letzten Juni, auf einem Seminar im Saarland, hab ich sie das erste Mal
gesehen. Jetzt stell ich sie Euch vor. Der Artikel ist schon älter, aber
es gibt die Literbombe noch. Wir haben versucht, den Verbrauch zu
steigern.
Viel Spaß mit dem Artikel!
Anna!
## Nachricht vom 06.10.97 weitergeleitet
## Ursprung : ANNATH...@SEM11.hexe.de
## Ersteller: N.MU...@HIT.handshake.de
Zeitungsausschnitt:
29. Januar 1994 Seite: Geschichte und Landschaft
Die wohl saarländischste aller Bierflaschen
Bericht: Frank Schley
Jeder, der einmal erlebt hat, welch große Augen ein Nicht-Saarländer
macht, wenn er zum ersten Mal einer Literflasche begegnet, kann die
regionalgeschichtliche Bedeutung dieser Flaschenart erahnen. Das "Bier
der Saar" in Literflaschen ist seit 33 Jahren im Sortiment der
saarländischen Brauereien und ist Teil der saarländischen Alltagskultur.
Die Verkaufszahlen lassen allerdings derart nach, daß sie über kurz oder
lang abgeschafft wird. Dieser Exkurs in die Regionalgeschichte zeigte
auf, woher diese Flaschenform kommt, und warum sie überhaupt eingeführt
wurde.
"Die Bierindustrie floriert,
denn wer viel schafft,
der muß auch viel trinke..."
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das "Saargebiet" an das französische
Wirtschaftssystem angeschlossen, in dem andere Eich- und Steuergesetze
als in Deutschland galten. Das Bier war keiner gesonderten Besteuerung
unterworfen; das saarländische Bier war billiger als das in Deutschland
gebraute.
Aufgrund der französischen Maß- und Gewichtsgesetze gab es keine strengen
Normvorschriften für Flaschengrößen wie in der Bundesrepublik. Der
französische Markt erlaubte eine Vielzahl von Größen, und im Saargebiet
wurde diese Regelung fleißig genutzt. Das meiste Flaschenbier wurde vor
dem Tag X in 0,75-Liter-Flaschen abgefüllt. Des weiteren wurden die
Größen 0,25-l, 0,33-l, 0,45-l und 0,7-l im Saargebiet angeboten. Der
Pro-Kopf-Verbrauch an Bier war infolge der Schwerindustrie und der damit
verbundenen körperlichen Arbeit sehr hoch, die Bierindustrie florierte.
"Wer viel schafft, muß auch viel trinke!" Zwölf eigenständig
saarländische Brauereien teilten sich den Markt. Die größte Brauerei an
der Saar war die Becker-Brauerei in St. Ingbert.
Mit der wirtschaftlichen Rückgliederung an die Bundesrepublik 1959 drohte
den saarländischen Brauern neben den neuen Konkurrenten aus dem Reich
auch eine Biersteuer und eine großangelegte Umstellungsaktion. Denn die
Flaschengrößen, die bis dato Verwendung fanden, wurden mit der
wirtschaftlichen Rückgliederung unbrauchbar.
Die Brauer versuchten eine Sonderregelung für die Verwendung ihrer
Flaschen durchzudrücken. Der saarländische Brauereiverband setzte alle
Hebel in Bewegung. Die Angelegenheit wurde Mitte des Jahres 59 vom
Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages erörtert. Die Brauer hatten
keinen Erfolg mit ihrer Anfrage, doch schließlich wurde ihnen eine
Übergangsfrist bis März 1962 eingeräumt, während der die alten
Abfüllgrößen noch verwendet werden durften. Danach mußte die
Bierindustrie auf die üblichen Flaschengrößen von 0,33 und 0,5-Liter
umstellen, die in allen deutschen Brauereien zu der Zeit benutzt wurden.
Auf die saarländischen Brauer kamen einige schwerwiegende Änderungen zu.
Am 27. August des Jahres 1959 trafen sich die Vertreter aller
saarländischen Brauereien zur Beratung der neuen Situation. Die
Zusammenkunft fand im Braustübl der Becker-Brauerei in St. Ingbert statt.
Die Brauereivertreter wollten eine gemeinsame Aktion für das
saarländische Bier beraten und die Frage der Flaschengröße erörtern.
Einer der Tagesordnungspunkte war die Literflasche. Nico Becker von der
Becker-Brauerei brachte die Idee aus Frankreich mit. Diese Flaschenform
wurde in Ostfrankreich verwendet und war nach EWG-Recht auch in
Deutschland erlaubt. Keine deutsche Brauerei füllte ihr Bier in
Literflaschen ab.
Das war die historische Chance, ein eigenes saarländisches Bier auf den
Markt zu bringen, noch dazu in einer ganz individuellen Flasche. Die
Vorteile lagen auf der Hand: Der Preis konnte relativ großzügig
kalkuliert werden, denn je größer die Flaschenform ist, desto billiger
ist die Abfüllung. Und außerdem konnten die Abfüllanlagen aus dem
benachbarten Frankreich importiert werden.
