Mal ein paar grundsätzliche Bemerkungen (die eventuell auch abschreckend
wirken).
Wenn man eine Modellfahrleitung baut stößt man auf einige Probleme, die
das vorbild in dieser Form nicht hat. Abgesehen von den viel zu großen
Drahtdurchmessern und den zu geringen Mastabständen ist m.E. das
Hauptproblem die fehlende Masse der Kettenwerke.
Beim Vorbild hat ein Meter Fahrdraht etwa 1 Kg, die Feldlänge beträgt 60
-80 m. Der Anpreßdruck der Bügel liegt etwa bei 200 N.
Für einen sauberen Bügellauf sollte der Fahrdraht, bzw das Schleifstück
immer in der gleichen Höhe laufen. Wegen diverser Kunstbauten und
Bahnübergänge ist das in der Regel aber nicht durchsetzbar.
Das ideale Kettenwerk (DR) hat eine Fahrdrahthöhe von 5,75 m am
Stützpunkt. Weil aber der Seitenhalter die Elastizität des Kettenwerks
einschränkt, würde bei exakt waagerecht reguliertem Fahrdraht der Bügel
wippen, denn in Feldmitte ist das Kettenwerk uneingeschränkt.
Deshalb wird der Fahrdraht mit Vordurchhang reguliert. Je nach zu
fahrender Maximalgeschwindigkeit (und den persönlichen Vorlieben des
gerade die Abnahme durchführenden Ingenieurs) wir bei einem
Hängerabstand von etwa 7 m pro Hänger ein oder zwei Zentimeter Durchhang
reguliert:
Stützpunkt
o | | | | | o
5,75 5,74 5,73 5,72 5,73 5,74 5,75
Nun zum Modell:
Weil wir nun ohne die Eigenmasse auskommen müssen, passiert bei
Einfachfahrleitung (Mastabstand etwa 30 cm, Fd 0,5 mm) folgendes:
Die Seitenhalter sind bei den Industriemasten fest angebracht und haben
kein Höhenspiel. Befährt nun ein Lok diese Stecke, drückt sie den
Fahrdraht in Feldmitte etwa 5 - 8 mm hoch. Das sieht nicht nur übel aus,
es ist auch mehr als vorbildwidrig.
Um diesen Effekt zu vermeiden kann man die Drahstärke erhöhen (ab 1,5
mm) oder die Fahrleitung versteifen. Letzteres machen die Hersteller, am
drastischten fällt das bei der Märklin"fahrleitung" auf. (Diese aus
Blech gestanzte Teil zeigt aber hervorragende Festigkeit.) Aber auch bei
den anderen Herstellern wird aus Fahrdraht, Hängern und Tragseil ein
zweidimensionales statisches Gebilde geformt.
Damit wird der Effekt des Hochdrückens in Feldmitte verhindert.
Aber, und das ist ein Manko, bringt dieses statische Gebilde einige
Nachteile mit sich:
1. Es ist relativ unflexibel hinsichtlich der örtlichen Besonderheiten
auf der Anlage.
2. Eine bewegliche Nachspannung, wie sie Sommerfeldt z.B. anbietet, wird
durch die starre Befestigung an den Auslegern schon nach wenigen Feldern
wirkungslos.
3. Bei Versuch, das zweidimensionale Stück Kettenwerk in eine
dreidimesionale Form zu bringen, wie sie halb- oder vollwinschiefen
Bauarten notwendig ist, entsteht ein optisch (Draufsicht) verzerrtes
Objekt.
Der letzte Punkt ist für mich (PK) der entscheidende. Normalerweise
läuft der Fahrdraht von +40 nach -40, der Fahrdraht macht einen sauberen
Bogen. Beim verdrehten Modellkettenwerk aber ist der Fahrdraht und auch
das Tragseil seitlich verbogen!
(Sehr schön ist das in der Sommerfeldtanleitung zu sehen. Dort ist ein
Bild von einer Fleischmannanlage, mit solchen Schildern wie "Fernbahn",
Güterbahn" etc. Direkt in Bildachse läuft ein Kettenwerk über eine
Weichenstraße. Hier ist diese Verwindung sehr gut zu erkennen. Ich
empfehle zum Vergleich mal den Besuch einer Brücke über eine
elektrifizierte Strecke!)
