On Thu, 6 May 2021 21:38:39 +0200, Thorolf wrote:
> Ralf Kiefer schrieb:
>> Wenn Argumente fehlen, wird diese Schublade geöffnet.
> nein, sondern wenn pauschal die Öffentlich-Rechtlichen diffamiert
> werden. So wie Du das machst, nur weil Du eine Motorrad-Abenteuer-Tour
> dilettantisch findest.
Trotz allem muß ich Ralf jetzt mal beispringen, es geht halt - wie so oft -
um den Ton, der die Musik macht. Ralfs Wortwahl mag von einer gewissen
entrüsteten Enttäuschung oder auch Frustration geprägt sein. Wollen wir
uns vielleicht nochmal den Stein des Anstoßes vergegenwärtigen?
https://programm-stage.ard.de/TV/Untertitel/Nach-Rubriken/Dokus--Reportagen/Alle-Dokus/?sendung=284864009332168
"[...] Eine Reise-Dokumentation, die mit außergewöhnlichen
Landschaftsaufnahmen von unbekannten Regionen Europas und entlegenen
Winkeln Asiens, aber vor allem durch das ehrliche Erleben der
Protagonistin selbst berührt. [...]"
Ob sich die Dame also nun dilettantisch verhält, darf dahingestellt sein.
Das tue ich auch, schreibe drüber und drm lacht. Wenn es aber "Scripted
Reality" bzw. "Reality Soap" ist (was z. Zt. wohl weder Ralf noch ich
beurteilen können), sieht die Sache schon anders aus.
"Easy Rider im Härtetest - Mit Vollgas zu sich selbst" steht ebenfalls in
der Rubrik "Doku & Reportage" und wurde von meinem Namensvetter in
Message-ID: <
if8pm9...@mid.individual.net> mehrfach der
Sinnentstellung überführt. Kann man nun drüber streiten, ob das unter
"erzählerischer Freiheit" zu verorten ist oder eine dreiste Lüge.
Ich habe auch schon ein paar Reportagen gedreht und geschrieben, ebenfalls
unterhaltsam und näher an der Wahrheit. Es kann also klappen. Ob ich damit
mein Geld verdienen könnte? Zweifelhaft. Auch lesen/sehen Menschen
durchaus gerne Märchen (sonst gäbe es Serien wie "Kitchen Impossible",
"Unser Traum vom Haus", "Bitte melde Dich", "Raus aus dem Messie-Chaos",
...) nicht, man muß also nicht Märchen als die reine Wahrheit verkaufen.
Clemens bringt das "System Relotius" in
https://www.mojomag.de/2019/10/gelesen-tausend-zeilen-luege/ recht gut auf
den Punkt, ich will ihm da nicht das Wort reden. Lustig nur, wie es im
Spiegel dann Selbstgeißelung gibt, einen Abschlußbericht, ein Buch
(Spiegel O-Ton: "kraftvolle Analyse des Falls"), aus dem Auszüge
veröffentlicht werden, einen Film (mit Michael "Bully" Herbig als
Regisseur), Juan Moreno erhält eine Auszeichnung als Journalist des
Jahres, usw., usf. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Steve McCurry und sein afghanisches Mädchen kommen mir da in den Sinn:
https://petapixel.com/2016/05/06/botched-steve-mccurry-print-leads-photoshop-scandal/
https://petapixel.com/2016/05/26/photoshopped-photos-emerge-steve-mccurry-scandal/
https://www.diyphotography.net/this-is-the-disturbing-story-behind-the-iconic-afghan-girl-photo/
Die Berichterstattung zu den Hintergründen von "The Last Roll of
Kodachrome" (
https://stevemccurry.com/stories/last-roll-kodachrome) hat
mich ziemlich enttäuscht, da sie Steve McCurry so darstellt, als sei er
mit seiner Analog-Nikon herumgetingelt und hätte - ein Schuß, ein Treffer
- 36 phänomenale Aufnahmen abgeliefert. Tatsächlich schleicht er mit zwei
Bodies und identischen Objektiven herum, seiner heißgeliebten F6 und einer
D3x, wo er sich digital an die gewünschte Bildaussage heranarbeitet um
dann mit genau den Einstellungen und genau der Pose genau einmal analog
auszulösen. Das kann man mit etwas Aufmerksamkeit sogar aus der
National-Geographic-Laudatio "The Last Roll of Kodachrome" (s.
https://youtu.be/DUL6MBVKVLI?t=753) herauslesen.