Die Brauereivertreter nahmen den Vorschlag einstimmig an: "... nachdem
Herr Becker auch noch Ausführungen darüber machen konnte, daß der Verkauf
der 0,75-Liter-Flasche nach Frankreich in zufriedenstellender Weise
möglich sein wird".
Als einheitlichen Verkaufspreis für die Flasche legte man 1 DM fest und
konnte damit einen sprunghaften Preisanstieg infolge der Biersteuer
abfedern. Als Datum zur Markteinführung wurde der 1. Februar 60
anvisiert. Wegen der Umstellung der Abfüllanlagen mußten die Saarländer
jedoch noch zwei Monate auf ihr eigenes Bier warten. Der Geburtstag der
Literflasche war der 2. April 1960.
Die Brauereien beschlossen, die Einführung der neuen Flasche zu einem
Werbefeldzug für das heimische Bier zu nutzen; im Sitzungsprotokoll heißt
es dazu wörtlich: "Der beste Werbefachmann soll uns gerade gut genug
sein!" Eine Stuttgarter Werbeagentur bekam diesen lohnenswerten Auftrag.
Die Kampagne wurde bis ins Detail geplant. Als erstes wurde ein
Markenname geschaffen, ähnlich dem schon damals gebräuchlichen "Bière
d'Alsace", das die elsässischen Brauereien heute noch benutzen. Das "Bier
der Saar" war geboren.
"Es ist bekannt,
und es ist wahr,
wer klug ist,
kauft jetzt Bier der Saar"
Dieser Markenname war auf allen Werbeschriften und den Getränkekisten der
saarländischen Brauereien abgebildet. Die spezielle Marke war
zweitrangig. Unter dem Motto "Saarländer kauf Dein eigenes Bier" wollte
man sich vom Bier "aus dem Reich" abgrenzen. Die Kampagne lief von März
bis Juli 1960. Man schaltete Hörfunkspots, veröffentlichte riesige
Anzeigen in der Saarbrüker Zeitung. Die Käufer bekamen beim Kauf von
saarländischem Bier Tragetaschen mit einem Werbeaufdruck geschenkt. Aus
allen saarländischen Radios schallte es bis zu zehnmal am Tag: "Es ist
bekannt, und es ist wahr, wer klug ist, kauf jetzt Bier der Saar. Zum
Tragen die bequeme Tasche, zum kleinen Preis die große Flasche".
Und die (Liter-)bombe schlug ein! Innerhalb weniger Monate war die
Literflasche die meist verwendete Flaschenform im Saarland. Schon 1964
betrug der Anteil der 1-Liter-Flasche im Saarland 48 des
Flaschenbierausstoßes. Der saarländische Gruben- und Hüttenarbeiter hatte
großen Durst. Doch nicht nur die Saarländer fanden Gefallen an der neuen
großen Flasche. Auch "im Reich" tauchten öfters Literflaschen auf. Die
Schloss-Brauerei Neunkirchen vertrieb sie bis nach Braunschweig. Die
norddeutschen Brauereiverbände schrieben Protestbriefe, da sie Angst um
das Preisgefüge hatten. Die Karlsberg-Brauerei, die damals schon über ein
starkes Vertriebsnetz in Rheinland-Pfalz verfügte, machte die
Literflasche in der Westpfalz bekannt. Als einzige nichtsaarländische
Brauerei führte Ende der 60er Jahre die Park-Brauerei die Literflasche
ein. Bis vor einigen Jahren war sie im Lieferprogramm der Pirmasenser
Brauerei.
Im Saarland wird die Literflasche noch von folgenden Brauereien
angeboten: Karlsberg, Grosswald, Bruch und Neufang. Verkauft wird sie
meist über Kioske und Gaststätten. Die privaten Verkaufsstellen, die es
bis vor einigen Jahren in jedem saarländischen Wohngebiet gab, existieren
nicht mehr. Der Nebenverdienst mit Bier, Zigaretten, Süßigkeiten, meist
am Küchenfenster angeboten, lohnt nicht mehr. Daß die Literflasche "Bier
der Saar" heute kaum noch gekauft wird, daran sind neben den kleineren
Familienformen auch die veränderten Trinkgewohnheiten schuld. Alles ist
light und klein. Der Anteil der Literflasche am Flaschenbierausstoß liegt
gerade noch bei 0,77%. Und das, obwohl sie ganz und gar in unsere Zeit
paßt, denn bei keiner Flaschenform gibt es weniger Verpackung bei so viel
Inhalt.
Die Literflasche findet heute noch in Spanien, Frankreich und vor allem
in Argentinien Verwendung, ... und bei uns. Die saarländischen Brauer
betonen zwar, daß die Literflasche nicht abgeschafft wird, doch bei 0,77%
Marktanteil ist es nur eine Frage der Zeit, wann die "friedlichste aller
Bomben" für immer im Regionalgeschichtlichen Museum in Saarbrücken
verschwinden wird.