Das Problem ist nur beim Eigenbau zu vermeiden oder man wählt eine
Bauart mit lotrechter Anbringung von Fd und Ts (Bauart BBC). Das wäre
zwar beim Vorbild problematisch, im Modell haben wir aber keine Problem
mit dem Windabtrieb. Allerdings sind die industriell gefertigten
Ausleger nur für halbwindschiefe Kettenwerke (Ts = 0, Fd +/-40) gedacht.
Deshalb ist meine dringende Empfehlung der Selbstbau der Kettenwerke.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Gruß
Andreas
Sehr geehrter Herr Ingenieur,
ich ziehe den Hut mit Staunen über diesen tollen Beitrag...
Hallo Andreas,
Deine Ausführungen finde ich spitze. Dazu möchte ich anmerken, dass ich
mich in mit dem Aufbau einer nahezu vorbildgerechten Kettenfahrleitung
mit gespanntem Fahrdraht bereits vor 10 Jahren versucht habe - aber
leider war das Ergebnis nicht sehr dauerhaft.
Das Hauptproblem ist die bei ansehnlich dünnen Drähten fehlende Eigen-
steifigkeit und die für die echte Stromabnahme nötige Andruckkraft
der Pantographen.
Bei Verwendung von sehr dünnen Drähten ist wohl von einem echten
elektrischen Betrieb der Leitung abzuraten. Zusätzlich sollte man
auch die Andruckkraft der Pantos auf ein Minimum reduzieren oder
gleich mit abgehobenen (fixierten) Bügeln fahren, um die filigrane
Konstruktion zu schonen.
--
Schöne Grüße,
Peter Wagner
Peter Wagner schrieb:
>
> Sehr geehrter Herr Ingenieur,
Bin kein Ingenieur; aber Fahrleitungsmonteur habe ich gelernt und 12
Jahre in diesem Beruf gearbeitet.
> ich ziehe den Hut mit Staunen über diesen tollen Beitrag...
Danke sehr!
> Hallo Andreas,
>
> Deine Ausführungen finde ich spitze. Dazu möchte ich anmerken, dass ich
> mich in mit dem Aufbau einer nahezu vorbildgerechten Kettenfahrleitung
> mit gespanntem Fahrdraht bereits vor 10 Jahren versucht habe - aber
> leider war das Ergebnis nicht sehr dauerhaft.
Meine Fahrleitungsanlage steht jetzt knapp zehn Jahre.
> Das Hauptproblem ist die bei ansehnlich dünnen Drähten fehlende Eigen-
> steifigkeit und die für die echte Stromabnahme nötige Andruckkraft
> der Pantographen.
Meine Drähte bestehen aus Elektrolykupfer, haben einen Reinheitsgrad von
99,7 % und einen Durchmesser von 0,5 mm. Kalt gehärtet bringen sie im
Kettenwerk die nötige Festigkeit um auch Loks mit zwei angelegten Bügeln
zu verkraften.
> Bei Verwendung von sehr dünnen Drähten ist wohl von einem echten
> elektrischen Betrieb der Leitung abzuraten.
Unter 0,5 mm wird es sehr schwer.
> Zusätzlich sollte man
> auch die Andruckkraft der Pantos auf ein Minimum reduzieren
Da leidet dann die Stromabnahme drunter.
> oder gleich mit abgehobenen (fixierten) Bügeln fahren, um die filigrane
> Konstruktion zu schonen.
Ist eine Möglichkeit. Lehne ich zwar ab, aber ist technisch
realisierbar. Was mich da stören würde ist einmal die Tatsache, daß man
genauestens die Fahrdrahthöhe einhalten muß, weil sonst das optische
Ergebnis unbefriedigend ist. Weiter muß man auf solche Leckerbissen wie
Absenkungen unter Brücken u.ä. verzichten.
Der von mir verwendete und bearbeitete Draht ist eigentlich fest genug.
Auch unbeabsichtigtes Hineingreifen in die Oberleitung, was eigentlich
täglich passiert, hinterläßt keine Schäden. Gut, manchmal fällt auch ein
harter Gegenstand runter, oder bei nachträglichen Änderungen am Gleis
bleibe ich mit Werkzeug hängen, aber auch diese Schäden sind leicht zu
beheben.
Gruß
Andreas