Nicht, daß die Bilder nicht trotzdem toll wären, aber das Licht strahlt
eben weniger hell und das einfachere Gemüt zieht als Fazit: "Alles Lüge!".
Oder nehmen wir uns diesen heroischen Peter Lik und sein "Moonlit Dreams",
zu dem er sagt:
"This shot has eluded me my entire photographic career" "... I searched for
days to line up this classic tree with the moon" "The golden sphere slowly
rose in front of me" "I pressed the shutter, a feeling I'll never forget.
The moon, tree, and earth."
Ja, nee, ist schon klar: Kein Problem, daß Wolken HINTER dem Mond
verschwinden, keinerlei Dunst zu sehen ist und der Trabant selbst fast
vollkommen pixelidentisch zu einer NASA-Aufnahme ist:
https://petapixel.com/2018/02/06/peter-lik-called-photographers-faked-moon-photo/
https://fstoppers.com/critiques/tale-two-moons-peter-liks-photographs-called-out-science-218194
Ich kann halt einfach freche Lügner nicht leiden. Das ist ja keine kleine
Notlüge oder Angeberei, sondern schlicht zentimeterdick aufgetragener
Werbezuckerguß.
Dann haben wir russische Soldaten auf ukrainischem Territorium, geheime
Mission, eine fehlgegangene Boden-Luft-Rakete, kann im Krieg alles mal
passieren, investigativer Qualitätsjournalismus deckt auf:
https://mh17.correctiv.org/ , Markus Bensmann bekommt dafür den
Grimme-Preis.
Irgendwie bin ich bei Recherchen zum leidlich aktuellen
Boeing-737-MAX-Phänomen (auch das diverse Reportagen wert) auf eine sehr
unterschiedliche Darstellung gestoßen:
https://nuoviso.tv/home/film/mh17-die-billy-six-story, die - auch
angesichts anderer Quellen - gar nicht mal so unplausibel ist.
Alles falsch, erstunken und erlogen, was sich die gemeinnützige
Organisation Correktiv da zusammenphantasiert hat? Legt die Frage nahe,
was wohl an der wie ein Krimi aufgemachten Cum-Ex-Reportage
(
https://cumex-files.com) bzw. der Glaubwürdigkeit des "Insiders" so dran
ist.
Daß kriminelles Dividendenstripping betrieben wurde, steht außer Frage.
Aber wenn ich einen Spielfilm "nach einer wahren Begebenheit" sehen will,
gehe ich ins Kino. Genauso, wie ich von einem "Visual Storyteller" im
National Geographic auch nicht erwarte, daß er seine Geschichte vor
Originalschauplätzen mit Komparsen nacherzählt.
Oder die Wirecard-Sache:
https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/der-fall-wirecard-von-sehern-blendern-und-verblendeten-video-102.html
Was ist dran an Youtube-Kommentatoren, die meinen, unsere Politik sei in
der Reportage noch viel zu glimpflich weggekommen?
Davon ab: Man kann durchaus Struktur in so eine wahre Geschichte bringen,
Prioritäten setzen, irrelevante Stränge weglassen oder mehrere
ausschlaggebenden Protagonisten zusammenfassen, ohne gleich ins Sujet der
total erfundenen Belletristik oder "Reality Soap" abzurutschen. Das ist
dann zwar nicht eine harte, knochentrockene Reihung von neutralen Fakten,
muß eine "Geschichte" aber vielleicht auch nicht sein. Würden die Leute so
eine Geschichte nicht mehr lesen, wenn "Wir haben uns die Freiheit
genommen, Namen zu verändern und die Sache durch Straffungen etwas
kompakter gestaltet." drüberstünde?
Falls ja gäbe es in meinen Augen kein größeres Armutszeugnis im Sinne von
"Bitte, lüg mich an!".
Ist doch vollkommen klar, daß im P.M. Magazin, GEO/NatGeo und selbst im
Spektrum der Wissenschaft/Scientific American keine wissenschaftlichen
Primärquellen drinstehen. Naja, fast keine. Jedes Mal, wenn ich Dinge, von
denen ich ein bisserl Ahnung habe, dort einer etwas gründlicheren Prüfung
unterzog, fanden sich Schlampereien, Verkürzungen, , Vereinfachungen,
Halbwahrheiten und Befindlichkeiten. Insbesondere, wenn der Schreiber aus
dem amerikanischen Sprachraum stammte. Die ganze CO2-Berichterstattung und
Wasserstoffantriebe im SdW sind mir da noch in guter Erinnerung.
