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Kuriosum - Die verfassungswidrige Wurstsemmel (A)

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Gunter Thierauf

unread,
Mar 31, 2001, 10:51:09 AM3/31/01
to
Die verfassungswidrige Wurstsemmel
Eine kritische Betrachtung zum Lebensmittelgesetz


Kuriosum erstellt von RDB, 30.04.1999
Autor
Dr. Erwin Dietrich, Wien

Norm
§ 63 LMG 1975.
§ 64 LMG 1975.

Fundstelle
AnwBl 1981, 336

Langtext
Jüngst stand ein Mann vor den Schranken des Strafbezirksgerichtes
Wien, angeklagt wegen Vergehens gem § 64 Lebensmittelgesetz, weil er
als Verkäufer in einem Würstelstand Semmeln mit je rund 7,5 g
Braunschweiger-Wurst verkaufte und diese als "Wurstsemmel"
angekündigt hatte. Das Gutachten der
Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien bescheinigte
ausdrücklich die Genußtauglichkeit der angebotenen Semmeln,
beanstandete jedoch, daß nach den Richtlinien des Österreichischen
Lebensmittelbuches die "Wurstsemmeln" als verfälscht zu beurteilen
seien, da als Einlage in Wurstsemmeln eine mittlere Qualität, bei
Fleischwurst Sorte 2 a, und nicht 3. Sorte erwartet werde, es sei
denn, die verwendete Wurst werde direkt angegeben, dh die
Bezeichnung auf der Preistafel hätte im Gegenstande nicht lediglich
"Wurstsemmel" sondern "Semmel mit Braunschweiger-Wurst" lauten
dürfen.

Der Verteidiger verwies in seinem Einspruch gegen die zunächst
ergangene Strafverfügung auf die im folgenden näher zu behandelnde
gesetzliche und verfassungsrechtliche Problematik; das Gericht ging
jedoch auf diese Argumentation, die letztlich zu einer Anrufung des
VfGH geführt hätte, nicht näher ein, sondern sprach den
Beschuldigten in erster Linie wegen Geringfügigkeit (§ 42 StGB)
frei. Das Verfahren endete mit Urteilsvermerk, so daß für das
grundsätzliche Rechtsproblem nichts gewonnen werden konnte.

Im folgenden soll daher der Problemkreis näher erörtert werden,
zumal mit einer Wiederholung derartiger Fälle gerechnet werden kann
und die Rechtslage als durchaus unklar bzw zum Teil
verfassungswidrig bezeichnet werden muß.

Nach Meinung des Verfassers war zunächst einmal die Anklage, die auf
Vergehen nach § 64 LMG lautete, verfehlt, weil diese gesetzliche
Bestimmung die fahrlässige Inverkehrsetzung verdorbener,
verfälschter oder nachgemachter Lebensmittel, Verzehrprodukte oder
Zusatzstoffe im Auge hat (§ 63 Abs 1 LMG) bzw die Verwendung nicht
zugelassener oder nicht entsprechender Zusatzstoffe (§ 61 LMG) unter
Strafsanktion stellt. Beide Tatbestände waren nicht gegeben, da, wie
bereits ausgeführt, die beanstandeten Wurstsemmeln als genußtauglich
eingestuft wurden und die verwendete Wurstsorte nicht als
Zusatzstoff qualifiziert werden kann.

Das Gutachten der Lebensmitteluntersuchungsanstalt selbst sprach
unter Hinweis auf das Lebensmittelbuch von einer Verfälschung im
Sinne des § 8 lit e) LMG, was bedeutet hätte, daß wertbestimmende
Bestandteile, deren Gehalt vorausgesetzt wird, nicht oder nicht
ausreichend hinzugefügt oder ganz oder teilweise entzogen oder daß
dieselben durch Zusatz oder Nichtentzug wertvermindernder Stoffe
verschlechtert wurden, oder schließlich durch Zusätze oder
Manipulation der Anschein einer besseren Beschaffenheit verliehen
oder die Minderwertigkeit damit überdeckt wurde, oder schließlich
eine unzulässige Verfahrensart Anwendung fand. All dies aber lag im
Gegenstande nicht vor.

