nicht
die passenden Worte.


[Kunze)


> "Beethovens Ouvertueren, die zum Egmont und zum Coriolan, vor allem aber
> die 3. Leonoren-Ouvertuere gaben Vorbilder ab, doch - wie Wagners Tadel
> der 3. gegenueber der 2. Leonoren-Ouvertuere zeigt - in wesentlichen
> Punkten missverstandene. Der ideelle Handlungsgehalt der Oper zielte in
> der 3. Leonoren-Ouvertuere auf autonome Konstruktion ab.

Weswegen diese auf mich den Eindruck einer Konzert-Ouvertüre macht, die
als Einzelstück gespielt werden will. (Wie auch die zur Entführung oder
Tannhäuser oder auch das Tristan-Vorspiel, die zu diesem Zweck
alternative Schlüsse haben.)

> Fuer Wagner war primaer, was fuer Beethoven
> offenkundig sekundaer gewesen war: der programmatische Vorwurf.

Wie "offenkundig" ist das eigentlich? Ich meine: gibt es Äußerungen von
Beethoven, die das Nachtragen der Reprise in der Leonore 3 erklären?


--


Eigentlich könnte ich dazu noch einiges schreiben, aber vielleicht
ergibt sich das ja noch ...

Manfred

Johannes Roehl

unread,
Dec 9, 1999, 3:00:00 AM12/9/99
to
On Wed, 8 Dec 1999, Manfred Russ wrote:

---ganz viel gelöscht---

> > > Aber nicht mehr im Stil eines Fugato. Zumindest an T 45 nicht mehr.
> > >
> > Richtig! Wir haben in der Ouvertuere drei Stilelement: Den Fugatostil,
> > den Mozart ausser im 4. Satz der Jupiter Sinfonie sonst nicht verwendet
> > hat (richtig so?),
>
> Sinfonische Musik? Bin ich überfragt.

Kurze Fugato-Abschnitte (oft nur 2-stimmig) kommen in den Durchführungen
vieler klass. Sinfonien (und Quartette) vor. Verwandt (auch thematisch)
mit der Zauberfloetenouverture, allerdings viel dramatischer, ist der
erste Satz der Sinfonie KV 504

> > die kontrapunktische Verarbeitung von Themen und
> > Motiven, die bei Mozart seit (?) den Haydn-Quartetten nicht selten ist,
> >
> da erinnere ich mich an eine Fuge im Finale des G-Dur-Quartetts. Ich
> hoffe, ich erinnere mich richtig...

ja so eine Pseudo-Fuge in K 387 und natürlich die Konzerte KV 449 und
KV 459

> > und die "normale" motivisch-thematische Arbeit. Hier sehe ich keinen
> > Dissens zwischen uns. Vielmehr glaube ich, dass Folgendes auch auf deine
> > Zustimmung stoesst: Ungewoehnlich in der Zauberfloeten-Ouvertuere
> > scheint mir die auf Beethoven hinausweisende Technik zu sein, das
> > Hauptthema zum Traeger des gesamten Satzes zu machen. Gibt es das sonst
> > noch bei Mozart?
>
> Dazu kenne ich zu wenig.

Das weist nicht unbedingt auf Beethoven; fast monothematische Sätze
(Überleitungsmotive etc. gibt es natürlich immer) gibt es bei Haydn
massenweise, Bei Mozart gilt (wohl auch zu recht) der erste Satz von K 385
als monothematisch.

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