Also, ich bin heilfroh, daß es Alternativen zum ÖRR gibt, auch wenn man sie
mit der Lupe suchen muß, meist auf irgendwelchen Wissenschaftsservern. Und
selbst da noch den Ausgang eines Review-Prozesses abwarten, so man selber
fachlich nicht zur Validierung der Aussage imstande ist (Stichwort:
"Predatory Publishing"). Youtube & Co haben da natürlich - milde
ausgedrückt - auch so ihre Probleme mit der Unabhängigkeit und die
Haushalts(zwangs)abgabe nebst dem von Ralf schon mehr als deutlich
dargelegten Filz drumrum ist demgegenüber in fast skandalöser Art und
Weise substanzlos.
> Bin mir ziemlich sicher, dass es viele Zuschauer gab, die den Film gerne
> geschaut haben
... was rein gar nichts daran ändert, daß es sich bei einer Reportage eben
nicht um ein Märchen oder nacherzähltes Hörensagen mit Laiendarstellern
handelt. Nur zur Sicherheit, damit wir uns nicht mißverstehen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Reportage
"[...] Als Reportage [...] bezeichnet man im Journalismus unterschiedliche
Darstellungsformen, bei denen der Autor nicht vom Schreibtisch aus,
sondern aus unmittelbarer Anschauung berichtet. In den Druckerzeugnissen
steht der Begriff gemeinhin für einen dramaturgisch aufbereiteten [...]
Hintergrundbericht, der einen Sachverhalt anhand von konkreten Beispielen,
Personen oder deren Schicksalen anschaulich macht. Während Nachricht und
Bericht Distanz wahren, geht die Reportage nah heran und gewährt auch
Beobachtungen und weiteren Sinneswahrnehmungen ihrer Protagonisten Raum.
[...]
Dem Reporter ist es – im Gegensatz zum Verfasser von Nachrichten oder
Berichten – erlaubt, Fakten durch eigene Eindrücke zu ergänzen, die er –
oft bei Anwesenheit am Ort des Geschehens – gesammelt hat. Idealerweise
erzählt er, ohne dabei zu werten oder zu kommentieren, auch nicht durch
Weglassen. [...]"
> Die gleichen Leute Kaufen auch SUVs und BMW 1299 GS (sofern ein
> Moppedführerschein vorhanden ist) und glauben, dass sie so eine Tour
> auch machen könnten, wenn sie nur wollten - das passende Gefährt haben
> sie ja schon.
Das ist Suggestion und mithin Aufgabe der Werbung. Wegen mir auch der
Schleichwerbung, die kennzeichnungspflichtig ist und in einer Reportage
nichts verloren hat.
>> Wenn ich dort nur 1 Stunde zuhöre, habe ich regelmäßig mindestens einen
>> gravierenden Punkt, mit dem ich eigentlich die Verantwortlichen
>> konfrontieren müßte
> Und, wo ist das Problem? Gibt immer Dinge, mit denen man nicht
> einverstanden ist, die man besser weiß oder die man nicht hören will.
Das Problem ist, daß Du offenbar annimmst, Ralf würde es um eine schlichte
Meinungsverschiedenheit gehen. Dem ist nicht so. Unterschiedlicher Meinung
kann man sein, das ist die Substanz jeden Diskurses. Beim "gravierenden
Punkt" handelt es sich aber um haarsträubende, falsifizierbare
Unwahrheiten, die - so in Nachrichten oder eine Reportage vorgefunden -
einer Gegendarstellung bedürfen. Gehen diese Unwahrheiten immer in eine
ganz spezielle Richtung, darf man annehmen, die presserechtliche
Verpflichtung zur Neutralität sei verletzt.
Das ist dann wieder ein ganz anderes Thema.
Aber, ja, wir sind hier in Deutschland noch in einer vergleichsweise
komfortablen Situation, nicht zuletzt wegen...
>> Ach?! Netzpolitik.org, Tilo Jung, die NZZ, früher Telepolis, Guardian
>> und Le Monde. Es gab und gibt immer noch bessere Medien.
> Dann verstehe ich nicht, warum Du so auf die Öffentlich-Rechtlichen
> schimpfst. Die sagen/schreiben das Gleiche nur verkürzt und weich gekocht.
... Ralf lamentiert also auf hohem Niveau.
Volker