In den Erläuterungen zu 8 LMG Barfuß - Pindur - Smolka wird in Anm
6, S. 49, dazu ausgeführt, daß eine Verfälschung einen Eingriff in
das Produkt zur Voraussetzung hat und daß eine solche Manipulation
durch bloße Verwendung einer Bezeichnung unmöglich sei. Daher können
bloße Beschriftungen, Bezeichnungen, Kennzeichnungen, Aufmachungen
udgl nicht zu einer Verfälschung führen. Daraus folgt, daß eine
Lebensmittelverfälschung durch die Bezeichnung "Wurstsemmel" nicht
vorgelegen haben kann.

Da es nicht Aufgabe eines SV-Gutachters ist, die rechtliche
Qualifikation quasi bindend für das Gericht zu treffen, wäre die
vorliegende Anzeige möglicherweise zum Anlaß zu nehmen gewesen,
festzustellen, ob ein anderer als der bezogene Straftatbestand
allenfalls erfüllt wurde, geht doch die Anzeige der
Lebensmitteluntersuchungsanstalt von der Inhaltserwartung des
Verbrauchers aus.

Ein adäquater Tatbestand würde sich daher nur in der
Falschbezeichnung im Sinne des § 63 (2) LMG finden lassen, der eine
solche dann unter Sanktion stellen will, wenn jemand entgegen
bestehender Bestimmungen im Österreichischen Lebensmittelbuch
Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe wissentlich falsch
bezeichnet, wobei offenbar daran gedacht ist, Süßstoff als Zucker,
Sirup als Honig usw zu deklarieren.

Hier erhebt sich nun die Frage nach der Rechtsnatur des vom Gesetz
ausdrücklich bezogenen Österreichischen Lebensmittelbuches, gilt
doch seit altersher der auch in § 1 StGB verankerte Grundsatz des
"nulla poena sine lege".

Dieses Österreichische Lebensmittelbuch ist keineswegs ein Gesetz
oder eine Verordnung, und es ist daher auch nicht im
Bundesgesetzblatt kundgemacht worden; es handelt sich dabei vielmehr
um eine Buchausgabe, die im Verlag der Brüder Hollinek, Wien, teils
in Buch- und teils in Loseblattform erschienen ist und von Zeit zu
Zeit durch Neuauflagen bzw Austauschseiten ergänzt wird. Es erübrigt
sich daher, auf die mangelnde Gesetzeskraft dieses Codex
alimentarius Austriacus näher einzugehen. Hierauf wurde bereits
hinlänglich in der Literatur hingewiesen und ausgeführt, daß eine
verfassungskonforme Interpretation des § 63 (2) LMG zur
Voraussetzung hätte, daß zuvor die betreffende Bestimmung des Codex
gem § 10 (2) LMG zumindest in den Verordnungsrang erhoben werden
müßte, bevor sie gesetzeskonform angewendet werden kann (so auch
Aichleitner, Zeitschrift für Verwaltung 1979/3, S. 196).

Auch der OGH hat, wie sich aus den erläuternden Einführungen zum
Codex ergibt, zur rechtlichen Bedeutung der in diesem enthaltenen
Bestimmungen festgestellt, daß ihnen keine Gesetzes- oder
Verordnungskraft, sondern lediglich die Bedeutung eines gewichtigen
SV- Gutachtens zukomme. Im übrigen führt er in seiner Entscheidung
vom 23. September 1908, Kr II 247/8 (KH 3494), bereits aus, daß
falsche Bezeichnungen dann vorliegen, wenn sie im Betreff von Ort,
Zeit oder Art der Herstellung, Beschaffenheit, Menge oder
Gewichtsverhältnissen geeignet sind, das Publikum im Irrtum zu
führen. Auch eine spätere Entscheidung des OGH vom 27. März 1936, 5
Os 304/36 (SSt XVI/36), setzt für den Tatbestand der falschen
Bezeichnung deren Eignung als Irreführung voraus.

In sprachlicher Hinsicht wäre dazu zu bemerken, daß die bloße
Bezeichnung "Wurst" eine Vielzahl von Produkten sehr
unterschiedlicher Konsistenz und Inhalt umfaßt und eine solche
Ankündigung keineswegs geeignet ist, eine bestimmte Qualität zu
bezeichnen. Kann aber ein Kunde durch einen solchen Begriff keine
klare und eindeutige Vorstellung gewinnen, dann kann er auch so
lange nicht im Irrtum geführt werden, als das fragliche Produkt
unter den Sammelbegriff subsumiert werden kann.

Aus dieser Sach- und Rechtslage aber folgt, daß das Österreichische
Lebensmittelbuch zur Interpretation des Begriffes der
Falschbezeichnung nicht unmittelbar angewendet werden kann und daß
dasselbe etwa durch ein Gegengutachten durchaus widerlegbar ist. Vor
allem gilt dies dort, wo von einer sogenannten "Gebrauchserwartung"
auszugehen ist, etwa bei der Frage, ob mit der Bezeichnung
"Wurstsemmel" überhaupt eine bestimmte Qualitätserwartung verbunden
werden kann.

Die gegenteilige Rechtsansicht, gestützt auf angebliche
Verbrauchererwartungen, für die es selbst keinerlei Rechtsgrundlage
gibt, kann nicht geteilt werden, und es müßte als schwerer Verstoß
gegen die Rechtsordnung angesehen werden bzw zu absoluter Willkür
führen, wenn einen bloße SV-Meinung zum Strafmaßstab erhoben würde.
Eine solche "Wurstsemmel" wäre rechts- und verfassungswidrig.

---------

MfG Gunter

Heidi Lunzer

unread,
Mar 31, 2001, 1:15:43 PM3/31/01
to

Gunter Thierauf <GunterT...@gmx.net> schrieb in im Newsbeitrag:
9a50gn$c5m$1...@passat.ndh.net...

> Die verfassungswidrige Wurstsemmel
> Eine kritische Betrachtung zum Lebensmittelgesetz
>

........ und - das war ein Auszug aus dem "heiteren Bezirksgericht"
Ist ja schon ein Wahnsinn, womit sich Richter herumschlagen muessen,
reine Beschaeftigungstherapie, denn wir haben viel zu viele Beamte!
Liebe Gruesse
Heidi


Michael Jaeger

unread,
Apr 2, 2001, 10:05:50 AM4/2/01
to
Konrad Wilhelm schrieb:
> Na, dann seid froh, wie haben viel zu wenig. Grad auf dem Lebensmittelsektor
> bieten die Supermärkte oft Dinge (insb. Gemüse) als Güteklasse I an, die de
> facto bereits so welk, verdorben etc sind, dass sie von rechts wegen überhaupt
> nicht mehr handelsfähig wären. Ich beobachte das insb. bei Kartoffeln, bei
> (dunkelgrünem) Chicorree, bei schrumpeligen Paprika mit Faulflecken, bei
> Zitrusfrüchten in Netzen.
> Aber das Veterinäramt unseres Kreises hat für hunderte von Geschäften nur zwei
> oder 3 Kontrolleure, die sich in letzter Zeit auch mehr mit Kampfhunden mit BSE
> und MKS befassen.
> Ich würde mir das auch lieber zu viel als zu wenig Beamte wünschen.


Aber wenn sie sich mal mit Lebensmitteln beschaeftigen, dann bestimmt
nicht mit verdorbenen Waren, sondern mit irgendeinem Unsinn.

Hamburger ohne Fleisch muessen (Gemuese-, Tofu-, etc.)Bratling
heissen, Gemuese- oder Tofu-Hamburger ist nicht erlaubt. Schliesslich
erwartet der Verbraucher, wenn er Ham-Burger liest, dass da Ham
(Schinken, aka Fleisch) drin sei. Dass das nicht Ham-Burger, sondern
wirklich Hamburger nach der Stadt HH heist, davon lies sich vor vielen
Jahren der betreffende Richter nicht mal von Sachverstaendigen
ueberzeugen.


Gruss

Michael

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